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Mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Ge­schlechts bei der Pi­lo­ten­aus­bil­dung

Ta­rif­lich fest­ge­leg­te Min­dest­grö­ße von 1,65 Me­tern dis­kri­mi­niert weib­li­che Be­wer­ber: Ar­beits­ge­richt Köln, Ur­teil vom 28.11.2013, 15 Ca 3879/13
Wie groß müs­sen Pi­lo­tin­nen sein?

30.11.2013. Am Don­ners­tag die­ser Wo­che hat­te das Ar­beits­ge­richt Köln über ei­ne Ent­schä­di­gungs­kla­ge zu ent­schei­den, bei der es um den Vor­wurf der Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Ge­schlechts ging. Ge­klagt hat­te ei­ne jun­ge Frau, die sich ver­geb­lich bei der Luft­han­sa um ei­ne Aus­bil­dung als Pi­lo­tin be­wor­ben hat­te.

Die Eig­nungs­tests hat­te sie zwar al­le be­stan­den, aber sie ist nur 1,61 Me­ter und ei­nen hal­ben Zen­ti­me­ter groß und da­mit 3,5 cm zu klein für den Pi­lo­ten­be­ruf bei der Luft­han­sa. Denn nach ei­nem Ta­rif­ver­trag, den die Luft­han­sa mit der Pi­lo­ten­ver­ei­ni­gung Cock­pit ab­ge­schlos­sen hat, müs­sen Be­wer­ber und Be­wer­be­rin­nen zwi­schen 1,65 bis 1,98 Me­ter groß sein.

Mit die­sem Kor­ri­dor wer­den aber mehr Frau­en als Män­ner vom Zu­gang zum Pi­lo­ten­be­ruf aus­ge­schlos­sen, so die Klä­ge­rin. Denn Frau­en sind durch­schnitt­lich klei­ner als Män­ner. Kon­kret sind mehr als 40 Pro­zent der Frau­en, aber nur knapp 3 Pro­zent der Män­ner klei­ner als 165 cm.

Au­ßer­dem wür­den bei der Schwei­zer Luft­han­sa-Toch­ter Swiss auch 1,60 Me­ter gro­ße Men­schen zu Pi­lo­ten aus­ge­bil­det. Hier hät­te die Luft­han­sa ein­wen­den kön­nen, die Schweiz sei eben auch ein klei­nes Land. Mach­te sie aber nicht, son­dern ver­wies dar­auf, dass die Swiss so gro­ße Pas­sa­gier­ma­schi­nen wie die Luft­han­sa gar nicht in Be­trieb ha­be. Soll wohl hei­ßen: Wer nur 1,61 Me­ter groß, soll­te be­ruf­lich eher in Rich­tung Cess­na ge­hen als in Rich­tung Air­bus A380...

Letz­tes (Tot­schlag-)Ar­gu­ment der Luft­han­sa: Die Si­cher­heit der Flug­gäs­te. Ein Pi­lot müs­se kör­per­lich in der La­ge sein, ein Flug­zeug zu flie­gen. Hier wä­re es in­ter­es­sant ge­we­sen, Ge­naue­res über die An­ord­nung von Ge­rä­te­an­zei­gen, Schal­tern und Pe­da­len in den Cock­pits ver­schie­de­ner Ver­kehrs­flug­zeu­ge der Luft­han­sa zu er­fah­ren. Er­fuhr man aber nicht.

Nach An­sicht des Ar­beits­ge­richts lag da­her ei­ne mit­tel­ba­re ge­schlechts­be­ding­te Dis­kri­mi­nie­rung von Frau­en beim Zu­gang zum Be­ruf vor und da­mit ein Ver­stoß ge­gen die Vor­schrif­ten des All­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­set­zes (AGG), vgl. § 1, § 2 Abs.1 Nr.3 und § 3 Abs.2 AGG

Das hät­te der Klä­ge­rin im Nor­mal­fall ei­ne Gel­dent­schä­di­gung be­schert (§ 15 Abs.2 AGG), doch half der Luft­han­sa ihr gu­ter Glau­be an die Recht­mä­ßig­keit des Ta­rif­ver­trags, den sie hier im Streit­fall an­wand­te. Ge­mäß § 15 Abs.3 AGG ist der Ar­beit­ge­ber näm­lich bei der An­wen­dung kol­lek­tiv­recht­li­cher Ver­ein­ba­run­gen nur dann zur Ent­schä­di­gung ver­pflich­tet, wenn er vor­sätz­lich oder grob fahr­läs­sig han­delt.

Vor die­sem Hin­ter­grund war die Luft­han­sa nicht da­zu be­reit, den vom Ge­richt vor­ge­schla­ge­nen Ver­gleich an­zu­neh­men und 10.000,00 EUR Gel­dent­schä­di­gung zu zah­len. Dar­auf­hin wies das Ge­richt die Kla­ge ab.

Fa­zit: Beim The­ma Al­ter ha­ben die Pi­lo­ten der Luft­han­sa in den letz­ten Jah­ren ei­ni­ge ju­ris­ti­sche Er­fol­ge er­rei­chen kön­nen. So wur­de das Ein­stel­lungs­höchst­al­ter von 37 Jah­ren ge­kippt (wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 11/138 Ein­stel­lungs­höchst­al­ter von 37 Jah­ren für Pi­lo­ten ist dis­kri­mi­nie­rend) und auch die Zwangs­pen­sio­nie­rung von Pi­lo­ten mit 60 Jah­ren ist vom Tisch (Ar­beits­recht ak­tu­ell: 11/178 EuGH kippt Al­ters­gren­ze 60 für Luft­han­sa-Pi­lo­ten). Jetzt wird sich der Kon­zern zu­sam­men mit den Ge­werk­schaf­ten ein­mal über­le­gen müs­sen, wel­che An­for­de­run­gen an die Kör­per­grö­ße sach­lich be­grün­det sind und wel­che nicht.

Nä­he­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das Ar­beits­ge­richt sei­ne Ur­teils­grün­de ver­öf­fent­licht. Au­ßer­dem hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Köln als Be­ru­fungs­ge­richt über den Fall ent­schie­den und die Be­ru­fung des Be­wer­be­rin zu­rück­ge­wie­sen. Das voll­stän­dig be­grün­de­te Ur­teil des Ar­beits­ge­richts so­wie In­for­ma­tio­nen zu dem LAG-Ur­teil fin­den Sie hier:

 

Letzte Überarbeitung: 22. September 2020

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