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LAG Schles­wig-Hol­stein, Ur­teil vom 12.01.2012, 5 Sa 339/11

   
Schlagworte: Probezeit, Fragerecht, Anfechtung
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Aktenzeichen: 5 Sa 339/11
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 12.01.2012
   
Leitsätze:

1. Ob eine Probezeitkündigung wegen falscher Beantwortung einer dem Arbeitnehmer bei dessen Einstellung gestellten Frage gemäß §§ 242, 138 Abs. 1 BGB rechtsmissbräuchlich und damit nichtig ist, hängt davon ab, ob der Arbeitgeber in zulässigerweise von seinem Fragerecht Gebrauch gemacht hat.

2. Aufgrund des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und der Berufsausübungsfreiheit des Arbeitnehmers und dem Resozialisierungsgedanken hat der Arbeitgeber in Bezug auf Vorstrafen nur ein eingeschränktes Fragerecht.

3. Demgegenüber hat der öffentliche Arbeitgeber in der Regel ein berechtigtes Interesse an der Mitteilung verhängter Disziplinarmaßnahmen, weil diese grundsätzlich als Reaktion auf pflichtwidriges Verhalten im Amt verhängt wurden.

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Neumünster, Urteil vom 13.07.2011, 1 Ca 154 c/11
   

Lan­des­ar­beits­ge­richt Schles­wig-Hol­stein

 

Ak­ten­zei­chen: 5 Sa 339/11
1 Ca 154 c/11 ArbG Ne­umüns­ter

(Bit­te bei al­len Schrei­ben an­ge­ben!)

 

Verkündet am 12.01.2012

 

Gez. ...
als Ur­kunds­be­am­tin der Geschäfts­stel­le

 

Ur­teil

Im Na­men des Vol­kes

In dem Rechts­streit

pp.

hat die 5. Kam­mer des Lan­des­ar­beits­ge­richts Schles­wig-Hol­stein auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 12.01.2012 durch die Vor­sit­zen­de Rich­te­rin am Lan­des­ar­beits­ge­richt ... als Vor­sit­zen­de und den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter ... als Bei­sit­zer und die eh­ren­amt­li­che Rich­te­rin ... als Bei­sit­ze­rin

für Recht er­kannt:

 

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1. Die Be­ru­fung des Klägers ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Ne­umüns­ter vom 13.07.2011, Az. 1 Ca 154 c/11, wird zurück­ge­wie­sen.

2. Die Kos­ten des Be­ru­fungs­ver­fah­rens trägt der Kläger.

3. Die Re­vi­si­on wird nicht zu­ge­las­sen.

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Rechts­mit­tel­be­leh­rung

Ge­gen die­ses Ur­teil ist das Rechts­mit­tel der Re­vi­si­on nicht ge­ge­ben; im Übri­gen wird auf § 72 a ArbGG ver­wie­sen.

 

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Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten um die Wirk­sam­keit ei­ner Pro­be­zeitkündi­gung.

Der am ....1962 ge­bo­re­ne, ver­hei­ra­te­te Kläger wur­de mit Ar­beits­ver­trag vom 17.08.2010 mit Wir­kung zum 23.08.2010 als Stu­di­en­rat an Gym­na­si­en in den Lan­des­dienst ein­ge­stellt und am Gym­na­si­um H. in N. ein­ge­setzt. Der Kläger be­zog zu­letzt ein mo­nat­li­ches Brut­to­ein­kom­men i. H. v. € 3.064,54.

Vor sei­ner Ein­stel­lung hat­te der Kläger in B. das Re­fe­ren­da­ri­at ab­ge­leis­tet und die Zwei­te Staats­prüfung am 18.01.2010 be­stan­den. Anläss­lich der Ein­stel­lung in den Schles­wig-Hol­stei­ni­schen Schul­dienst gab er am 29.7.2010 ei­ne Erklärung ab. Durch sei­ne Un­ter­schrift auf der For­mu­la­r­erklärung bestätig­te er u. a. (Bl. 14 d. A.):

„..., dass ich nicht ge­richt­lich be­straft oder dis­zi­pli­nar­recht­lich be­langt wor­den bin und dass ge­gen mich kein ge­richt­li­ches Straf­ver­fah­ren, straf­recht­li­ches Er­mitt­lungs­ver­fah­ren oder Dis­zi­pli­nar­ver­fah­ren anhängig ist, ...“

Zwi­schen den Par­tei­en ist um­strit­ten, ob der Kläger durch un­an­ge­mes­se­nes Ver­hal­ten und Dis­tanz­lo­sig­keit im Sport­un­ter­richt auf­ge­fal­len ist. Am 23.11.2010 fand zwi­schen dem Kläger und dem Schul­lei­ter F. ei­ne Nach­be­spre­chung über zwei Un­ter­richts­stun­den statt. In die­sem Gespräch teil­te Herr F. dem Kläger mit, Schüle­rin­nen der neun­ten Klas­se hätten be­haup­tet, er, der Kläger, „gu­cke ko­misch“. Herr F. frag­te den Kläger, ob er mögli­cher­wei­se ein „Nähe-Dis­tanz-Pro­blem" im Verhält­nis zu Schüle­rin­nen und Schülern ha­be. Herr F. wand­te sich an das Per­so­nal­re­fe­rat, wor­auf­hin das be­klag­te Land die Per­so­nal­ak­ten bei der al­ten Dienst­stel­le des Klägers in B. an­for­der­te. Aus den über­sand­ten Ak­ten er­gab sich, dass auf­grund ei­nes Vor­falls am Au­to­bahn­zu­brin­ger H.-L. am 14.05.2000 ein Er­mitt­lungs­ver­fah­ren ge­gen den Kläger we­gen ex­hi­bi­tio­nis­ti­scher Hand­lun­gen ein­ge­lei­tet und die­ses gemäß § 153 Abs. 1 St­PO ein­ge­stellt wor­den war. Während der Zeit des in B. ab­ge­leis­te­ten Re­fe­ren­da­ri­ats war es am 31.05.2005 zu ei­nem wei­te­ren Vor­fall ge­kom­men, der von der Staats­an­walt­schaft B. in der An­kla­ge­schrift als ex­hi­bi­tio­nis­ti­sche Hand­lung gemäß § 183 StGB be­wer­tet wor­den war. Das Straf­ver­fah­ren war gemäß § 153 Abs. 2 St­PO ein­ge­stellt wor­den. In­fol­ge die­ses Vor­fal­les war der Kläger vom Se­na­tor für Bil­dung

 

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und Wis­sen­schaft der F. H. B. mit be­stands­kräfti­gem Be­scheid vom 10.05.2005 gemäß § 38 Abs. 1 des B. Dis­zi­plinar­ge­set­zes vorläufig des Diens­tes ent­ho­ben wor­den. Außer­dem war nach § 38 Abs. 2 B. Dis­zi­plinar­ge­setz ein Teil sei­ner Dienst­bezüge ein­be­hal­ten wor­den. In dem Be­scheid wur­de zur Be­gründung u. a. aus­geführt:

„Aus­weis­lich ei­ner vom Po­li­zei­re­vier N. auf­ge­nom­me­nen Straf­an­zei­ge ha­ben Sie am 31. März 2005, zwi­schen 14:30 Uhr und 15:00 Uhr am W. (Höhe B.weg) in al­ko­ho­li­sier­tem Zu­stand (Blut­al­ko­hol­kon­zen­tra­ti­on 2,08 g Pro­mil­le) ei­ne an­de­re Per­son durch ex­hi­bi­tio­nis­ti­sche Hand­lun­gen belästigt, in dem Sie vor der Geschädig­ten ona­nier­ten. Die Geschädig­te hat­te Sie be­reits zu­vor an­ge­spro­chen und Ih­nen un­miss­verständ­lich klar ge­macht, dass Sie sie in Ru­he las­sen soll­ten. Sie wur­den von der Po­li­zei noch am sel­ben Ort an­ge­trof­fen, be­fan­den sich aber mitt­ler­wei­le in Be­glei­tung von zwei jun­gen Mädchen, die Sie als Leh­rer be­zeich­ne­ten.“

Mit Be­scheid vom 31.03.2006 wi­der­rief das Land B. das Be­am­ten­verhält­nis des Klägers gemäß §§ 39 Abs. 1 i. V. m. § 38 Abs. 4 B. Be­am­ten­ge­setz a. F. un­ter Be­zug­nah­me auf den Vor­fall am W. am 31.03.2005 und ord­ne­te die so­for­ti­ge Voll­zie­hung an.

Ge­gen die­se Maßnah­men wand­te sich sei­ner­zeit der Kläger nach er­folg­lo­sem Wi­der­spruch vor dem Ver­wal­tungs­ge­richt B. mit ei­nem einst­wei­li­gen An­ord­nungs­ver­fah­ren und ei­ner Ver­pflich­tungs­kla­ge (VG B. 6 V 1793/06 und 6 K 1647/06). Nach­dem der Kläger in je­nem Haupt­sa­che­ver­fah­ren im We­ge der teil­wei­sen An­tragsrück­nah­me nur noch be­an­tragt hat­te, das Land B. zu ver­pflich­ten, mit ihm den Vor­be­rei­tungs­dienst außer­halb ei­nes Be­am­ten­verhält­nis­ses wie­der auf­zu­neh­men, wur­de der Be­scheid vom 31.03.2006 be­tref­fend die Ent­las­sung aus dem Be­am­ten­verhält­nis be­stands­kräftig. Nach­dem ein amtsärzt­li­ches und fach­psych­ia­tri­sches Gut­ach­ten zu dem Er­geb­nis ge­kom­men war, der Kläger sei nicht al­ko­hol­abhängig und von ihm gin­gen kei­ner­lei Gefähr­dun­gen aus, die das Selbst­be­stim­mungs­recht der am Schul­le­ben Be­tei­lig­ten in ir­gend­ei­ner Wei­se be­ein­träch­ti­gen könn­ten, ei­nig­ten sich das Land B. und der Kläger da­hin­ge­hend, dass der Kläger den Vor­be­rei­tungs­dienst außer­halb des Be­am­ten­verhält­nis­ses im Rah­men ei­nes An­ge­stell­ten­verhält­nis fort­set­zen konn­te. Das Haupt­sa­che­ver­fah­ren mit dem geänder­ten An­trag (VG B.: 6 K 1647/06) erklärten sie so­dann übe­rein­stim­mend für er­le­digt.

Am 28.12.2010 hörte das be­klag­te Land (künf­tig: die Be­klag­te) den Haupt­per­so­nal­rat zur be­ab­sich­tig­ten or­dent­li­chen Kündi­gung des Klägers in­ner­halb der Pro­be­zeit an;

 

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we­gen der Be­gründung im Ein­zel­nen wird auf Blatt 51 ff. der Ak­te Be­zug ge­nom­men. Der Haupt­per­so­nal­rat stimm­te der Kündi­gung am 10.01.2011 zu (Bl. 51 d. A.). Dar­auf­hin kündig­te die Be­klag­te das Ar­beits­verhält­nis mit Schrei­ben vom 13.01.2011 frist­ge­recht zum 31.01.2011.

Ge­gen die­se ihm am 17.01.2011 zu­ge­gan­ge­ne Kündi­gung hat der Kläger am 04.02.2011 vor dem Ar­beits­ge­richt Kündi­gungs­schutz­kla­ge er­ho­ben.

We­gen des wei­te­ren Sach- und Streit­stands in ers­ter In­stanz, ins­be­son­de­re des strei­ti­gen Par­tei­vor­brin­gens, so­wie der erst­in­stanz­li­chen Anträge wird auf den Tat­be­stand des an­ge­foch­te­nen Ur­teils ein­sch­ließlich der In­be­zug­nah­men ver­wie­sen, § 69 Abs. 2 ArbGG.

Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge mit Ur­teil vom 13.07.2011 ab­ge­wie­sen. Die Kündi­gung sei nicht treu­wid­rig gemäß § 242 BGB. Nach Dar­stel­lung der Be­klag­ten sei die Kündi­gung er­folgt, weil der Schul­lei­ter den Ein­druck ge­won­nen ha­be, dass der Kläger nicht das von ei­ner Lehr­kraft zu er­war­ten­de Ver­hal­ten ge­zeigt und im Sport­un­ter­richt nicht die ge­bo­te­ne Dis­tanz zu Schüle­rin­nen ge­wahrt ha­be und von ei­ner man­geln­den Eig­nung des Klägers für den Leh­rer­be­ruf aus­zu­ge­hen sei. Außer­dem be­zie­he sich die Be­klag­te auf ei­ne nach­hal­ti­ge Erschütte­rung des Ver­trau­ens­verhält­nis­ses auf­grund feh­len­der An­ga­ben des Klägers bei sei­ner Ein­stel­lung zu dem Dis­zi­pli­nar­ver­fah­ren in B.. Ob der Kläger grundsätz­lich für den Leh­rer­be­ruf ge­eig­net sei, ob er tatsächlich nicht die ge­bo­te­ne Dis­tanz zu Schüle­rin­nen ge­wahrt und ei­ne vorsätz­lich fal­sche Erklärung bei sei­ner Ein­stel­lung ab­ge­ge­ben ha­be, bedürfe kei­ner Ent­schei­dung, weil die Kündi­gung in­ner­halb der War­te­zeit des § 1 Abs. 1 KSchG er­folgt sei. Die Kündi­gung be­ru­he nicht auf willkürli­chen oder sach­frem­den Mo­ti­ven. Die Kündi­gung sei auch nicht auf­grund feh­ler­haf­ter Per­so­nal­rats­anhörung un­wirk­sam.

Ge­gen die­ses ihm am 09.08.2011 zu­ge­stell­te Ur­teil hat der Kläger am 07.09.2011 beim Lan­des­ar­beits­ge­richt Schles­wig-Hol­stein Be­ru­fung ein­ge­legt und die­se am Mon­tag, den 10.10.2011, be­gründet.

Der Kläger trägt vor,

 

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das Ar­beits­ge­richt sei im Tat­be­stand von ei­nem „fach­psych­ia­tri­schen Gut­ach­ten“ aus­ge­gan­gen, in Wahr­heit ha­be es sich in­des­sen um ein „fo­ren­sisch-psych­ia­tri­sches Gut­ach­ten“ ge­han­delt. Die­ses sei in Be­zug auf den Be­weis­wert be­acht­lich. Der Kläger be­strei­tet, dass der Schul­lei­ter den Ein­druck ge­won­nen ha­be, dass er, der Kläger, auf­grund sei­nes ge­genüber Schüle­rin­nen dis­tanz­lo­sen Ver­hal­tens im Sport­un­ter­richt für den Leh­rer­be­ruf nicht ge­eig­net sei. Der Schul­lei­ter ha­be in dem Gespräch vom 23.02.2011 nicht be­haup­tet, dass Schüle­rin­nen (oder El­tern) an ihn persönlich her­an­ge­tre­ten sei­en mit der Be­schwer­de, er, der Kläger, „gu­cke ko­misch“. Rich­tig sei viel­mehr, dass er, der Schul­lei­ter, dies nur gehört ha­be. Auch an die Be­ra­tungs­leh­re­rin sei­en sol­che Be­schwer­den nicht her­an­ge­tra­gen wor­den. Es sei nach wie vor of­fen, wer die Ein­drücke ei­nes „Nähe-Dis­tanz-Pro­blems“ auf­ge­wor­fen ha­be. Ein Kündi­gungs­mo­tiv aus den Zu­sam­menhängen des Ar­beits­verhält­nis­ses ge­be es nicht. Die Kündi­gung ver­let­ze ihn mit­hin in sei­nen Grund­rech­ten aus Art. 12 Abs. 1 GG. Die Vorfälle aus 2005 dürf­ten nicht zur Be­ur­tei­lung sei­ner persönli­chen und fach­li­chen Eig­nung für den Leh­rer­be­ruf her­an­ge­zo­gen wer­den. Dies gel­te ins­be­son­de­re vor dem Hin­ter­grund des fo­ren­sisch-psych­ia­tri­schen Gut­ach­tens. Die Mo­ti­ve der Kündi­gung er­ge­ben sich aus dem Per­so­nal­rats-Anhörungs­schrei­ben, nur dass die­se al­le­samt falsch sei­en. Da­mit grif­fe die Kündi­gung nicht nur in die Be­rufs­ausübungs­frei­heit, son­dern so­gar in die Be­rufs­wahl­frei­heit ein, da bei dem Leh­rer­be­ruf die Per­so­nal­ak­te stets zum neu­en Ar­beit­ge­ber gleich­sam „mit­wan­de­re“. Vor die­sem Hin­ter­grund müss­ten auch bei ei­ner Pro­be­zeitkündi­gung Gründe vor­lie­gen, die tatsächlich stimm­ten. An­sons­ten gäbe es kei­nen Min­dest­schutz bei Pro­be­zeitkündi­gun­gen.

Der Kläger be­an­tragt,

das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Ne­umüns­ter vom 13.07.2011, Az.: 1 Ca 154 c/11, ab­zuändern und fest­zu­stel­len, dass das zwi­schen den Par­tei­en be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis durch die or­dent­li­che Kündi­gung des be­klag­ten Lan­des vom 13.01.2011 nicht zum 31.01.2011 be­en­det wor­den ist.

Die Be­klag­te be­an­tragt,

die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

Das be­klag­te Land

 

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ver­tei­digt das an­ge­foch­te­ne Ur­teil. Der ver­fas­sungs­recht­li­che Min­dest­schutz vor ei­ner Kündi­gung, die nicht dem Kündi­gungs­schutz un­ter­lie­ge, sei we­der aus sach­frem­den noch aus willkürli­chen Mo­ti­ven miss­ach­tet wor­den. Viel­mehr ha­be sie die ihr zu­ge­tra­ge­nen Ein­drücke des Schul­lei­ters, der Kläger zei­ge nicht das von ihm zu er­war­te­te Ver­hal­ten ei­ner Lehr­kraft und wah­re im Sport­un­ter­richt nicht die ge­bo­te­ne Dis­tanz zu Schüle­rin­nen, zum An­lass ge­nom­men, des­sen Per­so­nal­ak­te an­zu­for­dern. Die Ein­sicht­nah­me in die Per­so­nal­ak­te ha­be of­fen­bart, dass der Kläger bei des­sen Ein­stel­lung ver­heim­licht ha­be, dass ge­gen ihn ein Dis­zi­pli­nar­ver­fah­ren geführt wor­den sei, wel­ches mit der Ent­las­sung aus dem Be­am­ten­verhält­nis ge­en­det ha­be. Die­ser Um­stand, die Ver­heim­li­chung des Dis­zi­pli­nar­ver­fah­rens und des­sen Ge­gen­stand, so­wie die Dis­tanz­lo­sig­keit ge­genüber Schüle­rin­nen hätten letzt­lich zur streit­be­fan­ge­nen Kündi­gung des Klägers während der Pro­be­zeit geführt.

We­gen des wei­te­ren Vor­brin­gens der Par­tei­en im Be­ru­fungs­ver­fah­ren wird auf den münd­lich vor­ge­tra­ge­nen In­halt der zwi­schen ih­nen ge­wech­sel­ten Schriftsätze nebst An­la­gen so­wie den In­halt des Sit­zungs­pro­to­kolls vom 12.01.2012 ver­wie­sen.

Ent­schei­dungs­gründe

Die Be­ru­fung des Klägers ist zulässig. Sie ist an sich statt­haft und frist- und form­ge­recht ein­ge­legt und recht­zei­tig so­wie ord­nungs­gemäß be­gründet wor­den, §§ 66 Abs. 1 und Abs. 2 c), 64 Abs. 6 ArbGG, 519 Abs. 2, 520 ZPO.

Das Ar­beits­ge­richt hat die Kündi­gungs­fest­stel­lungs­kla­ge zu Recht ab­ge­wie­sen. Die hier­ge­gen vom Kläger er­ho­be­nen Einwände recht­fer­ti­gen kein an­de­res Er­geb­nis. Zur Ver­mei­dung unnöti­ger Wie­der­ho­lun­gen kann auf die zu­tref­fen­den Ent­schei­dungs­gründe des an­ge­foch­te­nen Ur­teils ver­wie­sen wer­den. Le­dig­lich ergänzend und auf den Sach- und Rechts­vor­trag des Klägers in der Be­ru­fungs­in­stanz ein­ge­hend wird noch auf Fol­gen­des hin­ge­wie­sen:

I. Die Fest­stel­lungs­kla­ge ist – in der in der Be­ru­fungs­ver­hand­lung geänder­ten Fas­sung - zulässig, aber un­be­gründet.

 

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Ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Klägers ist die or­dent­li­che Pro­be­zeitkündi­gung vom 13.01.2011 nicht we­gen Treu- oder Sit­ten­wid­rig­keit nich­tig, §§ 138 Abs. 1, 242 BGB.

1. Während der ge­setz­li­chen War­te­zeit des § 1 Abs. 1 KSchG ist der Ar­beit­neh­mer le­dig­lich vor ei­ner sit­ten- oder treu­wid­ri­gen Ausübung des Kündi­gungs­rechts des Ar­beit­ge­bers geschützt. In der War­te­zeit er­folgt da­her grundsätz­lich nur ei­ne Miss­brauchs­kon­trol­le (LAG Schles­wig-Hol­stein, Urt. v. 22.01.2011 – 3 Sa 95/11 -, zit. n. Ju­ris). Bei der Prüfung der Treu­wid­rig­keit ei­ner Kündi­gung ist § 242 BGB im Lich­te des Art. 12 Abs. 1 GG aus­zu­le­gen und an­zu­wen­den.

a) Für die Be­stim­mung des In­halts und der Gren­zen ei­nes Kündi­gungs­schut­zes außer­halb des Kündi­gungs­schutz­ge­set­zes ist die Be­deu­tung grund­recht­li­cher Schutz­pflich­ten zu be­ach­ten. Nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts muss der Ar­beit­neh­mer auch außer­halb des Gel­tungs­be­reichs des Kündi­gungs­schutz­ge­set­zes über die zi­vil­recht­li­chen Ge­ne­ral­klau­seln vor ei­ner sit­ten- oder treu­wid­ri­gen Ausübung des Kündi­gungs­rechts des Ar­beit­ge­bers geschützt wer­den (§§ 242, 138 BGB). Im Rah­men die­ser Ge­ne­ral­klau­seln ist auch der ob­jek­ti­ve Ge­halt der Grund­rech­te, hier vor al­lem Art. 12 Abs. 1 GG, zu be­ach­ten. Maßgeb­lich sind die Umstände des Ein­zel­falls. Der durch die Ge­ne­ral­klau­seln (§§ 138, 242 BGB) ver­mit­tel­te Schutz darf al­ler­dings auch nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts nicht da­zu führen, dass außer­halb des Kündi­gungs­schutz­ge­set­zes dem Ar­beit­ge­ber prak­tisch die im Kündi­gungs­schutz­ge­setz vor­ge­ge­be­nen Maßstäbe der So­zi­al­wid­rig­keit auf­er­legt wer­den. In sach­li­cher Hin­sicht geht es dar­um, Ar­beit­neh­mer vor willkürli­chen oder auf sach­frem­den Mo­ti­ven be­ru­hen­den Kündi­gun­gen zu schützen, z. B. vor Dis­kri­mi­nie­run­gen i. S. v. Art. 3 Abs. 3 GG (BVerfG, Urt. v. 27.01.1998 - 1 BvL 15/87 -, AP Nr. 17 zu § 23 KSchG 1969). Das gilt auch für Kündi­gun­gen in­ner­halb der War­te­zeit des § 1 Abs. 1 KSchG (BVerfG, Urt. v. 21.06.2006 - 1 BvR 1659/04 -, NZA 2006, 913; BAG, Urt. v. 24.01.2008 – 6 AZR 96/07 -, NZA-RR, 397 ff.).

b) Un­ter Berück­sich­ti­gung die­ser ver­fas­sungs­recht­li­chen Vor­ga­ben verstößt ei­ne Kündi­gung ge­gen § 242 BGB, wenn sie Treu und Glau­ben aus Gründen ver­letzt, die von § 1 KSchG nicht er­fasst sind. Dies gilt je­den­falls für ei­ne Kündi­gung, auf die we-

 

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gen Nich­terfüllung der sechs­mo­na­ti­gen War­te­zeit nach § 1 Abs. 1 KSchG das Kündi­gungs­schutz­ge­setz kei­ne An­wen­dung fin­det. An­dern­falls würde in die­sen Fällen über § 242 BGB der kraft Ge­set­zes aus­ge­schlos­se­ne Kündi­gungs­schutz doch gewährt wer­den und da­mit die Möglich­keit des Ar­beit­ge­bers ein­ge­schränkt, die Eig­nung des Ar­beit­neh­mers für die ge­schul­de­te Tätig­keit in sei­nem Be­trieb während der ge­setz­li­chen War­te­zeit zu über­prüfen (st. Rspr. des Bun­des­ar­beits­ge­richt, vgl. nur: BAG, Urt. v. 24.01.2008 – 6 AZR 96/07 -, a. a. O. m. w. Rspr.-Nachw.). Ei­ne willkürli­che Kündi­gung liegt nicht vor, wenn ein ir­gend­wie ein­leuch­ten­der Grund für die Kündi­gung be­steht (BAG, Urt. v. 22.04.2010 – 6 AZR 828/08 -, ZTR 2010, 430; BAG, Urt. v. 28.08.2003 - 2 AZR 333/02 -, AP Nr. 17 zu § 242 BGB ‚Kündi­gung‘).

c) Die Dar­le­gungs- und Be­weis­last für das Vor­lie­gen der­je­ni­gen Tat­sa­chen, aus de­nen sich die Treu­wid­rig­keit er­gibt, liegt beim Ar­beit­neh­mer (vgl. BAG, Urt. v. 22.05.2003 - 2 AZR 426/02 -, AP Nr. 18 zu § 1 KSchG 1969 ‚War­te­zeit‘). Der ver­fas­sungs­recht­lich ge­bo­te­ne Schutz des Ar­beit­neh­mers wird durch ei­ne ab­ge­stuf­te Dar­le­gungs- und Be­weis­last gewähr­leis­tet. In ei­nem ers­ten Schritt muss der Ar­beit­neh­mer, so­weit er die Über­le­gun­gen des Ar­beit­ge­bers, die zu sei­ner Kündi­gung geführt ha­ben, nicht kennt, le­dig­lich ei­nen Sach­ver­halt vor­tra­gen, der die Treu­wid­rig­keit der Kündi­gung nach § 242 BGB in­di­ziert. Der Ar­beit­ge­ber muss sich so­dann nach § 138 Abs. 2 ZPO im Ein­zel­nen auf die­sen Vor­trag ein­las­sen, um ihn zu ent­kräften. Kommt der Ar­beit­ge­ber dem nicht nach, gilt der schlüssi­ge Sach­vor­trag des Ar­beit­neh­mers gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zu­ge­stan­den (BAG, Urt. v. 16.09.2004 - 2 AZR 447/03 -, AP Nr. 44 zu § 611 BGB ‚Kir­chen­dienst‘).

2. Ge­mes­sen an die­sen Vor­aus­set­zun­gen be­ruht die streit­ge­genständ­li­che Kündi­gung ge­ra­de nicht auf sach­frem­den Mo­ti­ven und ist des­halb auch nicht willkürlich i. S. v. § 242 BGB. Der Kläger hat nicht dar­zu­le­gen ver­mocht, dass die Be­klag­te sich bei Aus­spruch der Kündi­gung von sach­frem­den und miss­bräuch­li­chen Mo­ti­ven hat lei­ten las­sen.

Zu­tref­fend wei­sen so­wohl der Kläger als auch die Be­klag­te dar­auf hin, dass sich die Be­klag­te nur auf die Kündi­gungs­gründe bzw. die­je­ni­ge Mo­tiv­la­ge be­zie­hen kann, die

 

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sie in dem Anhörungs­ver­fah­ren ge­genüber dem Per­so­nal­rat of­fen­ge­legt hat, § 51 MBG.

a) Nach­dem die Be­klag­te dem Per­so­nal­rat zunächst die Ein­drücke des Schul­lei­ters zur mögli­cher­wei­se vor­lie­gen­den feh­len­den Dis­tanz des Klägers ge­genüber Schüle­rin­nen im Sport­un­ter­richt und die dar­auf­hin durch Fak­ten ge­won­ne­nen neu­en Er­kennt­nis­se auf­grund des In­halts der an­ge­for­der­ten Per­so­nal­ak­te schil­der­te, hat sie den dar­aus ent­wi­ckel­ten Kündi­gungs­grund im letz­ten Ab­satz des Anhörungs­bo­gens zu­sam­men­ge­fasst. Dort teilt die Be­klag­te dem Per­so­nal­rat mit, dass der Kläger in­ner­halb der Pro­be­zeit ent­las­sen wer­den soll­te, da es zu kei­nem Ver­trags­schluss ge­kom­men wäre, wenn sie ge­wusst hätte, dass der Kläger während sei­nes Re­fe­ren­da­ri­ats im Rah­men ei­nes Dis­zi­pli­nar­ver­fah­rens we­gen ex­hi­bi­tio­nis­ti­scher Hand­lun­gen in der Öffent­lich­keit aus dem Be­am­ten­verhält­nis ent­las­sen wur­de. Zu­dem kom­me hin­zu, dass der Kläger auch ge­genüber abhängi­gen Schüle­rin­nen in Schles­wig-Hol­stein durch Dis­tanz­lo­sig­keit auffällig ge­wor­den sei.

Der Kläger ver­moch­te nicht zu wi­der­le­gen, dass die­ses Mo­tivbündel ge­ra­de nicht aus­schlag­ge­bend für die Kündi­gung war, son­dern an­de­re, sach­wid­ri­ge Gründe.

b) Un­strei­tig hat der Kläger in der Ein­stel­lungs­erklärung vom 29.07.2010 ei­ne nach­weis­bar fal­sche Bestäti­gung ab­ge­ge­ben. Der Kläger wur­de durch - letzt­lich auf­grund der An­tragsände­rung in dem Haupt­sa­che­ver­fah­ren (VG B., 6 K 1647/06) be­stands­kräftig ge­wor­de­nen - Be­scheid des Lan­des B. vom 31.06.2006 aus dem Be­am­ten­verhält­nis auf Wi­der­ruf ent­las­sen. Hier­bei han­delt es sich auch um ei­ne dis­zi­pli­na­ri­sche Maßnah­me gemäß §§ 39 Abs. 1, 38 Abs. 4 B. Be­am­ten­ge­setz a. F.. Die fal­sche Be­ant­wor­tung ei­ner dem Ar­beit­neh­mer bei der Ein­stel­lung zulässi­ger­wei­se ge­stell­ten Fra­ge kann den Ar­beit­ge­ber un­ter Umständen be­rech­ti­gen, den Ar­beits­ver­trag we­gen arg­lis­ti­ger Täuschung § 123 Abs. 1 BGB an­zu­fech­ten (vgl. BAG, Urt. v. 07.07.2011 – 2 AZR 396/10 -, zit. n. Ju­ris).

aa) Es kann vor­lie­gend da­hin­ge­stellt blei­ben, ob die Be­klag­te bei der Ein­stel­lung des Klägers über­haupt in zulässi­ger Wei­se von ih­rem Fra­ge­recht Ge­brauch ge­macht hat,

 

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d. h. ob sie be­rech­tigt war, ei­ne un­ein­ge­schränk­te Fra­ge nach verhäng­ten dis­zi­pli­na­ri­schen Maßnah­men zu stel­len.

Da­bei wird nicht ver­kannt, dass der Ar­beit­ge­ber den Ar­beit­neh­mer bei der Ein­stel­lung nicht un­ein­ge­schränkt nach et­wai­gen Vor­stra­fen be­fra­gen darf. Ei­ne in zulässi­ger Wei­se ge­stell­te Fra­ge setzt ein be­rech­tig­tes, bil­li­gens­wer­tes und schutzwürdi­ges In­ter­es­se an der Be­ant­wor­tung vor­aus. Fehlt es hier­an, ist die wahr­heits­wid­ri­ge Be­ant­wor­tung nicht rechts­wid­rig. Nach Vor­stra­fen darf der Ar­beit­ge­ber den Ar­beit­neh­mer bei der Ein­stel­lung fra­gen, wenn und so­weit die Art des zu be­set­zen­den Ar­beits­plat­zes dies er­for­dert. Da­bei kommt es nicht auf die sub­jek­ti­ve Ein­stel­lung des Ar­beit­ge­bers an, wel­che Vor­stra­fen er als ein­schlägig an­sieht; ent­schei­dend ist viel­mehr ein ob­jek­ti­ver Maßstab. Das gilt grundsätz­lich auch an­ge­sichts der Gel­tung des Bun­des­zen­tral­re­gis­ter­ge­set­zes. Je nach den Umständen kann es außer­dem zulässig sein, so­gar nach anhängi­gen Er­mitt­lungs­ver­fah­ren zu fra­gen. Die in Art. 6 Abs. 2 EM­RK ver­an­ker­te Un­schulds­ver­mu­tung bin­det un­mit­tel­bar nur den­je­ni­gen Rich­ter, der über die Be­gründet­heit der An­kla­ge zu ent­schei­den hat. Da­ge­gen lässt sich aus der Un­schulds­ver­mu­tung nicht der Schluss zie­hen, dass dem Be­trof­fe­nen aus der Tat­sa­che, dass ein Er­mitt­lungs­ver­fah­ren ge­gen ihn anhängig ist, über­haupt kei­ne Nach­tei­le ent­ste­hen dürfen (BAG 20.05.1999 - 2 AZR 320/98 - AP Nr. 50 zu § 123 BGB; LAG Ba­den-Würt­tem­berg, Urt. v. 22.03.2011 – 15 Sa 64/10 -, zit. n. Ju­ris; LAG Hamm, Urt. v. 10.03.2011 – 11 Sa 2266/10 -, zit. n. Ju­ris).

bb) Ob die­ses ein­ge­schränk­te Fra­ge­recht des Ar­beit­ge­bers zu Vor­stra­fen, wel­ches auf dem all­ge­mei­nen Persönlich­keits­recht und der Be­rufs­ausübungs­frei­heit des Ar­beit­neh­mers so­wie dem Re­so­zia­li­sie­rungs­ge­dan­ken ba­siert, im öffent­li­chen Dienst auch un­ein­ge­schränkt für verhäng­te Dis­zi­pli­nar­maßnah­men gilt, kann eben­falls da­hin­ge­stellt blei­ben. Ein be­rech­tig­tes In­ter­es­se an der Mit­tei­lung von verhäng­ten Dis­zi­pli­nar­maßnah­men be­steht nach Auf­fas­sung der Kam­mer in al­ler Re­gel be­reits des­halb, weil die­se grundsätz­lich als Re­ak­ti­on auf pflicht­wid­ri­ges Ver­hal­ten im Amt verhängt wer­den.

Vor­lie­gend hat­te die Be­klag­te auch ein be­rech­tig­tes In­ter­es­se, von der Ent­las­sung aus dem Be­am­ten­verhält­nis auf Wi­der­ruf zu er­fah­ren. So­weit dies der vor­lie­gen­den

 

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Ak­te zu ent­neh­men ist, wur­de der Ent­las­sungs­be­scheid vom 31.03.2006 mit dem ge­zeig­ten ex­hi­bi­tio­nis­ti­schen Ver­hal­ten des Klägers am W. be­gründet. Die Ver­ant­wor­tung ge­genüber Schüle­rin­nen und Schülern und ih­ren El­tern schließe es aus, ein ge­wis­ses Rest­ri­si­ko se­xu­ell überg­rei­fen­den Ver­hal­tens des Klägers in Kauf zu neh­men. Die Ga­ran­ten­stel­lung ge­genüber den Schutz­be­foh­le­nen würde ei­ne ständi­ge Be­auf­sich­ti­gung des im Vor­be­rei­tungs­dienst zu leis­ten­den ei­gen­ver­ant­wort­li­chen Un­ter­richts des Klägers er­for­dern, die nicht zu­mut­bar sei.

Der da­ma­li­ge Grund der Ent­las­sung aus dem Be­am­ten­verhält­nis tan­giert auch maßgeb­lich die hier ver­trag­lich ge­schul­de­te Tätig­keit des Klägers beim be­klag­ten Land. Der Kläger ist bei der Be­klag­ten mit den Kernfächern Sport und Re­li­gi­on ein­ge­stellt wor­den. Ge­ra­de von ei­nem Sport­leh­rer, der den Schülern und Schüle­rin­nen bei den Sportübun­gen Hil­fe­stel­lun­gen leis­ten und sie des­halb auch an­fas­sen muss, muss er­war­tet wer­den, dass die­ser in je­der Hin­sicht den er­for­der­li­chen An­stand und Ab­stand wahrt und jeg­li­ches se­xu­ell zu deu­ten­de Ver­hal­ten sei­ner­seits un­terlässt. Der Kläger hätte mit­hin die dis­zi­pli­na­risch ver­an­lass­te Ent­las­sung aus dem Be­am­ten­verhält­nis auf Wi­der­ruf aus Sicht der Kam­mer nicht ver­schwei­gen dürfen.

c) Letzt­lich be­darf es aber auch kei­ner Be­ant­wor­tung, ob es ge­gen das ethi­sche An­stands­gefühl al­ler bil­lig und ge­recht Den­ken­den ver­stieße (§ 242 BGB), wenn ein öffent­li­cher Ar­beit­ge­ber ei­ne Pro­be­zeitkündi­gung al­lein da­mit be­gründet, der Ar­beit­neh­mer sei vor mehr als fünf Jah­ren während sei­nes Re­fe­ren­da­ri­ats we­gen ei­ner ex­hi­bi­tio­nis­ti­schen Hand­lung außer­halb des Vor­be­rei­tungs­diens­tes aus dem da­ma­li­gen Be­am­ten­verhält­nis auf Wi­der­ruf ent­las­sen wor­den.

aa) Die Be­klag­te stützt die Pro­be­zeitkündi­gung vor­lie­gend ge­ra­de nicht al­lein auf die­se Umstände und die fal­sche Ein­stel­lungs­erklärung des Klägers. Un­strei­tig hat­te der Schul­lei­ter die Be­klag­te darüber in­for­miert, dass der Kläger durch un­an­ge­mes­se­nes und dis­tanz­lo­ses Ver­hal­ten ge­genüber Schüle­rin­nen auf­ge­fal­len sei. Eben­so un­strei­tig hat der Schul­lei­ter den Kläger im Rah­men ei­ner Un­ter­richts­nach­be­spre­chung da­mit kon­fron­tiert, dass Schüle­rin­nen sich be­schwert hätten, er, der Kläger, „gu­cke ko­misch“ und die Fra­ge auf­ge­wor­fen, ob er, der Kläger, ein Dis­tanz-Nähe-Pro­blem ha­be. Die Be­klag­te hat dem Per­so­nal­rat im Rah­men des Anhörungs­ver­fah-

 

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rens nach §§ 51, 52 MBG-SH mit­ge­teilt, dass der Schul­lei­ter auf­grund „ei­ge­ner Be­ob­ach­tun­gen“ und „Ein­drücke“ von El­tern und Schüle­rin­nen, zu der Er­kennt­nis ge­langt sei, dass der Kläger nicht das von ihm als Lehr­kraft zu er­war­te­te Ver­hal­ten zei­ge und im Sport­un­ter­richt nicht die ge­bo­te­ne Dis­tanz zu Schüle­rin­nen wah­re. Die­se Einschätzung des Schul­lei­ters hat sich die Be­klag­te, wie sich aus dem letz­ten Ab­satz der Per­so­nal­rats­anhörung er­gibt, auch zu Ei­gen ge­macht. Die vom Schul­lei­ter er­ho­be­nen Be­den­ken ge­gen die persönli­che Eig­nung des Klägers hat die Be­klag­te erst zum An­lass ge­nom­men, die Per­so­nal­ak­te des Klägers an­zu­for­dern. In­so­weit un­ter­schei­det sich der vor­lie­gen­de Fall von dem Sach­ver­halt, der der Ent­schei­dung des Lan­des­ar­beits­ge­richts Hamm vom 10.03.2011 – 11 Sa 2266/10 – (zit. n. Ju­ris) zu­grun­de lag.

bb) Der Vor­wurf dis­tanz­lo­sen Ver­hal­tens ge­genüber Schüle­rin­nen ist auch nicht des­halb treu­wid­rig, weil die Be­klag­te nicht ge­prüft hat, ob die ihr in­so­weit mit­ge­teil­te Einschätzung des Schul­ei­ters auf ei­ner ob­jek­tiv be­leg­ba­ren Tat­sa­chen­grund­la­ge fußt. Zum ei­nen hat die Be­klag­te die vom Schul­lei­ter ge­trof­fe­ne ne­ga­ti­ve Eig­nungs­einschätzung zum An­lass ge­nom­men, die Per­so­nal­ak­te des Klägers an­zu­for­dern, um ggf. neue Er­kennt­nis­se in die­ser Hin­sicht zu ge­win­nen. Zum an­de­ren ver­kennt der Kläger, dass der Ar­beit­ge­ber grundsätz­lich in­ner­halb der ers­ten sechs Mo­na­te das Ar­beits­verhält­nis frei, d. h. oh­ne so­zia­le Recht­fer­ti­gung, kündi­gen kann. Die Prüfung der Sit­ten­wid­rig­keit ei­ner Kündi­gung darf nicht da­zu führen, dass das ge­setz­lich nor­mier­te freie Kündi­gungs­recht des Ar­beit­ge­bers in­ner­halb der ers­ten sechs Mo­na­te ad ab­sur­dum geführt würde. Nach der ge­setz­li­chen In­ten­ti­on des § 1 Abs. 1 KSchG hat der Ar­beit­ge­ber während der ge­setz­li­chen War­te­zeit die grundsätz­lich un­ein­ge­schränk­te Möglich­keit, die Eig­nung des Ar­beit­neh­mers für die ge­schul­de­te Tätig­keit zu über­prüfen. Die­ses freie Kündi­gungs­recht ist nur durch Rechts­miss­brauch i. S. v. § 242 BGB be­grenzt. Von Rechts­miss­brauch oder Sit­ten­wid­rig­keit kann in­des­sen dann nicht aus­ge­gan­gen wer­den, wenn ein ir­gend­wie ein­leuch­ten­der Grund für die Kündi­gung be­steht (BAG, Urt. v. 22.04.2010 – 6 AZR 828/08 -, ZTR 2010, 430; BAG, Urt. v. 28.08.2003 - 2 AZR 333/02 -, AP Nr. 17 zu § 242 BGB ‚Kündi­gung‘). Es ist in­des­sen ein­leuch­tend und nach­voll­zieh­bar, dass ein Ar­beit­ge­ber das Ar­beits­verhält­nis in­ner­halb der sechs­mo­na­ti­gen War­te­zeit kündigt, wenn der un­mit­tel­ba­re Vor­ge­setz­te, der die Eig­nung und das Leis­tungs­vermögen des Ar­beit­neh­mers in der Re­gel

 

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un­mit­tel­bar be­ur­tei­len kann, den Ar­beit­neh­mer für un­ge­eig­net hält. Der Ar­beit­ge­ber darf sich mit­hin während der ers­ten sechs Mo­na­te auf die sub­jek­ti­ve Eig­nungs­einschätzung und Leis­tungs­be­ur­tei­lung der un­mit­tel­ba­ren Vor­ge­setz­ten des Ar­beit­neh­mers ver­las­sen, oh­ne dass er selbst die­se vom Vor­ge­setz­ten über­nom­me­ne Einschätzung auf be­leg­ba­re Tat­sa­chen stützen kann (vgl. BAG, Urt. v. 22.04.2010 – 6 AZR 828/10 -, ZTR 2010, 384; vgl. LAG Schles­wig-Hol­stein, Urt. v. 30.10.2002 - 5 Sa 345/02 -, NZA-RR 2003, 310). Dem­ent­spre­chend kommt es nicht dar­auf an, ob die Einschätzung des Schul­lei­ters ob­jek­tiv zu­tref­fend und durch ve­ri­fi­zier­ba­re Tat­sa­chen fun­diert ist (Hes­si­sches LAG, Urt. v. 21.03.2003 – 12 Sa 561/01 -, NZA-RR 2004, 356).

Ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Klägers kam es dem­ent­spre­chend nicht strei­tent­schei­dend dar­auf an, wel­che Schüle­rin­nen und/oder El­tern sich beim Schul­lei­ter über den Kläger be­schwert ha­ben, der Kläger „gu­cke ko­misch“. Viel­mehr durf­te sich die Be­klag­te auf die ihr mit­ge­teil­te sub­jek­ti­ve Einschätzung des Schul­lei­ters, ins­be­son­de­re vor dem Hin­ter­grund der aus der bei­ge­zo­ge­nen Per­so­nal­ak­te ge­won­ne­nen zusätz­li­chen Er­kennt­nis­se, dar­auf ver­las­sen, der Kläger sei für die Stel­le ei­nes Sport­leh­rers nicht ge­eig­net. Es ist je­den­falls nicht wi­der­legt, dass die­se vom Schul­lei­ter über­nom­me­ne sub­jek­ti­ve Einschätzung der Be­klag­ten, der Kläger sei we­gen nicht ge­wahr­ter Dis­tanz zu Schüle­rin­nen als Sport­leh­rer nicht ge­eig­net, für die Be­klag­te das letzt­lich tra­gen­de Kündi­gungs­mo­tiv war.

3. Die streit­ge­genständ­li­che Kündi­gung ist auch nicht we­gen man­gel­haf­ter Anhörung des Per­so­nal­rats gemäß §§ 52 Abs. 1, 51 Abs. 1 MBG-SH un­wirk­sam. In­so­weit kann zur Ver­mei­dung unnöti­ger Wie­der­ho­lun­gen auf die zu­tref­fen­den Ent­schei­dungs­gründe des an­ge­foch­te­nen Ur­teils (Sei­te 8) ver­wie­sen wer­den. Der Kläger hat sei­ne dies­bezügli­chen erst­in­stanz­lich er­ho­be­nen Einwände in der Be­ru­fungs­in­stanz auch nicht wei­ter auf­recht­er­hal­ten.

II. Nach al­le­dem war die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

Die Kos­ten­ent­schei­dung folgt aus § 97 ZPO i. V. m. § 64 Abs. 6 ArbGG.

 

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Weil die Ent­schei­dung kei­ne rechts­grundsätz­li­che Be­deu­tung auf­weist und kein Fall der Di­ver­genz vor­liegt, war die Re­vi­si­on auch nicht gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG zu­zu­las­sen.

 

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