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BAG, Be­schluss vom 06.01.2015, 6 AZB 105/14

   
Schlagworte: Revision, Nichtzulassungsbeschwerde
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 6 AZB 105/14
Typ: Beschluss
Entscheidungsdatum: 06.01.2015
   
Leitsätze: Lässt das Landesarbeitsgericht in dem Beschluss, der die Berufung als unzulässig verwirft, die Revisionsbeschwerde nicht zu, ist hiergegen nach § 77 Satz 1 ArbGG die Nichtzulassungsbeschwerde nicht statthaft.
Vorinstanzen: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 15.09.2014, 4 Sa 23/14
   

BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT

6 AZB 105/14
4 Sa 23/14
Lan­des­ar­beits­ge­richt
Ba­den-Würt­tem­berg

BESCHLUSS

In Sa­chen

Be­klag­ter, Be­ru­fungskläger und Be­schwer­deführer,

pp.

Kläger, Be­ru­fungs­be­klag­ter und Be­schwer­de­geg­ner,

hat der Sechs­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts am 6. Ja­nu­ar 2015 be­schlos­sen:

1. Die Be­schwer­de des Be­klag­ten ge­gen die Nicht­zu­las­sung der Re­vi­si­ons­be­schwer­de in dem Be­schluss des Lan­des­ar­beits­ge­richts Ba­den-Würt­tem­berg vom 15. Sep­tem­ber 2014 - 4 Sa 23/14 - wird als un­zulässig ver­wor­fen.

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2. Der Be­klag­te hat die Kos­ten des Be­schwer­de­ver­fah­rens zu tra­gen.

3. Der Wert des Be­schwer­de­ver­fah­rens wird auf 9.900,00 Eu­ro fest­ge­setzt.

Gründe

A. Die Par­tei­en strei­ten über die Wirk­sam­keit ei­ner or­dent­li­chen be­triebs­be­ding­ten Kündi­gung des be­klag­ten In­sol­venz­ver­wal­ters so­wie über ei­nen An­spruch des Klägers auf Wei­ter­beschäfti­gung. Das Ar­beits­ge­richt hat der Kündi­gungs­schutz­kla­ge statt­ge­ge­ben und den Be­klag­ten zur Wei­ter­beschäfti­gung des Klägers ver­ur­teilt. Die da­ge­gen ge­rich­te­te Be­ru­fung des Be­klag­ten hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt we­gen un­zu­rei­chen­der Be­gründung oh­ne münd­li­che Ver­hand­lung durch Be­schluss des Vor­sit­zen­den als un­zulässig ver­wor­fen. Es hat die Rechts­be­schwer­de nicht zu­ge­las­sen. Da­ge­gen rich­tet sich die vor­lie­gen­de Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de. 

B. Die Be­schwer­de ist un­zulässig. Ei­ne Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de ge­gen den Be­schluss, durch den das Lan­des­ar­beits­ge­richt ei­ne Be­ru­fung als un­zulässig ver­wirft, ist gemäß § 77 Satz 1 ArbGG nicht statt­haft. Zu­dem ent­spricht die Be­schwer­de nicht den An­for­de­run­gen des § 72a Abs. 3 ArbGG. 

I. Der Rechts­be­helf der Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de ist nicht ge­ge­ben. 

1. Gemäß § 77 Satz 1 ArbGG fin­det die Rechts­be­schwer­de als Re­vi­si­ons­be­schwer­de ge­gen den Be­schluss des Lan­des­ar­beits­ge­richts, der die Be­ru­fung als un­zulässig ver­wirft, nur statt, wenn das Lan­des­ar­beits­ge­richt sie in dem Be­schluss zu­ge­las­sen hat. Für die Zu­las­sung der Rechts­be­schwer­de gilt § 72 Abs. 2 ArbGG nach § 77 Satz 2 ArbGG ent­spre­chend. Nach ständi­ger Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts ist auf­grund die­ses ein­deu­ti­gen Wort­lauts der ge­setz­li­chen Vor­ga­be die Re­vi­si­ons­be­schwer­de nicht eröff­net, wenn das Lan­des­ar­beits­ge­richt - wie im vor­lie­gen­den Fall - sie nicht zu­ge­las­sen hat. § 77 Satz 2 ArbGG ver­weist nur auf § 72 Abs. 2 ArbGG und nicht auf die in § 72a

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ArbGG aus­drück­lich ge­re­gel­te Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de. § 72a ArbGG ist auch nicht ent­spre­chend an­wend­bar. Die in § 77 Satz 4 ArbGG in Be­zug ge­nom­me­nen Vor­schrif­ten der Zi­vil­pro­zess­ord­nung über die Rechts­be­schwer­de (§§ 574 f. ZPO) se­hen ge­gen die Nicht­zu­las­sung der Be­schwer­de ei­ne Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de eben­falls nicht vor (BAG 23. Ju­ni 2014 - 6 AZB 25/14 - Rn. 1; 5. Sep­tem­ber 2007 - 3 AZB 41/06 - Rn. 7; vgl. be­reits BVerfG 10. Au­gust 1978 - 2 BvR 415/78 -; BAG 13. Ja­nu­ar 1975 - 5 AZB 2/75 -; 8. März 1978 - 2 AZB 32/77 -; 25. Ok­to­ber 1979 - 5 AZB 43/79 -; 8. No­vem­ber 1979 - 3 AZB 40/79 -; 23. Mai 2000 - 9 AZB 21/00 -; zu § 78 ArbGG 19. De­zem­ber 2002 - 5 AZB 54/02 - zu II der Gründe, BA­GE 104, 239). Die Spe­zi­al­re­ge­lung des § 77 ArbGG geht § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO vor. Im ar­beits­ge­richt­li­chen Ver­fah­ren ist die Nicht­zu­las­sung der Re­vi­si­ons­be­schwer­de da­her un­an­fecht­bar. 

2. Die­ses Verständ­nis des § 77 ArbGG wird von der weit über­wie­gen­den Mehr­heit der Li­te­ra­tur ge­teilt (vgl. GMP/Müller-Glöge 8. Aufl. § 77 Rn. 9; GK-ArbGG/Mi­kosch Stand No­vem­ber 2014 § 77 Rn. 2, 7, 17; ErfK/Koch 15. Aufl. § 77 ArbGG Rn. 2; AR/Spel­ge 7. Aufl. § 77 ArbGG Rn. 4; HWK/Be­p­ler 6. Aufl. § 77 ArbGG Rn. 5; Düwell/Lip­ke/Düwell ArbGG 3. Aufl. § 77 Rn. 2; Be­ckOK ArbR/Klo­se Stand 1. De­zem­ber 2014 ArbGG § 77 Rn. 1; Schwab/Weth/Schwab ArbGG 4. Aufl. § 77 Rn. 13; Gross in Nat­ter/Gross ArbGG 2. Aufl. § 77 Rn. 1; GWBG/Ben­ecke ArbGG 8. Aufl. § 77 Rn. 2). Die da­ge­gen von Ul­ri­ci geäußer­ten Be­den­ken (NZA 2014, 1245) ge­ben kei­nen An­lass zu ei­ner Ände­rung der Recht­spre­chung. 

a) Der Ge­setz­ge­ber hat die Ent­schei­dung über die Eröff­nung des Re­vi­si­ons­be­schwer­de­ver­fah­rens be­wusst al­lein dem Lan­des­ar­beits­ge­richt über­las­sen. Er hat in Kennt­nis der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts bei der Re­form des Zi­vil­pro­zes­ses mit Ge­setz vom 27. Ju­li 2001 (BGBl. I S. 1887) kei­ne Ände­rung des § 77 ArbGG vor­ge­nom­men, ob­wohl er sich da­bei mit dem Rechts­be­schwer­de­ver­fah­ren be­fasst hat (BT-Drs. 14/4722 S. 69). Der Ge­setz­ge­ber hat auch anläss­lich der Ände­run­gen des Ar­beits­ge­richts­ge­set­zes durch das Anhörungsrügen­ge­setz vom 9. De­zem­ber 2004 (BGBl. I S. 3220) und das Ge­setz zur Ände­rung des So­zi­al­ge­richts­ge­set­zes und des Ar­beits­ge­richts­ge-

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set­zes vom 26. März 2008 (BGBl. I S. 444) kei­ne Ver­wei­sung in § 77 Satz 2 ArbGG auf § 72a ArbGG vor­ge­nom­men. Es ist da­her da­von aus­zu­ge­hen, dass der Aus­schluss des Zu­gangs zum Rechts­be­schwer­de­ge­richt bei Nicht­zu­las­sung der Re­vi­si­ons­be­schwer­de be­wusst und ge­wollt er­folgt ist. Durch das Ände­rungs­ge­setz vom 26. März 2008 wur­de § 66 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 ArbGG da­hin ge­hend ab­geändert, dass die Ver­wer­fung der Be­ru­fung nicht mehr durch Be­schluss der Kam­mer, son­dern durch den Vor­sit­zen­den er­folgt. Da § 77 Satz 1 ArbGG an eben die­se Ent­schei­dung an­knüpft, ist er­sicht­lich, dass der Ge­setz­ge­ber sich mit dem Ver­fah­ren bei Un­zulässig­keit der Be­ru­fung im Rah­men der Übe­r­ar­bei­tung des Ar­beits­ge­richts­ge­set­zes aus­ein­an­der­ge­setzt hat. Zur Be­gründung der Al­lei­n­ent­schei­dungs­be­fug­nis des Vor­sit­zen­den wur­de da­bei an­geführt, dass bei der Ver­wer­fung ei­ner un­zulässi­gen Be­ru­fung nicht ma­te­ri­el­le Rechts­fra­gen, son­dern for­ma­le Kri­te­ri­en im Vor­der­grund der Prüfung stünden (BT-Drs. 16/7716 S. 25). Durch die Nicht­be­tei­li­gung der eh­ren­amt­li­chen Rich­ter wer­de ei­ne Ver­ein­fa­chung und Be­schleu­ni­gung des Ver­fah­rens er­reicht (BT-Drs. 16/7716 S. 14; vgl. hier­zu BAG 5. Ok­to­ber 2010 - 5 AZB 10/10 - Rn. 6, BA­GE 135, 372). Die feh­len­de Ver­wei­sung auf § 72a ArbGG in § 77 ArbGG ent­spricht die­sen Ziel­set­zun­gen. Der von Ul­ri­ci er­ho­be­ne Ein­wand, dass der durch das Anhörungsrügen­ge­setz zum 1. Ja­nu­ar 2005 ein­geführ­te Zu­las­sungs­grund der Ver­let­zung recht­li­chen Gehörs nach § 72 Abs. 2 Nr. 3 ArbGG da­mit leer­lie­fe (NZA 2014, 1245, 1248), trägt nicht. Ver­let­zun­gen des recht­li­chen Gehörs können nach § 78a ArbGG kor­ri­giert wer­den. 

b) Der Aus­schluss des Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de­ver­fah­rens in § 77 ArbGG verstößt nicht ge­gen ver­fas­sungs­recht­li­che Vor­ga­ben. 

aa) Das Grund­ge­setz si­chert im Be­reich des Art. 19 Abs. 4 GG wie auch in dem des all­ge­mei­nen Jus­tiz­gewährungs­an­spruchs (Art. 20 Abs. 3 iVm. Art. 2 Abs. 1 GG) die Eröff­nung des Rechts­wegs. Die Ga­ran­tie ei­ner ge­richt­li­chen Rechts­schutzmöglich­keit ge­gen be­haup­te­te Rechts­ver­let­zun­gen gewähr­leis­tet je­doch kei­nen Rechts­weg über meh­re­re In­stan­zen hin­weg. Das Rechts­staats­prin­zip for­dert, dass je­der Rechts­streit um der Rechts­si­cher­heit und des Rechts­frie­dens wil­len ir­gend­wann ein En­de fin­det. Wann dies der Fall ist, ent-

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schei­det das Ge­setz. In­so­fern reicht es grundsätz­lich aus, dass die Rechts­ord­nung ei­ne ein­ma­li­ge Möglich­keit zur Ein­ho­lung ei­ner ge­richt­li­chen Ent­schei­dung eröff­net. Es ist Auf­ga­be des Ge­setz­ge­bers, un­ter Abwägung und Aus­gleich der ver­schie­de­nen be­trof­fe­nen In­ter­es­sen zu ent­schei­den, ob es bei ei­ner In­stanz blei­ben soll oder meh­re­re In­stan­zen be­reit­ge­stellt wer­den und un­ter wel­chen Vor­aus­set­zun­gen sie an­ge­ru­fen wer­den können (st. Rspr., vgl. BVerfG 24. Ju­ni 2014 - 1 BvR 2926/13 - Rn. 32; 30. April 2003 - 1 PB­vU 1/02 - BVerfGE 107, 395). Hat der Ge­setz­ge­ber sich je­doch für die Eröff­nung ei­ner wei­te­ren In­stanz ent­schie­den und sieht die be­tref­fen­de Pro­zess­or­dung dem­ent­spre­chend ein Rechts­mit­tel vor, so darf der Zu­gang da­zu nicht in un­zu­mut­ba­rer, aus Sach­gründen nicht mehr zu recht­fer­ti­gen­der Wei­se er­schwert wer­den. Das Rechts­mit­tel­ge­richt darf ein von der je­wei­li­gen Pro­zess­ord­nung eröff­ne­tes Rechts­mit­tel da­her nicht in­ef­fek­tiv ma­chen und für den Be­schwer­deführer leer­lau­fen las­sen (vgl. BVerfG 3. März 2014 - 1 BvR 2534/10 - Rn. 19). Ge­ge­be­nen­falls ist im We­ge der Ver­fas­sungs­be­schwer­de zu über­prüfen, ob das Fach­ge­richt ein grundsätz­lich eröff­ne­tes Rechts­mit­tel un­ter Ver­let­zung des Jus­tiz­gewährungs­an­spruchs in­ef­fek­tiv ge­macht hat (vgl. zur Zurück­wei­sung der Be­ru­fung nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO BVerfG 17. Sep­tem­ber 2014 - 2 BvR 64/12 - Rn. 26; 4. No­vem­ber 2008 - 1 BvR 2587/06 - Rn. 17). Wird in ei­nem Ur­teil von der ge­setz­lich vor­ge­se­he­nen Möglich­keit der Zu­las­sung der Re­vi­si­on kein Ge­brauch ge­macht, so verstößt dies auch ge­gen die Gewähr­leis­tung des ge­setz­li­chen Rich­ters in Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, wenn sich die Ent­schei­dung in­so­weit als ob­jek­tiv willkürlich er­weist und den Zu­gang zur nächs­ten In­stanz un­zu­mut­bar er­schwert (BVerfG 23. April 2014 - 1 BvR 2851/13 - Rn. 22). In Be­tracht kommt auch ein Ver­s­toß ge­gen Art. 3 Abs. 1 GG in sei­ner Aus­prägung als Willkürver­bot (vgl. BVerfG 28. Ju­li 2014 - 1 BvR 1925/13 - Rn. 12 f.). Das Grund­ge­setz gibt dem Be­ru­fungskläger, des­sen Be­ru­fung als un­zulässig ver­wor­fen wur­de, da­her kei­nen An­spruch auf die Möglich­keit des Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de­ver­fah­rens. Et­wai­ge Ver­fas­sungs­verstöße des Be­ru­fungs­ge­richts sind im Rah­men ei­ner Ver­fas­sungs­be­schwer­de gel­tend zu ma­chen. 

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bb) Die Aus­ge­stal­tung des ar­beits­ge­richt­li­chen Ver­fah­rens in § 77 iVm. § 66 Abs. 2 ArbGG verstößt nicht ge­gen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. 

(1) Die­ses pro­zes­sua­le Grund­recht schützt den An­spruch des Bürgers auf ei­ne Ent­schei­dung sei­ner Rechts­sa­che durch den hierfür von Ge­set­zes we­gen vor­ge­se­he­nen Rich­ter, in­dem es ei­ne sach­frem­de Ein­fluss­nah­me auf die recht­spre­chen­den Or­ga­ne ver­bie­tet. Adres­sa­ten des Ver­bots sind ne­ben der Exe­ku­ti­ve auch die Ju­di­ka­ti­ve und die Le­gis­la­ti­ve. Für den Ge­setz­ge­ber folgt aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG die Pflicht, Nor­men, die ge­richt­li­che Zuständig­kei­ten be­stim­men, so zu fas­sen, dass aus ih­nen der im Ein­zel­fall zuständi­ge Rich­ter möglichst ein­deu­tig er­kenn­bar wird. Da­bei darf ein Ge­setz, mit dem das zuständi­ge Ge­richt be­zeich­net wird, durch­aus aus­le­gungs­bedürf­ti­ge Rechts­be­grif­fe ver­wen­den, so­fern es un­zulässi­gen Ein­flüssen ge­ne­rell vor­beu­gen kann (BVerfG 14. Ju­ni 2007 - 2 BvR 1447/05, 2 BvR 136/05 - Rn. 106, BVerfGE 118, 212; 8. April 1997 - 1 PB­vU 1/95 - zu C I 4 der Gründe, BVerfGE 95, 322). Der Ge­setz­ge­ber kann dem Rich­ter da­her im ge­setz­lich vor­ge­ge­be­nen Rah­men ei­nen Er­mes­sen­spiel­raum einräum­en (vgl. Pie­roth in Ja­rass/Pie­roth GG 13. Aufl. Art. 101 Rn. 9 mwN; kri­tisch zum Er­mes­sen der Über­tra­gung auf ei­nen Ein­zel­rich­ter Clas­sen in v. Man­goldt/Klein/St­arck GG III 6. Aufl. Art. 101 Abs. 1 Rn. 43; Leu­ze in Fri­auf/Höfling Ber­li­ner Kom­men­tar zum GG Stand No­vem­ber 2009 C Art. 101 Rn. 13). Hin­sicht­lich der Aus­ge­stal­tung des Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de­ver­fah­rens in § 160a Abs. 4 iVm. § 169 SGG hat das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt ent­schie­den, dass es mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundsätz­lich ver­ein­bar sei, dass die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter an Ent­schei­dun­gen über Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­den nur dann mit­wir­ken, wenn über de­ren Be­gründet­heit zu be­fin­den ist. Dies set­ze al­ler­dings vor­aus, dass die Ab­gren­zung zwi­schen Zulässig­keits­vor­aus­set­zun­gen und Be­gründet­heits­fra­gen nach ein­deu­ti­gen und sach­ge­rech­ten Kri­te­ri­en er­fol­ge (BVerfG 14. Ju­ni 1994 - 1 BvR 1022/88 - zu C III der Gründe, BVerfGE 91, 93; zu­stim­mend Müller-Ter­pitz in Schmidt-Bleib­treu/Hof­mann/Hen­ne­ke GG 13. Aufl. Art. 101 Rn. 17). 

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(2) Un­ter Zu­grun­de­le­gung die­ser Maßstäbe ist § 77 iVm. § 66 Abs. 2 ArbGG mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ver­ein­bar. Dies gilt auch an­ge­sichts der Ent­schei­dungs­spielräume des Vor­sit­zen­den Rich­ters am Lan­des­ar­beits­ge­richt bzgl. der Ver­fah­rens­wei­se bei ei­ner als un­zulässig an­ge­se­he­nen Be­ru­fung. 

(a) § 77 Satz 1 ArbGG fin­det nur An­wen­dung, wenn das Lan­des­ar­beits­ge­richt die Be­ru­fung mit Be­schluss als un­zulässig ver­wor­fen hat. Bei ei­ner Ent­schei­dung durch Ur­teil gilt da­ge­gen § 72a ArbGG (vgl. BAG 31. Ju­li 2007 - 3 AZN 326/07 - Rn. 8). Nach § 66 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 ArbGG kann der Vor­sit­zen­de oh­ne münd­li­che Ver­hand­lung durch Be­schluss die Be­ru­fung ver­wer­fen und da­bei über die Zu­las­sung der Rechts­be­schwer­de ent­schei­den. Er kann aber auch ei­ne münd­li­che Ver­hand­lung an­be­rau­men. Nach de­ren Durchführung ent­schei­det die Kam­mer un­ter Hin­zu­zie­hung der eh­ren­amt­li­chen Rich­ter durch Ur­teil und eröff­net der un­ter­le­ge­nen Par­tei da­mit die Möglich­keit der Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de nach § 72a ArbGG. Die­ses Al­lei­n­ent­schei­dungs­recht hat so­mit weit­rei­chen­de pro­zes­sua­le Kon­se­quen­zen. 

(b) Der Staats­ge­richts­hof für das Land Ba­den-Würt­tem­berg hat in sei­ner Ent­schei­dung vom 3. No­vem­ber 2014 - 1 VB 8/14 - an­ge­nom­men, dass für ei­ne Ver­wer­fung der Be­ru­fung durch Al­lei­n­ent­schei­dung kein Raum sei, wenn ma­te­ri­el­le Rechts­fra­gen bei der Prüfung der Zulässig­keit im Vor­der­grund ste­hen und nicht nur for­ma­le Kri­te­ri­en (vgl. zu B II 1 a der Gründe). Dem ist zu­zu­stim­men, denn dies ent­spricht der In­ten­ti­on des Ge­setz­ge­bers (BT-Drs. 16/7716 S. 25). Die Prüfung der Zulässig­keit der Be­ru­fung be­schränkt sich nämlich nur auf die for­ma­len Kri­te­ri­en der Statt­haf­tig­keit (§ 511 ZPO), der Form (§ 519 ZPO), der Frist (§ 66 Abs. 1 ArbGG) so­wie der ord­nungs­gemäßen Be­gründung nach § 520 Abs. 3 ZPO. Die­se Prüfungs­pflicht er­gibt sich aus § 66 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 ArbGG iVm. § 522 Abs. 1 ZPO. Dem­ent­spre­chend ist der An­wen­dungs­be­reich der Al­lei­n­ent­schei­dung nach § 66 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 ArbGG hin­rei­chend be­stimmt, denn der Vor­sit­zen­de darf al­lein nur die Ver­wer­fung der Be­ru­fung als un­zulässig vor­neh­men. Der ge­setz­li­che Rich­ter ist da­mit hin­rei­chend be­stimmt, auch wenn der Vor­sit­zen­de in Zwei­fels­fra­gen zu der Auf­fas­sung ge­lan­gen kann, dass ei­ne münd­li­che Ver­hand­lung un­ter Hin­zu­zie­hung der

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eh­ren­amt­li­chen Rich­ter an­ge­bracht ist. In­so­weit gilt nichts an­de­res wie bei der An­wen­dung ei­nes un­be­stimm­ten Rechts­be­griffs. 

cc) Der von Ul­ri­ci an­ge­nom­me­ne Ver­s­toß ge­gen Art. 3 Abs. 1 GG (NZA 2014, 1245, 1249) be­steht nicht. 

(1) Der all­ge­mei­ne Gleich­heits­satz ge­bie­tet dem Norm­ge­ber, we­sent­lich Glei­ches gleich und we­sent­lich Un­glei­ches un­gleich zu be­han­deln. Dif­fe­ren­zie­run­gen bedürfen der Recht­fer­ti­gung durch Sach­gründe, die dem Dif­fe­ren­zie­rungs­ziel und dem Aus­maß der Un­gleich­be­hand­lung an­ge­mes­sen sind (st. Rspr., vgl. BVerfG 6. Mai 2014 - 1 BvL 9/12, 1 BvR 1145/13 - Rn. 70). 

(2) § 77 Satz 1 iVm. § 66 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 ArbGG eröff­net dem Lan­des­ar­beits­ge­richt zwar - wie dar­ge­stellt - ei­ne un­glei­che pro­zes­sua­le Be­hand­lung un­zulässi­ger Be­ru­fun­gen mit Aus­wir­kun­gen auf die Eröff­nung ei­nes Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de­ver­fah­rens nach § 72a ArbGG. Die­se Un­gleich­be­hand­lung ist al­ler­dings durch die in der Ge­set­zes­be­gründung zum Aus­druck kom­men­den Zie­le der Ver­fah­rens­ver­ein­fa­chung und -be­schleu­ni­gung ge­recht­fer­tigt (vgl. BT-Drs. 16/7716 S. 14). Die­se Zie­le sind ge­ra­de im ar­beits­ge­richt­li­chen Ver­fah­ren von er­heb­li­cher Be­deu­tung (vgl. § 61a ArbGG; §§ 56, 67 ArbGG). Un­zulässi­ge Be­ru­fun­gen sol­len möglichst zeit­nah ver­wor­fen wer­den, um Rechts­si­cher­heit zu schaf­fen. Zu­dem tritt durch die Ver­fah­rens­ver­ein­fa­chung ei­ne Ent­las­tung der Ar­beits­ge­richts­bar­keit ein. So muss beim Lan­des­ar­beits­ge­richt kein Kam­mer­ter­min an­be­raumt wer­den, um ei­ne ver­fris­te­te Be­ru­fung zu ver­wer­fen. Ei­nem pro­zessöko­no­mi­schen Zweck dient auch die Möglich­keit der Nich­teröff­nung des Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de­ver­fah­rens. Die­ses soll nicht die Über­prüfung von For­ma­li­en der Be­ru­fung ermögli­chen (vgl. § 72a Abs. 3 iVm. § 72 Abs. 2 ArbGG). Der Ge­setz­ge­ber durf­te dem Vor­sit­zen­den da­her ei­nen Spiel­raum hin­sicht­lich der Ver­fah­rensführung einräum­en und die be­trof­fe­nen Par­tei­en bei an­ge­nom­me­nen Rechts­an­wen­dungs­feh­lern auf die Anhörungsrüge so­wie auf die Ver­fas­sungs­be­schwer­de ver­wei­sen. 

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II. Un­ge­ach­tet der feh­len­den Statt­haf­tig­keit der Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de würde die vor­lie­gen­de Be­schwer­de auch nicht den An­for­de­run­gen des § 72a ArbGG genügen. 

1. Die Rüge der Ver­let­zung des An­spruchs auf recht­li­ches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG wäre un­zulässig. 

a) Art. 103 Abs. 1 GG ist ver­letzt, wenn sich im Ein­zel­fall aus be­son­de­ren Umständen klar er­gibt, dass tatsächli­ches Vor­brin­gen ei­nes Be­tei­lig­ten ent­we­der über­haupt nicht zur Kennt­nis ge­nom­men oder doch bei der Ent­schei­dung nicht er­wo­gen wor­den ist (BVerfG 14. März 2013 - 1 BvR 1457/12 - Rn. 10). Wird mit der Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 3 ArbGG ei­ne ent­schei­dungs­er­heb­li­che Ver­let­zung des An­spruchs auf recht­li­ches Gehör gel­tend ge­macht, muss nach § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ArbGG die Be­schwer­de­be­gründung die Dar­le­gung der Ver­let­zung die­ses An­spruchs und de­ren Ent­schei­dungs­er­heb­lich­keit ent­hal­ten (BAG 1. Sep­tem­ber 2010 - 5 AZN 599/10 - Rn. 9 mwN). 

b) Die Be­schwer­de­be­gründung erfüllt die­se Vor­aus­set­zun­gen nicht. 

aa) Sie stellt bzgl. der hier maßgeb­li­chen Fra­ge der ord­nungs­gemäßen Be­gründung der Be­ru­fung nur dar­auf ab, das Lan­des­ar­beits­ge­richt ha­be den Vor­trag des Be­klag­ten in dem Schrift­satz vom 10. Sep­tem­ber 2014 nicht zur Kennt­nis ge­nom­men. Wel­che Äußerun­gen in die­sem Schrift­satz das Lan­des­ar­beits­ge­richt zur An­nah­me ei­ner ord­nungs­gemäßen Be­ru­fungs­be­gründung hätten be­we­gen können, lässt die Be­schwer­de of­fen. 

bb) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat zu­dem zu­tref­fend aus­geführt, dass der Vor­trag vom 10. Sep­tem­ber 2014 außer­halb der Be­ru­fungs­be­gründungs­frist er­folg­te. Die Be­schwer­de ver­kennt die Be­deu­tung der Be­ru­fungs­be­gründungs­frist (§ 66 Abs. 1 ArbGG). Ei­ne nach § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO un­zu­rei­chend be­gründe­te Be­ru­fung kann nach Ab­lauf der Be­ru­fungs­be­gründungs­frist nicht mehr durch ergänzen­den Vor­trag aus­rei­chend be­gründet wer­den. Sol­cher Vor­trag ist nicht mehr berück­sich­ti­gungsfähig (BAG 8. Mai 2008 - 6 AZR 517/07 -

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Rn. 29). Dies gilt auch an­ge­sichts des Um­stands, dass das Ge­richt vor Ab­lauf der Be­gründungs­frist nicht auf ei­ne un­zu­rei­chen­de Be­gründung hin­wei­sen darf, da es sich an­de­ren­falls zum Be­ra­ter des Be­ru­fungsführers ma­chen würde (BAG 19. Ok­to­ber 2010 - 6 AZR 118/10 - Rn. 21). Hier­von zu un­ter­schei­den ist die Ver­pflich­tung des Ge­richts, dem Be­schwer­deführer vor ei­ner be­ab­sich­tig­ten Ver­wer­fung der Be­ru­fung ei­nen Hin­weis zu er­tei­len (vgl. BAG 15. Au­gust 1989 - 8 AZR 557/88 - zu II der Gründe). Dem­ent­spre­chend hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt am 8. Au­gust 2014 ei­nen Hin­weis mit Stel­lung­nah­me­frist bis zum 1. Sep­tem­ber 2014, verlängert bis zum 15. Sep­tem­ber 2014, ge­ge­ben. Der Be­klag­te hat hier­auf mit Schrift­satz vom 10. Sep­tem­ber 2014 re­agiert. Er konn­te mit die­sen Ausführun­gen die An­for­de­run­gen des § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO al­ler­dings nicht mehr erfüllen, da die Be­ru­fungs­be­gründungs­frist nach Verlänge­rung (§ 66 Abs. 1 Satz 5 ArbGG) be­reits am 5. Ju­ni 2014 ab­ge­lau­fen war. Es be­stand für das Lan­des­ar­beits­ge­richt nach Ein­gang des Schrift­sat­zes vom 10. Sep­tem­ber 2014 kei­ne Ver­an­las­sung, ei­ne Ent­schei­dung erst nach Frist­ab­lauf am 15. Sep­tem­ber 2014 zu tref­fen. 

2. Im Übri­gen rügt die Be­schwer­de Rechts­an­wen­dungs­feh­ler des Lan­des­ar­beits­ge­richts so­wohl hin­sicht­lich der An­for­de­run­gen an ei­ne ord­nungs­gemäße Be­ru­fungs­be­gründung als auch in ma­te­ri­el­ler Hin­sicht. An­ge­nom­me­ne Rechts­an­wen­dungs­feh­ler würden es dem Se­nat nach § 72 Abs. 2 ArbGG je­doch nicht er­lau­ben, die Re­vi­si­ons­be­schwer­de zu­zu­las­sen. 

C. Der Be­klag­te hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kos­ten sei­ner er­folg­lo­sen Be­schwer­de zu tra­gen. 

D. Die Wert­fest­set­zung be­ruht auf § 63 Abs. 2 GKG.

Fi­scher­mei­er

Spel­ge

Krum­bie­gel

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