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BAG, Ur­teil vom 15.11.2012, 6 AZR 339/11

   
Schlagworte: Bewerbung, Stellenbewerber, Auskunftspflicht, Fragerecht
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 6 AZR 339/11
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 15.11.2012
   
Leitsätze: An der Informationsbeschaffung durch die unspezifizierte Frage nach eingestellten Ermittlungsverfahren an den Stellenbewerber besteht grundsätzlich kein berechtigtes Interesse des potenziellen Arbeitgebers. Eine solche Frage ist damit im Regelfall nicht erforderlich iSv. § 29 Abs. 1 Satz 1 DSG NRW. Das ergibt sich aus den Wertentscheidungen des § 53 BZRG. Eine allein auf die wahrheitswidrige Beantwortung einer solchen Frage gestützte Kündigung verstößt deshalb gegen die objektive Wertordnung des Grundgesetzes, wie sie im Recht auf informationelle Selbstbestimmung zum Ausdruck kommt, und ist nach § 138 Abs. 1 BGB unwirksam.
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Detmold, Urteil vom 28.04.2010, 2 Ca 1577/09
Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 10.03.2011, 11 Sa 2266/10
   


BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT


6 AZR 339/11
11 Sa 2266/10
Lan­des­ar­beits­ge­richt

Hamm

 

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am
15. No­vem­ber 2012

UR­TEIL

Gaßmann, Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

be­klag­tes, be­ru­fungs­be­klag­tes und re­vi­si­ons­kla­gen­des Land,

pp.

Kläger, Be­ru­fungskläger und Re­vi­si­ons­be­klag­ter,

hat der Sechs­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 15. No­vem­ber 2012 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Fi­scher­mei­er, die Rich­te­rin­nen am Bun­des­ar­beits­ge­richt Gall­ner und Spel­ge so­wie den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Za­bel und die eh­ren­amt­li­che Rich­te­rin Kam­mann für Recht er­kannt:
 


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1. Die Re­vi­si­on des be­klag­ten Lan­des ge­gen das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Hamm vom 10. März 2011 - 11 Sa 2266/10 - wird zurück­ge­wie­sen.


2. Das be­klag­te Land hat die Kos­ten der Re­vi­si­on zu tra­gen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten noch über die Wirk­sam­keit ei­ner or­dent­li­chen Ar­beit­ge­berkündi­gung in der War­te­zeit, die erklärt wor­den ist, weil der Kläger im Be­wer­bungs­ver­fah­ren wahr­heits­wid­rig ver­si­chert hat, es lägen kei­ne ein­ge­stell­ten Er­mitt­lungs­ver­fah­ren vor.


Der 1961 ge­bo­re­ne, ge­schie­de­ne Kläger ist aus­ge­bil­de­ter Di­plom­in­ge­nieur. Er be­warb sich am 17. Ju­li 2009 bei der Be­zirks­re­gie­rung D als sog. Sei­ten­ein­stei­ger für ei­ne Tätig­keit als Leh­rer an ei­ner Haupt­schu­le des be­klag­ten Lan­des. Die­ses teil­te dem Kläger mit, er wer­de ein Ein­stel­lungs­an­ge­bot er­hal­ten und for­der­te ihn auf, das For­mu­lar „Ein­stel­lung in den öffent­li­chen Dienst - Be­leh­rung und Erklärung -“ aus­zufüllen und zu un­ter­schrei­ben. Ziff. 2 „Vor­stra­fen und anhängi­ge Straf- oder Er­mitt­lungs­ver­fah­ren“ die­ses For­mu­lars lau­tet:


„2.1 B e l e h r u n g

Nach § 51 des Bun­des­zen­tral­re­gis­ter­ge­set­zes darf sich ein/e Be­wer­ber/in als un­be­straft be­zeich­nen und braucht er/sie den ei­ner Ver­ur­tei­lung zu Grun­de lie­gen­den Sach­ver­halt nicht zu of­fen­ba­ren, wenn die Ver­ur­tei­lung nicht in ein Führungs­zeug­nis oder nur in ein sol­ches für Behörden auf­zu­neh­men oder im Zen­tral­re­gis­ter zu til­gen ist.
Ein/e Be­wer­ber/in ist ver­pflich­tet, ge­genüber ei­ner obers­ten Lan­des­behörde auch über die­je­ni­gen Ver­ur­tei­lun­gen Aus­kunft zu ge­ben, die nicht in ein Führungs­zeug­nis oder nur in sol­che für Behörden auf­zu­neh­men sind.
 


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2.2 E r k l ä r u n g


Ich ver­si­che­re hier­mit, dass ich - nicht *) - wie folgt *) vor­be­straft bin:

2.3 E r k l ä r u n g

Ich ver­si­che­re, dass ge­gen mich kein ge­richt­li­ches Straf­ver­fah­ren und kein Er­mitt­lungs­ver­fah­ren der Staats­an­walt­schaft we­gen ei­nes Ver­ge­hens oder Ver­bre­chens anhängig ist oder in­ner­halb der letz­ten 3 Jah­re anhängig ge­we­sen ist.
...“


Oh­ne zu Ziff. 2.2 oder Ziff. 2.3 An­ga­ben zu ma­chen, un­ter­schrieb der Kläger die Erklärung am 7. Sep­tem­ber 2009.

Das Ge­setz zum Schutz per­so­nen­be­zo­ge­ner Da­ten in Nord­rhein-West­fa­len (Da­ten­schutz­ge­setz Nord­rhein-West­fa­len - DSG NRW) in der Fas­sung der Be­kannt­ma­chung vom 9. Ju­ni 2000 be­stimmt zur Zulässig­keit der Da­ten­ver­ar­bei­tung in Ar­beits­verhält­nis­sen:

㤠1
Auf­ga­be


Auf­ga­be die­ses Ge­set­zes ist es, den Ein­zel­nen da­vor zu schützen, dass er durch die Ver­ar­bei­tung per­so­nen­be­zo­ge­ner Da­ten durch öffent­li­che Stel­len in un­zulässi­ger Wei­se in sei­nem Recht be­ein­träch­tigt wird, selbst über die Preis­ga­be und Ver­wen­dung sei­ner Da­ten zu be­stim­men (in­for­ma­tio­nel­les Selbst­be­stim­mungs­recht).

§ 2
An­wen­dungs­be­reich

(1) Die­ses Ge­setz gilt für die Behörden, Ein­rich­tun­gen und sons­ti­gen öffent­li­chen Stel­len des Lan­des ... so­weit die­se per­so­nen­be­zo­ge­ne Da­ten ver­ar­bei­ten. ...


...

(3) So­weit be­son­de­re Rechts­vor­schrif­ten auf die Ver­ar­bei­tung per­so­nen­be­zo­ge­ner Da­ten an­zu­wen­den sind, ge­hen sie den Vor­schrif­ten die­ses Ge­set­zes vor.
 


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...


§ 4
Zulässig­keit der Da­ten­ver­ar­bei­tung

(1) Die Ver­ar­bei­tung per­so­nen­be­zo­ge­ner Da­ten ist nur zulässig, wenn
a) die­ses Ge­setz oder ei­ne an­de­re Rechts­vor­schrift sie er­laubt oder
b) die be­trof­fe­ne Per­son ein­ge­wil­ligt hat. ...


§ 29
Da­ten­ver­ar­bei­tung bei Dienst- und Ar­beits­verhält­nis­sen


(1) Da­ten von Be­wer­bern und Beschäftig­ten dürfen nur ver­ar­bei­tet wer­den, wenn dies zur Ein­ge­hung, Durchführung, Be­en­di­gung oder Ab­wick­lung des Dienst- oder Ar­beits­verhält­nis­ses oder zur Durchführung or­ga­ni­sa­to­ri­scher, per­so­nel­ler und so­zia­ler Maßnah­men, ins­be­son­de­re auch zu Zwe­cken der Per­so­nal­pla­nung und des Per­so­nal­ein­sat­zes, er­for­der­lich ist oder ei­ne Rechts­vor­schrift, ein Ta­rif­ver­trag oder ei­ne Dienst­ver­ein­ba­rung dies vor­sieht. ...
...“


Am 8. Sep­tem­ber 2009 be­gründe­ten die Par­tei­en ein vom 15. Sep­tem­ber 2009 bis zum 14. Sep­tem­ber 2010 zur Er­pro­bung be­fris­te­tes Ar­beits­verhält­nis. Sie ver­ein­bar­ten die Gel­tung des Ta­rif­ver­trags für den öffent­li­chen Dienst der Länder (TV-L) so­wie ei­ne Pro­be­zeit von sechs Mo­na­ten. Am 15. Sep­tem­ber 2009 nahm der Kläger die Tätig­keit auf. Im Ok­to­ber 2009 ging ein an­ony­mes Schrei­ben bei der Schu­le des Klägers und der zuständi­gen Be­zirks­re­gie­rung ein, in dem dar­auf hin­ge­wie­sen wur­de, der Kläger ste­he un­ter dem Ver­dacht des Kin­des­miss­brauchs. Mit Schrei­ben vom 22. Ok­to­ber 2009 lei­te­te die Be­zirks­re­gie­rung die­ses Schrei­ben an die Staats­an­walt­schaft mit der Bit­te wei­ter, straf­rechts­re­le­van­te Vorfälle mit­zu­tei­len. Die dar­auf­hin über­sand­te Vor­gangs­lis­te vom 3. No­vem­ber 2009 ent­hielt fol­gen­de An­ga­ben:
 


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Ak­ten­zei­chen/Ein­gangs­da­tum De­likt Tat­zeit/Tat­ort Er­le­di­gung/Ent­schei­dung Er­led./Da­tum


271 Js 1046/09 / 02.09.2009 § 240 StGB 27.08.2009/Bor­chen Einst.-/Ein­stel­lung - § 153 I St­PO (Ge­ringfügig­keit)
§ 153 I St­PO 03.09.2009


111 Js 559/08 / 15.08.2008 § 266a Abs. 1 StGB 00.00.2003/Bor­chen e.E. - § 153 a I S. 2 Nr. 2 St­PO end. Einst. § 153 a I S. 2 Nr. 2 St­PO (Geld­be­trag für ge­meinnützi­ge Ein­rich­tung oder Staats­kas­se) 31.10.2008

271 Js 301/08 / 18.03.2008 § 123 StGB 28.02.2008/Bor­chen Einst. - Ver­wei­sung auf Pri­vat­kla­ge Ein­stel­lung - Ver­wei­sung auf Pri­vat­kla­ge 07.04.2008

271 Js 304/08 / 18.03.2008 § 123 StGB 11.03.2008/Bor­chen Sons­ti­ge Er­le­di­gung 04.04.2008

271 Js 109/08 / 29.01.2008 § 223 StGB 28.11.2007/Bor­chen e.E.- § 153 a I S. 2 Nr. 2 St­PO endg. Einst. § 153 a I S. 2 Nr. 2 St­PO (Geld­be­trag für ge­meinnützi­ge Ein­rich­tung oder Staats­kas­se) 19.06.2008

Von den Er­mitt­lungs­ver­fah­ren - 271 Js 301/08 - und - 271 Js 304/08 - hat­te der Kläger kei­ne Kennt­nis.

Nach Zu­stim­mung des Per­so­nal­rats kündig­te das be­klag­te Land mit Schrei­ben vom 12. No­vem­ber 2009 das Ar­beits­verhält­nis außer­or­dent­lich mit so­for­ti­ger Wir­kung. Hilfs­wei­se erklärte es die An­fech­tung des Ar­beits­ver­trags und eben­falls hilfs­wei­se die or­dent­li­che Kündi­gung in­ner­halb der Pro­be­zeit zum 30. No­vem­ber 2009. Da­ge­gen hat der Kläger recht­zei­tig Kla­ge er­ho­ben.


Der Kläger hat ge­meint, er ha­be die ab­ge­schlos­se­nen und ein­ge­stell­ten Er­mitt­lungs­ver­fah­ren nach den Wer­tun­gen des Bun­des­zen­tral­re­gis­ter­ge­set­zes nicht an­ge­ben müssen.


Mit dem Hin­weis, der An­trag sei als Kündi­gungs­schutz­an­trag nach § 4

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KSchG zu ver­ste­hen, hat der Kläger - so­weit für die Re­vi­si­on von In­ter­es­se - zu­letzt be­an­tragt

fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis zwi­schen den Par­tei­en über den 30. No­vem­ber 2009 zu un­veränder­ten Be­din­gun­gen fort­be­steht.


Das be­klag­te Land hat zur Be­gründung sei­nes Kla­ge­ab­wei­sungs­an­trags an­geführt, das Ver­trau­ens­verhält­nis zum Kläger sei zerstört, weil er im Ein­stel­lungs­ver­fah­ren die ge­gen ihn geführ­ten Er­mitt­lungs­ver­fah­ren wahr­heits­wid­rig ver­schwie­gen ha­be. Die Fra­ge nach Vor­stra­fen und Er­mitt­lungs­ver­fah­ren sei nicht zu be­an­stan­den. Für die Be­ur­tei­lung der Eig­nung ei­nes Be­wer­bers sei es un­er­heb­lich, ob das Er­mitt­lungs­ver­fah­ren be­en­det sei oder nicht. Maßgeb­lich sei, wel­cher Sach­ver­halt dem Ver­fah­ren zu­grun­de lie­ge.


Das Ar­beits­ge­richt hat an­ge­nom­men, das Ar­beits­verhält­nis sei we­der durch die außer­or­dent­li­che Kündi­gung noch die An­fech­tung be­en­det wor­den. Die or­dent­li­che Kündi­gung hat es für wirk­sam ge­hal­ten. Hier­ge­gen hat nur der Kläger Be­ru­fung ein­ge­legt. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat fest­ge­stellt, dass das Ar­beits­verhält­nis auch durch die hilfs­wei­se or­dent­li­che Kündi­gung vom 12. No­vem­ber 2009 nicht auf­gelöst wor­den ist. Mit der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on er­strebt das be­klag­te Land die Wie­der­her­stel­lung der erst­in­stanz­li­chen Ent­schei­dung.

Ent­schei­dungs­gründe


Die Re­vi­si­on des be­klag­ten Lan­des ist un­be­gründet. Die Kündi­gung des be­klag­ten Lan­des vom 12. No­vem­ber 2009 ist gemäß § 138 BGB un­wirk­sam.


I. Die Kündi­gung vom 12. No­vem­ber 2009 ist nicht be­reits gemäß § 612a BGB iVm. § 134 BGB nich­tig. Im Zeit­punkt der Fra­ge nach lau­fen­den oder ab­ge­schlos­se­nen Er­mitt­lungs­ver­fah­ren war der Kläger noch nicht Ar­beit­neh­mer, son­dern Stel­len­be­wer­ber. Das Maßre­ge­lungs­ver­bot des § 612a BGB er­fasst nach dem ein­deu­ti­gen Wort­laut des Ge­set­zes nur Ar­beit­neh­mer (vgl. BAG 15. Fe­bru­ar 2005 - 9 AZR 116/04 - zu B II 2 b ee (1) der Gründe,

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BA­GE 113, 327). Es soll nach dem Wil­len des Ge­setz­ge­bers die gel­ten­de Rechts­la­ge klar­stel­len und das Maßre­ge­lungs­ver­bot ins­be­son­de­re bei Kündi­gun­gen auf al­le Ar­beit­neh­mer er­stre­cken, al­so auch auf sol­che, für die das Kündi­gungs­schutz- oder Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz nicht gilt (BT-Drucks. 8/3317 S. 10, 16). Auf Stel­len­be­wer­ber fin­det § 612a BGB da­mit kei­ne An­wen­dung (LAG Ber­lin-Bran­den­burg 21. Ju­li 2008 - 10 Sa 555/08 - Rn. 36; APS/Linck 4. Aufl. § 612a Rn. 4; Münch­KommBGB/Müller-Glöge 6. Aufl. § 612a Rn. 4, 14; KR/Tre­ber 10. Aufl. § 612a BGB Rn. 3c; Wil­ken Re­ge­lungs­ge­halt des Maßre­ge­lungs­ver­bots gem. § 612a BGB S. 162 f.; Fau­len­bach Das ar­beits-recht­li­che Maßre­ge­lungs­ver­bot S. 55). Dies gilt auch dann, wenn die Rechts­ausübung wie im vor­lie­gen­den Fall noch im An­bahnungs­verhält­nis, die nach­tei­li­ge Maßnah­me aber erst im später ge­schlos­se­nen Ar­beits­verhält­nis er­folgt. Das Maßre­ge­lungs­ver­bot soll ver­hin­dern, dass Ar­beit­neh­mer­rech­te des­halb nicht wahr­ge­nom­men wer­den, weil der Ar­beit­neh­mer mit Be­nach­tei­li­gun­gen rech­nen muss (BAG 16. Fe­bru­ar 1989 - 2 AZR 299/88 - zu B III 3 b der Gründe, BA­GE 61, 131). Es soll den Ar­beit­neh­mer in sei­ner Wil­lens­frei­heit bei der Ent­schei­dung darüber schützen, ob er ein Recht ausüben will oder nicht (BAG 21. Sep­tem­ber 2011 - 7 AZR 150/10 - Rn. 32 mwN, EzA BGB 2002 § 612a Nr. 7). Der Fall der Rechts­ausübung vor Be­gründung des Ar­beits­verhält­nis­ses, die erst im späte­ren Ar­beits­verhält­nis zu Nach­tei­len führt, wird dem­nach vom Schutz­zweck des § 612a BGB nicht er­fasst.


II. Die Kündi­gung ist je­doch gemäß § 138 Abs. 1 BGB un­wirk­sam. Die im For­mu­lar „Ein­stel­lung in den öffent­li­chen Dienst - Be­leh­rung und Erklärung -“ ab­ge­frag­ten In­for­ma­tio­nen zu ab­ge­schlos­se­nen Er­mitt­lungs­ver­fah­ren wa­ren für die Be­wer­bung des Klägers um ei­ne Stel­le als Leh­rer nicht er­for­der­lich und da­mit nicht durch § 29 DSG NRW ge­stat­tet. Die nach den nicht an­ge­grif­fe­nen und für den Se­nat da­mit bin­den­den Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts al­lein auf die wahr­heits­wid­ri­ge Be­ant­wor­tung der un­spe­zi­fi­zier­ten Fra­ge nach staats­an­walt­schaft­li­chen Er­mitt­lungs­ver­fah­ren, die in den letz­ten drei Jah­ren anhängig ge­we­sen sind, gestütz­te Kündi­gung vom 12. No­vem­ber 2009 ver­stieß des­halb ge­gen die ob­jek­ti­ve Wert­ord­nung des Grund­ge­set­zes, wie sie im Recht


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auf in­for­ma­tio­nel­le Selbst­be­stim­mung, bei dem es sich um ei­ne Aus­prägung des all­ge­mei­nen Persönlich­keits­rechts han­delt, zum Aus­druck kommt.


1. In den Grund­rechts­be­stim­mun­gen des Grund­ge­set­zes verkörpert sich ei­ne ob­jek­ti­ve Wert­ord­nung, die als ver­fas­sungs­recht­li­che Grund­ent­schei­dung für al­le Be­rei­che des Rechts gilt und der vor al­lem auch bei der In­ter­pre­ta­ti­on zi­vil­recht­li­cher Ge­ne­ral­klau­seln maßgeb­li­che Be­deu­tung zu­kommt. Bei der Aus­le­gung und An­wen­dung die­ser Ge­ne­ral­klau­seln müssen des­halb die Zi­vil­ge­rich­te die Grund­rech­te als „Richt­li­ni­en“ be­ach­ten. § 138 BGB als ei­ne die­ser Ge­ne­ral­klau­seln ist dar­um am Maßstab von Wert­vor­stel­lun­gen, die in ers­ter Li­nie von den Grund­satz­ent­schei­dun­gen der Ver­fas­sung be­stimmt wer­den, zu kon­kre­ti­sie­ren (BVerfG 19. Ok­to­ber 1993 - 1 BvR 567/89, 1 BvR 1044/89 - BVerfGE 89, 214; vgl. auch BAG 23. Ju­ni 1994 - 2 AZR 617/93 - BA­GE 77, 128).


2. Zu den nach die­sen Grundsätzen für die An­wen­dung des § 138 BGB maßgeb­li­chen Wert­vor­stel­lun­gen des Grund­ge­set­zes gehört auch das in­for­ma­tio­nel­le Selbst­be­stim­mungs­recht als Aus­prägung des durch Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG geschütz­ten all­ge­mei­nen Persönlich­keits­rechts. Die ge­setz­li­chen An­for­de­run­gen an ei­ne zulässi­ge Da­ten­ver­ar­bei­tung im DSG NRW kon­kre­ti­sie­ren und ak­tua­li­sie­ren den Schutz des in­for­ma­tio­nel­len Selbst­be­stim­mungs­rechts und re­geln, in wel­chem Um­fang Ein­grif­fe in die­ses Recht zulässig sind (vgl. Si­mi­tis in Si­mi­tis BDSG 7. Aufl. § 1 Rn. 28). Dies stellt § 1 DSG NRW aus­drück­lich klar. Hat wie hier der Be­trof­fe­ne nicht in die Da­ten­ver­ar­bei­tung ein­ge­wil­ligt, ist nach dem Ge­samt­kon­zept des DSG NRW die Da­ten­ver­ar­bei­tung nur zulässig, wenn dies durch ei­ne ver­fas­sungs­gemäße Rechts­vor­schrift er­laubt ist. Fehlt es an der da­nach er­for­der­li­chen Ermäch­ti­gungs­grund­la­ge oder lie­gen de­ren Vor­aus­set­zun­gen nicht vor, ist die Er­he­bung, Ver­ar­bei­tung und/oder Nut­zung per­so­nen­be­zo­ge­ner Da­ten ver­bo­ten. Die­ser das deut­sche Da­ten­schutz­recht prägen­de Grund­satz ist in § 4 Abs. 1 Satz 1 DSG NRW ko­di­fi­ziert (vgl. für das BDSG So­kol in Si­mi­tis BDSG § 4 Rn. 2 f.; Go­la/ Schome­rus BDSG 11. Aufl. § 4 Rn. 3). Die der Ar­gu­men­ta­ti­on des be­klag­ten Lan­des zu­grun­de lie­gen­de An­nah­me, Fra­gen nach be­stimm­ten Sach­ver­hal­ten

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vor der Ein­stel­lung sei­en er­laubt, so­fern es kei­ne Vor­schrift ge­be, die ei­ne sol­che Fra­ge un­ter­sa­ge, ist dem­nach un­zu­tref­fend.


3. Die nach dem Da­ten­schutz­recht er­for­der­li­che Er­laub­nis für die Er­he­bung von Da­ten über ab­ge­schlos­se­ne staats­an­walt­schaft­li­che Er­mitt­lungs­ver­fah­ren durch die un­spe­zi­fi­zier­te Fra­ge nach sol­chen Ver­fah­ren im Ein­stel­lungs­fra­ge­bo­gen lässt sich der al­lein als Ermäch­ti­gungs­grund­la­ge in Be­tracht kom­men­den Vor­schrift des § 29 Abs. 1 Satz 1 DSG NRW nicht ent­neh­men. Die un­spe­zi­fi­zier­te Fra­ge nach ab­ge­schlos­se­nen Er­mitt­lungs­ver­fah­ren war für die Be­gründung und Durchführung des Ar­beits­verhält­nis­ses des Klägers mit dem be­klag­ten Land nicht er­for­der­lich im Sin­ne die­ser Vor­schrift und da­mit nicht ge­stat­tet. Dies folgt aus den Wer­tent­schei­dun­gen des Ge­setz­ge­bers in § 53 BZRG. Der Kläger durf­te des­halb die ein­ge­stell­ten Er­mitt­lungs­ver­fah­ren ver­schwei­gen. Das hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt zu­tref­fend an­ge­nom­men.


a) Die Be­zirks­re­gie­rung D ist als Lan­des­mit­tel­behörde (§ 7 Abs. 2 Lan­des­or­ga­ni­sa­ti­ons­ge­setz NRW - LOG NRW) ei­ne Behörde, die gemäß § 2 Abs. 1 DSG NRW die Vor­schrif­ten des DSG NRW zu ach­ten hat. Die Fra­ge nach ab­ge­schlos­se­nen Er­mitt­lungs­ver­fah­ren ist als Be­schaf­fen von per­so­nen­be­zo­ge­nen Da­ten ei­ne Er­he­bung von Da­ten und da­mit ei­ne Da­ten­ver­ar­bei­tung iSv. § 3 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 DSG NRW. Auch nicht au­to­ma­ti­sier­te Da­ten­er­he­bun­gen wer­den gemäß § 3 Abs. 2 Satz 2 vom DSG NRW er­fasst.


b) § 29 DSG NRW stellt ei­ne ei­genständi­ge Re­ge­lung zum Be­wer­ber- und Beschäftig­ten­da­ten­schutz im öffent­li­chen Dienst des Lan­des Nord­rhein-West­fa­len dar, die gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 2 BDSG den seit dem 1. Sep­tem­ber 2009 gel­ten­den § 32 BDSG in ih­rem An­wen­dungs­be­reich ver­drängt und die aus­drück­lich auch Be­wer­ber und da­mit die Zulässig­keit von Fra­gen im Be­wer­bungs- und Ein­stel­lungs­ver­fah­ren er­fasst.


c) Das DSG NRW legt al­ler­dings nicht selbst fest, wann ei­ne sol­che Da­ten­ver­ar­bei­tung durch Fra­gen des po­ten­ti­el­len Ar­beit­ge­bers im Be­wer­bungs-und Ein­stel­lungs­ver­fah­ren er­for­der­lich und da­mit zulässig ist.


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aa) Zur Ausfüllung die­ses un­be­stimm­ten Rechts­be­griffs kann auf die Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts zum Fra­ge­recht des Ar­beit­ge­bers im Be­wer­bungs­ver­fah­ren zurück­ge­grif­fen wer­den. Mit der An­knüpfung an den Be­griff der „Er­for­der­lich­keit“ wird die bis da­hin vor­wie­gend richter­recht­lich ge­prägte Rechts­la­ge nicht geändert, son­dern le­dig­lich kon­kre­ti­siert und ko­di­fi­ziert (vgl. Stähler Da­ten­schutz­ge­setz Nord­rhein-West­fa­len 2. Aufl. Teil E Erl. § 29 Rn. 3; vgl. für § 32 BDSG Rie­sen­hu­ber NZA 2012, 771, 776; ErfK/Fran­zen 13. Aufl. § 32 BDSG Rn. 1; Sei­fert in Si­mi­tis BDSG 7. Aufl. § 32 Rn. 22). Aus­ge­hend von dem un­ter Rn. 16 be­reits dar­ge­leg­ten Ge­samt­kon­zept des DSG NRW be­steht da­mit ein grundsätz­li­ches Fra­ge­ver­bot, das nur aus­nahms­wei­se, nämlich dann, wenn die Da­ten­er­he­bung er­for­der­lich ist, in ein von § 29 DSG NRW ge­deck­tes Fra­ge­recht um­schlägt (Rie­sen­hu­ber aaO S. 775 f.). Da­bei sind an das Vor­lie­gen der Er­for­der­lich­keit nach dem Wil­len des Ge­setz­ge­bers stren­ge An­for­de­run­gen zu stel­len (Druck­sa­che des Land­tags Nord­rhein-West­fa­len 10/1565 S. 64).


bb) Fra­gen nach per­so­nen­be­zo­ge­nen Da­ten vor der Ein­ge­hung ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses sind da­nach nur dann iSv. § 29 Abs. 1 Satz 1 DSG NRW er­for­der­lich, wenn der künf­ti­ge Ar­beit­ge­ber ein be­rech­tig­tes, bil­li­gens­wer­tes und schutzwürdi­ges In­ter­es­se an der Be­ant­wor­tung sei­ner Fra­ge bzw. der In­for­ma­ti­ons­be­schaf­fung im Hin­blick auf die Be­gründung des Ar­beits­verhält­nis­ses hat und das In­ter­es­se des Ar­beit­neh­mers an der Ge­heim­hal­tung sei­ner Da­ten das In­ter­es­se des Ar­beit­ge­bers an der Er­he­bung die­ser Da­ten nicht über­wiegt (vgl. BAG 16. Fe­bru­ar 2012 - 6 AZR 553/10 - Rn. 12 f., 26, AP SGB IX § 85 Nr. 9 = EzA AGG § 3 Nr. 7). Bei der er­for­der­li­chen Abwägung ist Art. 33 Abs. 2 GG zu be­ach­ten, so­weit es um die Ein­stel­lung in den öffent­li­chen Dienst geht. Ge­eig­net iSv. § 33 Abs. 2 GG ist nur, wer dem an­ge­streb­ten Amt in körper­li­cher, psy­chi­scher und cha­rak­ter­li­cher Hin­sicht ge­wach­sen ist. Zur Eig­nung gehören die Fähig­keit und in­ne­re Be­reit­schaft, die dienst­li­chen Auf­ga­ben nach den Grundsätzen der Ver­fas­sung wahr­zu­neh­men, ins­be­son­de­re die Frei­heits­rech­te der Bürger zu wah­ren und rechts­staat­li­che Re­geln ein­zu­hal­ten (vgl. BAG 27. Ju­li 2005 - 7 AZR 508/04 - zu I 1 b bb (1) der Gründe, BA­GE 115, 296).
 


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cc) Das Bun­des­ar­beits­ge­richt hat nach die­sen Grundsätzen ein be­rech­tig­tes In­ter­es­se des öffent­li­chen Ar­beit­ge­bers an­er­kannt, sich bei ei­nem Be­wer­ber um ein öffent­li­ches Amt nach anhängi­gen Straf- und Er­mitt­lungs­ver­fah­ren zu er­kun­di­gen, wenn be­reits ein sol­ches Ver­fah­ren Zwei­fel an der persönli­chen Eig­nung des Be­wer­bers für die in Aus­sicht ge­nom­me­ne Tätig­keit be­gründen kann (vgl. BAG 27. Ju­li 2005 - 7 AZR 508/04 - zu I 1 b bb (1) der Gründe, BA­GE 115, 296; 20. Mai 1999 - 2 AZR 320/98 - zu B I 1 b cc der Gründe, BA­GE 91, 349).


dd) An der In­for­ma­ti­ons­be­schaf­fung durch die un­spe­zi­fi­zier­te Fra­ge nach ein­ge­stell­ten Er­mitt­lungs­ver­fah­ren an den Stel­len­be­wer­ber be­steht da­ge­gen grundsätz­lich kein be­rech­tig­tes In­ter­es­se des po­ten­ti­el­len Ar­beit­ge­bers. Ei­ne sol­che Fra­ge ist da­mit im Be­wer­bungs­ver­fah­ren im Re­gel­fall nicht er­for­der­lich iSv. § 29 Abs. 1 Satz 1 DSG NRW (vgl. Mil­tha­ler Das Fra­ge­recht des Ar­beit­ge­bers nach den Vor­stra­fen des Be­wer­bers S. 175 f. mwN; ErfK/Preis 13. Aufl. § 611 BGB Rn. 281; Adam ZTR 2003, 158, 162; Lin­nen­kohl Ar­buR 1983, 129, 140; dem­ge­genüber Aus­nah­men für nach §§ 153, 153a St­PO ein­ge­stell­te Ver­fah­ren oh­ne wei­te­re Be­gründung für möglich hal­tend: HWK/Thüsing 5. Aufl. § 123 BGB Rn. 13). Dies er­gibt sich aus den Wer­tent­schei­dun­gen des § 53 BZRG (BAG 6. Sep­tem­ber 2012 - 2 AZR 270/11 - zu I 1 a aa der Gründe; 21. Fe­bru­ar 1991 - 2 AZR 449/90 - zu II 1 b der Gründe, AP BGB § 123 Nr. 35 = EzA BGB § 123 Nr. 35). Das über­sieht die Re­vi­si­on, wenn sie anhängi­ge und ab­ge­schlos­se­ne Er­mitt­lungs­ver­fah­ren gleich­set­zen und nur auf den den Er­mitt­lun­gen zu­grun­de lie­gen­den Sach­ver­halt ab­stel­len will.


(1) Nach § 53 Abs. 1 BZRG dürfen Ver­ur­teil­te sich als un­be­straft be­zeich­nen und brau­chen den der Ver­ur­tei­lung zu­grun­de lie­gen­den Sach­ver­halt nicht zu of­fen­ba­ren, wenn die Ver­ur­tei­lung nicht in das Führungs­zeug­nis oder nur in ein Führungs­zeug­nis nach § 32 Abs. 3, Abs. 4 BZRG auf­zu­neh­men ist. Das Ver­schwei­ge­recht be­steht nach ent­spre­chen­der Be­leh­rung des Ver­ur­teil­ten gemäß § 53 Abs. 2 BZRG al­ler­dings nicht, so­weit Ge­rich­te oder Behörden hin­sicht­lich nicht ge­tilg­ter Ver­ur­tei­lun­gen ein Recht auf un­be­schränk­te Aus­kunft ha­ben. An­spruch auf un­be­schränk­te Aus­kunft nach dem Re­gis­ter ha­ben die in


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§ 41 BZRG ge­nann­ten Behörden. Auch die­sen Stel­len ist im von § 41 BZRG ge­re­gel­ten Um­fang je­doch nur Aus­kunft über die in das Re­gis­ter ein­ge­tra­ge­nen Sach­ver­hal­te zu gewähren. Nach § 3 BZRG iVm. mit §§ 4 bis 8 BZRG ist im hier in­ter­es­sie­ren­den Zu­sam­men­hang auch in den Fällen des § 53 Abs. 2 BZRG nur Aus­kunft über straf­ge­richt­li­che Ver­ur­tei­lun­gen zu er­tei­len. Ein­ge­stell­te staats­an­walt­schaft­li­che Er­mitt­lungs­ver­fah­ren sind in die­sen Vor­schrif­ten nicht auf­geführt. Sol­che Ver­fah­ren sind nicht in das Re­gis­ter ein­zu­tra­gen. Für die­se Ent­schei­dung des Ge­setz­ge­bers wa­ren rechts­staat­li­che Be­den­ken aus­schlag­ge­bend. Oh­ne Schuld­nach­weis er­schie­nen dem Ge­setz­ge­ber die aus ei­ner Ein­tra­gung mögli­cher­wei­se fol­gen­den nach­tei­li­gen Wir­kun­gen nicht ver­tret­bar (KK/Scho­reit St­PO 6. Aufl. § 153a Rn. 45; Mey­er-Goßner St­PO 55. Aufl. § 153a Rn. 60). Ein­ge­stell­te Er­mitt­lungs­ver­fah­ren sind da­her we­der in ein Führungs­zeug­nis auf­zu­neh­men noch ist über sie ge­genüber Ge­rich­ten und Behörden iSv. § 53 Abs. 2 BZRG Aus­kunft zu er­tei­len. Be­steht aber ein Ver­schwei­ge­recht be­reits in den von § 53 BZRG aus­drück­lich ge­re­gel­ten Fällen, ist ein sol­ches Recht erst recht an­zu­neh­men, wenn nach Vorgängen ge­fragt wird, die von vorn­her­ein nicht in ein Führungs­zeug­nis auf­zu­neh­men sind und über die selbst den in § 53 Abs. 2 BZRG ge­nann­ten Stel­len kei­ne Aus­kunft er­teilt wer­den kann (in die­sem Sinn Ha­se BZRG § 53 Rn. 2; Mil­tha­ler Das Fra­ge­recht des Ar­beit­ge­bers nach den Vor­stra­fen des Be­wer­bers S. 176; für ei­ne ana­lo­ge An­wen­dung auf Ver­fah­rens­ein­stel­lun­gen: Reb­mann/Uh­lig BZRG § 53 Rn. 3).


(2) Un­er­heb­lich ist nach die­sen Grundsätzen ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Re­vi­si­on, wel­cher Sach­ver­halt den Er­mitt­lun­gen zu­grun­de lag. En­det ein Straf­ver­fah­ren durch Ein­stel­lung nach §§ 153 ff. St­PO, kann der Be­trof­fe­ne oh­ne strafähn­li­che Sank­ti­on re­so­zia­li­siert wer­den (vgl. Mey­er-Goßner St­PO 55. Aufl. § 153a Rn. 12 f.). Er steht wei­ter un­ter dem Schutz der Un­schulds­ver­mu­tung (vgl. zu ei­ner Ver­fah­rens­ein­stel­lung nach § 154 St­PO BVerfG 30. No­vem­ber 2007 - 2 BvR 2497/07 - Rn. 4). Die­se Ver­mu­tung hat als be­son­de­re Aus­prägung des Rechts­staats­prin­zips Ver­fas­sungs­rang und ist kraft Art. 6 Abs. 2 EM­RK zu­gleich Be­stand­teil des po­si­ti­ven Rechts der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land. Sie schützt den Be­schul­dig­ten auch vor Nach­tei­len, die Schuld­spruch


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oder Stra­fe gleich­kom­men, de­nen aber kein rechts­staat­li­ches pro­zess­ord­nungs­gemäßes Ver­fah­ren zur Schuld­fest­stel­lung vor­aus­ge­gan­gen ist. Bis zum ge­setz­li­chen Nach­weis der Schuld wird sei­ne Un­schuld ver­mu­tet (BVerfG 29. Mai 1990 - 2 BvR 254/88, 2 BvR 1343/88 - zu C I 1 der Gründe, BVerfGE 82, 106). Kommt es nicht zu ei­nem rich­ter­li­chen Schuld­spruch, gilt die Un­schulds­ver­mu­tung fort (BVerfG 16. Mai 2002 - 1 BvR 2257/01 - NJW 2002, 3231). Im Un­ter­schied zu lau­fen­den Er­mitt­lungs­ver­fah­ren, bei de­nen die Recht­spre­chung die Fra­ge nach sol­chen Ver­fah­ren zulässt, weil noch un­ge­wiss ist, ob dem Be­wer­ber ein Ver­schwei­ge­recht nach § 53 BZRG zu­kom­men wird (vgl. BAG 27. Ju­li 2005 - 7 AZR 508/04 - zu I 1 b bb (2) der Gründe, BA­GE 115, 296), steht nach Ein­stel­lung des Er­mitt­lungs­ver­fah­rens auf­grund der Un­schulds­ver­mu­tung dem Be­trof­fe­nen das Ver­schwei­ge­recht nach § 53 BZRG zu.


(3) Dem steht nicht ent­ge­gen, dass nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts bei Ein­stel­lun­gen nach §§ 153 ff. St­PO der Straf­tat­ver­dacht nicht not­wen­dig aus­geräumt ist (BVerfG 16. Mai 2002 - 1 BvR 2257/01 - NJW 2002, 3231) und des­halb Nach­tei­le durch ein Er­mitt­lungs­ver­fah­ren nicht schlecht­hin aus­ge­schlos­sen sind (vgl. BAG 27. Ju­li 2005 - 7 AZR 508/04 - zu I 1 b bb (1) der Gründe, BA­GE 115, 296). Nach ge­fes­tig­ter Recht­spre­chung steht ei­ne sol­che Ein­stel­lung ei­ner ei­genständi­gen Würdi­gung und Be­wer­tung von Ta­ten, die nicht zu ei­ner straf­recht­li­chen Ver­ur­tei­lung geführt ha­ben, in ei­nem Ver­wal­tungs­ver­fah­ren nicht ent­ge­gen. Ver­wal­tungs­behörden und Ge­rich­te können die im Er­mitt­lungs­ver­fah­ren ge­won­ne­nen Er­kennt­nis­se und Be­weis­mit­tel bei den von ih­nen zu tref­fen­den Ent­schei­dun­gen ei­genständig würdi­gen. Ein ge­setz­li­ches Ver­wer­tungs­ver­bot be­steht in­so­weit nicht. Ein sol­ches er­gibt sich ins­be­son­de­re nicht aus ei­ner ana­lo­gen An­wen­dung des § 51 Abs. 1 BZRG, weil in­so­weit kei­ne plan­wid­ri­ge Re­ge­lungslücke vor­liegt. Das Be­kannt­wer­den ei­nes Ge­set­zes­ver­s­toßes, der nicht durch ei­ne straf­recht­li­che Ver­ur­tei­lung ge­ahn­det wor­den ist, ist nicht in glei­cher Wei­se wie der aus ei­ner Ver­ur­tei­lung herrühren­de Straf­ma­kel ge­eig­net, die so­zia­le Stel­lung des Be­trof­fe­nen zu gefähr­den (BVerfG 16. Ja­nu­ar 1991 - 1 BvR 1326/90 - NJW 1991, 1530; BVerwG 20. März 2012 - 5 C 1.11 - Rn. 42, BVerw­GE 142, 132; 28. April 1998


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- 3 B 174.97 - Buch­holz 418.00 Ärz­te Nr. 101; 26. März 1996 - 1 C 12.95 - BVerw­GE 101, 24).


Die­se Recht­spre­chung hat für die Be­ur­tei­lung der Zulässig­keit der Fra­ge nach ein­ge­stell­ten Er­mitt­lungs­ver­fah­ren im Be­wer­bungs­ver­fah­ren kei­ne Be­deu­tung. Sie be­trifft nur die ei­genständi­ge Ver­wer­tung und uU ab­wei­chen­de Würdi­gung der im staats­an­walt­schaft­li­chen Er­mitt­lungs­ver­fah­ren ge­won­ne­nen Er­kennt­nis­se in ei­nem späte­ren Ver­wal­tungs­ver­fah­ren. Sie be­ruht auf der An­nah­me, dass der Behörde die von ihr ver­wer­te­ten Er­kennt­nis­se in zulässi­ger Wei­se be­kannt ge­wor­den sind. Auf der Grund­la­ge die­ser Recht­spre­chung wäre des­halb das be­klag­te Land durch § 29 DSG NRW iVm. §§ 51, 53 BZRG grundsätz­lich nicht ge­hin­dert ge­we­sen, im Hin­blick auf die durch die Vor­gangs­lis­te vom 3. No­vem­ber 2009 be­kannt ge­wor­de­nen Er­mitt­lungs­ver­fah­ren wei­te­re Nach­for­schun­gen an­zu­stel­len und ggf. auf­grund der dar­aus ge­won­ne­nen Er­kennt­nis­se ei­ne man­geln­de Eig­nung des Klägers für den an­ge­streb­ten Be­ruf als Leh­rer an­zu­neh­men (vgl. VGH Ba­den-Würt­tem­berg 27. No­vem­ber 2008 - 4 S 2332/08 - Rn. 11, der die Ver­wer­tung der nach Ak­ten­ein­sicht er­lang­ten Er­kennt­nis­se über ein­ge­stell­te Er­mitt­lungs­ver­fah­ren zulässt). Auf die­sen Kündi­gungs­grund hat das be­klag­te Land die Kündi­gung je­doch aus­drück­lich nicht gestützt. Es kann da­her da­hin­ste­hen, ob die Über­sen­dung der Vor­gangs­lis­te von den Da­tei­re­ge­lun­gen in § 487 Abs. 2, § 474 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 St­PO iVm. § 14 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 EGGVG ge­deckt und da­mit nach § 12 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 iVm. § 13 Abs. 2 Satz 1 Buchst. a DSG NRW statt­haft war.


ee) Nach die­sen Grundsätzen war die Fra­ge nach ein­ge­stell­ten Er­mitt­lungs­ver­fah­ren vor der Ein­stel­lung des Klägers durch das be­klag­te Land nicht er­for­der­lich iSv. § 29 Abs. 1 DSG NRW. Das In­ter­es­se des Klägers an der Ge­heim­hal­tung der ein­ge­stell­ten Er­mitt­lungs­ver­fah­ren über­wog das In­ter­es­se des be­klag­ten Lan­des an der Er­he­bung die­ser Da­ten. Der Kläger durf­te des­halb die ein­ge­stell­ten Er­mitt­lungs­ver­fah­ren - so­weit sie ihm über­haupt be­kannt wa­ren - ver­schwei­gen.
 


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4. Für die Ver­wirk­li­chung des Tat­be­stan­des des § 138 Abs. 1 BGB ist nicht er­for­der­lich, dass das be­klag­te Land er­kannt hat, dass es ge­gen da­ten­schutz­recht­li­che Be­stim­mun­gen ver­s­toßen und da­mit das Recht auf in­for­ma­tio­nel­le Selbst­be­stim­mung des Klägers ver­letzt hat. Eben­so we­nig ist er­for­der­lich, dass es in Schädi­gungs­ab­sicht ge­han­delt hat. Es genügt viel­mehr, wenn der Han­deln­de die Tat­sa­chen kennt, aus de­nen die Ver­let­zung des Da­ten­schut­zes folgt, bzw. sich be­wusst oder grob fahrlässig der Kennt­nis die­ser Tat­sa­chen ver­sch­ließt (vgl. BAG 22. Ju­li 2010 - 8 AZR 144/09 - Rn. 30, AP BGB § 611 Haf­tung des Ar­beit­neh­mers Nr. 134 = EzA BGB 2001 § 781 Nr. 2). Das be­klag­te Land macht nicht gel­tend, dass ihm sei­ne ei­ge­nen Nor­men des Da­ten­schut­zes un­be­kannt sind.


III. Die Kos­ten­ent­schei­dung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. 


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