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BAG, Ur­teil vom 21.11.2013, 2 AZR 495/12

   
Schlagworte: Betriebsschließung, Arbeitsverhältnis
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 2 AZR 495/12
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 21.11.2013
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Hamburg, Urteil vom 12. Oktober 2011, 20 Ca 116/11,
Landesarbeitsgericht Hamburg Urteil vom 31. Mai 2012, 1 Sa 55/11
   

 

BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT

2 AZR 495/12
1 Sa 55/11
Lan­des­ar­beits­ge­richt
Ham­burg

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am
21. No­vem­ber 2013

UR­TEIL

Schmidt, Ur­kunds­be­am­tin
der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

 

Be­klag­te, Be­ru­fungskläge­rin und Re­vi­si­onskläge­rin,

 

pp.

 

Kläger, Be­ru­fungs­be­klag­ter und Re­vi­si­ons­be­klag­ter,

 

hat der Zwei­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 21. No­vem­ber 2013 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Kreft, die Rich­te­rin­nen am Bun­des­ar­beits­ge­richt Ber­ger und Dr. Rinck so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Dr. Bartz und Dr. Grim­berg für Recht er­kannt:


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Die Re­vi­si­on der Be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Ham­burg vom 31. Mai 2012 - 1 Sa 55/11 - wird auf ih­re Kos­ten zurück­ge­wie­sen.

 

Von Rechts we­gen!

 

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten über die Be­en­di­gung ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses aus An­lass der Sch­ließung der Be­klag­ten.

Die Be­klag­te ist ei­ne - in Ab­wick­lung be­find­li­che - sog. geöff­ne­te Be­triebs­kran­ken­kas­se mit Haupt­sitz in S. Sie beschäftig­te im Ju­ni 2011 et­wa 400 Ar­beit­neh­mer. An ih­ren Stand­or­ten H, B und S wa­ren Per­so­nalräte, am Haupt­sitz zu­dem ein Haupt­per­so­nal­rat ge­bil­det. 2

Der 1951 ge­bo­re­ne Kläger war seit 1970 bei der Stadt H als Ver­wal­tungs­an­ge­stell­ter tätig. Zum 1. Au­gust 1978 wur­de er in ein Be­am­ten­verhält­nis über­nom­men. Im Ju­ni 1995 wur­de er un­ter Fort­fall sei­ner Bezüge bis zum Ein­tritt in den Ru­he­stand be­ur­laubt. Seit­dem war er - auf der Grund­la­ge ei­ner Per-so­nalüber­lei­tungs­ver­ein­ba­rung - bei der Be­klag­ten und de­ren Rechts­vorgänge­rin­nen - zu­letzt auf der Grund­la­ge des Ar­beits­ver­trags vom 1. Ja­nu­ar 1999 - beschäftigt. Da­nach fin­det auf das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en der Man­tel­ta­rif­ver­trag für die Beschäftig­ten der Be­triebs­kran­ken­kas­sen (MTV) An­wen­dung. Die­ser enthält in § 20 Abs. 1 die Re­ge­lung, dass dem Beschäftig­ten nach Voll­en­dung des 50. Le­bens­jah­res und ei­ner zehnjähri­gen Beschäfti­gungs­zeit „nur aus ei­nem in sei­ner Per­son oder in sei­nem Ver­hal­ten lie­gen­den wich­ti­gen Grund frist­los gekündigt wer­den“ kann. Der Kläger er­ziel­te zu­letzt ei­nen Brut­to-mo­nats­ver­dienst in Höhe von et­wa 5.900,00 Eu­ro.


 

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Mit Be­scheid vom 4. Mai 2011 ord­ne­te das Bun­des­ver­si­che­rungs­amt die Sch­ließung der Be­klag­ten zum 30. Ju­ni 2011 an. Grund war de­ren Über­schul­dung und ei­ne da­mit ein­her­ge­hen­de dau­ern­de Leis­tungs­unfähig­keit. 4
Am 20. April und 4. Mai 2011 un­ter­rich­te­te die Be­klag­te den Haupt­per­so­nal­rat über die be­vor­ste­hen­de Sch­ließung. Sie teil­te ihm fer­ner mit, dass sie be­ab­sich­ti­ge, al­le Ar­beits­verhält­nis­se vor­sorg­lich außer­or­dent­lich zum 30. Ju­ni 2011, hilfs­wei­se frist­gemäß bzw. außer­or­dent­lich un­ter Ein­hal­tung ei­ner so­zia­len Aus­lauf­frist zu kündi­gen. Der Haupt­per­so­nal­rat er­hob da­ge­gen Einwände. 5
Mit Schrei­ben vom 9. Mai 2011 teil­te die Be­klag­te dem Kläger mit, dass sein Ar­beits­verhält­nis auf­grund der Sch­ließung am 30. Ju­ni 2011 en­den wer­de. Zu­gleich wies sie ihn auf die in der Per­so­nalüber­lei­tungs­ver­ein­ba­rung vor­ge­se­he­ne Rück­kehrmöglich­keit zur Stadt H hin; mit die­ser ha­be sie - un­ter Berück­sich­ti­gung ih­rer be­vor­ste­hen­den Ab­wick­lung und des in­so­weit be­ste­hen­den Per­so­nal­be­darfs - Ein­ver­neh­men darüber er­zielt, dass Beschäftig­te bei Wahr­neh­mung der be­tref­fen­den Op­ti­on „in ei­nem zeit­lich ge­stuf­ten Ver­fah­ren“ zur Stadt H zurück­keh­ren soll­ten. 6
Am 13. Mai 2011 un­ter­brei­te­te der zuständi­ge BKK Lan­des­ver­band dem Kläger im Auf­trag der S-Be­triebs­kran­ken­kas­se (SBK) ein Stel­len­an­ge­bot mit fol­gen­dem In­halt: „SBK He; Stand­ort: P; Funk­ti­on: Sach­be­ar­bei­ter; Ge­schäfts­be­reich: Ver­trieb; Vergütung: ERA EG 9, 3.340 - 3.504 EUR (un­ter Be­rück­sich­ti­gung der Fähig­kei­ten und der bis­he­ri­gen Dienst­stel­lung); an­zu­wen­den­der Ta­rif­ver­trag: TV Me­tall und Elek­tro“. Ergänzend ver­wies der Lan­des­ver­band auf ei­ne im In­tra­net ein­ge­rich­te­te Stel­lenbörse. Der Kläger nahm das An­ge­bot der SBK He nicht an. 7
Mit Schrei­ben vom 19. Mai 2011 kündig­te die Be­klag­te das Ar­beits­ver­hält­nis der Par­tei­en „vor­sorg­lich“ außer­or­dent­lich mit Aus­lauf­frist zum 30. Ju­ni 2011, hilfs­wei­se zum 31. De­zem­ber 2011 als dem von ihr an­ge­nom­me­nen „nächst mögli­chen Ter­min“. 8
Nach dem Sch­ließungs­zeit­punkt wur­de der Kläger auf der Grund­la­ge ei­nes bis zum 30. Ju­ni 2012 be­fris­te­ten Ar­beits­ver­trags als „Team­lei­ter“ bei der Be­klag­ten wei­ter­hin beschäftigt. Die Be­fris­tung wur­de später zu­min­dest bis zum

 

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31. De­zem­ber 2012 verlängert. Zu ei­nem nicht be­nann­ten Zeit­punkt mach­te der Kläger von sei­nem „Rück­kehr­recht“ zur Stadt H Ge­brauch.

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Mit sei­ner Kla­ge hat sich der Kläger ge­gen die Be­en­di­gung sei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses auf­grund der Sch­ließung und - recht­zei­tig - ge­gen die Kündi­gung ge­wandt. Der Kläger hat ge­meint, sein Ar­beits­verhält­nis sei nicht nach § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V be­en­det wor­den. Die Vor­schrift müsse da­hin aus­ge­legt wer­den, dass nur die Ar­beits­verhält­nis­se der­je­ni­gen Ar­beit­neh­mer be­en­det würden, die ein zu­mut­ba­res An­ge­bot auf an­der­wei­ti­ge Un­ter­brin­gung aus­ge­schla­gen hätten. Ein sol­ches sei ihm nicht un­ter­brei­tet wor­den. Die vor­sorg­lich erklärte Kündi­gung sei un­wirk­sam. Die Sch­ließung ha­be nicht zur Still­le­gung des Be­triebs geführt. Die Be­klag­te ha­be über den Sch­ließungs­zeit­punkt und den 31. De­zem­ber 2011 hin­aus Ab­wick­lungs­ar­bei­ten durch­geführt. Auch sei der Per­so­nal­rat nicht ord­nungs­gemäß be­tei­ligt wor­den. 10
Der Kläger hat, so­weit für die Re­vi­si­on von Be­deu­tung, be­an­tragt
  1. fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en nicht mit Ab­lauf des 30. Ju­ni 2011 ge­en­det hat;
  2. fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en durch die Kündi­gung vom 19. Mai 2011 we­der zum 30. Ju­ni 2011 noch zum 31. De­zem­ber 2011 oder ei­nem an­de­ren „nächst mögli­chen“ Ter­min auf­gelöst wor­den ist.
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Die Be­klag­te hat be­an­tragt, die Kla­ge ab­zu­wei­sen. Sie hat ge­meint, mit ih­rer Sch­ließung ha­be sie ih­re Rechts­persönlich­keit als Körper­schaft des öffent­li­chen Rechts ver­lo­ren. Sie sei da­mit als Ar­beit­ge­be­rin „un­ter­ge­gan­gen“. Schon dies ha­be un­mit­tel­bar zur Be­en­di­gung sämt­li­cher Ar­beits­verhält­nis­se geführt. Zu­min­dest ha­be das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en kraft ge­setz­li­cher An­ord­nung nach § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V sein En­de ge­fun­den. Die Re­ge­lung sei ver­fas­sungs­kon­form. Durch die un­ter­schied­li­che Be­hand­lung der Beschäftig­ten ei­ner In­nungs­kran­ken­kas­se und der ei­ner Be­triebs­kran­ken­kas­se wer­de Art. 3 GG nicht ver­letzt. Die Un­ter­schei­dung sei nicht willkürlich. Die Si­che­rung ei­nes funk­tio­nie­ren­den ge­setz­li­chen Ge­sund­heits­sys­tems stel­le ein über­ra­gend wich­ti­ges Ge­mein­schafts­gut dar. Das In­ter­es­se der Ar­beit­neh­mer am Be­stand ih­rer Ar­beits­verhält­nis­se müsse da­hin­ter zurück­tre­ten. Ein zu­mut­ba­res An­ge­bot auf


 

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an­der­wei­ti­ge Un­ter­brin­gung ha­be der Kläger ab­ge­lehnt. Falls es dar­auf an­kom­me, sei die vor­sorg­lich erklärte Kündi­gung wirk­sam. Auf­grund ih­rer Sch­lie­ßung sei­en sämt­li­che Beschäfti­gungsmöglich­kei­ten ent­fal­len. Die be­fris­te­te Wei­ter­beschäfti­gung des Klägers ände­re dar­an nichts. Das Ge­setz übe­r­ant­wor­te die Ab­wick­lung dem Vor­stand. Sie be­gin­ne ganz oh­ne ei­ge­nes Per­so­nal. Auf der Grund­la­ge kon­kre­ter Pro­gno­sen zum Beschäfti­gungs­be­darf für die Dau­er der Ab­wick­lung würden so­dann - wie mit dem Kläger - be­fris­te­te Ar­beits­verträge ge­schlos­sen.

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Die Vor­in­stan­zen ha­ben der Kla­ge statt­ge­ge­ben. Mit der Re­vi­si­on ver­folgt die Be­klag­te ih­ren An­trag wei­ter, die Kla­ge ab­zu­wei­sen. 13

Ent­schei­dungs­gründe

Die zulässi­ge Re­vi­si­on ist un­be­gründet. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat der Kla­ge zu Recht statt­ge­ge­ben. Das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en en­de­te am 30. Ju­ni 2011 we­der un­mit­tel­bar da­durch, dass mit der Sch­ließung der Be­klag­ten die Ar­beit­ge­be­rin des Klägers er­lo­schen wäre, noch von Ge­set­zes we­gen gemäß § 155 Abs. 4 Satz 9 SGB V iVm. § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V. Es ist auch nicht durch die Kündi­gung(en) der Be­klag­ten vom 19. Mai 2011 auf­gelöst wor­den.

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A. Ge­gen­stand des Re­vi­si­ons­ver­fah­rens ist das Fest­stel­lungs­be­geh­ren des Klägers in dem Um­fang, wie es sich ge­gen die be­klag­te Körper­schaft des öffent­li­chen Rechts in Ab­wick­lung rich­tet. So­weit der Kläger sei­ne Anträge in zwei­ter In­stanz auch ge­gen die „C BKK“ als ein ge­genüber der Ab­wick­lungs-körper­schaft ver­meint­lich ei­genständi­ges Rechts­sub­jekt ge­rich­tet hat­te, ist der Rechts­streit be­en­det. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die hier­auf be­zo­ge­ne An­schluss­be­ru­fung des Klägers zurück­ge­wie­sen. Ob die­se Ent­schei­dung auf ei­nem zu­tref­fen­den An­trags­verständ­nis be­ruht und wel­chen Ge­gen­stand sie hat, be­darf kei­ner Erörte­rung. Der Kläger hat von der Möglich­keit ei­ner An­schluss­re­vi­si­on kei­nen Ge­brauch ge­macht.

 

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B. Die Re­vi­si­on der Be­klag­ten ist hin­sicht­lich al­ler Streit­ge­genstände zu­lässig. Dass sie hin­sicht­lich der Ent­schei­dung über den Kündi­gungs­schutz­an-trag nicht ei­gens be­gründet wor­den ist, ist unschädlich.

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I. Nach § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO gehört zum not­wen­di­gen In­halt der Re­vi­si­ons­be­gründung die An­ga­be der Re­vi­si­ons­gründe. Bei ei­ner Sachrüge muss die Re­vi­si­ons­be­gründung den ver­meint­li­chen Rechts­feh­ler des Lan­des­ar­beits­ge­richts so auf­zei­gen, dass Ge­gen­stand und Rich­tung des Re­vi­si­ons­an­griffs er­kenn­bar sind. Sie muss da­zu ei­ne Aus­ein­an­der­set­zung mit den tra­gen­den Ar­gu­men­ten des an­ge­foch­te­nen Ur­teils en­t­hal­ten. Dies er­for­dert die kon­kre­te Dar­le­gung der Gründe, aus de­nen das Ur­teil rechts­feh­ler­haft sein soll (BAG 23. Mai 2013 - 2 AZR 120/12 - Rn. 17; 27. Sep­tem­ber 2012 - 2 AZR 811/11 - Rn. 12). Bei meh­re­ren Streit­ge­genstän­den muss im Fall ei­ner un­be­schränkt ein­ge­leg­ten Re­vi­si­on grundsätz­lich für je­den ei­ne sol­che Be­gründung ge­ge­ben wer­den. Fehlt sie zu ei­nem Streit­ge­gen­stand, ist das Rechts­mit­tel in­so­weit un­zulässig. Ei­ne ei­genständi­ge Be­grün­dung ist nur dann nicht er­for­der­lich, wenn die Ent­schei­dung über den ei­nen Streit­ge­gen­stand not­wen­dig von der Ent­schei­dung über den an­de­ren abhängt. Mit der Be­gründung der Re­vi­si­on über den ei­nen Streit­ge­gen­stand ist dann zu­gleich dar­ge­legt, dass die Ent­schei­dung über den an­de­ren un­rich­tig ist (BAG 27. Sep­tem­ber 2012 - 2 AZR 811/11 - aaO; 9. April 1991 - 1 AZR 488/90 - zu I der Gründe, BA­GE 68, 1).

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II. In An­wen­dung die­ser Grundsätze ist die Re­vi­si­on auch ge­gen die Ent­schei­dung des Lan­des­ar­beits­ge­richts über den Kündi­gungs­schutz­an­trag zu 2. zulässig. Zwar fehlt es in­so­weit an ei­ner Aus­ein­an­der­set­zung der Be­klag­ten mit dem Be­ru­fungs­ur­teil. Des­sen be­durf­te es je­doch nicht. Er­wie­se sich die Ent­schei­dung des Lan­des­ar­beits­ge­richts über den An­trag zu 1. als un­rich­tig, hätte al­so das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en schon auf­grund der Sch­ließung der Be­klag­ten ge­en­det, wäre da­mit zu­gleich die Ent­schei­dung über den Kündi­gungs-schutz­an­trag hinfällig.

 

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1. Ste­hen meh­re­re Be­en­di­gungs­tat­bestände in Re­de und macht der Klä­ger die Un­wirk­sam­keit der ein­zel­nen Maßnah­men mit­tels Haupt- und un­ech­ten Hilfs­an­trags gel­tend, be­steht zwi­schen den Anträgen ein pro­zes­sua­les Abhän­gig­keits­verhält­nis. Ein un­ei­gent­li­cher Hilfs­an­trag wird ge­stellt für den Fall des Er­folgs des Haupt­an­trags. Die Rechtshängig­keit des Hilfs­an­trags ist dem­nach auflösend be­dingt durch den Miss­er­folg des Haupt­an­trags (BAG 10. März 2009 - 1 ABR 93/07 - Rn. 50, BA­GE 130, 1). Sie en­det mit Be­din­gungs­ein­tritt rück­wir­kend, oh­ne dass es dafür ei­nes be­son­de­ren ge­richt­li­chen Aus­spruchs be­dürf­te. Ein über den Hilfs­an­trag be­reits er­gan­ge­nes, noch nicht for­mell rechts­kräfti­ges Ur­teil wird wir­kungs­los (BAG 12. Au­gust 2008 - 9 AZR 620/07 - Rn. 15, BA­GE 127, 214). Auch wenn sich der Re­vi­si­ons­an­griff nur ge­gen die - statt­ge­ben­de - Ent­schei­dung über den Haupt­an­trag rich­tet, tritt in ei­nem sol­chen Fall bei er­folg­rei­cher - zur Ab­wei­sung die­ses An­trags führen­der - Re­vi­si­on die auflösen­de Be­din­gung ein. Der er­folg­rei­che An­griff ge­gen die Ent­schei­dung über den Haupt­an­trag reicht da­mit aus, um das an­ge­foch­te­ne Ur­teil auch hin­sicht­lich des Hilfs­an­trags zu Fall zu brin­gen.

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2. So liegt der Fall hier. Der Kündi­gungs­schutz­an­trag zu 2. ist als un­ech­ter Hilfs­an­trag zu ver­ste­hen. Der Kläger will sich ge­gen die Kündi­gung nur zur Wehr set­zen, falls das Ar­beits­verhält­nis nicht schon durch die Sch­ließung der Be­klag­ten ge­en­det hat.

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a) Ei­ne sol­cher­maßen - auflösend - be­ding­te An­trag­stel­lung ent­spricht bei meh­re­ren, zu un­ter­schied­li­chen Be­en­di­gungs­zeit­punk­ten erklärten Kündi­gun­gen dem (Kos­ten-)In­ter­es­se des Kündi­gungs­empfängers. Sie trägt über­dies der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts Rech­nung, nach der die So­zi­al­wid­rig­keit bzw. Un­wirk­sam­keit ei­ner Kündi­gung dann nicht fest­ge­stellt wer­den kann, wenn die Auflösung des Ar­beits­verhält­nis­ses auf­grund ei­nes an­de­ren - vor oder gleich­zei­tig mit Ab­lauf der Kündi­gungs­frist wir­ken­den - Be­en­di­gungs­tat­be­stands zwi­schen den Par­tei­en un­strei­tig oder sie rechts­kräftig fest­ge­stellt ist (vgl. BAG 11. Fe­bru­ar 1981 - 7 AZR 12/79 - zu B II 1 der Gründe). Ge­gen die Zulässig­keit ei­nes ent­spre­chend be­ding­ten An­trags be­ste­hen kei­ne Be­den­ken. Bei der frag­li­chen Be­din­gung han­delt es sich um ei­ne rein in­ner­pro­zes­sua­le

 

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Rechts­be­din­gung. Un­ter ei­ne sol­che Rechts­be­din­gung kann je­der Kla­ge­an­trag ge­stellt wer­den. Da der An­trag iSv. § 158 Abs. 2 BGB auflösend - und nicht et­wa auf­schie­bend - be­dingt ist, ver­mag er, recht­zei­tig ge­stellt, auch die Kla­ge­frist des § 4 Abs. 1 KSchG oh­ne Wei­te­res zu wah­ren.

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b) Im Streit­fall kommt hin­zu, dass die Be­klag­te ih­rer­seits die Kündi­gung(en) vom 19. Mai 2011 nur „vor­sorg­lich“ für den Fall erklärt hat, dass das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en nicht be­reits auf­grund der Sch­ließung zum 30. Ju­ni 2011 auf­gelöst wor­den ist. Ih­re Kündi­gungs­erklärung steht da­mit un­ter der - eben­falls zulässi­gen - auflösen­den Rechts­be­din­gung (§ 158 Abs. 2 BGB), dass die Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses schon kraft Ge­set­zes ein­ge­tre­ten ist (vgl. für den Fall zwei­er Kündi­gun­gen BAG 23. Mai 2013 - 2 AZR 54/12 - Rn. 44). Tritt die­se Be­din­gung ein, liegt schon ei­ne Kündi­gungs­erklärung als sol­che nicht mehr vor. Ei­ne gleich­wohl auf­recht­er­hal­te­ne Kündi­gungs­schutzkla-ge gin­ge ins Lee­re und wäre un­be­gründet (vgl. BAG 16. Ja­nu­ar 1987 - 7 AZR 546/85 -). Auch aus die­sem Grund ist der Kündi­gungs­schutz­an­trag zu 2. als un­ech­ter Hilfs­an­trag zu ver­ste­hen, mit dem der Kläger sich ge­gen die „vor­sorg­lich“ erklärte(n) Kündi­gung(en) sei­ner­seits nur „vor­sorg­lich“ wehrt (vgl. für das Er­geb­nis auch Ha­Ko-KSchR/Gall­ner 4. Aufl. § 4 KSchG Rn. 64).

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c) Falls schon die Sch­ließung der Be­klag­ten das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en be­en­det hat, fal­len so­mit - ma­te­ri­ell-recht­lich - die Kündi­gungs­erklärung und - pro­zess­recht­lich - der Fest­stel­lungs­an­trag zu 2. samt der zu ihm er­gan­ge­nen Ent­schei­dung des Lan­des­ar­beits­ge­richts fort. Es genügt da­mit ein - zulässi­ger - Re­vi­si­ons­an­griff der Be­klag­ten ge­gen die Fest­stel­lung des Lan­des­ar­beits­ge­richts, das Ar­beits­verhält­nis ha­be nicht schon kraft Ge­set­zes sein En­de ge­fun­den, um das Be­ru­fungs­ur­teil auch hin­sicht­lich der Ent­schei­dung über den Kündi­gungs­schutz­an­trag in Fra­ge zu stel­len.

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3. Un­abhängig vom Stu­fen­verhält­nis der Kla­ge­anträge ist ein er­folg­rei­cher An­griff der Be­klag­ten ge­gen die Ent­schei­dung des Lan­des­ar­beits­ge­richts über den An­trag zu 1. auch aus ma­te­ri­ell-recht­li­chen Gründen aus­rei­chend, um die Ent­schei­dung über den Kündi­gungs­schutz­an­trag hinfällig wer­den zu las­sen. Hat das Ar­beits­verhält­nis schon auf­grund der Sch­ließung der Be­klag­ten ge­en­det,

 

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kann die Kündi­gungs­schutz­kla­ge ge­gen die - zum sel­ben bzw. ei­nem späte­ren Ter­min erklärte(n) - Kündi­gung(en) kei­nen Er­folg ha­ben.

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C. Die Re­vi­si­on ist un­be­gründet. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge zu Recht für zulässig und be­gründet er­ach­tet.

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I. Die Kla­ge ist zulässig.

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1. Die Zulässig­keit der Kla­ge setzt die Par­teifähig­keit des Be­klag­ten vo­raus. Die Be­klag­te ist par­teifähig.

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a) Par­teifähig ist, wer rechtsfähig ist (§ 50 Abs. 1 ZPO). Be­triebs­kran­ken­kas­sen wie die Be­klag­te sind rechtsfähi­ge Körper­schaf­ten des öffent­li­chen Rechts mit Selbst­ver­wal­tung (§ 29 SGB IV, § 4 Abs. 1 und Abs. 2 SGB V). Sie sind da­mit - im Rah­men der ih­nen zu­ge­wie­se­nen Auf­ga­ben (vgl. Kraus­kopf/ Bai­er SGB IV <Stand Fe­bru­ar 2013> § 29 Rn. 5) - par­teifähig (vgl. MüKoZ­PO/ Lind­a­cher 4. Aufl. § 50 Rn. 21). Strei­ten die Par­tei­en ge­ra­de über die Exis­tenz oder die Par­teifähig­keit ei­nes Pro­zess­be­tei­lig­ten oder über die sich aus de­ren Erlöschen er­ge­ben­den Fol­gen, ist die Par­teifähig­keit als Pro­zess­vor­aus­set­zung zu un­ter­stel­len (BAG 24. Ju­ni 2004 - 2 AZR 215/03 - zu B I 1 b der Gründe; 31. Au­gust 1983 - 4 AZR 104/81 -; für ei­ne Ge­bietskörper­schaft BGH 21. Ok­to­ber 1971 - II ZR 90/68 - zu A I der Gründe). Das Zi­vil­pro­zess­recht sieht für die Klärung von Rechts­ansprüchen stets ei­nen Pro­zess mit min­des­tens zwei Par­tei­en vor. Dem­ent­spre­chend muss auch die Fra­ge, ob ei­ne der Par­tei­en recht­lich exis­tent ist, in­ter par­tes geklärt wer­den können. An­dern­falls wäre ei­ne mit ma­te­ri­el­ler Rechts­kraft aus­ge­stat­te­te Ent­schei­dung die­ser Fra­ge nicht mög­lich (BAG 24. Ju­ni 2004 - 2 AZR 215/03 - aaO).

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b) Da­nach ist hier die Par­teifähig­keit der Be­klag­ten je­den­falls zu fin­gie­ren. Die Par­tei­en strei­ten über die Rechts­fol­gen der Sch­ließung der Be­klag­ten für ihr Ar­beits­verhält­nis und über die Wirk­sam­keit der in die­sem Zu­sam­men­hang aus­ge­spro­che­nen Kündi­gung. Die­se Fra­gen können ei­ner der ma­te­ri­el­len Rechts­kraft fähi­gen Ent­schei­dung nur zu­geführt wer­den, wenn die Be­klag­te un­abhän-

 

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gig da­von, ob und ggf. in­wie­weit sie gem. § 155 Abs. 1 Satz 2 SGB V wei­ter­hin rechtsfähig ist, als par­teifähig gilt.

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2. Ge­gen die Zulässig­keit der Anträge be­ste­hen kei­ne Be­den­ken. 30

a) Der An­trag zu 1. ist ein all­ge­mei­ner Fest­stel­lungs­an­trag iSv. § 256 Abs. 1 ZPO. In der Sa­che be­gehrt der Kläger die Fest­stel­lung, dass sein Ar­beits­verhält­nis mit der Be­klag­ten über den 30. Ju­ni 2011 hin­aus fort­be­steht. Ob auch ein punk­tu­el­ler, dem Kündi­gungs­schutz­an­trag iSv. § 4 Satz 1 KSchG nach­ge­bil­de­ter An­trag zulässig wäre, be­darf kei­ner Ent­schei­dung (ver­nei­nend BAG 10. No­vem­ber 2011 - 6 AZR 357/10 - Rn. 13, BA­GE 139, 376;
28. No­vem­ber 2007 - 6 AZR 1108/06 - Rn. 15, BA­GE 125, 70)
.

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b) Das auf Sei­ten des Klägers er­for­der­li­che Fest­stel­lungs­in­ter­es­se ist ge­ge­ben.

32

aa) Der An­trag be­trifft den durch die Be­klag­te mit Ver­weis auf ih­re Sch­lie­ßung in Fra­ge ge­stell­ten Be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses und da­mit das Be­ste­hen ei­nes Rechts­verhält­nis­ses im Sin­ne von § 256 Abs. 1 ZPO. Er ist ge­eig­net, den zwi­schen den Par­tei­en be­ste­hen­den Streit um­fas­send zu klären.

33

bb) Der An­trag ist auch nicht le­dig­lich auf die Klärung ei­ner Fra­ge ge­rich­tet, die im Rah­men der Be­gründet­heit des eben­falls ge­stell­ten Kündi­gungs­schutz-an­trags als Vor­fra­ge oh­ne­hin be­ant­wor­tet wer­den müss­te; ein recht­li­ches In­te­res­se an ei­nem ei­genständi­gen Fest­stel­lungs­be­geh­ren wäre an­dern­falls nicht zu er­ken­nen. Zwar kann der Kündi­gungs­schutz­an­trag des Klägers nur Er­folg ha­ben, wenn das Ar­beits­verhält­nis je­den­falls bis zum Ab­lauf der mit der Kündi­gung ver­bun­de­nen Aus­lauf­frist(en) be­stan­den hat. Dies wie­der­um kann po­si­tiv nur fest­ge­stellt wer­den, wenn das Ar­beits­verhält­nis nicht schon am 30. Ju­ni 2011 durch Sch­ließung ge­en­det hat. Das ist folg­lich auch im Rah­men des Kün-di­gungs­schutz­an­trags zu prüfen. Je­doch ist hier der all­ge­mei­ne Fest­stel­lungs­an­trag als Haupt-, der Kündi­gungs­schutz­an­trag als un­ech­ter Hilfs­an­trag ge­stellt wor­den. In die­sem Fall kann ein Fest­stel­lungs­in­ter­es­se nach § 256 Abs. 1 ZPO für den Haupt­an­trag nicht mit der Erwägung ver­neint wer­den, der mit ihm an­ge-

 

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grif­fe­ne Auflösungs­tat­be­stand sei auch im Rah­men des - mögli­cher­wei­se gar nicht zu be­schei­den­den - Hilfs­an­trags zu über­prüfen.

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II. Die Kla­ge ist be­gründet. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat zu Recht an­ge­nom­men, das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en sei we­der auf­grund der Sch­ließung der Be­klag­ten noch durch die außer­or­dent­li­che(n) Kündi­gung(en) vom 19. Mai 2011 be­en­det wor­den.

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1. Die Anträge sind nicht des­halb un­be­gründet, weil die Par­tei­en für die Zeit vom 1. Ju­li 2011 bis zum 30. Ju­ni 2012 ei­nen be­fris­te­ten Ar­beits­ver­trag ge­schlos­sen und die­sen später zu­min­dest bis zum 31. De­zem­ber 2012 verlän­gert ha­ben. Da­mit ha­ben sie we­der ihr un­be­fris­te­tes Ar­beits­verhält­nis mit Wir­kung zum 30. Ju­ni 2011 - kon­klu­dent - auf­ge­ho­ben, noch hat der Kläger auf sein Recht ver­zich­tet, den Fort­be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses über den 30. Ju­ni bzw. 31. De­zem­ber 2011 hin­aus gel­tend zu ma­chen. Eben­so we­nig kann - um­ge­kehrt - da­von aus­ge­gan­gen wer­den, die Par­tei­en hätten sich mit den Be­fris­tungs­ab­re­den zu­gleich über ei­ne ein­ver­nehm­li­che Fort­set­zung ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses über den Sch­ließungs­zeit­punkt bzw. die Kündi­gungs­ter­mi­ne hin­aus verständi­gen wol­len, so dass der Kla­ge schon aus die­sem Grund statt­zu­ge­ben wäre. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat an­ge­nom­men, bei­de Sei­ten sei­en nicht da­von aus­ge­gan­gen, dass das be­fris­te­te Ar­beits­verhält­nis ein ggf. zwi­schen ih­nen be­ste­hen­des un­be­fris­te­tes Ar­beits­verhält­nis ablösen soll­te. Ge­gen die­se Würdi­gung wen­det sich die Re­vi­si­on nicht. Ein Rechts­feh­ler ist in­so­weit nicht zu er­ken­nen.

36

2. Die Kla­ge ist auch nicht des­halb - zu­min­dest teil­wei­se - un­be­gründet, weil dem Kläger mit der Per­so­nalüber­lei­tungs­ver­ein­ba­rung vom 21. Ju­ni 1995 für den Fall der Sch­ließung/Auflösung der Be­klag­ten ein „Rück­kehr­recht“ zur Stadt H ein­geräumt wur­de und er - den Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts zu­fol­ge - von die­ser Zu­sa­ge Ge­brauch ge­macht hat. Zum ei­nen kann der Ver­ein­ba­rung nicht ent­nom­men wer­den, die In­an­spruch­nah­me des Rechts füh­re oh­ne Wei­te­res zur Be­en­di­gung ei­nes mit der Be­klag­ten ggf. noch fort­bes­te­hen­den un­be­fris­te­ten Ar­beits­verhält­nis­ses. Zum an­de­ren kann an­ge­sichts der Mit­tei­lun­gen der Be­klag­ten im Schrei­ben vom 9. Mai 2011 nicht da­von aus­ge-

 

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gan­gen wer­den, der Kläger sei schon vor dem Aus­lau­fen sei­ner be­fris­te­ten Ver­träge tatsächlich in ein Dienst­verhält­nis zur Stadt H „zurück­ge­kehrt“. Das sieht die Be­klag­te of­fen­bar selbst nicht an­ders. Sie be­ruft sich für ei­ne Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses der Par­tei­en nicht et­wa auf die dem Kläger er­teil­te Rück­kehr­zu­sa­ge.

37

3. Das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en hat nicht da­durch am 30. Ju­ni 2011 ge­en­det, dass die Be­klag­te zu die­sem Zeit­punkt we­gen ih­rer Sch­ließung nach § 153 SGB V er­lo­schen und da­mit als Ar­beit­ge­be­rin ip­so iu­re weg­ge­fal­len wäre.

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a) Wird ei­ne Be­triebs­kran­ken­kas­se gem. § 153 SGB V ge­schlos­sen, ver­liert sie ih­re recht­li­che Exis­tenz als mit öffent­lich-recht­li­chen Be­fug­nis­sen aus­ge­stat­te­ter So­zi­al­ver­si­che­rungs­träger iSv. § 4 Abs. 1, Abs. 2 SGB V (vgl. Kraus­kopf/Bai­er SGB V <Stand März 2012> § 155 Rn. 2). Des­halb en­den so­wohl die Mit­glied­schafts­verhält­nis­se als auch die Ämter der Selbst­ver­wal­tungs­or­ga­ne, et­wa des Ver­wal­tungs­rats (vgl. Be­cker/Kin­green/Mühl­hau­sen SGB V 3. Aufl. § 155 Rn. 12; Kraus­kopf/Bai­er SGB V <Stand März 2012> § 155 aaO; LPK-SGB V/Hänlein 4. Aufl. § 155 Rn. 4). Dies führt je­doch nicht zum so­for­ti­gen Ver­lust ih­rer Rechts­persönlich­keit als sol­cher. Gemäß § 155 Abs. 1 Satz 2 SGB V gilt die Be­triebs­kran­ken­kas­se viel­mehr als fort­be­ste­hend, so­weit es der Zweck der Ab­wick­lung er­for­dert. In die­sem Rah­men ist sie un­ein­ge­schränkt hand­lungsfähig und kann bei­spiels­wei­se, wenn die­ser Zweck es ver­langt, auch neue Ar­beits­verhält­nis­se be­gründen (Be­cker/Kin­green/Mühl­hau­sen aaO Rn. 13, 14; Hänlein aaO Rn. 5; Kraus­kopf/Bai­er aaO Rn. 5). Erst mit vollständi­gem Ab­schluss der Ab­wick­lung geht sie endgültig un­ter (vgl. LPK-SGB V/Hänlein 4. Aufl. § 155 Rn. 2).

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aa) Be­reits der Wort­laut des § 155 Abs. 1 Satz 2 SGB V macht deut­lich, dass die Sch­ließung der Be­triebs­kran­ken­kas­se nicht ih­ren so­for­ti­gen Un­ter­gang als Rechts­sub­jekt zur Fol­ge hat. Die Vor­schrift geht er­sicht­lich da­von aus, dass es nach der Sch­ließung noch der Ab­wick­lung der Kas­se be­darf. Sie fin­giert zu die­sem Zweck den Fort­be­stand der ju­ris­ti­schen Per­son und da­mit ih­re Fähig­keit, in die­sem auf die Ab­wick­lung be­schränk­ten Rah­men wei­ter­hin Träger von Rech­ten und Pflich­ten zu sein. Of­fen­kun­dig geht der Ge­setz­ge­ber da­von aus,

 

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dass der­je­ni­ge Recht­sträger, der die Ab­wick­lungs­auf­ga­ben wahr­nimmt, mit dem ursprüng­li­chen iden­tisch ist. An­dern­falls könn­te von ei­nem „Fort­be­ste­hen“ nicht die Re­de sein (vgl. Rolfs GuP 2013, 8, 11; dens. NZA 2013, 529, 532; Kraus­kopf/Bai­er SGB V <Stand März 2012> § 155 Rn. 5). Die Auf­fas­sung, es ent­ste­he mit der Sch­ließung der Be­triebs­kran­ken­kas­se ei­ne ei­genständi­ge „neue Körper­schaft des öffent­li­chen Rechts in Ab­wick­lung“ (Boh­len-Schöning KrV 2012, 101, 103; ähn­lich Gut­zeit NZS 2012, 361, 365), ist mit dem Ge­set-zes­wort­laut nicht ver­ein­bar (so im Er­geb­nis auch Rolfs NZA 2013, 529, 533; Wol­ter FS Be­p­ler S. 675, 680).

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bb) Auch aus dem Re­ge­lungs­zu­sam­men­hang er­gibt sich, dass der Ge­setz­ge­ber von ei­ner Kon­ti­nuität und Iden­tität der ju­ris­ti­schen Per­son aus­ge­gan­gen ist. Gemäß § 155 Abs. 1 Satz 1 SGB V wi­ckelt der bis­he­ri­ge Vor­stand die Ge­schäfte ab. Er bleibt da­bei bis zur vollständi­gen Ab­wick­lung der Geschäfte im Amt. Die Auf­sichts­behörde be­stellt gem. § 155 Abs. 1 Satz 3 SGB V ei­nen Ab-wick­lungs­vor­stand nur, wenn der al­te Vor­stand nicht mehr tätig wird.

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cc) Der Fort­be­stand der ju­ris­ti­schen Per­son für die Dau­er ih­rer Ab­wick­lung ent­spricht zu­dem Sinn und Zweck von § 155 SGB V. Die Vor­schrift soll die ge­ord­ne­te Be­en­di­gung der be­ste­hen­den Rechts­be­zie­hun­gen und die Erfüllung of­fe­ner Ver­bind­lich­kei­ten ermögli­chen (Hauck/Noftz/En­gel­hard SGB V Bd. 4 <Stand De­zem­ber 2012> K § 155 Rn. 9a). Bei­des setzt vor­aus, dass die ur­sprüng­li­che ju­ris­ti­sche Per­son je­den­falls für die­se Zwe­cke fort­be­steht. An­dern­falls bedürf­te es der Über­tra­gung der ver­blie­be­nen Rechts­verhält­nis­se auf ei­nen an­de­ren Recht­sträger. Ei­nen sol­chen Rechts­akt sieht das Ge­setz nicht vor.

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dd) Die Ent­ste­hungs­ge­schich­te von § 155 SGB V be­legt eben­falls, dass die Be­triebs­kran­ken­kas­se als ju­ris­ti­sche Per­son erst nach ih­rer vollständi­gen Ab­wick­lung er­lischt. Die Vor­schrift wur­de durch Art. 1 des Ge­set­zes zur Struk­tur­re­form im Ge­sund­heits­we­sen (Ge­sund­heits-Re­form­ge­setz - GRG) vom 20. De­zem­ber 1988 (BGBl. I S. 2477) ein­geführt. § 155 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 SGB V ent­spricht der Vorgänger­re­ge­lung in § 301 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 RVO (vgl. BT-Drucks. 11/2237 S. 211). Nach § 302 Abs. 1 RVO wie­der­um en­de­ten die Ver­trags­verhält­nis­se der An­ge­stell­ten, Ärz­te und Zahnärz­te drei, nach dem

 

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Einführungs­ge­setz zur RVO teil­wei­se zwölf Mo­na­te nach Mit­tei­lung der be­vor­ste­hen­den Sch­ließung, frühes­tens aber im Zeit­punkt der tatsächli­chen Sch­lie­ßung der Be­triebs­kran­ken­kas­se. Dem­ent­spre­chend konn­te die Be­en­di­gung der Ver­trags­verhält­nis­se ggf. auch erst nach der Sch­ließung ein­tre­ten. Sie soll­ten bis zum Zeit­punkt ih­rer Be­en­di­gung nach nor­ma­len Grundsätzen ab­ge­wi­ckelt wer­den (Kühne Kran­ken­ver­si­che­rung 2. Aufl. § 302 RVO Nr. 2; Stier-Som­lo Komm. zur RVO Bd. 1 § 302 Nr. 1). Dar­aus folgt, dass je­den­falls der Ge­setz­ge­ber der RVO nicht da­von aus­ge­gan­gen ist, die Rechts­persönlich­keit ei­ner Be­triebs­kran­ken­kas­se erlösche ip­so iu­re im Zeit­punkt ih­rer Sch­ließung. Dafür, dass der Ge­setz­ge­ber des SGB V dies an­ders ge­se­hen hätte, gibt es kei­nen An­halts­punkt. Im Übri­gen blie­be an­dern­falls un­erklärlich, war­um es ei­ner Re­ge­lung wie der des § 164 Abs. 4 SGB V be­durf­te.

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ee) Auch der zum Ver­gleich her­an­ge­zo­ge­nen Vor­schrift des § 49 Abs. 2 BGB - an die sich der Ge­setz­ge­ber bei der Schaf­fung der Re­ge­lun­gen zur Ab­wick­lung von Be­triebs­kran­ken­kas­sen an­ge­lehnt hat (vgl. Pe­ters in HandB KV Bd. 4 <Stand Fe­bru­ar 1996> § 155 SGB V Rn. 4 un­ter Be­zug­nah­me auf S. 194 der Be­gründung zu § 314 RVO) - ist nicht zu ent­neh­men, dass Ar­beits­verhält­nis­se mit dem Ein­tritt in das Li­qui­da­ti­ons­sta­di­um „au­to­ma­tisch“ ihr En­de fänden. Durch § 49 Abs. 2 BGB wird die Rechtsfähig­keit des Ver­eins nicht bezüglich be­ste­hen­der Rech­te, son­dern al­len­falls für den Er­werb neu­er Rech­te ein­ge­schränkt (BGH 22. März 2011 - IX ZR 373/98 - zu III 2 a aa der Gründe; Wol­ter FS Be­p­ler S. 675, 680). An die Pflich­ten aus ge­gen­sei­ti­gen Verträgen ist der Ver­ein wei­ter­hin so ge­bun­den wie vor dem Ein­tritt in die Li­qui­da­ti­ons­pha­se. Die Künd­bar­keit von Dau­er­schuld­verhält­nis­sen rich­tet sich in die­sem Sta­di­um nach all­ge­mei­nen Grundsätzen (MüKoBGB/Reu­ter 6. Aufl. § 49 Rn. 2 mwN; für die Be­en­di­gung von Ta­rif­verträgen bei Auflösung ei­ner Ta­rif­ver­trags­par­tei vgl. BAG 23. Ja­nu­ar 2008 - 4 AZR 312/01 - Rn. 23, BA­GE 125, 314).

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ff) Die­se Grundsätze gel­ten nicht nur für die Be­triebs­kran­ken­kas­sen pri­vat­recht­li­cher Ar­beit­ge­ber, son­dern auch für die Be­triebs­kran­ken­kas­sen öffent­lich-recht­li­cher Ver­wal­tun­gen (§ 156 SGB V). Bei­de un­ter­lie­gen den­sel­ben Re­geln. § 156 SGB V be­stimmt, dass die §§ 147 bis 155 Abs. 4 SGB V für Dienst-

 

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be­trie­be von Ver­wal­tun­gen des Bun­des, der Länder, der Ge­mein­de­verbände oder der Ge­mein­den ent­spre­chen­de An­wen­dung fin­den. Es kann des­halb of­fen­blei­ben, ob die Be­klag­te trotz ih­rer Fu­si­on mit den Be­triebs­kran­ken­kas­sen Ba und Be noch die Be­triebs­kran­ken­kas­se ei­ner öffent­lich-recht­li­chen Ver­wal­tung - wie wohl ursprüng­lich - ist.

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gg) Aus dem Um­stand, dass das Amt des Da­ten­schutz­be­auf­trag­ten bei der Fu­si­on von Kran­ken­kas­sen en­det (BAG 29. Sep­tem­ber 2010 - 10 AZR 588/09 - Rn. 22 ff., BA­GE 135, 327), folgt nichts an­de­res. Das Amts­en­de be­ruht auf den Be­son­der­hei­ten des Da­ten­schutz­rechts und der Ver­pflich­tung der aus der Fu­si­on her­vor­ge­gan­ge­nen Kran­ken­kas­se, als „neue“ öffent­li­che Stel­le ei­nen Be­auf­trag­ten für den Da­ten­schutz schrift­lich zu be­stel­len. Im Übri­gen führt die frei­wil­li­ge Ver­ei­ni­gung von Kran­ken­kas­sen nicht et­wa zu ei­ner au­to­ma­ti­schen Be­en­di­gung der mit ih­nen be­gründe­ten Rechts­verhält­nis­se. Gemäß § 144 Abs. 4 SGB V be­ste­hen die­se viel­mehr mit der aus der Fu­si­on her­vor­ge­gan­ge­nen Kas­se fort (vgl. BAG 29. Sep­tem­ber 2010 - 10 AZR 588/09 - Rn. 25, BA­GE 135, 327; BSG 2. De­zem­ber 2004 - B 12 KR 23/04 R - zu 2 a der Gründe; ju­risPK-SGB V/Koch 2. Aufl. <Stand Ju­ni 2012> § 144 Rn. 28).

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b) Zur „Ab­wick­lung der Geschäfte“ iSv. § 155 Abs. 1 Satz 2 SGB V gehört die „Ver­sor­gung“ des Per­so­nals ei­ner geöff­ne­ten Be­triebs­kran­ken­kas­se iSv. § 173 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4 SGB V (Be­cker/Kin­green/Mühl­hau­sen SGB V 3. Aufl. § 155 Rn. 13; Hauck/Noftz/En­gel­hard SGB V Bd. 4 <Stand De­zem­ber 2012> K § 155 Rn. 9). Bei den Ar­beits­verhält­nis­sen der be­trof­fe­nen Mit­ar­bei­ter han­delt es sich um - pri­vat­recht­li­che - Rechts­be­zie­hun­gen, de­ren ord­nungs­gemäßer Be­en­di­gung oder Über­lei­tung die Vor­schrift dient. Da­bei kommt es nicht dar­auf an, ob der ein­zel­ne Ar­beit­neh­mer für die Durchführung der Ab­wick­lungs­ar­bei­ten benötigt wird oder nicht (aA Gut­zeit NZS 2012, 361, 365). Bei den Re­ge­lun­gen in § 301, § 302 Abs. 1 RVO ging der Ge­setz­ge­ber da­von aus, dass ggf. sämt­li­che Ar­beits­verhält­nis­se über den Zeit­punkt der Sch­ließung hin­aus fort­bestän­den. § 301 RVO war nicht auf die Ver­trags­verhält­nis­se von Mit­ar­bei­tern be­schränkt, die für die Ab­wick­lung benötigt wur­den. Dass der Ge­setz­ge­ber des SGB V ei­ne sol­che Dif­fe­ren­zie­rung hätte einführen wol­len, ist nicht er­kenn­bar.

 

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4. Das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en hat nicht mit Ab­lauf des 30. Ju­ni 2011 kraft Ge­set­zes nach § 155 Abs. 4 Satz 9 iVm. § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V ge­en­det. Es war zum Sch­ließungs­zeit­punkt gem. § 20 Abs. 1 MTV or­dent­lich nicht mehr künd­bar. Bei sach­ge­rech­tem Verständ­nis der Re­ge­lun­gen in § 155 Abs. 4 Satz 9 iVm. § 164 Abs. 3, Abs. 4 SGB V hätte es des­halb al­len­falls bei Ab­leh­nung ei­nes den Vor­ga­ben des § 164 Abs. 3 Satz 4 SGB V genügen­den An­ge­bots ge­en­det. Die­se Vor­aus­set­zung ist im Streit­fall nicht erfüllt. Die Be­klag­te hat nicht aus­rei­chend dar­ge­tan, dass dem Kläger ein ent­spre­chen­des An­ge­bot un­ter­brei­tet wor­den wäre. Das geht zu ih­ren Las­ten.

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a) Die Ab­wick­lung der Geschäfte ei­ner von der Auf­sichts­behörde ge­schlos­se­nen Be­triebs­kran­ken­kas­se rich­tet sich nach § 155 SGB V. Gemäß § 155 Abs. 4 Satz 9 SGB V gilt - je­den­falls nach Sch­ließung ei­ner iSv. § 173 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4 SGB V für Be­triebs­frem­de geöff­ne­ten Be­triebs­kran­ken­kas­se - § 164 Abs. 2 bis 4 SGB V ent­spre­chend. Al­ler­dings gilt § 164 Abs. 3 Satz 3 SGB V nur für Beschäftig­te, de­ren Ar­beits­verhält­nis nicht durch or­dent­li­che Kündi­gung be­en­det wer­den kann. Da der Kläger zu die­sem Per­so­nen­kreis zählt, kommt es im Streit­fall auf die ge­setz­li­che Ein­schränkung nicht an. 49
b) Nach § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V en­den die Ver­trags­verhält­nis­se der Beschäftig­ten von In­nungs­kran­ken­kas­sen, die nicht nach Abs. 3 der Re­ge­lung un­ter­ge­bracht wer­den, mit dem Tag der Auflösung oder Sch­ließung der Kas­se. Ver­trags­gemäße Rech­te, zu ei­nem frühe­ren Zeit­punkt zu kündi­gen, blei­ben nach § 164 Abs. 4 Satz 2 SGB V un­berührt. 50
aa) Gemäß § 164 Abs. 3 Satz 1 SGB V sind die Dienst­ord­nungs­an­ge­stell­ten ver­pflich­tet, ei­ne vom Lan­des­ver­band der In­nungs­kran­ken­kas­sen nach­ge­wie­se­ne dienst­ord­nungsmäßige Stel­lung bei ihm oder ei­ner an­de­ren In­nungs­kran­ken­kas­se an­zu­tre­ten, wenn die Stel­lung nicht in auffälli­gem Miss­verhält­nis zu den Fähig­kei­ten der An­ge­stell­ten steht. 51
bb) Den übri­gen Beschäftig­ten ist nach § 164 Abs. 3 Satz 3 SGB V bei dem Lan­des­ver­band der In­nungs­kran­ken­kas­sen oder ei­ner an­de­ren In­nungs­kran-

 

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ken­kas­se ei­ne Stel­lung an­zu­bie­ten, die ih­nen un­ter Berück­sich­ti­gung ih­rer Fä­hig­kei­ten und bis­he­ri­gen Dienst­stel­lung zu­zu­mu­ten ist.

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cc) In § 164 Abs. 3 Satz 4 SGB V ist be­stimmt, dass je­de In­nungs­kran­ken­kas­se ver­pflich­tet ist, ent­spre­chend ih­rem An­teil an der Zahl der Ver­si­cher­ten al­ler In­nungs­kran­ken­kas­sen „dienst­ord­nungsmäßige Stel­lun­gen“ nach Satz 1 nach­zu­wei­sen und „An­stel­lun­gen“ nach Satz 3 an­zu­bie­ten; die Nach­wei­se und An­ge­bo­te sind den Beschäftig­ten in ge­eig­ne­ter Form zugäng­lich zu ma­chen. 53
c) Die Be­en­di­gung der Ar­beits­verhält­nis­se mit Sch­ließung der Kas­se tritt nur ein, wenn den Be­trof­fe­nen bei dem Lan­des­ver­band der Be­triebs­kran­ken­kas­sen oder ei­ner Be­triebs­kran­ken­kas­se ei­ne Stel­lung an­ge­bo­ten wur­de, die den Vor­ga­ben des § 164 Abs. 3 SGB V genügt, und sie ein sol­ches An­ge­bot ab­ge­lehnt ha­ben. Nur in ei­nem sol­chen Fall sind sie iSv. § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V „nicht un­ter­ge­bracht“ wor­den. Das er­gibt die Aus­le­gung. 54
aa) Im Schrift­tum wer­den die Re­ge­lun­gen in § 155 Abs. 4 Satz 9 iVm. § 164 Abs. 4 Satz 1, Abs. 3 Satz 3 SGB V in­so­weit un­ein­heit­lich in­ter­pre­tiert. 55
(1) Zum Teil wird an­ge­nom­men, das Ar­beits­verhält­nis en­de, wenn ei­ne Wei­ter­beschäfti­gung tatsächlich nicht er­fol­ge. Die Vor­schrift un­ter­schei­de nicht da­nach, ob und aus wel­chen Gründen es an ei­ner An­schluss­beschäfti­gung feh­le. Sie knüpfe le­dig­lich an die­ses Fak­tum an (En­gel­hard in Hauck/Noftz SGB V Bd. 4 <Stand Fe­bru­ar 2011> K § 164 Rn. 36, 37; Pe­ters in HandB KV Bd. 2 <Stand Fe­bru­ar 1996> § 164 SGB V Rn. 12; Grau/Sit­tard KrV 2012, 6, 8; wohl auch Boh­len-Schöning KrV 2011, 85, 87; Hänlein in LPK-SGB V 4. Aufl. § 164 Rn. 9). 56

(2) Über­wie­gend wird die An­sicht ver­tre­ten, den Beschäftig­ten müsse er­ 57
folg­los ei­ne zu­mut­ba­re Un­ter­brin­gung nach § 164 Abs. 3 SGB V an­ge­bo­ten wor­den sein, um die Fol­ge ei­ner Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses nach § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V aus­zulösen. Das Ar­beits­verhält­nis en­de al­len­falls bei Ab­leh­nung der Wei­ter­beschäfti­gung auf ei­ner sol­chen Stel­le (Klim­pe-Au­er­bach So­zSich 2011, 270, 272; Rolfs GuP 2013, 8, 9; ders. NZA 2013, 529,

 

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531; Wol­ter FS Be­p­ler S. 675, 677; Da­li­chau SGB V Bd. 3 <Stand 1. De­zem­ber 2012> § 155 S. 21; ders. SGB V Bd. 3 <Stand 1. Ju­li 2009> § 164 S. 11; Széke­ly in Brall/Kersch­bau­mer/Scheer/Wes­ter­mann §§ 146a, 153, 155, 163, 164, 170, 171 SGB V Rn. 10; wohl auch Kraus­kopf/Bai­er Soz­KV Bd. 2 <Stand März 2012> § 164 SGB V Rn. 22).

57

bb) Die zu­letzt ge­nann­te Auf­fas­sung trifft im Er­geb­nis zu.

58

(1) Der Wort­laut des § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V ist für die zu be­ant­wor­ten­de Fra­ge al­ler­dings we­nig er­gie­big. Dass die Ver­trags­verhält­nis­se der Beschäf­tig­ten, „die nicht nach § 164 Abs. 3 SGB V un­ter­ge­bracht wer­den“, mit dem Tag der Sch­ließung der Kas­se en­den, lässt of­fen, ob nur die Ar­beits­verhält­nis­se der Beschäftig­ten en­den sol­len, de­nen ein An­ge­bot iSv. § 164 Abs. 3 SGB V er­folg­los un­ter­brei­tet wor­den ist, oder auch die der­je­ni­gen, die ein sol­ches An­ge­bot nicht er­hal­ten ha­ben. Es ist sprach­lich nicht aus­ge­schlos­sen, ei­nen Beschäftig­ten auch dann als „nicht un­ter­ge­bracht“ an­zu­se­hen, wenn ihm ei­ne Un­ter­brin­gung gar nicht oder nicht zu­mut­bar an­ge­bo­ten wur­de. Der Wort­sinn gibt bei­des her (so auch Wol­ter FS Be­p­ler S. 675, 677).

59

(2) Schon der sys­te­ma­ti­sche Zu­sam­men­hang von Ab­satz 3 und Ab­satz 4 des § 164 SGB V spricht aber dafür, dass ei­ne Be­en­di­gung der Ar­beits­verhält­nis­se auf­grund Ge­set­zes nur dann ein­tre­ten soll, wenn dem Beschäftig­ten zu­vor ei­ne zu­mut­ba­re an­der­wei­ti­ge Stel­lung er­folg­los an­ge­bo­ten wor­den ist.

60

(a) § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V nimmt auf Ab­satz 3 der Vor­schrift Be­zug. Die Re­ge­lun­gen ste­hen in ei­nem un­trenn­ba­ren Zu­sam­men­hang. Nur die Ver-trags-verhält­nis­se der­je­ni­gen Beschäftig­ten, „die nicht nach Ab­satz 3 un­ter­ge­bracht wer­den“, en­den mit dem Tag der Sch­ließung.

61

(b) § 164 Abs. 3 Satz 4 SGB V ver­pflich­tet al­le Kas­sen, ent­spre­chend der An­zahl ih­rer Ver­si­cher­ten „An­stel­lun­gen nach Satz 3 an­zu­bie­ten“. Im Wort­laut des Ge­set­zes fin­det sich da­bei kein An­halts­punkt für die An­nah­me, es könn­ten sich ein­zel­ne Kas­sen un­ter be­stimm­ten Vor­aus­set­zun­gen wei­gern, Per­so­nal - über­stei­ge dies auch ih­ren Be­darf - auf­zu­neh­men (vgl. Boh­len-Schöning

 

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KrV 2011, 85, 87 mwN). Die Ge­set­zes­be­gründung spricht für das Ge­gen­teil. Mit § 164 Abs. 3 Satz 4 SGB V soll­te der Ver­tei­lungs­mo­dus für Wei­ter­beschäfti-gungs­an­ge­bo­te un­ter den Kas­sen ge­re­gelt wer­den. We­gen des zu­neh­men­den Wett­be­werbs auch zwi­schen Kran­ken­kas­sen der­sel­ben Kas­sen­art könne nicht da­von aus­ge­gan­gen wer­den, dass die­se über ein aus­rei­chen­des Selbst­or­ga­ni-sa­ti­ons­po­ten­ti­al verfügten, um den Beschäftig­ten ei­ner behörd­lich ge­schlos­se­nen Kas­se Ar­beits­platz­an­ge­bo­te in aus­rei­chen­der Zahl zu­kom­men zu las­sen (BT-Drucks. 16/9559 S. 19). Der Ge­setz­ge­ber hat folg­lich die mögli­che Über­for­de­rung ein­zel­ner Kas­sen durch­aus er­kannt und berück­sich­tigt (vgl. Mühl­hau-sen in Be­cker/Kin­green SGB V 3. Aufl. § 164 Rn. 15; Klim­pe-Au­er­bach So­zSich 2011, 270, 272; Koch in ju­risPK-SGB V 2. Aufl. <Stand 13. Mai 2013> § 164 Rn. 15; wohl auch Bai­er in Kraus­kopf/Bai­er SGB V <Stand März 2012> § 164 Rn. 20). Gleich­wohl hat er in § 164 Abs. 3 Satz 4 SGB V ei­ne Ver­pflich­tung zur An­ge­bots­ab­ga­be vor­ge­se­hen. Für die An­nah­me, die Ver­pflich­tung könne we­gen Über­for­de­rung ein­zel­ner Kas­sen ent­fal­len - wenn auch mit der Fol­ge, dass an ih­re Stel­le ein ver­schul­dens­un­abhängi­ger Scha­den­er­satz­an­spruch des be­trof­fe­nen Beschäftig­ten tre­te (vgl. Grau/Sit­tard KrV 2012, 6, 8) - ist an­ge­sichts des­sen kein Raum (so auch Wol­ter FS Be­p­ler S. 675, 681). Zur Wah­rung ih­rer Wirt­schaft­lich­keit bleibt den Kas­sen nur die Möglich­keit, nach ei­ner Per­so­nal­über­nah­me ggf. An­pas­sungs­maßnah­men mit den Mit­teln des Ver­trags- und des Kündi­gungs­rechts vor­zu­neh­men (vgl. Boh­len-Schöning KrV 2011, 85, 87).

62

(c) Ist da­nach je­dem Beschäftig­ten, des­sen Ar­beits­verhält­nis or­dent­lich unkünd­bar ist, zwin­gend ein zu­mut­ba­res An­stel­lungs­an­ge­bot zu un­ter­brei­ten, spricht dies an­ge­sichts der Ver­knüpfung zwi­schen Abs. 3 und Abs. 4 des § 164 SGB V für ein Verständ­nis, dem­zu­fol­ge Beschäftig­te nur dann „nicht un­ter­ge­bracht wer­den“, wenn sie ein sol­ches An­ge­bot zwar be­kom­men, aber ab­ge­lehnt ha­ben. Da­zu, dass Beschäftig­te „nicht un­ter­ge­bracht wer­den“, kann es an­ge­sichts des An­ge­bots­zwangs ty­pi­scher­wei­se nur kom­men, wenn die­se sich wei­gern, un­ter­ge­bracht zu wer­den.

63

(3) Die Rich­tig­keit die­ses Verständ­nis­ses folgt fer­ner aus Sinn und Zweck der Re­ge­lun­gen in § 155 Abs. 4 Satz 9, § 164 Abs. 2 bis 4 SGB V.

 

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(a) Die Be­stim­mun­gen in § 164 Abs. 2 bis 4 SGB V (vor­mals § 173 Abs. 2 bis 4 SGB V idF des GRG vom 20. De­zem­ber 1988, BGBl. I S. 2477) tra­gen nach dem Wil­len des Ge­setz­ge­bers den In­ter­es­sen des von der Auflösung oder Sch­ließung ei­ner In­nungs­kran­ken­kas­se be­trof­fe­nen Per­so­nals Rech­nung. Es soll ei­ne Über­nah­me der Beschäftig­ten zu den­sel­ben oder min­des­tens gleich­wer­ti­gen Be­din­gun­gen er­fol­gen. Nur in Fällen, in de­nen ei­ne Wei­ter­beschäfti­gung nicht möglich ist, sol­len die Ver­trags­verhält­nis­se en­den (vgl. die Be­grün­dung zu § 173 Abs. 3 bis 5 des Ent­wurfs, BT-Drucks. 11/2237 S. 212). „Nicht möglich“ ist die Wei­ter­beschäfti­gung mit Blick auf die nach § 164 Abs. 3 Satz 3 (vor­mals § 173 Abs. 3 Satz 3) SGB V be­ste­hen­de An­ge­bots­ver­pflich­tung aber nur, wenn der Beschäftig­te ei­ne ent­spre­chen­de Of­fer­te aus­ge­schla­gen hat.

65

(b) Die­sen Ge­dan­ken hat der Ge­setz­ge­ber bei der Einfügung des § 155 Abs. 4 Satz 9 SGB V durch das Ge­setz zur Wei­ter­ent­wick­lung der Or­ga­ni­sa­ti­ons­struk­tu­ren in der ge­setz­li­chen Kran­ken­ver­si­che­rung (GKV-OrgWG) im Jahr 2008 auf­ge­grif­fen. Durch die ent­spre­chen­de An­wen­dung von § 164 Abs. 2 bis 4 SGB V soll­ten auch im Be­reich der Be­triebs­kran­ken­kas­sen die Beschäfti­gungs­ansprüche der Dienst­ord­nungs­an­ge­stell­ten - die es bei die­sen Kas­sen al­ler­dings gar nicht gibt - und die der übri­gen Beschäftig­ten in unkünd­ba­rer Stel­lung in­so­fern ge­si­chert wer­den, als ih­nen bei den an­de­ren Be­triebs­kran­ken­kas­sen ei­ne ih­rer bis­he­ri­gen Stel­lung ent­spre­chen­de Stel­le an­zu­bie­ten ist - so wie dies ne­ben den In­nungs- auch für die Orts­kran­ken­kas­sen und ge­ne­rell als Fol­ge von kas­sen­ar­ten-überg­rei­fen­den Fu­sio­nen in § 171a SGB V be­reits ge­re­gelt war (BT-Drucks. 16/9559 S. 19). Von ei­ner „Si­che­rung der Ansprüche“ könn­te schwer­lich die Re­de sein, wenn auch oh­ne Erfüllung die­ser Ver­pflich­tung aus § 164 Abs. 3 Satz 3 SGB V die Ar­beits­verhält­nis­se im Sch­ließungs­zeit­punkt nach § 155 Abs. 4 Satz 9 iVm. § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V en­de­ten.

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(c) Die Ge­set­zes­ma­te­ria­li­en ent­hal­ten kei­ne An­halts­punk­te dafür, dass gleich­wohl al­le Ver­trags­verhält­nis­se un­abhängig von ei­ner Erfüllung des Un­ter­brin­gungs­an­spruchs im Zeit­punkt der Sch­ließung aus­lau­fen soll­ten, et­wa um der behörd­lich ge­schlos­se­nen Kas­se Pla­nungs­si­cher­heit in der Ab­wick­lungs-pha­se zu ge­ben oder die Leis­tungsfähig­keit des Kas­sen­ver­bunds nicht zu ge-

 

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fähr­den (eben­so Rolfs GuP 2013, 8, 9 f., 12 und NZA 2013, 529, 531; aA Grau/ Sit­tard KrV 2012, 6, 19; Gut­zeit NZS 2012, 361, 366 und NZS 2012, 410, 413 f.). Bei ei­nem sol­chen Re­ge­lungs­ziel blie­be über­dies un­klar, war­um § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V über­haupt dar­auf ab­stellt, ob die Beschäftig­ten „un­ter­ge­bracht wer­den“. Es hätte dann näher ge­le­gen, vor­aus­set­zungs­los die Be­en­di­gung al­ler Ar­beits­verhält­nis­se zum Sch­ließungs­zeit­punkt vor­zu­se­hen. Im Übri­gen wäre die Leis­tungsfähig­keit der Kas­sen an­ge­sichts der Haf­tungs­re­ge­lun­gen in § 155 Abs. 4 SGB V auch dann be­trof­fen, wenn den Ar­beit­neh­mern - wie im Schrift­tum vor­ge­schla­gen - bei Nich­terfüllung der Pflicht zur Ab­ga­be ei­nes zu­mut­ba­ren An­ge­bots Scha­den­er­satz­ansprüche zu­zu­bil­li­gen wären. Der Ein­wand, wenn der Ge­setz­ge­ber die Un­ter­brei­tung ei­nes An­ge­bots vor­aus­ge­setzt hätte, hätte er sprach­lich eben­so leicht ei­ne Be­en­di­gung der Ar­beits­verhält­nis­se auf die­je­ni­gen Ar­beit­neh­mer be­schränken können, die ein zu­mut­ba­res Stel­len­an­ge­bot nicht annähmen, trägt dem­ge­genüber nicht. Die For­mu­lie­rung in § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V soll er­sicht­lich bei­de Al­ter­na­ti­ven des Un­ter­brin­gungs­ver­fah­rens nach § 164 Abs. 3 SGB V er­fas­sen: den Nach­weis ei­ner „dienst­ord­nungsmäßigen Stel­lung“ ge­genüber Dienst­ord­nungs­an­ge­stell­ten - die die­se an­zu­neh­men ver­pflich­tet sind - nach den Sätzen 1 und 2 der Be­stim­mung und das An­ge­bot ei­ner „Stel­lung“ ge­genüber den übri­gen Ar­beit­neh­mern nach Satz 3. Auf die ers­te Al­ter­na­ti­ve passt aber die hy­po­the­ti­sche For­mu­lie­rung nicht.

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(d) Die an­de­re Les­art von § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V ist auch nicht des­ halb ge­bo­ten, weil der Ge­setz­ge­ber die An­re­gung des BKK-Bun­des­ver­bands in des­sen Stel­lung­nah­me zum GKV-OrgWG nicht auf­ge­grif­fen hat, die Re­ge­lung eben da­hin zu fas­sen, dass die Be­en­di­gung nur ein­tre­te, wenn ei­ne Beschäfti­gung nach § 164 Abs. 3 SGB V ab­ge­lehnt wer­de (Aus­schuss­drucks. 16(14)0410(30) vom 17. Sep­tem­ber 2008 S. 3). Nach dem ei­ge­nen Be­kun­den des Ver­bands soll­te dies le­dig­lich der Klar­stel­lung die­nen, nicht aber ei­ne sach­li­che Ände­rung der ge­setz­li­chen Be­stim­mung be­wir­ken.

68

(e) Die Ver­pflich­tung zur Un­ter­brin­gung ist zu­dem Aus­druck des Um­stands, dass die Sch­ließung bei kas­senüberg­rei­fen­der Be­trach­tung nicht zum Weg­fall

 

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des Beschäfti­gungs­be­darfs führt. Die Ver­si­che­rungs­verträge der bei der ge­schlos­se­nen Kas­se ver­si­cher­ten Per­so­nen müssen „im Sys­tem“ der ge­setz­li­chen Kran­ken­kas­sen wei­ter­hin ver­wal­tet wer­den. Dem­ent­spre­chend sieht das Ge­setz auch für an­de­re Fälle von Struk­turände­run­gen im Kas­sen­we­sen un­ab­ding­ba­re Ver­pflich­tun­gen zur Über­nah­me des Per­so­nals vor, so bei frei­wil­li­gen Ver­ei­ni­gun­gen von Kas­sen in § 144 Abs. 4 Satz 2 SGB V, bei Ab­leh­nung der Kos­tenüber­nah­me durch den Ar­beit­ge­ber in § 147 Abs. 2 Satz 4 ff. SGB V und bei der Um­wand­lung der Bun­des­verbände in Ge­sell­schaf­ten des bürger­li­chen Rechts in §§ 212, 213 SGB V.

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(4) Mögli­che prak­ti­sche Schwie­rig­kei­ten bei der Durchführung des Ver­fah­rens zur Un­ter­brin­gung der Beschäftig­ten nach § 164 Abs. 3 Satz 3, Satz 4 SGB V sind nicht ge­eig­net, das Er­geb­nis der Aus­le­gung, die Be­en­di­gung nach § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V set­ze die Un­ter­brei­tung ei­nes zu­mut­ba­ren Stel­len­an­ge­bots vor­aus, in Fra­ge zu stel­len. Sie be­ste­hen un­abhängig da­von, un­ter wel­chen Vor­aus­set­zun­gen die Be­en­di­gung nach § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V ein­tritt, will man nicht an­neh­men, dass Abs. 3 Satz 3 und 4 der Be­stim­mung gar nicht prak­tisch be­ach­tet wer­den muss. Zu­dem hat es die Auf­sichts­behörde bei der Be­stim­mung des Zeit­punkts, zu dem die Sch­ließung wirk­sam wer­den soll, nach § 153 Satz 2 SGB V in der Hand, auf ei­ne ggf. „zeit­kri­ti­sche Di­men­si­on“ (Boh­len-Schöning KrV 2011, 85, 87) des Un­ter­brin­gungs­ver­fah­rens Be­dacht zu neh­men. Durch § 172 SGB V ist fer­ner si­cher­ge­stellt, dass der zuständi­ge Lan­des­ver­band von der dro­hen­den Sch­ließung Kennt­nis er­langt. Er kann da­mit recht­zei­tig ge­eig­ne­te Vor­keh­run­gen mit Blick auf die Ver­pflich­tun­gen aus § 164 Abs. 3 SGB V tref­fen. Im Übri­gen wäre auch der - von der Be­klag­ten fa­vo­ri­sier­te - Weg, bei Nich­terfüllung der Ver­pflich­tung zur Un­ter­brei­tung von Stel­len­an­ge­bo­ten zwar die Be­en­di­gung der Ar­beits­verhält­nis­se, aber zu­gleich die Ent­ste­hung von Scha­den­er­satz­ansprüchen an­zu­neh­men, mit ähn­li­chen Schwie­rig­kei­ten ver­bun­den. So wäre ins­be­son­de­re frag­lich, ge­gen wen sich der An­spruch rich­ten soll und wie sich ein Scha­den be­misst. Die da­mit ver­bun­de­nen Ri­si­ken müss­te der Ar­beit­neh­mer tra­gen, ob­wohl nach dem Wil­len des Ge­setz­ge­bers „ei­gent­lich“ des­sen tatsächli­che Wei­ter­beschäfti­gung ge­si­chert wer­den soll­te.

 

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(5) An­ge­sichts des­sen kann of­fen­blei­ben, ob nicht mit Blick auf Art. 12 Abs. 1 GG ei­ne ver­fas­sungs­kon­for­me Aus­le­gung in je­dem Fall zu dem Er­geb­nis kom­men müss­te, dass nach § 155 Abs. 4 Satz 9 iVm. § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V ei­ne Be­en­di­gung der or­dent­lich unkünd­ba­ren Ar­beits­verhält­nis­se von Kas­sen­beschäftig­ten nur ein­tre­ten soll, wenn die­se ein iSv. § 164 Abs. 3 Satz 3 SGB V zu­mut­ba­res An­ge­bot zur Wei­ter­beschäfti­gung bei ei­ner an­de­ren Kas­se oder beim zuständi­gen Lan­des­ver­band ab­ge­lehnt ha­ben (vgl. da­zu Bo­em­ke ju­ris­PR-ArbR 38/2012 Anm. 2; dens. ju­ris­PR-ArbR 25/2012 Anm. 4).

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d) Dem Kläger wur­de ein zu­mut­ba­res An­ge­bot iSv. § 164 Abs. 3 Satz 3 SGB V vor Sch­ließung der Be­klag­ten nicht un­ter­brei­tet. Es kann des­halb da­hin­ste­hen, ob die ge­setz­li­che An­ord­nung der Be­en­di­gung von or­dent­lich unkünd­ba­ren Ar­beits­verhält­nis­sen der Kas­sen­beschäftig­ten je­den­falls in sol­chen Fällen ver­fas­sungs­gemäß ist, in de­nen die­se ein zu­mut­ba­res An­ge­bot nicht an­ge­nom­men ha­ben (da­zu Rolfs GuP 2013, 8, 10; ders. NZA 2013, 529, 531, 534 <auch zu den künd­ba­ren Ar­beit­neh­mern>; Wol­ter FS Be­p­ler S. 675, 686; Gut­zeit NZS 2012, 410, 414: zur ge­ne­rel­len Ver­fas­sungs­kon­for­mität der Re­ge­lun­gen in § 155 Abs. 4 Satz 9, § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V). Zwar wur­de dem Kläger ein Stel­len­an­ge­bot der SBK He un­ter­brei­tet. Die an­ge­bo­te­ne Beschäfti­gung war ihm aber un­ter Berück­sich­ti­gung sei­ner bis­he­ri­gen Dienst­stel­lung und Fähig­kei­ten nicht zu­mut­bar.

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aa) Das Ge­setz legt außer der An­knüpfung an die bis­he­ri­ge Dienst­stel­lung und die Fähig­kei­ten des Beschäftig­ten kei­ne wei­te­ren Kri­te­ri­en für die Be­wer­tung fest, wann ei­ne Stel­lung den Vor­ga­ben des § 164 Abs. 3 Satz 3 SGB V genügt. Nach der Ge­set­zes­be­gründung (vgl. BT-Drucks. 11/2237 S. 212) sind grundsätz­lich sol­che An­ge­bo­te im Sin­ne der Vor­schrift zu­mut­bar, die ei­ne Über­nah­me des Ar­beit­neh­mers durch den Lan­des­ver­band oder ei­ne an­de­re Be­triebs­kran­ken­kas­se „zu den­sel­ben oder min­des­tens gleich­wer­ti­gen Be­din­gun­gen vor­se­hen“. Der Be­griff der „Gleich­wer­tig­keit“ wird nicht wei­ter kon­kre­ti­siert.

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bb) Die Zu­mut­bar­keit ei­nes Stel­len­an­ge­bots kann des­halb nur an­hand ei­nes - am Ge­set­zes­zweck ori­en­tier­ten - Ge­samt­ver­gleichs der bis­he­ri­gen und

 

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der „neu­en“ Ver­trags­be­din­gun­gen be­ur­teilt wer­den. Maßge­bend sind ob­jek­ti­ve Kri­te­ri­en, nicht die sub­jek­ti­ve Einschätzung des Lan­des­ver­bands oder der das An­ge­bot un­ter­brei­ten­den an­de­ren Be­triebs­kran­ken­kas­se. Wie § 164 Abs. 3 Satz 2 SGB V für die Dienst­ord­nungs­an­ge­stell­ten ver­deut­licht, bil­det der Wert der Ar­beits­leis­tung, der sich ins­be­son­de­re in der Vergütung nie­der­schlägt, ein we­sent­li­ches Ver­gleichs­kri­te­ri­um (vgl. BAG 23. Au­gust 1995 - 5 AZR 942/93 - zu III 1 b aa der Gründe, BA­GE 80, 343). Vergütungs­un­ter­schie­de zwi­schen bis­her aus­geübter und an­ge­bo­te­ner Tätig­keit sind des­halb auch im Rah­men von § 164 Abs. 3 Satz 3 SGB V abwägungs­re­le­vant (vgl. Grau/Sit­tard KrV 2012, 6, 7). Erhält der Ar­beit­neh­mer ein Ta­rif­ge­halt, ist im Re­gel­fall da­von aus­zu­ge­hen, dass die Zu­wei­sung ei­ner Tätig­keit, die zu ei­ner Ein­grup­pie­rung in die glei­che Vergütungs­grup­pe des­sel­ben Ta­rif­ver­trags führt, dem Gleich­wer­tig-keits­ge­bot ent­spricht. Um­ge­kehrt muss ein An­ge­bot nicht schon dann un­zu­mut­bar sein, wenn es über­haupt zu Vergütungs­dif­fe­ren­zen kommt. Sol­che Un­ter­schie­de können sich aus ei­ner Ab­wei­chung der in der auf­neh­men­den Kas­se gel­ten­den Ta­rif­kon­di­tio­nen er­ge­ben, oh­ne dass hier­durch die Gleich­wer­tig­keit der Tätig­keit zwin­gend in Fra­ge ge­stellt würde. Weil Beschäftig­ten in unkünd­ba­ren Ar­beits­verhält­nis­sen al­ler­dings fi­nan­zi­el­le Ein­bußen - an­ders als den Dienst­ord­nungs­an­ge­stell­ten nach § 164 Abs. 3 Satz 2 SGB V - nicht aus­zu­g­lei­chen sind, können er­heb­li­che Vergütungs­un­ter­schie­de die Un­zu­mut­bar­keit des Stel­len­an­ge­bots be­gründen (Grau/Sit­tard aaO; sie­he auch Rolfs GuP 2013, 8, 10, der fi­nan­zi­el­le Ein­bußen bis zu ei­ner Ge­halts­stu­fe für zu­mut­bar hält). In je­dem Fall ist - wie die Re­ge­lung in § 164 Abs. 3 Satz 1 SGB V ver­deut­licht - die Gren­ze des Zu­mut­ba­ren über­schrit­ten, wenn die an­ge­bo­te­ne Stel­lung in ei­nem auffälli­gen Miss­verhält­nis zu den Fähig­kei­ten des An­ge­stell­ten steht (Bai­er in Kraus­kopf/Bai­er SGB V <Stand März 2012> § 164 Rn. 20; Mühl­hau­sen in Be­cker/Kin­green SGB V 3. Aufl. § 164 Rn. 15).

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cc) Da­nach ist die Würdi­gung des Lan­des­ar­beits­ge­richts, die Un­zu­mut­bar­keit der dem Kläger an­ge­tra­ge­nen Wei­ter­beschäfti­gung wer­de be­reits durch die Vergütungs­dif­fe­renz zwi­schen bis­he­ri­ger und an­ge­bo­te­ner Tätig­keit in­di­ziert, re­vi­si­ons­recht­lich nicht zu be­an­stan­den. Es kann des­halb of­fen­blei­ben, ob ggf. auch ei­ne er­heb­li­che räum­li­che Ver­la­ge­rung des Tätig­keits­orts die Un­zu­mut-

 


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bar­keit des Stel­len­an­ge­bots be­din­gen kann und wel­che Aus­wir­kun­gen es hat, wenn die Mit­tei­lung des Lan­des­ver­bands - wie im Streit­fall - nicht deut­lich macht, dass der so­zia­le Be­sitz­stand des Ar­beit­neh­mers be­ste­hen blei­ben soll (zur Pro­ble­ma­tik vgl. Grau/Sit­tard KrV 2012, 6, 7; Pe­ters in HandB KV Bd. 4 <Stand Fe­bru­ar 1996> § 164 SGB V Rn. 10; Bo­em­ke ju­ris­PR-ArbR 25/2012 Anm. 4).

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(1) Nach den nicht an­ge­grif­fe­nen Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts hätte der Kläger bei An­nah­me des ihm un­ter­brei­te­ten An­ge­bots rund 2.400,00 Eu­ro brut­to mo­nat­lich we­ni­ger ver­dient als im un­be­fris­te­ten Ar­beits­verhält­nis mit der Be­klag­ten. Der Un­ter­schied beträgt et­was mehr als 2/5 sei­nes bis­he­ri­gen Ge­halts. Dies spricht be­reits für sich ge­nom­men für die Un­zu­mut­bar­keit der Of­fer­te. Das gilt um­so mehr, als die Ge­halts­dif­fe­renz auf der Ba­sis der ak­tu­el­len Grund­vergütungs­ta­bel­le der Ta­rif­ge­mein­schaft BKK-Verbände den Un­ter­schieds­be­trag so­gar zwi­schen zwei Vergütungs­grup­pen - gleich wel­cher ta­rif­li­chen Grup­pen und Ge­halts­stu­fen - über­stei­gen dürf­te.

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(2) Die Be­klag­te hat nicht dar­ge­tan, dass die dem Kläger an­ge­tra­ge­ne Stel­lung trotz der er­heb­li­chen Ge­halts­ein­buße zu­mut­bar ge­we­sen wäre. Da sie die Dar­le­gungs- und Be­weis­last für die Zu­mut­bar­keit des Stel­len­an­ge­bots trägt (so auch BAG 21. No­vem­ber 2013 - 2 AZR 474/12 - Rn. 73 f. <Par­al­lel­sa­che>), geht dies zu ih­ren Las­ten.

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(3) Der in dem Schrei­ben des Lan­des­ver­bands vom 13. Mai 2011 ent­hal­te­ne Hin­weis auf ei­ne Stel­lenbörse genügt den Vor­ga­ben des § 164 Abs. 3 Satz 3 SGB V nicht. Die Re­ge­lung stellt auf per­so­na­li­sier­te, in­halt­lich be­stimm­te und an­nah­mefähi­ge An­ge­bo­te ab. Das trifft auf im In­tra­net be­kannt ge­ge­be­ne Be­schäfti­gungsmöglich­kei­ten nicht zu. Ab­ge­se­hen da­von hat die Be­klag­te nicht be­haup­tet, dort sei ei­ne an­der­wei­ti­ge, für den Kläger zu­mut­ba­re Stel­lung an­ge­bo­ten wor­den.

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(4) Auf die be­fris­te­te Wei­ter­beschäfti­gung des Klägers kommt es nicht an. Ei­ne sol­che Beschäfti­gung genügt nicht den An­for­de­run­gen des § 164 Abs. 3 Satz 3 SGB V. Ein An­ge­bot im Sin­ne die­ser Vor­schrift liegt auch nicht in dem

 

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Hin­weis der Be­klag­ten, der Kläger könne von sei­nem Rück­kehr­recht zur Stadt H Ge­brauch ma­chen. Die Re­ge­lun­gen in § 164 Abs. 3 SGB V zie­len nicht auf ei­ne Wei­ter­beschäfti­gung bei ei­nem an­de­ren Ar­beit­ge­ber als ei­ner ge­setz­li­chen Kran­ken­kas­se.

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5. Das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en hat we­der auf­grund der außeror­dent­li­chen Kündi­gung vom 19. Mai 2011 mit Wir­kung zum 30. Ju­ni 2011 noch auf­grund der zeit­gleich erklärten außer­or­dent­li­chen Kündi­gung mit Aus­lauf­frist bis zum 31. De­zem­ber 2011 bzw. „nächst mögli­chen Ter­min“ ge­en­det.

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a) Ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung aus be­trieb­li­chen Gründen ist ge­gen­über ei­nem or­dent­lich künd­ba­ren Ar­beit­neh­mer grundsätz­lich un­wirk­sam. Sie setzt vor­aus, dass dem Ar­beit­ge­ber die Wei­ter­beschäfti­gung bis zum Ab­lauf der Kündi­gungs­frist un­zu­mut­bar ist. Das ist bei ei­ner be­triebs­be­ding­ten Kündi­gung re­gelmäßig nicht der Fall. Dem Ar­beit­ge­ber ist es, wenn ei­ne Wei­ter­beschäfti­gungsmöglich­keit für den Ar­beit­neh­mer aus be­trieb­li­chen Gründen entfällt, selbst im In­sol­venz­fall zu­zu­mu­ten, die Kündi­gungs­frist ein­zu­hal­ten (BAG 24. Ja­nu­ar 2013 - 2 AZR 453/11 - Rn. 22 mwN). Ist die Möglich­keit zur or­dent­li­chen Kündi­gung - wie im Streit­fall - aus­ge­schlos­sen, kann der Ar­beit­ge­ber aber be­rech­tigt sein, ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung mit ei­ner der or­dent­li­chen Kündi­gungs­frist ent­spre­chen­den Aus­lauf­frist zu erklären, wenn er den Ar­beit­neh­mer an­dern­falls trotz Weg­falls der Beschäfti­gungsmöglich­keit noch für er­heb­li­che Zeiträume vergüten müss­te, oh­ne dass dem ei­ne ent­spre­chen­de Ar­beits­leis­tung ge­genüberstünde (BAG 24. Ja­nu­ar 2013 - 2 AZR 453/11 - Rn. 22; 18. März 2010 - 2 AZR 337/08 - Rn. 17).

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b) Da­nach liegt hier ein wich­ti­ger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB iVm. § 20 Abs. 1 MTV nicht vor. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat an­ge­nom­men, die Be­klag­te ha­be im Kündi­gungs­zeit­punkt nicht von ei­nem Weg­fall des Beschäfti­gungs­be­darfs für den Kläger aus­ge­hen dürfen. Ih­rem ei­ge­nen Vor­brin­gen zu­fol­ge ha­be noch Ab­wick­lungs­be­darf be­stan­den. Selbst wenn sich der Beschäfti­gungs­be­darf ins­ge­samt ver­rin­gert ha­ben soll­te, sei die Kündi­gung so­zi­al un­ge­recht­fer­tigt. Es feh­le an jeg­li­chen Ausführun­gen der Be­klag­ten zu ei­ner dann ge­bo­te­nen so­zia­len Aus­wahl. Die­se Würdi­gung lässt kei­nen Rechts­feh­ler er­ken­nen. Auf

 

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der Grund­la­ge der im Be­ru­fungs­ur­teil ge­trof­fe­nen Fest­stel­lun­gen lie­gen nicht ein­mal die Vor­aus­set­zun­gen vor, un­ter de­nen ei­ne or­dent­li­che Kündi­gung iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 KSchG als so­zi­al ge­recht­fer­tigt an­ge­se­hen wer­den könn­te. Um­so we­ni­ger kann ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung - selbst bei Ein­hal­tung ei­ner Aus­lauf­frist - Be­stand ha­ben.

82
D. Als un­ter­le­ge­ne Par­tei hat die Be­klag­te gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kos­ten der Re­vi­si­on zu tra­gen. 83

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