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LAG Düs­sel­dorf, Ur­teil vom 09.12.2020, 12 Sa 554/20

   
Schlagworte: krankheitsbedingte Kündigung, Betriebliches Eingliederungsmanagement, BEM
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Aktenzeichen: 12 Sa 554/20
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 09.12.2020
   
Leitsätze:

1. Berufungsbegründungsfrist: Zum Gegenbeweis des in einem Empfangsbekenntnis angegebenen Zustelldatums des erstinstanzlichen Urteils

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2. Der Arbeitgeber muss gemäß § 167 Abs. 2 SGB IX nach einem durchgeführten bEM erneut ein bEM durchführen, wenn der Arbeitnehmer nach Abschluss des ersten bEM innerhalb eines Jahres erneut länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig wird. Der Abschluss eines bEM ist dabei der Tag "Null" für einen neuen Referenzzeitraum von einem Jahr. Ein "Mindesthaltbarkeitsdatum" hat ein bEM nicht. Eine Begrenzung der rechtlichen Verpflichtung auf eine nur einmalige Durchführung des bEM im Jahreszeitraum des § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen.

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3. Zu den Auswirkungen eines entgegen der rechtlichen Verpflichtung aus § 167 Abs. 2 SGB IX nicht erneut durchgeführten bEM auf die Verhältnismäßigkeitsprüfung einer krankheitsbedingten Kündigung.

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Vorinstanzen: Arbeitsgericht Düsseldorf, 5 Ca 1108/20
   

Lan­des­ar­beits­ge­richt Düssel­dorf, 12 Sa 554/20


Te­nor
  1. Die Be­ru­fung der Be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Düssel­dorf vom 07.07.2020 - 5 Ca 1108/20 - wird zurück­ge­wie­sen.
  2. Die Kos­ten des Be­ru­fungs­ver­fah­rens wer­den der Be­klag­ten auf­er­legt.
  3. Die Re­vi­si­on wird zu­ge­las­sen.
 


T A T B E S T A N D:

1

Die Par­tei­en strei­ten über die Wirk­sam­keit ei­ner or­dent­li­chen krank­heits­be­ding­ten

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Kündi­gung.

2

Der am 15.08.1973 ge­bo­re­ne Kläger war seit dem 16.03.2001 bei der Be­klag­ten, die re­gelmäßig weit mehr als zehn Ar­beit­neh­mer beschäftigt, tätig, zu­letzt als Pro­duk­ti­ons­hel­fer. Sein mo­nat­li­ches Grund­ge­halt be­trug 3.392,12 Eu­ro. Bei ihm ist ein Grad der Be­hin­de­rung (im Fol­gen­den GdB) von je­den­falls 20 fest­ge­stellt.

3

Der Kläger war im Jahr 2010 an 45 Ta­gen, im Jahr 2011 an 90 Ta­gen, im Jahr 2012 an 31 Ta­gen, im Jahr 2013 an 85 Ta­gen, im Jahr 2014 an 40 Ta­gen, im Jahr 2015 an 258 Ta­gen und im Jahr 2016 bis ein­sch­ließlich Ju­li an 213 Ta­gen ar­beits­unfähig er­krankt. Da­durch ent­stan­den Ent­gelt­fort­zah­lungs­kos­ten im Jahr 2010 i.H.v. 4.766,73 Eu­ro, im Jahr 2011 i.H.v. 6.211,71 Eu­ro, im Jahr 2012 i.H.v. 3.799,14 Eu­ro, im Jahr 2013 i.H.v. 8.624,27 Eu­ro, im Jahr 2014 i.H.v. 4.763,32 Eu­ro und im Jahr 2015 i.H.v. 8.888,24 Eu­ro.

4

Ei­ne auf­grund der Sch­ließung ei­nes ex­ter­nen Be­triebs mit 60 Mit­ar­bei­tern auch ge­genüber dem Kläger aus­ge­spro­che­ne be­triebs­be­ding­te Kündi­gung vom 29.05.2015 er­wies sich auf­grund von des­sen Son­derkündi­gungs­schutz als Be­triebs­rat als un­wirk­sam. Mit Schrei­ben vom 26.09.2016 kündig­te die Be­klag­te das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en - auf­grund der da­ma­li­gen Mit­glied­schaft des Klägers im bei ihr ge­bil­de­ten Be­triebs­rat - außer­or­dent­lich krank­heits­be­dingt mit Aus­lauf­frist zum 31.03.2017. Der da­ge­gen ge­rich­te­ten Kündi­gungs­schutz­kla­ge gab das Lan­des­ar­beits­ge­richt Düssel­dorf durch Ur­teil vom 21.09.2017 - 11 Sa 314/17 - statt. In der Be­ru­fungs­be­gründung vom 15.05.2017 hat­te die da­ma­li­ge Pro­zess­be­vollmäch­tig­te des Klägers aus­geführt, dass die Fehl­zei­ten des Klägers auf aus­ge­heil­ten Krank­hei­ten be­ruht hätten und da­her kei­ne ne­ga­ti­ve Ge­sund­heits­pro­gno­se vorläge. We­gen der Ein­zel­hei­ten des Ur­teils wird auf die An­la­ge BR3 zum Schrift­satz der Be­klag­ten vom 26.05.2020 Be­zug ge­nom­men.

5

Im Jahr 2017 war der Kläger vom 02. bis 30.06.2017 an zehn Ar­beits­ta­gen mit und elf Ar­beits­ta­gen oh­ne, vom 16.08.2017 bis 18.08.2017 an drei Ar­beits­ta­gen mit, vom 04.09.2017 bis 15.09.2017 an zehn Ar­beits­ta­gen mit, am 25.10.2017 an ei­nem Ar­beits­tag mit, vom 02.11.2017 bis 03.11.2017 an zwei Ar­beits­ta­gen mit und vom 15.11.2017 bis 17.11.2017 an drei Ar­beits­ta­gen mit Ent­gelt­fort­zah­lung ar­beits­unfähig er­krankt. Bei dem Zeit­raum vom 02.06.2017 bis zum 30.06.2017 han­del­te es sich um ei­ne Ar­beits­unfähig­keit auf­grund ei­nes Ar­beits­un­falls des Klägers (Na­gel­kreuz­frak­tur D 3). Die Ent­gelt­fort­zah­lungs­kos­ten be­lie­fen sich auf ins­ge­samt 2.744,13 Eu­ro.

6

Im Jahr 2018 war der Kläger vom 02.01.2018 bis 12.01.2018 an neun Ar­beits­ta­gen, vom 29.01.2018 bis 08.02.2018 an neun Ar­beits­ta­gen, am 14.02.2018 an ei­nem Ar­beits­tag, vom 26.02.2028 bis 16.03.2018 an 15 Ar­beits­ta­gen, vom 01.06.2018 bis 08.06.2018 an sechs Ar­beits­ta­gen, vom 22.08.2018 bis 16.09.2018 an 18 Ar­beits­ta­gen und vom 19.11.2018 bis 21.11.2018 an drei Ar­beits­ta­gen mit Ent­gelt­fort­zah­lung ar­beits­unfähig er­krankt. Die Ent­gelt­fort­zah­lungs­kos­ten be­lie­fen sich auf ins­ge­samt 9.117,23 Eu­ro.

7

Im Jahr 2019 war der Kläger vom 02.01.2019 bis 11.01.2019 an acht Ar­beits­ta­gen mit, am 14.01.2019 ei­nen Ar­beits­tag mit, vom 04.02.2019 bis 22.02.2019 an 15 Ar­beits­ta­gen mit, vom 03.06.2019 bis 07.06.2019 an fünf Ar­beits­ta­gen mit, vom 10.07.2019 bis 12.07.2019 an drei Ar­beits­ta­gen mit und vom 09.08.2019 bis 17.11.2019 an 30 Ar­beits­ta­gen mit und an 41 Ar­beits­ta­gen oh­ne Ent­gelt­fort­zah­lung ar­beits­unfähig er­krankt. Die Ent­gelt­fort­zah­lungs­kos­ten be­lie­fen sich auf ins­ge­samt 9.669,46 Eu­ro.

8

We­gen der den Zei­ten der krank­heits­be­ding­ten Ar­beits­unfähig­keit des Klägers in den Jah­ren 2017 bis 2019 zu­grun­de lie­gen­den ärzt­li­chen Dia­gno­sen wird auf die Aus­kunft sei­ner Kran­ken­kas­se über die­se Zei­ten bzw. die An­la­ge zu sei­nem Schrift­satz vom 8. Ju­ni 2020 Be­zug ge­nom­men.

9

Mit Schrei­ben vom 18.02.2019 lud die Be­klag­te den Kläger zu ei­nem Gespräch zur

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Durchführung ei­nes be­trieb­li­chen Ein­glie­de­rungs­ma­nage­ments (im Fol­gen­den bEM) "nach § 84 Abs. 2 SGB IX" ein. Der Kläger nahm die­se Ein­la­dung un­ter dem 26.02.2019 an. Dar­auf­hin führ­ten die Par­tei­en am 05.03.2019 ein bEM durch. An die­sem nah­men ne­ben dem Kläger der da­ma­li­ge Be­triebs­lei­ter und Vor­ge­setz­te des Klägers Q. und der Pro­ku­rist aus dem Ein­kauf J. teil. In die­sem Rah­men mach­te der Kläger auf ei­nem mit "Rück­kehr­gespräch / Betr. Ein­glie­de­rungs­ma­nage­ment § 84 Abs. 2 SGB IX über­schrie­be­nen und auch vom Kläger am 05.03.2019 un­ter­zeich­ne­ten Bo­gen fol­gen­de An­ga­ben: "Wie geht es Ih­nen? Gut"; "Ak­tu­el­le Si­tua­ti­on? Kei­ne"; "Noch Ge­sund­heits­pro­ble­me? Nein"; "All­ge­mei­ne Be­find­lich­keit? Gut"; "In­fo über ak­tu­el­le Er­eig­nis­se Ar­beit in Durch­zug"; "Steht die Ab­senz in Zu­sam­men­hang mit ei­nem der fol­gen­den Gründe: an­de­rer Grund Ar­bei­ten im Durch­zug Mit­ar­bei­ter krank zur Ar­beit"; "Be­ste­hen nun Ein­schränkun­gen? Ja- wenn ja wel­che: Bei He­ben von Las­ten"; "Kommt ei­ne Beschäfti­gung an ei­nem an­de­ren Ar­beits­platz in Fra­ge: Ja- wenn ja wo: prüfen"; "Es soll ein zusätz­li­cher Sach­verständi­ger (z.B. Be­triebs­arzt, Fach­kraft für Ar­beits­schutz/Ar­beits­si­cher­heit ein­ge­bun­den wer­den: nein". We­gen der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten zu die­sem bEM wird auf die An­la­ge BR6 zum Schrift­satz der Be­klag­ten vom 26.5.2020 Be­zug ge­nom­men. Der Vor­ge­setz­te des Klägers über­prüfte im An­schluss die Si­tua­ti­on und stell­te fest, dass in der Fa­brik­hal­le Durch­zug nicht vollständig ver­hin­dert wer­den konn­te.

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Mit Schrei­ben vom 23.10.2019 hörte die Be­klag­te den Be­triebs­rat zu ei­ner be­ab­sich­tig­ten or­dent­li­chen Kündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses der Par­tei­en an. We­gen der Ein­zel­hei­ten des Anhörungs­schrei­bens wird auf die An­la­ge Anhörung #2-1 zum Schrift­satz der Be­klag­ten vom 26.05.2020 Be­zug ge­nom­men. Der Be­triebs­rat stimm­te der be­ab­sich­tig­ten or­dent­li­chen Kündi­gung am 29.10.2019 zu.

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Mit Schrei­ben vom 08.11.2019 be­an­trag­te die Be­klag­te - auf­grund ei­nes im Er­geb­nis ab­ge­lehn­ten An­trags des Klägers auf Fest­stel­lung ei­nes GdB von 50 und ei­ner an­sch­ließen­den im Er­geb­nis er­folg­lo­sen Kla­ge beim So­zi­al­ge­richt - die Zu­stim­mung des In­klu­si­ons­amts zur or­dent­li­chen Kündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses der Par­tei­en. Das In­klu­si­ons­amt hat­te zunächst die Auf­fas­sung ver­tre­ten, dass auf­grund des noch nicht ab­ge­schlos­se­nen so­zi­al­ge­richt­li­chen Ver­fah­rens Son­derkündi­gungs­schutz bestünde und für die Ent­schei­dung ein ar­beits­me­di­zi­ni­sches Gut­ach­ten an­ge­for­dert. Die Un­ter­su­chung er­folg­te durch die Be­triebsärz­tin Q.. Das Gut­ach­ten wur­de je­den­falls der Be­klag­ten nicht vor­ge­legt.

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Mit Be­scheid vom 19.02.2020 wies das In­klu­si­ons­amt den An­trag der Be­klag­ten auf Zu­stim­mung zur or­dent­li­chen Kündi­gung zurück. In den Ent­schei­dungs­gründen hieß es, die Vor­schrif­ten zum be­son­de­ren Kündi­gungs­schutz fänden nach § 173 Abs. 3 SGB IX kei­ne An­wen­dung. Bei dem Kläger lie­ge ein GdB von 20 vor. Nach Aus­kunft der zuständi­gen Ver­sor­gungs­stel­le sei ein Ände­rungs­an­trag am 07.02.2020 (An­trags­ein­gang) ge­stellt wor­den. Der Ände­rungs­an­trag vom 07.02.2020 las­se zum Zeit­punkt der Ent­schei­dung den be­son­de­ren Kündi­gungs­schutz nicht ent­ste­hen, da die Frist des § 90 Abs. 2a SGB IX noch nicht ver­stri­chen sei. Wei­ter hieß es, dass durch die­ses Ne­ga­ti­vat­test die Kündi­gungs­sper­re des SGB IX be­sei­tigt wer­de, d.h. es wer­de in sei­ner Wir­kung ei­ner er­teil­ten Zu­stim­mung gleich­ge­stellt und be­rech­ti­ge den Ar­beit­ge­ber zur Kündi­gung. We­gen der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten des Be­scheids wird auf die An­la­ge Anhörung #2-4 zum Schrift­satz der Be­klag­ten vom 26.05.2020 Be­zug ge­nom­men.

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Mit Schrei­ben vom 25.02.2020 hörte die Be­klag­te den Be­triebs­rat er­neut zu ei­ner be­ab­sich­tig­ten or­dent­li­chen Kündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses der Par­tei­en an. We­gen der Ein­zel­hei­ten des Anhörungs­schrei­bens wird auf die An­la­ge B1 zum Schrift­satz der Be­klag­ten vom 26.05.2020 Be­zug ge­nom­men. Der Be­triebs­rat stimm­te der be­ab­sich­tig­ten or­dent­li­chen Kündi­gung am 26.02.2020 zu. Auf dem von sei­nem Vor­sit­zen­den und sei­nem Schriftführer un­ter­zeich­ne­ten Be­schluss hieß es zu­dem: "Da­mit ist das

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Anhörungs­ver­fah­ren ab­ge­schlos­sen."

14

Mit Schrei­ben vom 26.02.2020 kündig­te die Be­klag­te das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en or­dent­lich zum 31.08.2020 und hilfs­wei­se zum nächstmögli­chen Ter­min. Nach Ab­lauf der Kündi­gungs­frist beschäftig­te die Be­klag­te den Kläger im Rah­men ei­nes Pro­zess­ar­beits­verhält­nis­ses - dies auch noch im Zeit­punkt des Ter­mins vor der er­ken­nen­den Kam­mer am 09.12.2020 - wei­ter. Im Jahr 2020 war der Kläger im Ju­li 2017 auf­grund ei­nes Ar­beits­un­falls 17 Ta­ge ar­beits­unfähig er­krankt. Auf­grund ei­ner or­thopädi­schen Er­kran­kung war der Kläger von Diens­tag, den 27.10.2020 bis zum Sonn­tag den 01.11.2020 ar­beits­unfähig er­krankt. Auf­grund ei­ner grip­pa­len Erkältung war er vom 12.11.2020 bis zum 30.11.2020 ar­beits­unfähig er­krankt.

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Ge­gen die or­dent­li­che Kündi­gung vom 26.02.2020 hat sich der Kläger mit sei­ner am 28.02.2020 bei Ge­richt ein­ge­gan­ge­nen und der Be­klag­ten am 06.03.2020 zu­ge­stell­ten Kla­ge ge­wandt. Er ist der An­sicht ge­we­sen, es lägen kei­ne die Kündi­gung recht­fer­ti­gen­den Gründe vor. Die Krank­heits­zei­ten aus den Jah­ren 2010 bis 2016 dürf­ten nicht mehr für ei­ne ne­ga­ti­ve Ge­sund­heits­pro­gno­se her­an­ge­zo­gen wer­den. Auf ei­ne ver­al­te­te Pro­gno­se aus dem Jahr 2017 könne nicht ab­ge­stellt wer­den. Sei­ne wei­te­ren Krank­heits­ta­ge in den Jah­ren 2017 bis 2019 recht­fer­tig­ten in kei­ner Wei­se den Aus­spruch der Kündi­gung. Zu die­sem Zeit­punkt ha­be kei­ne ne­ga­ti­ve Ge­sund­heits­pro­gno­se in Re­de ge­stan­den. In die­sem Zu­sam­men­hang hat er be­haup­tet, sei­ne letz­te Er­kran­kung vom 06.08.2019 bis 17.11.2019 ha­be auf Krank­heits­ur­sa­chen be­ruht, die nun­mehr aus­ge­heilt sei­en. Er ha­be während die­ser Zeit u.a. an ei­ner hämor­rhoi­da­len, ei­ner Herz- und an ei­ner aku­ten Bron­chi­ti­ser­kran­kung ge­lit­ten. Die hämor­rhoi­da­le und die Herz­er­kran­kung sei­en durch ei­nen Kran­ken­haus­auf­ent­halt aus­the­ra­piert wor­den. Dies­bezüglich hat er ei­ne ärzt­li­che Be­schei­ni­gung vom 09.06.2020 vor­ge­legt. We­gen de­ren Ein­zel­hei­ten wird auf die An­la­ge zum Schrift­satz des Klägers vom 10.06.2020 Be­zug ge­nom­men. Der Kläger hat be­haup­tet, sei­ne Kol­le­gen und er sei­en an ei­nem äußerst von Zug­luft be­ein­träch­tig­ten Ar­beits­platz tätig. Ei­ne vor zwei bis drei Jah­ren in­stal­lier­te Ab­luft­an­la­ge sor­ge nicht für die not­wen­di­ge Belüftung. Viel­mehr ver­su­che die­se le­dig­lich bei war­mer Wit­te­rung die durch Ausdüns­tun­gen von Che­mi­ka­li­en im Pro­duk­ti­ons­pro­zess be­las­te­te Luft nach draußen zu befördern. Dies führe bei war­mer Wit­te­rung zu Luft­zir­ku­la­ti­on an sei­nem Ar­beits­platz durch Ven­ti­la­to­ren. Die­se Zug­luft führe zu den bei ihm in Re­de ste­hen­den häufig auf­tre­ten­den aku­ten In­fek­tio­nen der obe­ren Atem­we­ge, u.a. auch zu sei­ner aku­ten Bron­chi­ti­ser­kran­kung in der Zeit vom 06.08.2019 bis 17.11.2019. Das Pro­blem bezüglich der Schlaf­apnoe wer­de durch ei­ne Be­at­mungs­mas­ke, durch die zwi­schen­zeit­lich ein ord­nungs­gemäßes Durch­schla­fen zur Nacht­zeit si­cher­ge­stellt sei, bekämpft. Rein vor­sorg­lich hat er ei­ne Erklärung über die Ent­bin­dung von der Ver­schwie­gen­heits­ver­pflich­tung zur Ak­te ge­reicht, da­mit das Ge­richt in die La­ge ver­setzt sei, ggf. be­han­deln­de Ärz­te und die Kran­ken­kas­se zu kon­tak­tie­ren im Hin­blick auf not­wen­di­ge Auskünf­te be­tref­fend die­ses Ver­fah­ren. Zu berück­sich­ti­gen sei bei der Pro­gno­se zu­dem, dass er seit Mit­te No­vem­ber 2019 bis zum Aus­spruch der Kündi­gung im Fe­bru­ar 2020 nicht mehr ar­beits­unfähig er­krankt war.

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Der Kläger hat ge­meint, das am 05.03.2019 durch­geführ­te bEM könne für den Aus­spruch der Kündi­gung ein Jahr später nicht genügen, um dar­zu­stel­len, dass al­les ver­sucht wor­den sei, sei­nen Ar­beits­platz zu er­hal­ten. Ein bEM ha­be nach der letz­ten Krank­heits­pha­se oder im Zu­sam­men­hang da­mit En­de 2019 wie­der­holt wer­den müssen. Er hat be­haup­tet, ein der­ar­ti­ges bEM ha­be dann vor dem Hin­ter­grund der Tat­sa­che, dass die den Krank­heits­zei­ten zu­grun­de lie­gen­den Grun­d­er­kran­kun­gen nun­mehr aus­ge­heilt sei­en, an­de­re Er­kennt­nis­se er­ge­ben und dem­ent­spre­chend auch der Be­klag­ten ei­ne an­de­re Ent­schei­dungs­grund­la­ge lie­fern können, um zu ver­su­chen, das Ar­beits­verhält­nis zu er­hal­ten.

17

Der Kläger hat die ord­nungs­gemäße Be­tei­li­gung des Be­triebs­rats gerügt. Er hat be­haup­tet, letzt­lich ge­he es dem Geschäftsführer der Be­klag­ten um Lohn­kos­ten­sen­kung. Die­ser ha­be

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ihn nach Zu­stel­lung der Kündi­gung auf­ge­sucht und mit­ge­teilt, dass nach ar­beits­ge­richt­li­cher Bestäti­gung der Kündi­gung die Möglich­keit be­ste­he, sich zu­sam­men­zu­set­zen, um über ei­nen Ar­beits­ver­trag mit geänder­ten Kon­di­tio­nen zu dis­ku­tie­ren.

18

Der Kläger hat in der münd­li­chen Ver­hand­lung vor dem Ar­beits­ge­richt be­haup­tet, auf­grund sei­nes An­trags vom 07.02.2020 ha­be er ei­nen GdB von 30 zu­er­kannt be­kom­men.

19
Der Kläger hat be­an­tragt, 20

fest­zu­stel­len, dass sein Ar­beits­verhält­nis bei der Be­klag­ten durch die Kündi­gung vom 26.02.2020 we­der zum 31.08.2020 noch zu ei­nem an­de­ren Zeit­punkt sein En­de fin­den wird.

21
Die Be­klag­te hat be­an­tragt, 22
die Kla­ge ab­zu­wei­sen. 23

Sie ist der An­sicht ge­we­sen, die Kündi­gung sei rechtmäßig. Es be­ste­he ei­ne ne­ga­ti­ve Ge­sund­heits­pro­gno­se, so dass sie befürch­ten müsse, dass der Kläger auch in Zu­kunft häufi­ger krank­heits­be­dingt aus­fal­len und er­heb­li­che Kos­ten durch die krank­heits­be­ding­te Ent­gelt­fort­zah­lung ver­ur­sa­chen wer­de. Die kon­stant ho­hen Fehl­zei­ten des Klägers in­di­zier­ten ei­ne ne­ga­ti­ve Ge­sund­heits­pro­gno­se. Die an­geb­lich po­si­ti­ve Pro­gno­se der Kläger­ver­tre­te­rin aus dem Jah­re 2017 sei wi­der­legt. Zu berück­sich­ti­gen sei­en auch die Fehl­zei­ten aus der Zeit des Son­derkündi­gungs­schut­zes. Außer­dem sei in den Jah­ren 2017, 2018 und 2019 ei­ne an­stei­gen­de Ten­denz fest­zu­stel­len. Sch­ließlich wer­de die ne­ga­ti­ve Pro­gno­se durch ei­ne Aus­wer­tung der Ar­beits­unfähig­keits­zei­ten un­ter Berück­sich­ti­gung der Krank­heits­ur­sa­chen bestätigt. Den chro­ni­schen Er­kran­kun­gen des Klägers wie chro­ni­sche Bron­chi­tis, chro­ni­sche Schmer­zen, chro­ni­sche Po­ly­ar­thri­tis, chro­ni­sche Gas­tri­tis und chro­ni­sche Atem­wegsver­en­gung sei auf­grund der Ein­ord­nung als "chro­nisch" das zukünf­ti­ge Krank­heits­ri­si­ko im­ma­nent. Be­tref­fend die Herz­er­kran­kung des Klägers sei we­nig glaub­haft, dass die­se oh­ne Ope­ra­ti­on aus­the­ra­piert sei. Zu ei­ner me­di­ka­mentösen Be­hand­lung feh­le Vor­trag des Klägers. Ins­ge­samt zei­ge der Kläger ei­ne große Anfällig­keit für Atem­wegs­er­kran­kun­gen. Der Hin­weis des Klägers auf den Durch­zug sei ei­ne Schutz­be­haup­tung. Er sei der ein­zi­ge Mit­ar­bei­ter, der dies be­kla­ge und als Ur­sa­che für sei­ne Er­kran­kung her­an­zie­he. Sch­ließlich hal­te sie al­le Ge­sund­heits­vor­schrif­ten in der Be­triebs­hal­le ein. Und auch der Kläger zei­ge kei­nen kon­kre­ten Ver­s­toß auf. Der ge­sam­te Ver­dau­ungs­ap­pa­rat des Klägers sei krank­heits­anfällig. Aus­ge­heilt sei im Übri­gen al­len­falls die Anal­fis­sur, nicht aber die Hämor­rhoi­da­ler­kran­kung. Auch bezüglich der Schlaf­apnoe sei die ne­ga­ti­ve Pro­gno­se nicht wie­der­legt. Es wer­de ver­mu­tet, dass die Be­schwer­den trotz der Atem­mas­ke ein­ge­tre­ten sei­en. Sch­ließlich be­le­ge die Über­sicht der Krank­heits­ur­sa­chen ei­ne all­ge­mei­ne Krank­heits­anfällig­keit des Klägers. Die Kran­ken­quo­te des Klägers ha­be Be­triebs­ab­laufstörun­gen ver­ur­sacht. Mit­ar­bei­ter, die re­gelmäßig aus­fie­len, stell­ten ei­ne große or­ga­ni­sa­to­ri­sche Be­las­tung dar. Die Ent­gelt­fort­zah­lungs­kos­ten stell­ten ei­ne er­heb­li­che (wirt­schaft­li­che) Be­las­tung dar. Mil­de­re Mit­tel, um die Kündi­gung zu ver­mei­den, sei­en nicht vor­han­den ge­we­sen. In die­sem Zu­sam­men­hang hat die Be­klag­te be­haup­tet, es sei von ihr ge­prüft wor­den, ob ei­ne Beschäfti­gung des Klägers auf ei­nem an­de­ren Ar­beits­platz möglich sei, auf dem we­ni­ger krank­heits­be­ding­te Fehl­zei­ten zu er­war­ten wären. Sol­che Ar­beitsplätze ha­be sie nicht ge­fun­den.

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Ein er­neu­tes bEM sei noch nicht durch­zuführen ge­we­sen. Das am 05.03.2019 durch­geführ­te bEM ha­be zum Zeit­punkt der Kündi­gung noch nicht zwölf Mo­na­te zurück­ge­le­gen, so dass der Be­trach­tungs­zeit­raum des § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX noch nicht ab­ge­lau­fen sei. Ein er­neu­tes bEM wäre auch in An­se­hung der vom Kläger vor­ge­leg­ten Krank­heitsüber­sicht sinn­los ge­we­sen. Der Kläger stütz­te sich vor al­lem

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dar­auf, dass sei­ne Atem­wegs­er­kran­kung ar­beits­platz­be­dingt ge­we­sen sei. Der be­haup­te­te Durch­zug sei aber schon The­ma des am 05.03.2019 durch­geführ­ten bEM ge­we­sen. Schon da­mals ha­be sie den Sach­ver­halt ge­prüft und fest­ge­stellt, dass kei­ne Ände­run­gen möglich sei­en. Ei­ne Wie­der­ho­lung die­ser Be­schwer­de in ei­nem er­neu­ten bEM hätte die Si­tua­ti­on des Klägers nicht ver­bes­sern können. Im Übri­gen sei­en aus­weis­lich der vom Kläger vor­ge­leg­ten Krank­heitsüber­sicht al­le sei­ne Er­kran­kun­gen, die nach dem am 05.03.2019 durch­geführ­ten bEM auf­ge­tre­ten sei­en, auch be­reits zu­vor dia­gnos­ti­ziert wor­den. Al­le dar­in gen­nann­ten Er­kran­kun­gen sei­en dem Kläger al­so be­reits bei die­sem bEM be­kannt ge­we­sen. Außer den Atem­weg­sin­fek­ten ha­be er aber kei­ne wei­te­ren Krank­hei­ten an­ge­spro­chen und die an­de­ren Er­kran­kun­gen so­mit nicht im Zu­sam­men­hang mit dem Ar­beits­platz an­ge­se­hen. Auch in­so­fern ha­be ein er­neu­tes bEM kei­ne neu­en Möglich­kei­ten für sie auf­zei­gen können, dem Kläger zu hel­fen. Manch­mal sei aus­sa­ge­kräfti­ger, was ei­ne Par­tei nicht vor­tra­ge, als was sie vor­tra­ge. Zu berück­sich­ti­gen sei, dass der Kläger trotz ih­rer Auf­for­de­rung das Gut­ach­ten der Be­triebsärz­tin nicht vor­legt.

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Sch­ließlich ha­be sie auf­grund des er­neu­ten An­trags des Klägers ein klei­nes Zeit­fens­ter bis 26 zum 27.02.2020 ge­habt, um die Kündi­gung aus­zu­spre­chen, be­vor der Kläger er­neut Son­derkündi­gungs­schutz er­hiel­te. Sie ha­be sich nach Abwägung der bei­der­sei­ti­gen In­ter­es­sen ent­schie­den, den kur­zen Zeit­raum für die schon lan­ge ge­plan­te Kündi­gung zu nut­zen. Dies sei ihr nicht vor­zu­wer­fen. Der Kläger ha­be nach dem Ver­lust des Son­derkündi­gungs­schut­zes als Be­triebs­rat al­les un­ter­nom­men, um er­satz­wei­se ei­nen Son­derkündi­gungs­schutz als schwer­be­hin­der­ter Mensch oder ei­nem sol­chen Gleich­ge­stell­ten zu er­hal­ten. Nach­dem der Ände­rungs­an­trag zu sei­nem nicht genügen­den An­trag auch im Kla­ge­ver­fah­ren er­folg­los ge­blie­ben sei, ha­be er un­verzüglich ei­nen neu­en An­trag ge­stellt, was den Ver­dacht na­he­le­ge, dass der An­trag nur ge­stellt wor­den sei, um möglichst schnell vorläufi­gen Son­derkündi­gungs­schutz zu er­hal­ten. Ihr sei be­wusst, dass es sich um ei­ne schwie­ri­ge Ent­schei­dung ge­han­delt ha­be. So­weit der Kläger nach sei­ner länge­ren Er­kran­kung ab Mit­te No­vem­ber 2019 bis zur Kündi­gung kei­ne neu­en krank­heits­be­ding­ten Fehl­zei­ten auf­wei­se, möge dies sei­nen gu­ten Wil­len zei­gen, spre­che aber auf­grund der Kürze der Zeit nicht für ei­ne Wi­der­le­gung der ne­ga­ti­ven Pro­gno­se, zu­mal in den Zeit­raum um den Jah­res­wech­sel 15 Ta­ge Ur­laub fie­len. Ein wei­te­res Ab­war­ten sei ihr nicht zu­zu­mu­ten ge­we­sen, weil sie ab dem 28.02.2020 ein er­neu­tes Ver­fah­ren vor dem In­klu­si­ons­amt hätte führen müssen. Die Un­zu­mut­bar­keit länge­ren Zu­war­tens sei ihr auf­grund der durch Fehl­zei­ten ver­ur­sach­ten Ent­gelt­fort­zah­lungs­kos­ten und der Be­triebs­ab­laufstörun­gen nicht zu­zu­mu­ten ge­we­sen.

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Den vom Kläger be­haup­te­ten GdB von 30 hat die Be­klag­te mit Nicht­wis­sen be­strit­ten. 27

Das Ar­beits­ge­richt Düssel­dorf hat die Kla­ge mit Ur­teil 07.07.2020 ab­ge­wie­sen. Es ist der An­sicht ge­we­sen, dass die Be­klag­te vor Aus­spruch der Kündi­gung ein er­neu­tes bEM ha­be durchführen müssen. Die­ses sei ent­ge­gen der An­sicht der Be­klag­ten nicht sinn­los ge­we­sen. Die Be­klag­te sei auf die­ser Grund­la­ge ih­rer Dar­le­gungs- und Be­weis­last für die Verhält­nismäßig­keit der Kündi­gung nicht nach­ge­kom­men. Wann die­ses Ur­teil der Be­klag­ten zu­ge­stellt wor­den ist, ist zwi­schen den Par­tei­en strei­tig. Aus­weis­lich des Lauf­zet­tels (Bl. 200 d.A.) und der dar­auf be­find­li­chen Verfügung wur­de das Ur­teil ge­gen Emp­fangs­be­kennt­nis am 17.07.2020 an bei­de Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten zu­ge­stellt. Glei­ches er­gibt sich aus der aus­geführ­ten Verfügung zu 2. des Vor­sit­zen­den vom 17.07.2020 gemäß Er­le­di­gungs­ver­merk der Geschäfts­stel­le vom 17.07.2020 (Bl. 203 d.A.). Hin­ter das Ur­teil und den Lauf­zet­tel ist mit Bl. 202 ein Emp­fangs­be­kennt­nis des Be­klag­ten­ver­tre­ters ge­hef­tet, das die­ser mit Da­tum 17.07.2020 un­ter­zeich­net hat und das am 29.07.2020 bei dem Ar­beits­ge­richt per Te­le­fax ein­ge­gan­gen ist, wo­bei der Zeit­auf­druck des Be­klag­ten­ver­tre­ters 14:06 Uhr zeigt und der Fax­auf­druck des Ar­beits­ge­richts 14.00 Uhr. Das Emp­fangs­be­kennt­nis des Kläger­ver­tre­ters (Bl. 201 d.A.) trägt das Da­tum 17.07.2020, wo­bei bei die­sem am 17.07.2020 das vollständi­ge Ur­teil des Ar­beits­ge­richts über­mit­telt wur­de. Die Be­klag­te hat am 17.08.2020 mit Schrift­satz vom glei­chen Tag

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Be­ru­fung ein­ge­legt. In der Be­ru­fungs­schrift hat sie aus­geführt, dass sie ge­gen das vom Ar­beits­ge­richt Düssel­dorf am 07.07.2020 verkünde­te und am 20.07.2020 zu­ge­stell­te Ur­teil Be­ru­fung ein­le­ge. Die Be­klag­te hat die Be­ru­fung am Mon­tag, den 21.09.2020 be­gründet.

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Die Be­klag­te ist der An­sicht, sie ha­be ih­re Be­ru­fung am Mon­tag, den 21.09.2020 frist­ge­recht be­gründet. Sie be­haup­tet, dass ihr das vollständi­ge Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Düssel­dorf erst am 20.07.2020 zu­ge­stellt wor­den sei. Am 17.07.2020 ha­be sie um 13:35 Uhr le­dig­lich die Sei­ten 9 und 10 so­wie ei­ni­ge Zei­len der Sei­te 11 des Ur­teils er­hal­ten. Mit Te­le­fax von 11:36 Uhr sei­en die Sei­ten 11 und 12 über­mit­telt wor­den. Der Be­klag­ten­ver­tre­ter ha­be am 17.07.2020 zunächst das um 13:42 über­mit­tel­te Emp­fangs­be­kennt­nis un­ter­zeich­net. Als er be­merkt ha­be, dass das Ur­teil nicht vollständig über­mit­telt wor­den sei, ha­be er sein Se­kre­ta­ri­at an­ge­wie­sen, die­ses nicht an das Ar­beits­ge­richt zurück­zu­fa­xen, son­dern am nächs­ten Werk­tag das Ar­beits­ge­richt über den Über­tra­gungs­feh­ler zu in­for­mie­ren und um er­neu­te Über­sen­dung des Ur­teils zu bit­ten. Ob es des Hin­wei­ses an das Ar­beits­ge­richt be­durft ha­be oder die­ses von sich aus tätig ge­wor­den sei, wis­se man nicht mehr. Je­den­falls ha­be das Ar­beits­ge­richt am 20.07.2020 das Ur­teil er­neut ge­faxt und zwar auf­grund fort­be­ste­hen­der Faxstörung in drei Te­le­fa­xen zwi­schen 11.23 Uhr und 11.30 Uhr. Das neu­er­lich bei­gefügte Emp­fangs­be­kennt­nis ha­be ihr Pro­zess­be­vollmäch­tig­ter, oh­ne dar­auf ein Da­tum ein­zu­tra­gen, am 20.07.2020 un­ter­schrie­ben, al­ler­dings versäumt, die­ses un­verzüglich zurück­zu­sen­den. Als die­sem dies am 29.07.2020 auf­ge­fal­len sei, ha­be er die Rück­sen­dung an das Se­kre­ta­ri­at verfügt. Da sich das Emp­fangs­be­kennt­nis vom 17.07.2020 auch noch in der Ak­te be­fun­den ha­be, sei die­ses nach dem Emp­fangs­be­kennt­nis vom 20.07.2020 eben­falls an das Ar­beits­ge­richt zurück­ge­faxt wor­den. Der Pro­zess­be­vollmäch­tig­te der Be­klag­ten hat sich für die Un­re­gelmäßig­kei­ten ent­schul­digt. War­um es zur Störung des Fa­x­emp­fangs so­wohl am 17.07.2020 als auch am 20.07.2020 ge­kom­men sei, könne er nicht erklären. Zu berück­sich­ti­gen sei, dass sie be­reits mit der Be­ru­fungs­schrift auf die Zu­stel­lung am 20.07.2020 hin­ge­wie­sen ha­be. Zu die­sem Sach­ver­halt pas­se der Fris­ten­ka­len­der ih­res Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten, der die Be­ru­fungs­frist für den 20.08.2020 und die Be­ru­fungs­be­gründungs­frist für den 21.09.2020 vor­ge­se­hen ha­be. Sch­ließlich ha­be sie dar­auf ver­trau­en dürfen, dass das Emp­fangs­be­kennt­nis vom 20.07.2020 maßgeb­lich sei, weil das Ar­beits­ge­richt das Ur­teil er­neut nicht nur form­los son­dern mit Emp­fangs­be­kennt­nis über­sandt ha­be. Den von ihr vor­ge­tra­ge­nen Sach­ver­halt ha­be die Aus­kunft der Di­rek­to­rin des Ar­beits­ge­richts Düssel­dorf bestätigt. So­weit Tei­le nicht hätten bestätigt wer­den können, lie­ge dies al­lei­ne dar­an, dass die Umstände nicht mehr hätten auf­geklärt wer­den können. Wie es da­zu kom­men konn­te, dass zwei un­ter­schied­li­che Emp­fangs­be­kennt­nis­se und die­se ver­späte­tet ver­sandt wur­den, ha­be sie erläutert. So­weit die Fax­sen­de­be­rich­te und Ein­gangs­pro­to­kol­le des Ar­beits­ge­richts vom 29.07.2020 un­ter­schied­li­che Uhr­zei­ten tru­gen, be­ru­he dies auf der feh­len­den Syn­chro­ni­sie­rung der in­tern ver­bau­ten Uh­ren. Ent­schei­den­der sei aber die Zeit­dif­fe­renz von je­weils sechs Mi­nu­ten zwi­schen den bei­den Fa­xen mit je­weils ei­ner Sei­te. Für ei­ne Ma­ni­pu­la­ti­on sei­tens der Be­klag­ten ha­be es am 29.07.2020 kei­nen An­lass ge­ge­ben. Kei­nes­wegs ge­he es - wie der Kläger un­zu­tref­fend ausführe - dar­um et­was "ge­ra­de­zurücken".

29

Die Be­klag­te ist der An­sicht, dass das Ar­beits­ge­richt zu Un­recht der Kündi­gungs­schutz­kla­ge des Klägers statt­ge­ge­ben ha­be. Ein er­neu­tes bEM sei we­der not­wen­dig noch sinn­voll ge­we­sen. Sie ha­be am 05.03.2020 ein re­gel­kon­for­mes bEM durch­geführt. War­um die­ses nicht re­gel­kon­form ge­we­sen sei sol­le, ha­be das Ar­beits­ge­richt we­der an­ge­deu­tet noch ha­be der Kläger dies­bezügli­che Kri­tik geäußert.

30

Die Be­klag­te ist der An­sicht, dass nach ei­nem durch­geführ­ten bEM erst nach Ab­lauf ei­nes Jah­res wie­der ei­ne Rechts­pflicht be­ste­he, ein wei­te­res bEM durch­zuführen. Et­was an­de­res fol­ge nicht aus dem Wort­laut des § 167 Abs. 2 SGB IX. Dort ste­he ent­ge­gen der Ausführun­gen des Ar­beits­ge­richts ge­ra­de nicht, dass ein bEM "im­mer dann" wenn ein Ar­beit­neh­mer in­ner­halb ei­nes Jah­res länger als sechs Mo­na­te ar­beits­unfähig er­kran­ke,

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durch­zuführen sei. Das Ar­beits­ge­richt ha­be bei sei­ner Aus­le­gung le­dig­lich die In­ter­es­sen des Ar­beit­neh­mers gewürdigt. So wer­de der Ar­beit­ge­ber bei dem Aus­le­gungs­er­geb­nis des Ar­beits­ge­richts un­zu­mut­bar be­las­tet, denn er müsse mit ei­nem Lang­zeit­er­krank­ten al­le sechs Wo­chen ein bEM durchführen. Zu berück­sich­ti­gen sei, dass die Kom­mu­ni­ka­ti­on be­tref­fend ein bEM mit dem Ar­beit­neh­mer und die Abklärung da­zu auf­kom­men­der Fra­gen ei­ni­ge Zeit in An­spruch neh­me, wo­bei oft­mals zwi­schen Ein­la­dung zum bEM und der Durchführung meh­re­re Wo­chen lägen. Dies in ei­nem 6-Wo­chen-Tur­nus leis­ten zu müssen, könn­te durch den Ver­wal­tungs­auf­wand die Per­so­nal­ab­tei­lung schnell über­for­dern.

31

Das Ar­beits­ge­richt ha­be außer­dem die Recht­spre­chung der 13. Kam­mer des Lan­des­ar­beits­ge­richts Düssel­dorf (Ur­teil vom 20.10.2016 - 13 Sa 356/16, ju­ris) nicht berück­sich­tigt. Aus der Ent­schei­dung las­se sich im Um­kehr­schluss fol­gern, dass es kei­nes bEM bedürfe, wenn ein Vor­he­ri­ges we­ni­ger als ein Jahr zurück­lie­ge. So wer­de das Ur­teil auch in der Li­te­ra­tur ver­stan­den. Mit die­sem Ur­teil set­ze sich auch der Kläger nicht aus­ein­an­der.

32

So­weit das Ar­beits­ge­richt ihr vor­wer­fe, dass sie vollständig außer Acht ge­las­sen ha­be, dass die wei­te­re Ar­beits­unfähig­keit des Ar­beit­neh­mers sei­ne Hal­tung zum bEM ändern könne, sei die Ar­gu­men­ta­ti­on des Ar­beits­ge­richts ob­jek­tiv feh­ler­haft. Die­ses ha­be sich auf Ent­schei­dun­gen der Lan­des­ar­beits­ge­rich­te be­zo­gen, in de­nen der Ar­beit­neh­mer zu­vor ein bEM ab­ge­lehnt ha­be. So lie­ge es hier ge­ra­de nicht und die Ar­gu­men­ta­ti­on, dass Ab­leh­nungs­gründe über­holt oder ent­fal­len sein können, pas­se auf den hier zu be­ur­tei­len­den Fall nicht. Wie­so sol­le sich die Ein­stel­lung ei­nes Ar­beit­neh­mers zum bEM ändern, wenn er be­reits früher mit des­sen Durchführung ein­ver­stan­den war? Sie ha­be hier auf die In­for­ma­tio­nen aus dem durch­geführ­ten bEM zurück­grei­fen können und ha­be In­for­ma­tio­nen aus ei­ner frühe­ren ge­richt­li­chen Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Kläger über ei­ne frühe­re krank­heits­be­ding­te Kündi­gung.

33

Je­den­falls sei ein er­neu­tes bEM ent­behr­lich ge­we­sen. Sie ha­be ent­ge­gen der An­sicht des Ar­beits­ge­richts dar­ge­legt, war­um kein lei­dens­ge­rech­ter Ar­beits­platz zur Verfügung ge­stellt wer­den konn­te. Der vom Kläger im bEM be­klag­te Durch­zug be­tref­fe die ge­sam­te Fa­brik­hal­le und da­mit an­de­re Ar­beitsplätze. Er ha­be da­her auch kei­nen Wunsch nach ei­nem an­de­ren Ar­beits­platz oder ei­ner an­de­ren Tätig­keit geäußert. Die Be­gründung des Durch­zu­ges ver­wen­de der Kläger nur, um ihr, der Be­klag­ten, ei­ne Mit­schuld an sei­ner Ar­beits­unfähig­keit zu ge­ben. Der seit lan­ger Zeit bei ihr beschäftig­te Kläger ken­ne schon aus sei­ner Be­triebs­ratstätig­keit je­den Ar­beits­platz. Wenn es ei­nen lei­dens­ge­rech­ten Ar­beits­platz gäbe, würde der Kläger die­sen be­an­spru­chen. Bei die­ser Aus­gangs­la­ge genüge sie ih­rer Prüfungs- und Dar­le­gungs­pflicht, wenn sie erkläre, sie ha­be oh­ne Er­folg nach dem bEM und noch ein­mal vor der Kündi­gung ge­prüft, ob es Ar­beitsplätze oh­ne Durch­zug ge­be und dies ver­neint. Die sons­ti­gen Be­schwer­den des Klägers sei­en dif­fus und nicht vom Ar­beits­platz abhängig. Dies be­le­ge auch die von ihr in ers­ter In­stanz vor­ge­nom­me­ne Aus­wer­tung der Dia­gno­sen des Klägers.

34

Zu berück­sich­ti­gen sei schließlich, dass der Kläger mit­ver­ant­wort­lich dafür sei, dass ihr kei­ne Zeit für ein neu­es bEM ge­blie­ben sei. Der Kläger ha­be nach der Ab­leh­nung der be­an­trag­ten Schwer­be­hin­de­rung gleich ei­nen neu­en An­trag ge­stellt. Dies sei ei­ne rein tak­ti­sche Maßnah­me. Der Kläger sei die­ser Rüge erst­in­stanz­lich nicht ent­ge­gen­ge­tre­ten. Es sei zu­dem we­der vor­ge­tra­gen noch er­sicht­lich, dass der Kläger mit dem neu­en An­trag er­folg­reich sein könn­te. Dies ha­be selbst das In­klu­si­ons­amt er­kannt und miss­bil­ligt. Auf­grund sei­nes tak­ti­schen Ver­hal­tens ha­be der Kläger sel­ber da­zu bei­ge­tra­gen, dass auf­grund des be­vor­ste­hen­den Son­derkündi­gungs­schut­zes kei­ne Zeit mehr für ein bEM ge­blie­ben sei.

35

Sch­ließlich be­leg­ten die Er­kran­kun­gen des Klägers im Jahr 2020, dass er auf­grund sei­ner 36 ge­sund­heit­li­chen Anfällig­keit nicht in der La­ge sei, länge­re Zeit oh­ne Un­ter­bre­chun­gen zu

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ar­bei­ten. So­mit sei die zum Zeit­punkt des Zu­gangs der Kündi­gung ge­trof­fe­ne ne­ga­ti­ve Pro­gno­se nicht wi­der­legt.

36
Die Be­klag­te be­an­tragt, 37

das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Düssel­dorf vom 07.07.2020 - 5 Ca 1108/20 - ab­zuändern und die Kla­ge ins­ge­samt ab­zu­wei­sen.

38
Der Kläger be­an­tragt, 39
die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen. 40

Der Kläger rügt die Zulässig­keit der Be­ru­fung im Hin­blick auf de­ren recht­zei­ti­ge Be­gründung. Die Viel­zahl der Irrtümer auf Sei­ten des Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten der Be­klag­ten ver­wun­de­re. Er be­strei­tet mit Nicht­wis­sen, dass das Ur­teil bei der Be­klag­ten am 17.07.2020 un­vollständig an­ge­kom­men sei, zu­mal sein Pro­zess­be­vollmäch­tig­ter selbst am 17.07.2020 das vollständi­ge Ur­teil er­hal­ten ha­be. Es sei auch nicht erklärlich, war­um we­der das Emp­fangs­be­kennt­nis vom 17.07.2020 noch vom 20.07.2020 un­verzüglich zurück­ge­sandt wor­den sei­en. Die Be­klag­te ha­be erst auf den Hin­weis des Lan­des­ar­beits­ge­richts auf ei­ne mögli­che ver­späte­te Be­ru­fungs­be­gründung auf die nicht vollständi­ge Über­mitt­lung am 17.07.2020 hin­ge­wie­sen. Spätes­tens bei der Be­ru­fungs­ein­le­gung am 17.08.2020 hätte die Pro­ble­ma­tik auf­fal­len müssen, zu­mal dann auch noch die Be­ru­fung aus­ge­hend vom 17.07.2020 am ty­pi­schen letz­ten Tag der Be­ru­fungs­frist ein­ge­legt wor­den sei. Das oh­ne Vor­be­halt über­mit­tel­te Emp­fangs­be­kennt­nis vom 17.07.2020 bestäti­ge die Über­mitt­lung des Ur­teils an die­sem Tag. Es möge so sein, dass das ei­ne oder an­de­re mal durch das Ar­beits­ge­richt Ur­tei­le über­mit­telt wer­den, die nicht vollständig an­kom­men. Hier er­ge­be sich aber durch das Emp­fangs­be­kennt­nis vom 17.07.2017 ein an­de­res Bild, zu­mal ei­ne noch­ma­li­ge Über­mitt­lung des Ur­teils durch das Ar­beits­ge­richt am 20.07.2020 nicht bestätigt wor­den sei.

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In der Sa­che ver­tei­digt der Kläger das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts. Das Ar­beits­ge­richt ha­be nicht nur auf das feh­len­de bEM ab­ge­stellt, son­dern sorgfältig ab­ge­wo­gen, ob die Be­klag­te ih­rer Dar­le­gungs- und Be­weis­last im Rah­men der Verhält­nismäßig­keit nach­ge­kom­men sei. Das am 05.03.2020 durch­geführ­te bEM ha­be nicht aus­ge­reicht. Die­ses sei da­nach vor der Kündi­gung er­neut durch­zuführen ge­we­sen. § 167 Abs. 2 SGB IX se­he als Be­zugs­rah­men ge­ra­de kein Ka­len­der­jahr vor. Ent­schei­dend sei, ob im Ent­schei­dungs­zeit­punkt be­tref­fend ei­ne Kündi­gung von dort aus rück­bli­ckend für ein Jahr der Ar­beit­neh­mer länger als sechs Mo­na­te ar­beits­unfähig ge­we­sen sei. Die Ar­gu­men­ta­ti­on der Be­klag­ten zu Lang­zeit­er­krank­ten grei­fe nicht. Außer­dem be­tref­fe dies nicht sei­ne Si­tua­ti­on. Das Ar­beits­ge­richt ha­be sich zu der of­fe­nen Rechts­fra­ge mit den be­ste­hen­den Rechts­mei­nun­gen aus­ein­an­der­ge­setzt und sei zum rich­ti­gen Er­geb­nis ge­kom­men. Die Be­klag­te ha­be ihm durch Ver­mei­dung des bEM die Möglich­keit ge­nom­men, sei­ner­seits Stel­lung zu neh­men im Hin­blick auf den da­ma­li­gen The­ra­pie­zu­stand. Die Be­klag­te ver­ken­ne Sinn und Zweck ei­nes bEM. Es soll ge­ra­de aus­ge­hend von der kon­kre­ten Si­tua­ti­on vor Aus­spruch der Kündi­gung bei­den Sei­ten die Möglich­keit ge­ge­ben wer­den, ei­ne Kündi­gung zu ver­mei­den.

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Sch­licht falsch sei es, ihn für das un­ter­blie­be­ne (er­neu­te) bEM mit ver­ant­wort­lich zu ma­chen. Es wäre der Be­klag­ten oh­ne wei­te­res möglich ge­we­sen, ein er­neu­tes bEM an­zu­bie­ten. Dies hätte oh­ne wei­te­res par­al­lel zur Ent­schei­dungs­fin­dung über den An­trag zur An­er­ken­nung als schwer­be­hin­der­ter Mensch statt­fin­den können. Dies ha­be die Be­klag­te je­doch of­fen­bar be­wusst ver­mie­den.

43

Das bEM sei auch nicht ent­behr­lich ge­we­sen. Es sei in­so­weit Sa­che der Be­klag­ten zu prüfen, ob und ggfs. auf wel­chem Ar­beits­platz er ein­ge­setzt wer­den könne. Da­von ab­ge­se­hen sei die Fra­ge, ob ein an­de­rer Ar­beits­platz möglich ist oder nicht, nicht der

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ein­zi­ge Zweck ei­nes bEM. Das über­se­he die Be­klag­te. Sinn und Zweck des bEM sei viel­mehr ei­ne um­fas­sen­de Sich­tung der Si­tua­ti­on und der Pro­ble­me durch­zuführen, wel­che zu den Er­kran­kun­gen geführt ha­ben oder geführt ha­ben könn­ten. So­dann sei­en al­le in Be­tracht kom­men­den Möglich­kei­ten zu erwägen und aus­zu­lo­ten, wel­che zu ei­ner Ver­mei­dung von künf­ti­gen Ar­beits­unfähig­keits­zei­ten führen können. Die Be­schränkung der Ar­gu­men­ta­ti­on der Be­klag­ten, es ge­be kei­nen an­de­ren Ar­beits­platz grei­fe zu kurz.

44

So­weit die Be­klag­te auf sei­ne Ar­beits­unfähig­keits­zei­ten aus dem Jahr 2020 ein­ge­he, sei­en nur Krank­heits­zei­ten re­le­vant, die nicht mit Ar­beits­unfällen im Zu­sam­men­hang ste­hen. Es blie­ben dann in 2020 - aus­ge­hend da­von, dass an Sams­tag und Sonn­tag nicht ge­ar­bei­tet wer­de - vier Ta­ge an Ar­beits­unfähig­keit aus Ok­to­ber und 18 aus No­vem­ber. Hier könne nicht von re­le­van­ten Fehl­zei­ten be­zo­gen auf 2020 ge­spro­chen wer­den, zu­mal im Rah­men der der­zei­ti­gen Pan­de­mie­si­tua­ti­on ins­be­son­de­re bei Erkältungs­krank­hei­ten be­son­de­re Vor­sicht an­ge­bracht sei. Hier­zu hat der Kläger in der münd­li­chen Ver­hand­lung be­haup­tet, er sei auf­grund sei­ner Erkältung von der Be­klag­ten nach Hau­se ge­schickt wor­den.

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Zur Fra­ge des Zeit­punk­tes der Zu­stel­lung des Ur­teils des Ar­beits­ge­richts Düssel­dorf an die Be­klag­te hat das Ge­richt mit An­fra­ge vom 24.09.2020 ei­ne Aus­kunft bei der Di­rek­to­rin des Ar­beits­ge­richts Düssel­dorf ein­ge­holt. Auf de­ren Ant­wort vom 30.09.2020 nebst An­la­gen wird Be­zug ge­nom­men.

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We­gen der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten des Sach- und Streit­stands wird auf die ge­wech­sel­ten Schriftsätze nebst An­la­gen und so­wie die Sit­zungs­pro­to­kol­le in bei­den In­stan­zen Be­zug ge­nom­men.

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E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E:

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A. Die zulässi­ge Be­ru­fung der Be­klag­ten ist un­be­gründet. 49

I. Die Be­ru­fung der Be­klag­ten ist zulässig. Die Be­ru­fungs­schrift lässt die Be­klag­te als Be­ru­fungskläge­rin und den Kläger als Be­ru­fungs­be­klag­ten er­ken­nen. Die Be­klag­te hat ih­re Be­ru­fung frist­ge­recht ein­ge­legt und in­ner­halb der zwei­mo­na­ti­gen Be­ru­fungs­be­gründungs­frist ord­nungs­gemäß be­gründet.

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1.Die Be­ru­fungs­schrift lässt die Be­klag­te als Be­ru­fungskläge­rin und den Kläger als Be­ru­fungs­be­klag­ten er­ken­nen.

51

a) Zu dem not­wen­di­gen In­halt der Be­ru­fungs­schrift nach § 519 Abs. 2 ZPO gehört die An­ga­be, für und ge­gen wel­che Par­tei das Rechts­mit­tel ein­ge­legt wird. Die Rechts­mit­tel­schrift muss ent­we­der für sich al­lein be­trach­tet oder mit Hil­fe wei­te­rer Un­ter­la­gen bis zum Ab­lauf der Rechts­mit­tel­frist ein­deu­tig er­ken­nen las­sen, wer Rechts­mitt­elführer und wer Rechts­mit­tel­geg­ner sein soll (BGH 21.07.2017 - V ZR 72/16, ju­ris Rn. 8).

52

b) Die­sen An­for­de­run­gen genügt die Be­ru­fungs­schrift. Es ist zwar rich­tig, dass die Par­tei­be­zeich­nun­gen im Ru­brum der Be­ru­fungs­schrift un­zu­tref­fend sind und der Kläger als Be­ru­fungskläger und die Be­klag­te als Be­ru­fungs­be­klag­te be­zeich­net wird. Dies ist unschädlich, weil sich zur Über­zeu­gung der Kam­mer be­reits aus der Be­ru­fungs­schrift selbst ein­deu­tig er­gibt, dass die Be­klag­te Be­ru­fungskläge­rin und der Kläger Be­ru­fungs­be­klag­ter ist. Dies folgt schon dar­aus, dass auf Sei­te 2 der Be­ru­fungs­schrift aus­geführt wird, dass der Pro­zess­be­vollmäch­tig­te der Be­klag­ten, der als sol­cher im Ru­brum der Be­ru­fungs­schrift bei der Be­klag­ten an­ge­ge­ben ist, "Na­mens und in Auf­trag der Be­klag­ten und Be­ru­fungs­be­klag­ten" Be­ru­fung ein­ge­legt hat. Es blei­ben kei­ne Zwei­fel, wer Rechts­mitt­elführer und wer Rechts­mit­tel­geg­ner ist.

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2. Die Be­klag­te hat ih­re Be­ru­fung am 17.08.2020 frist­ge­recht in­ner­halb der ein­mo­na­ti­gen

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Be­ru­fungs­frist (§ 66 Abs. 1 Satz 1 Halb­satz 1 ArbGG) ein­ge­legt und in­ner­halb der zwei­mo­na­ti­gen Be­ru­fungs­be­gründungs­frist (§ 66 Abs. 1 Satz 1 Halb­satz 2 ArbGG) am Mon­tag, den 21.09.2020 ord­nungs­gemäß be­gründet, weil das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts zur Über­zeu­gung der Kam­mer der Be­klag­ten in vollständi­ger Form, die gemäß § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG für den Be­ginn des Laufs der Rechts­mit­tel­fris­ten maßgeb­lich ist, erst am 20.07.2020 zu­ge­stellt wor­den ist. Dies er­gibt sich aus den ge­sam­ten Umständen des der er­ken­nen­den Kam­mer zur Ent­schei­dung un­ter­brei­te­ten Sach­ver­halts.

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a) Die Fra­ge der Zulässig­keit der Be­ru­fung hat das Be­ru­fungs­ge­richt von Amts we­gen zu prüfen (§ 522 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Hat es in­so­weit Zwei­fel, die sich auf an­de­re Wei­se nicht be­he­ben las­sen, so muss es ver­su­chen, die­se Un­klar­hei­ten durch Er­he­bung ge­eig­ne­ter Be­wei­se zu be­sei­ti­gen. Da­bei genügt ein­fa­che Glaub­haft­ma­chung (§ 294 ZPO), für die schon ei­ne über­wie­gen­de Wahr­schein­lich­keit des be­haup­te­ten Ge­sche­hens­ab­lau­fes aus­reicht, nicht. Viel­mehr ist der vol­le Be­weis not­wen­dig; an die Über­zeu­gungs­bil­dung des Rich­ters wer­den in­so­weit kei­ne ge­rin­ge­ren oder höhe­ren An­for­de­run­gen ge­stellt als sonst (BGH 30.01.1991 - VIII ZB 44/90, ju­ris Rn. 11). Der zur Fest­stel­lung der Zulässig­keit der Be­ru­fung zu­ge­las­se­ne Frei­be­weis senkt mit­hin die An­for­de­run­gen an die rich­ter­li­che Über­zeu­gungs­bil­dung nicht, son­dern stellt das Ge­richt - im Rah­men pflicht­gemäßen Er­mes­sens - im Be­weis­ver­fah­ren und bei der Ge­win­nung der Be­weis­mit­tel frei­er (BGH 26.06.1997 - V ZB 10/97, ju­ris Rn. 8).

55

b) Die Kam­mer hat gewürdigt, dass aus­weis­lich des Ak­ten­in­halts ein Emp­fangs­be­kennt­nis des Be­klag­ten­ver­tre­ters vor­liegt, das be­tref­fend die Zu­stel­lung des Ur­teils des Ar­beits­ge­richts mit dem Da­tum 17.07.2020 un­ter­zeich­net ist. Zwar bringt ein Emp­fangs­be­kennt­nis als Pri­vat­ur­kun­de nach § 416 ZPO grundsätz­lich Be­weis nicht nur für die Ent­ge­gen­nah­me des dar­in be­zeich­ne­ten Schriftstücks, son­dern auch für den Zeit­punkt von des­sen Emp­fang. Je­doch ist der Ge­gen­be­weis für die Un­rich­tig­keit der im Emp­fangs­be­kennt­nis ent­hal­te­nen An­ga­ben zulässig. Dafür ist er­for­der­lich, dass die Rich­tig­keit der An­ga­ben im Emp­fangs­be­kennt­nis nicht nur erschüttert, son­dern die Möglich­keit, die An­ga­ben in dem Emp­fangs­be­kennt­nis könn­ten rich­tig sein, aus­ge­schlos­sen ist. Hin­ge­gen ist die­ser Ge­gen­be­weis nicht schon dann geführt, wenn le­dig­lich die Möglich­keit der Un­rich­tig­keit be­steht, die Rich­tig­keit der An­ga­ben al­so nur erschüttert ist (BGH 19.04.2012 - IX ZB 303/11, ju­ris Rn. 6; BGH 11.09.2018 - IX ZB 4/17, ju­ris Rn. 5; s.a. BVerfG 27.03.2001 - 2 BvR 2211/97, ju­ris Rn. 20). Der im We­ge des Frei­be­wei­ses zu führen­de Ge­gen­be­weis er­for­dert die vol­le Über­zeu­gung des Ge­richts, dass das Emp­fangs­be­kennt­nis falsch und das Schriftstück erst zu ei­nem an­de­ren (hier späte­ren) Zeit­punkt zu­ge­gan­gen ist (vgl. für den Ge­gen­be­weis zu § 418 Abs. 1 ZPO BGH 31.05.2017 - VIII ZR 224/16, ju­ris Rn. 18).

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c) Die vol­le Über­zeu­gung des Ge­richts be­deu­tet, dass die­ses nach dem in § 286 ZPO ver­an­ker­ten Grund­satz der frei­en Be­weiswürdi­gung zu ent­schei­den hat, ob es un­ter Berück­sich­ti­gung des ge­sam­ten In­halts der Ver­hand­lun­gen und des Er­geb­nis­ses ei­ner et­wai­gen Be­weis­auf­nah­me nach frei­er Über­zeu­gung ei­ne tatsächli­che Be­haup­tung für wahr oder für nicht wahr er­ach­tet. An­ge­sichts der Un­zuläng­lich­keit der men­sch­li­chen Er­kennt­nismöglich­kei­ten ist ei­ne je­den Zwei­fel aus­sch­ließen­de Ge­wiss­heit kaum je er­reich­bar; sie kann da­her auch nicht ge­for­dert wer­den. Es kommt auf die persönli­che Über­zeu­gung des ent­schei­den­den Rich­ters an, der sich je­doch in zwei­fel­haf­ten Fällen mit ei­nem für das prak­ti­sche Le­ben brauch­ba­ren Grad von Ge­wiss­heit be­gnügen muss. Die Be­stim­mung des § 286 Abs. 1 ZPO ver­langt kei­nen na­tur­wis­sen­schaft­li­chen Kau­sa­litäts­nach­weis und auch kei­ne an Si­cher­heit gren­zen­den Wahr­schein­lich­keit, viel­mehr genügt ein für das prak­ti­sche Le­ben brauch­ba­rer Grad von Ge­wiss­heit, der ver­blei­ben­den Zwei­feln Schwei­gen ge­bie­tet, oh­ne sie völlig aus­zu­sch­ließen (BAG 11.06.2020 - 2 AZR 442/19, ju­ris Rn. 62; BGH 01.10.2019 - VI ZR 164/18 ju­ris Rn. 8). § 286 Abs. 1 ZPO ge­bie­tet da­bei die Berück­sich­ti­gung des ge­sam­ten Streitstof­fes (BGH 15.11.1976 - VIII ZR 125/75, ju­ris Rn. 12; BAG 20.08.2014 - 7 AZR 924/12, ju­ris Rn. 37).

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Zu würdi­gen sind auch die pro­zes­sua­len und vor­pro­zes­sua­len Hand­lun­gen, Erklärun­gen und Un­ter­las­sun­gen der Par­tei­en und ih­rer Ver­tre­ter (BAG 25.02.1998 - 2 AZR 327/97, ju­ris Rn. 19). Da­bei kann ein be­strit­te­ner Sach­vor­trag auch al­lei­ne mit­tels In­di­zi­en be­wie­sen wer­den, wenn die Hilfs­tat­sa­chen das Ge­richt mit dem Maßstab des § 286 ZPO von der Wahr­heit der Haupt­tat­sa­che über­zeu­gen (BAG 25.02.1998 a.a.O. Rn. 19; BAG 11.06.2020 a.a.O. Rn. 63).

57

d) In An­wen­dung der o.g. Grundsätze hat das Ge­richt die vol­le rich­ter­li­che Über­zeu­gung er­langt, dass das vollständi­ge Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Düssel­dorf der Be­klag­ten erst am 20.07.2020 und nicht be­reits am 17.07.2020 zu­ge­stellt wor­den ist. Dies er­gibt sich aus dem Sach­vor­trag der Par­tei­en nebst den zu­gehöri­gen An­la­gen un­ter Berück­sich­ti­gung der Stel­lung­nah­me der Di­rek­to­rin des Ar­beits­ge­richts Düssel­dorf.

58

aa) Zunächst hat die Be­klag­te im Ein­zel­nen durch Vor­la­ge ih­rer Fax­be­rich­te von Frei­tag, dem 17.07.2020 nach­ge­wie­sen, wel­che Do­ku­men­te sie an die­sem Tag zu wel­cher Uhr­zeit er­hal­ten hat. Sie hat durch das Bild­schirm­fo­to der Ein­gangsüber­sicht (An­la­ge B4 zum Schrift­satz vom 21.09.2020) und der Ein­gangs­pro­to­kol­le (An­la­ge B5 ff. zum Schrift­satz vom 21.09.2020) be­legt, dass ihr Pro­zess­ver­tre­ter an die­sem Tag in der Zeit zwi­schen 13:27 Uhr und 13:42 Uhr ins­ge­samt fünf Te­le­fa­xe von dem Ar­beits­ge­richt Düssel­dorf er­hal­ten hat, und zwar das vollständi­ge Sit­zungs­pro­to­koll (13:27 Uhr), die Sei­ten 9,10 und 11 des Ur­teils (13:35), die Sei­ten 11 und 12 des Ur­teils (13:36 Uhr), ein vollständi­ges An­schrei­ben des Ar­beits­ge­richts zum Streit­wert (13:37) und das Emp­fangs­be­kennt­nis (13:42 Uhr). Aus den Emp­fangs­pro­to­kol­len lässt sich die An­zahl der emp­fan­ge­nen Sei­ten er­se­hen. Um 13:35 sind da­nach nur drei Sei­ten über­mit­telt wor­den. Aus­weis­lich des Be­richts ist als Sta­tus "Emp­fangs­feh­ler" ver­merkt. Dies ist nach­voll­zieh­bar, weil zwar in der auf dem obe­ren Rand auf­ge­druck­ten Fa­x­zei­le der Sei­ten 9 und 10 des Ur­teils "S. 10/13" und "S. 11/13" ver­merkt ist. Die Sei­te 11 des Ur­teils des Ar­beits­ge­richts enthält in­so­weit "S.12/13", ist aber erst ab der Mit­te des Blat­tes ab­ge­druckt und des­halb un­vollständig. Al­ler­dings enthält der zwei­te Fax­be­richt von 13:36 Uhr be­tref­fend das Ur­teil wie die an­de­ren vollständig über­mit­tel­ten Do­ku­men­te den Sta­tus "Emp­fang er­folg­reich". Er weist al­ler­dings auch aus, dass le­dig­lich zwei Sei­ten über­mit­telt wur­den. Dies trifft zu, wie die vor­ge­leg­ten Aus­dru­cke zum Te­le­fax von 13:36 Uhr zei­gen. Es sind zwei Sei­ten - die­se aber vollständig über­mit­telt - wor­den, wes­halb die An­ga­be "Emp­fang er­folg­reich" zu­min­dest nach­voll­zieh­bar ist. Der er­folg­rei­che Emp­fang des ins­ge­samt 13 Sei­ten um­fas­sen­den Ur­teils er­gibt sich da­mit am 17.07.2020 auch um 13:36 Uhr ge­ra­de nicht, son­dern nur der Sei­ten 11 und 12 des Ur­teils mit dem Auf­druck oben am Rand "S. 12/13" und "S. 13/13".

59

bb) Rich­tig ist al­ler­dings, dass sich aus­weis­lich der von der Di­rek­to­rin des Ar­beits­ge­richts Düssel­dorf über­mit­tel­ten Fax­pro­to­kol­le des Com­pu­ter­fa­xes ("C-Fax") aus dem Fach­ver­fah­ren EU­RE­KA-Fach die zwei­ma­li­ge er­folg­rei­che Ver­sen­dung des Ur­teils des Ar­beits­ge­richts mit 13 Sei­ten und der An­ga­be "zu­ge­stellt am" am 17.07.2020 um 13:28 Uhr (Bl. 326) und 13:35 Uhr (Bl. 325) er­gibt. Dies spricht in­des nicht not­wen­dig dafür, dass die Te­le­fa­xe be­tref­fend das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Düssel­dorf am 17.07.2020 vollständig bei dem Be­klag­ten­ver­tre­ter an­ge­kom­men sind. Aus­weis­lich der Ant­wort der Di­rek­to­rin des Ar­beits­ge­richts Düssel­dorf zu Fra­ge 1 be­deu­tet dies nicht, dass die je­wei­li­gen Te­le­fa­xe tatsächlich bei dem Be­klag­ten­ver­tre­ter an­ge­kom­men sind. Es wer­de nur der vollständi­ge Ver­sand do­ku­men­tiert. Ob die Te­le­fa­xe auch an­ge­kom­men sind, könne nicht er­mit­telt wer­den. Viel­mehr kom­me es re­gelmäßig vor, dass die Geschäfts­stel­len ei­ne Fax­nach­richt noch ein­mal ver­sen­den müssen, weil die­se nicht vollständig über­mit­telt wur­de, ob­wohl ein er­folg­rei­cher Ver­sand do­ku­men­tiert wur­de. Dann ha­ben die Com­pu­ter­fax­be­rich­te aus dem Fach­ver­fah­ren EU­RE­KA-Fach im Hin­blick auf ei­ne tatsächlich er­folg­te vollständi­ge Über­mitt­lung ei­nes dar­aus ver­sand­ten Com­pu­ter­fa­xes kei­ne be­last­ba­re Aus­sa­ge­kraft. Dann ist auch die Ant­wort auf die ers­te Nach­fra­ge der Geschäfts­stel­le der 12. Kam­mer bei dem Ar­beits­ge­richt vom 21.09.2020,

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dass nicht be­kannt sei, dass das Ur­teil bei dem Be­klag­ten­ver­tre­ter un­vollständig ein­ge­gan­gen ist (vgl. Ver­merk Bl. 239 d.A.), nach­voll­zieh­bar. In­so­weit sind die An­ga­ben der Be­klag­ten zu den bei ihr ein­ge­gan­ge­nen bei­den Te­le­fa­xen am 17.07.2020 mit ei­nem zwei­mal nur un­vollständi­gen Ur­teil durch die Ant­wort des Ar­beits­ge­richts nicht wi­der­legt. Es spricht mehr dafür, dass die An­ga­ben aus­weis­lich der Fa­x­emp­fangs­pro­to­kol­le bei der Be­klag­ten möglich und zu­tref­fend sind, auch wenn die Über­mitt­lung an den Kläger­ver­tre­ter am 17.07.2020 er­folg­reich war.

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cc) Die wei­te­ren Umstände des Fall spre­chen zur vol­len Über­zeu­gung der Kam­mer ein­deu­tig dafür, dass die vollständi­ge Über­mitt­lung des Ur­teils des Ar­beits­ge­richts erst am 20.07.2020 er­folg­te, auch wenn die­se er­neu­te Ver­sen­dung - ob­wohl ei­gent­lich an­ge­zeigt - nicht in der Ge­richts­ak­te ver­merkt wur­de. Der Be­klag­ten­ver­tre­ter legt mit den An­la­gen B6 und B7 zum Schrift­satz vom 21.09.2020 die Bild­schirm­da­tei so­wie das vollständig über­mit­tel­te Ur­teil vor, das an die­sem Tag von dem Ar­beits­ge­richt Düssel­dorf er­neut über­sandt wur­de. Die Über­mitt­lung des Ur­teils ein­sch­ließlich Emp­fangs­be­kennt­nis er­folg­te am 20.07.2020 auf­grund fort­be­ste­hen­der Fa­x­emp­fangsstörung zwi­schen 11:23 Uhr und 11:30 Uhr. Der Fax­auf­druck oben auf dem Do­ku­ment von Sei­ten der Uhr des Ar­beits­ge­richts be­ginnt am 20.07.2020 um 11:21 Uhr mit "S. 1/13" und en­det am 20.07.2020 um 11:26 Uhr mit "S.13/13". Die Uhr­zeit­dif­fe­ren­zen können aus un­ter­schied­li­chen Uhr­zeit­ein­stel­lun­gen der bei­den Te­le­fax­geräte stam­men, wo­bei die Fax­dau­er in et­wa übe­rein­stimmt, wenn man berück­sich­tigt, dass es bei dem Emp­fang zu Un­ter­bre­chun­gen kam, was die et­was länge­re Zeit­span­ne erklärt. Ent­schei­dend ist aber, dass es am 20.07.2020 zu ei­ner er­neu­ten Über­sen­dung des vollständi­gen Ur­teils des Ar­beits­ge­richts kam. Dies be­le­gen zunächst die An­la­gen B6 und B7 zum Schrift­satz der Be­klag­ten vom 21.09.2020. Die Ant­wort der Di­rek­to­rin des Ar­beits­ge­richts zu Fra­ge 2 vom 30.09.2020 stützt dies. Zwar kann kein ent­spre­chen­der Fax­aus­gangs­be­richt vor­ge­legt wer­den, wie dies für den 17.07.2020 der Fall ist. Dies wird in­des nach­voll­zieh­bar erklärt. Bei dem Ar­beits­ge­richt Düssel­dorf be­steht, wie auch bei dem Lan­des­ar­beits­ge­richt Düssel­dorf die Möglich­keit, ein Te­le­fax als Com­pu­ter­fax un­mit­tel­bar aus dem Fach­ver­fah­ren EU­RE­KA-Fach zu ver­sen­den oder dies über das wei­ter­hin vor­han­de­ne herkömmli­che Fax­gerät zu er­le­di­gen. Aus­weis­lich der Aus­kunft der Di­rek­to­rin des Ar­beits­ge­richts vom 30.09.2020 ist der Ver­sand am 30.09.2020 von dem herkömmli­chen Fax­gerät er­folgt. Aus­weis­lich der Ant­wort der Di­rek­to­rin des Ar­beits­ge­richts vom 30.09.2020 steht für das herkömmli­che Te­le­fax­gerät für den 20.07.2020 kein Be­richt über die Fax­ausgänge zur Verfügung. Des­halb könne nicht bestätigt wer­den, dass das Ur­teil an die­sem Tag ein drit­tes Mal über­sandt wor­den sei, was auch erklärt, dass auf ers­te Nach­fra­ge der Geschäfts­stel­le der 12. Kam­mer am 21.09.2020 in der Do­ku­men­ten­lis­te in EU­RE­KA-Fach kei­ne noch­ma­li­ge Ver­sen­dung des Ur­teils er­sicht­lich ist (vgl. Ver­merk Bl. 239). Al­ler­dings er­in­ne­re sich Re­gie­rungs­beschäftig­te Q. un­deut­lich dar­an, dass sie von dem Be­klag­ten­ver­tre­ter auf­ge­for­dert wor­den sei, das Ur­teil er­neut per Te­le­fax zu über­mit­teln, aber versäumt ha­be, dies wie sonst üblich in der Ak­te zu ver­mer­ken. Dies ent­spricht dem Sach­vor­trag der Be­klag­ten, die an­ge­ge­ben hat, dass ihr Pro­zess­be­vollmäch­tig­ter am 17.07.2020 nach Un­ter­zeich­nung des Emp­fangs­be­kennt­nis­ses be­merkt ha­be, dass Ur­teil nicht vollständig sei und sein Se­kre­ta­ri­at ge­be­ten ha­be, das Ar­beits­ge­richt am Mon­tag, den 20.07.2020 über den Über­tra­gungs­feh­ler zu in­for­mie­ren und um er­neu­te Über­sen­dung des Ur­teils zu bit­ten. Es spricht für des­sen Glaubwürdig­keit, wenn er wei­ter an­gibt, dass man nicht mehr wis­se, ob es die­ses Hin­wei­ses be­durf­te oder das Ar­beits­ge­richt von sich aus die er­neu­te Über­sen­dung ver­an­lass­te. Es ist auch kein plau­si­bler Grund dafür er­sicht­lich, das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts nach dem Wo­chen­en­de am Mon­tag, den 20.07.2020 er­neut mit Emp­fangs­be­kennt­nis zu über­mit­teln, wenn die­ses vor­her be­reits vollständig über­mit­telt wor­den ist. Dann hätten we­der das Ar­beits­ge­richt noch der Be­klag­ten­ver­tre­ter An­lass ge­habt, die­se er­neu­te Über­mitt­lung zu ver­an­las­sen bzw. vor­zu­neh­men.

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dd) Für ei­ne un­vollständi­ge Über­mitt­lung am 17.07.2020 und ei­ner erst vollständi­gen

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Über­mitt­lung am 20.07.2020 spre­chen deut­lich die wei­te­ren Umstände des Fal­les. Zu­tref­fend weist die Be­klag­te dar­auf hin, dass be­reits die Be­ru­fungs­schrift vom 17.08.2020 nicht den 17.07.2020, son­dern den 20.07.2020 als Zu­stell­da­tum des Ur­teils des Ar­beits­ge­richts an­gibt. Der Be­klag­ten­ver­tre­ter, der be­reits am 17.08.2020 Be­ru­fung ein­ge­legt hat, hat­te über­haupt kei­ne Ver­an­las­sung in der Be­ru­fungs­schrift, ein fal­sches und späte­res Zu­stell­da­tum an­zu­ge­ben. Die Kam­mer hat da­bei gewürdigt, dass die Par­tei­be­zeich­nun­gen in der Be­ru­fungs­schrift ver­tauscht wa­ren. Ein Irr­tum in der An­ga­be des 20.07.2020 als Zu­stell­da­tum er­gibt sich dar­aus al­ler­dings nicht. Es wird ge­nau das Da­tum ein­ge­setzt, zu dem bei dem Be­klag­ten­ver­tre­ter die drit­te und al­lei­ne vollständig durch Fa­xein­gangs­be­rich­te und Fax­auf­dru­cke oben auf dem über­mit­tel­ten Ur­teil do­ku­men­tier­te Über­mitt­lung des Ur­teils exis­tiert. Der Be­ru­fungs­schrift ist auch kein Aus­druck des erst­in­stanz­li­chen Ur­teils vom 17.07.2020, son­dern ei­ne Ab­lich­tung des per Te­le­fax am 20.07.2020 über­mit­tel­ten Ur­teils des Ar­beits­ge­richts bei­gefügt ge­we­sen (Bl. 20 ff. d.A.). Der Fris­ten­ka­len­der des Be­klag­ten­ver­tre­ters weist als Frist für die Be­ru­fung den 20.08.2020 und nicht den 17.08.2020 aus, wel­che da­nach le­dig­lich am 17.08.2020 er­le­digt wur­de (An­la­ge B10 zum Schrift­satz der Be­klag­ten vom 28.09.2020). Die Vor­frist für die Be­ru­fungs­be­gründung war für den 14.09.2020 no­tiert (An­la­ge B11 zum Schrift­satz der Be­klag­ten vom 28.09.2020). Die Frist für die Be­ru­fungs­be­gründung war aus­weis­lich des Ka­len­ders am Mon­tag, den 21.09.2020 no­tiert (An­la­ge B 12 zum Schrift­satz der Be­klag­ten vom 28.09.2020). Am 17.09.2020 gab es zum hie­si­gen Ver­fah­ren kei­ne no­tier­te Frist. Dem Sach­ver­halt, d.h. der vollständi­gen Über­mitt­lung des Ur­teils am 20.07.2020 ent­spricht, dass die Fris­ten aus­weis­lich des Kürzels der Mit­ar­bei­te­rin des Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten der Be­klag­ten T. E. ("T.") und der An­ga­be "not" auf dem Te­le­fax vom 20.07.2020 ver­merkt wor­den sind. Dies hat die Be­klag­te nicht erst nachträglich in den Pro­zess ein­geführt, son­dern die­se An­ga­ben sind be­reits dem der Be­ru­fungs­schrift bei­gefügten Ur­teil des Ar­beits­ge­richts, das - wie aus­geführt - ei­ne Ab­lich­tung des Te­le­fa­xes vom 20.07.2020 ist, zu ent­neh­men (Bl. 217 d.A.). Auf der Rechts­mit­tel­be­leh­rung auf Sei­te 11 des Ur­teils und "S.12/13" des am 17.07.2020 um 13:25 über­mit­tel­ten Te­le­fa­xes hin­ge­gen fin­den sich sol­che An­ga­ben nicht. Dies al­les lässt zur Über­zeu­gung der Kam­mer nur den ein­deu­ti­gen Schluss zu, dass die vollständi­ge Über­mitt­lung des Ur­teils erst am Mon­tag den 20.07.2020 an den Be­klag­ten­ver­tre­ter er­folg­te.

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ee) Der Um­stand, dass sich in der Ak­te kein Emp­fangs­be­kennt­nis mit dem Da­tum 20.07.2020 be­fin­det, steht die­sem Er­geb­nis nicht ent­ge­gen. Die fest­ste­hen­den In­di­ztat­sa­chen be­le­gen, war­um dies der Fall ist. Der Be­klag­ten­ver­tre­ter hat nach­voll­zieh­bar erläutert, dass er sein Se­kre­ta­ri­at am 17.07.2020 an­ge­wie­sen hat, das am 17.07.2020 un­ter­zeich­ne­te Emp­fangs­be­kennt­nis nicht an das Ar­beits­ge­richt zurück­zu­sen­den. Dies ist zunächst ent­spre­chend der An­wei­sung nicht er­folgt. Er hat wei­ter an­ge­ge­ben, dass er am 20.07.2020 ein wei­te­res Emp­fangs­be­kennt­nis un­ter­zeich­net hat, da­bei al­ler­dings kein Da­tum ein­ge­tra­gen hat. Da die­ses per Te­le­fax über­mit­tel­te Do­ku­ment am obe­ren Rand mit der Fax­ken­nung das Da­tum 20.07.2020 trägt, kann es nicht vor die­sem Tag un­ter­zeich­net sein. Die Be­klag­te hat dann vor­ge­tra­gen, dass das Emp­fangs­be­kennt­nis vom 20.07.2020 zunächst nicht zurück­ge­faxt wur­de. Als dies auf­fiel, sei am 29.07.2020 verfügt wor­den, dies zu ver­an­las­sen. Dies sei auch er­folgt, wo­bei das Se­kre­ta­ri­at ih­res Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten dann ver­se­hent­lich auch noch das in der Ak­te be­find­li­che Emp­fangs­be­kennt­nis vom 17.07.2020 über­sandt ha­be. Die­ser Sach­ver­halt wird durch das Emp­fangs­jour­nal des Te­le­fax­gerätes des Ar­beits­ge­richts vom 29.07.2020, den die Di­rek­to­rin des Ar­beits­ge­richts Düssel­dorf ih­rer Ant­wort vom 30.09.2020 bei­gefügt hat, be­legt. Da­nach hat der Pro­zess­be­vollmäch­tig­te der Be­klag­ten am 29.07.2020 um 13:53 Uhr und 13:59 Uhr je­weils ei­ne Sei­te per Te­le­fax an das Ar­beits­ge­richt über­mit­telt. Auch wenn die Uhr­zei­ten sei­nes Fax­geräts (14:00 Uhr und 14:06 Uhr) und die­je­ni­gen des Ar­beits­ge­richts ab­wei­chen, ändert dies nichts dar­an, dass sein Sach­vor­trag bestätigt wird. Dies kann - wie be­reits zu­vor aus­geführt - an den un­ter­schied­li­chen Uhr­zei­ten der Te­le­fax­geräte lie­gen. Der Zeit­ab­stand zwi­schen den bei­den Über­mitt­lungs­zei­ten ist gleich und es han­delt sich je­weils um ei­ne Sei­te. Die Über­mitt­lungs­dau­er ist so gut wie iden­tisch.

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Bei dem Kom­mu­ni­ka­ti­ons­be­richt des Be­klag­ten­ver­tre­ters (An­la­gen B8 und B9 zum Schrift­satz vom 21.09.2020) sind je­weils 50 Se­kun­den an­ge­ge­ben. Bei dem Emp­fangs­jour­nal des Ar­beits­ge­richts sind es 53 und 52 Se­kun­den. All dies spricht dafür, dass der Be­klag­ten­ver­tre­ter wie aus sei­nen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­be­rich­ten er­sicht­lich am 29.07.2020 zwei Emp­fangs­be­kennt­nis­se über­mit­telt hat. Die Kam­mer hat gewürdigt, dass sich in der Ak­te des Ar­beits­ge­richts nur ein Emp­fangs­pro­to­koll be­fin­det. Rich­tig ist, dass es kei­ner ord­nungs­gemäßen Ak­tenführung ent­spricht von zwei Emp­fangs­be­kennt­nis­sen, die zu­dem un­ter­schied­lich über­mit­telt wor­den sind, nur ei­nes zur Ak­te zu neh­men. Al­ler­dings ist es zum ei­nen nicht aus­ge­schlos­sen, dass ein Emp­fangs­be­kennt­nis im Ein­zel­fall verfächert wird und so nicht wie­der auf­find­bar ist. Es ist zum an­de­ren nicht aus­ge­schlos­sen, dass das Emp­fangs­be­kennt­nis oh­ne auf­ge­druck­tes Da­tum des­halb nicht zur Ak­te ge­nom­men wur­de, weil kurz da­nach das­je­ni­ge mit ein­ge­tra­ge­nem Da­tum über­mit­telt wur­de, was den An­schein hätte na­he le­gen können, das erst da­mit das vollständi­ge Emp­fangs­be­kennt­nis über­mit­telt wird. Dies sind je­den­falls nach­voll­zieh­ba­re Erklärun­gen dafür, dass sich nur ein Emp­fangs­be­kennt­nis und zwar das mit ein­ge­tra­ge­nem Da­tum in der Ge­richts­ak­te be­fin­det, auch wenn dies so nicht sein soll­te. Aus dem Ge­samt­sach­ver­halt wird deut­lich, dass die Über­mitt­lung des vollständi­gen Ur­teils des Ar­beits­ge­richts erst am 20.07.2020 er­folg­te. An­halts­punk­te dafür, dass der Be­klag­ten­ver­tre­ter hier ei­nen Sach­ver­halt "ge­ra­derücken" woll­te, be­ste­hen zur Über­zeu­gung der Kam­mer nicht. Die vollständi­ge Ur­teilsüber­sen­dung am 20.07.2020 ist durch den Ge­samt­sach­ver­halt und sämt­li­che gewürdig­ten In­di­ztat­sa­chen zur vol­len Über­zeu­gung der Kam­mer be­legt. Dies hat sie den Par­tei­en im Ter­min am 09.12.2020 mit­ge­teilt. Wei­te­re Rügen sind da­nach von den Par­tei­en nicht er­ho­ben wor­den.

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II. Die Be­ru­fung der Be­klag­ten ist un­be­gründet, weil die recht­zei­tig von dem Kläger er­ho­be­ne Kündi­gungs­schutz­kla­ge be­gründet ist. Die Kündi­gungs­schutz­kla­ge ist be­gründet, weil die im An­wen­dungs­be­reich des Kündi­gungs­schutz­ge­set­zes aus­ge­spro­che­ne Kündi­gung der Be­klag­ten vom 26.02.2020 rechts­un­wirk­sam ist und das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en nicht auf­gelöst hat. Die auf häufi­ge Kurz­er­kran­kun­gen des Klägers gestütz­te Kündi­gung ist rechts­un­wirk­sam, weil sie nicht gemäß § 1 Abs. 1, 2 KSchG so­zi­al ge­recht­fer­tigt ist. Es lie­gen kei­ne Gründe in der Per­son des Klägers vor, die sei­ner Wei­ter­beschäfti­gung i.S.v. § 1 Abs. 2 KSchG ent­ge­gen­ste­hen.

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1. Die Wirk­sam­keit ei­ner auf häufi­ge Kurz­er­kran­kun­gen gestütz­ten or­dent­li­chen Kündi­gung setzt zunächst ei­ne ne­ga­ti­ve Ge­sund­heits­pro­gno­se vor­aus. Im Kündi­gungs­zeit­punkt müssen ob­jek­ti­ve Tat­sa­chen vor­lie­gen, die die Be­sorg­nis wei­te­rer Er­kran­kun­gen im bis­he­ri­gen Um­fang befürch­ten las­sen. Häufi­ge Kurz­er­kran­kun­gen in der Ver­gan­gen­heit können in­di­zi­ell für ei­ne ent­spre­chen­de künf­ti­ge Ent­wick­lung spre­chen (ers­te Stu­fe). Die pro­gnos­ti­zier­ten Fehl­zei­ten sind nur dann ge­eig­net, ei­ne krank­heits­be­ding­te Kündi­gung zu recht­fer­ti­gen, wenn sie zu ei­ner er­heb­li­chen Be­ein­träch­ti­gung der be­trieb­li­chen In­ter­es­sen führen. Da­bei können ne­ben Be­triebs­ab­laufstörun­gen auch wirt­schaft­li­che Be­las­tun­gen, et­wa durch zu er­war­ten­de, ei­nen Zeit­raum von mehr als sechs Wo­chen pro Jahr über­stei­gen­de Ent­gelt­fort­zah­lungs­kos­ten, zu ei­ner sol­chen Be­ein­träch­ti­gung führen (zwei­te Stu­fe). Ist dies der Fall, ist im Rah­men der ge­bo­te­nen In­ter­es­sen­abwägung zu prüfen, ob die Be­ein­träch­ti­gun­gen vom Ar­beit­ge­ber bil­li­ger­wei­se nicht mehr hin­ge­nom­men wer­den müssen (drit­te Stu­fe) (BAG 25.04.2018 - 2 AZR 6/18, ju­ris Rn. 19).

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2. Die Wirk­sam­keit der Kündi­gung der Be­klag­ten vom 26.02.2020 schei­tert auf der drit­ten Stu­fe, weil die Kündi­gung un­verhält­nismäßig ist. Die Kam­mer lässt of­fen, ob auf der Grund­la­ge des Sach­vor­trags der Be­klag­ten die ers­te und zwei­te Stu­fe erfüllt sind.

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a) Ei­ne aus Gründen in der Per­son des Ar­beit­neh­mers aus­ge­spro­che­ne Kündi­gung ist un­verhält­nismäßig und da­mit rechts­un­wirk­sam, wenn sie zur Be­sei­ti­gung der ein­ge­tre­te­nen Ver­tragsstörung nicht ge­eig­net oder nicht er­for­der­lich ist. Ei­ne Kündi­gung ist nicht durch Krank­heit oder an­de­re Gründe in der Per­son "be­dingt", wenn es an­ge­mes­se­ne

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mil­de­re Mit­tel zur Ver­mei­dung oder Ver­rin­ge­rung künf­ti­ger Fehl­zei­ten gibt. Mil­de­re Mit­tel können ins­be­son­de­re die Um­ge­stal­tung des bis­he­ri­gen Ar­beits­be­reichs oder die Wei­ter­beschäfti­gung des Ar­beit­neh­mers auf ei­nem an­de­ren - lei­dens­ge­rech­ten - Ar­beits­platz sein. Darüber hin­aus kann sich aus dem Grund­satz der Verhält­nismäßig­keit die Ver­pflich­tung des Ar­beit­ge­bers er­ge­ben, dem Ar­beit­neh­mer vor ei­ner Kündi­gung die Chan­ce zu bie­ten, ggf. spe­zi­fi­sche Be­hand­lungs­maßnah­men zu er­grei­fen, um da­durch die Wahr­schein­lich­keit künf­ti­ger Fehl­zei­ten aus­zu­sch­ließen (BAG 20.11.2014 - 2 AZR 755/13, ju­ris Rn. 24; BAG 21.11.2018 - 7 AZR 394/17, ju­ris Rn. 36).

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b) Der Ar­beit­ge­ber, der für die Verhält­nismäßig­keit der Kündi­gung nach § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG die Dar­le­gungs- und Be­weis­last trägt, kann sich zwar grundsätz­lich zunächst dar­auf be­schränken, zu be­haup­ten, für den Ar­beit­neh­mer be­ste­he kei­ne al­ter­na­ti­ve Beschäfti­gungsmöglich­keit. Be­steht je­doch ei­ne Ver­pflich­tung zur Durchführung ei­nes bEM, trifft den Ar­beit­ge­ber die Ob­lie­gen­heit, de­tail­liert dar­zu­le­gen, dass kei­ne Möglich­keit be­stand, die Kündi­gung durch an­ge­mes­se­ne mil­de­re Maßnah­men zu ver­mei­den. Ist ein an sich ge­bo­te­nes bEM un­ter­blie­ben, trifft den Ar­beit­ge­ber auch die Dar­le­gungs- und Be­weis­last dafür, dass ein bEM ent­behr­lich war, weil es we­gen der ge­sund­heit­li­chen Be­ein­träch­ti­gun­gen des Ar­beit­neh­mers un­ter kei­nen Umständen ein po­si­ti­ves Er­geb­nis hätte er­brin­gen können. Die ob­jek­ti­ve Nutz­lo­sig­keit ei­nes be­trieb­li­chen Ein­glie­de­rungs­ma­nage­ments schränkt die Pflicht des Ar­beit­ge­bers ein, ein bEM durch­zuführen. Es ob­liegt da­her dem Ar­beit­ge­ber, die tatsächli­chen Umstände im Ein­zel­nen dar­zu­le­gen und zu be­wei­sen, auf­grund de­rer ein bEM we­gen der ge­sund­heit­li­chen Be­ein­träch­ti­gun­gen des Ar­beit­neh­mers nicht zu ei­nem po­si­ti­ven Er­geb­nis hätte führen können. Da­zu muss er um­fas­send und kon­kret vor­tra­gen, wes­halb we­der der wei­te­re Ein­satz des Ar­beit­neh­mers auf dem bis­her in­ne­ge­hab­ten Ar­beits­platz noch des­sen lei­dens­ge­rech­te An­pas­sung und Verände­rung möglich war und der Ar­beit­neh­mer auch nicht auf ei­nem an­de­ren Ar­beits­platz bei geänder­ter Tätig­keit hätte ein­ge­setzt wer­den können (BAG 20.11.2014 a.a.O. Rn. 27; BAG 13.05.2015 - 2 AZR 565/14, ju­ris Rn. 28; BAG 21.11.2018 a.a.O. Rn. 38). Darüber hin­aus muss der Ar­beit­ge­ber auch dar­tun, dass künf­ti­ge Fehl­zei­ten eben­so we­nig durch ge­setz­lich vor­ge­se­he­ne Hil­fen oder Leis­tun­gen der Re­ha­bi­li­ta­ti­ons­träger in re­le­van­tem Um­fang hätten ver­mie­den wer­den können (BAG 20.11.2014 a.a.O. Rn. 47 ff.). 68
aa) Ent­ge­gen der An­sicht der Be­klag­ten war die­se vor Aus­spruch der Kündi­gung vom 26.02.2020 gemäß § 167 Abs. 2 SGB IX ver­pflich­tet (er­neut) ein bEM durch­zuführen. Dies ist nicht er­folgt. 69
(1) Die Kam­mer lässt of­fen, ob sie man­gels kon­kre­ter Rügen des Klägers über­haupt zu prüfen ge­hal­ten ist, ob das Gespräch am 05.03.2019 den sach­li­chen An­for­de­run­gen ei­nes bEM (da­zu z.B. BAG 10.12.2009 - 2 AZR 400/08, ju­ris Rn. 20 f.) genügte und ob dies in der Sa­che der Fall war. Da­von kann aus­ge­gan­gen wer­den, weil dies nicht ent­schei­dungs­er­heb­lich ist. 70

(2) Weil der Kläger nach dem 05.03.2019 vor Zu­gang der Kündi­gung vom 26.02.2020 er­neut länger als sechs Wo­chen wie­der­holt ar­beits­unfähig er­krankt war, nämlich vom 03.06.2019 bis 07.06.2019 an fünf Ar­beits­ta­gen, vom 10.07.2019 bis 12.07.2019 an drei Ar­beits­ta­gen und vom 09.08.2019 bis 17.11.2019 an 71 Ar­beits­ta­gen, hat­te die Be­klag­te gemäß § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX er­neut ein bEM durch­zuführen. Auf die Ur­sa­che der Er­kran­kun­gen kommt es in­so­weit nicht an (BAG 20.11.2014 a.a.O. Rn. 42). Die ge­nann­ten Zei­ten der Ar­beits­unfähig­keit lie­gen in­ner­halb ei­nes Jah­res i.S.v. § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX. Ent­ge­gen der An­sicht der Be­klag­ten ist der Ar­beit­ge­ber nach ei­nem durch­geführ­ten bEM nicht erst nach Ab­lauf ei­nes Jah­res zu ei­nem wei­te­ren bEM ver­pflich­tet. Es ist für die recht­li­che Ver­pflich­tung der Be­klag­ten zur Durchführung ei­nes bEM gemäß § 167 Abs. 2 SGB IX un­er­heb­lich, dass seit dem 05.03.2019 bis zum Zu­gang der Kündi­gung vom 26.02.2020 un­strei­tig noch kein gan­zes Jahr ver­gan­gen ist. Dies er­gibt die Aus­le­gung des

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§ 167 Abs. 2 SGB IX.

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(1.1) Maßge­bend für die Ge­set­zes­aus­le­gung ist der in der Norm zum Aus­druck kom­men­de ob­jek­ti­vier­te Wil­le des Ge­setz­ge­bers. Zu des­sen Er­mitt­lung sind der Wort­laut der Norm, die Sys­te­ma­tik, der Sinn und Zweck so­wie die Ge­set­zes­ma­te­ria­li­en und die Ent­ste­hungs­ge­schich­te her­an­zu­zie­hen. Un­ter die­sen an­er­kann­ten Me­tho­den hat kei­ne un­be­ding­ten Vor­rang. Wel­che Re­ge­lungs­kon­zep­ti­on der Ge­setz­ge­ber mit dem von ihm ge­fun­de­nen Wort­laut tatsächlich ver­folgt, er­gibt sich un­ter Umständen erst aus den an­de­ren Aus­le­gungs­ge­sichts­punk­ten. Wird dar­aus der Wil­le des Ge­setz­ge­bers klar er­kenn­bar, ist er zu be­ach­ten (BAG 05.06.2020 - 10 AZN 53/20, ju­ris Rn. 15). Da­bei ist der Wort­laut (le­dig­lich) Aus­gangs­punkt der Aus­le­gung. Die Fest­stel­lung, dass der Wort­laut ein­deu­tig ist, stellt das Er­geb­nis der Aus­le­gung dar. Ein Text ist im­mer mehr­deu­tig. Es be­steht für je­den Norm­ge­ber die Schwie­rig­keit, text­lich Ein­deu­tig­keit her­zu­stel­len (BAG 21.01.2020 - 3 AZR 565/18, ju­ris Rn. 17).

72

(1.2) In An­wen­dung die­ser Aus­le­gungs­grundsätze, muss der Ar­beit­ge­ber gemäß § 167 Abs. 2 SGB IX nach ei­nem durch­geführ­ten bEM er­neut ein bEM durchführen, wenn der Ar­beit­neh­mer nach Ab­schluss des ers­ten bEM in­ner­halb ei­nes Jah­res er­neut länger als sechs Wo­chen un­un­ter­bro­chen oder wie­der­holt ar­beits­unfähig wird. Der Ab­schluss ei­nes bEM ist da­bei der Tag "Null" für ei­nen neu­en Re­fe­renz­zeit­raum von ei­nem Jahr (Düwell in Dau/Düwell/Jous­sen, SGB IX, 5. Aufl. 2019, § 167 Rn. 57 a.E.). Ein "Min­dest­halt­bar­keits­da­tum" hat ein bEM nicht. Es ist er­neut durch­zuführen, wenn der Beschäftig­te nach Ab­schluss des bEM bzw. der Um­set­zung der be­schlos­se­nen Maßnah­men wie­der länger als sechs Wo­chen ar­beits­unfähig war (vgl. Hin­ze, Das BEM nach § 84 Abs. 2 SGB IX, 2018, S. 176 f.). Ei­ne Be­gren­zung der recht­li­chen Ver­pflich­tung auf ei­ne nur ein­ma­li­ge Durchführung des bEM im Jah­res­zeit­raum des § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX lässt sich dem Ge­setz nicht ent­neh­men (LAG Rhein­land-Pfalz 10.01.2017 - 8 Sa 359/16, ju­ris Rn. 34 ff.; LAG Hamm 29.05.2018 - 7 Sa 48/18, ju­ris Rn. 59; i.E. wohl auch LAG Schles­wig-Hol­stein 03.06.2015 - 6 Sa 396/14, ju­ris Rn. 111 bis 113 [Pflicht zu er­neu­tem bEM bei un­ter­stell­ter Ab­leh­nung des bEM vier Wo­chen nach dem 20.06.2013, mehr als sechs Wo­chen Ar­beits­unfähig­keit im Zeit­raum Au­gust 2013 bis Fe­bru­ar 2014 und Kündi­gung im März 2014; a.A. wohl Hes­si­sches LAG 17.02.2017 - 14 Sa 690/16, ju­ris Rn. 27).

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(1.2.1) Rich­tig ist, dass der Wort­laut des § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX nur ein ers­ter An­halts­punkt ist. Er enthält nicht - wie die Be­klag­te zu­tref­fend rügt - die For­mu­lie­rung "Im­mer dann, wenn". Der Wort­laut in § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX geht schlicht oh­ne je­de wei­te­re Ergänzung da­von aus, dass ge­for­dert wird, dass der Beschäftig­te "in­ner­halb ei­nes Jah­res" länger als sechs Wo­chen ar­beits­unfähig wird. Der Ge­set­zes­wort­laut nennt mit­hin le­dig­lich ei­nen Zeit­raum, oh­ne ei­nen An­fangs- oder End­zeit­punkt fest­zu­le­gen. Aus­ge­hend vom Wort­laut kann der Re­fe­renz­zeit­raum von ei­nem Jahr mit­hin je­der­zeit be­gin­nen und sich so fort­lau­fend ak­tua­li­sie­ren (s.a. ErK/Rolfs, 21. Aufl. 2021, § 167 SGB IX Rn. 5: "nicht not­wen­dig Ka­len­der­jahr"; eben­so Grei­ner in Neu­mann u.a. SGB IX 14. Aufl. 2020, § 167 Rn. 14; Gut­zeit in Be­ckOK So­zi­al­recht 58. Edi­ti­on § 167 SGB IX Rn. 10). Eben­so we­nig wie die For­mu­lie­rung "Im­mer dann, wenn" enthält, er­gibt sich aus dem Norm­text ei­ne Ein­schränkung da­hin­ge­hend, dass dann, wenn der Beschäftig­te in­ner­halb ei­nes Jah­res länger als sechs Wo­chen ar­beits­unfähig wird, der Ar­beit­ge­ber "ein­ma­lig in­ner­halb ei­nes Jah­res" ein bEM durch­zuführen hat (LAG Rhein­land-Pfalz a.a.O. Rn. 37).

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(1.2.2) Ei­ne sol­che Ein­schränkung be­steht zur Über­zeu­gung der Kam­mer nicht, weil sie sich aus dem maßgeb­li­chen Zweck des bEM nicht ab­lei­ten lässt, son­dern mit die­sem nicht ver­ein­bar ist (LAG Rhein­land-Pfalz a.a.O. Rn. 38). Bei ge­sund­heit­li­chen Störun­gen soll mit Zu­stim­mung des be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mers ei­ne ge­mein­sa­me Klärung mögli­cher Maßnah­men durch al­le Be­tei­lig­ten (Ar­beit­ge­ber, be­trieb­li­che In­ter­es­sen­ver­tre­tung, Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung, In­te­gra­ti­ons­amt, ge­mein­sa­me Ser­vice­stel­le so­wie Werks-

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oder Be­triebs­arzt) er­fol­gen, um kurz­fris­tig Beschäfti­gungs­hin­der­nis­se zu über­win­den und den Ar­beits­platz durch Leis­tun­gen und Hil­fen er­hal­ten zu können (BT-Drs. 15/1783 S. 12 zu § 84 Abs. 2 SGB IX a.F.; s.a. ErfK/Rolfs, a.a.O. § 167 SGB IX Rn. 4). Durch die ge­mein­sa­me An­stren­gung al­ler Be­tei­lig­ten soll­te ein bEM ge­schaf­fen wer­den, das durch ge­eig­ne­te Ge­sund­heits­präven­ti­on das Ar­beits­verhält­nis möglichst dau­er­haft si­chert. Der Ge­setz­ge­ber ging da­von aus, dass die da­ma­li­gen In­te­gra­ti­onsämter vor Be­an­tra­gung ei­ner Zu­stim­mung zur Kündi­gung noch zu we­nig ein­ge­schal­tet wur­den, da­mit recht­zei­tig präven­ti­ve Maßnah­men er­grif­fen wer­den können. Die Re­ge­lung ver­schafft der Ge­sund­heits­präven­ti­on am Ar­beits­platz da­durch ei­nen stärke­ren Stel­len­wert, dass die Ak­teu­re un­ter Mit­wir­kung des Be­trof­fe­nen zur Klärung der zu tref­fen­den Maßnah­men ver­pflich­tet wer­den (BT-Drs. 15/1783 S. 16 zu § 84 Abs. 2 SGB IX a.F.). Die In­ten­ti­on des Ge­setz­ge­bers lief mit­hin auf ei­nen Aus­bau und ei­ne Stärkung des bEM hin­aus, das aus­drück­lich ei­nen stärke­ren Stel­len­wert er­hal­ten soll­te. Die­se stärken­den Zwe­cke fin­den sich im Ge­set­zes­text des § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX wie­der, der aus­drück­lich ausführt, dass die Möglich­kei­ten geklärt wer­den sol­len, wie die Ar­beits­unfähig­keit möglichst über­wun­den wer­den und mit wel­chen Leis­tun­gen oder Hil­fen er­neu­ter Ar­beits­unfähig­keit vor­ge­beugt und der Ar­beits­platz er­hal­ten wer­den kann. Durch die dem Ar­beit­ge­ber auf­er­leg­ten be­son­de­ren Ver­hal­tens­pflich­ten soll möglichst frühzei­tig ei­ner Gefähr­dung des Ar­beits­verhält­nis­ses ei­nes kran­ken Men­schen be­geg­net und die dau­er­haf­te Fort­set­zung der Beschäfti­gung er­reicht wer­den (BAG 18.10.2017 - 10 AZR 47/17, ju­ris Rn. 24). Die­ser um­fas­sen­de Schutz­zweck steht ei­ner Ein­gren­zung des bEM auf an­zahlmäßig ei­nes in­ner­halb ei­nes Jah­res ent­ge­gen. Dies muss je­den­falls dann gel­ten, wenn - wie hier un­ter­stellt - ein bEM durch­geführt wur­de und dies zu kei­ner­lei Maßnah­men geführt hat. Dann be­ginnt ei­ne neue Pha­se von ei­nem Jahr, weil sich in­ner­halb die­ser Zeit­span­ne die be­trieb­li­chen Abläufe und Verhält­nis­se eben­so geändert ha­ben können wie die der Ar­beits­unfähig­keit zu Grun­de lie­gen­den Er­kran­kun­gen (vgl. Hin­ze a.a.O. S. 174). Mit dem um­fas­sen­den An­satz des bEM ist es nicht zu ver­ein­ba­ren, dass erst nach Ab­lauf ei­nes Jah­res ein er­neu­ter Zeit­raum be­ginnt, in wel­chem der Beschäftig­te nach ei­ner Ar­beits­unfähig­keit von mehr als sechs Wo­chen ei­nen An­spruch auf ein bEM hat. Es hat sich schließlich ge­zeigt, dass das bEM ge­ra­de nicht er­folg­reich war und sein Ziel, die Ar­beits­unfähig­keit möglichst zu über­win­den, nicht er­reicht hat (vgl. zu die­ser Ar­gu­men­ta­ti­on für das Er­for­der­nis ei­nes er­neu­ten bEM Grei­ner a.a.O. § 167 Rn. 15 a.E.). Ist das Ziel des bEM nicht er­reicht und wird im An­schluss dar­an in­ner­halb ei­nes Jah­res er­neut die Schwel­le von sechs Wo­chen Ar­beits­unfähig­keit über­schrit­ten, ge­bie­tet es der Norm­zweck mit sei­nem um­fas­sen­den und stärken­den An­satz, er­neut ein bEM durch­zuführen (in die­se Rich­tung LAG Hamm 22.03.2018 - 15 Sa 1787/17, ju­ris Rn. 56: Fort­wir­kung ei­nes bEM nur so lan­ge, bis sich in ei­nem Zeit­raum von ma­xi­mal 365 Ta­gen aber­mals Fehl­zei­ten von mehr sechs Wo­chen an­ge­sam­melt ha­ben). Ge­nau so liegt es hier. Das von der Be­klag­ten und dem Kläger - un­ter­stellt - durch­geführ­te bEM am 05.03.2019 hat in der Sa­che kei­nen Er­folg ge­zeigt, weil sich im An­schluss in­ner­halb ei­nes Jah­res bei dem Kläger er­neut Zei­ten der Ar­beits­unfähig­keit von mehr als sechs Wo­chen ge­zeigt ha­ben.

75

(1.2.3) Dem ste­hen die von der Be­klag­ten vor­ge­brach­ten Ar­gu­men­te nicht ent­ge­gen. Die Kam­mer ver­kennt nicht, dass die Durchführung ei­nes bEM ei­nen er­heb­li­chen Ver­wal­tungs­auf­wand er­for­dert, der sich ge­ra­de bei Lang­zeit­er­kran­kun­gen po­ten­zie­ren kann. Es ist al­ler­dings nicht so, dass bei Lang­zeit­er­kran­kun­gen nach Ab­lauf von je­weils sechs Wo­chen im­mer so­fort ein neu­es bEM durch­zuführen ist. Zur Über­zeu­gung der Kam­mer be­darf es kei­nes er­neu­ten bEM, wenn und so­lan­ge ein sol­ches durch­geführt wird. In­ner­halb ei­nes lau­fen­den bEM sind sämt­li­che neu auf­tre­ten­den Zei­ten von Ar­beits­unfähig­keit mit ein­zu­be­zie­hen. Dies be­deu­tet nicht, dass ein bEM bei ei­ner Lang­zeit­er­kran­kung nie ab­ge­schlos­sen wer­den kann. Es be­deu­tet le­dig­lich, dass nicht während ei­nes lau­fen­den bEM par­al­lel wei­te­re bEM durch­zuführen sind. Ist das bEM ab­ge­schlos­sen, soll es nach sei­ner ge­setz­li­chen Kon­zep­ti­on sei­nen Zweck- Über­win­dung der Ar­beits­unfähig­keit und Er­hal­tung des Ar­beits­plat­zes - erfüllen. Ist dies nicht der Fall,

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weil der Ar­beit­neh­mer in­ner­halb ei­nes sich an den Ab­schluss des bEM an­sch­ließen­den Jah­res er­neut länger als sechs Wo­chen ar­beits­unfähig wird, be­steht ein er­neu­ter An­lass für ein bEM. Nur in­ner­halb die­ses Ver­fah­rens kann ab­geklärt wer­den, ob es sich wei­ter­hin um die glei­che Er­kran­kung han­delt oder nicht oder an­de­re be­trieb­li­che oder sons­ti­ge As­pek­te zu be­ach­ten sind. Ist dies al­les nicht der Fall, wird sich das (er­neu­te) bEM im Ein­ver­neh­men der Be­tei­lig­ten oft­mals schnell ab­sch­ließen las­sen. Hat sich nichts geändert, dann ist das bEM tatsächlich ein nur for­mal durch­zuführen­des Ver­fah­ren. Auf ei­ne sol­che Be­trach­tungs­wei­se stellt das Ge­setz aber nicht ab. Es knüpft pau­schal an den Um­fang der Zei­ten von Ar­beits­unfähig­keit in­ner­halb ei­nes Jah­res an (LAG Hamm 29.05.2018 a.a.O. Rn. 59). Über­schrei­ten die­se Zei­ten die Er­heb­lich­keits­schwel­le des § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX, ist das bEM, auch wenn es ob­jek­tiv nur ei­ne Förme­lei ist, er­neut durch­zuführen, weil dies an­hand der bloßen Zei­ten der Ar­beits­unfähig­keit nicht zu er­ken­nen ist.

76

So­weit die Be­klag­te rügt, dass das Ar­beits­ge­richt die Ent­schei­dung des Lan­des­ar­beits­ge­richts Düssel­dorf vom 20.10.2016 (13 Sa 356/16, ju­ris) nicht ver­ar­bei­tet ha­be, führt dies zu kei­nem an­de­ren Er­geb­nis. Zur Über­zeu­gung der er­ken­nen­den 12. Kam­mer hat die 13. Kam­mer des Lan­des­ar­beits­ge­richts Düssel­dorf die Fra­ge, ob in­ner­halb der Jah­res­frist bei er­neu­ter Ar­beits­unfähig­keit i.S.v. § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX, ein er­neu­tes bEM durch­zuführen ist oder nicht, nicht be­ant­wor­tet. Da­zu gab der dort zu be­han­deln­de Sach­ver­halt kei­nen An­lass. Die 13. Kam­mer führt viel­mehr aus, dass ein bEM im Zeit­ab­lauf wie­der­holt durch­zuführen oder je­den­falls an­zu­bie­ten ist, so­fern die ge­setz­li­chen Vor­aus­set­zun­gen er­neut erfüllt wer­den. Bis zur Kündi­gung im Sep­tem­ber 2015 des zu be­ur­tei­len­den Fal­les war ein Zeit­raum von weit über ei­nem Jahr ver­stri­chen, in dem die dor­ti­ge Kläge­rin wie­der­um länger als sechs Wo­chen ar­beits­unfähig war (LAG Düssel­dorf 20.10.2016 a.a.O. Rn. 36 a.E.). Wei­ter geht die 13. Kam­mer da­von aus, dass der maßgeb­li­che Zeit­raum in je­dem Fall über­schrit­ten sei, wenn nach dem nicht zu­stan­de ge­kom­me­nen bEM er­neut weit mehr als ein Jahr ver­stri­chen ist und er­neut die Vor­aus­set­zun­gen für ein bEM vor­ge­le­gen ha­ben (LAG Düssel­dorf 20.10.2016 a.a.O. Rn. 38 a.E.). Die hier zu be­ant­wor­ten­de Rechts­fra­ge hat sich in dem Sach­ver­halt, den die 13. Kam­mer des Lan­des­ar­beits­ge­richts Düssel­dorf zu ent­schei­den hat­te, nicht ge­stellt, wes­halb es auch die Re­vi­si­on nicht zu­ge­las­sen hat. Aber selbst wenn man mit der Be­klag­ten de­ren Rechts­an­sicht der Ent­schei­dung der 13. Kam­mer im Sin­ne ei­nes ob­iter dic­tum ent­neh­men woll­te, änder­te dies nichts. Die er­ken­nen­de Kam­mer ist auf­grund der be­reits auf­ge­zeig­ten Gründe der An­sicht, dass die hier zu be­ant­wor­ten­de Rechts­fra­ge der er­neu­ten Durchführung des bEM wie ge­sche­hen zu be­ant­wor­ten ist.

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(1.2.4) Auf ei­ne rück­wir­ken­de Be­trach­tung aus­ge­hend von der Kündi­gung kommt es zur Über­zeu­gung der Kam­mer nicht an (of­fen ge­las­sen von BAG 20.11.2014 a.a.O. Rn. 36 a.E.). Die­ser Zeit­punkt ist kein Be­stand­teil von § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX. Zwar soll als Norm­zweck die Ar­beits­unfähig­keit über­wun­den und der Ar­beits­platz er­hal­ten wer­den. Ei­ne Kündi­gung als rück­wir­ken­der Aus­gangs­zeit­punkt des Jah­res­zeit­raums lässt sich § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX in­des nicht ent­neh­men. Ein bEM ist un­abhängig von ei­ner et­wai­gen Kündi­gungs­ab­sicht des Ar­beit­ge­bers durch­zuführen (BAG 18.10.2017 a.a.O. Rn. 24). Die Kündi­gung soll ge­ra­de ver­mie­den wer­den. Wenn man auf den Kündi­gungs­zeit­punkt ab­stel­len woll­te, dann würde dies eher be­deu­ten, dass ge­ra­de dann, wenn nach Ab­schluss ei­nes bEM er­neut mehr als sechs Wo­chen an Ar­beits­unfähig­keit auf­ge­tre­ten sind, ein er­neu­tes bEM durch­zuführen ist. Es geht nach der Kon­zep­ti­on und dem Ge­set­zes­wort­laut dar­um, den Ar­beits­platz zu er­hal­ten. Soll das Ge­gen­teil durch ei­ne Kündi­gung er­reicht wer­den, ge­bie­tet die ge­setz­li­che Kon­zep­ti­on, dass vor der Kündi­gung "noch ein­mal" ver­sucht wird, die Ar­beits­unfähig­keit zu über­win­den und den Ar­beits­platz zu er­hal­ten (vgl. LAG Düssel­dorf 20.10.2016 - 13 Sa 356/16, ju­ris Rn. 38: Durchführung des bEM zeit­nah vor Aus­spruch der Kündi­gung), wenn seit dem letz­ten bEM die Er­heb­lich­keits­schwel­le der Zei­ten an Ar­beits­unfähig­keit über­schrit­ten ist.

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(1.2.5) Der Um­stand, dass der Kläger am 07.02.2020 ei­nen er­neu­ten An­trag auf An­er­ken­nung als schwer­be­hin­der­ter Mensch ge­stellt hat, nach­dem der vor­he­ri­ge ab­ge­lehnt war, steht der recht­li­chen Ver­pflich­tung zur Durchführung ei­nes bEM aus meh­re­ren Gründen nicht ent­ge­gen. Die Ausübung ei­nes zulässi­gen An­trags­rechts kann ei­ne ge­setz­li­che aus § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX fol­gen­de Pflicht schon an sich nicht ent­fal­len las­sen. Ist der An­trag rechts­miss­bräuch­lich, ist er un­be­acht­lich und steht da­mit der recht­li­chen Ver­pflich­tung aus § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX eben­falls nicht ent­ge­gen. Oh­ne­hin müss­te die Be­klag­te ei­nen sol­chen Rechts­miss­brauch dar­le­gen und be­wei­sen. Dafür fehlt je­der Vor­trag, zu­mal der Kläger vor dem Ar­beits­ge­richt mit­ge­teilt hat, dass sein An­trag ei­ne Erhöhung des GdB von 20 auf 30 er­ge­ben hat. Das Be­strei­ten die­ses Um­stan­des mit Nicht­wis­sen genügt nicht, um von Rechts­miss­brauch aus­zu­zu­ge­hen. So­weit der Kläger auf Nach­fra­ge der Be­klag­ten im Ter­min vor der er­ken­nen­den Kam­mer mit­ge­teilt hat, dass sein Gleich­stel­lungs­an­trag noch nicht be­schie­den ist, ist nicht er­sicht­lich, wor­in ein Rechts­miss­brauch lie­gen soll. Un­abhängig da­von ist es nicht so, dass al­lei­ne der An­trag auf Zu­er­ken­nung der Ei­gen­schaft als schwer­be­hin­der­ter Mensch oder Gleich­stel­lung den Son­derkündi­gungs­schutz in Form des Zu­stim­mungs­er­for­der­nis­ses aus § 168 SGB IX auslöst. Den be­son­de­ren Kündi­gungs­schutz der §§ 168?ff. ge­nießt nur der­je­ni­ge schwer­be­hin­der­te Ar­beit­neh­mer, der recht­zei­tig (§ 173 Abs. 3 IX i.V.m. § 152 Abs. 1 Satz 3 SGB IX) vor Kündi­gungs­zu­gang den An­er­ken­nungs­an­trag ge­stellt hat­te, wenn die Schwer­be­hin­de­rung zu die­sem Zeit­punkt be­reits ob­jek­tiv vor­lag und die Ver­sor­gungs­behörde dem An­trag da­her später rück­wir­kend für ei­ne Zeit vor dem Kündi­gungs­zu­gang statt­gibt (ErfK/Rolfs, a.a.O. § 173 SGB IX Rn. 7; s.a. BAG 06.09.2007 - 2 AZR 324/06, ju­ris Rn. 14). Ein et­wai­ges Ne­ga­ti­vat­test des In­klu­si­ons­am­tes führt al­len­falls da­zu, dass die Kündi­gung auch dann zu­stim­mungs­frei bleibt, wenn dem An­trag des Ar­beit­neh­mers rück­wir­kend ent­spro­chen wird (ErfK/Rolfs a.a.O. § 173 SGB IX Rn. 7). Es mag des­halb so sein, dass die Be­klag­te hier den aus ih­rer Sicht ri­si­koärme­ren Weg ge­hen woll­te. Das In­klu­si­ons­amt hat­te in sei­nem Be­scheid vom 19.02.2020 dar­auf ab­ge­stellt, dass der be­son­de­re Kündi­gungs­schutz durch den Ände­rungs­an­trag im Hin­blick auf die Frist des § 173 Abs. 3 SGB IX i.V.m. § 152 Abs. 1 Satz 3 SGB IX noch nicht ein­ge­tre­ten sei. Die Be­klag­te woll­te die­sen kur­zen Zeit­raum zur Kündi­gung nut­zen. Die recht­li­che Ver­pflich­tung zur Durchführung ei­nes bEM lässt die­ses Zeit­fens­ter nicht ent­fal­len, das im Übri­gen - wie aus­geführt - nur dann ein zu­stim­mungs­frei­es Zeit­fens­ter ist, wenn der An­trag des Klägers vom 07.02.2020 auch er­folg­reich ist. An­dern­falls be­steht über­haupt kei­ne Zu­stim­mungs­pflicht.

79

bb) Zu­tref­fend hat das Ar­beits­ge­richt aus­geführt, dass die man­gels Durchführung ei­nes wei­te­ren bEM be­ste­hen­de er­wei­ter­te Dar­le­gungs- und Be­weis­last der Be­klag­ten nicht auf­grund des Be­scheids des In­klu­si­ons­am­tes vom 19.02.2020 ent­fiel, weil die­ses Ne­ga­ti­vat­test kei­ne in­halt­li­che Prüfung von Beschäfti­gungs­al­ter­na­ti­ven ent­hielt. Auf die zu­tref­fen­den Ausführun­gen des Ar­beits­ge­richts zu I.2.c der Ent­schei­dungs­gründe wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG Be­zug ge­nom­men. Das Be­ru­fungs­vor­brin­gen der Be­klag­ten ge­bie­tet kei­ne an­de­re Be­trach­tung.

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cc) Die Be­klag­te hat nicht dar­ge­legt, dass das an sich ge­bo­te­nes bEM we­gen der ge­sund­heit­li­chen Be­ein­träch­ti­gun­gen des Ar­beit­neh­mers un­ter kei­nen Umständen im Sin­ne der oben dar­ge­stell­ten Vor­aus­set­zun­gen ein po­si­ti­ves Er­geb­nis hätte er­brin­gen können.

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(1) Dies hat be­reits das Ar­beits­ge­richt zu­tref­fend er­kannt und gut be­gründet wie folgt aus­geführt: "Sie [die Be­klag­te] hat we­der de­tail­liert dar­ge­legt, dass kei­ne Möglich­keit be­stand, die Kündi­gung durch an­ge­mes­se­ne mil­de­re Maßnah­men zu ver­mei­den, noch, dass ein bEM ent­behr­lich war, weil es we­gen der ge­sund­heit­li­chen Be­ein­träch­ti­gun­gen des Klägers un­ter kei­nen Umständen ein po­si­ti­ves Er­geb­nis hätte er­brin­gen können. Sie hat nicht um­fas­send und kon­kret vor­ge­tra­gen, wes­halb we­der der wei­te­re Ein­satz des Klägers auf sei­nem bis­he­ri­gen Ar­beits­platz als Pro­duk­ti­ons­hel­fer noch des­sen lei­dens­ge­rech­te

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An­pas­sung und Verände­rung möglich war und dass der Kläger auch nicht auf ei­nem an­de­ren Ar­beits­platz bei geänder­ter Tätig­keit hätte ein­ge­setzt wer­den können. Sie hat sich zum bis­he­ri­gen Ar­beits­platz des Klägers als Pro­duk­ti­ons­hel­fer und des­sen lei­dens­ge­rech­ter An­pas­sung und Verände­rung über­haupt nicht ver­tieft ver­hal­ten. Zu ei­nem Ein­satz des Klägers auf ei­nem an­de­ren Ar­beits­platz bei geänder­ter Tätig­keit hat sie le­dig­lich pau­schal vor­ge­tra­gen, es sei von ihr ge­prüft wor­den, ob ei­ne Beschäfti­gung des Klägers auf ei­nem an­de­ren Ar­beits­platz möglich sei, auf dem we­ni­ger krank­heits­be­ding­te Fehl­zei­ten zu er­war­ten wären. Sol­che Ar­beitsplätze ha­be sie nicht ge­fun­den. So­weit die Be­klag­te schließlich gel­tend macht, ein er­neu­tes bEM sei in An­se­hung der vom Kläger vor­ge­leg­ten Krank­heitsüber­sicht sinn­los ge­we­sen und ha­be auch kei­ne neu­en Möglich­kei­ten auf­zei­gen können, dem Kläger zu hel­fen, zeigt sie eben­falls nicht durch kon­kre­ten Sach­vor­trag auf, dass kei­ne (lei­dens­ge­rech­ten) (Wei­ter-)Beschäfti­gungsmöglich­kei­ten für den Kläger be­stan­den. Sie be­ruft sich al­lein dar­auf, dass die Er­kran­kun­gen des Klägers nach dem am 05.03.2019 durch­geführ­ten bEM auf Ur­sa­chen be­ruht hätten, die dem Kläger be­reits zu die­sem Zeit­punkt be­kannt ge­we­sen sei­en, dass der Kläger die­se Er­kran­kun­gen aber mit Aus­nah­me der Atem­weg­sin­fek­te in dem am 05.03.2019 durch­geführ­ten bEM nicht an­ge­spro­chen und auch nicht in Zu­sam­men­hang mit sei­nem Ar­beits­platz ge­se­hen ha­be, dass der von dem Kläger in die­sem Zu­sam­men­hang be­haup­te­te Durch­zug an sei­nem bis­he­ri­gen Ar­beits­platz be­reits nach dem am 05.03.2019 durch­geführ­ten über­prüft wor­den sei und dass bei die­ser Über­prüfung fest­ge­stellt wor­den sei, dass kei­ne Ände­run­gen möglich sei­en. Da­mit be­schränkt sie ih­ren Vor­trag al­lein auf den bis­he­ri­gen Ar­beits­platz des Klägers und lässt zu­dem voll­kom­men außer Acht, dass die wei­te­re Ar­beits­unfähig­keit die Hal­tung des Ar­beit­neh­mers zum bEM und da­mit auch sei­ne Mit­wir­kung an dem bEM ändern kann."

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(2) Die­sen Ausführun­gen des Ar­beits­ge­richts schließt sich die er­ken­nen­de Kam­mer aus­drück­lich an und macht sie sich zu ei­gen. Die von der Be­klag­te in der Be­ru­fungs­in­stanz vor­ge­tra­ge­nen Gründe recht­fer­ti­gen eben­so wie ihr übri­ger Sach­vor­trag im ge­sam­ten Ver­fah­ren kein an­de­res Er­geb­nis.

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(2.1.)Dies gilt zunächst für die Ar­gu­men­ta­ti­on der Be­klag­ten, dass das Ar­beits­ge­richt ob­jek­tiv feh­ler­haft an­ge­nom­men ha­be, dass ein er­neu­tes bEM im hier zu be­ur­tei­len­den Fall die Hal­tung des Klägers zum bEM nicht ha­be ändern können, weil die dies­bezügli­che Ar­gu­men­ta­ti­on des Ar­beits­ge­richts sich auf Ent­schei­dun­gen der Lan­des­ar­beits­ge­rich­te be­zie­he, in de­nen der Ar­beit­neh­mer ein bEM ab­ge­lehnt ha­be. Nur dann könn­ten Ab­leh­nungs­gründe über­holt oder ent­fal­len sein, was zu dem hier zu be­ur­tei­len­den Fall nicht pas­se. Die­ser Ar­gu­men­ta­ti­on folgt die er­ken­nen­de Kam­mer nicht. Zunächst be­zieht die In­stanz­recht­spre­chung die Ar­gu­men­ta­ti­on, dass neue Ar­beits­unfähig­keits­zei­ten das Er­geb­nis des bEM ändern können, weil die bis­he­ri­gen Er­geb­nis­se über­holt oder ent­fal­len sein können, durch­aus auch auf ein be­reits durch­geführ­tes bEM (vgl. LAG Hamm 22.03.2018 a.a.O. Rn. 56). Dies ist zur Über­zeu­gung der er­ken­nen­den Kam­mer so­wohl all­ge­mein als auch für den hier kon­kret zu be­ur­tei­len­den Fall zu­tref­fend. Ist be­reits ein bEM durch­geführt wor­den, können sich die be­trieb­li­chen Umstände, die Ein­stel­lung des Ar­beit­neh­mers oder auch die zu Grun­de lie­gen­den Er­kran­kun­gen geändert ha­ben. Ge­nau das her­aus­zu­fin­den und (er­neut) wei­te­re Ar­beits­unfähig­keit zu ver­hin­dern und den Ar­beits­platz zu er­hal­ten, ist ge­setz­li­che Auf­ga­be des bEM. Letzt­lich ist im Rah­men der im je­wei­li­gen Ein­zel­fall kon­kret an­zu­stel­len­den Be­trach­tung im Rah­men der Verhält­nismäßig­keitsprüfung und der er­wei­ter­ten Dar­le­gungs­last der Ar­beit­ge­be­rin fest­zu­stel­len, ob die­se dar­ge­legt hat, dass ein er­neu­tes bEM aus dem Ge­sichts­punkt des be­reits durch­geführ­ten bEM un­ter kei­nen Umständen ein po­si­ti­ves Er­geb­nis hätte er­brin­gen können.

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(2.2) Dies ist nicht der Fall. Die Kam­mer hat zunächst die An­ga­ben und das Ver­hal­ten des Klägers am 05.03.2019 gewürdigt. Er hat trotz sei­ner Er­kran­kun­gen an­ge­ge­ben, dass er kei­ne Ge­sund­heits­pro­ble­me mehr ha­be und sei­ne all­ge­mei­ne Be­find­lich­keit gut sei.

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Letzt­lich hat er sich über die Ar­beit im Durch­zug be­schwert und Ein­schränkun­gen beim He­ben von schwe­ren Las­ten an­ge­ge­ben. Außer­dem hat er an­ge­ge­ben, dass ein zusätz­li­cher Sach­verständi­ger, wie z.B. ein Be­triebs­arzt oder ei­ne Fach­kraft für Ar­beits­schutz/Ar­beits­si­cher­heit, nicht ein­ge­bun­den wer­den soll. Zur Über­zeu­gung der Kam­mer ist selbst dann, wenn die Zei­ten der Ar­beits­unfähig­keit nach dem 05.03.2019 nicht (auch) auf an­de­ren Er­kran­kun­gen be­ru­hen würden, nicht da­von aus­zu­ge­hen, dass das bEM nun­mehr kein an­de­res, d.h. po­si­ti­ves Er­geb­nis er­bracht hätte, weil der Kläger sei­ne Ein­stel­lung geändert hätte. Dies hat die Be­klag­te nicht dar­ge­legt. Es hat­ten sich trotz der An­ga­ben des Klägers und des Gesprächs am 05.03.2020 da­nach er­heb­li­che wei­te­re Zei­ten von Ar­beits­unfähig­kei­ten er­ge­ben, nämlich von ins­ge­samt 79 Ar­beits­ta­gen. Er­kennt der Kläger, dass das bis­he­ri­ge bEM kei­ne Bes­se­rung ge­bracht hat, ist nicht aus­zu­sch­ließen, dass er sei­ne Ein­stel­lung ändert und ins­be­son­de­re der In­an­spruch­nah­me drit­ter sach­verständi­ger Stel­len zu­stimmt, was ei­ne deut­lich ver­tief­te und um­fang­rei­che­re Prüfung ermöglicht hätte. Un­abhängig da­von trifft es nicht zu, dass die Zei­ten der Ar­beits­unfähig­keit nach dem 05.03.2019 sämt­lich auf be­reits vor­han­de­nen Er­kran­kun­gen be­ruh­ten. Dies er­gibt sich aus der vom Kläger zur Ak­te ge­reich­ten Lis­te der Er­kran­kun­gen. Die Dia­gno­sen "K64.9 Hämor­rhoi­den nicht näher be­zeich­net", "D12.8 Gut­ar­ti­ge Neu­bil­dung, Ko­lon", "K60.2 Anal­fis­sur nicht näher be­zeich­net", "R 14 Fla­tu­lenz und ver­wand­te Zustände" und "K64.9 Hämor­rhoi­den, nicht näher be­zeich­net" sind vor dem 05.03.2019 in der Lis­te nicht ver­zeich­net. Selbst wenn da­durch be­reits an­ge­grif­fe­ne Re­gio­nen des Klägers, wie z.B. sein Ver­dau­ungs­trakt, be­trof­fen sein soll­ten, be­gründet auch dies ei­nen An­lass für den Kläger sei­ne Be­reit­schaft, z.B. Sach­verständi­ge hin­zu­zu­zie­hen, zu über­den­ken, um nun­mehr die Zei­ten der Ar­beits­unfähig­kei­ten zu über­win­den. In­so­weit war ein er­neu­tes bEM nicht ent­behr­lich und nicht von vorn­her­ein aus­sicht­los, weil die Be­klag­te auf In­for­ma­tio­nen aus dem Gespräch vom 05.03.2019 und die In­for­ma­tio­nen aus der frühe­ren ge­richt­li­chen Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Kläger zurück­grei­fen konn­te.

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(2.3) Die Be­klag­te hat zu­dem nicht den An­for­de­run­gen an die er­wei­ter­te Dar­le­gungs­last bei 86 ei­nem un­ter­blie­be­nem bEM ent­spre­chend dar­ge­legt, war­um dem Kläger kein lei­dens­ge­rech­ter Ar­beits­platz zur Verfügung ge­stellt wer­den könne. Es mag sein, dass der Durch­zug die ge­sam­te Fa­brik­hal­le be­trifft. Es mag auch sein, dass sie vor der Kündi­gung noch ein­mal ge­prüft ha­be, ob es Ar­beitsplätze oh­ne Durch­zug ge­be und dies ver­neint hat. Außer­dem müsse der Kläger - so die Be­klag­te - als langjährig Beschäftig­ter und ehe­ma­li­ges Be­triebs­rats­mit­glied ei­nen lei­dens­ge­rech­ten Ar­beits­platz ken­nen, wenn es ihn gäbe. Er ha­be aber kei­nen sol­chen be­nannt. Dies genügt der er­wei­ter­ten Dar­le­gungs­last nach dem Un­ter­blei­ben ei­nes recht­lich ge­bo­te­nen bEM nicht. Es fehlt nach wie vor Vor­trag da­zu, dass und war­um sich bei ei­nem durch­geführ­ten bEM nicht ei­ne An­pas­sung des Ar­beits­platz des Klägers oder aber ein an­de­rer lei­dens­ge­rech­ter Ar­beits­platz hätte fin­den können. Dies gilt erst Recht, weil der Be­klag­ten­ver­tre­ter im Ter­min vor der er­ken­nen­den Kam­mer ein­geräumt hat, dass es durch­aus Schon­ar­beitsplätze als Stap­ler­fah­rer ge­be, die aber im­mer nur tem­porär zur Verfügung ge­stellt wer­den könn­ten. Auch in­so­weit ist nicht er­sicht­lich, dass ein bEM von vorn­her­ein nutz­los ge­we­sen wäre, weil es im Rah­men des er­geb­nis­of­fe­nen Such­pro­zes­ses möglich ge­we­sen wäre, dass sol­che Schon­ar­beitsplätze länger­fris­tig ein­ge­rich­tet wer­den, zu­mal der Kläger auch Ein­schränkun­gen bei dem He­ben schwe­rer Las­ten an­ge­ge­ben hat. Ins­ge­samt bleibt der Sach­vor­trag der Be­klag­ten zur Er­folg­lo­sig­keit des bEM ge­mes­sen an den er­wei­ter­ten Dar­le­gungs­an­for­de­run­gen des Bun­des­ar­beits­ge­richts zu pau­schal und ist da­mit recht­lich un­er­heb­lich.

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(3) Die Dar­le­gun­gen der Be­klag­ten rei­chen aber auch aus ei­nem an­de­ren Grund nicht aus. Zu­tref­fend hat der Kläger auf Sei­te 5 der Be­ru­fungs­er­wi­de­rung dar­auf hin­ge­wie­sen, dass Zweck ei­nes bEM nicht aus­sch­ließlich die Fra­ge sei, ob ein an­de­rer Ar­beits­platz möglich ist oder nicht. Sinn und Zweck des bEM sei viel­mehr ei­ne um­fas­sen­de Sich­tung der Si­tua­ti­on und der Pro­ble­me durch­zuführen, wel­che zu den gehäuf­ten Er­kran­kun­gen geführt ha­ben. Die Be­schränkung der Be­klag­ten dar­auf, es ge­be kei­nen an­de­ren

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Ar­beits­platz, grei­fe da­her zu kurz. Dies trifft zu.

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(3.1) Denk­ba­res Er­geb­nis ei­nes bEM kann es sein, den Ar­beit­neh­mer auf ei­ne Maßnah­me 88 der Re­ha­bi­li­ta­ti­on zu ver­wei­sen. Dem steht nicht ent­ge­gen, dass de­ren Durchführung von sei­ner Mit­wir­kung abhängt und nicht in der al­lei­ni­gen Macht des Ar­beit­ge­bers steht. Ggf. muss der Ar­beit­ge­ber dem Ar­beit­neh­mer ei­ne an­ge­mes­se­ne Frist zur In­an­spruch­nah­me der Leis­tung set­zen. Ei­ne Kündi­gung kann er dann wirk­sam erst erklären, wenn die Frist trotz Kündi­gungs­an­dro­hung er­geb­nis­los ver­stri­chen ist. Ei­ne Kündi­gung muss, da­mit sie durch Gründe iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG "be­dingt" ist, un­ter al­len Ge­sichts­punk­ten verhält­nismäßig, dh. un­ver­meid­bar sein. Dar­aus kann sich die Ver­pflich­tung des Ar­beit­ge­bers er­ge­ben, auf be­ste­hen­de The­ra­piemöglich­kei­ten Be­dacht zu neh­men. Wenn er ein bEM un­ter­las­sen hat, kann er ge­gen ei­ne sol­che Ver­pflich­tung nicht ein­wen­den, ihm sei­en im Kündi­gungs­zeit­punkt - et­wa schon man­gels Kennt­nis der Krank­heits­ur­sa­chen - ent­spre­chen­de Möglich­kei­ten we­der be­kannt ge­we­sen, noch hätten sie ihm be­kannt sein können (BAG 20.11.2014 a.a.O. Rn. 49).

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Das be­deu­tet nicht, dass der Ar­beit­ge­ber bei Un­ter­las­sen ei­nes bEM, um die Verhält­nismäßig­keit der Kündi­gung auf­zu­zei­gen, für je­de nur er­denk­li­che Maßnah­me der Ge­sund­heits­präven­ti­on - et­wa bis zu mögli­chen Ände­run­gen in der pri­va­ten Le­bensführung des Ar­beit­neh­mers - von sich aus dar­zu­le­gen hätte, dass und wes­halb sie zur nach­hal­ti­gen Ver­min­de­rung der Fehl­zei­ten nicht ge­eig­net ge­we­sen sei. Es reicht aus, wenn er dar­tut, dass je­den­falls durch ge­setz­lich vor­ge­se­he­ne Hil­fen oder Leis­tun­gen der Re­ha­bi­li­ta­ti­ons­träger künf­ti­ge Fehl­zei­ten nicht in re­le­van­tem Um­fang hätten ver­mie­den wer­den können. Der Grund­satz der Verhält­nismäßig­keit ver­langt le­dig­lich die Berück­sich­ti­gung sol­cher Präven­ti­ons- und Re­ha­bi­li­ta­ti­ons­maßnah­men, de­ren Be­ach­tung dem Ar­beit­ge­ber zu­mut­bar ist. Zu­mut­bar wie­der­um ist nur ei­ne Be­ach­tung sol­cher Maßnah­men, de­ren Zweckmäßig­keit hin­rei­chend ge­si­chert ist. Auch muss de­ren tatsächli­che Durchführung ob­jek­tiv über­prüft wer­den können. Bei­des trifft auf ge­setz­lich vor­ge­se­he­ne Leis­tun­gen und Hil­fen, die der Präven­ti­on und/oder Re­ha­bi­li­ta­ti­on die­nen, ty­pi­scher­wei­se zu. Sol­che Maßnah­men muss der Ar­beit­ge­ber des­halb grundsätz­lich in Erwägung zie­hen. Hat er ein bEM un­ter­las­sen, muss er von sich aus ih­re ob­jek­ti­ve Nutz­lo­sig­keit auf­zei­gen und ggf. be­wei­sen. Da­bei kommt ei­ne Ab­stu­fung sei­ner Dar­le­gungs­last in Be­tracht, falls ihm die Krank­heits­ur­sa­chen un­be­kannt sind. Für ei­ne Maßnah­me außer­halb des Leis­tungs­ka­ta­logs der Re­ha­bi­li­ta­ti­ons­träger - und sei es ein fach­kun­dig ent­wi­ckel­tes Kon­zept zur pri­va­ten Ge­sund­heits­präven­ti­on - gilt dies da­ge­gen in al­ler Re­gel nicht. De­ren ob­jek­ti­ve Nutz­lo­sig­keit braucht der Ar­beit­ge­ber nicht dar­zu­tun (BAG 20.11.2014 a.a.O. Rn. 50).

89

(3.2) Die­sen An­for­de­run­gen wird der Sach­vor­trag der Be­klag­ten nicht ge­recht. Sie hat nicht dar­ge­legt, dass bei er­neu­ter Durchführung ei­nes bEM kei­ne ge­eig­ne­ten Leis­tun­gen oder Hil­fen für den Kläger hätten er­kannt wer­den können, zu de­ren Er­brin­gung die Re­ha­bi­li­ta­ti­ons­träger ver­pflich­tet ge­we­sen wären. Die Kam­mer ver­kennt auch an die­ser Stel­le nicht, dass ein bEM be­reits durch­geführt wor­den ist. Auch in­so­weit gilt aber aus den oben an­geführ­ten Gründen, dass sich auf­grund der er­neu­ten er­heb­li­chen Zei­ten der Ar­beits­unfähig­keit, die je­den­falls zum Teil auf an­de­ren Ur­sa­chen be­ru­hen, bei Durchführung ei­nes er­neu­ten bEM die Be­reit­schaft des Klägers zu der­ar­ti­gen Re­ha­bi­li­ta­ti­ons­maßnah­men hätte er­ge­ben können. Die Be­klag­te hätte auf­zei­gen müssen, war­um Maßnah­men zur ku­ra­ti­ven Be­hand­lung und/oder der me­di­zi­ni­schen Re­ha­bi­li­ta­ti­on i.S.v. § 42 SGB IX - zu de­nen im Übri­gen nach Abs. 2 Nr. 1 der Vor­schrift auch die "An­lei­tung, ei­ge­ne Hei­lungs­kräfte zu ent­wi­ckeln" zählt - nicht in Be­tracht ge­kom­men wären oder doch zu ei­ner er­heb­li­chen Ver­rin­ge­rung der Fehl­zei­ten nicht hätten bei­tra­gen können. Dar­an fehlt es. Zwar hat sich die Be­klag­te in ers­ter In­stanz ins­be­son­de­re im Schrift­satz vom 06.07.2020 mit den Er­kran­kun­gen des Klägers aus­ein­an­der­ge­setzt. Sie hat aber nicht dar­ge­stellt, dass und war­um es nicht möglich ist, die­se Er­kran­kun­gen durch Maßnah­men zur ku­ra­ti­ven Be­hand­lung und/oder der me­di­zi­ni­schen Re­ha­bi­li­ta­ti­on i.S.v. § 42 SGB IX in

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er­heb­li­chem Maße zu ver­rin­gern. Sie be­schreibt und ord­net die Krank­hei­ten im We­sent­li­chen, um zu be­gründen, war­um sie nicht aus­ge­heilt sind. Dies genügt den obi­gen An­for­de­run­gen nicht. Zur Herz­er­kran­kung trägt sie al­ler­dings vor, dass es we­nig glaub­haft sei, dass die­se aus­the­ra­piert sei. Oh­ne Ope­ra­ti­on blie­ben Durch­blu­tungsstörun­gen be­ste­hen und über ei­ne me­di­ka­mentöse The­ra­pie ha­be der Kläger - dies trifft zu - nichts vor­ge­tra­gen. Sie ver­mu­tet im Übri­gen, dass die Schlaf­apnoe trotz der Be­at­mungs­mas­ke ein­ge­tre­ten sei. Auch un­ter Berück­sich­ti­gung die­ser Ar­gu­men­ta­ti­on bleibt der Sach­vor­trag der Be­klag­ten zu mögli­chen Maßnah­men der ku­ra­ti­ven Be­hand­lung und Re­ha­bi­li­ta­ti­on nicht aus­rei­chend. Ein sol­cher fehlt je­den­falls für sämt­li­che an­de­re Er­kran­kun­gen und der Vor­trag zur Be­at­mungs­mas­ke ist ei­ne schlich­te Ver­mu­tung. Ge­ra­de im Hin­blick auf die Atem­wegs­er­kran­kun­gen des Klägers und den hier im Streit ste­hen­den Durch­zug hätte es na­he ge­le­gen, sich mit Maßnah­men zur An­lei­tung zur Ent­wick­lung ei­ge­ner Hei­lungs­kräfte aus­ein­an­der­zu­set­zen. Auch nach­dem der Kläger in der Be­ru­fungs­in­stanz aus­drück­lich gerügt hat, dass der An­satz der Be­klag­ten in Be­zug auf das bEM zu eng sei, hat sie ih­ren Sach­vor­trag nicht ergänzt. Die Fehl­zei­ten des Klägers nach Aus­spruch der Kündi­gung führen - selbst wenn man sie trotz des grundsätz­lich maßgeb­li­chen Zeit­punk­tes des Zu­gangs der Kündi­gung - berück­sich­ti­gen woll­te, zu kei­nem an­de­ren Er­geb­nis.

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(4) So­weit die Be­klag­te rügt, dass zu berück­sich­ti­gen sei, dass der Kläger auf­grund sei­nes tak­ti­schen Ver­hal­tens durch Stel­len ei­nes neu­en An­trags auf Zu­er­ken­nung der Ei­gen­schaft als schwer­be­hin­der­ter Mensch am 07.02.2020 selbst da­zu bei­ge­tra­gen ha­be, dass auf­grund des be­vor­ste­hen­den Son­derkündi­gungs­schut­zes kein bEM ha­be durch­geführt wer­den können, folgt die Kam­mer dem nicht. Sie hat be­reits aus­geführt, dass und war­um dies die recht­li­che Ver­pflich­tung der Be­klag­ten, ein bEM durch­zuführen nicht berührt hat. Wenn die Be­klag­te auf ein sol­ches ver­zich­te­te, um die Kündi­gung vor ei­nem nur mögli­chen, weil al­lei­ne bei Er­folg des An­trags ein­tre­ten­den Son­derkündi­gungs­schutz, aus­zu­spre­chen, hat sie dies auf ihr ei­ge­nes Ri­si­ko ge­tan und kann nicht dem Kläger vor­wer­fen, er hätte durch sei­nen An­trag die Durchführung ei­nes bEM ver­hin­dert. Und selbst wenn man da­von aus­ge­hen woll­te, dass der neue An­trag - wie nicht, wo­von aber wohl das In­klu­si­ons­amt aus­geht - al­lei­ne nach Ab­lauf von drei Wo­chen zunächst das Zu­stim­mungs­er­for­der­nis be­gründet, änder­te dies nichts. Der Um­stand, dass an ei­nen An­trag ei­ne recht­li­che Fol­ge ge­knüpft ist, kann nicht be­gründen, des­halb ei­ne an­de­re par­al­lel be­ste­hen­de recht­li­che Ver­pflich­tung un­ter­las­sen zu dürfen bzw. dem Kläger vor­zu­wer­fen, de­ren Erfüllung durch sei­nen An­trag vom 07.02.2020 ver­hin­dert zu ha­ben.

91
B. Die Kos­ten­ent­schei­dung be­ruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. 92

C. Die Kam­mer hat die Re­vi­si­on gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG im Hin­blick auf die Fra­ge, 93 ob nach ei­nem be­reits durch­geführ­ten bEM die­ses er­neut durch­zuführen ist, wenn der Ar­beit­neh­mer nach dem ers­ten bEM in­ner­halb ei­nes Jah­res wie­der länger als sechs Wo­chen ar­beits­unfähig er­krankt oder ein er­neu­tes bEM erst nach Ab­lauf von ei­nem Jahr durch­zuführen ist, zu­ge­las­sen.

93
RECH­TSMIT­TEL­BE­LEH­RUNG 94
[…] […]
Dr. Gott­hardtDr. Ven­ne­man­nS­tock 114

 

 

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