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BAG, Ur­teil vom 29.08.2013, 2 AZR 809/12

   
Schlagworte: Kündigungsschutz, Kündigung: Betriebsbedingt, Betriebsstilllegung, Ausland
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 2 AZR 809/12
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 29.08.2013
   
Leitsätze: Die aus § 1 Abs. 2 KSchG folgende Verpflichtung des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer zur Vermeidung einer Beendigungskündigung eine Weiterbeschäftigung zu geänderten, möglicherweise auch zu schlechteren Arbeitsbedingungen anzubieten, bezieht sich grundsätzlich nicht auf freie Arbeitsplätze in einem im Ausland gelegenen Betrieb des Unternehmens.
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Solingen, Urteil vom 27.2.2012 - 4 Ca 993/11
Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 5.7.2012 - 15 Sa 759/12
   


BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT


2 AZR 809/12
15 Sa 759/12
Lan­des­ar­beits­ge­richt
Düssel­dorf

 

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am

29. Au­gust 2013

UR­TEIL

Brüne, Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Kläge­rin, Be­ru­fungskläge­rin und Re­vi­si­onskläge­rin,

pp.

Be­klag­te, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

hat der Zwei­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 29. Au­gust 2013 durch die Rich­te­rin am Bun­des­ar­beits­ge­richt Ber­ger als Vor­sit­zen­de, die Rich­te­rin­nen am Bun­des­ar­beits­ge­richt Ra­chor und Dr. Rinck so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Wolf und Fal­ke für Recht er­kannt:
 


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Die Re­vi­si­on der Kläge­rin ge­gen das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Düssel­dorf vom 5. Ju­li 2012 - 15 Sa 759/12 - wird auf ih­re Kos­ten zurück­ge­wie­sen.


Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten über die Wirk­sam­keit ei­ner or­dent­li­chen Kündi­gung.

Die Be­klag­te ist ein Un­ter­neh­men der Tex­til­in­dus­trie. Sie hat in J/Tsche­chi­sche Re­pu­blik ei­ne un­selbständi­ge Be­triebsstätte, in der sie Ver­band­stof­fe her­stellt. Die End­fer­ti­gung der Stof­fe ein­sch­ließlich Ver­pa­ckung und Ver­sand er­folg­te an ih­rem Sitz in W/Nord­rhein-West­fa­len. Die 1965 ge­bo­re­ne Kläge­rin war seit Ja­nu­ar 1984 bei der Be­klag­ten am Stand­ort W als Tex­til­ar­bei­te­rin beschäftigt. Zu­letzt war sie als Vor­ar­bei­te­rin ge­gen ein Brut­to­mo­nats­ent­gelt in Höhe von 2.474,57 Eu­ro tätig.


Im Ju­ni 2011 be­schloss die Be­klag­te, die Pro­duk­ti­on in W zum 31. Ja­nu­ar 2012 vollständig ein­zu­stel­len und funk­ti­onstüch­ti­ge Ma­schi­nen nach J zu ver­brin­gen. Die Ab­tei­lun­gen Großver­sand, Wa­re­n­an­nah­me, La­ger und Qua­litäts­si­che­rung soll­ten zum 30. Ju­ni 2012 ge­schlos­sen wer­den. Der kaufmänni­sche Be­reich - be­ste­hend aus Fi­nanz­buch­hal­tung, Lohn­ab­rech­nung, Ein-und Ver­kauf - soll­te in W ver­blei­ben.


Am 27. Ju­ni 2011 zeig­te die Be­klag­te der zuständi­gen Agen­tur für Ar­beit die be­ab­sich­tig­te Ent­las­sung von 15 Ar­beit­neh­mern an. Mit Schrei­ben vom 28. Ju­ni 2011, das der Kläge­rin am sel­ben Tag zu­ging, kündig­te sie das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en or­dent­lich zum 31. Ja­nu­ar 2012. Da­ne­ben kündig­te sie - bis auf zwei Aus­nah­men - die Ar­beits­verhält­nis­se der übri­gen in W ein­ge­setz­ten ge­werb­li­chen Ar­beit­neh­mer. Die bei­den nicht gekündig­ten Pro­duk­ti­ons­mit­ar­bei­ter beschäftig­te sie bis zum 30. Ju­ni 2012 wei­ter.


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Die Kläge­rin hat frist­ge­recht Kündi­gungs­schutz­kla­ge er­ho­ben. Sie hat gel­tend ge­macht, die Kündi­gung sei nicht durch drin­gen­de be­trieb­li­che Er­for­der­nis­se be­dingt und des­halb so­zi­al un­ge­recht­fer­tigt. Wei­ter­beschäfti­gungsmöglich­kei­ten hätten durch­aus - je­den­falls in J - be­stan­den. Die so­zia­le Aus­wahl sei feh­ler­haft. Spätes­tens nach ei­ner Ein­ar­bei­tungs­zeit von sechs Wo­chen sei sie in der La­ge ge­we­sen, die im ge­werb­li­chen Be­reich noch an­fal­len­den Ar­bei­ten zu er­le­di­gen. Zu­dem feh­le es an ei­ner wirk­sa­men Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge.

Die Kläge­rin hat be­an­tragt 


1. fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en durch die Kündi­gung der Be­klag­ten vom 28. Ju­ni 2011 nicht auf­gelöst wor­den ist;


2. die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, sie zu den bis­he­ri­gen Be­din­gun­gen des Ar­beits­ver­trags als Vor­ar­bei­te­rin bis zum rechts­kräfti­gen Ab­schluss die­ses Ver­fah­rens wei­ter­zu­beschäfti­gen.

Die Be­klag­te hat be­an­tragt, die Kla­ge ab­zu­wei­sen. Sie hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, die Kündi­gung sei wirk­sam. Sie sei durch die Ent­schei­dung zur Still­le­gung der Pro­duk­ti­on am Stand­ort W be­dingt. Die or­ga­ni­sa­to­ri­sche Maßnah­me ha­be sich im Kündi­gungs­zeit­punkt be­reits greif­bar ab­ge­zeich­net und sei ter­min­ge­recht um­ge­setzt wor­den. Da­mit sei­en die bis­he­ri­gen Beschäfti­gungsmöglich­kei­ten für die Kläge­rin weg­ge­fal­len. Ei­ne Ver­pflich­tung, die­se in der Be­triebsstätte J wei­ter­zu­beschäfti­gen, ha­be nicht be­stan­den. Ab­ge­se­hen von der Un­zu­mut­bar­keit ei­nes ent­spre­chen­den Ände­rungs­an­ge­bots er­ge­be sich aus dem Kündi­gungs­schutz­ge­setz kei­ne Ver­pflich­tung des Ar­beit­ge­bers, den Ar­beit­neh­mer auf ei­nem an­de­ren - frei­en - Ar­beits­platz in ei­nem ausländi­schen Be­trieb oder Be­triebs­teil wei­ter­zu­beschäfti­gen. Die so­zia­le Aus­wahl sei nicht zu be­an­stan­den. Die Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge sei ord­nungs­gemäß er­folgt.
 


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Die Vor­in­stan­zen ha­ben die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Mit der Re­vi­si­on ver­folgt die Kläge­rin ihr Be­geh­ren un­verändert wei­ter.


Ent­schei­dungs­gründe

Die Re­vi­si­on ist un­be­gründet. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge zu Recht ab­ge­wie­sen. Das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en ist durch die or­dent­li­che Kündi­gung vom 28. Ju­ni 2011 mit Ab­lauf des 31. Ja­nu­ar 2012 auf­gelöst wor­den.

I. Die Kündi­gung ist nicht nach § 17 Abs. 2, Abs. 3 KSchG iVm. § 134 10 BGB un­wirk­sam. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat - un­ter Be­zug­nah­me auf die Ausführun­gen des Ar­beits­ge­richts - an­ge­nom­men, die Be­klag­te ha­be vor Zu­gang der Kündi­gung ei­ne wirk­sa­me Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge er­stat­tet. Die­se Würdi­gung, die von der Re­vi­si­on nicht an­ge­grif­fen wird, lässt kei­nen Rechts­feh­ler er­ken­nen. Ih­rem un­strei­ti­gen Vor­brin­gen zu­fol­ge hat die Be­klag­te am 27. Ju­ni 2011 ge­genüber der zuständi­gen Agen­tur für Ar­beit un­ter Ver­wen­dung des dafür vor­ge­se­he­nen Form­blatts schrift­lich die Ent­las­sung von 15 Ar­beit­neh­mern an­ge­zeigt. Die An­zei­ge enthält die nach § 17 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 KSchG er­for­der­li­chen Pflicht­an­ga­ben. Der Beifügung ei­ner Stel­lung­nah­me iSv. § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG be­durf­te es nicht. Ein Be­triebs­rat war bei der Be­klag­ten nicht ge­bil­det.


II. Die Kündi­gung ist nicht gemäß § 1 Abs. 1 KSchG un­wirk­sam. Sie ist iSv. § 1 Abs. 2, Abs. 3 KSchG so­zi­al ge­recht­fer­tigt.


1. Die Kündi­gung ist gemäß § 1 Abs. 2 KSchG durch drin­gen­de be­trieb­li­che Er­for­der­nis­se be­dingt.


a) Drin­gen­de be­trieb­li­che Er­for­der­nis­se, die ei­ne Kündi­gung be­din­gen, können sich dar­aus er­ge­ben, dass der Ar­beit­ge­ber sich zu ei­ner or­ga­ni­sa­to­ri­schen Maßnah­me ent­schließt, de­ren Um­set­zung das Bedürf­nis für die Wei­ter­beschäfti­gung ei­nes oder meh­re­rer Ar­beit­neh­mer im Be­trieb dau­er­haft ent­fal­len
 


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lässt. Ei­ne sol­che un­ter­neh­me­ri­sche Ent­schei­dung ist ge­richt­lich nicht auf ih­re sach­li­che Recht­fer­ti­gung oder ih­re Zweckmäßig­keit hin zu über­prüfen, son­dern nur dar­auf, ob sie of­fen­sicht­lich un­sach­lich, un­vernünf­tig oder willkürlich ist (BAG 20. De­zem­ber 2012 - 2 AZR 867/11 - Rn. 33; 24. Mai 2012 - 2 AZR 124/11 - Rn. 21). Oh­ne Ein­schränkung nach­zu­prüfen ist hin­ge­gen, ob die frag­li­che Ent­schei­dung tatsächlich um­ge­setzt wur­de und da­durch das Beschäfti­gungs­bedürf­nis für ein­zel­ne Ar­beit­neh­mer ent­fal­len ist (BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 124/11 - aaO).

b) Wird die Kündi­gung auf ei­ne zu er­war­ten­de künf­ti­ge Ent­wick­lung der be­trieb­li­chen Verhält­nis­se gestützt, braucht die­se bei Kündi­gungs­aus­spruch noch nicht tatsächlich ein­ge­tre­ten zu sein. Es genügt, dass sie sich kon­kret und greif­bar ab­zeich­net (vgl. BAG 23. Fe­bru­ar 2012 - 2 AZR 548/10 - Rn. 19; 9. Sep­tem­ber 2010 - 2 AZR 493/09 - Rn. 22). Das ist der Fall, wenn im Zeit­punkt des Aus­spruchs der Kündi­gung die auf ob­jek­ti­ve Tat­sa­chen gestütz­te, vernünf­ti­ge be­triebs­wirt­schaft­li­che Pro­gno­se ge­recht­fer­tigt ist, mit Ab­lauf der Kündi­gungs­frist wer­de mit ei­ni­ger Si­cher­heit ein die Ent­las­sung er­for­der­lich ma­chen­der be­trieb­li­cher Grund vor­lie­gen (BAG 23. Fe­bru­ar 2012 - 2 AZR 548/10 - aaO; 23. Fe­bru­ar 2010 - 2 AZR 268/08 - Rn. 18, BA­GE 133, 240). Al­ler­dings muss ei­ne der ent­spre­chen­den Pro­gno­se zu­grun­de lie­gen­de ei­ge­ne un­ter­neh­me­ri­sche Ent­schei­dung des Ar­beit­ge­bers be­reits im Kündi­gungs­zeit¬punkt endgültig ge­trof­fen wor­den sein. An­dern­falls kann ei­ne zum Weg­fall der Beschäfti­gungsmöglich­kei­ten führen­de Ent­schei­dung nicht si­cher pro­gnos­ti­ziert wer­den (BAG 23. Fe­bru­ar 2012 - 2 AZR 548/10 - aaO).

c) Dar­an ge­mes­sen la­gen im Kündi­gungs­zeit­punkt Gründe iSd. § 1 Abs. 2 KSchG vor.

aa) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat an­ge­nom­men, die Be­klag­te ha­be im Ju­ni 2011 den Ent­schluss ge­fasst, ih­re Pro­duk­ti­onstätig­keit am Stand­ort W En­de Ja­nu­ar 2012 auf Dau­er ein­zu­stel­len und die „End­fer­ti­gung“ ih­rer Ver­band­stof­fe künf­tig in ih­rer tsche­chi­schen Be­triebsstätte durchführen zu las­sen. Ih­re Ent­schei­dung ha­be sie den Pla­nun­gen ent­spre­chend auch um­ge­setzt. Die­se Fest­stel­lun­gen greift die Re­vi­si­on nicht an.
 


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bb) Im Kündi­gungs­zeit­punkt war da­nach die Pro­gno­se ge­recht­fer­tigt, im Um­fang ent­spre­chen­der per­so­nel­ler Über­ka­pa­zitäten wer­de das Beschäfti­gungs­bedürf­nis für Mit­ar­bei­ter im Pro­duk­ti­ons­be­reich am Stand­ort W mit Ab­lauf der je­wei­li­gen Kündi­gungs­frist ent­fal­len (zur Pro­duk­ti­ons­ver­la­ge­rung ins Aus­land: vgl. BAG 18. Sep­tem­ber 1997 - 2 AZR 657/96 - Rn. 12 ff.; zur Sch­ließung von Dienst­stel­len/Stand­or­ten bei gleich­zei­ti­ger Kon­zen­tra­ti­on von Auf­ga­ben an ei­nem an­de­ren Stand­ort: sie­he BAG 12. Au­gust 2010 - 2 AZR 558/09 - Rn. 17; 12. Au­gust 2010 - 2 AZR 945/08 - Rn. 31). Zum we­sent­li­chen In­halt der un­ter­neh­me­ri­schen Ent­schei­dungs­frei­heit gehört die Frei­heit zur Ge­stal­tung der be­trieb­li­chen Or­ga­ni­sa­ti­on. Sie um­fasst auch die Fest­le­gung, an wel­chem Stand­ort wel­che ar­beits­tech­ni­schen Zie­le ver­folgt wer­den. Es ist nicht Sa­che der Ar­beits­ge­rich­te, dem Ar­beit­ge­ber in­so­weit ei­ne „bes­se­re“ oder „rich­ti­ge­re“ Be­triebs- oder Un­ter­neh­mens­struk­tur vor­zu­schrei­ben (vgl. BAG 22. No­vem­ber 2012 - 2 AZR 673/11 - Rn. 21; 26. Sep­tem­ber 2002 - 2 AZR 636/01 - zu II 1 b der Gründe, BA­GE 103, 31).

cc) Für ei­ne ge­trof­fe­ne und - wie im Streit­fall - durch­geführ­te Or­ga­ni­sa­ti­ons­ent­schei­dung spricht die Ver­mu­tung, dass sie aus sach­li­chen Gründen er­folgt ist und nicht auf Rechts­miss­brauch be­ruht. Es ob­lag des­halb der Kläge­rin, die Umstände dar­zu­le­gen und ggf. zu be­wei­sen, aus de­nen sich er­ge­ben soll, dass die Ent­schei­dung der Be­klag­ten of­fen­sicht­lich un­sach­lich, un­vernünf­tig oder willkürlich ist (vgl. BAG 25. Ok­to­ber 2012 - 2 AZR 552/11 - Rn. 26 mwN). Dies ist ihr nicht ge­lun­gen. Die Kläge­rin hat ge­meint, die Be­klag­te ha­be vor der Pro­duk­ti­ons­ver­la­ge­rung mit den in W beschäftig­ten Ar­beit­neh­mern über ei­ne Ab­sen­kung der Vergütung ver­han­deln müssen. Das ist kein be­acht­li­cher Ein­wand. Das Un­ter­las­sen ent­spre­chen­der Bemühun­gen führt nicht da­zu, dass die Ent­schei­dung der Be­klag­ten rechts­miss­bräuch­lich wäre, zu­mal es ihr nicht nur um ei­ne Ein­spa­rung von Lohn­kos­ten ging, son­dern auch um ei­ne Re­du­zie­rung von Trans­port­kos­ten.
 


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dd) Der Um­stand, dass die Be­klag­te ih­re un­ter­neh­me­ri­sche Tätig­keit im Be­reich der „End­fer­ti­gung“ nicht vollständig auf­ge­ge­ben hat, steht der so­zia­len Recht­fer­ti­gung der Kündi­gung nicht ent­ge­gen.

(1) Die Ver­la­ge­rung der mit der „End­fer­ti­gung“ zu­sam­menhängen­den Tätig­kei­ten nach J ändert - un­be­scha­det der Fra­ge, wie der Be­griff des „Be­trie­bes“ in § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG zu ver­ste­hen ist - nichts dar­an, dass der bis­he­ri­ge Ar­beits­platz der Kläge­rin als sol­cher er­satz­los weg­ge­fal­len ist. Für die­se Be­wer­tung spricht die er­heb­li­che räum­li­che Ent­fer­nung zwi­schen den frag­li­chen Stand­or­ten, die - aus­ge­hend von der in den Vor­in­stan­zen mit­ge­teil­ten An­schrift der tsche­chi­schen Be­triebsstätte der Be­klag­ten - mehr als 800 Ki­lo­me­ter beträgt. Hin­zu kommt, dass nach dem un­wi­der­spro­che­nen Vor­brin­gen der Be­klag­ten die al­te Be­triebs­ge­mein­schaft im be­tref­fen­den Ar­beits­be­reich tatsächlich auf­gelöst wor­den ist (zur Be­triebs­ver­la­ge­rung als Be­triebs­still­le­gung: vgl. BAG 12. Fe­bru­ar 1987 - 2 AZR 247/86 - zu II 1 a der Gründe). Die Ein­stel­lung der Pro­duk­ti­on in Deutsch­land be­wirk­te über­dies, dass der Be­klag­ten nach dem 31. Ja­nu­ar 2012 ei­ne Wei­ter­beschäfti­gung der Kläge­rin auf der bis­he­ri­gen Ver­trags­grund­la­ge nicht mehr möglich war. Zwar ha­ben die Par­tei­en im Ar­beits­ver­trag ei­nen be­stimm­ten Ar­beits­ort nicht aus­drück­lich ver­ein­bart. Dar­aus folgt aber nicht, dass die Be­klag­te der Kläge­rin ein­sei­tig ei­ne Tätig­keit in ih­rer tsche­chi­schen Be­triebsstätte hätte zu­wei­sen können. Ist der Ar­beits­ort nicht näher be­stimmt, kann der Ar­beit­ge­ber ei­nen Ar­beit­neh­mer auf der Grund­la­ge sei­nes Di­rek­ti­ons­rechts (§ 106 Ge­wO) al­len­falls in­ner­halb der Gren­zen des Ge­biets der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land ver­set­zen (zum Mei­nungs­stand: vgl. ErfK/Preis 13. Aufl. § 106 Ge­wO Rn. 16). So­weit die Kläge­rin nach dem Ar­beits­ver­trag ver­pflich­tet sein soll­te, „auch ei­ne an­de­re Tätig­keit in der Fir­ma aus­zuüben“, kann dar­aus - un­abhängig da­von, ob es sich um All­ge­mei­ne Geschäfts­be­din­gun­gen oder um aty­pi­sche Erklärun­gen han­delt - nicht ab­ge­lei­tet wer­den, die Be­klag­te ha­be sich ei­ne länderüberg­rei­fen­de Ver­set­zung der Kläge­rin vor­be­hal­ten wol­len. Für ein sol­ches Verständ­nis fehlt es an An­halts­punk­ten, zu­mal im Ar­beits­ver­trag als „Fir­ma“ die Be­klag­te un­ter ih­rer An­schrift in W be­zeich­net ist. Die Par­tei­en ver­ste­hen ih­re Ver­ein­ba­run­gen selbst nicht an­ders.

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(2) Die Kündi­gung ist nicht un­ter dem Ge­sichts­punkt des Vor­rangs der Ände­rungskündi­gung un­wirk­sam. In­so­weit kann zu­guns­ten der Kläge­rin un­ter­stellt wer­den, dass zu­min­dest ein Teil der im Be­reich der „End­fer­ti­gung“ er­le­dig­ten Tätig­kei­ten in der tsche­chi­schen Be­triebsstätte der Be­klag­ten wei­ter­hin anfällt und dort ein ent­spre­chen­der zusätz­li­cher Ar­beits­kräfte­be­darf ent­stan­den ist. Bei den frag­li­chen Stel­len han­delt es sich nicht um „freie“ Ar­beitsplätze iSv. § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Buchst. b, Satz 3 KSchG.


(a) Ei­ne Kündi­gung ist nur dann iSd. § 1 Abs. 2 KSchG durch „drin­gen­de“ be­trieb­li­che Er­for­der­nis­se be­dingt, wenn es dem Ar­beit­ge­ber nicht möglich ist, dem bei Aus­spruch der Kündi­gung ab­seh­ba­ren Weg­fall des Beschäfti­gungs­be­darfs durch an­de­re Maßnah­men - sei es tech­ni­scher, or­ga­ni­sa­to­ri­scher oder wirt­schaft­li­cher Art - als durch ei­ne Be­en­di­gungskündi­gung zu ent­spre­chen. Das Merk­mal der „Dring­lich­keit” der be­trieb­li­chen Er­for­der­nis­se ist Aus­druck des Grund­sat­zes der Verhält­nismäßig­keit (ul­ti­ma-ra­tio-Prin­zip), aus dem sich er­gibt, dass der Ar­beit­ge­ber vor je­der or­dent­li­chen Be­en­di­gungskündi­gung von sich aus dem Ar­beit­neh­mer ei­ne so­wohl die­sem als auch ihm selbst ob­jek­tiv mögli­che an­der­wei­ti­ge Beschäfti­gung auf ei­nem frei­en Ar­beits­platz, ggf. zu geänder­ten Be­din­gun­gen, an­bie­ten muss (BAG 25. Ok­to­ber 2012 - 2 AZR 552/11 - Rn. 29; 23. No­vem­ber 2004 - 2 AZR 38/04 - zu B I 2 a der Gründe, BA­GE 112, 361). Die­se in § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Buchst. b, Satz 3 KSchG kon­kre­ti­sier­te Kündi­gungs­schran­ke gilt un­abhängig da­von, ob in dem Be­trieb ein Be­triebs­rat be­steht und ob die­ser der Kündi­gung wi­der­spro­chen hat (BAG 2. Fe­bru­ar 2006 - 2 AZR 38/05 - Rn. 20 mwN).


(b) Erfüllt der Ar­beit­neh­mer das An­for­de­rungs­pro­fil der frag­li­chen Stel­le, be­darf es grundsätz­lich kei­ner wei­ter ge­hen­den Prüfung, ob dem Ar­beit­neh­mer die Tätig­keit zu­mut­bar ist. Das gilt auch dann, wenn de­ren Zu­wei­sung ei­ne Ver­tragsände­rung er­for­der­lich macht. Ei­ne ggf. er­for­der­li­che Ände­rungskündi­gung darf nur in „Ex­tremfällen“ un­ter­blei­ben, zB bei ei­ner völlig un­ter­wer­ti­gen Beschäfti­gung. Der Ar­beit­neh­mer soll grundsätz­lich selbst ent­schei­den können, ob er ei­ne Wei­ter­beschäfti­gung un­ter veränder­ten, mögli­cher­wei­se so­gar er­heb­lich ver­schlech­ter­ten Ar­beits­be­din­gun­gen für zu­mut­bar er­ach­tet oder nicht (BAG

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23. Fe­bru­ar 2010 - 2 AZR 656/08 - Rn. 57, BA­GE 133, 226; 5. Ju­ni 2008 - 2 AZR 107/07 - Rn. 15).

(c) Für das Feh­len ei­ner an­der­wei­ti­gen Beschäfti­gungsmöglich­keit ist gemäß § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG der Ar­beit­ge­ber dar­le­gungs- und be­weis­pflich­tig. Da­bei gilt ei­ne ab­ge­stuf­te Dar­le­gungs­last. Be­strei­tet der Ar­beit­neh­mer le­dig­lich den Weg­fall sei­nes bis­he­ri­gen Ar­beits­plat­zes, genügt der Vor­trag des Ar­beit­ge­bers, we­gen der be­trieb­li­chen Not­wen­dig­kei­ten sei ei­ne Wei­ter­beschäfti­gung zu den glei­chen Be­din­gun­gen nicht möglich. Will der Ar­beit­neh­mer vor­brin­gen, es sei ei­ne Beschäfti­gung an an­de­rer Stel­le möglich, ob­liegt es ihm dar­zu­le­gen, wie er sich die­se Beschäfti­gung vor­stellt. Erst dar­auf­hin muss der Ar­beit­ge­ber ein­ge­hend erläutern, aus wel­chen Gründen ei­ne Um­set­zung nicht in Be­tracht kam (BAG 25. Ok­to­ber 2012 - 2 AZR 552/11 - Rn. 30; 1. März 2007 - 2 AZR 650/05 - Rn. 21).


(d) Da­nach hat sich die Kläge­rin nicht auf ei­ne ge­eig­ne­te an­der­wei­ti­ge Beschäfti­gungsmöglich­keit be­ru­fen, so­weit sie die Auf­fas­sung ver­tre­ten hat, die Ar­beitsplätze in W hätten bei Ent­wick­lung ei­nes Sa­nie­rungs­kon­zepts er­hal­ten wer­den können. Der Ar­beit­ge­ber ist in den Gren­zen der Willkür frei in sei­ner Ent­schei­dung, an wel­chem Stand­ort er sei­ne un­ter­neh­me­ri­sche Tätig­keit ent­fal­tet. Wei­ter­beschäfti­gungsmöglich­kei­ten können des­halb nur im Rah­men der von ihm vor­ge­ge­be­nen Ar­beits­or­ga­ni­sa­ti­on Berück­sich­ti­gung fin­den (vgl. BAG 27. Sep­tem­ber 2001 - 2 AZR 246/00 - zu I 1 c cc der Gründe).


(e) Die Be­klag­te muss­te der Kläge­rin zur Ver­mei­dung ei­ner Be­en­di­gungskündi­gung nicht ei­ne Wei­ter­beschäfti­gung in J an­bie­ten.


Der Berück­sich­ti­gung der frag­li­chen Stel­len steht zwar nicht de­ren An­for­de­rungs­pro­fil ent­ge­gen, wie die Be­klag­te ge­meint hat. Die­se hat sich hierfür le­dig­lich auf sprach­li­che Bar­rie­ren be­ru­fen. Ihr pau­scha­ler Vor­trag lässt nicht er­ken­nen, wel­che An­for­de­run­gen der Ar­beits­platz an die Sprach­kennt­nis­se der Kläge­rin ob­jek­tiv stellt und wes­halb mögli­che Hin­der­nis­se nicht in­ner­halb ei­ner zu­mut­ba­ren Ein­ar­bei­tungs­zeit hätten über­wun­den wer­den können.

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Die Be­klag­te brauch­te der Kläge­rin ein ent­spre­chen­des Ände­rungs­an­ge­bot aber des­halb nicht zu un­ter­brei­ten, weil sich die Ver­pflich­tung des Ar­beit­ge­bers aus § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Buchst. b, Satz 3 KSchG, den Ar­beit­neh­mer an ei­nem an­de­ren - frei­en - Ar­beits­platz im sel­ben oder in ei­nem an­de­ren Be­trieb des Un­ter­neh­mens zu beschäfti­gen, grundsätz­lich nicht auf Ar­beitsplätze in ei­nem im Aus­land ge­le­ge­nen Be­trieb oder Be­triebs­teil des Un­ter­neh­mens er­streckt. Ob dies auch dann gilt, wenn der Ar­beit­ge­ber gan­ze Be­trie­be oder doch Be­triebs­tei­le ins Aus­land ver­la­gert, be­darf im Streit­fall kei­ner Ent­schei­dung. Es fehlt an An­halts­punk­ten dafür, dass es sich bei dem Be­reich „End­fer­ti­gung“ um ei­nen or­ga­ni­sa­to­risch ab­ge­grenz­ten Be­triebs­teil han­del­te.

(aa) Das Bun­des­ar­beits­ge­richt hat sich mit der hier auf­ge­wor­fe­nen Rechts­fra­ge noch nicht näher be­fasst. Sie war ent­we­der des­halb, weil sich der Ar­beit­neh­mer nicht auf ei­ne Wei­ter­beschäfti­gung im Aus­land be­ru­fen hat­te (vgl. BAG 18. Sep­tem­ber 1997 - 2 AZR 657/96 -), oder aus an­de­ren Gründen (vgl. BAG 13. De­zem­ber 2012 - 6 AZR 608/11 - Rn. 89) nicht ent­schei­dungs­er­heb­lich.


(bb) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt geht da­von aus, et­wai­ge Wei­ter­beschäfti­gungsmöglich­kei­ten im Aus­land sei­en im Rah­men von § 1 Abs. 2 KSchG nicht zu berück­sich­ti­gen. Als „Be­trieb“ iSv. § 1 KSchG sei­en nur die in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land ge­le­ge­nen or­ga­ni­sa­to­ri­schen Ein­hei­ten bzw. Tei­le ei­nes Un­ter­neh­mens an­zu­se­hen (im Er­geb­nis eben­so LAG Ber­lin-Bran­den­burg 5. Mai 2011 - 5 Sa 219/11 - und - 5 Sa 220/11 -; LAG Ham­burg 11. Mai 2011 - 5 Sa 1/11 -; Ba­der/Bram/Bram § 1 KSchG Rn. 305; Hoff­mann-Re­my/Zaum­seil DB 2012, 1624; Hor­cher FA 2010, 43, 44; aA LAG Ham­burg 22. März 2011 - 1 Sa 2/11 -; SES/Schwar­ze § 1 Rn. 315; Gra­ven­horst ju­ris­PR-ArbR 41/2012 Anm. 4; Dei­nert JbAr­bR Bd. 50 S. 77, 96; mit Ein­schränkun­gen auch HWK/ Quecke 5. Aufl. § 1 KSchG Rn. 277; Wiss­kir­chen DB 2007, 340, 345 f.).


(cc) Dies ist je­den­falls für die hier vor­lie­gen­de Kon­stel­la­ti­on zu­tref­fend.



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(aaa) Nach ständi­ger Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts fin­det der Ers­te Ab­schnitt des Kündi­gungs­schutz­ge­set­zes - so­fern ei­ne ver­fas­sungs­kon­for­me Aus­le­gung des Ge­set­zes kein an­de­res Er­geb­nis ge­bie­tet - nur auf in Deutsch­land ge­le­ge­ne Be­trie­be An­wen­dung (BAG 26. März 2009 - 2 AZR 883/07 - Rn. 13; 17. Ja­nu­ar 2008 - 2 AZR 902/06 - Rn. 18, BA­GE 125, 274). Das er­gibt die am Wort­laut, an der Sys­te­ma­tik und der Ent­ste­hungs­ge­schich­te so­wie an Sinn und Zweck des § 23 KSchG ori­en­tier­te Aus­le­gung (im Ein­zel­nen BAG 17. Ja­nu­ar 2008 - 2 AZR 902/06 - Rn. 23 ff., aaO). Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt hat die­ses Verständ­nis des kündi­gungs­schutz­recht­li­chen Be­triebs­be­griffs von Ver­fas­sungs we­gen nicht be­an­stan­det (vgl. BVerfG 12. März 2009 - 1 BvR 1250/08 -).


(bbb) Die sich dar­aus er­ge­ben­den Be­schränkun­gen des durch das Kündi­gungs­schutz­ge­setz gewähr­leis­te­ten Be­stands­schut­zes sind auch im Rah­men von § 1 Abs. 2 Satz 2, Satz 3 KSchG zu berück­sich­ti­gen. Die Re­ge­lung knüpft, so­weit sie die Ver­pflich­tung des Ar­beit­ge­bers zur Wei­ter­beschäfti­gung des Ar­beit­neh­mers auf das Un­ter­neh­men aus­dehnt, an die Beschäfti­gung in „Be­trie­ben“ an. Der „Un­ter­neh­mens­be­zug“ der Wei­ter­beschäfti­gungs­pflicht be­steht nur mit­tel­bar, dh. ver­mit­telt über den Be­triebs­be­griff. Der Be­griff des „Be­trie­bes“ in § 1 KSchG ist grundsätz­lich nicht an­ders zu ver­ste­hen als in § 23 KSchG (st. Rspr., vgl. BAG 17. Ja­nu­ar 2008 - 2 AZR 902/06 - Rn. 16, BA­GE 125, 274; 3. Ju­ni 2004 - 2 AZR 386/03 - Rn. 28).


(ccc) Für die Be­schränkung der Wei­ter­beschäfti­gungs­pflicht des Ar­beit­ge­bers auf or­ga­ni­sa­to­ri­sche Ein­hei­ten, die in Deutsch­land ge­le­gen sind, spricht ins­be­son­de­re der - be­reits für die Aus­le­gung des Be­triebs­be­griffs in § 23 Abs. 1 KSchG maßge­ben­de - Ge­sichts­punkt, dass die Fra­ge nach der So­zi­al­wid­rig­keit der Kündi­gung na­he­zu im­mer ei­ne Ein­be­zie­hung der be­trieb­li­chen Ge­ge­ben­hei­ten er­for­dert. Das be­trifft - ne­ben der ge­setz­lich vor­ge­schrie­be­nen So­zi­al­aus­wahl - in be­son­de­rem Maße die in Re­de ste­hen­de Ver­pflich­tung des Ar­beit­ge­bers, dem Ar­beit­neh­mer ggf. ei­ne an­der­wei­ti­ge Beschäfti­gung im sel­ben oder in ei­nem an­de­ren Be­trieb sei­nes Un­ter­neh­mens an­zu­bie­ten. Schon die Be­ur­tei­lung, ob freie Beschäfti­gungs­ka­pa­zitäten in ei­nem ausländi­schen Be­trieb zur
 


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Verfügung ste­hen, kann in der Re­gel nicht los­gelöst von den Rechts­verhält­nis­sen der dort täti­gen Ar­beit­neh­mer be­ur­teilt wer­den. Auch kann es sein, dass meh­re­re zur Ent­las­sung an­ste­hen­de Ar­beit­neh­mer be­triebsüberg­rei­fend um ei­ne ge­rin­ge­re Zahl frei­er Ar­beitsplätze kon­kur­rie­ren. Bei der Prüfung, wel­cher Ar­beit­neh­mer in ei­ner sol­chen Si­tua­ti­on bei der Stel­len­be­set­zung Vor­rang ge­nießt, ist vor­aus­ge­setzt, dass ge­genüber al­len be­trof­fe­nen Beschäftig­ten und dem Ar­beit­ge­ber das­sel­be - deut­sche - Ar­beits­recht und Kündi­gungs­schutz-recht an­ge­wen­det und durch­ge­setzt wer­den kann. Die­se Vor­aus­set­zung si­cher­zu­stel­len ist das An­lie­gen der An­knüpfung an den Be­griff des „Be­trie­bes“ in § 23 Abs. 1 KSchG (vgl. BAG 26. März 2009 - 2 AZR 883/07 - Rn. 16). Im Rah­men von § 1 KSchG gilt nichts an­de­res. Die Norm legt fest, un­ter wel­chen Vor­aus­set­zun­gen ei­ne Kündi­gung so­zi­al un­ge­recht­fer­tigt ist. An­ders als in ei­nem kohären­ten Sys­tem kann der vom Ge­setz­ge­ber mit den Re­ge­lun­gen des Kündi­gungs­schutz­ge­set­zes an­ge­streb­te Aus­gleich ge­genläufi­ger In­ter­es­sen des Ar­beit­neh­mers und des Ar­beit­ge­bers, ggf. aber auch der Ar­beit­neh­mer un­ter­ein­an­der, nicht ge­lin­gen.


Über­dies könn­te sonst die Frei­heit des Ar­beit­ge­bers bei der Aus­wahl ggf. neu ein­zu­stel­len­der Ar­beit­neh­mer ein­ge­schränkt sein, oh­ne dass dies dem im ausländi­schen Be­trieb gel­ten­den Recht ent­spre­chen müss­te. Auch könn­te die Ver­pflich­tung des Ar­beit­ge­bers, freie Ar­beitsplätze in ei­nem im Aus­land ge­le­ge­nen Be­trieb in die Verhält­nismäßig­keitsprüfung nach § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Buchst. b, Satz 3 KSchG ein­zu­be­zie­hen, zu­las­ten der Beschäfti­gungs­chan­cen Drit­ter ge­hen, ob­wohl die­se uU nicht die Möglich­keit hat­ten, ei­nen deut­schen Ar­beit­neh­mern ver­gleich­ba­ren Be­stands­schutz zu er­wer­ben (vgl. LAG Ber­lin-Bran­den­burg 5. Mai 2011 - 5 Sa 219/11 - zu I 2.1.2 der Gründe). Dafür, dass der deut­sche Ge­setz­ge­ber solch weit­rei­chen­de Aus­wir­kun­gen des Kündi­gungs­schut­zes be­ab­sich­tigt hat, fehlt es an An­halts­punk­ten.


(ddd) Die Be­schränkung der Ver­pflich­tun­gen aus § 1 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 KSchG auf in Deutsch­land ge­le­ge­ne „Be­trie­be“ führt nicht zu ei­ner un­ge­recht­fer­tig­ten Un­gleich­be­hand­lung der je­wei­li­gen Be­leg­schaft. Es stellt ei­nen maßge­ben­den Un­ter­schied dar, ob ein Be­trieb im In­land oder Aus­land an­ge­sie-
 


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delt ist. Die Ent­schei­dung des Ge­setz­ge­bers, die Fest­stel­lung der So­zi­al­wid­rig­keit ei­ner Kündi­gung an die Vor­aus­set­zung zu knüpfen, dass die frag­li­che be­trieb­li­che Or­ga­ni­sa­ti­on in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land liegt, ist nicht willkürlich (vgl. BAG 17. Ja­nu­ar 2008 - 2 AZR 902/06 - Rn. 32, BA­GE 125, 274).

(eee) Im Streit­fall kann da­hin­ste­hen, ob „freie“ Ar­beitsplätze im Aus­land dann zu berück­sich­ti­gen sind, wenn die Ar­beits­verhält­nis­se der im ausländi­schen Be­trieb täti­gen Ar­beit­neh­mer - et­wa auf­grund ei­ner Rechts­wahl - deut­schem (Kündi­gungs-)Recht un­ter­lie­gen (die Berück­sich­ti­gung sol­cher Ver­trags­verhält­nis­se je­den­falls bei der Fest­stel­lung der Be­triebs­größe iSd. § 23 Abs. 1 KSchG erwägend: BAG 26. März 2009 - 2 AZR 883/07 - Rn. 20). Eben­so kann of­fen blei­ben, ob sich ein Ar­beit­neh­mer dann auf ei­ne Wei­ter­beschäfti­gungsmöglich­keit im Aus­land be­ru­fen kann, wenn im Ar­beits­ver­trag ei­ne Ver­set­zungs­klau­sel ver­ein­bart ist, die dem Ar­beit­ge­ber die Zu­wei­sung ei­ner ent­spre­chen­den Tätig­keit ermöglicht (befürwor­tend Hor­cher FA 2010, 43, 47). So liegt der Streit­fall nicht. Der Ar­beits­ver­trag der Par­tei­en enthält kei­ne ent­spre­chen­de Ab­re­de. Dem Vor­brin­gen der Par­tei­en sind auch kei­ne An­halts­punk­te dafür zu ent­neh­men, dass auf die Ar­beits­verhält­nis­se der in J täti­gen Ar­beit­neh­mer deut­sches Recht zur An­wen­dung ge­lang­te. Dar­auf, ob das in­di­vi­du­el­le Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en im Fal­le sei­ner Fortführung im Aus­land wei­ter­hin deut­schem Recht un­terläge oder ob ein Sta­tu­ten­wech­sel ein­träte, kommt es nicht an (zur Pro­ble­ma­tik vgl. BAG 25. April 2013 - 6 AZR 49/12 - Rn. 166; Dei­nert JbAr­bR Bd. 50 S. 77, 83; Jun­ker NZA-Beil. 2012, 8, 9, 14; Pauls Be­triebs­ver­la­ge­rung ins Aus­land und Weg­zugs­frei­heit des Un­ter­neh­mers S. 27 ff.). Ein mögli­cher Wech­sel des Ver­trags­sta­tuts könn­te zwar im Rah­men der Prüfung, ob ein Ände­rungs­an­ge­bot aus­nahms­wei­se ent­behr­lich ist, Be­deu­tung ge­win­nen. Er ist aber für sich ge­nom­men kein ge­eig­ne­ter Maßstab für die Be­ur­tei­lung, ob das Kündi­gungs­schutz­ge­setz dem Ar­beit­ge­ber ggf. die Ver­pflich­tung auf­er­legt, dem Ar­beit­neh­mer im We­ge der Ände­rungskündi­gung ein An­ge­bot zur Wei­ter­beschäfti­gung auf ei­nem frei­en Ar­beits­platz in ei­nem im Aus­land ge­le­ge­nen Be­trieb zu un­ter­brei­ten (vgl. Hoff­mann-Re­my/Zaum­seil DB 2012, 1624, 1625).
 


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(fff) Das Er­geb­nis wi­der­spricht nicht der Recht­spre­chung des Ach­ten Se­nats des Bun­des­ar­beits­ge­richts, nach der von ei­nem - den Tat­be­stand der Be­triebs(teil)still­le­gung aus­sch­ließen­den - Be­triebs(teil)über­gang iSv. § 613a BGB auch bei ei­nem grenzüber­schrei­ten­den Sach­ver­halt aus­zu­ge­hen sein kann (BAG 26. Mai 2011 - 8 AZR 37/10 - Rn. 36, 45). Im ent­schie­de­nen Fall ging es um die - iden­titäts­wah­ren­de - Ver­la­ge­rung ei­nes or­ga­ni­sa­to­risch ab­ge­grenz­ten Be­triebs­teils ins (grenz­na­he und über­dies deutsch­spra­chi­ge) Aus­land bei gleich­zei­ti­gem Wech­sel des Be­triebs­in­ha­bers. Ein ver­gleich­ba­rer Sach­ver­halt liegt hier nicht vor. We­der den Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts noch dem bei­der­sei­ti­gen Par­tei­vor­brin­gen ist zu ent­neh­men, dass es sich bei dem Auf­ga­ben­be­reich der „End­fer­ti­gung“ um ei­nen or­ga­ni­sa­to­risch ab­ge­grenz­ten Be­triebs­teil ge­han­delt hätte, der iden­titäts­wah­rend als Gan­zer nach J ver­la­gert wor­den wäre.


(ggg) Die ver­fas­sungs­kon­for­me Aus­le­gung des Be­triebs­be­griffs mag - je nach den Umständen des Falls - ein an­de­res Er­geb­nis ge­bie­ten, wenn ein Ar­beit­ge­ber un­weit ei­ner Länder­gren­ze im In- und Aus­land meh­re­re ein­heit­lich ge­lenk­te Be­triebsstätten un­terhält und Auf­ga­ben im „klei­nem Grenz­ver­kehr“ von der ei­nen in die an­de­re Ein­heit ver­la­gert (da­zu Boigs ju­ris­PR-ArbR 8/2012 Anm. 1). Auch so liegt der Streit­fall nicht.


2. Die Kündi­gung ist nicht gemäß § 1 Abs. 3 KSchG so­zi­al un­ge­recht­fer­tigt. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat - un­ter Be­zug­nah­me auf die Ausführun­gen des Ar­beits­ge­richts - an­ge­nom­men, die Kläge­rin sei mit Ar­beit­neh­mern, die über den 31. Ja­nu­ar 2012 hin­aus in W wei­ter­beschäftigt wor­den sei­en, nicht ver­gleich­bar. Die Würdi­gung, die von der Re­vi­si­on nicht an­ge­grif­fen wird, lässt kei­nen Rechts­feh­ler er­ken­nen. Auf ei­ne So­zi­al­aus­wahl mit Ar­beit­neh­mern, die in der Be­triebsstätte J beschäftigt sind, hat sich die Kläge­rin in den Vor­in­stan­zen nicht be­ru­fen. Im Übri­gen wären in die So­zi­al­aus­wahl we­gen ih­rer Be­triebs­be­zo­gen­heit je­den­falls sol­che Ar­beit­neh­mer nicht ein­zu­be­zie­hen, die im Kündi­gungs­zeit­punkt im Aus­land beschäftigt wa­ren und de­ren Ar­beits­verhält­nis nicht deut­schem Recht un­ter­lag.
 


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III. Der An­trag auf vorläufi­ge Wei­ter­beschäfti­gung ist dem Se­nat nicht zur Ent­schei­dung an­ge­fal­len.

IV. Die Kläge­rin hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kos­ten ih­rer er­folg­lo­sen Re­vi­si­on zu tra­gen.

Ber­ger 

Rinck 

Ra­chor

Tors­ten Fal­ke 

Wolf

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