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LAG Nie­der­sach­sen, Ur­teil vom 09.01.2013, 16 Sa 563/12

   
Schlagworte: Wettbewerbsverbot, Karenzentschädigung
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Aktenzeichen: 16 Sa 563/12
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 09.01.2013
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Oldenburg - 1 Ca 531/10
   

LAN­DES­AR­BEITS­GERICHT

NIE­DERSACHSEN

Verkündet am:
09.01.2013

Gaus,
Ge­richts­an­ge­stell­te
als Ur­kunds­be­am­tin
der Geschäfts­stel­le

IM NA­MEN DES VOL­KES

UR­TEIL


16 Sa 563/12
1 Ca 531/10 ArbG Ol­den­burg


In dem Rechts­streit

D., D-Straße, D-Stadt

Kläger, Wi­der­be­klag­ter und Be­ru­fungs­be­klag­ter,

Proz.-Bev.: Rechts­anwälte E., E-Straße, D-Stadt

ge­gen

1. B. , B-Straße, B-Stadt

Be­klag­ter, Wi­derkläger und Be­ru­fungskläger,

Proz.-Bev.: Rechts­anwälte C., C-Straße, C-Stadt

2. Rechts­an­walt A., A-Straße, A-Stadt

Streit­hel­fer

hat die 16. Kam­mer des Lan­des­ar­beits­ge­richts Nie­der­sach­sen auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 9. Ja­nu­ar 2013 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Lan­des­ar­beits­ge­richt Löber, den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Straut­mann und die eh­ren­amt­li­che Rich­te­rin Ewen

für Recht er­kannt:

Die Be­ru­fung des Be­klag­ten ge­gen das Teil­ur­teil des Ar­beits­ge­richts Ol­den­burg vom 20.03.2012 – 1 Ca 531/10 – wird zurück­ge­wie­sen.

Der Be­klag­te trägt die Kos­ten des Be­ru­fungs­ver­fah­rens. Sein Streit­hel­fer trägt die zweit­in­stanz­li­chen Kos­ten der Ne­benin­ter­ven­ti­on.

Die Re­vi­si­on wird für den Be­klag­ten hin­sicht­lich sei­ner Ver­ur­tei­lung in die Kla­ge­anträge zu 2) und zu 3) zu­ge­las­sen.

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Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten im We­sent­li­chen über ei­ne Kar­ren­zentschädi­gung.

Der Be­klag­te pro­du­ziert und ver­treibt Fut­ter­mit­tel und Ergänzungs­fut­ter­mit­tel so­wie Pfer­de­pfle­ge- und kos­me­ti­sche Pro­duk­te. Der Kläger war seit dem 01.01.2008 bei dem Be-klag­ten als Ex­port­ver­triebs­mit­ar­bei­ter tätig ge­gen ein Mo­nats­ge­halt von 7.500,00 € brut­to zuzüglich ei­nes geld­wer­ten Vor­teils in Höhe von 1.089,20 € brut­to für die Pri­vat­nut­zung sei­nes Dienst­fahr­zeugs.

Der Ein­stel­lung des fach­frem­den Klägers ging ein Gespräch der Par­tei­en am 10.09.2007 vor­aus, bei dem ei­ne Lis­te (An­la­ge B4, Bl. 271 d.A.) über in den Jah­ren 2008 und 2009 zu er­zie­len­de Ex­port­umsätze er­stellt wur­de. In der Fol­ge un­ter­zeich­ne­ten die Par­tei­en den Ar­beits­ver­trag vom 24.09.2007 (Bl. 6 ff. d.A.), der in sei­nem § 15 fol­gen­de nach­ver­trag­li­che Wett­be­werbs­ver­ein­ba­rung ent­hielt:

Der Mit­ar­bei­ter ver­pflich­tet sich, nach Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses für die Dau­er von 2 Jah­ren für kein Kon­kur­renz­un­ter­neh­men selbstständig und un­selbstständig tätig zu wer­den.
Die Fir­ma ver­pflich­tet sich, dem Mit­ar­bei­ter für die Dau­er des Wett­be­werbs­ver­bots ei­ne Entschädi­gung zu zah­len, die in ihr Er­mes­sen ge­stellt wird. Die Ka­ren­zentschädi­gung ist fällig am En­de ei­nes je­den Mo­nats.
Auf die Ka­ren­zentschädi­gung wird al­les an­ge­rech­net, was der Mit­ar­bei­ter durch an­der­wei­ti­ge Ver­wer­tung sei­ner Ar­beits­kraft er­wirbt oder zu er­wer­ben böswil­lig un­terlässt.
Der Mit­ar­bei­ter ist ver­pflich­tet, während der Dau­er des Wett­be­werbs­ver­bo­tes auf Ver­lan­gen Aus­kunft über die Höhe sei­ner Bezüge zu ge­ben und die An­schrif­ten sei­nes je­wei­li­gen Ar­beit­ge­bers mit­zu­tei­len. Am Schluss ei­nes Vier­tel­jah­res ist er ver­pflich­tet, sei­ne Lohn­steu­er­be­schei­ni­gung vor­zu­le­gen.
...

Mit Schrei­ben vom 30.07.2010 (Bl. 11 d.A.), dem Kläger am sel­ben Tag über­ge­ben, kündig­te der Be­klag­te das Ar­beits­verhält­nis frist­gemäß aus „be­triebs­wirt­schaft­li­chen Gründen“ zum 31.08.2010. Mit Schrei­ben vom 31.08.2010 (Bl. 12 d.A.) erklärte der Kläger, dass er sich an das ver­trag­li­che Wett­be­werbs­ver­bot hal­ten wer­de und bis zum 15.09.2010

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ei­ne Bestäti­gung er­war­te, in wel­cher Höhe der Be­klag­te die mo­nat­li­che Ka­ren­zentschädi­gung zah­len wer­de, min­des­tens je­doch in der ge­setz­li­chen Höhe.

Dar­auf­hin ant­wor­te­te der Be­klag­te mit Schrei­ben vom 08.09.2010:

Sehr ge­ehr­ter Herr D.,

ich be­zie­he mich auf Ihr für mich durch­aus über­ra­schen­des Schrei­ben vom 31.08.2010. Wie Ih­nen be­kannt ist, wur­de die Kündi­gung vom 30.07.2010 le­dig­lich für Sie güns­tig for­mu­liert. Tatsächlich war der Grund der Kündi­gung Ihr Ver­hal­ten. In­so­weit ha­ben sie schon bei Ver­trags­ab­schluss vor­ge­spie­gelt, dass Sie er­heb­li­che Umsätze er­rei­chen würden, die im Jah­re 2008 bei­spiels­wei­se 1,35 Mio. € be­tra­gen soll­ten. Die­ser Um­satz soll­te sich im Jah­re 2009 auf 1.755.000,00 € stei­gern. Sie ha­ben in­so­fern selbst dann, wenn sich Ih­re Pro­gno­se nicht rea­li­sie­ren würde, ent­spre­chend Ih­rer Auf­zeich­nung ei­nen Um­satz von 50 % der vor­ge­nann­ten Umsätze für die Jah­re 2008 und 2009 ga­ran­tiert. Tatsächlich ha­ben Sie die­se Um­satz­zah­len nicht im An­satz er­reicht, so dass wir uns nach wie vor durch Ih­re Dar­stel­lung getäuscht se­hen. Sie ha­ben mir of­fen­sicht­lich ganz be­wusst fal­sche Um­satz­zah­len sug­ge­riert, um mich da­durch zum Ver­trags­schluss mit Ih­nen zu be-we­gen. Mei­nes Er­ach­tens ha­ben Sie da­her den An­lass zur Kündi­gung durch Ih­re ent­spre­chen­den Erklärun­gen bei Ver­trags­schluss und auch nach­fol­gend im Ar-beits­verhält­nis ge­ge­ben.

Dass die von Ih­nen er­mit­tel­ten Um­satz­pro­gno­sen und Min­dest­um­satz­ga­ran­ti­en letzt­end­lich nicht er­reich­bar wa­ren und of­fen­sicht­lich le­dig­lich zur Täuschung mir ge­genüber vor­ge­ge­ben wur­den, muss­te ich bei un­se­rem Gespräch am 30.07.2010 fest­stel­len. Hier­bei ha­ben Sie mir anläss­lich ei­ner Dis­kus­si­on über die zukünf­ti­ge Ge­stal­tung Ih­rer Vergütung erklärt, dass Sie nicht da­mit ein­ver­stan­den wären, wenn Ihr Ge­halt auf den hälf­ti­gen Be­trag re­du­ziert und im übri­gen ei­ne Um­satz­be­tei­li­gung ver­ein­bart wer­den würde, die Sie selbst bei Er­rei­chung der von Ih­nen ga-ran­tier­ten Min­destumsätze für die Jah­re er­heb­lich bes­ser stel­len würde, als Sie in Ih­rer bis­he­ri­gen Vergütungs­si­tua­ti­on stan­den.

Ich fühle mich da­her durch Ih­re An­ga­ben zu den von Ih­nen er­mit­tel­ten Umsätzen getäuscht und
fech­te hier­mit den Ar­beits­ver­trag vom 24.09.2007 an.

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Zur An­fech­tung bin ich auf­grund der von Ih­nen wie­der­holt aus­geübten arg­lis­ti­gen Täuschung be­rech­tigt.

Ich be­hal­te mir ins­be­son­de­re vor, bis­he­ri­ge Vergütun­gen von Ih­nen zurück­zu­for­dern und darüber hin­aus ei­ne Über­prüfung des straf­recht­li­chen Ge­halts Ih­res Han­dels vor­neh­men zu las­sen.

Un­abhängig da­von dürf­te das Wett­be­werbs­ver­bot und die in­so­fern in § 15 des Ar­beits­ver­tra­ges vor­ge­se­he­ne Ka­ren­zentschädi­gung der­art un­be­stimmt for­mu­liert sein, dass sich die­se Ver­ein­ba­rung als nich­tig dar­stellt.

Wenn man ent­ge­gen mei­ner Auf­fas­sung nicht zu ei­ner Nich­tig­keit des Wett­be­werbs­ver­bo­tes kom­men soll­te, wäre das Wett­be­werbs­ver­bot mei­nes Er­ach­tens in je­dem Fal­le für mich nicht ver­bind­lich. Die Zah­lung ei­ner Entschädi­gung soll­te in mein Er­mes­sen ge­stellt wer­den. Mein Er­mes­sen hat sich al­ler­dings an Ih­rer Leis­tung zu ori­en­tie­ren. Sie hat­ten für die Jah­re 2008 und 2009 be­stimm­te Umsätze ga­ran­tiert bzw. weit darüber hin­aus­ge­hen­de Umsätze als rea­lis­tisch ein­ge­stuft und vor­ge­ge­ben.

Tatsächlich sind Sie er­heb­lich hin­ter die­sen von Ih­nen er­mit­tel­ten Beträgen zurück­ge­blie­ben, so dass ich Ih­nen kei­nes­falls ei­ne Ka­ren­zentschädi­gung zah­len würde, die sich ober­halb von 20 % der von Ih­nen zu­letzt be­zo­ge­nen Ent­gel­te be­mes­sen würde. Bei der Er­mes­sens­ausübung, die ich vor­sorg­lich vor­neh­me, ha­be ich zum ei­nen die von Ih­nen tatsächlich er­brach­ten Leis­tun­gen und Umsätze berück­sich­tigt, zum an­de­ren aber auch, dass Ih­nen mit Zah­lung der Ka­ren­zentschädi­gung ein noch an­ge­mes­se­nes Aus­kom­men ge­si­chert ist.

Bei Ab­schluss der Wett­be­werbs­ver­ein­ba­rung ha­ben wir im Übri­gen nicht auf ir­gend­wel­che ge­setz­li­chen Vor­schrif­ten Be­zug ge­nom­men. Viel­mehr war zwi­schen uns Ei­nig­keit darüber er­zielt wor­den, dass ent­spre­chend der von Ih­nen er­brach­ten Leis­tung und der von Ih­nen ga­ran­tier­ten Umsätze die Zah­lung ei­ner Ka­ren­zentschädi­gung voll­umfäng­lich in mein Er­mes­sen ge­stellt wer­den soll­te. Im Ge­gen­zug dafür ha­ben Sie das ent­spre­chen­de Ent­gelt von mir ar­beits­ver­trag­lich zu­ge­si­chert er­hal­ten.
……

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Der Kläger, der vom 01.09. bis 07.11.2010 ka­len­dertäglich Ar­beits­lo­sen­geld in Höhe von 74,75 € be­zo­gen hat und seit dem 08.11.2010 bei ei­nem Un­ter­neh­men in X-Stadt in ei­nem Ar­beits­verhält­nis steht, bei dem er je­den­falls seit De­zem­ber 2010 ein mo­nat­li­ches Ge­halt von 7.083,00 € brut­to zuzüglich ei­nes geld­wer­ten Vor­teils für die Pri­vat­nut­zung sei­nes Dienst­fahr­zeugs in Höhe von 966,40 € be­zieht, hält die An­fech­tung für un­be­gründet, weil er kei­ne fal­schen Um­satz­zah­len sug­ge­riert ha­be, um den Be­klag­ten zum Ver­trags­ab­schluss zu be­we­gen, ins­be­son­de­re ha­be er kei­ne Um­satz­zah­len ga­ran­tiert.

Wei­ter hält er die Wett­be­werbs­ver­ein­ba­rung nicht für nich­tig, da ei­ne Ka­ren­zentschädi­gung zu­ge­sagt wor­den sei, die nach bil­li­gem Er­mes­sen min­des­tens in der ge­setz­li­chen Min­desthöhe zu be­stim­men sei, wo­bei die An­rech­nung an­der­wei­ti­gen Er­werbs nur er­fol­ge, so­weit die­ser und die Ka­ren­zentschädi­gung die An­rech­nungs­gren­ze von 125 % über­stei­ge, da er ver­bots­be­dingt ei­ne Tätig­keit ha­be auf­neh­men müssen, die die An­mie­tung ei­ner Zweit­woh­nung er­for­der­lich ge­macht ha­be.

Der Kläger hat mit sei­ner Kla­ge die Un­wirk­sam­keit der An­fech­tungs­erklärung vom 08.09.2010 und die Ka­ren­zentschädi­gung für die Mo­na­te Sep­tem­ber 2010 bis Fe­bru­ar 2012 und von April 2012 bis Ju­li 2012 gel­tend ge­macht und, so­weit für die vor­lie­gen­de Be­ru­fung von Be­deu­tung, be­an­tragt,

1. fest­zu­stel­len, dass die An­fech­tung des Be­klag­ten vom 08.09.2010 nicht zur Un­wirk­sam­keit des Ar­beits­ver­tra­ges der Par­tei­en vom 24.09.2007 geführt hat,

2. den Be­klag­ten zu ver­ur­tei­len, an ihn als Ka­ren­zentschädi­gung für das nach­ver­trag­li­che Wett­be­werbs­ver­bot 4.294,50 € brut­to nebst Zin­sen in Höhe von fünf Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit dem 06.10.2010 zu zah­len,

3. den Be­klag­ten zu ver­ur­tei­len, an ihn als Ka­ren­zentschädi­gung für das nach­ver­trag­li­che Wett­be­werbs­ver­bot 4.294,50 € brut­to nebst Zin­sen in Höhe von fünf Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit dem 01.11.2010 zu zah­len.

Der Be­klag­te hat be­an­tragt,

die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

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Der Be­klag­te, der mit Schrift­satz vom 04.07.2011 sei­nem frühe­ren Rechts­an­walt we­gen feh­ler­haf­ter Be­ra­tung den Streit verkündet hat, der mit Schrift­satz vom 12.07.2011 auf sei­ner Sei­te dem Rechts­streit bei­ge­tre­ten ist, hat be­haup­tet, der Kläger ha­be 50 % der Um­satz­zah­len der am 10.09.2007 er­stell­ten Lis­te ga­ran­tiert, so dass er sich auf das ge-or­der­te Ge­halt von 7.500,00 € ein­ge­las­sen ha­be. Die von dem Kläger sug­ge­rier­ten Umsätze hätten sich in kei­ner Wei­se rea­li­siert. Of­fen­sicht­lich sei dies dar­auf zurück­zuführen, dass der Kläger kei­ne nach­hal­ti­gen Tätig­kei­ten ent­fal­tet ha­be. Der Kläger ha­be ihn vor Un­ter­zeich­nung des Ar­beits­ver­trags über die von ihm zu er­zie­len­den Umsätze arg­lis­tig getäuscht, was ihm erst am 30.07.2010 klar ge­wor­den sei, als sich der Kläger nicht auf ei­ne er­folgs­abhängi­ge Vergütung ein­ge­las­sen ha­be, die ihn bei Er­rei­chung der Plan­zah­len so­gar bes­ser ge­stellt hätte.

Das stel­le auch ei­nen wich­ti­gen Grund im Sin­ne des § 626 Abs. 1 BGB dar, so dass er nicht an das Wett­be­werbs­ver­bot ge­bun­den sei. Im Übri­gen hält er das Wett­be­werbs­ver­bot für nich­tig, weil kei­ne be­stimm­te oder ob­jek­tiv be­stimm­ba­re Ka­ren­zentschädi­gung ver­spro­chen wor­den sei. Die Höhe der Entschädi­gung sei in sein Er­mes­sen ge­stellt, das auch da­hin aus­geübt wer­den könne, dass kei­ne Entschädi­gung zu zah­len sei. Hiel­te man das Ka­renz­ver­spre­chen le­dig­lich für un­wirk­sam, könne der Kläger le­dig­lich Ka­ren­zentschädi­gung in der von ihm hilfs­wei­se be­stimm­ten Höhe von 20 % des zu­letzt be­zo­ge­nen Ent­gelts ver­lan­gen.

Im Übri­gen hat der Be­klag­te sein Zurück­be­hal­tungs­recht erklärt, weil der Kläger nicht aus­rei­chend Aus­kunft über sei­nen an­der­wei­ti­gen Er­werb er­teilt ha­be.

Wi­der­kla­gend hat der Be­klag­te von dem Kläger Aus­kunft ver­langt, über wel­che be­trieb­li­chen Un­ter­la­gen er verfüge, da sei­ne Aus­kunft vom 29.04.2011 un­glaubwürdig sei und be­an­tragt,

1. den Kläger zu ver­ur­tei­len, Aus­kunft darüber zu er­tei­len, über wel­che Un­ter­la­gen des Be­klag­ten der Kläger verfügt, ins­be­son­de­re, ob der Kläger ei­ne Spie­ge­lung des Ser­vers des Be­klag­ten, ins­be­son­de­re auch der Fest­plat­te des von dem Kläger zu­vor ge­nutz­ten Lap­top vor­ge­nom­men hat;

2. die Rich­tig­keit der Auskünf­te an Ei­des Statt zu ver­si­chern.

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Der Kläger hat be­an­tragt,

die Wi­der­kla­ge ab­zu­wei­sen,

da er mit Schrei­ben vom 29.04.2011 wahr­heits­gemäß Aus­kunft ge­ge­ben ha­be.

We­gen wei­te­rer Ein­zel­hei­ten des erst­in­stanz­li­chen Sach- und Streit­stan­des wird auf den Tat­be­stand des Teil­ur­teils vom 20.03.2012 Be­zug ge­nom­men, mit dem das Ar­beits­ge­richt den Kla­ge­anträge zu 1) bis 3) statt­ge­ge­ben und den Wi­der­kla­ge­an­trag zu 1) ab­ge­wie­sen hat. Es hat aus­geführt, die An­fech­tung vom 08.09.2010 sei man­gels arg­lis­ti­ger Täuschung un­wirk­sam, da es sich nach dem ei­ge­nen Vor­trag des Be­klag­ten bei der Auf­stel­lung vom 10.09.2007 le­dig­lich um ei­ne Pla­nung ge­han­delt ha­be, die der Kläger man­gels ei­ge­ner Kennt­nis für den Be­klag­ten of­fen­sicht­lich er­kenn­bar gar nicht ha­be ga­ran­tie­ren können. Dem Kläger ste­he für die Mo­na­te Sep­tem­ber und Ok­to­ber 2010 ei­ne Ka­ren­zentschädi­gung in Höhe von je­weils 4.294,50 € zu. Das Wett­be­werbs­ver­bot sei nicht man­gels Entschädi­gungs­ver­spre­chen nich­tig, da die Wett­be­werbs­ab­re­de ei­ne Ka­ren­zentschädi­gung zu­sa­ge, auch wenn die Höhe in das Er­mes­sen des Be­klag­ten ge­stellt sei. Auch ste­he dem Be­klag­ten man­gels wich­ti­gen Grunds zur frist­lo­sen Kündi­gung kein Los­sa­gungs­recht ent­spre­chend § 75 Abs. 1 HGB zu, noch ha­be er ein sol­ches form- und frist­ge­recht aus-geübt. So­weit der Kläger sein Er­mes­sen zur Höhe der Ka­ren­zentschädi­gung in sei­nem Schrei­ben vom 08.09.2010 hilfs­wei­se aus­geübt ha­be, sei die­ses un­bil­lig, da oh­ne Berück­sich­ti­gung des § 74 Abs. 2 HGB er­folgt, so dass die Höhe der Ka­ren­zentschädi­gung gemäß § 315 Abs. 3 BGB in Höhe der ge­setz­li­chen Min­desthöhe zu er­fol­gen ha­be. Für die Mo­na­te Sep­tem­ber und Ok­to­ber 2010 müsse sich der Kläger kei­nen an­der­wei­ti­gen Er­werb an­rech­nen las­sen, da die Ka­ren­zentschädi­gung und das Ar­beits­lo­sen­geld nicht ein­mal die 110 %-Gren­ze des § 74 c Abs. 1 Satz 1 HGB über­schrei­te. Ein Zurück­be­hal­tungs­recht des Be­klag­ten bezüglich der Ka­ren­zentschädi­gung für die­se bei­den Mo­na­te be­ste­he nicht, da der Kläger für bei­de Mo­na­te vollständig Aus­kunft er­teilt ha­be. Sch­ließlich sei der Wi­der­kla­ge­an­trag zu 1) un­be­gründet, da der Kläger dem Aus­kunfts­ver­lan­gen des Be­klag­ten mit Schrei­ben vom 27.04.2011 nach­ge­kom­men sei.

We­gen wei­te­rer Ein­zel­hei­ten der Be­gründung wird auf den Tat­be­stand des Teil­ur­teils Be­zug ge­nom­men, das dem Be­klag­ten am 13.04.2012 zu­ge­stellt wor­den ist und ge­gen das er am 11.05.2012 Be­ru­fung ein­ge­legt hat, die er am 04.07.2012 be­gründet hat, nach­dem auf sei­nen An­trag die Be­ru­fungs­be­gründungs­frist mit Be­schluss vom 12.06.2012 bis zu die­sem Tag verlängert wor­den war.

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Der Be­klag­te greift das Teil­ur­teil aus den in sei­ner Be­ru­fungs­be­gründungs­schrift wie­der­ge­ge­be­nen Gründen an. Auf die Be­ru­fungs­be­gründungs­schrift vom 04.07.2012 und den ergänzen­den Schrift­satz vom 21.12.2012 wird Be­zug ge­nom­men.

Der Be­klag­te be­an­tragt,

in Abände­rung des an­ge­foch­te­nen Teil-Ur­teils

1. die Kla­ge ab­zu­wei­sen und wi­der­kla­gend

2. den Kläger zu ver­ur­tei­len, dem Be­klag­ten Aus­kunft darüber zu er­tei­len, über wel­che Un­ter­la­gen des Be­klag­ten der Kläger verfügt, ins­be­son­de­re, ob der Kläger ei­ne Spie­ge­lung des Ser­vers des Be­klag­ten, ins­be­son­de­re auch der Fest­plat­te des vom Kläger zu­vor ge­nutz­ten Lap­tops vor­ge­nom­men hat,

3. die Rich­tig­keit der Auskünf­te an Ei­des Statt zu ver­si­chern.

Der Kläger be­an­tragt,

die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

Auf sei­ne Be­ru­fungs­er­wi­de­rung vom 05.09.2012 wird gleich­falls Be­zug ge­nom­men.

Ent­schei­dungs­gründe


Die statt­haf­te Be­ru­fung (§ 64 Abs. 2 b und c ArbGG) ist form- und frist­ge­recht ein­ge­legt und be­gründet wor­den (§§ 64 Abs. 6 Satz 1, 66 Abs. 1 Sätze 1, 2 und 5 ArbGG, §§ 519, 520 Abs. 3 ZPO).

Die mit­hin zulässi­ge Be­ru­fung ist hin­sicht­lich des Wi­der­kla­ge­an­trags zu 2) man­gels Be­schwer un­zulässig, da die­ser durch das an­ge­foch­te­ne Teil­ur­teil nicht be­schie­den wor­den ist.

Im Übri­gen ist die Be­ru­fung un­be­gründet.

9

 

I.
Das Ar­beits­ge­richt hat den Wi­der­kla­ge­an­trag zu 1) zu Recht we­gen Erfüllung (§ 362 Abs. 1 BGB) ab­ge­wie­sen.

Der Kläger ist gemäß § 4 des Ar­beits­ver­trags ver­pflich­tet, sei­ne Ar­beits­un­ter­la­gen an den Be­klag­ten her­aus­zu­ge­ben. Aus dem Um­stand, dass der Kläger im Ver­lau­fe des Rechts­streits mit Schrift­satz vom 24.03.2011 die An­la­ge K12 (Bl. 228 d.A.) vor­ge­legt hat, die ei­nen Aus­druck vom be­trieb­li­chen Ser­ver des Be­klag­ten dar­stellt, er­gibt sich, dass der Kläger zum Zeit­punkt der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses nicht al­le Un­ter­la­gen her­aus­ge­ge­ben hat­te, so dass der Be­klag­te ent­spre­chend § 260 Abs. 1 BGB An­spruch auf Rech­nungs­le­gung hat­te, wel­che Un­ter­la­gen sich noch beim Kläger be­fin­den. Auf die ent­spre­chen­de Auf­for­de­rung des Be­klag­ten vom 27.04.2011 (Bl. 30 f. d.A.) hat der Kläger mit Schrei­ben vom 29.04.2011 (Bl. 362 f. d.A.) erklärt, dass er außer dem Aus­druck K12 kei­ne wei­te­ren Un­ter­la­gen der Be­klag­ten im Be­sitz ha­be. Da­mit ist der Kläger sei­ner Aus­kunfts­pflicht nach­ge­kom­men. Dass die­se Aus­kunft of­fen­sicht­lich falsch ge­we­sen ist, kann ent­ge­gen der Be­ru­fung nicht an­ge­nom­men wer­den. Es ist nicht zwin­gend, dass der Kläger im Zu­sam­men­hang mit sei­nem Aus­schei­den den ge­sam­ten Ser­ver des Be­klag­ten auf sei­nen pri­va­ten Rech­ner ge­spie­gelt hat. Den Vor­trag des Klägers in der Be­ru­fungs­er­wi­de­rung auf Sei­te 8 (Bl. 612 d.A.), er ha­be we­gen des Streits über die nicht er­reich­ten Um­satz­zah­len nach Aus­spruch der Kündi­gung ge­zielt die Auf­stel­lung vom Ser­ver des Be­klag­ten aus­ge­druckt, ist der Be­klag­te nicht ent­ge­gen­ge­tre­ten.

So­weit wei­ter­hin Grund für die An­nah­me be­steht, den Wahr­heits­ge­halt der Aus­kunft des Klägers zu be­zwei­feln (§ 260 Abs. 2 BGB), ist der Be­klag­te auf die Durch­set­zung sei­nes Wi­der­kla­ge­an­trags zu 2) ver­wie­sen, der je­doch nicht in die Be­ru­fung er­wach­sen ist.

II.
Das Ar­beits­ge­richt hat zu Recht dem Kla­ge­an­trag zu 1) statt­ge­ge­ben.

1.
Mit die­sem Kla­ge­an­trag er­strebt der Kläger die Fest­stel­lung, dass er nicht nur in ei­nem fak­ti­schen son­dern in ei­nem rechts­wirk­sa­men Ar­beits­verhält­nis zu dem Be­klag­ten ge­stan­den hat, weil die An­fech­tung vom 08.09.2010 un­wirk­sam ist. Der Kläger hat ein In­ter­es­se an der als­bal­di­gen Fest­stel­lung der Wirk­sam­keit die­ses Rechts­verhält­nis­ses (§ 256 ZPO), weil der Be­klag­te die Un­wirk­sam­keit des Ar­beits­verhält­nis­ses nicht nur ge­genüber

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den ein­ge­klag­ten Ka­ren­zentschädi­gun­gen gel­tend macht, son­dern sich aus­weis­lich sei­nes An­fech­tungs­schrei­bens auch Ge­haltsrück­zah­lungs­ansprüchen berühmt.

2.
Die An­fech­tung vom 08.09.2010 ist man­gels An­fech­tungs­grund un­wirk­sam.

Es kann schon nicht fest­ge­stellt wer­den, dass der Kläger den Be­klag­ten durch arg­lis­ti­ge Täuschung im Sin­ne des § 123 Abs. 1 BGB zum Ab­schluss des Ar­beits­ver­trags vom 24.09.2007 be­stimmt hat, so dass da­hin­ste­hen kann, ob der Be­klag­te ge­ge­be­nen­falls die An­fech­tungs­frist des § 124 Abs. 1 BGB ein­ge­hal­ten hätte.

§ 123 Abs. 1 BGB setzt die vorsätz­li­che Täuschung zum Zweck der Er­re­gung oder Auf­recht­er­hal­tung ei­nes Irr­tums vor­aus. Die Täuschung durch Vor­spie­ge­lung oder Ent­stel­lung von Tat­sa­chen muss ich auf ob­jek­tiv nach­prüfba­re Umstände be­zie­hen. Der Be­klag­te be­haup­tet, der Kläger ha­be in dem Gespräch am 10.09.2007 50 % der an­ge­nom­me­nen Ex­port­um­satz­zah­len für die Jah­re 2008 und 2009 als si­cher er­reich­bar sug­ge­riert. Auch wenn dem so ge­we­sen wäre, ob­wohl bei­den Par­tei­en klar war, dass der Kläger kei­ner­lei Er­fah­run­gen im Geschäfts­be­reich der Be­klag­ten hat­te, hätte der Kläger ob­jek­tiv kei­ne fal­schen An­ga­ben ge­macht. Wie der Be­klag­te bei sei­ner Anhörung in der Be­ru­fungs­ver­hand­lung aus­drück­lich ein­geräumt hat, wäre die Er­zie­lung der 50 %-Um­satz­zah­len möglich ge­we­sen, wenn sich der Kläger rich­tig an­ge­strengt hätte, bei ent­spre­chen­der Nach­hal­tig­keit sei ein ent­spre­chen­des Um­satz­po­ten­ti­al vor­han­den ge­we­sen. Da­mit hat der Kläger aber nicht über ob­jek­tiv nicht er­reich­ba­re Um­satz­zah­len getäuscht. Tatsächlich wirft der Be­klag­te dem Kläger Schlecht­leis­tung vor. Schlecht­leis­tung recht­fer­tigt je­doch kei­ne An­fech­tung des Ar­beits­ver­trags we­gen arg­lis­ti­ger Täuschung.

III.
Das Ar­beits­ge­richt hat den Kla­ge­anträgen zu 2) und zu 3) zu Recht statt­ge­ge­ben.

Der Kläger hat gemäß § 15 Abs. 2 des Ar­beits­ver­trags in Ver­bin­dung mit § 315 Abs. 3 BGB für die Mo­na­te Sep­tem­ber und Ok­to­ber 2010 je­weils ei­nen An­spruch auf Ka­ren­zentschädi­gung in Höhe von 4.294,50 €.

1.
Ent­ge­gen der Be­ru­fung ist die Wett­be­werbs­ab­re­de nicht nich­tig.

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a)
Ei­ne Wett­be­werbs­ab­re­de, die für die Ka­renz des Ar­beit­neh­mers kei­ne Entschädi­gung durch den Ar­beit­ge­ber vor­sieht, ist nich­tig. We­der Ar­beit­neh­mer noch Ar­beit­ge­ber können aus ei­ner sol­chen Ab­re­de Rech­te her­lei­ten (BAG, Ur­teil vom 03.05.1994 – 9 AZR 606/92, AP Nr. 65 zu § 74 HGB = EzA § 74 HGB Nr. 56). Nach den §§ 74 ff. HGB wird kein ge­setz­li­cher Ka­ren­zentschädi­gungs­an­spruch be­gründet. Gemäß § 74 Abs. 2 HGB führt die Wett­be­werbs­ab­re­de mit ei­ner Entschädi­gung, die nicht die Hälf­te der vom Ar­beit­neh­mer zu­letzt be­zo­ge­nen ver­trags­gemäßen Leis­tun­gen er­reicht, nur zu de­ren Un­ver­bind­lich­keit. Der Ar­beit­ge­ber kann nicht be­an­spru­chen, dass der Ar­beit­neh­mer Wett­be­werb un­terlässt (§ 75 d HGB). Rech­te aus un­ver­bind­li­chen Wett­be­werbs­ab­re­den kann nur der Ar­beit­neh­mer her­lei­ten. Er hat die Wahl, ob er sich vom Wett­be­werbs­ver­bot löst oder ob er an ihm und da­mit auch an der ver­ein­bar­ten Entschädi­gung festhält. Ent­schei­det er sich für die Wett­be­werb­sent­hal­tung, be­schränkt sich sein Zah­lungs­an­spruch auf die vom Ar­beit­ge­ber ver­spro­che­ne Ge­gen­leis­tung. Ha­ben die Ar­beits­ver­trags­par­tei­en über­haupt kei­ne Ka­ren­zentschädi­gung ver­ein­bart, hat die in § 74 Abs. 2 HGB be­stimm­te Rechts­fol­ge ei­nes Wahl­rechts des Ar­beit­neh­mers wirt­schaft­lich kei­nen Sinn. Der Ar­beit­neh­mer hätte auch dann kei­nen Entschädi­gungs­an­spruch, wenn er das Wett­be­werbs­ver­bot be­ach­te­te. Die Un­ver­bind­lich­keit der Wett­be­werbs­ver­ein­ba­rung steht in die­sem Fall folg­lich der Nich­tig­keit gleich (BAG, Ur­teil vom 18.01.2000 – 9 AZR 929/98).

b)
Ein sol­cher Fall ist vor­lie­gend aber nicht ge­ge­ben. Wie das Ar­beits­ge­richt zu Recht an­ge­nom­men hat, hat der Be­klag­te dem Kläger in § 15 des Ar­beits­ver­trags für die Ka­renz ei­ne Entschädi­gung zu­ge­sagt. Auch wenn die Höhe der Entschädi­gung in sein Er­mes­sen ge­stellt ist, hat er sich zu ei­ner Ge­gen­leis­tung ver­pflich­tet. Ei­ne Ent­schei­dung, nur 0,00 € zu zah­len, al­so tatsächlich kei­ne Entschädi­gung zu leis­ten, ist ent­ge­gen sei­ner Auf­fas­sung durch § 15 Abs. 2 des Ar­beits­ver­trags nicht ge­deckt, weil er sich zur Zah­lung ei­ner Entschädi­gung ver­pflich­tet hat.

c)
Ent­ge­gen der Be­ru­fung verstößt die Entschädi­gungs­re­gel in § 15 Abs. 2 des Ar­beits­ver­trags nicht ge­gen das Schrift­for­mer­for­der­nis des § 74 Abs. 1 HGB. Viel­mehr ist die Entschädi­gungs­re­ge­lung in dem schrift­li­chen Ar­beits­ver­trag ent­hal­ten, der dem Kläger aus­gehändigt wor­den ist. So­weit die Entschädi­gungshöhe sich nicht un­mit­tel­bar oder ob­jek­tiv be­stimm­bar aus dem Text er­gibt, mag das zur Un­ver­bind­lich­keit der Ver­ein­ba­rung führen

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mit der Fol­ge des Wahl­rechts des Klägers, nicht aber zum Ver­s­toß ge­gen das Schrift­for­mer­for­der­nis.

2.
Der Be­klag­te hat sich nicht wirk­sam vom Wett­be­werbs­ver­bot ent­spre­chend § 75 Abs. 1 HGB los­ge­sagt.

a)
Löst der Ar­beit­ge­ber das Ar­beits­verhält­nis we­gen ver­trags­wid­ri­gen Ver­hal­tens des Ar­beit­neh­mers gemäß § 626 Abs. 1 BGB aus wich­ti­gem Grund auf, kann er sich ent­spre­chend § 75 Abs. 1 HGB bin­nen ei­nes Mo­nats nach Aus­spruch der Kündi­gung schrift­lich vom Wett­be­werbs­ver­bot los­sa­gen. Das gilt auch, wenn er das Ar­beits­verhält­nis aus die­sem Grund nur or­dent­lich kündigt oder mit dem Ar­beit­neh­mer ei­nen Auflösungs­ver­trag schließt, so­fern er sich dem Ar­beit­neh­mer ge­genüber er­kenn­bar auf das Vor­lie­gen ei­nes wich­ti­gen Grunds be­ruft (BAG, Ur­teil vom 24.04.1970 – 3 AZR 328/69, AP Nr. 25 zu § 74 HGB; Bau­er/Dil­ler, Wett­be­werbs­ver­bo­te, 6. Auf­la­ge, Rd­nr. 651).

b)
Der Be­klag­te hat vor­lie­gend ei­ne or­dent­li­che Kündi­gung aus be­triebs­wirt­schaft­li­chen Gründen aus­ge­spro­chen. Selbst wenn der Be­klag­te dem Kläger ab­wei­chend vom Wort­laut des Kündi­gungs­schrei­bens als tatsächli­chen Kündi­gungs­grund ein ver­trags­wid­ri­ges Ver­hal­ten an­ge­ge­ben hätte, das ihn zur frist­lo­sen Kündi­gung be­rech­tig­te, wäre kei­ne wirk­sa­me Los­sa­gung ent­spre­chend § 75 Abs. 1 HGB ge­ge­ben. Zum ers­ten führt er als wich­ti­gen Grund den gel­tend ge­mach­ten An­fech­tungs­grund für die arg­lis­ti­ge Täuschung an. Ein sol­cher ist je­doch, wie oben aus­geführt, nicht ge­ge­ben. Zum zwei­ten fehlt es an ei­ner schrift­li­chen Los­sa­gungs­erklärung in­ner­halb der Frist des § 75 Abs. 1 HGB.

c)
Selbst wenn die An­fech­tungs­erklärung vom 08.09.2010 als Los­sa­gungs­erklärung ver­stan­den wird, hilft das nicht wei­ter. Mit ihr hat der Be­klag­te die Mo­nats­frist des § 75 Abs. 1 HGB nicht ge­wahrt.

Selbst wenn mit dem LAG München (Ur­teil vom 19.12.2007 – 11 Sa 294/07, LA­GE § 74 HGB Nr. 22) an­ge­nom­men wird, dass im Fal­le der wirk­sa­men An­fech­tung we­gen arg­lis­ti­ger Täuschung ei­ne Lösung in­ner­halb ei­nes Mo­nats nach der An­fech­tungs­erklärung möglich sei, wenn der An­fech­tungs­grund sich zu­gleich als wich­ti­ger Grund im Sin­ne des § 626

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Abs. 1 BGB dar­stel­le, bleibt der Be­klag­te vor­lie­gend an die Wett­be­werbs­ver­ein­ba­rung ge­bun­den, weil er, wie oben dar­ge­legt, das Ar­beits­verhält­nis nicht wirk­sam an­ge­foch­ten hat.

Aber auch bei ei­ner wirk­sa­men An­fech­tung, die an sich das Wett­be­werbs­ver­bot be­ste­hen ließe (BAG, Ur­teil vom 03.02.1987 – 3 AZR 523/85, AP Nr. 54 zu § 54 HGB = EzA § 54 Nr. 50), wäre vor­lie­gend am 08.09.2010 ei­ne Los­sa­gung nicht mehr möglich ge­we­sen. Ent­ge­gen dem LAG München (a.a.O.) muss berück­sich­tigt wer­den, dass ei­ne Lösung aus An­lass ei­ner An­fech­tung nur dann ent­spre­chend § 75 Abs. 1 HGB möglich ist, wenn im Zeit­punkt der An­fech­tungs­erklärung ein wich­ti­ger Grund im Sin­ne des § 626 Abs. 1 BGB ge­ge­ben ist. Da vor­lie­gend die Gründe, die der Be­klag­te für sei­ne An­fech­tung re­kla­miert, ihm aber be­reits seit dem 30.07.2010 be­kannt wa­ren, stell­ten die­se we­gen der Aus­schluss­frist des § 626 Abs. 2 BGB kei­nen wich­ti­gen Grund mehr dar, so dass ei­ne ana­lo­ge An­wen­dung des § 75 Abs. 1 BGB aus­schie­de.

4.
Die Ka­ren­zentschädi­gung ist in der Höhe nicht auf 20 % des zu­letzt be­zo­ge­nen Ent­gelts be­schränkt. Zu Recht hat das Ar­beits­ge­richt die Er­mes­sens­ent­schei­dung des Be­klag­ten in die­ser Höhe als un­bil­lig an­ge­se­hen und sie gemäß § 315 Abs. 3 BGB un­ter Her­an­zie­hung des § 74 Abs. 2 HGB auf 50 % der zu­letzt be­zo­ge­nen ver­trags­gemäßen Leis­tung be­stimmt. So­weit der Be­klag­te dar­in ei­nen Ver­s­toß ge­gen das Ur­teil des Bun­des­ar­beits­ge­richts vom 18.01.2000 (a.a.O.) sieht, kann ihm nicht ge­folgt wer­den. Zwar nor­miert § 74 Abs. 2 HGB an­ders als § 90 a HGB kei­nen ge­setz­li­chen Entschädi­gungs­an­spruch, son­dern re­gelt nur die Un­ver­bind­lich­keit der Wett­be­werbs­ver­ein­ba­rung bei Ver­ein­ba­rung ei­ner zu nied­ri­gen Entschädi­gung. Die Her­an­zie­hung der Gren­ze des § 74 Abs. 2 HGB im Rah­men des § 315 Abs. 3 BGB führt je­doch zu kei­ner Be­gründung ei­nes ge­setz­li­chen Entschädi­gungs­an­spruchs. Bei der Be­stim­mung nach § 315 Abs. 3 BGB ändert sich der Cha­rak­ter der Schuld als In­di­vi­du­al­schuld nicht, selbst wenn bei der Be­stim­mung die Gren­ze des § 74 Abs. 2 HGB her­an­ge­zo­gen wird.

5.
Dem Be­klag­ten steht hin­sicht­lich der in die Be­ru­fung er­wach­se­nen Entschädi­gungs­ansprüche kein Zurück­be­hal­tungs­recht nach § 273 Abs. 1 BGB i.V.m. § 74 c Abs. 2 HGB zu. Der Kläger hat mit sei­ner Erklärung, in den Mo­na­ten Sep­tem­ber und Ok­to­ber 2010 ne­ben dem be­zo­ge­nen Ar­beits­lo­sen­geld kein Ein­kom­men aus ei­ner an­der­wei­ti­gen Ver­wer­tung sei­ner Ar­beits­kraft er­wor­ben zu ha­ben, sei­ner Aus­kunfts­pflicht genügt. So­weit der Be­klag-

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te sich in der Be­ru­fung dar­auf be­ruft, dass der Kläger für das Jahr 2011 über sein Ge­halt hin­aus Tan­tie­me be­zo­gen ha­be, ist das vor­lie­gend un­be­acht­lich, weil ein sol­cher Er­werb sich nicht auf die an­der­wei­ti­ge Ver­wer­tung sei­ner Ar­beits­kraft in den Mo­na­ten Sep­tem­ber und Ok­to­ber 2010 be­zieht.

6.
Die in der Be­ru­fung anhängi­gen Ka­ren­zentschädi­gungs­ansprüche sind in der Höhe nicht gemäß § 74 c Abs. 1 Satz 1 oder 2 HGB be­schränkt. An­re­chen­bar ist al­len­falls das Net­to­ar­beits­lo­sen­geld (vgl. BAG, Ur­teil vom 14.09.2011 – 10 AZR 198/10, EzA § 74 c HGB Nr. 36), das in den bei­den Mo­na­ten je­weils 30 x 74,15 € = 2.242,50 € be­tra­gen hat. Die Ka­ren­zentschädi­gung in Höhe von 4.294,50 € hin­zu­ge­rech­net, er­gibt ei­nen Be­trag von 6.537,00 €, der nicht ein­mal die 110 % Gren­ze des § 74 c Abs. 1 Satz 1 HGB in Höhe von 9.448,12 € über­schrei­tet.

IV.
Die Kos­ten­ent­schei­dung be­ruht auf § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG i.V.m. §§ 97 Abs. 1, 101 Abs. 1 ZPO, die Zu­las­sung der Re­vi­si­on auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.


Rechts­mit­tel­be­leh­rung


Ge­gen die­ses Ur­teil fin­det, wie sich aus der Ur­teils­for­mel er­gibt, die Re­vi­si­on statt.

Die Re­vi­si­ons­schrift muss in­ner­halb ei­nes Mo­nats nach Zu­stel­lung die­ses Ur­teils, die Re­vi­si­ons­be­gründung in­ner­halb von zwei Mo­na­ten nach Zu­stel­lung die­ses Ur­teils bei dem Bun­des­ar­beits­ge­richt ein­ge­hen.

Die An­schrift des Bun­des­ar­beits­ge­richts lau­tet:
 

Post­fach, 99113 Er­furt
oder
Hu­go-Preuß-Platz 1, 99084 Er­furt.
Te­le­fax-Nr.: (0361) 26 36 – 20 00

Auf die Möglich­keit der Ein­rei­chung elek­tro­ni­scher Do­ku­men­te beim Bun­des­ar­beits­ge­richt nach § 46 c ArbGG i. V. m. den be­son­de­ren Vor­aus­set­zun­gen nach der Ver­ord­nung über den elek­tro­ni­schen Rechts­ver­kehr beim Bun­des­ar­beits­ge­richt vom 09. März 2006, BGBl. 2006 Teil I Nr. 12, S. 519 f., aus­ge­ge­ben zu Bonn am 15. März 2006, wird hin­ge­wie­sen.

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Vor dem Bun­des­ar­beits­ge­richt müssen sich die Par­tei­en durch Pro­zess­be­vollmäch­tig­te ver­tre­ten las­sen. Als Be­vollmäch­tig­te sind außer Rechts­anwälten nur die in § 11 Ab­satz 2 Satz 2 Nr. 4 und 5 ArbGG be­zeich­ne­ten Or­ga­ni­sa­tio­nen zu­ge­las­sen. Die­se müssen in Ver­fah­ren vor dem Bun­des­ar­beits­ge­richt durch Per­so­nen mit Befähi­gung zum Rich­ter­amt han­deln.

Die Re­vi­si­ons­schrift, die Re­vi­si­ons­be­gründungs­schrift und die sons­ti­gen wech­sel­sei­ti­gen Schriftsätze im Re­vi­si­ons­ver­fah­ren sol­len 7-fach – für je­den wei­te­ren Be­tei­lig­ten ein Ex­em­plar mehr – ein­ge­reicht wer­den.

Löber 

Straut­mann 

Ewen

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