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BAG, Ur­teil vom 19.05.2015, 9 AZR 725/13

   
Schlagworte: Urlaub: Elternzeit, Elternzeit: Urlaub, Urlaubsabgeltung
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 9 AZR 725/13
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 19.05.2015
   
Leitsätze: Die Regelung in § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG setzt voraus, dass der An­spruch auf Erholungsurlaub noch besteht. Daran fehlt es, wenn das Arbeitsverhältnis beendet ist und der Arbeitnehmer Anspruch auf Urlaubs­abgeltung hat.
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Hamm, Urteil vom 18.12.2012 - 4 Ca 1729/12 L
Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 27.6.2013 - 16 Sa 51/13
   

BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT

9 AZR 725/13
16 Sa 51/13
Lan­des­ar­beits­ge­richt

Hamm

 

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am

19. Mai 2015

UR­TEIL

Brüne, Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Be­klag­te, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­onskläge­rin,

pp.

Kläge­rin, Be­ru­fungskläge­rin und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

hat der Neun­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 19. Mai 2015 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Brühler, die Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Suckow und Klo­se so­wie die eh­ren­amt­li­che Rich­te­rin Mer­te und den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Lücke für Recht er­kannt:


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1. Die Re­vi­si­on der Be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Hamm vom 27. Ju­ni 2013 - 16 Sa 51/13 - wird zurück­ge­wie­sen.

2. Die Be­klag­te hat die Kos­ten der Re­vi­si­on zu tra­gen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten über Ur­laubs­ab­gel­tung

Die Kläge­rin war ab dem 1. April 2007 bei der Be­klag­ten ge­gen ei­ne mo­nat­li­che Vergütung iHv. zu­letzt 2.000,00 Eu­ro brut­to als Er­go­the­ra­peu­tin beschäftigt. Bei ei­ner Fünf­ta­ge­wo­che stan­den ihr jähr­lich 36 Ur­laubs­ta­ge zu. Im Jahr 2010 hat­te sie sechs Ta­ge Ur­laub. Nach der Fest­stel­lung ei­ner Schwan­ger­schaft be­stand ab dem 1. Mai 2010 ein Beschäfti­gungs­ver­bot. Am 21. De­zem­ber 2010 ge­bar sie ei­nen Sohn. Nach Ab­lauf der Mut­ter­schutz­frist be­fand sich die Kläge­rin ab dem 16. Fe­bru­ar 2011 in El­tern­zeit. Die Par­tei­en be­en­de­ten das zwi­schen ih­nen be­gründe­te Ar­beits­verhält­nis mit Ab­lauf des 15. Mai 2012.

Mit An­walts­schrei­ben vom 24. Mai 2012 ver­lang­te die Kläge­rin von der Be­klag­ten oh­ne Er­folg die Ab­rech­nung und Ab­gel­tung ih­rer Ur­laubs­ansprüche aus den Jah­ren 2010 bis 2012 bis zum 4. Ju­ni 2012. Nach Zu­stel­lung der Kla­ge hat die Be­klag­te mit Schrift­satz vom 7. Sep­tem­ber 2012 erklärt, sie kürze den Er­ho­lungs­ur­laub der Kläge­rin für je­den vol­len Ka­len­der­mo­nat der El­tern­zeit um ein Zwölf­tel.

Die Kläge­rin hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, die Be­klag­te ha­be nach der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses die Kürzungs­erklärung nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG nicht mehr ab­ge­ben können. Im Übri­gen ver­s­toße die im Ge­setz vor­ge­se­he­ne Kürzungsmöglich­keit ge­gen das Recht der Eu­ropäischen Uni­on.

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Die Kläge­rin hat vor dem Lan­des­ar­beits­ge­richt zu­letzt be­an­tragt, 

die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an sie 7.234,50 Eu­ro brut­to nebst 5 % Zin­sen seit dem 5. Ju­ni 2012 zu zah­len.

Zu ih­rem Kla­ge­ab­wei­sungs­an­trag hat die Be­klag­te die Auf­fas­sung ver­tre­ten, die Ab­ga­be der Kürzungs­erklärung sei auch nach Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses noch möglich. Für ih­re Ab­ga­be schrei­be das BEEG kei­nen Zeit­punkt vor.

Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Auf die Be­ru­fung der Kläge­rin hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts ab­geändert und dem zu­letzt ge­stell­ten Kla­ge­an­trag statt­ge­ge­ben. Es hat die Re­vi­si­on in­so­weit zu­ge­las­sen, als die Be­klag­te zur Ab­gel­tung des Ur­laubs für Zei­ten der El­tern­zeit ver­ur­teilt wor­den ist. Mit ih­rer Re­vi­si­on ver­folgt die Be­klag­te ihr Ziel der Kla­ge­ab­wei­sung wei­ter, so­weit sie zur Zah­lung von 3.822,00 Eu­ro brut­to ver­ur­teilt wor­den ist.


Ent­schei­dungs­gründe

Die zulässi­ge Re­vi­si­on ist nicht be­gründet. 

I. Die Be­klag­te hat die Re­vi­si­on in zulässi­ger Wei­se nur be­schränkt ein­ge­legt. Sie greift das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts nur an, so­weit die­ses ei­ne Kürzung des Er­ho­lungs­ur­laubs um je ein Zwölf­tel für die Mo­na­te März 2011 bis April 2012 ab­ge­lehnt hat. Die Be­klag­te wen­det sich mit der Re­vi­si­on nicht da­ge­gen, dass das Lan­des­ar­beits­ge­richt der Kläge­rin ei­ne Ab­gel­tung von je 1,5 Ur­laubs­ta­gen in Be­zug auf die Mo­na­te Fe­bru­ar 2011 und Mai 2012 iHv. je 136,50 Eu­ro brut­to zu­ge­spro­chen hat, weil sich die Kürzungsmöglich­keit des § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG nur auf je­den „vol­len Ka­len­der­mo­nat“ be­zie­he. Die Be­klag­te be­gehrt da­her nur die Auf­he­bung des Be­ru­fungs­ur­teils, so­weit sie ver­ur­teilt wur­de, an die Kläge­rin 3.822,00 Eu­ro brut­to nebst Zin­sen zu zah­len.


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II. Die Be­klag­te hat mit ih­rer Kürzungs­erklärung im Sep­tem­ber 2012 den mit Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses gemäß § 17 Abs. 3 BEEG, § 7 Abs. 4 BUrlG ent­stan­de­nen Ab­gel­tungs­an­spruch nicht wirk­sam um 3.822,00 Eu­ro brut­to gekürzt. Die Re­ge­lung in § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG, wo­nach der Ar­beit­ge­ber den Er­ho­lungs­ur­laub, der dem Ar­beit­neh­mer oder der Ar­beit­neh­me­rin für das Ur­laubs­jahr zu­steht, für je­den vol­len Ka­len­der­mo­nat der El­tern­zeit um ein Zwölf­tel kürzen kann, setzt vor­aus, dass der An­spruch auf Er­ho­lungs­ur­laub noch be­steht. Dar­an fehlt es, wenn das Ar­beits­verhält­nis be­en­det ist und der Ar­beit­neh­mer An­spruch auf Ur­laubs­ab­gel­tung hat.

1. Im Zeit­punkt der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses be­stan­den auch die Ur­laubs­ansprüche aus dem Jahr 2011 noch. Während der El­tern­zeit, die zu ei­ner Su­s­pen­die­rung der Haupt­leis­tungs­pflich­ten des Ar­beits­verhält­nis­ses führt, ent­ste­hen Ur­laubs­ansprüche (BAG 17. Mai 2011 - 9 AZR 197/10 - Rn. 24, BA­GE 138, 58). Die­se wa­ren nicht nach § 7 Abs. 3 BUrlG am 31. De­zem­ber 2011 ver­fal­len. Der Ar­beit­ge­ber hat noch nicht gewähr­ten Ur­laub nach der El­tern­zeit im lau­fen­den oder im nächs­ten Ur­laubs­jahr zu gewähren (§ 17 Abs. 2 BEEG). Die Vor­schrift stellt si­cher, dass die In­an­spruch­nah­me von El­tern­zeit nicht zum Ver­fall des Er­ho­lungs­ur­laubs führt (BAG 20. Mai 2008 - 9 AZR 219/07 - Rn. 15, BA­GE 126, 352). Der Ur­laubs­an­spruch der Kläge­rin, die länger als sechs Mo­na­te bei der Be­klag­ten beschäftigt war, ent­stand be­reits An­fang Ja­nu­ar 2011. Die­sen Ur­laub hat­te die Kläge­rin vor Be­ginn der El­tern­zeit nicht er­hal­ten. Da das Ar­beits­verhält­nis nach dem En­de der El­tern­zeit nicht fort­ge­setzt wur­de, sind die Ur­laubs­ansprüche des Jah­res 2011 nach § 17 Abs. 3 BEEG, § 7 Abs. 4 BUrlG ab­zu­gel­ten.

2. Der Ar­beit­ge­ber kann den Er­ho­lungs­ur­laub kürzen, muss aber von die­sem Recht kei­nen Ge­brauch ma­chen (Neu­mann/Fen­ski BUrlG 10. Aufl. § 17 BEEG Rn. 3). Will er sei­ne Be­fug­nis ausüben, ist ei­ne (emp­fangs­bedürf­ti­ge) rechts­geschäft­li­che Erklärung er­for­der­lich, um den An­spruch auf Er­ho­lungs­ur­laub her­ab­zu­set­zen (vgl. BAG 23. April 1996 - 9 AZR 165/95 - zu II 1 der Grün¬de, BA­GE 83, 29 [zu § 17 BErzGG]; 27. No­vem­ber 1986 - 8 AZR 221/84 -


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zu 2 b der Gründe, BA­GE 53, 366 [zu § 8d MuSchG aF]; Lei­ne­mann/Linck Ur­laubs­recht 2. Aufl. § 17 BErzGG Rn. 5).

3. Es ist in Recht­spre­chung und Li­te­ra­tur um­strit­ten, ob der Ar­beit­ge­ber die Erklärung nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG im be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis ab­ge­ben muss, wenn er von sei­ner Kürzungs­be­fug­nis Ge­brauch ma­chen will.

a) Nach der bis­he­ri­gen Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts war der Ar­beit­ge­ber nicht ver­pflich­tet, die Kürzungs­erklärung im (noch) be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis ab­zu­ge­ben. Selbst die Ab­ga­be der Erklärung erst im Rechts­streit um die Zah­lung der Ur­laubs­ab­gel­tung ist als wirk­sam an­ge­se­hen wor­den (BAG 23. April 1996 - 9 AZR 165/95 - zu II 1 der Gründe, BA­GE 83, 29; 28. Ju­li 1992 - 9 AZR 340/91 - zu 1 c der Gründe, BA­GE 71, 50). Auch nach der über­wie­gen­den An­sicht im Schrift­tum kann die Kürzung vor, während oder nach En­de der El­tern­zeit erklärt wer­den (ErfK/Gall­ner 15. Aufl. § 17 BEEG Rn. 4; HWK/Gaul 6. Aufl. § 17 BEEG Rn. 5; Neu­mann/Fen­ski aaO; Schaub/Linck ArbR-HdB 15. Aufl. § 172 Rn. 26; Ar­nold/Till­manns/Till­manns BUrlG 3. Aufl. § 17 BEEG Rn. 10; Hk-MuschG/BEEG/Rancke 3. Aufl. § 17 BEEG Rn. 6). Nach­dem der Se­nat die sog. Sur­ro­gats­theo­rie mit Ur­teil vom 19. Ju­ni 2012 (- 9 AZR 652/10 - BA­GE 142, 64) vollständig auf­ge­ge­ben hat, sind meh­re­re Lan­des­ar­beits­ge­rich­te wei­ter­hin da­von aus­ge­gan­gen, dass der Ar­beit­ge­ber die Kürzung des Er­ho­lungs­ur­laubs auch nach dem En­de des Ar­beits­verhält­nis­ses erklären kann (LAG Nie­der­sach­sen 16. Sep­tem­ber 2014 - 15 Sa 533/14 - zu II 1 b der Gründe, mit zust. Anm. Hoff­mann ju­ris­PR-ArbR 2/2015 [Re­vi­si­on ein­ge­legt un­ter - 9 AZR 703/14 -]; LAG Rhein­land-Pfalz 16. Ja­nu­ar 2014 - 5 Sa 180/13 - zu II 3 b der Gründe; Hes­si­sches LAG 6. De­zem­ber 2013 - 3 Sa 980/12 - zu B I 2 b der Gründe [Re­vi­si­on ein­ge­legt un­ter - 9 AZR 205/14 -]).

b) Die Auf­fas­sung des Lan­des­ar­beits­ge­richts, nach Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses könne ei­ne Erklärung mit der Fol­ge der Kürzung des Ab­gel­tungs­an­spruchs nicht mehr ab­ge­ge­ben wer­den, ist auch auf Zu­stim­mung ges­toßen. Da­bei ist ua. dar­auf hin­ge­wie­sen wor­den, dass § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG nach sei­nem Wort­laut nur von der Kürzung des „Ur­laubs­an­spruchs“ und
 

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nicht des Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruchs spre­che (Da­wirs NJW 2014, 3612, 3616).

4. Im Hin­blick auf den kla­ren Wort­laut der Norm hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt zu Recht an­ge­nom­men, dass nach der vollständi­gen Auf­ga­be der Sur­ro­gats­theo­rie § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG nicht mehr auf den Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruch an­ge­wandt wer­den kann.

a) Die bis­he­ri­ge Recht­spre­chung zur Kürzungs­be­fug­nis des Ar­beit­ge­bers auch nach Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses be­ruh­te auf der vom Se­nat vollständig auf­ge­ge­be­nen Sur­ro­gats­theo­rie. Nach die­ser war der Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruch Erfüllungs­sur­ro­gat des Ur­laubs­an­spruchs. Es be­stand Zweck­iden­tität zwi­schen Ur­laubs- und Ur­laubs­ab­gel­tungs­ansprüchen (BAG 19. Ju­ni 2012 - 9 AZR 652/10 - Rn. 16, BA­GE 142, 64). Dass für die bis­he­ri­ge Recht­spre­chung des Se­nats die Sur­ro­gats­theo­rie maßgeb­lich war, zeigt das Ar­gu­ment im Ur­teil des Se­nats vom 28. Ju­li 1992 (- 9 AZR 340/91 - zu 1 c der Gründe, BA­GE 71, 50): „Ist es möglich, den Er­ho­lungs­ur­laub nach § 17 Abs. 1 BErzGG zu kürzen, kann der Ar­beit­ge­ber eben­so das Sur­ro­gat des Ur­laubs, die Ur­laubs­ab­gel­tung, kürzen.“

Nach der neue­ren Recht­spre­chung des Se­nats ist der An­spruch auf Ur­laubs­ab­gel­tung ein rei­ner Geld­an­spruch und nicht mehr Sur­ro­gat des Ur­laubs­an­spruchs. Der Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruch ver­dankt sei­ne Ent­ste­hung zwar ur­laubs­recht­li­chen Vor­schrif­ten. Ist er ent­stan­den, bil­det er je­doch ei­nen Teil des Vermögens des Ar­beit­neh­mers und un­ter­schei­det sich in recht­li­cher Hin­sicht nicht von an­de­ren Zah­lungs­ansprüchen des Ar­beit­neh­mers ge­gen den Ar­beit­ge­ber (BAG 14. Mai 2013 - 9 AZR 844/11 - Rn. 14, BA­GE 145, 107). Der Ab­gel­tungs­an­spruch ist da­mit nicht mehr als Äqui­va­lent zum Ur­laubs­an­spruch, son­dern als ein Ali­ud in Form ei­nes selbstständi­gen Geld­an­spruchs an­zu­se­hen.

b) Die übri­gen in der Ver­gan­gen­heit von der Recht­spre­chung an­geführ­ten Ar­gu­men­te sind nicht ge­eig­net, ei­ne Kürzung des Ur­laubs­ab­gel­t­un­g­an­spruchs zu be­gründen. So trägt das Ar­gu­ment nicht, oft ste­he erst im Nach­hin­ein fest, in wel­chem Um­fang ei­ne Kürzung über­haupt in Be­tracht kom­me. Den Um­fang der


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mögli­chen Kürzung des Er­ho­lungs­ur­laubs gibt § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG mit der For­mu­lie­rung „für je­den vol­len Ka­len­der­mo­nat der El­tern­zeit um ein Zwölf­tel“ vor. Von der Dau­er der El­tern­zeit hat der Ar­beit­ge­ber re­gelmäßig be­reits auf­grund des schrift­li­chen Ver­lan­gens nach § 16 Abs. 1 BEEG Kennt­nis.

c) Wird das Ar­beits­verhält­nis im An­schluss an die El­tern­zeit nicht fort­ge­setzt, können Ar­beit­ge­ber während der ein­zu­hal­ten­den Kündi­gungs­fris­ten (vgl. § 19 BEEG) oder vor dem Ab­schluss ei­nes Auf­he­bungs­ver­trags von ih­rer Kürzungs­be­fug­nis Ge­brauch ma­chen. Ein schutzwürdi­ges In­ter­es­se von Ar­beit­ge­bern, nach der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ent­stan­de­ne Zah­lungs­ansprüche von Ar­beit­neh­mern kürzen zu dürfen, fehlt des­halb.

d) Die Re­ge­lung in § 17 Abs. 4 BEEG gibt kein an­de­res Er­geb­nis vor. Die Vor­schrift re­gelt die Kürzung des nach dem En­de der El­tern­zeit zu­ste­hen­den Ur­laubs, al­so ei­nes be­ste­hen­den oder ent­ste­hen­den Ur­laubs­an­spruchs des Ar­beit­neh­mers. Die Kürzungsmöglich­keit entfällt, wenn das Ar­beits­verhält­nis nach der El­tern­zeit be­en­det wird. Ei­ne rück­wir­ken­de Kürzung des vor der El­tern­zeit erfüll­ten Ur­laubs­an­spruchs und ei­ne Rück­for­de­rung des ge­zahl­ten Ur­laubs­ent­gelts sieht § 17 Abs. 4 BEEG in die­sem Fall nicht vor. Dar­aus wird deut­lich, dass es sich bei der Ver­rech­nungsmöglich­keit ge­ra­de nicht um ein Ge­stal­tungs­recht mit Rück­wir­kung han­delt, son­dern um die Be­fug­nis, be­ste­hen­den oder künf­tig ent­ste­hen­den Ur­laub zu kürzen.

Zwar sind dem Ar­beits­recht Ge­stal­tungs­rech­te mit Rück­wir­kung nicht fremd (vgl. zum Wi­der­spruch nach § 613a Abs. 6 BGB BAG 16. April 2013 - 9 AZR 731/11 - Rn. 26 mwN, BA­GE 145, 8). Ge­ra­de das von der Be­klag­ten in der Re­vi­si­ons­ver­hand­lung an­geführ­te An­fech­tungs­recht zeigt frei­lich, dass ge­nau zu prüfen ist, ob die Rück­wir­kung mit den Be­son­der­hei­ten des Ar­beits­rechts zu ver­ein­ba­ren ist. So kann ein be­reits in Voll­zug ge­setz­ter Ar­beits­ver­trag grundsätz­lich nicht mehr mit rück­wir­ken­der Kraft an­ge­foch­ten wer­den (ex-nunc-Wir­kung; vgl. BAG 3. De­zem­ber 1998 - 2 AZR 754/97 - zu II 3 a aa der Gründe mwN, BA­GE 90, 251). Im Übri­gen ist zu be­ach­ten, dass ei­ne Rück­wir­kung ei­nes durch ein­sei­ti­ge, emp­fangs­bedürf­ti­ge Wil­lens­erklärung aus­geübten Ge­stal­tungs­rechts auf ei­nen Zeit­punkt vor Zu­gang der Erklärung nicht nur zu
 

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prak­ti­schen Schwie­rig­kei­ten bei der Rück­ab­wick­lung voll­zo­ge­ner Rechts­verhält­nis­se führen, son­dern auch den Grundsätzen recht­li­cher Klar­heit wi­der­spre­chen würde (vgl. BAG 13. Ju­li 2006 - 8 AZR 382/05 - Rn. 38). Soll die Ausübung ei­nes Ge­stal­tungs­rechts gleich­wohl ex-tunc-Wir­kung ent­fal­ten, ist grundsätz­lich ei­ne aus­drück­li­che ge­setz­li­che An­ord­nung er­for­der­lich (BAG 16. Mai 2013 - 6 AZR 556/11 - Rn. 50 mwN, BA­GE 145, 163). Ei­ne sol­che An­ord­nung fehlt in § 17 BEEG.

5. Die Be­klag­te kann sich nicht auf ein geschütz­tes Ver­trau­en in die bis­he­ri­ge Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts be­ru­fen.

a) Höchst­rich­ter­li­che Recht­spre­chung ist kein Ge­set­zes­recht und er­zeugt kei­ne da­mit ver­gleich­ba­re Rechts­bin­dung. Ei­ne in der Recht­spre­chung bis­lang ver­tre­te­ne Ge­set­zes­aus­le­gung auf­zu­ge­ben, verstößt nicht als sol­ches ge­gen Art. 20 Abs. 3 GG. Die über den Ein­zel­fall hin­aus­rei­chen­de Gel­tung fach­ge­richt­li­cher Ge­set­zes­aus­le­gung be­ruht al­lein auf der Über­zeu­gungs­kraft ih­rer Gründe so­wie der Au­to­rität und den Kom­pe­ten­zen des Ge­richts. Es be­darf nicht des Nach­wei­ses we­sent­li­cher Ände­run­gen der Verhält­nis­se oder der all­ge­mei­nen An­schau­un­gen, da­mit ein Ge­richt oh­ne Ver­s­toß ge­gen Art. 20 Abs. 3 GG von sei­ner frühe­ren Recht­spre­chung ab­wei­chen kann. Die Ände­rung ei­ner ständi­gen höchst­rich­ter­li­chen Recht­spre­chung ist auch un­ter dem Ge­sichts­punkt des Ver­trau­ens­schut­zes grundsätz­lich dann un­be­denk­lich, wenn sie hin­rei­chend be­gründet ist und sich im Rah­men ei­ner vor­her­seh­ba­ren Ent­wick­lung hält (BVerfG 15. Ja­nu­ar 2009 - 2 BvR 2044/07 - Rn. 85 mwN, BVerfGE 122, 248).

b) Bezüglich der An­wend­bar­keit des § 17 Abs. 1 BEEG lag ei­ne ge­fes­tig­te Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts nicht vor. Die bei­den von der Be­klag­ten an­geführ­ten Ent­schei­dun­gen vom 23. April 1996 (- 9 AZR 165/95 - zu II 1 der Gründe, BA­GE 83, 29) und 28. Ju­li 1992 (- 9 AZR 340/91 - zu 1 c der Gründe, BA­GE 71, 50) er­gin­gen zu § 17 BErzGG. Schon bei Be­ginn der El­tern­zeit im Jah­re 2011 konn­te die Be­klag­te nicht dar­auf ver­trau­en, dass das Bun­des­ar­beits­ge­richt die Recht­spre­chung oh­ne Wei­te­res auf § 17 BEEG über­tra­gen würde, weil zu die­sem Zeit­punkt be­reits be­kannt war, dass die sog. Sur­ro­gats­theo­rie nicht auf­recht­er­hal­ten blei­ben konn­te. Für die Ar­beit­ge­ber be­stand
 

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mit Ab­lauf der Um­set­zungs­frist der ers­ten Ar­beits­zeit­richt­li­nie 93/104/EG am 23. No­vem­ber 1996 be­reits kein schützens­wer­tes Ver­trau­en mehr in den Fort-be­stand der bis­he­ri­gen Se­nats­recht­spre­chung zur Sur­ro­gats­theo­rie (BAG 23. März 2010 - 9 AZR 128/09 - Rn. 101, BA­GE 134, 1). Spätes­tens mit Be­kannt­wer­den des Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chens des Lan­des­ar­beits­ge­richts Düssel­dorf in der Sa­che Schultz-Hoff vom 2. Au­gust 2006 (- 12 Sa 486/06 -) muss ein um­fas­sen­der Ver­trau­ens­ver­lust in den Fort­be­stand der Sur­ro­gats­theo­rie an­ge­nom­men wer­den (BAG 9. Au­gust 2011 - 9 AZR 365/10 - Rn. 31, BA­GE 139, 1).

6. Die vom Lan­des­ar­beits­ge­richt be­jah­te Fra­ge, ob die Kürzungs­be­fug­nis nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG mit dem Recht der Eu­ropäischen Uni­on ver­ein­bar ist (vgl. da­zu aus jünge­rer Zeit: Ka­man­ab­rou RdA 2014, 321, 324 ff.; Ri­cken/Zi­bol­ka Eu­zA 2014, 504, 511 ff.; Schu­bert NZA 2013, 1105, 1111), be­durf­te im vor­lie­gen­den Fall kei­ner Klärung (of­fen­ge­las­sen be­reits in BAG 17. Mai 2011 - 9 AZR 197/10 - Rn. 37, BA­GE 138, 58).

7. Die Höhe des Ab­gel­tungs­an­spruchs steht zwi­schen den Par­tei­en nicht im Streit. Der Zins­an­spruch er­gibt sich aus § 286 Abs. 1 Satz 1, § 288 Abs. 1BGB. Mit Schrei­ben vom 24. Mai 2012 ver­lang­te die Kläge­rin von der Be­klag­ten oh­ne Er­folg die Ab­rech­nung und Ab­gel­tung ih­rer Ur­laubs­ansprüche bis zum 4. Ju­ni 2012.

III. Die Be­klag­te hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kos­ten ih­rer er­folg­lo­sen Re­vi­si­on zu tra­gen.

Brühler 

Suckow 

Klo­se

Mer­te 

Mar­tin Lücke

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Nina Wesemann
Rechtsanwältin
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