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ARBEITSRECHT AKTUELL // 09/127

Kein Ver­si­che­rungs­schutz für ge­fähr­li­che In­cen­ti­ve-Ver­an­stal­tung (Can­yo­ning)

Kein Un­fall­ver­si­che­rungs­schutz für "Schluch­ten­aben­teu­er", wenn nicht al­le Mit­ar­bei­ter in ei­ne sol­che Ver­an­stal­tung ein­be­zo­gen sind: Hes­si­sches Lan­des­so­zi­al­ge­richt, Be­schluss vom 30.04.2009, L 3 U 249/08
Chipkarten von Krankenversicherungen Die Un­fall­ver­si­che­rung muss nicht im­mer ein­sprin­gen

21.07.2009. Das Lan­des­so­zi­al­ge­richt (LSG) Hes­sen hat in ei­nem ak­tu­el­len Be­schluss ent­schie­den, dass die Teil­nah­me an ei­ner vom Ar­beit­ge­ber or­ga­ni­sier­ten und be­zahl­ten ge­fähr­li­chen In­cen­ti­ve-Ver­an­stal­tung ("Can­yo­ning") nicht un­be­dingt un­ter den Schutz der ge­setz­li­chen Un­fall­ver­si­che­rung fällt.

Der Ver­si­che­rungs­schutz ent­fällt zwar nicht un­be­dingt be­reits dann, wenn er be­son­ders ho­he An­for­de­run­gen an die Fit­ness der teil­neh­men­den Ar­beit­neh­mer stellt.

Aber wenn auf­grund der Ge­fah­ren ei­ner Schluch­ten­durch­que­rung und we­gen der ge­stei­ger­ten Fit­ness-Vor­aus­set­zun­gen nicht al­le Ar­beit­neh­mer des Be­triebs bzw. der Ab­tei­lung an dem Can­yo­ning teil­neh­men sol­len bzw. kön­nen und der Ar­beit­ge­ber da­her ein Al­ter­na­tiv­pro­gramm an­bie­tet, be­steht kein Ver­si­che­rungs­schutz in der ge­setz­li­chen Un­fall­ver­si­che­rung: Hes­si­sches LSG, Be­schluss vom 30.04.2009, L 3 U 249/08.

Muss die Un­fall­ver­si­che­rung ein­sprin­gen, wenn sich Ar­beit­neh­mer bei ei­nem ein "Can­yo­ning" auf ei­nem Be­triebs­aus­flug ver­let­zen?

Unfälle von Ar­beit­neh­mern sind als Ar­beits­unfälle im Sin­ne des Rechts der ge­setz­li­chen Un­fall­ver­si­che­rung zu be­wer­ten und lösen Leis­tungs­ansprüche ge­genüber den Be­rufs­ge­nos­sen­schaf­ten aus, wenn sie sich in­fol­ge ei­ner gemäß den Vor­schrif­ten des Sieb­ten Bu­ches So­zi­al­ge­setz­buch (SGB VII) ver­si­cher­ten Tätig­keit er­eig­nen.

Als ver­si­cher­te Tätig­keit wer­den da­bei kei­nes­wegs nur die ei­gent­li­che Ar­beits­leis­tung, son­dern vie­le an­de­re, mit ihr zu­sam­menhängen­de Tätig­kei­ten an­ge­se­hen, so zum Bei­spiel das Zurück­le­gen des Wegs von der Woh­nung zur Ar­beit und zurück so­wie auch die Teil­nah­me an sog. be­trieb­li­chen Ge­mein­schafts­ver­an­stal­tun­gen.

Pa­ra­de­bei­spiel für ei­ne be­trieb­li­che Ge­mein­schafts­ver­an­stal­tung ist die vom Ar­beit­ge­ber or­ga­ni­sier­te und fi­nan­zier­te Weih­nachts­fei­er: An ihr soll­ten, so je­den­falls die Er­war­tungs­hal­tung des Ar­beit­ge­bers, al­le Mit­ar­bei­ter des Be­triebs (oder ei­ner sei­ner Ab­tei­lun­gen) teil­neh­men, so dass der ein­zel­ne un­ter ei­nem er­heb­li­chen fak­ti­schen Druck der Be­tei­li­gung steht. Außer­dem be­steht auch ein be­trieb­li­ches In­ter­es­se dar­an, dass möglichst al­le Ar­beit­neh­mer teil­neh­men, da der Ar­beit­ge­ber das Gefühl der Zu­sam­men­gehörig­keit bzw. den Team­geist stärken möch­te.

Ob­wohl es auch bei Weih­nachts- und ähn­li­chen Be­triebs­fei­ern zu Unfällen kommt, oft auf­grund übermäßigen Al­ko­hol­kon­sums, sind sie nicht sehr un­fall­träch­tig. An­ders da­ge­gen sport­lich an­spruchs­vol­le Ver­an­stal­tun­gen mit Mo­ti­va­ti­ons- bzw. In­cen­ti­ve-Cha­rak­ter wie Wild­was­ser­raf­ting oder Can­yo­ning. Hier stellt sich auf­grund der er­heb­li­chen Ver­let­zungs­ge­fah­ren und des da­mit zwangsläufig be­grenz­ten Teil­neh­mer­krei­ses die Fra­ge, ob sol­che Ver­an­stal­tun­gen noch als be­trieb­li­che Ge­mein­schafts­ver­an­stal­tung an­zu­se­hen sind oder nicht.

Mit die­ser Fra­ge beschäftigt sich ei­ne ak­tu­el­le Ent­schei­dung des Hes­si­schen Lan­des­so­zi­al­ge­richts (Be­schluss vom 30.04.2009, L 3 U 249/08).

Ab­tei­lungs­lei­te­rin ei­ner WP-Ge­sell­schaft macht bei ei­nem Be­triebs­aus­flug ein den Ar­beit­neh­mern frei­ge­stell­tes "Can­yo­ning" mit

Die kla­gen­de Ar­beit­neh­me­rin war in ei­nem großen Wirt­schafts­prüfungs­un­ter­neh­men als Lei­te­rin ei­ner Ab­tei­lung mit et­wa 30 Mit­ar­bei­te­rin beschäftigt. Im Ju­ni 2007 fand auf Initia­ti­ve der Kläge­rin und ei­nes ih­rer Kol­le­gen und auf Kos­ten des Ar­beit­ge­bers ein Be­triebs­mee­ting außer­halb des Büros statt, nämlich in ei­nem Ho­tel in Süddeutsch­land. Da­zu ein­ge­la­den wa­ren die Mit­ar­bei­ter der von der Kläge­rin ge­lei­te­ten Ab­tei­lung. Nach­dem am Frei­tag vor­mit­tag fach­li­che Gespräche statt­fan­den, be­rei­te­ten sich die Mit­ar­bei­ter ab Frei­tag Mit­tag auf ei­ne Schluch­ten­durch­que­rung (Can­yo­ning) vor, die am dar­auf­fol­gen­den Sams­tag statt­fand.

Da­bei durch­quer­te man während ei­ner dreistündi­ge Tour ei­ne Schlucht von oben nach un­ten ge­mein­sam durch Ab­sei­len, Ab­klet­tern, Sprin­gen, Rut­schen, Schwim­men und auch Tau­chen. Die letz­te Sta­ti­on, an der die Teil­neh­mer aus 8 bis 9 m Höhe durch ei­nen Sprung oder das Ab­sei­len ins Was­ser ein­tau­chen soll­ten, wur­de ge­gen Mit­tag er­reicht. Die Kläge­rin zog sich beim Ab­sei­len am rech­ten Au­ge ei­ne Prel­lung des Aug­ap­fels und des Or­bi­ta­ge­we­bes zu. Außer der Kläge­rin ver­letz­ten sich zwei wei­te­re Mit­ar­bei­ter an die­ser letz­ten Sta­ti­on.

Auf­grund der mit dem Can­yo­ning ver­bun­de­nen Ge­fah­ren war die Teil­nah­me an die­sem Pro­gramm­punkt frei­ge­stellt. Al­ter­na­tiv konn­te man auch die Well­ness-Ein­rich­tun­gen des Ho­tels nut­zen. Von die­ser Möglich­keit mach­ten sechs mit­ge­reis­te Se­kre­ta­ri­ats­mit­ar­bei­ter Ge­brauch.

Die Kläge­rin ver­lang­te von der zuständi­gen Be­rufs­ge­nos­sen­schaft die An­er­ken­nung ih­rer Ver­let­zung als Ar­beits­un­fall und die Gewährung von Leis­tun­gen ent­spre­chend dem Ge­setz, was die Be­rufs­ge­nos­sen­schaft ab­lehn­te. Die dar­auf­hin vor dem So­zi­al­ge­richt Wies­ba­den er­ho­be­ne Kla­ge hat­te kei­nen Er­folg, da das So­zi­al­ge­richt die Vor­aus­set­zun­gen für ei­nen Ar­beits­un­fall ver­nein­te (So­zi­al­ge­richt Wies­ba­den, Ur­teil vom 26.09.2008, S 1 U 112/07).

Kein Un­fall­ver­si­che­rungs­schutz für "Schluch­ten­aben­teu­er", wenn nicht al­le Mit­ar­bei­ter in ei­ne sol­che Ver­an­stal­tung ein­be­zo­gen sind

Das Lan­des­so­zi­al­ge­richt Hes­sen wies die Be­ru­fung auf­grund ein­deu­ti­ger Sach- und Rechts­la­ge oh­ne münd­li­che Ver­hand­lung durch Be­schluss zurück und ließ die Re­vi­si­on zum Bun­des­so­zi­al­ge­richt nicht zu. Zur Be­gründung heißt es, die Tätig­keit der Kläge­rin zum Un­fall­zeit­punkt sei un­ter kei­nem recht­li­chen Ge­sichts­punkt als in der ge­setz­li­chen Un­fall­ver­si­che­rung ver­si­cher­te Tätig­keit ein­zu­ord­nen.

Ers­tens nämlich gehöre, so das Ge­richt, das hier strei­ti­ge Can­yo­ning nicht zu den Ar­beits­auf­ga­ben der Kläge­rin als Ab­tei­lungs­lei­ter ei­nes Wirt­schafts­prüfungs­un­ter­neh­mens. Die­se Ar­beits­auf­ga­ben hat­ten mit den hier vor­ge­nom­me­nen Out­door-Ak­ti­vitäten of­fen­kun­dig nichts zu tun.

Zwei­tens war das Can­yo­ning auch nicht als - in der Un­fall­ver­si­che­rung ver­si­cher­ter - Be­triebs­sport an­zu­se­hen. Be­triebs­sport im Sin­ne des Un­fall­ver­si­che­rungs­rechts liegt nämlich nur vor, wenn die sport­li­che Betäti­gung der körper­li­chen Ertüch­ti­gung dient und re­gelmäßig vor­ge­nom­men wird. Da­von konn­te hier, d.h. bei ei­nem ein­ma­li­gen „Schluch­ten­aben­teu­er“, nicht die Re­de sein.

Sch­ließlich war die Schluch­ten­durch­que­rung nach An­sicht des Lan­des­so­zi­al­ge­richts auch nicht als be­trieb­li­che Ge­mein­schafts­ver­an­stal­tung an­zu­se­hen, da nicht al­le Mit­ar­bei­ter mit ein­be­zo­gen wur­den.

Da­bei ver­weist das Ge­richt auf die er­heb­li­chen An­for­de­run­gen, die die Tour an die die körper­li­che Fit­ness der Teil­neh­mer stell­te, und an das dem­ent­spre­chend an­ge­bo­te­ne Al­ter­na­tiv­pro­gramm, von dem im­mer­hin sämt­li­che mit­ge­reis­ten Se­kretärin­nen Ge­braucht ge­macht hat­ten.

An­ge­sichts die­ser Si­tua­ti­on war die­ses Out­door-Pro­gramm nicht da­zu ge­eig­net, „zur Förde­rung des Ge­mein­schafts­ge­dan­kens bei­zu­tra­gen“, denn auf­grund der mit ihm ver­bun­de­nen An­for­de­run­gen wur­de nicht die Ge­samt­heit der in der Ab­tei­lung Beschäftig­ten da­von an­ge­spro­chen.

Fa­zit: Be­trieb­li­che In­cen­ti­ve-Ver­an­stal­tung mit dem Flair des Ex­trem­sports ha­ben zwar viel­leicht po­si­ti­ve Aus­wir­kun­gen auf den Team­geist, mögli­cher­wei­se so­gar auf­grund der Er­fah­rung des ge­mein­sa­men Schei­terns. An­de­rer­seits ist zu be­den­ken, dass so et­was gefähr­lich ist, vor al­lem für Ar­beit­neh­mer, die Schreib­tisch­ar­beit ver­rich­ten. Ge­mein­sa­mes Ra­deln, Ko­chen oder Gril­len ist da ei­ne be­den­kens­wer­te Al­ter­na­ti­ve.

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Letzte Überarbeitung: 18. Dezember 2017

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