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ARBEITSRECHT AKTUELL // 10/039

Kün­di­gung we­gen au­ßer­dienst­li­cher Straf­tat

Kei­ne stren­ge­ren Kri­te­ri­en im öf­fent­li­chen Dienst: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 10.09.2009, 2 AZR 257/08
Rechte Hand mit roter Karte Kün­di­gung we­gen au­ßer­dienst­li­cher Straf­tat

25.02.2010. An­ders als Ar­beit­neh­mer in der Pri­vat­wirt­schaft, wa­ren Be­schäf­tig­te im öf­fent­li­chen Dienst tra­di­tio­nell ge­hal­ten, sich auch au­ßer­dienst­lich "an­ge­mes­sen" zu ver­hal­ten.

Dies war aus­drück­lich in den für den öf­fent­li­chen Dienst gel­ten­den Ta­rif­ver­trä­gen for­mu­liert. Au­ßer­dienst­li­ches Fehl­ver­hal­ten konn­te des­halb oh­ne die sonst gel­ten­den en­gen Vor­aus­set­zun­gen ei­nen Kün­di­gungs­grund dar­stel­len.

Mit Weg­fall die­ser aus­drück­li­chen Re­ge­lung durch Ein­füh­rung des TVöD stellt sich die Fra­ge, ob an den stren­ge­ren An­for­de­run­gen an das au­ßer­dienst­li­che Ver­hal­ten für Be­schäf­tig­te des öf­fent­li­chen Diens­tes noch fest­ge­hal­ten wer­den kann.

Die­se Fra­ge ver­neint das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) in der vor­lie­gen­den Ent­schei­dung: BAG, Ur­teil vom 10.09.2009, 2 AZR 257/08.

Kündi­gung we­gen außer­dienst­li­cher Straf­tat und öffent­li­cher Dienst

Wenn ein Ar­beit­neh­mer in gra­vie­ren­der Wei­se ge­gen sei­ne ar­beits­ver­trag­li­chen Pflich­ten verstößt, muss er mit ei­ner or­dent­li­chen ver­hal­tens­be­ding­ten Kündi­gung rech­nen. Ist die Pflicht­ver­let­zung so schwer­wie­gend, dass dem Ar­beit­ge­ber die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses bis zum Ab­lauf der Kündi­gungs­frist nicht mehr zu­zu­mu­ten ist, kommt so­gar ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung in Be­tracht.

Kündi­gungs­recht­lich re­le­vant sind je­doch nur Pflicht­verstöße, die das Ar­beits­verhält­nis be­tref­fen. Da­zu gehören zwar nicht nur die aus­drück­lich ar­beits­ver­trag­lich ge­schul­de­ten Pflich­ten, weil den Ar­beit­neh­mer ge­genüber dem Ar­beit­ge­ber da­ne­ben im­mer noch ei­ne all­ge­mei­ne Pflicht trifft, auf sei­ne Be­lan­ge Rück­sicht zu neh­men.

Ein ar­beits­ver­trag­li­cher Be­zug ist je­doch in der Re­gel dann nicht ge­ge­ben, wenn der Ar­beit­neh­mer ei­ne außer­dienst­li­che Straf­tat be­geht. Denn die­se Ver­let­zung von Rechts­pflich­ten hat kei­nen Be­zug zum Ar­beits­verhält­nis, son­dern be­trifft grundsätz­lich nur die Be­lan­ge der geschädig­ten Per­so­nen und der Öffent­lich­keit ge­ne­rell. Den Ar­beit­ge­ber hat es des­halb grundsätz­lich nicht zu in­ter­es­sie­ren, ob der Ar­beit­neh­mer „pri­vat“ ei­ne Straf­tat be­geht.

An­ders ist dies nur dann, wenn ei­ne „pri­va­te“ Straf­tat aus­nahms­wei­se doch ei­nen Be­zug zum Ar­beits­verhält­nis oder ne­ga­ti­ve Aus­wir­kun­gen auf den Be­trieb hat, weil der Ar­beit­neh­mer Kol­le­gen schädigt oder be­trieb­li­che Ein­rich­tun­gen für sei­ne Straf­tat nutzt.

Im öffent­li­chen Dienst war dies tra­di­tio­nell je­doch an­ders. In An­leh­nung an die für Be­am­te gel­ten­den Grundsätze wur­de von Beschäftig­ten des öffent­li­chen Diens­tes er­war­tet, sich auch außer­dienst­lich „an­ge­mes­sen“ zu ver­hal­ten, so dass auch außer­dienst­li­ches Fehl­ver­hal­ten, dass nach den oben ge­nann­ten Kri­te­ri­en kei­nen Be­zug zum Ar­beits­verhält­nis hat­te, ei­nen Kündi­gungs­grund dar­stel­len konn­te.

§ 8 Abs. 1 Satz 1 Bun­des­an­ge­stell­ten-Ta­rif­ver­trag (BAT) und wort­gleich auch § 8 Abs. 8 Satz 1 Man­tel­ta­rif­ver­trag für Ar­bei­te­rin­nen und Ar­bei­ter des Bun­des und der Länder (MTArb) sa­hen dem­ent­spre­chend aus­drück­lich vor, dass sich die Beschäftig­ten auch außer­halb des Diens­tes so zu ver­hal­ten ha­ben, „wie es von An­gehöri­gen des öffent­li­chen Diens­tes er­war­tet wird“.

Nach der grund­le­gen­den Ta­rif­re­form im öffent­li­chen Dienst wur­den die oben ge­nann­ten Ta­rif­verträge durch den Ta­rif­ver­trag für den öffent­li­chen Dienst (TVöD) er­setzt. Die­ser enthält kei­ne Re­ge­lung zum außer­dienst­li­chen Ver­hal­ten der Beschäftig­ten mehr. In § 41 Satz 1 TVöD BT-V heißt es statt­des­sen nur, dass die im Rah­men des Ar­beits­ver­tra­ges ge­schul­de­te Leis­tung „ge­wis­sen­haft und ord­nungs­gemäß aus­zuführen“ ist.

We­gen des er­satz­lo­sen Weg­falls ei­ner ta­rif­lich fest­ge­leg­ten „Er­war­tung“ an das außer­dienst­li­che Ver­hal­ten von Beschäftig­ten des öffent­li­chen Diens­tes fragt sich, ob das außer­dienst­li­che Ver­hal­ten von Beschäftig­ten des öffent­li­chen Diens­tes an­ders als bis­her zu be­wer­ten ist. Mit die­ser Fra­ge be­fasst sich die vor­lie­gen­de Ent­schei­dung des Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) vom 10.09.2009 (2 AZR 257/08).

Der Fall des Bun­des­ar­beits­ge­richts: Kündi­gung ei­nes Beschäftig­ten des öffent­li­chen Diens­tes we­gen außer­dienst­li­cher Dro­gen­de­lik­te

Der kla­gen­de Ar­beit­neh­mer ist seit 2002 in ei­nem Team von 23 Beschäftig­ten bei der be­klag­ten Stadt auf dem Bau­hof an­ge­stellt. Zunächst galt hier der Bun­des­man­tel­ta­rif­ver­trag für Ar­bei­ter ge­meind­li­cher Ver­wal­tun­gen und Be­trie­be (BMT-G). Seit Ok­to­ber 2005 wur­de der BMT-G durch den TVöD er­setzt.

En­de 2005 wur­de ge­gen den kla­gen­den Ar­beit­neh­mer we­gen mehr­fa­cher Verstöße ge­gen das Betäubungs­mit­tel­ge­setz (BTMG) er­mit­telt und Un­ter­su­chungs­haft an­ge­ord­net. Des­halb be­an­trag­te die be­klag­te Stadt beim Per­so­nal­rat die Zu­stim­mung zu ei­ner or­dent­li­chen Kündi­gung und kündig­te dem kla­gen­den Ar­beit­neh­mer nach Er­tei­lung der Zu­stim­mung im März 2006 zum 30.06.2006.

Im Mai 2006 ver­ur­teil­te das Land­ge­richt Det­mold den kla­gen­den Ar­beit­neh­mer schließlich we­gen der ihm vor­ge­wor­fe­nen Verstöße ge­gen das Betäubungs­mit­tel­ge­setz zu ei­ner Frei­heits­stra­fe von drei Jah­ren und drei Mo­na­ten. Da der kla­gen­de Ar­beit­neh­mer „Freigänger“ war, konn­te er auch in die­ser Zeit zur Ar­beit er­schei­nen.

Ge­gen sei­ne Kündi­gung er­hob der Ar­beit­neh­mer – oh­ne Er­folg - Kündi­gungs­schutz­kla­ge vor dem Ar­beits­ge­richt Det­mold (Ur­teil vom 30.11.2006, 3 (1) Ca 313/06). Sei­ne hier­ge­gen ein­ge­leg­te Be­ru­fung vor dem Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Hamm war er­folg­reich (Ur­teil vom 19.04.2007, 17 Sa 32/07). Die be­klag­te Stadt leg­te ge­gen die­ses Ur­teil Re­vi­si­on zum BAG ein.

BAG: Bei Kündi­gun­gen we­gen außer­dienst­li­cher Straf­ta­ten gel­ten im öffent­li­chen Dienst die­sel­ben Re­geln wie in der Pri­vat­wirt­schaft

Das BAG gab dem kla­gen­den Ar­beit­neh­mer recht. Der außer­dienst­lich be­gan­ge­ne mehr­fa­che Ver­s­toß ge­gen das Betäubungs­mit­tel­ge­setz stellt nach Auf­fas­sung des BAG kei­nen hin­rei­chen­den Kündi­gungs­grund im Sin­ne des § 1 Abs. 1 Kündi­gungs­schutz­ge­setz - KSchG dar. Der kla­gen­de Ar­beit­neh­mer hat­te nämlich nicht ge­gen ar­beits­ver­trag­li­che Pflich­ten ver­s­toßen, meint das BAG.

Zur Be­gründung be­zieht sich das BAG auf die Ta­rif­re­form und den seit­dem gel­ten­den TVöD, der ei­ne Er­war­tung an das außer­dienst­li­che Ver­hal­ten der Beschäftig­ten des öffent­li­chen Diens­tes nicht mehr for­mu­liert. Dar­in sieht das BAG ei­ne Ab­kehr von der bis da­hin gel­ten­den Aus­rich­tung der Grundsätze für die Beschäftig­ten des öffent­li­chen Diens­tes an den Grundsätzen des Be­am­ten­rechts.

Die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en ha­ben be­wusst die Vorgänger­re­ge­lun­gen der vor der Ta­rif­re­form gülti­gen Ta­rif­verträge nicht über­nom­men, um den Beschäftig­ten des öffent­li­chen Diens­tes kei­ne wei­ter­ge­hen­den Ver­hal­tens­pflich­ten als den übri­gen Ar­beit­neh­mern (von pri­va­ten Ar­beit­ge­bern) auf­zu­er­le­gen, so das BAG. Dar­auf müsse die Recht­spre­chung Rück­sicht neh­men.

Des­halb wa­ren bei der Kündi­gung des kla­gen­den Ar­beit­neh­mers kei­ne an­de­ren Maßstäbe an­zu­set­zen, als bei in pri­va­ten Un­ter­neh­men beschäftig­ten Ar­beit­neh­mern, d.h. kündi­gungs­recht­lich re­le­vant konn­te die außer­dienst­li­che Straf­tat nur dann sein, wenn ein Be­zug zum Ar­beits­verhält­nis be­stan­den hätte. Dies war je­doch nicht der Fall. Ei­ne ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung war des­halb nicht be­rech­tigt.

Et­was an­de­res wäre es ge­we­sen, wenn der Kläger ho­heit­li­che Auf­ga­ben oder re­präsen­ta­ti­ve Funk­tio­nen für die be­klag­te Stadt aus­geübt hätte, da ei­ne (er­heb­li­che) Straf­tat, auch wenn sie außer­dienst­lich be­gan­gen wird, Rück­schlüsse auf die feh­len­de Zu­verlässig­keit auch in Be­zug auf die aus­geübte Tätig­keit zulässt und dann ei­ne per­so­nen­be­ding­te Kündi­gung recht­fer­ti­gen kann. Der Kläger war je­doch nur ein ein­fa­cher ge­werb­li­cher Ar­beit­neh­mer oh­ne ho­heit­li­chen Auf­ga­ben oder re­präsen­ta­ti­ve Funk­tio­nen.

Fa­zit: Die we­ni­ger stren­gen An­for­de­run­gen an das außer­dienst­li­che Ver­hal­ten von Beschäftig­ten des öffent­li­chen Diens­tes durch Einführung des TVöD wird jetzt vom BAG um­ge­setzt. Beschäftig­te des öffent­li­chen Diens­tes, die außer­dienst­lich Straf­ta­ten be­ge­hen, wer­den des­halb künf­tig ge­nau­so be­han­delt, wie Ar­beit­neh­mer pri­va­ter Un­ter­neh­men.

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Letzte Überarbeitung: 14. Juli 2020

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