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Au­ßer­or­dent­li­che be­triebs­be­ding­te Kün­di­gung

Au­ßer­or­dent­li­che be­triebs­be­ding­te Kün­di­gung ei­ner un­künd­ba­ren Rei­ni­gungs­kraft un­wirk­sam trotz Fremd­ver­ga­be: Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 07.02.2012, 7 Sa 2164/11
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05.04.2012. Un­künd­ba­re Ar­beit­neh­mer sind nicht vor al­len mög­li­chen Kün­di­gun­gen si­cher, son­dern nur vor or­dent­li­chen Kün­di­gun­gen. Da­her kann der Ar­beit­ge­ber auch "Un­künd­ba­ren" kün­di­gen, braucht da­für al­ler­dings ei­nen wich­ti­gen Grund im Sin­ne von § 626 Bür­ger­li­ches Ge­setz­buch (BGB), der ei­ne au­ßer­or­dent­li­che Kün­di­gung recht­fer­tigt.

Ein sol­cher Grund kann z.B. ei­ne Be­triebs­schlie­ßung sein. Aber ge­nügt auch die voll­stän­di­ge Auf­ga­be ei­ner be­trieb­li­chen Funk­ti­on wie die Fremd­ver­ga­be von Rei­ni­gungs­ar­bei­ten, die bis­lang mit ei­ge­nen Ar­beit­neh­mern durch­ge­führt, um bei ei­ner Be­triebs­grö­ße von ca. 60 bis 80 Ar­beit­neh­mer zwei un­künd­ba­ren Rei­ni­gungs­kräf­ten ei­ne au­ßer­or­dent­li­che Kün­di­gung aus be­triebs­be­ding­ten Grün­den aus­zu­spre­chen?

In ei­ner ak­tu­el­len Ent­schei­dung hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Ber­lin-Bran­den­burg die­se Fra­ge mit nein be­ant­wor­tet: LAG Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 07.02.2012, 7 Sa 2164/11.

Außer­or­dent­li­che be­triebs­be­ding­te Kündi­gung ei­nes Unkünd­ba­ren - auch bei Fremd­ver­ga­be von Rei­ni­gungs­ar­bei­ten?

Wenn ein Ar­beits­verhält­nis un­ter das Kündi­gungs­schutz­ge­setz (KSchG) fällt und der Ar­beit­neh­mer da­her Kündi­gungs­schutz ge­nießt, kann der Ar­beit­ge­ber auch bei Be­ach­tung der Kündi­gungs­fris­ten nicht "ein­fach so" kündi­gen, son­dern er braucht für sei­ne or­dent­li­che Kündi­gung ei­nen vernünf­ti­gen Grund. An­sons­ten ist die Kündi­gung "so­zi­al un­ge­recht­fer­tigt" und da­her un­wirk­sam.

Ein von Ar­beit­ge­bern oft vor­ge­brach­ter und vom KSchG im Prin­zip an­er­kann­ter Kündi­gungs­grund be­steht in ei­ner Ände­rung der be­trieb­li­chen Abläufe, die die wei­te­re ver­trags­gemäße Beschäfti­gung des Ar­beit­neh­mers dau­er­haft unmöglich macht. Dann kommt ei­ne or­dent­li­che be­triebs­be­ding­te Kündi­gung in Be­tracht, so z.B. bei ei­ner Be­triebs­sch­ließung oder bei der er­satz­lo­sen Auf­ga­be kom­plet­ter bis­he­ri­ger Ar­beits­be­rei­che.

Ei­ne sol­che Be­gründung für ei­ne be­triebs­be­ding­te Kündi­gung wird von den Ar­beits­ge­rich­ten oft auch an­er­kannt, wenn der gekündig­te Ar­beit­neh­mer auf­grund ei­nes Ta­rif­ver­trags und/oder auf­grund ar­beits­ver­trag­li­cher Ver­ein­ba­rung or­dent­lich unkünd­bar ist. Dann kann sich der Ar­beit­ge­ber zwar nicht mehr auf ei­nen Kündi­gungs­grund im Sin­ne des KSchG be­ru­fen, da die­ses Ge­setz kei­ne Grund­la­ge für die Kündi­gung or­dent­lich unkünd­ba­rer Ar­beit­neh­mer enthält. Das macht aber im Er­geb­nis oft nichts, denn der Ar­beit­ge­ber kann dann oft ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung aus be­triebs­be­ding­ten Gründen aus­spre­chen, und zwar un­ter Be­ru­fung auf § 626 Bürger­li­ches Ge­setz­buch (BGB).

Nach die­ser Vor­schrift kann auch unkünd­ba­ren Ar­beit­neh­mern gekündigt wer­den, falls der Ar­beit­ge­ber dafür ei­nen "wich­ti­gen Grund" hat. Ein sol­cher wich­ti­ger Grund für die außer­or­dent­li­che Kündi­gung ei­nes unkünd­ba­ren Ar­beit­neh­mers ist oft ein er­heb­li­cher Pflicht­ver­s­toß, kann aber auch ei­ne Be­triebs­sch­ließung oder auch die vollständi­ge Auf­ga­be bis­he­ri­ger Ar­beits­be­rei­che sein. Da­bei muss der Ar­beit­ge­ber, wenn er ei­nem or­dent­lich unkünd­ba­ren Ar­beit­neh­mer aus be­triebs­be­ding­ten Gründen außer­or­dent­lich kündigt, ei­ne sog. Aus­lauf­frist gewähren, die min­des­tens so lang ist wie die Kündi­gungs­frist, die er bei ei­ner (auf­grund der Unkünd­bar­keit aus­ge­schlos­se­nen) or­dent­li­chen Kündi­gung des Unkünd­ba­ren gewähren müss­te.

Dass unkünd­ba­re Ar­beit­neh­mer nicht nur bei ei­ner Be­triebs­sch­ließung außer­or­dent­lich gekündigt wer­den können, son­dern so­gar dann, wenn der Ar­beit­ge­ber nur Tei­le sei­ner bis­he­ri­gen be­trieb­li­chen Ar­beits­abläufe ein­stellt bzw. an ei­ne Fremd­fir­ma ver­gibt, ist al­ler­dings fragwürdig, da ei­ne sol­che Kündi­gungsmöglich­keit den Wert ei­ner Unkünd­bar­keit er­heb­lich ver­rin­gert. Im Er­geb­nis läuft ei­ne sol­che außer­or­dent­li­che Kündi­gungsmöglich­keit dar­auf hin­aus, dass der for­mell "Unkünd­ba­re" letzt­lich doch ei­ne be­triebs­be­ding­te Kündi­gung erhält, und zwar mit ge­nau der­sel­ben Kündi­gungs­frist, die der Ar­beit­ge­ber auch bei or­dent­li­cher Künd­bar­keit be­ach­tet hätte. Der ein­zi­ge Un­ter­schied be­steht in der ju­ris­ti­schen Be­gründung der Kündi­gung.

Hier hat das LAG Ber­lin-Bran­den­burg in ei­ner ak­tu­el­len Ent­schei­dung nicht mit­ge­macht. Es be­wer­te­te die außer­or­dent­li­che be­triebs­be­ding­te Kündi­gung ei­ner unkünd­ba­ren Rei­ni­gungs­kraft als un­wirk­sam, ob­wohl der Ar­beit­ge­ber die Kündi­gung mit der Fremd­ver­ga­be der Rei­ni­gungs­ar­bei­ten be­gründet hat­te und sich da­mit auf ei­nen Kündi­gungs­grund stütz­te, der nach der über­wie­gen­den Recht­spre­chung meist als aus­rei­chend "wich­ti­ger Grund" be­wer­tet wird (LAG Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 07.02.2012, 7 Sa 2164/11).

LAG Ber­lin-Bran­den­burg: Kündi­gung ei­ner unkünd­ba­ren Rei­ni­gungs­kraft trotz Fremd­ver­ga­be der Rei­ni­gungs­ar­bei­ten un­wirk­sam

In dem vom LAG ent­schie­de­nen Fall ging es um ei­ne vor­mals lan­des­ei­ge­ne Lie­gen­schafts­ver­wal­tung, die mit et­wa 85 Ar­beit­neh­mern Büro- und Ge­wer­beflächen ver­wal­tet und ver­mie­tet. Nach­dem die Ge­sell­schaft mit­samt den Grundstücken 2007 an ei­nen pri­va­ten In­ves­tor ver­kauft und über­tra­gen wor­den war, rüttel­te die­ser 2010 an den ihm vom Land Ber­lin ursprüng­lich auf­er­leg­ten Ver­pflich­tun­gen zur Si­che­rung der über­nom­me­nen Ar­beitsplätze. An­ge­strebt war ei­ne Ver­rin­ge­rung der Ar­beit­ne­her­zahl von 84,5 auf 62.

Zu die­sem Zweck wur­den gut 20 Haus­meis­ter in ei­nen ei­gens ge­schaf­fe­nen Be­triebs­teil "Haus­meis­ter­diens­te" überführt und zwei lan­ge beschäftig­te Rei­ni­gungs­kräfte in ei­nen (an­geb­li­chen) Be­triebs­teil "Rei­ni­gungs­diens­te". So­dann wur­den die­se (an­geb­li­chen) Be­triebs­tei­le im We­ge des Be­triebsüber­gangs gemäß § 613a BGB auf ei­ne an­de­re Fir­ma über­tra­gen, die künf­tig als Fremd­fir­ma die Haus­meis­ter­diens­te und die Rei­ni­gungs­ar­bei­ten er­brin­gen soll­te. Ei­ne der be­trof­fe­nen Rei­ni­gungs­kräfte wi­der­sprach der Über­lei­tung ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses, so dass ihr Ar­beits­verhält­nis bei der Lie­gen­schafts­ver­wal­tung ver­blieb.

Dar­auf­hin erklärte die Lie­gen­schafts­ver­wal­tung der Rei­ni­gungs­kraft, die ta­rif­ver­trag­lich or­dent­lich nicht mehr künd­bar war, die außer­or­dent­li­che Kündi­gung aus be­trieb­li­chen Gründen un­ter Gewährung ei­ner Aus­lauf­frist. Mit ih­rer Kündi­gungs­schutz­kla­ge hat­te die Rei­ni­gungs­kraft vor dem Ar­beits­ge­richt Ber­lin zunächst kei­nen Er­folg (Ar­beits­ge­richt Ber­lin, Ur­teil vom 29.08.2011, 19 Ca 4676/11), wohl aber vor dem LAG. Das LAG be­wer­te­te die strei­ti­ge Kündi­gung als un­wirk­sam.

Zur Be­gründung heißt es, der Ar­beit­ge­ber könne sich - eben­so wie bei an­de­ren Verträgen - nicht oh­ne Wei­te­res von sei­ner Ver­trags­bin­dung ge­genüber dem Ar­beit­neh­mer (sprich: der Unkünd­bar­keit) los­sa­gen. Dem­zu­fol­ge hätte der Ar­beit­ge­ber, so das LAG, die or­dent­li­che Unkünd­bar­keit der Rei­ni­gungs­kraft be­reits bei der Er­stel­lung sei­nes un­ter­neh­me­ri­schen Kon­zepts in Rech­nung stel­len müssen. Und weil der Ar­beit­ge­ber nicht kon­kret be­le­gen konn­te, dass die Aus­la­ge­rung der Rei­ni­gungs­ar­bei­ten auf Drit­te "un­ter be­triebs­wirt­schaft­li­chen Ge­sichts­punk­ten un­umgäng­lich" war, be­stand aus Sicht des LAG kein wich­ti­ger Grund für ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung der unkünd­ba­ren Rei­ni­gungs­kräfte.

We­sent­lich für die­ses Ur­teil war die of­fen­kun­di­ge Ziel­stre­big­keit, mit der die Lie­gen­schafts­ver­wal­tung ihr quan­ti­ta­ti­ves Ziel ei­ner Ver­rin­ge­rung von Mit­ar­bei­ter­ka­pa­zitäten durch­set­zen woll­te. Zwin­gen­de be­trieb­li­che oder wirt­schaft­li­che Gründe, bei ei­ner Be­triebs­größe von ca. 60 bis 80 Ar­beit­neh­mern aus­ge­rech­net ei­ne unkünd­ba­re Rei­ni­gungs­kraft außer­or­dent­lich zu kündi­gen, wa­ren da­her nicht er­sicht­lich. Zwar wäre hier wohl ei­ne or­dent­li­che be­triebs­be­ding­te Kündi­gung rech­tens ge­we­sen, nicht aber ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung ei­ner Unkünd­ba­ren aus be­trieb­li­chen Gründen.

Das Ur­teil ist sorgfälig be­gründet geht im Er­geb­nis in Ord­nung. Al­ler­dings über­prüfen an­de­re Ge­rich­te Be­triebs­ver­klei­ne­run­gen, die auf ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung unkünd­ba­rer Ar­beit­neh­mer hin­aus­lau­fen, we­ni­ger streng als das LAG. Sie be­to­nen eher die Frei­heit der un­ter­neh­me­ri­schen Ent­schei­dun­gen über ei­ne Ver­rin­ge­rung der Be­triebs­größe. Das LAG hat da­her die Re­vi­si­on zum Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) zu­ge­las­sen. Wie das BAG über den Fall ent­schei­det, ist of­fen. Es spricht aber ei­ni­ges dafür, dass das BAG eben­so wie das LAG ent­schei­den wird.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das Ge­richt sei­ne Ent­schei­dungs­gründe schrift­lich ab­ge­fasst und veröffent­licht. Die Ent­schei­dungs­gründe im Voll­text fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 30. August 2019

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