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BAG, Ur­teil vom 21.03.2012, 5 AZR 61/11

   
Schlagworte: Zahlungsverzug des Arbeitgebers, Hartz IV, Bedarfsgemeinschaft
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 5 AZR 61/11
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 21.03.2012
   
Leitsätze: Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II an den nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartner des Hilfebedürftigen sowie an dessen unverheiratete Kinder, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, gelten gemäß § 34a SGB II aF, § 34b SGB II als Aufwendungen für den Hilfebedürftigen selbst und führen zu einem erweiterten Übergang seines Vergütungsanspruchs nach § 115 SGB X.
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Hamburg, Urteil vom 30.03.2010, 14 Ca 124/08
Landesarbeitsgericht Hamburg, Urteil vom 8.12.2010, 5 Sa 54/10
   


BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT


5 AZR 61/11
5 Sa 54/10
Lan­des­ar­beits­ge­richt
Ham­burg

 

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am

21. März 2012

UR­TEIL

Met­ze, Ur­kunds­be­am­ter

der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Be­klag­ter, Be­ru­fungs­be­klag­ter und Re­vi­si­onskläger,

pp.

Kläger, Be­ru­fungskläger und Re­vi­si­ons­be­klag­ter,

hat der Fünf­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 21. März 2012 durch den Vi­ze­präsi­den­ten des Bun­des­ar­beits­ge­richts Dr. Müller-Glöge, die Rich­te­rin am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Laux, den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Biebl so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Zol­ler und Pol­lert für Recht er­kannt:
 


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1. Auf die Re­vi­si­on des Be­klag­ten wird das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Ham­burg vom 8. De­zem­ber 2010 - 5 Sa 54/10 - auf­ge­ho­ben.


2. Die Sa­che wird zur neu­en Ver­hand­lung und Ent­schei­dung - auch über die Kos­ten der Re­vi­si­on - an das Lan­des­ar­beits­ge­richt zurück­ver­wie­sen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten über Vergütungs­ansprüche.

Der Kläger war bei der G (im Fol­gen­den: Schuld­ne­rin) bis zum 29. Fe­bru­ar 2008 zu­letzt zu ei­nem Brut­to­mo­nats­ge­halt von 2.019,94 Eu­ro beschäftigt. Am 12. No­vem­ber 2007 wur­de über das Vermögen der Schuld­ne­rin das In­sol­venz­ver­fah­ren eröff­net und der Be­klag­te zum In­sol­venz­ver­wal­ter be­stellt.


Die Ar­beits­ge­mein­schaft für Beschäfti­gung und Grund­si­che­rung S (im Fol­gen­den: AR­GE) be­wil­lig­te dem Kläger und sei­ner Ehe­frau als Mit­glie­der ei­ner Be­darfs­ge­mein­schaft für die Zeit ab 1. Ju­ni 2007 Leis­tun­gen zur Si­che­rung des Le­bens­un­ter­halts nach dem SGB II. Ver­tre­te­rin der Be­darfs­ge­mein­schaft und Zah­lungs­empfänge­rin war die Ehe­frau des Klägers. Der dem Be­scheid bei­gefügte Be­rech­nungs­bo­gen ver­teil­te die mo­nat­li­chen Re­gel­leis­tun­gen je­weils hälf­tig auf die Ehe­leu­te. Für die Zeit vom 12. Au­gust bis zum 11. No­vem­ber 2007 be­zog der Kläger In­sol­venz­geld.


Der Ge­halts­an­spruch des Klägers für den Zeit­raum vom 12. No­vem­ber 2007 bis zum 29. Fe­bru­ar 2008 be­lief sich auf 7.339,12 Eu­ro brut­to. Die­sen An­spruch erfüll­te der Be­klag­te zunächst nicht. Der Kläger und sei­ne Ehe­frau er­hiel­ten wei­ter­hin Leis­tun­gen der AR­GE nach dem SGB II. Dem Auf­for­de­rungs­schrei­ben der AR­GE vom 16. Sep­tem­ber 2009, ihr den an den Kläger und sei­ne Ehe­frau ge­leis­te­ten Be­trag von 4.183,98 Eu­ro zu er­stat­ten, kam der Be-
 


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klag­te nach. An den Kläger zahl­te er rest­li­che Vergütung iHv. 1.657,96 Eu­ro net­to aus.

Der Kläger for­dert Nach­zah­lung sei­nes Ar­beits­ent­gelts in Höhe der sei­ner Ehe­frau ge­leis­te­ten Grund­si­che­rung.

Er hat zu­letzt be­an­tragt, 


den Be­klag­ten zu ver­ur­tei­len, an ihn 7.339,12 Eu­ro brut­to nebst Zin­sen iHv. fünf Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit dem 5. März 2008 zu zah­len, abzüglich be­reits ge­zahl­ter Zah­lun­gen iHv. 1.657,96 Eu­ro net­to so­wie im No­vem­ber 2007 ge­zahl­ter 338,19 Eu­ro net­to und je­weils ge­zahl­ter 563,50 Eu­ro net­to für die Mo­na­te De­zem­ber 2007 und Ja­nu­ar und Fe­bru­ar 2008.


Der Be­klag­te hat Kla­ge­ab­wei­sung be­an­tragt. Der Kläger sei zur­zeit der Abführung der Vergütungs­tei­le an die AR­GE nicht mehr An­spruchs­in­ha­ber ge­we­sen. Sein Vergütungs­an­spruch sei auch in Höhe der an sei­ne Ehe­frau gewähr­ten So­zi­al­leis­tun­gen auf die AR­GE über­ge­gan­gen.


Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Auf die Be­ru­fung des Klägers hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt der Kla­ge statt­ge­ge­ben. Mit der Re­vi­si­on be­gehrt der Be­klag­te die Zurück­wei­sung der Be­ru­fung des Klägers.

Ent­schei­dungs­gründe

Die Re­vi­si­on des Be­klag­ten ist be­gründet. Der Kläger kann vom Be­klag­ten kei­ne Vergütung für die Zeit vom 12. No­vem­ber 2007 bis zum 29. Fe­bru­ar 2008 mehr ver­lan­gen, so­weit die AR­GE we­gen des Aus­blei­bens der Vergütung im Kla­ge­zeit­raum So­zi­al­leis­tun­gen an die Ehe­frau des Klägers er­bracht hat. In­so­weit ist sein An­spruch auf die AR­GE über­ge­gan­gen. Auf­grund der bis­he­ri­gen Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts kann der Se­nat je­doch nicht über den Um­fang des An­spruchsüber­gangs ent­schei­den. Das führt zur Auf­he­bung des an­ge­foch­te­nen Ur­teils und Zurück­ver­wei­sung der Sa­che an das Lan­des­ar­beits­ge­richt (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

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I. Der Vergütungs­an­spruch des Klägers ist in Höhe von 7.339,12 Eu­ro brut­to für die Zeit vom 12. No­vem­ber 2007 bis zum 29. Fe­bru­ar 2008 ent­stan­den. Der Se­nat kann aber nicht ent­schei­den, in wel­cher Höhe der An­spruch auf die AR­GE über­ge­gan­gen ist.

1. Gemäß § 115 SGB X ist der An­spruch grundsätz­lich in Höhe der an den Kläger persönlich er­brach­ten So­zi­al­leis­tun­gen über­ge­gan­gen. Der Be­klag­te hat an den Kläger zunächst kein Ar­beits­ent­gelt ge­zahlt. Die­ser Aus­fall war für die Hil­fe­bedürf­tig­keit, die ih­rer­seits nach § 7 Abs. 1 Zif­fer 3 SGB II Vor­aus­set­zung für Leis­tun­gen der Grund­si­che­rung ist, ursächlich (zum Er­for­der­nis der Kau­sa­lität, vgl. BAG 26. Mai 1993 - 5 AZR 405/92 - BA­GE 73, 186; LAG Meck­len­burg-Vor­pom­mern 2. No­vem­ber 2010 - 5 Sa 91/10 -).


2. So­weit der Leis­tungs­träger an die Ehe­frau des Klägers we­gen des Ent­gel­t­aus­falls im Kla­ge­zeit­raum Leis­tun­gen er­bracht hat, kann der Ent­gelt­an­spruch des Klägers gemäß § 115 SGB X iVm. § 34a SGB II (heu­te § 34b SGB II) gleich­falls auf die AR­GE über­ge­gan­gen sein.


a) Nach dem zum Aus­gleichs­an­spruch zwi­schen So­zi­al­leis­tungs­trägern aus § 104 SGB X ent­wi­ckel­ten Prin­zip der Per­so­nen­iden­tität (vgl. BSG 8. Au­gust 1990 - 11 RAr 79/88 - SozR 3-1300 § 104 Nr. 3; 12. Mai 2011 - B 11 AL 24/10 R - Rn. 18 ff., SozR 4-1300 § 107 Nr. 4) muss der Be­rech­tig­te für bei­de in An­spruchs­kon­kur­renz ste­hen­den Ansprüche Gläubi­ger sein. Der An­spruchsüber­gang nach § 115 SGB X setzt da­mit grundsätz­lich vor­aus, dass es sich bei dem Be­zie­her der So­zi­al­leis­tung und dem Ar­beit­neh­mer um ein und die­sel­be Per­son han­delt. Die­se Per­so­nen­iden­tität fehlt, wenn Leis­tun­gen an an­de­re Mit­glie­der ei­ner Be­darfs­ge­mein­schaft ge­flos­sen sind. Bei ei­ner Be­darfs­ge­mein­schaft er­hal­ten ne­ben dem er­werbsfähi­gen Leis­tungs­be­rech­tig­ten auch die mit ihm in der Be­darfs­ge­mein­schaft le­ben­den Per­so­nen Leis­tun­gen nach dem SGB II. Da­bei gilt gemäß § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II je­de Per­son der Be­darfs­ge­mein­schaft im Verhält­nis des ei­ge­nen Be­darfs zum Ge­samt­be­darf als hil­fe­bedürf­tig, wenn in der Be­darfs­ge­mein­schaft nicht der ge­sam­te Be­darf aus ei­ge­nen Kräften und Mit­teln ge­deckt ist. Das SGB II kennt dem­zu­fol­ge kei­nen

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An­spruch der Be­darfs­ge­mein­schaft, son­dern ih­rer Mit­glie­der (BSG 7. No­vem­ber 2006 - B 7b AS 8/06 R - Rn. 12 mwN, BS­GE 97, 217).


b) Die Leis­tun­gen an be­stimm­te an­de­re Mit­glie­der der Be­darfs­ge­mein­schaft „gel­ten“ je­doch gemäß § 34a SGB II (zeit­li­cher An­wen­dungs­be­reich vom 1. Au­gust 2006 bis zum 31. März 2011; seit 1. April 2011 § 34b SGB II) als Auf­wen­dun­gen des Leis­tungs­trägers für den Ar­beit­neh­mer. Da­mit geht des­sen Ent­gelt­an­spruch nach § 115 SGB X auch im Hin­blick auf die­se Auf­wen­dun­gen auf die AR­GE über.


aa) Im Be­reich des SGB II wird der Grund­satz der Per­so­nen­iden­tität kraft der in § 34a SGB II (heu­te § 34b SGB II) ge­re­gel­ten Fik­ti­on durch­bro­chen (vgl. Be­gründung zum Ge­setz­ent­wurf in BT-Drucks. 16/1410, S. 27). Be­stimmt sich das Recht des Trägers der Grund­si­che­rung für Ar­beit­su­chen­de, Er­satz sei­ner Auf­wen­dun­gen von ei­nem an­de­ren zu ver­lan­gen, ge­gen den der Leis­tungs­be­rech­tig­te ei­nen An­spruch hat, nach sons­ti­gen ge­setz­li­chen Vor­schrif­ten, die dem § 33 SGB II vor­ge­hen, gel­ten als Auf­wen­dun­gen hier­nach auch sol­che Leis­tun­gen zur Si­che­rung des Le­bens­un­ter­halts, die an den nicht ge­trennt le­ben­den Ehe­gat­ten oder Le­bens­part­ner des Hil­fe­bedürf­ti­gen so­wie an des­sen un­ver­hei­ra­te­te Kin­der, die das 25. Le­bens­jahr noch nicht voll­endet ha­ben, er­bracht wer­den. Leis­tun­gen an die­se Per­so­nen gel­ten da­mit als Auf­wen­dun­gen im Sin­ne al­ler dem § 33 SGB II vor­ge­hen­den „Er­satz­ansprüche“. Zu die­sen gehört auch der An­spruchsüber­gang nach § 115 SGB X.

Die in § 34a SGB II (heu­te § 34b SGB II) nor­mier­te Durch­bre­chung des Grund­sat­zes der Per­so­nen­iden­tität dient dem Zweck, den Nach­rang der staat­li­chen Fürsor­ge­leis­tung nach dem SGB II zu gewähr­leis­ten (vgl. BSG 12. Mai 2011 - B 11 AL 24/10 R - Rn. 19 ff., SozR 4-1300 § 107 Nr. 4; LAG Nie­der­sach­sen 23. Ju­ni 2011 - 4 Sa 1859/10 -; Ar­beits­ge­richt Würz­burg 22. Fe­bru­ar 2010 - 6 Ca 1084/09 -; Gro­te-Sei­fert in Schle­gel/Voelz­ke SGB II 2. Aufl. § 34a Rn. 4, 11; Füge­mann in Hauck/Noftz SGB II Stand Fe­bru­ar 2012 § 34a Rn. 4 ff.; Nehls in Hauck/Noftz SGB X § 115 Rn. 10; Link in Ei­cher/Spell­brink 2. Aufl. SGB II § 34a Rn. 14, 19; Sau­er in Sau­er SGB II 2011 § 34b Rn. 2a, b, 7; Cant­zler in Löns/He­rold-Tews SGB II 3. Aufl. § 34b Rn. 2, 3, 4; Schwitz­ky in Münder LPK-

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SGB II 4. Aufl. § 34a Rn. 3; Maul-Sar­t­ori BB 2010, 3021, 3023; ders. ju­ris­PR-ArbR 29/2011 Anm. 3).

bb) Der An­spruchsüber­gang bei Ar­beits­ent­gelt­ansprüchen nach § 115 SGB X geht der all­ge­mei­nen Vor­schrift des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB II vor (§ 33 Abs. 5 SGB II). Die Er­wei­te­rung des An­spruchsüber­gangs gemäß den § 34a SGB II (heu­te § 34b SGB II) kommt so­mit bei Ar­beits­ent­gelt­ansprüchen zum Tra­gen.


cc) In­halt­lich er­fasst der An­spruchsüber­gang aus­sch­ließlich Leis­tun­gen zur Si­che­rung des Le­bens­un­ter­halts, dh. die pau­scha­len Re­gel­leis­tun­gen Ar­beits­lo­sen­geld II und So­zi­al­geld (Re­gel­be­darf zuzüglich mögli­cher Mehr­be­dar­fe ein­sch­ließlich der Kos­ten für Un­ter­kunft und Hei­zung).


dd) Der Kläger hat­te ge­gen den Be­klag­ten An­spruch auf Ar­beits­ent­gelt und die AR­GE er­brach­te an die nicht ge­trennt le­ben­de Ehe­frau des Klägers Leis­tun­gen zur Si­che­rung des Le­bens­un­ter­halts nach dem SGB II.

3. Ein An­spruchsüber­gang nach § 115 SGB X setzt wei­ter vor­aus, dass der So­zi­al­leis­tungs­träger be­rech­tig­ter­wei­se mit ei­ge­nen Leis­tun­gen ein­ge­tre­ten ist, weil der Ar­beit­ge­ber un­be­rech­tig­ter­wei­se sei­ner Leis­tungs­pflicht nicht nach­ge­kom­men ist (Kau­sa­lität). Zweck der Vor­schrift ist es, dem So­zi­al­leis­tungs­träger die Leis­tun­gen zurück­zu­er­stat­ten, die nicht an­ge­fal­len wären, wenn der Ar­beit­ge­ber sei­ner Leis­tungs­pflicht recht­zei­tig nach­ge­kom­men wäre.

a) Die dafür not­wen­di­ge zeit­li­che Kon­gru­enz (vgl. BAG 26. Mai 1993 - 5 AZR 405/92 - BA­GE 73, 186; Bie­res­born in von Wul­ffen SGB X 7. Aufl. § 115 Rn. 4) ist ge­ge­ben. Nach den Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts hat die Ehe­frau des Klägers im Kla­ge­zeit­raum Leis­tun­gen zur Si­che­rung des Le­bens­un­ter­halts er­hal­ten.

b) Wie bei den Leis­tun­gen an den Ar­beit­neh­mer selbst geht der Vergütungs­an­spruch gemäß § 115 SGB X iVm. § 34a SGB II (heu­te § 34b SGB II) nur in Höhe der Auf­wen­dun­gen für Grund­si­che­rungs­leis­tun­gen über, die dem Leis­tungs­träger ge­ra­de we­gen des Ver­dienst­aus­falls ent­stan­den sind (BAG

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26. Mai 1993 - 5 AZR 405/92 - BA­GE 73, 186; LAG Meck­len­burg-Vor­pom­mern 2. No­vem­ber 2010 - 5 Sa 91/10 -).

aa) Die Kau­sa­lität ist bei Leis­tun­gen an die Mit­glie­der ei­ner Be­darfs­ge­mein­schaft grundsätz­lich ge­ge­ben, wenn das Ar­beits­ent­gelt ei­nes Mit­glieds ausfällt. Nach § 9 Abs. 2 SGB II ist bei der Fest­stel­lung der Hil­fe­bedürf­tig­keit ei­nes Mit­glieds der Be­darfs­ge­mein­schaft nämlich das Ein­kom­men be­stimm­ter an­de­rer der Ge­mein­schaft an­gehören­der Per­so­nen zu berück­sich­ti­gen. Hier­zu gehören zunächst der Part­ner, al­so nach der Be­griffs­be­stim­mung in § 7 Abs. 3 Zif­fer 3 SGB II der nicht dau­ernd ge­trennt le­ben­de Ehe­gat­te, Le­bens­part­ner oder ehe-bzw. part­ner­schaftsähn­li­che Le­bens­gefähr­te. Bei der Fest­stel­lung der Bedürf­tig­keit ei­nes un­ver­hei­ra­te­ten Kin­des, das mit den El­tern oder ei­nem El­tern­teil in ei­ner Be­darfs­ge­mein­schaft lebt, ist auch Ein­kom­men der El­tern oder des Part­ners ei­nes El­tern­teils zu berück­sich­ti­gen. Hier­durch wird die Hil­fe­bedürf­tig­keit al­ler Mit­glie­der der Be­darfs­ge­mein­schaft fin­giert, selbst wenn das in­di­vi­du­el­le Ein­kom­men ei­nes Mit­glieds der Be­darfs­ge­mein­schaft sei­nen ei­ge­nen Be­darf über­steigt.

bb) So­weit So­zi­al­leis­tun­gen selbst dann gewährt wer­den müssen, wenn der Ar­beit­ge­ber sei­ner Vergütungs­pflicht recht­zei­tig und vollständig nach­kommt, fin­det ein An­spruchsüber­gang nicht statt.


Die Höhe des An­spruchsüber­gangs hängt des­halb zunächst da­von ab, in wel­chem Um­fang Ein­kom­men des Ar­beit­neh­mers nicht auf die gewähr­ten So­zi­al­leis­tun­gen an­zu­rech­nen ist. Kau­sal für den Be­zug von Ar­beits­lo­sen­geld II und da­mit über­g­angs­be­gründend kann nur sol­ches Ar­beits­ein­kom­men sein, das im Fal­le pünkt­li­cher Zah­lung auf die SGB II-Leis­tun­gen An­rech­nung ge­fun­den hätte. Beträge, die auch bei recht­zei­ti­ger Leis­tung des Ar­beit­ge­bers vom Ein­kom­men des Ar­beit­neh­mers hätten ab­ge­setzt wer­den müssen, ste­hen ei­nem An­spruchsüber­gang in die­ser Höhe ent­ge­gen. Die Ab­set­zungs­beträge nach § 30 SGB II idF bis 31. De­zem­ber 2010 (heu­te § 11b SGB II) - ins­be­son­de­re die Ar­beit­neh­mer-Frei­beträge - ver­rin­gern des­halb den auf den Leis­tungs­träger über­ge­hen­den Ent­gelt­teil (LAG Meck­len­burg-Vor­pom­mern 2. No­vem­ber 2010 - 5 Sa 91/10 -; Ka­ter in Kas­s­ler Kom­men­tar So­zi­al­ver­si­che­rungs­recht Stand
 


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De­zem­ber 2011 Band 2 § 115 SGB X Rn. 31d; Maul-Sar­t­ori BB 2010, 3021, 3024). An­dern­falls würde der mit dem Ar­beit­neh­mer­frei­be­trag be­zweck­te Er­werbs­an­reiz (vgl. BT-Drucks.15/1516 S. 59) un­ter­lau­fen. Von wel­chem Net­to-er­werbs­ein­kom­men und wel­chen Ab­set­zungs­beträgen die AR­GE im Kla­ge­zeit­raum aus­ge­gan­gen ist, hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt nicht fest­ge­stellt. Ins­be­son­de­re hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt nicht geklärt, ob die AR­GE nicht auch dann (ergänzen­de) Leis­tun­gen hätte er­brin­gen müssen, wenn der Be­klag­te die Vergütung recht­zei­tig und vollständig an den Kläger ge­zahlt hätte. Die­se Fest­stel­lun­gen wird das Lan­des­ar­beits­ge­richt nach­zu­ho­len ha­ben.

II. Soll­te nach den noch zu tref­fen­den Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts un­ter Berück­sich­ti­gung der vom Be­klag­ten tatsächlich er­brach­ten Zah­lun­gen über­haupt noch ein Dif­fe­renz­vergütungs­an­spruch des Klägers be­ste­hen, ist zu be­ach­ten, dass der Kläger Zin­sen auf die ver­spätet erfüll­ten Vergütungs­tei­le nur bis zum Ein­gang der So­zi­al­leis­tun­gen und der wei­te­ren Zah­lun­gen ver­lan­gen kann (vgl. BAG 19. Mai 2010 - 5 AZR 253/09 - Rn. 16, AP BGB § 310 Nr. 13 = EzA BGB 2002 § 310 Nr. 10; 19. März 2008 - 5 AZR 429/07 - Rn. 15 f., BA­GE 126, 198).


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