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ARBEITSRECHT AKTUELL // 17/068

Einst­wei­li­ge Ver­fü­gung bei Streit um den Ar­beits­ort

Ist die Ver­set­zung in ei­ne an­de­re Stadt ar­beits­ver­trag­lich von vorn­her­ein aus­ge­schlos­sen, kann sie per einst­wei­li­ger Ver­fü­gung ge­stoppt wer­den: Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 01.11.2016, 7 Sa­Ga 1629/16
Bahnhof, Zug, Versetzung

03.03.2017. Wer durch ei­ne Ver­set­zung ei­nen an­de­ren Ar­beits­ort zu­ge­wie­sen be­kommt, muss häu­fig lan­ge An­fahrts­we­ge und er­höh­te Fahrt­kos­ten schlu­cken. Vie­le Ar­beit­neh­mer kom­men hier an ih­re Gren­zen, d.h. sie ha­ben fak­tisch gar kei­ne Mög­lich­keit, ei­ne sol­che Wei­sung zu be­fol­gen.

Dann ist es wich­tig, die Ver­set­zung ge­richt­lich mög­lichst schnell zu be­sei­ti­gen, am bes­ten durch ein ge­richt­li­ches Eil­ver­fah­ren.

Ob­wohl Ar­beit­neh­mer hier im All­ge­mei­nen eher schlech­te Kar­ten ha­ben, kann ein sol­ches Eil­ver­fah­ren auch ein­mal er­folg­reich sein, wie ei­ne ak­tu­el­le Ent­schei­dung des Lan­des­ar­beits­ge­richts (LAG) Ber­lin-Bran­den­burg zeigt: LAG Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 01.11.2016, 7 Sa­Ga 1629/16.

Was tun bei Ver­set­zung in ei­ne an­de­re Stadt?

Ar­beit­neh­mer müssen sich ei­ne Ver­set­zung an ei­nen an­de­ren Ar­beits­ort meis­tens ge­fal­len las­sen, denn da­mit legt der Ar­beit­ge­ber den Ort der Ar­beits­leis­tung per Wei­sung ein­sei­tig fest. Und da­zu ist er gemäß § 106 Ge­wer­be­ord­nung (Ge­wO) im Prin­zip be­rech­tigt.

Das Wei­sungs­recht des Ar­beit­ge­bers hat aber sei­ne Gren­zen, denn er muss bei je­der Wei­sung auch die be­rech­tig­ten In­ter­es­sen des Ar­beit­neh­mers berück­sich­ti­gen. Hier spie­len die fa­mi­liäre Si­tua­ti­on, zu­mut­ba­re We­ge­zei­ten, die Höhe des Ge­halts und auch die Fra­ge ei­ne Rol­le, ob der Ar­beit­neh­mer Fahrt- und Über­nach­tungs­kos­ten ver­aus­la­gen oder so­gar endgültig tra­gen muss. Nimmt der Ar­beit­ge­ber auf sol­che Umstände bei ei­ner Ver­set­zungs-Wei­sung gar kei­ne Rück­sicht, ent­spricht sie nicht "bil­li­gem Er­mes­sen" und ist da­her nicht durch § 106 Satz 1 Ge­wO ge­deckt. Die­se Vor­schrift lau­tet:

„Der Ar­beit­ge­ber kann In­halt, Ort und Zeit der Ar­beits­leis­tung nach bil­li­gem Er­mes­sen näher be­stim­men, so­weit die­se Ar­beits­be­din­gun­gen nicht durch den Ar­beits­ver­trag, Be­stim­mun­gen ei­ner Be­triebs­ver­ein­ba­rung, ei­nes an­wend­ba­ren Ta­rif­ver­tra­ges oder ge­setz­li­che Vor­schrift fest­ge­legt sind.“

Ei­ne ein­sei­tig an den In­ter­es­sen des Ar­beit­ge­bers aus­ge­rich­te­te Ver­set­zungs­ent­schei­dung muss der Ar­beit­neh­mer als "un­bil­li­ge Wei­sung" nicht be­fol­gen. Das je­den­falls mei­nen vie­le Ar­beits­ge­rich­te und die meis­ten ju­ris­ti­schen Au­to­ren, die sich da­mit von ei­ner Ent­schei­dung des Bun­des­ar­beits­ge­richts (BAG) aus dem Jah­re 2012 ab­gren­zen.

Die­ser Ent­schei­dung zu­fol­ge müssen Ar­beit­neh­mer auch un­bil­li­ge Wei­sun­gen "einst­wei­len" be­fol­gen, nämlich bis zu ei­ner ge­richt­li­che Klärung die­ser Fra­ge im re­gulären Ur­teils­ver­fah­ren, das al­ler­dings jah­re­lang dau­ern kann (BAG, Ur­teil vom 22.02.2012, 5 AZR 249/11). Da Ar­beit­neh­mer aber bei Nicht­be­fol­gung ei­ner Wei­sung, die sie für un­bil­lig oder aus an­de­ren Gründen für rechts­wid­rig hal­ten, er­heb­li­che Sank­tio­nen des Ar­beit­ge­bers ris­kie­ren (Lohn­ein­be­halt, Ab­mah­nun­gen, ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung) und da­bei die Ge­fahr ei­ner Fehl­einschätzung der Rechts­la­ge tra­gen, führt das (Aus­reißer-)Ur­teil des Fünf­ten BAG-Se­nats zu ei­ner weit­ge­hen­den Recht­los­s­tel­lung des Ar­beit­neh­mers und ist da­her nicht über­zeu­gend.

Ab­ge­se­hen von dem ge­setz­li­chen Ver­set­zungs­recht des Ar­beit­ge­bers re­geln auch vie­le Ar­beits­verträge die­se Fra­ge, nämlich durch ei­nen Ver­set­zungs­vor­be­halt. Er gibt dem Ar­beit­ge­ber meist das Recht, den Ar­beit­neh­mer in ei­ne an­de­re Stadt in­ner­halb des Bun­des­ge­bie­tes zu ver­set­zen. Die­se ar­beits­ver­trag­li­che Re­ge­lung ist al­ler­dings nach der ak­tu­el­len BAG-Recht­spre­chung überflüssig, denn das bun­des­wei­te Ver­set­zungs­recht des Ar­beit­ge­bers folgt laut BAG oh­ne­hin aus dem Ge­setz, nämlich aus § 106 Satz 1 Ge­wO. Weil dort nämlich ganz all­ge­mein von ei­nem "Ort" der Ar­beits­leis­tung die Re­de ist, sind da­mit al­le Or­te in­ner­halb Deutsch­lands ge­meint, so je­den­falls das BAG.

Ar­beits­ver­trag­li­che Ver­set­zungs­klau­seln und/oder Ver­ein­ba­run­gen über den Ar­beits­ort sind da­her (an­ders als früher) nicht mehr aus Ar­beit­ge­ber­sicht in­ter­es­sant als ei­ne ver­trag­li­che Aus­wei­tung des Ver­set­zungs­rechts (denn das be­steht oh­ne­hin gemäß § 106 Satz 1 Ge­wO deutsch­land­weit) , son­dern aus Ar­beit­neh­mer­sicht als mögli­che Be­schränkung des ge­setz­li­chen Ver­set­zungs­rechts des Ar­beit­ge­bers, d.h. als Ein­schränkung von § 106 Satz 1 Ge­wO.

Über ei­nen sol­che Fall hat­te vor kur­zem das LAG Ber­lin-Bran­den­burg zu ent­schei­den.

Im Streit: An­trag auf Er­lass ei­ner einst­wei­li­gen Verfügung ge­gen die Ver­set­zung von Cott­bus nach Frank­furt/Oder

Im Streit­fall ging es um ei­ne Verkäufe­r­in ei­ner Ein­zel­han­dels­ket­te, die laut Ar­beits­ver­trag in Cott­bus ar­bei­ten muss­te. Als der Be­trieb des Ar­beit­ge­bers durch Be­triebsüber­gang gemäß § 613a Bürger­li­ches Ge­setz­buch (BGB) auf ei­nen neu­en In­ha­ber über­ging, erklärte sie ih­ren Wi­der­spruch ge­gen die Über­lei­tung ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses auf den Be­triebs­er­wer­ber. Da ihr Ar­beit­ge­ber sie aus die­sem Grun­de nicht mehr beschäfti­gen konn­te, kündig­te er sie aus be­triebs­be­ding­ten Gründen.

Außer­dem ver­setz­te er sie bis zum Ab­lauf der Kündi­gungs­frist von Cott­bus nach Frank­furt/Oder. Denn in Frank­furt konn­te er sie noch vorüber­ge­hend beschäfti­gen.

Ge­gen die­se Ver­set­zung wehr­te sich die Verkäufe­r­in mit ei­nem An­trag auf Er­lass ei­ner einst­wei­li­gen Verfügung. Das Ar­beits­ge­richt Cott­bus gab dem An­trag statt (Ur­teil vom 23.09.2016, 2 Ga 19/16), weil es die Ver­set­zung als of­fen­kun­dig rechts­wid­rig an­sah. Denn die Par­tei­en hat­ten im Ar­beits­ver­trag aus­drück­lich „Cott­bus“ als Ar­beits­ort fest­ge­legt. Außer­dem war es der Verkäufe­r­in an­ge­sichts ih­res be­schei­de­nen Ein­kom­mens nicht zu­zu­mu­ten, die Fahrt­kos­ten zu tra­gen oder auch nur vor­ab zu ver­aus­la­gen.

Das woll­te der Ar­beit­ge­ber nicht auf sich be­ru­hen las­sen und leg­te Be­ru­fung zum LAG Ber­lin-Bran­den­burg ein.

LAG Ber­lin-Bran­den­burg: Ist die Ver­set­zung in ei­ne an­de­re Stadt ar­beits­ver­trag­lich von vorn­her­ein aus­ge­schlos­sen, kann sie per einst­wei­li­ger Verfügung ge­stoppt wer­den

Auch das LAG Ber­lin-Bran­den­burg ent­schied ge­gen den Ar­beit­ge­ber. Die Ver­set­zung nach Frank­furt/Oder war rechts­un­wirk­sam. Da­her ver­pflich­te­te das LAG den Ar­beit­ge­ber da­zu, es bis zu ei­ner erst­in­stanz­li­chen Ent­schei­dung in der Haupt­sa­che zu dul­den, dass die Verkäufe­r­in nicht in Frank­furt/Oder ar­bei­tet.

Zur Be­gründung stützen sich die Ber­li­ner Rich­ter auf den Ar­beits­ver­trag, der ei­ne aus­drück­li­che Be­schränkung der Ar­beits­pflicht auf ei­ne be­stimm­te Fi­lia­le des Ar­beit­ge­bers in Cott­bus ent­hielt. Denn der Ar­beits­ver­trag nann­te al­lein die­se Fi­lia­le als Ar­beits­ort, und er ent­hielt noch wei­te­re Re­ge­lun­gen zum Wei­sungs­recht des Ar­beit­ge­bers, die sich eben­falls nur auf die­se (ein­zi­ge) Fi­lia­le be­zo­gen.

Da­mit war die um­strit­te­ne Wei­sung bzw. Ver­set­zung nach Frank­furt/Oder von vorn­her­ein nicht vom Wei­sungs­recht des Ar­beit­ge­bers um­fasst und da­her oh­ne Wei­te­res rechts­wid­rig. Da­her stell­te sich die (Abwägungs-)Fra­ge gar nicht mehr, ob die Wei­sung mögli­cher­wei­se die In­ter­es­sen der Verkäufe­r­in nicht aus­rei­chend berück­sich­tig­te und da­her (nur) "un­bil­lig" war. Da­durch konn­te das LAG ei­ne Stel­lung­nah­me zu dem o.g. um­strit­te­nen BAG-Ur­teil vom 22.02.2012 (5 AZR 249/11) um­ge­hen.

Im Wei­te­ren muss­te das LAG nur noch be­gründen, war­um die Verkäufe­r­in ih­ren An­spruch im ge­richt­li­chen Eil­ver­fah­ren durch­set­zen konn­te, d.h. war­um die An­ge­le­gen­heit be­son­ders dring­lich war. Hier ver­wies das LAG auf die lan­gen We­ge­zei­ten und die Fahrt­kos­ten, die im Verhält­nis zu dem be­schei­den Lohn der Verkäufe­r­in sehr hoch wa­ren. Auf Ar­beit­ge­ber­sei­te gab es kei­ne über­wie­gen­den In­ter­es­sen, die ei­ner einst­wei­li­gen Verfügung ent­ge­gen­stan­den, da die Fra­ge der Lohn­zah­lungs­pflicht für die Zeit des Ar­beits­aus­falls durch das Eil­ver­fah­ren nicht ent­schie­den wur­de.

Fa­zit: Ar­beit­neh­mer tra­gen an­ge­sichts der ak­tu­el­len BAG-Recht­spre­chung ein ho­hes Ri­si­ko, wenn sie sich da­zu ent­schei­den, die Ver­set­zung in ei­ne an­de­re Stadt einst­wei­len nicht be­fol­gen. Am si­chers­ten ist es, ei­ne sol­che Wei­sung un­ter dem Vor­be­halt ei­ner ge­richt­li­chen Über­prüfung zu be­fol­gen und gleich­zei­tig ei­nen An­trag auf Er­lass ei­ner einst­wei­li­gen Verfügung zu stel­len. Denn wie der vor­lie­gen­de Fall zeigt, kann ein Eil­ver­fah­ren er­folg­reich sein, wenn der Ar­beits­ver­trag das Recht zur deutsch­land­wei­ten Ver­set­zung in Ab­wei­chung von § 106 Satz 1 Ge­wO aus­sch­ließt.

Außer­dem fol­gen vie­le Ar­beits- und Lan­des­ar­beits­ge­rich­te dem o.g. BAG-Ur­teil vom 22.02.2012 (5 AZR 249/11) nicht, so dass trotz die­ses Ur­teils die Chan­ce be­steht, im Eil­ver­fah­ren als Sie­ger vom Platz zu ge­hen. Und da LAG-Ur­tei­le in Eil­ver­fah­ren nicht durch die Re­vi­si­on zum BAG an­ge­grif­fen wer­den können, können es sich LAGs in Eil­ver­fah­ren eher als sonst er­lau­ben, von der BAG-Li­nie ab­zu­wei­chen.

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Letzte Überarbeitung: 11. Juni 2020

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