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BAG, Ur­teil vom 23.03.2011, 5 AZR 7/10

   
Schlagworte: Leiharbeit, Ausschlussfrist
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 5 AZR 7/10
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 23.03.2011
   
Leitsätze: Kann der Leiharbeitnehmer von seinem Vertragsarbeitgeber, dem Verleiher, nach § 10 Abs. 4 AÜG die Erfüllung der wesentlichen Arbeitsbedingungen verlangen, wie sie der Entleiher vergleichbaren eigenen Arbeitnehmern gewährt, muss er die im Entleiherbetrieb geltenden Ausschlussfristen nicht einhalten.
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Regensburg, Urteil vom 5.06.2009, 3 Ca 3306/08
Landesarbeitsgericht München, Urteil vom 12.11.2009, 3 Sa 579/09
   

BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT

5 AZR 7/10 3 Sa 579/09

Lan­des­ar­beits­ge­richt

München

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am 23. März 2011

UR­TEIL

Met­ze, Ur­kunds­be­am­ter der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Kläger, Be­ru­fungs­be­klag­ter und Re­vi­si­onskläger,

pp.

Be­klag­te, Be­ru­fungskläge­rin und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

hat der Fünf­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 23. März 2011 durch den Vi­ze­präsi­den­ten des Bun­des­ar­beits­ge­richts Dr. Müller-Glöge, die Rich­te­rin am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Laux, den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Biebl so­wie den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Haas und die eh­ren­amt­li­che Rich­te­rin Zorn für Recht er­kannt:


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1. Die Re­vi­si­on des Klägers ge­gen das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts München vom 12. No­vem­ber 2009 - 3 Sa 579/09 - wird als un­zulässig ver­wor­fen, so­weit das Lan­des­ar­beits­ge­richt un­ter Abände­rung des Ur­teils des Ar­beits­ge­richts Re­gens­burg vom 5. Ju­ni 2009 - 3 Ca 3306/08 - den An­spruch des Klägers auf Ab­gel­tung von Rest­ur­laub aus den Jah­ren 2005 und 2006 in Höhe von 919,60 Eu­ro brut­to nebst Zin­sen ab­ge­wie­sen hat.

2. Auf die Re­vi­si­on des Klägers wird das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts München vom 12. No­vem­ber 2009 - 3 Sa 579/09 - auf­ge­ho­ben, so­weit es auf die Be­ru­fung der Be­klag­ten un­ter Abände­rung des Ur­teils des Ar­beits­ge­richts Re­gens­burg vom 5. Ju­ni 2009 - 3 Ca 3306/08 - die Kla­ge hin­sicht­lich der Vergütungs­ansprüche aus den Zeiträum­en 25. Ok­to­ber 2005 bis 31. Mai 2006 und 1. Au­gust 2006 bis 30. April 2008 ab­ge­wie­sen hat.

3. Im Um­fang der Auf­he­bung wird die Sa­che zur neu­en Ver­hand­lung und Ent­schei­dung - auch über die Kos­ten der Re­vi­si­on - an das Lan­des­ar­beits­ge­richt zurück­ver­wie­sen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten über Vergütungs­ansprüche aus ei­nem be­en­de­ten

Ar­beits­verhält­nis.

Der Kläger war vom 25. Ok­to­ber 2005 bis zum 30. Ju­ni 2008 bei der

Be­klag­ten nach Maßga­be ei­nes schrift­li­chen An­stel­lungs­ver­trags als Be­ra­ter beschäftigt. Die Par­tei­en ver­ein­bar­ten ei­ne wöchent­li­che Ar­beits­zeit von 40 St­un­den. Der Kläger war ver­pflich­tet, mo­nat­lich wei­te­re acht Über­stun­den oh­ne be­son­de­re Vergütung zu leis­ten. Das Brut­to­ge­halt be­trug zunächst 3.462,00 Eu­ro, ab April 2007 3.850,00 Eu­ro. Darüber hin­aus zahl­te die Be­klag­te Son­der­vergütun­gen, Prämi­en und ei­nen mo­nat­li­chen Miet­zu­schuss. Anfäng­lich


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stand dem Kläger Er­ho­lungs­ur­laub von 25 Ar­beits­ta­gen, ab 2007 von 30 Ar-beits­ta­gen zu. Ei­ne Aus­schluss­frist ver­ein­bar­ten die Par­tei­en nicht.

Die Be­klag­te setz­te den Kläger - mit Aus­nah­me der Mo­na­te Ju­ni und

Ju­li 2006 - während der ge­sam­ten Beschäfti­gungs­dau­er im Rah­men ei­ner ge­werb­li­chen Ar­beit­neh­merüber­las­sung bei der C GmbH als Ent­wick­lungs­in­ge­nieur ein. Die Ent­lei­he­rin war kraft Ver­bands­mit­glied­schaft an die Ta­rif­verträge der Baye­ri­schen Me­tall- und Elek­tro­in­dus­trie ge­bun­den, ar­beits­ver­trag­lich traf sie ent­spre­chen­de Gleich­stel­lungs­ab­re­den.

Nach Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses bat der Kläger die Ent-

lei­he­rin um Aus­kunft über die we­sent­li­chen Ar­beits­be­din­gun­gen ver­gleich­ba­rer Ar­beit­neh­mer. Mit Schrei­ben vom 28. Ju­li 2008 und 27. März 2009 ant­wor­te­te der Baye­ri­sche Un­ter­neh­mens­ver­band Me­tall und Elek­tro e. V. für sein Mit­glieds­un­ter­neh­men, dass ver­gleich­ba­re Ar­beit­neh­mer des Ent­lei­her­be­triebs während des ers­ten Ein­sat­zes des Klägers von Ok­to­ber 2005 bis zum 31. Mai 2006 bei ei­ner Wo­chen­ar­beits­zeit von 35 St­un­den ei­ne Mo­nats­grund­vergütung gemäß Ge­halts­grup­pe SBA VI 1 von 3.250,00 Eu­ro brut­to er­hal­ten hätten. Zum 1. Au­gust 2006 hätte sich die Grund­vergütung auf 3.348,00 Eu­ro brut­to erhöht. Mit Einführung des neu­en ta­rif­li­chen Ent­gelt­rah­men­ab­kom­mens (ERA) zum 1. April 2007 ha­be die ta­rif­li­che Vergütung nach Ent­gelt­grup­pe 11 3.604,00 Eu­ro brut­to, ab 1. Ju­ni 2007 3.752,00 Eu­ro brut­to und ab 1. Ju­ni 2008 3.816,00 Eu­ro brut­to be­tra­gen. Außer­dem hätten ver­gleich­ba­re Ar­beit­neh­mer während des ers­ten Ein­sat­zes ei­ne ta­rif­li­che Leis­tungs­zu­la­ge von 6,08 % und während der Dau­er des zwei­ten Ein­sat­zes von 9,8 % der Grund­vergütung so­wie ein ta­rif­li­ches Weih­nachts­geld in Höhe ei­nes nach Be­triebs­zu­gehörig­keit ge­staf­fel­ten Pro­zent­sat­zes des Mo­nats­ver­diens­tes be­zo­gen.

Nach § 17 des im Ent­lei­her­be­trieb gel­ten­den Man­tel­ta­rif­ver­trags (MTV)

sind Ansprüche aus dem Ar­beits­verhält­nis bin­nen ei­ner Aus­schluss­frist von drei Mo­na­ten schrift­lich und nach Ab­leh­nung durch den Ar­beit­ge­ber bin­nen ei­ner Aus­schluss­frist von sechs Mo­na­ten ge­richt­lich gel­tend zu ma­chen.


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Der Kläger hat Dif­fe­renz­vergütungs­ansprüche erst­mals mit Schrei­ben

vom 1. Au­gust 2008 gel­tend ge­macht. Zur Höhe hat er sich auf die Auskünf­te der Ent­lei­he­rin gestützt.

Der Kläger hat - so­weit für die Re­vi­si­on von In­ter­es­se - be­an­tragt,

die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an ihn 26.734,51 Eu­ro brut­to abzüglich 4.336,00 Eu­ro net­to so­wie wei­te­re 919,60 Eu­ro brut­to je­weils nebst Zin­sen iHv. fünf Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit dem 20. No­vem­ber 2008 zu zah­len.

Die Be­klag­te hat Kla­ge­ab­wei­sung be­an­tragt. Der Kläger ha­be die

Vor­aus­set­zun­gen der gel­tend ge­mach­ten Ge­halts- und Ent­gelt­grup­pen nicht erfüllt. Im Übri­gen sei­en et­wai­ge Ansprüche ver­fal­len.

Das Ar­beits­ge­richt hat der Kla­ge im We­sent­li­chen statt­ge­ge­ben. Auf die

Be­ru­fung der Be­klag­ten hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt die Kla­ge bis auf Dif­fe­renz­vergütungs­ansprüche für Mai und Ju­ni 2008 so­wie rest­li­che Ur­laubs­ab­gel­tung für 2008 in ei­ner Ge­samthöhe von 3.540,35 Eu­ro nebst Zin­sen ab­ge­wie­sen. Mit der al­lein für den Kläger zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on ver­folgt die­ser sei­ne bis En­de April 2008 ent­stan­de­nen, in der Be­ru­fungs­in­stanz ab­ge­wie­se­nen Ansprüche wei­ter.

Ent­schei­dungs­gründe

A. Die Re­vi­si­on des Klägers ist un­zulässig, so­weit sie sich ge­gen die

Ab­wei­sung der Kla­ge auf Ab­gel­tung von Rest­ur­laub aus den Jah­ren 2005 und 2006 rich­tet. Es fehlt an der not­wen­di­gen Re­vi­si­ons­be­gründung.

I. Zur ord­nungs­gemäßen Be­gründung der Re­vi­si­on müssen die Re-

vi­si­ons­gründe an­ge­ge­ben wer­den, § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO. Bei Sachrügen sind die­je­ni­gen Umstände be­stimmt zu be­zeich­nen, aus de­nen sich die Rechts­ver­let­zung er­gibt, § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a ZPO. Die Re­vi­si­ons­be­gründung muss die Rechts­feh­ler des Lan­des­ar­beits-


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ge­richts so auf­zei­gen, dass Ge­gen­stand und Rich­tung des Re­vi­si­ons­an­griffs er­kenn­bar sind. Da­her muss die Re­vi­si­ons­be­gründung ei­ne Aus­ein­an­der­set­zung mit den Gründen des an­ge­foch­te­nen Ur­teils ent­hal­ten (BAG 28. Ja­nu­ar - 4 AZR 912/07 - Rn. 11 mwN, AP ZPO § 551 Nr. 66 = EzA ZPO 2002 § 551 Nr. 10).

II. Die­sen An­for­de­run­gen wird die Re­vi­si­ons­be­gründung des Klägers

hin­sicht­lich des Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruchs nicht ge­recht. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge we­gen der Be­fris­tung des ge­setz­li­chen und ta­rif­li­chen Jah­res­ur­laubs­an­spruchs gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG ab­ge­wie­sen. Die­se Be­fris­tung sei auch im Rah­men des auf § 10 Abs. 4 AÜG gestütz­ten An­spruchs be­acht­lich. Die Re­vi­si­ons­be­gründung zeigt in­so­weit kei­nen Rechts­feh­ler des Lan­des­ar­beits­ge­richts auf. Sie wen­det le­dig­lich ein, der Kläger ma­che ei­nen ge­setz­li­chen An­spruch auf Gewährung der für ei­nen ver­gleich­ba­ren Ar­beit­neh­mer des Ent­lei­hers gel­ten­den we­sent­li­chen Ar­beits­be­din­gun­gen gel­tend. War­um die­ser An­spruch, un­abhängig von sei­ner Ein­ord­nung als ge­setz­li­cher oder ver­trag­li­cher An­spruch, nicht eben­so wie die Ur­laubs- und Ur­laubs­ab-gel­tungs­ansprüche der Stamm­be­leg­schaft gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG, § 14 Ziff. 7 MTV be­fris­tet sein soll, führt der Kläger nicht aus.

B. Die Re­vi­si­on des Klägers ist im Übri­gen be­gründet. Sie führt zur Auf

he­bung des an­ge­foch­te­nen Ur­teils und zur Zurück­ver­wei­sung der Sa­che an das Lan­des­ar­beits­ge­richt, § 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die vom Kläger für die Zeit bis zum 30. April 2008 ver­folg­ten Ansprüche zu Un­recht als ver­fal­len ab­ge­wie­sen. Für ei­ne ab­sch­ließen­de Ent­schei­dung fehlt es an aus­rei­chen­den Fest­stel­lun­gen.

I. Der Leih­ar­beit­neh­mer kann vom Ver­lei­her gemäß § 10 Abs. 4 AÜG

während der Zeit der Über­las­sung an ei­nen Ent­lei­her die Gewährung der im Be­trieb des Ent­lei­hers für ei­nen ver­gleich­ba­ren Ar­beit­neh­mer des Ent­lei­hers gel­ten­den we­sent­li­chen Ar­beits­be­din­gun­gen ein­sch­ließlich des Ar­beits­ent­gelts ver­lan­gen, wenn die ver­ein­bar­ten Be­din­gun­gen nach § 9 Nr. 2 AÜG un­wirk­sam sind. Im Ent­lei­her­be­trieb gel­ten­de Aus­schluss­fris­ten gehören nicht zu den we­sent­li­chen Ar­beits­be­din­gun­gen iSv. § 10 Abs. 4 AÜG.

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1. Be­reits aus dem Ge­set­zes­wort­laut er­gibt sich, dass § 10 Abs. 4 AÜG
nur sol­che Ar­beits­be­din­gun­gen er­fasst, die dem Ar­beit­neh­mer vom Ar­beit­ge­ber „gewährt“ wer­den. Dies können nur Leis­tun­gen des Ar­beit­ge­bers sein. Hier­zu gehören Aus­schluss­fris­ten nicht. Sie be­gründen kei­ne Leis­tun­gen des Ar­beit­ge­bers an den Ar­beit­neh­mer, son­dern die­nen dem Rechts­frie­den und der Rechts­si­cher­heit im Ver­trags­verhält­nis. Aus­schluss­fris­ten begüns­ti­gen re­gelmäßig nicht den Ar­beit­neh­mer, viel­mehr sind sie ge­eig­net, sei­ne Ansprüche zu be­schnei­den.

2. Be­son­de­res Ge­wicht kommt dem Ge­set­zes­be­griff „Ar­beits­be­din­gun­gen“
zu. Das Ar­beit­neh­merüber­las­sungs­ge­setz un­ter­schei­det Ar­beits­be­din­gun­gen von den Ver­trags­be­din­gun­gen und re­gelt so un­ter­schied­li­che Tat­bestände. Im Sin­ne die­ses Ge­set­zes gehören Aus­schluss­fris­ten zu den Ver­trags­be­din­gun­gen, nicht aber zu den „gel­ten­den we­sent­li­chen Ar­beits­be­din­gun­gen“, auf die § 10 Abs. 4 AÜG ab­stellt.

a) Aus­schluss­fris­ten re­geln, wie und bin­nen wel­cher Zeit Ansprüche
ge­gen den An­spruchs­geg­ner gel­tend ge­macht wer­den müssen. Be­gehrt der Leih­ar­beit­neh­mer von sei­nem Ar­beit­ge­ber die Erfüllung von Ansprüchen, zu de­nen auch sol­che aus § 10 Abs. 4 AÜG gehören, muss er des­halb Aus­schluss­fris­ten be­ach­ten, die als „Ver­trags­be­din­gun­gen“ in sei­nem Ver­trags­ver­hält­nis zum Ver­lei­her gel­ten. Das Ar­beit­neh­merüber­las­sungs­ge­setz un­ter­schei­det die­se „Ver­trags­be­din­gun­gen“ des Leih­ar­beits­ver­trags von den „Ar­beits­be­din­gun­gen“, die in der Rechts­sphäre des Ent­lei­hers zu den Stamm­ar­beit­neh­mern gel­ten. Die­se Un­ter­schei­dung von Ver­trags- und Ar­beits­be­din­gun­gen wird vom Ge­setz in dem Sys­tem der auf­ein­an­der ab­ge­stimm­ten In­for­ma­ti­ons-, Do­ku­men­ta­ti­ons- und Aus­kunfts­pflich­ten im Drei­ecks­verhält­nis Ent­lei­her/Ver­lei­her/Leih­ar­beit­neh­mer kon­se­quent um­ge­setzt.

b) Die „Ver­trags­be­din­gun­gen“ sind dem Leih­ar­beit­neh­mer als die in
sei­nem Ver­trags­verhält­nis zum Ver­lei­her gel­ten­den Be­din­gun­gen gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 AÜG in Ver­bin­dung mit den Vor­schrif­ten des Nach­weis­ge­set­zes nach­zu­wei­sen. Hier­zu gehört auch ei­ne in die­sem Verhält­nis gel­ten­de Aus­schluss­frist (vgl. BAG 5. No­vem­ber 2003 - 5 AZR 676/02 - AP NachwG § 2


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Nr. 7 = EzA NachwG § 2 Nr. 6; 29. Mai 2002 - 5 AZR 105/01 - EzA NachwG § 2 Nr. 4; 17. April 2002 - 5 AZR 89/01 - zu III 2 der Gründe, BA­GE 101, 75). Ei­ne Pflicht des Ver­lei­hers, we­sent­li­che „Ar­beits­be­din­gun­gen“ des Ent­lei­her­be­triebs nach­zu­wei­sen, ist im AÜG nicht nor­miert. § 11 Abs. 1 Satz 2 AÜG be­stimmt zwar ergänzen­de Nach­weis­pflich­ten des Ver­lei­hers im Be­reich der Ar­beit­neh­merüber­las­sung, die­se be­tref­fen aber wie­der­um nur das Ver­trags­verhält­nis zwi­schen Ver­lei­her und Leih­ar­beit­neh­mer. Ei­ne Ver­pflich­tung zum Nach­weis beim Ent­lei­her gel­ten­der „Ver­trags­be­din­gun­gen“ hätte in die­sem Re­ge­lungs­zu­sam­men­hang er­fol­gen müssen. § 11 Abs. 1 AÜG knüpft zu­dem an die vor­her­ge­hen­de Fas­sung des § 11 Abs. 1 Satz 1 AÜG idF vom 23. Ju­li 2002 (BGBl. I S. 2787), an. Die­se Fas­sung ent­hielt noch ei­nen aus­for­mu­lier­ten Ka­ta­log der nach­zu­wei­sen­den Umstände, die­se be­zo­gen sich al­lein auf den „In­halt des Ar­beits­verhält­nis­ses“ zum Ver­lei­her. Im Übri­gen wäre ei­ne Er­stre­ckung der Nach­weis­pflicht auf we­sent­li­che „Ar­beits­be­din­gun­gen“ des Ent­lei­her­be­triebs we­nig prak­ti­ka­bel, weil wech­seln­de Einsätze des Leih­ar­beit­neh­mers zu ständig neu­en Nach­wei­sen führ­ten.

c) § 12 Abs. 1 Satz 3 AÜG re­gelt In­for­ma­ti­ons- und Do­ku­men­ta­ti­ons-
pflich­ten hin­sicht­lich der we­sent­li­chen Ar­beits­be­din­gun­gen des Ent­lei­her-be­triebs aus­sch­ließlich für das Verhält­nis zwi­schen Ent­lei­her und Ver­lei­her. Im Verhält­nis des Leih­ar­beit­neh­mers zum Ent­lei­her be­gründet § 13 AÜG ei­nen Aus­kunfts­an­spruch des Leih­ar­beit­neh­mers über die „gel­ten­den we­sent­li­chen Ar­beits­be­din­gun­gen“ und ver­deut­licht so, dass die Ar­beits­be­din­gun­gen nicht mit den zum Ver­lei­her gel­ten­den Ver­trags­be­din­gun­gen gleich­zu­set­zen sind.

d) Als „Ar­beits­be­din­gun­gen“ be­zeich­net das Ar­beit­neh­merüber­las­sungs-
ge­setz nicht nur im Zu­sam­men­hang mit In­for­ma­ti­ons-, Do­ku­men­ta­ti­ons- und Aus­kunfts­pflich­ten, son­dern auch an an­de­rer Stel­le nur die beim Ent­lei­her, al­so ei­nem außer­halb des Ver­trags ste­hen­den Drit­ten, gel­ten­den Be­din­gun­gen (§ 3 Abs. 1 Nr. 3; § 9 Nr. 2, § 10 Abs. 4; § 19 Satz 2 AÜG). Die­se sind da­mit in al­len Re­ge­lungs­zu­sam­menhängen von den „Ver­trags­be­din­gun­gen“ im Verhält­nis Ver­lei­her/Leih­ar­beit­neh­mer zu un­ter­schei­den. Dem ent­spricht auch die in § 15a AÜG ver­wen­de­te Ter­mi­no­lo­gie. Die­se Norm knüpft zwar an die „Ar­beits-


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be­din­gun­gen“ des Leih­ar­beits­verhält­nis­ses an, meint da­mit aber kon­se­quent die Be­din­gun­gen aus der Rechts­sphäre ei­nes Drit­ten, denn die Straf­an­dro­hung rich­tet sich an den Ent­lei­her.

e) Die im AÜG vor­ge­nom­me­ne Un­ter­schei­dung von Ver­trags- und

Ar­beits­be­din­gun­gen steht der Be­stim­mung der we­sent­li­chen Ar­beits­be­din­gun­gen mit­tels ei­nes Rück­griffs auf den in § 2 Abs. 1 Satz 2 NachwG ent­hal­te­nen Ka­ta­log der we­sent­li­chen Ver­trags­be­din­gun­gen ent­ge­gen (eben­so im Er­geb­nis: ErfK/Wank 11. Aufl. § 3 AÜG Rn. 13; Wank NZA 2003, 14, 17; Schüren/Wank RdA 2011, 1, 4; aA Men­gel in Thüsing AÜG 2. Aufl. § 9 Rn. 30; HWK/Kalb 4. Aufl. § 3 AÜG Rn. 29; Schüren in Schüren/Ha­mann AÜG 4. Aufl. § 9 Rn. 129; San­so­ne Gleich­stel­lung von Leih­ar­beit­neh­mern nach deut­schem und Uni­ons­recht 2011 S. 422; Lembke BB 2010, 1533, 1537; Bo­em­ke RIW 2009, 177, 180).

3. Die uni­ons­rechts­kon­for­me Aus­le­gung bestätigt, dass im Be­trieb des

Ent­lei­hers gel­ten­de Aus­schluss­fris­ten nicht zu den we­sent­li­chen Ar­beits­be­din­gun­gen iSd. § 10 Abs. 4 AÜG gehören.

a) § 9 Nr. 2 AÜG und § 10 Abs. 4 AÜG wur­den durch Art. 6 Nr. 4 und Nr. 5

des Ers­ten Ge­set­zes für mo­der­ne Dienst­leis­tun­gen am Ar­beits­markt vom 23. De­zem­ber 2002 (BGBl. I S. 4607) mit Wir­kung zum 1. Ja­nu­ar 2003 ein­geführt. Zwar war be­reits in § 10 Abs. 5 AÜG idF des Job-AQTIV-Ge­set­zes vom 10. De­zem­ber 2001 (BGBl. I S. 3443) für den Fall der länger­fris­ti­gen Über­las­sung ei­ne ähn­li­che Pflicht zur Gleich­be­hand­lung vor­ge­se­hen, erst­mals § 10 Abs. 4 AÜG idF vom 23. De­zem­ber 2002 nor­mier­te je­doch die grundsätz­li­che Ver­pflich­tung des Ver­lei­hers, ei­nem Leih­ar­beit­neh­mer die im Be­trieb des Ent­lei­hers für ei­nen ver­gleich­ba­ren Ar­beit­neh­mer gel­ten­den bes­se­ren we­sent­li­chen Ar­beits­be­din­gun­gen zu gewähren. Aus der Ge­set­zes­be­gründung zu § 3 Abs. 1 Nr. 3 AÜG idF vom 23. De­zem­ber 2002 wird deut­lich, dass da­mit der Schutz der Leih­ar­beit­neh­mer verstärkt wer­den soll­te. Leih­ar­beit­neh­mer soll­ten grundsätz­lich nicht schlech­ter als ver­gleich­ba­re Stamm­ar­beit­neh­mer des Ent­lei­hers be­han­delt wer­den dürfen. In die­sem Be­reich soll­te der Grund­satz „glei­cher Lohn für glei­che Ar­beit“ gel­ten (vgl. BT-Drucks. 15/25 S. 38). Doch


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wur­de ei­ne Kon­kre­ti­sie­rung des Rechts­be­griffs „we­sent­li­che Ar­beits­be­din­gun­gen“ so­wohl bei § 10 Abs. 5 AÜG aF als auch bei § 10 Abs. 4 AÜG un­ter­las­sen. Zur glei­chen Zeit wur­de der Ent­wurf ei­ner Richt­li­nie des Eu­ropäischen Par­la­ments und des Ra­tes über die Ar­beits­be­din­gun­gen von Leih­ar­beit­neh­mern vom 20. März 2002 (KOM[2002] 149 endg., ABl. EG C 203 vom 27. Au­gust 2002 = BR-Drucks. 319/02 S. 17) veröffent­licht, dem am 28. No­vem­ber 2002 ein geänder­ter Vor­schlag (KOM[2002] 701 endg.) folg­te. Be­reits die­se zeit­li­che Par­al­le­lität der ge­mein­schafts­recht­li­chen und na­tio­na­len Norm­set­zung spricht für ein de­ckungs­glei­ches Verständ­nis des in bei­den Norm­entwürfen ver­wen­de­ten Rechts­be­griffs der „gel­ten­den we­sent­li­chen Ar­beits­be­din­gun­gen“. Bei­de Richt­li­ni­en­vor­schläge ver­folg­ten - wie das AÜG - den Zweck, die Schlech­ter­stel­lung der Leih­ar­beit­neh­mer ge­genüber den ver­gleich­ba­ren Ar­beit­neh­mern des Ent­lei­her­be­triebs hin­sicht­lich der we­sent­li­chen Ar­beits­be­din­gun­gen zu ver­hin­dern (vgl. je­weils Erwägungs­grund Nr. 15 der Richt­li­ni­en­entwürfe). Da­bei zeich­ne­ten sich die Richt­li­ni­en­entwürfe durch Be­griffs­erläute­run­gen im Norm­text aus. Be­reits Art. 3 Abs. 1 Buchst. d des ers­ten Richt­li­ni­en­ent­wurfs de­fi­nier­te als we­sent­li­che Ar­beits- und Beschäfti­gungs­be­din­gun­gen be­stimm­te Ar­beits­zeit­re­ge­lun­gen, be­zahl­ten Ur­laub, Ar­beits­ent­gelt, Ar­beits­schutz­vor­schrif­ten so­wie Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bo­te.

Die Ter­mi­no­lo­gie des AÜG und die da­zu vor­lie­gen­den Ge­set­zes-

ma­te­ria­li­en bestäti­gen die­sen Be­fund. So fällt be­son­ders auf, dass aus­drück­lich - in Ab­wei­chung zu § 10 Abs. 5 AÜG aF und ge­ra­de im Ein­klang mit dem Richt­li­ni­en­ent­wurf - das ein­gren­zen­de Ad­jek­tiv der „we­sent­li­chen“ Ar­beits­be­din­gun­gen auf­ge­nom­men wur­de. Wenn die Ge­set­zes­be­gründung un­ter den zu gewähren­den Ar­beits­be­din­gun­gen „al­le nach dem all­ge­mei­nen Ar­beits­recht ver­ein­bar­ten Be­din­gun­gen, wie Dau­er der Ar­beits­zeit und des Ur­laubs oder die Nut­zung so­zia­ler Ein­rich­tun­gen“ ver­steht (BT-Drucks. 15/25 S. 38), stimmt be­reits die­ses Be­griffs­verständ­nis - nicht zu­letzt we­gen des auffälli­gen Hin­wei­ses auf die So­zi­al­ein­rich­tun­gen - mit dem des Richt­li­ni­en­vor­schlags übe­rein (vgl. Thüsing Ar­beits­recht­li­cher Dis­kri­mi­nie­rungs­schutz 2007 Rn. 807; ErfK/Wank § 3 AÜG Rn. 13; kri­tisch San­so­ne Gleich­stel­lung von Leih­ar­beit­neh­mern nach deut­schem und Uni­ons­recht S. 159, 166 ff.).


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b) Je­den­falls ist die am 5. De­zem­ber 2008 in Kraft ge­tre­te­ne Richt­li­nie des

Eu­ropäischen Par­la­ments und des Ra­tes vom 19. No­vem­ber 2008 über Leih­ar­beit (RL 2008/104/EG ABl. L 327 S. 9 ff., im Fol­gen­den RL), die nach Art. 11 Abs. 1 RL bis spätes­tens 5. De­zem­ber 2011 um­zu­set­zen ist, bei der uni­ons­rechts­kon­for­men Aus­le­gung der „gel­ten­den we­sent­li­chen Ar­beits­be­din­gun­gen“ zu berück­sich­ti­gen.

aa) Nach der Recht­spre­chung des EuGH sind die Mit­glied­staa­ten gemäß

Art. 4 Abs. 3 EUV, Art. 288 Abs. 3 AEUV ver­pflich­tet, be­reits vor Ab­lauf der Um­set­zungs­frist ei­ner in Kraft ge­tre­te­nen Richt­li­nie kei­ne Tat­sa­chen zu schaf­fen, die ge­eig­net sind, das in der Richt­li­nie vor­ge­schrie­be­ne Ziel ernst­haft in Fra­ge zu stel­len. Die­ses sog. „Frus­tra­ti­ons­ver­bot“ ver­bie­tet die Schaf­fung richt­li­ni­en­wid­ri­ger Rechts­nor­men während der Um­set­zungs­frist (EuGH 18. De­zem­ber 1997 - C-129/96 - [In­ter-En­vi­ron­ne­ment Wal­lo­nie] Rn. 45, Slg. 1997, I-7411). Darüber hin­aus müssen es die Ge­rich­te der Mit­glied­staa­ten so weit wie möglich un­ter­las­sen, das in­ner­staat­li­che Recht in ei­ner Wei­se aus­zu­le­gen, die die Er­rei­chung des mit die­ser Richt­li­nie ver­folg­ten Zie­les nach Ab­lauf der Um­set­zungs­frist ernst­haft gefähr­den würde. Das ge­sam­te na­tio­na­le Recht ist des­halb „im Licht des Wort­lauts und des Zwecks der Richt­li­nie aus­zu­le­gen“, un­abhängig da­von, ob es vor oder nach Er­lass der Richt­li­nie er­las­sen wur­de (EuGH 10. April 1984 - C-14/83 - [von Col­son und Ka­mann] Rn. 26, Slg. 1984 S. 1891; 13. No­vem­ber 1990 - C-106/89 - [Mar­lea­sing] Rn. 8, Slg. 1990, I-4135; 18. De­zem­ber 1997 - C-129/96 - [In­ter-En­vi­ron­ne­ment Wal­lo­nie] Rn. 40, aaO; 22. No­vem­ber 2005 - C-144/04 - [Man­gold] Rn. 75 - 77, Slg. 2005, I-9981; 4. Ju­li 2006 - C-212/04 - [Aden­eler] Rn. 121 - 124, Slg. 2006, I-6057; 16. Ju­li 2009 - C-12/08 - [Mo­no Car Sty­ling] Rn. 60, 61, Slg. 2009, I-6653; BVerfG 6. Ju­li 2010 - 2 BvR 2661/06 - BVerfGE 126, 286; BAG 17. No­vem­ber 2009 - 9 AZR 844/08 - Rn. 25, EzA BUrlG § 13 Nr. 59).

bb) Die we­sent­li­chen „Ar­beits- und Beschäfti­gungs­be­din­gun­gen“ sind in

Art. 3 Abs. 1 Buchst. f RL de­fi­niert. Es sind die Ar­beits­zeit und das Ar­beits­ent­gelt. Darüber hin­aus sieht Art. 5 Abs. 1 Un­terabs. 2 RL ei­ne Ver­pflich­tung des Ent­lei­hers (nicht des Ver­lei­hers) vor, die in sei­nem Un­ter­neh­men gel­ten­den


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Re­geln bezüglich Schwan­ge­rer, Kin­der und Ju­gend­li­cher und die im na­tio­na­len Recht in § 1 AGG ge­nann­ten Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bo­te zu be­ach­ten. Sch­ließlich hat der Ent­lei­her (nicht der Ver­lei­her) nach Art. 6 Abs. 4 RL Zu­gang zu den Ge­mein­schafts­ein­rich­tun­gen zu gewähren. Da­mit un­ter­schei­det die Richt­li­nie - im Ge­gen­satz zu den vor­her­ge­hen­den Richt­li­ni­en­entwürfen - zwi­schen den Pflich­ten des Ent­lei­hers und de­nen des Ver­lei­hers. Aus­schluss­fris­ten erwähnt die Richt­li­nie - eben­so wie die Richt­li­ni­en­entwürfe - an kei­ner Stel­le.

cc) Die Aufzählung der we­sent­li­chen Ar­beits­be­din­gun­gen in Art. 3 Abs. 1

Buchst. f, i, ii, Art. 5 Abs. 1 Un­terabs. 2 Buchst. a RL ist ab­sch­ließend. Hin­sicht­lich der in Art. 3 Abs. 1 Buchst. f RL ge­nann­ten Re­ge­lungs­ge­genstände folgt dies aus dem Wort­laut, wo­nach sich die vom Ver­lei­her zu gewähren­den Ar­beits­be­din­gun­gen „auf fol­gen­de Punk­te be­zie­hen“ müssen, die so­dann ein­zeln auf­geführt sind. Art. 3 Abs. 2 RL ermöglicht zu­dem nur na­tio­na­le Re­ge­lun­gen im Hin­blick auf die Be­griffs­be­stim­mun­gen Ar­beits­ent­gelt, Ar­beits­ver­trag, Beschäfti­gungs­verhält­nis oder Ar­beit­neh­mer. Die ge­nann­ten Re­ge­lungs­ge­genstände sind nicht nur Re­gel­bei­spie­le, die Aufzählung be­grenzt viel­mehr den von der Richt­li­nie nach dem Grund­satz der Gleich­be­hand­lung gemäß Art. 5 Abs. 1 RL ge­for­der­ten Min­dest­stan­dard zu­guns­ten des Leih­ar­beit­neh­mers (ErfK/Wank § 3 AÜG Rn. 13 und § 11 AÜG Rn. 3; Schüren/Wank RdA 2011, 1, 4; Thüsing Ar­beits­recht­li­cher Dis­kri­mi­nie­rungs­schutz Rn. 807; Ur­ban-Crell in Ur­ban-Crell/Ger­ma­kow­ski AÜG § 3 Rn. 99; Bo­em­ke RIW 2009, 177, 180; Wank NZA 2003, 14; San­so­ne Gleich­stel­lung von Leih­ar­beit­neh­mern nach deut­schem und Uni­ons­recht S. 162; aA Pelz­ner in Thüsing AÜG § 3 Rn. 60; Guen­oub Equal Pay und Equal Tre­at­ment im Leih­ar­beits­verhält­nis 2008 S. 79). Al­ler­dings ermöglicht Art. 9 Abs. 1 RL dem na­tio­na­len Ge­setz­ge­ber, zu­guns­ten der Ar­beit­neh­mer von Vor­schrif­ten der Richt­li­nie ab­zu­wei­chen.

dd) Vor die­sem Hin­ter­grund sind als Ar­beits­be­din­gun­gen iSv. § 9 Nr. 2,

§ 10 Abs. 4 AÜG aus­sch­ließlich die in der RL ex­pli­zit be­zeich­ne­ten Re­ge­lungs­ma­te­ri­en an­zu­se­hen, denn von ei­ner Er­wei­te­rung hat der deut­sche Ge­setz­ge­ber ab­ge­se­hen. Viel­mehr spre­chen auch die Ge­set­zes­ma­te­ria­li­en zu


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§ 10 Abs. 4 AÜG nur Ar­beits­be­din­gun­gen an, die im je­wei­li­gen Richt­li­ni­en­ent­wurf bzw. der ver­ab­schie­de­ten Richt­li­nie aus­drück­lich be­nannt wur­den oder wer­den. Aus­schluss­fris­ten wer­den als zu gewähren­de Ar­beits­be­din­gun­gen an kei­ner Stel­le ge­nannt. Da­mit schei­det - nach der­zei­ti­ger Rechts­la­ge - auch ein Güns­tig­keits­ver­gleich der im Ent­lei­her­be­trieb ei­ner­seits und im Ver­trags­verhält­nis zum Ver­lei­her an­de­rer­seits gel­ten­den Aus­schluss­fris­ten aus (aA San­so­ne Gleich­stel­lung von Leih­ar­beit­neh­mern nach deut­schem und Uni­ons­recht S. 422; Bo­em­ke RIW 2009, 177, 183; Lembke BB 2010, 1533, 1536; Brors NZA 2010, 1385, 1386). Es bleibt viel­mehr bei den als Ver­trags­be­din­gung mit dem Ver­lei­her ver­ein­bar­ten oder kraft Ta­rif­bin­dung gel­ten­den Aus­schluss­fris­ten. Gilt in die­sem Verhält­nis man­gels Ta­rif­bin­dung oder Ver­ein­ba­rung kei­ne Aus­schluss­frist, ist ei­ne sol­che vom Leih­ar­beit­neh­mer auch nicht zu be­ach­ten.

4. Ge­gen die An­wen­dung der im Ent­lei­her­be­trieb gel­ten­den Aus­schluss-
fris­ten auf Ansprüche aus § 10 Abs. 4 AÜG spricht des Wei­te­ren der Zweck des in § 9 Nr. 2, § 10 Abs. 4 AÜG nor­mier­ten Schlech­ter­stel­lungs­ver­bots. Auf­ga­be des § 10 Abs. 4 AÜG ist es, ei­nen Min­dest­schutz zu schaf­fen, wie er den Zie­len der RL ent­spricht (vgl. Erwägungs­grund Nr. 14). Aus­schluss­fris­ten die­nen an­ders als die in der Ge­set­zes­be­gründung und in der RL ge­nann­ten Re­ge­lungs­ma­te­ri­en nicht der Gewähr­leis­tung wirt­schaft­li­cher Min­dest­be­din­gun­gen für Leih­ar­beit­neh­mer, son­dern würden die Leih­ar­beit­neh­mer re­gelmäßig be­las­ten.

5. Aus­schluss­fris­ten sind kein in­te­gra­ler Be­stand­teil der we­sent­li­chen
Ar­beits­be­din­gung „Ar­beits­ent­gelt“. Sie be­tref­fen aus­sch­ließlich die Art und Wei­se der Gel­tend­ma­chung ei­nes ent­stan­de­nen Ent­gelt­an­spruchs (BAG 21. Ja­nu­ar 2010 - 6 AZR 556/07 - Rn. 17, AP BGB § 611 Ar­beit­ge­ber­dar­le­hen Nr. 3 = EzA TVG § 4 Aus­schluss­fris­ten Nr. 196; 26. Sep­tem­ber 2007 - 5 AZR 881/06 - Rn. 14, AP TVG § 1 Ta­rif­verträge: Be­ton­st­ein­ge­wer­be Nr. 8; 25. Mai 2005 - 5 AZR 572/04 - zu IV 6 der Gründe, BA­GE 115, 19; 16. Ja­nu­ar 2002 - 5 AZR 430/00 - zu 2 b cc der Gründe mwN, AP Ent­geltFG § 3 Nr. 13 = EzA Ent­gelt­fort­zG § 12 Nr. 1). So­weit der Sechs­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts in der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt zi­tier­ten Ent­schei­dung vom 5. April 1984


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(- 6 AZR 443/81 - zu 3 c der Gründe, BA­GE 45, 314) noch die Auf­fas­sung ver­tre­ten hat, dass zum In­halt ei­nes Rechts auch die durch ei­ne Aus­schluss­frist ver­mit­tel­te Dau­er gehöre, ist er hier­von in sei­ner späte­ren Recht­spre­chung ab­gerückt (vgl. nur BAG 21. Ja­nu­ar 2010 - 6 AZR 556/07 - Rn. 17, AP BGB § 611 Ar­beit­ge­ber­dar­le­hen Nr. 3 = EzA TVG § 4 Aus­schluss­fris­ten Nr. 196).

II. Auf der Grund­la­ge der bis­he­ri­gen Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits-

ge­richts las­sen sich die Ansprüche des Klägers aus § 10 Abs. 4 AÜG nicht be­stim­men. Ob und in wel­cher Höhe der Kläger für die Zeit bis ein­sch­ließlich April 2008 Dif­fe­renz­vergütung ver­lan­gen kann, ist vom Lan­des­ar­beits­ge­richt auf­zuklären.

1. Die vom Kläger gel­tend ge­mach­ten Zah­lungs­ansprüche be­tref­fen das
Ar­beits­ent­gelt iSv. § 10 Abs. 4 AÜG. Hier­un­ter fal­len nicht nur das lau­fen­de Ent­gelt, son­dern auch al­le Zu­schläge und Zu­la­gen, Ansprüche auf Ent­gelt­fort-zah­lung so­wie wei­te­re Vergütungs­be­stand­tei­le. Der Be­griff des Ar­beits­ent­gelts ist weit zu ver­ste­hen.

2. Aus­ge­hend vom Erwägungs­grund 14 RL muss das Ar­beits­ent­gelt des
Leih­ar­beit­neh­mers min­des­tens dem­je­ni­gen ent­spre­chen, das für ihn gel­ten würde, wenn er vom Ent­lei­her für die glei­che Ar­beits­auf­ga­be ein­ge­stellt wor­den wäre.

a) Der An­spruch auf Gewährung glei­cher Ar­beits­be­din­gun­gen gemäß § 10

Abs. 4, § 9 Nr. 2 AÜG be­steht während der Dau­er der Über­las­sung, dh. dem Zeit­raum, während des­sen der Leih­ar­beit­neh­mer dem ent­lei­hen­den Un­ter­neh­men zur Verfügung ge­stellt wird, um dort un­ter des­sen Auf­sicht und Lei­tung vorüber­ge­hend zu ar­bei­ten. Da­mit ist ein Ge­samt­ver­gleich der Ent­gel­te im Über­las­sungs­zeit­raum an­zu­stel­len (vgl. zu ent­spre­chen­den Sal­die­run­gen in an­de­ren Re­ge­lungs­zu­sam­menhängen: BAG 22. No­vem­ber 2005 - 1 AZR 407/04 - Rn. 22, 23 mwN, BA­GE 116, 246 zu § 615 BGB; 29. Mai 2002 - 5 AZR 680/00 - BA­GE 101, 247 und 9. Fe­bru­ar 2005 - 5 AZR 175/04 - AP BGB § 611 Lohnrück­zah­lung Nr. 12 = EzA BGB 2002 § 818 Nr. 1 je­weils zum rück­wir­kend fest­ge­stell­ten Ar­beit­neh­mer­sta­tus). Im Streit­fall sind dies die Zeiträume


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25. Ok­to­ber 2005 bis 31. Mai 2006 und 1. Au­gust 2006 bis 30. Ju­ni 2008. In den Ge­samt­ver­gleich sind da­mit die be­reits vom Lan­des­ar­beits­ge­richt rechts­kräftig zu­ge­spro­che­nen Beträge für die Mo­na­te Mai und Ju­ni 2008 so­wie sämt­li­che dem Kläger zu­ge­flos­se­nen Son­der­zah­lun­gen, Prämi­en und Miet­zuschüsse ein­zu­stel­len.

b) Zur Be­stim­mung der Höhe des An­spruchs aus § 10 Abs. 4 AÜG kann

der Leih­ar­beit­neh­mer zwar zunächst auf die ihm nach § 13 AÜG er­teil­ten Auskünf­te Be­zug neh­men (BAG 19. Sep­tem­ber 2007 - 4 AZR 656/06 - Rn. 54, AP AÜG § 10 Nr. 17 = EzA AÜG § 13 Nr. 1). Be­strei­tet der Ver­lei­her die maßgeb­li­chen Umstände der Aus­kunft je­doch in er­heb­li­cher Art und im Ein­zel­nen, bleibt es bei dem Grund­satz, dass der An­spruch­stel­ler die an­spruchs­be­gründen­den Tat­sa­chen dar­le­gen und be­wei­sen muss. Nach der für die Ent­lei­he­rin er­teil­ten Auskünf­te des Baye­ri­schen Un­ter­neh­mens­ver­ban­des Me­tall und Elek­tro e. V. leis­te­te die Ent­lei­he­rin im Über­las­sungs­zeit­raum ih­ren ver­gleich­ba­ren Ar­beit­neh­mern ei­ne Vergütung nach Maßga­be der Ta­rif­verträge der Baye­ri­schen Me­tall- und Elek­tro­in­dus­trie. Ab­wei­chend von der Auf­fas­sung des Lan­des­ar­beits­ge­richts folgt hier­aus kein An­spruch des Klägers auf ei­ne über­ta­rif­li­che Vergütung, denn ei­ne sol­che zahlt die ta­rif­ge­bun­de­ne Ent­lei­he­rin nach ih­rer ei­ge­nen Aus­kunft nicht. So­mit hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt die ta­rif­ge­rech­te Ein­grup­pie­rung und Vergütung der ver­gleich­ba­ren Ar­beit­neh­mer un­ter Ein­be­zie­hung der Qua­li­fi­ka­ti­on, Tätig­keit, Be­rufs­er­fah­rung und Beschäfti­gungs­dau­er fest­zu­stel­len. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt wird des­halb zu klären ha­ben, ob Ar­beit­neh­mern mit ver­gleich­ba­rer Tätig­keit und Qua­li­fi­ka­ti­on bis 31. März 2007 Vergütung nach Ge­halts­grup­pe SBA VI 1 und ab 1. April 2007 nach Ent­gelt­grup­pe 11 des ERA zu­stand. Die Be­klag­te hat zwar zu­letzt nicht mehr be­strit­ten, dass der Kläger über die nach die­sen Ge­halts- und Ent­gelt­grup­pen er­for­der­li­che sub­jek­ti­ve Qua­li­fi­ka­ti­on verfügt, sie hat je­doch im Ein­zel­nen dar­ge­legt, dass der Kläger kei­ne der in der Ge­halts- und Ent­gelt-grup­pe ge­for­der­ten Tätig­kei­ten ver­rich­tet ha­be. Bei sei­ner Ent­schei­dung hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt wei­ter zu berück­sich­ti­gen, dass sich die ta­rif­li­che Vergütung als Ge­gen­leis­tung auf das ta­rif­lich ge­schul­de­te Ar­beits­zeit­vo­lu­men von 35 Wo­chen­stun­den be­zieht und der Kläger ei­ne Ar­beits­zeit von


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40 Wo­chen­stun­den zu er­brin­gen hat­te. Über­stun­den sind nach den bei der Ent­lei­he­rin gel­ten­den Re­geln zu vergüten. Darüber hin­aus ist kon­kret zu er­mit­teln, nach wel­chen Kri­te­ri­en die Ent­lei­he­rin im Kla­ge­zeit­raum Leis­tungs­zu­la­gen er­bracht hat und ob sie dem Kläger bei ei­nem un­mit­tel­bar zu ihr be­gründe­ten Ar­beits­verhält­nis ei­ne Leis­tungs­zu­la­ge gewährt hätte. Ggf. ist ei­ne not­wen­di­ge Leis­tungs­be­ur­tei­lung nach­zu­ho­len, die nicht durch Zi­ta­te aus dem von der Be­klag­ten er­teil­ten Zeug­nis er­setzt wer­den kann.

C. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat über die Kos­ten der Re­vi­si­on zu ent-

schei­den.

Müller-Glöge Laux Biebl

Haas Zorn

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