HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

BAG, Ur­teil vom 19.11.2003, 10 AZR 110/03

   
Schlagworte: Insolvenz des Arbeitgebers, Insolvenzanfechtung, Ausschlussfrist
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 10 AZR 110/03
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 19.11.2003
   
Leitsätze:

1. Überträgt der Arbeitgeber innerhalb des letzten Monats vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen seine Rechte als Versicherungsnehmer aus einer Direktversicherung auf den versicherten Arbeitnehmer, so kann der Insolvenzverwalter im Wege der Insolvenzanfechtung die Zurückgewährung zur Insolvenzmasse verlangen, wenn dem Arbeitnehmer noch keine unverfallbare Anwartschaft im Sinne des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung zustand.

2. Dieser Anspruch des Insolvenzverwalters unterfällt keiner tarifvertraglichen Ausschlußfrist.

Vorinstanzen:
   

BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT

10 AZR 110/03

1 Sa 351/02

Lan­des­ar­beits­ge­richt

Bran­den­burg

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am

19. No­vem­ber 2003

UR­TEIL

Gaßmann, Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Be­klag­ter, Be­ru­fungs­be­klag­ter und Re­vi­si­onskläger,

PP.

Kläge­rin, Be­ru­fungskläge­rin und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

hat der Zehn­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf Grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 19. No­vem­ber 2003 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Frei­tag, den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Fi­scher­mei­er, die Rich­te­rin am Bun­des­ar­beits­ge­richt Mar­quardt so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Her­mann und Ohl für Recht er­kannt:

 

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1. Die Re­vi­si­on des Be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Bran­den­burg vom 12. De­zem­ber 2002 - 1 Sa 351/02 - wird zurück­ge­wie­sen.

2. Der Be­klag­te hat die Kos­ten der Re­vi­si­on zu tra­gen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten über ei­nen Rück­gewähran­spruch der Kläge­rin als In­sol­venz­ver­wal­te­rin über das Vermögen der F Hoch­bau­ge­sell­schaft mbH (im fol­gen­den: In­sol­venz­schuld­ne­rin) im Zu­ge der In­sol­venz­an­fech­tung.

Der am 16. Ja­nu­ar 1958 ge­bo­re­ne Be­klag­te war seit 1993 bei der In­sol­venz­schuld­ne­rin beschäftigt. Auf das Ar­beits­verhält­nis fand der all­ge­mein­ver­bind­li­che Bun­des­rah­men­ta­rif­ver­trag für das Bau­ge­wer­be vom 3. Fe­bru­ar 1981 idF vom 13. No­vem­ber 1998 An­wen­dung (im fol­gen­den: BRTV). Die­ser Ta­rif­ver­trag enthält ua. fol­gen­de Vor­schrift:

㤠16

Aus­schlußfris­ten

1. Al­le bei­der­sei­ti­gen Ansprüche aus dem Ar­beits­verhält­nis und sol­che, die mit dem Ar­beits­verhält­nis in Ver­bin­dung ste­hen, ver­fal­len, wenn sie nicht in­ner­halb von zwei Mo­na­ten nach der Fällig­keit ge­genüber der an­de­ren Ver­trags­par­tei schrift­lich er­ho­ben wer­den.

2. Lehnt die Ge­gen­par­tei den An­spruch ab oder erklärt sie sich nicht in­ner­halb von zwei Wo­chen nach der Gel­tend­ma­chung des An­spruchs, so verfällt die­ser, wenn er nicht in­ner­halb von zwei Mo­na­ten nach der Ab­leh­nung oder dem Frist­ab­lauf ge­richt­lich gel­tend ge­macht wird. ..."

Un­ter dem 6. De­zem­ber 1993 hat die In­sol­venz­schuld­ne­rin für den Be­klag­ten ei­ne von ihr fi­nan­zier­te Ka­pi­tal­ver­si­che­rung auf den To­des- und Er­le­bens­fall als Di­rekt­ver­si­che­rung mit ei­nem ein­ge­schränkt un­wi­der­ruf­li­chen Be­zugs­recht ab­ge­schlos­sen. Das Be­zugs­recht wur­de fol­gen­der­maßen ge­re­gelt:

 

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Be­zugs­recht

Die ver­si­cher­te Per­son ist so­wohl für den To­des- als auch für den Er­le­bens­fall un­ter den nach­ste­hen­den Vor­be­hal­ten un­wi­der­ruf­lich be­zugs­be­rech­tigt. Das Be­zugs­recht ist nicht über­trag­bar und nicht be­leih­bar.

Dem Ar­beit­ge­ber bleibt das Recht vor­be­hal­ten,

- al­le Ver­si­che­rungs­leis­tun­gen für sich in An­spruch zu neh­men,

- wenn das Ar­beits­verhält­nis vor Ein­tritt des Ver­sor­gungs­fal­les en­det, es sei denn

- die ver­si­cher­te Per­son hat das 35. Le­bens­jahr voll­endet und die Ver­si­che­rung hat zehn Jah­re be­stan­den oder

- die ver­si­cher­te Per­son hat das 35. Le­bens­jahr voll­endet und das Ar­beits­verhält­nis hat zwölf Jah­re und die Ver­si­che­rung drei Jah­re be­stan­den,

- wenn die ver­si­cher­te Per­son Hand­lun­gen be­geht, die dem Ar­beit­ge­ber das Recht ge­ben, die Ver­si­che­rungs­ansprüche zu min­dern oder zu ent­zie­hen,

- während der Dau­er des Ar­beits­verhält­nis­ses mit Zu­stim­mung der ver­si­cher­ten Per­son nach Maßga­be der All­ge­mei­nen Ver­si­che­rungs­be­din­gun­gen ei­ne Vor­aus­zah­lung auf die Ver­si­che­rungs­leis­tung in An­spruch zu neh­men, wo­bei der Ar­beit­ge­ber die be­zugs­be­rech­tig­te Per­son bei Ein­tritt des Ver­si­che­rungs­fal­les je­doch so stellt, als ob die Vor­aus­zah­lung nicht er­folgt wäre.

Vor­zei­ti­ges Aus­schei­den

Hat die ver­si­cher­te Per­son ei­ne un­ver­fall­ba­re An­wart­schaft nach den Vor­schrif­ten des Ge­set­zes zur Ver­bes­se­rung der be­trieb­li­chen Al­ters­ver­sor­gung und schei­det sie aus den Diens­ten des Ar­beit­ge­bers aus, so überläßt der Ar­beit­ge­ber, wenn er die An­wen­dung des Par. 2 Abs. 2 die­ses Ge­set­zes ver­langt, der ver­si­cher­ten Per­son die Rechts­stel­lung des Ver­si­che­rungs­neh­mers. ..."

Das Ar­beits­verhält­nis zwi­schen dem Be­klag­ten und der In­sol­venz­schuld­ne­rin hat am 31. März 1999 durch frist­lo­se Ei­genkündi­gung des Be­klag­ten sein En­de ge­fun­den. Am 6. April 1999 über­trug die In­sol­venz­schuld­ne­rin die Rech­te aus der Ver­si­che­rung auf den Be­klag­ten. Am 16. April 1999 stell­te der Geschäftsführer der In­sol­venz­schuld­ne­rin In­sol­venz­an­trag. Mit Be­schluß des Amts­ge­richts Neu­rup­pin vom 1. Ju­ni 1999 wur­de das In­sol­venz­ver­fah­ren eröff­net und die Kläge­rin als In­sol­venz­ver­wal­te­rin ein­ge­setzt. Mit Schrift­satz vom 5. Au­gust 1999 for­der­te die Kläge­rin den Be­klag­ten auf, die Ver­si­che­rung zurück­zuüber­tra­gen. Mit Schrei­ben sei­nes Pro­zeßbe­vollmäch­tig­ten

 

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vom 16. Au­gust 1999 lehn­te die­ser ei­ne Rücküber­tra­gung ab. Der Be­klag­te kündig­te zwi­schen­zeit­lich den Ver­si­che­rungs­ver­trag und er­hielt von der Ver­si­che­rung 3.798,49 Eu­ro (7.429,20 DM).

Die Kläge­rin be­an­trag­te beim Amts­ge­richt Neu­rup­pin am 30. Sep­tem­ber 2000 Pro­zeßkos­ten­hil­fe für ei­ne be­ab­sich­tig­te Kla­ge auf Rücküber­tra­gung der Ver­si­che­rung. Nach Ver­wei­sung des Rechts­streits an das Ar­beits­ge­richt Neu­rup­pin wur­de der Kläge­rin mit Be­schluß des Ar­beits­ge­richts vom 30. Au­gust 2001 Pro­zeßkos­ten­hil­fe be­wil­ligt. Die Kläge­rin er­hob dar­auf­hin mit beim Ar­beits­ge­richt am 10. Sep­tem­ber 2001 ein­ge­gan­ge­nem Schrift­satz Kla­ge und wi­der­rief gleich­zei­tig das Be­zugs­recht des Be­klag­ten.

Die Kläge­rin hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, daß die Aus­schlußfrist des § 16 BRTV auf den gel­tend ge­mach­ten Rück­gewähran­spruch nicht an­wend­bar sei. Bei die-sem An­spruch hand­le es sich we­der um ei­nen sol­chen aus dem Ar­beits­verhält­nis noch um ei­nen da­mit in Ver­bin­dung ste­hen­den. Er fol­ge al­lein aus den in­sol­venz­recht­li­chen An­fech­tungs­vor­schrif­ten. Rechts­grund­la­ge sei die an­fecht­ba­re Rechts­hand­lung der In­sol­venz­schuld­ne­rin. Die An­wen­dung ta­rif­ver­trag­li­cher Aus­schlußfris­ten auf die­sen An­spruch würde zu ei­ner Um­ge­hung der für die Gel­tend­ma­chung vor­ge­se­he­nen Fris­ten der In­sol­venz­ord­nung führen. Die Fol­ge wäre ei­ne von der In­sol­venz­ord­nung nicht vor­ge­se­he­ne Be­vor­zu­gung von durch an­fecht­ba­re Rechts­hand­lun­gen begüns­tig­ten Ar­beit­neh­mern ge­genüber an­de­ren In­sol­venzgläubi­gern. Auch die Ein­re­de der Verjährung grei­fe nicht. Auf die Verjährungs­vor­schrift des § 146 Ins° sei­en die all­ge­mei­nen zi­vil­recht­li­chen Vor­schrif­ten über die Hem­mung und Un­ter­bre­chung der Verjährung an­zu­wen­den. Da­nach ha­be die Ein­rei­chung des Pro­zeßkos­ten­hil­fe­an­tra­ges die Hem­mung der Verjährung nach § 203 BGB aF be­wirkt.

Die Kläge­rin hat be­an­tragt,

den Be­klag­ten zu ver­ur­tei­len, an sie 3.798,49 Eu­ro zu zah­len.

Der Be­klag­te hat be­an­tragt, die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Er hat gel­tend ge­macht, der er­ho­be­ne An­spruch sei gemäß § 16 BRTV ver­fal­len. Ent­schei­dend sei, daß die­ser ei­nen ar­beits­recht­li­chen Be­zug ha­be. Letzt­lich lei­te er sich aus dem Be­trAVG und dem Ar­beits­verhält­nis zwi­schen dem Be­klag­ten und der In­sol­venz­schuld­ne­rin ab. Die Nicht­an­wend­bar­keit der Aus­schlußfrist könne auch nicht mit dem Ar­gu­ment be­gründet wer­den, daß der In­sol­venz­ver­wal­ter der Sach­wal­ter der Gläubi­ger­inter­es­sen sei. Es sei nämlich in der Recht­spre­chung an­er­kannt, daß sich

 

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die­ser als sol­cher eben­falls auf ta­rif­li­che Aus­schlußfris­ten be­ru­fen könne. Die Kläge­rin ha­be so­wohl die ers­te als auch die zwei­te Stu­fe der Aus­schlußfrist des § 16 BRTV versäumt. Un­abhängig da­von ha­be die Kläge­rin auch die Frist des § 146 In­sO nicht ein­ge­hal­ten. Auf die An­fech­tung fin­de man­gels ei­ner an­de­ren Re­ge­lung § 143 BGB di­rekt An­wen­dung. Dem­nach sei die An­fech­tungs­erklärung ge­genüber dem An­fech­tungs­geg­ner ab­zu­ge­ben und nicht ge­genüber dem Ge­richt. Die Vor­schrift des § 203 BGB aF fin­de des­halb kei­ne An­wen­dung.
Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Auf die Be­ru­fung der Kläge­rin hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts ab­geändert und der Kla­ge statt­ge­ge­ben. Mit sei­ner Re­vi­si­on be­gehrt der Be­klag­te die Wie­der­her­stel­lung der erst­in­stanz­li­chen Ent­schei­dung.

Ent­schei­dungs­gründe

A. Die Re­vi­si­on des Be­klag­ten ist zulässig. Zwar sind von der Re­vi­si­ons­be­gründung vom 21. März 2003 in­ner­halb der Be­gründungs­frist nur die Sei­ten 1 und 4 per Fax beim Bun­des­ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­gen. Die Sei­te 1 ent­hielt je­doch den An­trag und die Sei­te 4 die Un­ter­schrift des Pro­zeßbe­vollmäch­tig­ten. Als Be­zeich­nung der ver­letz­ten Rechts­norm und Aus­ein­an­der­set­zung mit dem an­zu­fech­ten­den Ur­teil iSv. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2a ZPO reicht der ers­te Ab­satz auf Sei­te 4 ge­ra­de noch aus.

B. Die Re­vi­si­on des Be­klag­ten ist aber un­be­gründet. Er ist ver­pflich­tet, den er­hal­te­nen Rück­kauf­wert aus der Di­rekt­ver­si­che­rung der In­sol­venz­mas­se zu­zuführen.

I. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat in der Über­tra­gung der Ver­si­che­rung auf den Be­klag­ten ei­ne nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 In­sO an­fecht­ba­re Rechts­hand­lung ge­se­hen. Mit die­ser Über­tra­gung sei­en die Gläubi­ger der In­sol­venz­schuld­ne­rin be­nach­tei­ligt und dem Be­klag­ten sei ei­ne Be­frie­di­gung gewährt wor­den, auf die er kei­nen An­spruch ge­habt ha­be. Die Rech­te aus der Ver­si­che­rung hätten zum Vermögen der In­sol­venz­schuld­ne­rin iSv. § 35 Ins° gehört, und die An­wart­schaft des Be­klag­ten auf Leis­tun­gen aus der Be­triebs­ren­ten­zu­sa­ge sei bei Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses nicht un­ver­fall­bar ge­we­sen. Durch die er­folg­te Über­tra­gung sei der In­sol­venz­schuld­ne­rin die Möglich­keit ver­lo­ren ge­gan­gen, ih­rer­seits die Ver­si­che­rung zu kündi­gen und den Rück­kauf­wert ein­zu­zie­hen. Die Über­tra­gung sei auch in­ner­halb der Frist des § 131 Abs.1

 

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Nr. 1 In­sO er­folgt. Die Ver­pflich­tung des Be­klag­ten zur Her­aus­ga­be des durch die Kündi­gung der Ver­si­che­rung Er­lang­ten fol­ge des­halb aus § 143 Abs. 1 Satz 2 In­sO, § 819 Abs. 1, § 818 BGB. Der gel­tend ge­mach­te An­spruch schei­te­re auch nicht an der Nicht­ein­hal­tung der Aus­schlußfrist des § 16 BRTV. Die­se ta­rif­li­che Aus­schlußfrist sei auf Ansprüche des In­sol­venz­ver­wal­ters aus § 143 Abs. 1 In­sO nicht an­wend­bar, weil die­se we­der aus dem Ar­beits­verhält­nis re­sul­tier­ten noch mit die­sem in Ver­bin­dung stünden. Es hand­le sich in­so­weit um ei­genständi­ge, vom Rechts­grund des ursprüng­li­chen Schuld­verhält­nis­ses un­abhängi­ge Ansprüche aus ei­nem ge­setz­li­chen Rück­gewähr-Schuld­verhält­nis. Sei­ne Wur­zeln ha­be die­ses al­lein im In­sol­venz­recht. Ei­ne Verjährung des An­spruchs sei eben­falls nicht ein­ge­tre­ten, weil mit dem An­trag auf Be­wil­li­gung von Pro­zeßkos­ten­hil­fe vor Ab­lauf der Verjährungs­frist die­se Frist bis zur Rechts­kraft der Ent­schei­dung über das Ge­such ge­hemmt ge­we­sen sei. Auch Ver­wir­kung lie­ge nicht vor. Hier­zu feh­le es so­wohl am Zeit­mo­ment als auch am Um­stands­mo­ment.
Dem folgt der Se­nat im Er­geb­nis und weit­ge­hend auch in der Be­gründung.

1. Bei dem strei­ti­gen An­spruch han­delt es sich um ei­nen schuld­recht­li­chen Rück­gewähr- oder Ver­schaf­fungs­an­spruch, der auf Grund der In­sol­ven­zeröff­nung als ge­setz­li­ches Schuld­verhält­nis ent­stan­den ist (BGH 11. Ja­nu­ar 1990 - IX ZR 27/89 - LM EGÜbk Nr. 27; 1. De­zem­ber 1988 - IX ZR 112/88 - ZIP 1989, 48; KG 22. März 1996 - 7 W 660/96 - ZIP 1996, 1097; Smid In­sO 2. Aufl. § 143 Rn. 1).

Die Vor­aus­set­zun­gen ei­ner wirk­sa­men In­sol­venz­an­fech­tung gemäß §§ 129, 131 Abs. 1 Nr. 1 In­sO lie­gen vor. Die In­sol­venz­schuld­ne­rin hat am 6. April 1999 ih­re Rech­te als Ver­si­che­rungs­neh­me­rin aus dem Ver­si­che­rungs­ver­trag an den Be­klag­ten ab­ge­tre­ten (§§ 398 ff. BGB). Dies hat dem Be­klag­ten ei­ne Rechts­po­si­ti­on und da­mit ei­ne Be­frie­di­gung iSv. § 131 Abs. 1 Nr. 1 In­sO ver­schafft, die er zu die­ser Zeit nicht zu be­an­spru­chen hat­te. Zwar hat­te der Be­klag­te das 35. Le­bens­jahr voll­endet, die Ver­si­che­rung be­stand aber we­der zehn Jah­re noch be­stand das Ar­beits­verhält­nis zwölf Jah­re. Des­halb hat­te der Be­klag­te kei­ne un­ver­fall­ba­re An­wart­schaft nach dem Ge­setz zur Ver­bes­se­rung der be­trieb­li­chen Al­ters­ver­sor­gung (§§ 1b, 30f Be­trAVG). Gemäß der Ver­ein­ba­rung über das Be­zugs­recht hat­te viel­mehr bis zu der Über­tra­gung die In­sol­venz­schuld­ne­rin das Recht, al­le Ver­si­che­rungs­leis­tun­gen aus dem Ver­si­che­rungs­ver­trag für sich in An­spruch zu neh­men. Die Ab­tre­tung be­nach­tei­lig­te die In­sol­venzgläubi­ger, weil die In­sol­venz­schuld­ne­rin da­mit ihr Vermögen in Höhe des Rück­kauf­wer­tes der Ver­si­che­rung schmäler­te und der In­sol­venz­mas­se ent­zog. Die In­sol­venz­ver­wal­te­rin hat nun nicht mehr die Möglich­keit, ih­rer­seits die Ver­si­che­rung zu kündi­gen und den

 

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Rück­kauf­wert der In­sol­venz­mas­se zu­zuführen. Die Ab­tre­tung durch die In­sol­venz­schuld­ne­rin zehn Ta­ge vor dem An­trag auf Eröff­nung des In­sol­venz­ver­fah­rens erfüllt den Tat­be­stand ei­ner in­kon­gru­en­ten Be­frie­di­gung gemäß § 131 Abs. 1 Nr. 1 In­sO (vgl. auch West­hel­le/Micksch ZIP 2003, 2059). Ei­ne sol­che Rechts­hand­lung kann oh­ne wei­te­re Vor­aus­set­zun­gen an­ge­foch­ten wer­den. Es kommt da­bei we­der dar­auf an, ob die In­sol­venz­schuld­ne­rin am 6. April 1999 zah­lungs­unfähig oder über­schul­det war, noch dar­auf, ob der Be­klag­te hier­von Kennt­nis hat­te oder nicht (Henckel In­sol­venz­an­fech­tung in Kölner Schrift zur In­sol­venz­ord­nung 2. Aufl. S. 813, 828 Rn. 36; Uh­len­bruck/Hir­te ln­sO 12. Aufl. § 131 Rn. 2 ff., 28 ff.; Weis in Hess/Weis/Wien­berg In­sO 2. Aufl. § 131 Rn. 67 ff.). Der Be­klag­te war des­halb gemäß § 143 Abs. 1 ln­sO ver­pflich­tet, die er­wor­be­nen For­de­run­gen aus dem Ver­si­che­rungs­ver­trag rück­ab­zu­tre­ten. Nun­mehr hat er gemäß § 143 Abs. 1 Ins°, § 819 Abs. 1, § 818 BGB in Höhe des Rück­kauf­wer­tes Wert­er­satz zu leis­ten (BGH 21. Ja­nu­ar 1999 - IX ZR 329/97 - ZIP 1999, 406; in FK-In­sO/Dau­em­heim 3. Aufl. § 143 Rn. 1, 4).

2. Der An­fech­tungs­an­spruch ist ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Be­klag­ten nicht verjährt.

a) Auf die Verjährung des An­fech­tungs­an­spruchs sind die Verjährungs­re­geln der §§ 202 - 225 BGB aF un­mit­tel­bar und un­ein­ge­schränkt an­wend­bar (Henckel In­sol­venz­an­fech­tung in Kölner Schrift zur In­sol­venz­ord­nung 2. Aufl. S. 813, 852 Rn. 91; Kübler/Prütting/Pau­lus In­sO Stand Sep­tem­ber 2003 § 146 Rn. 4; Weis in Hess/Weis/Wien­berg In­sO 2. Aufl. § 146 Rn. 3 und 11). Die in­sol­venz­recht­li­che An-fech­tung er­for­dert kei­ne Ge­stal­tungs­erklärung. Sie ist viel­mehr die ge­richt­li­che Gel­tend­ma­chung der Rechts­fol­ge des § 143 Abs. 1 In­sO. Die­se be­steht dar­in, daß ein Ge­gen­stand, der oh­ne die an­fecht­ba­re Hand­lung zur In­sol­venz­mas­se gehören würde, zum Zweck der Ver­wer­tung durch den In­sol­venz­ver­wal­ter der Mas­se wie­der zu­geführt wer­den muß. Er­for­der­lich sind nur ein be­stimm­ter Kla­ge­an­trag und der Vor­trag des die­sen An­trag recht­fer­ti­gen­den Sach­ver­halts. Nicht er­for­der­lich ist da­ge­gen, daß die Kläge­rin aus­drück­lich oder still­schwei­gend ge­genüber dem Be­klag­ten die An­fech­tung erklärt oder sich auf § 143 Abs. 1 In­sO als Rechts­grund­la­ge be­ruft. In § 146 In­sO kommt dies in dem Be­griff „An­fech­tungs­an­spruch" zum Aus­druck. Die In­sol­venz­an­fech­tung nach den §§ 129 ff. In­sO hat so­mit we­gen der un­ter­schied­li­chen Zweck­rich­tun­gen und den grund­ver­schie­de­nen Vor­aus­set­zun­gen und Rechts­fol­gen mit der An­fech­tung nach den §§ 119 ff. BGB nichts ge­mein. Die mit der Eröff­nung des In­sol­venz­ver­fah­rens be­gin­nen­de Frist des § 146 Abs. 1 In­sO kann viel­mehr grundsätz­lich nur

 

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durch Kla­ge oder Wi­der­kla­ge ge­wahrt wer­den (BGH 20. März 1997 - IX ZR 71/96 - BGHZ 135, 140, 149 f; FK-In­sO/Dau­em­heim 3. Aufl. § 129 Rn. 6, 11, § 146 Rn. 6; Ner­lich in Ner­lich/Römer­mann Ins° Stand Ju­li 2003 § 143 Rn. 73 ff.; Weis aaO § 143 Rn. 125 ff.; Uh­len­bruck/Hir­te In­sO 12. Aufl. § 129 Rn. 6).

b) Die Verjährungs­frist wird durch ei­nen ord­nungs­gemäß be­gründe­ten und vollständi­gen An­trag auf Pro­zeßkos­ten­hil­fe nach Maßga­be des § 203 BGB aF ge­hemmt. Das Ge­such muß al­ler­dings ei­nen Sach­ver­halt, der die Vor­aus­set­zun­gen ei­nes An­fech­tungs­tat­be­stan­des erfüllt, hin­rei­chend er­ken­nen las­sen. In ei­nem sol­chen Fall dau­ert die mit der recht­zei­ti­gen Ein­rei­chung des Pro­zeßkos­ten­hil­fe­ge­suchs ein­ge­tre­te­ne Hem­mung der Verjährung grundsätz­lich fort, bis die bedürf­ti­ge Par­tei nach der Ent­schei­dung über den An­trag bei an­ge­mes­se­ner Sach­be­hand­lung in der La­ge ist, ord­nungs­gemäß Kla­ge zu er­he­ben (BGH 22. März 2001 - IX ZR 407/98 - LM KO § 41 Nr. 26; 21. März 2000 - IX ZR 138/99 - ZIP 2000, 898; FK-In­sO/Dau­ern­heim § 146 Rn. 8).

So liegt es hier. Das In­sol­venz­ver­fah­ren ist am 1. Ju­ni 1999 eröff­net wor­den. Die Verjährungs­frist wäre da­mit am 1. Ju­ni 2001 ab­ge­lau­fen (§ 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB). Der An­trag der Kläge­rin auf Be­wil­li­gung von Pro­zeßkos­ten­hil­fe ging aber beim Amts­ge­richt Neu­rup­pin be­reits am 30. Sep­tem­ber 2000 ein. Das Ge­such um Be­wil­li­gung von Pro­zeßkos­ten­hil­fe der Kläge­rin ließ auch ei­nen Sach­ver­halt er­ken­nen, der die Vor­aus­set­zun­gen ei­nes An­fech­tungs­tat­be­stan­des erfüllt. Ins­be­son­de­re der dem Ge­such bei­gefügte Kla­ge­ent­wurf ent­hielt Tat­sa­chen, die die Erfüllung des Tat­be­stan­des des § 131 In­sO er­ken­nen las­sen. Gemäß § 203 Abs. 1 BGB aF, der die Dau­er der Hem­mung auf ma­xi­mal sechs Mo­na­te be­schränkt, be­gann die Hem­mung am 2. De­zem­ber 2000 und hat bis zum 1. Ju­ni 2001 an­ge­dau­ert, weil die Ent­schei­dung des Ar­beits­ge­richts über den Pro­zeßkos­ten­hil­fe­an­trag erst am 30. Au­gust 2001 er­ging. Mit der beim Ar­beits­ge­richt am 10. Sep­tem­ber 2001 ein­ge­reich­ten Kla­ge­schrift hat die Kläge­rin mit­hin den An­fech­tungs­an­spruch recht­zei­tig gel­tend ge­macht, weil die Verjährungs­frist um die Hem­mungs­zeit zu verlängern ist (§ 205 BGB aF).

3. Der An­spruch der Kläge­rin schei­tert auch nicht an der ta­rif­li­chen Aus­schlußfrist des § 16 BRTV. Gemäß § 1 Abs. 1 TVG er­streckt sich die nor­ma­ti­ve Re­ge­lungs­macht der Ta­rif­ver­trags­par­tei­en nur auf den In­halt, den Ab­schluß und die Be­en­di­gung von Ar­beits­verhält­nis­sen so­wie die Ord­nung be­trieb­li­cher und be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­cher Fra­gen.

 

- 9 -

Die §§ 129 ff. In­sO be­gründen dem­ge­genüber ein ge­setz­li­ches Schuld­verhält­nis oh­ne je­de Rück­sicht auf ein in der In­sol­venz fort­be­ste­hen­des Ar­beits­verhält­nis oder ein frühe­res Ar­beits­verhält­nis zum In­sol­venz­schuld­ner. In­so­weit wird, so­weit er­sicht­lich oh­ne Ge­gen­stim­men, in der Li­te­ra­tur die An­wend­bar­keit ta­rif­li­cher Aus­schlußfris­ten ver­neint (vgl. Hu­ber EWiR 2000, 177; Münch­Kom­mIn­sO-Kirch­hof § 146 Rn. 5; Smid Ins0 2. Aufl. § 146 Rn. 4). Dem schließt sich der Se­nat an, denn ein der­ar­ti­ges ge­setz­li­ches Schuld­verhält­nis steht außer­halb der Re­ge­lungs­macht der Ta­rif­ver­trags­par­tei­en. Dies steht im Ein­klang mit der Recht­spre­chung des Ers­ten Se­nats des Bun­des­ar­beits­ge­richts, der in sei­nem Ur­teil vom 18. De­zem­ber 1984 (- 1 AZR 588/82 - BA­GE 47, 343, 348 ff.) die An­wend­bar­keit ta­rif­ver­trag­li­cher Aus­schlußfris­ten auf die Gel­tend­ma­chung von Kon­kurs­for­de­run­gen durch die Ar­beit­neh­mer ver­neint hat. Da­zu kommt, daß die Vorgänger­vor­schrif­ten von § 146 In­sO, nämlich § 41 Abs. 1 KO und § 10 Abs. 2 Ge­sO, als Aus­schlußfris­ten aus­ge­stal­tet wa­ren. Als sol­che gin­gen sie ta­rif­li­chen Aus­schlußfris­ten vor (vgl. auch LAG Hamm 26. No­vem­ber 1997 - 14 Sa 1240/97 - ZIP 1998, 920). Es gibt kei­ner­lei An­halts­punk­te dafür, daß der Ge­setz­ge­ber dar­an et­was ändern woll­te, in­dem er mit § 146 Ins° zu ei­ner Verjährungs­frist über­ging. So­weit sich der Be­klag­te dem­ge­genüber auf das Ur­teil des Ach­ten Se­nats des Bun­des­ar­beits­ge­richts vom 10. Ok­to­ber 2002 (- 8 AZR 8/02 - AP TVG § 4 Aus­schlußfris­ten Nr. 169 = EzA TVG § 4 Aus­schlußfris­ten Nr. 158, auch zur Veröffent­li­chung in der Amt­li­chen Samm­lung vor­ge­se­hen) be­ruft, ist dies nicht ge­eig­net, ein ab­wei­chen­des Er­geb­nis zu be­gründen, weil die­ses Ur­teil sich nicht auf ge­setz­li­che Schuld­verhält­nis­se be­zieht, die die In­sol­venz­ord­nung zwi­schen Gläubi­gern und dem In­sol­venz­ver­wal­ter nor­miert, oh­ne daß der In­sol­venz­ver­wal­ter ge­ra­de auch in sei­ner Ar­beit­ge­ber­funk­ti­on und die Gläubi­ger ge­ra­de auch als Ar­beit­neh­mer Nor­madres­sa­ten sind.

4. Der strei­ti­ge An­spruch ist schließlich auch nicht ver­wirkt. An­ge­sichts des Schrei­bens der Kläge­rin vom 5. Au­gust 1999 mit der Auf­for­de­rung an den Be­klag­ten, die Rech­te aus dem Ver­si­che­rungs­ver­trag zurück­zuüber­tra­gen, fehlt es so­wohl am er­for­der­li­chen Zeit­mo­ment als auch am Um­stands­mo­ment.

C. Die Kos­ten­ent­schei­dung er­gibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Dr. Frei­tag 

Fi­scher­mei­er 

Mar­quardt

Her­mann 

Kay Ohl

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