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BAG, Ur­teil vom 12.09.2013, 6 AZR 121/12

   
Schlagworte: Anhörung des Betriebsrats, Probezeit, Kündigung: Probezeit, Wartezeit
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 6 AZR 121/12
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 12.09.2013
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Wuppertal, Urteil vom 12.5.2011 - 6 Ca 166/11
Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 22.11.2011 - 17 Sa 961/11
   


BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT

6 AZR 121/12
17 Sa 961/11
Lan­des­ar­beits­ge­richt

Düssel­dorf

Verkündet am
12. Sep­tem­ber 2013

Gaßmann, Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le 

Im Na­men des Vol­kes!

UR­TEIL

Das Ur­teil wur­de durch Be­schluss des Bun­des­ar­beits­ge­richts vom 13. Ja­nu­ar 2014 - 6 AZR 121/12 - be­rich­tigt. Bun­des­ar­beits­ge­richt Er­furt, 15.1.2014 Batzk, RAF als Ur­kunds­be­am­tin der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Be­klag­te zu 3., Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­onskläge­rin,

pp.

Kläge­rin, Be­ru­fungskläge­rin und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

hat der Sechs­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 12. Sep­tem­ber 2013 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Fi­scher­mei­er, die Rich­te­rin­nen am Bun­des­ar­beits­ge­richt Gall­ner und Spel­ge so­wie den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Dr. Wol­lensak und die eh­ren­amt­li­che Rich­te­rin Lo­renz für Recht er­kannt:
 


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1. Auf die Re­vi­si­on der Be­klag­ten wird das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Düssel­dorf vom 22. No­vem­ber 2011 - 17 Sa 961/11 - auf­ge­ho­ben.


2. Die Be­ru­fung der Kläge­rin ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Wup­per­tal vom 12. Mai 2011 - 6 Ca 166/11 - wird zurück­ge­wie­sen.


3. Die Kläge­rin hat die Kos­ten der Be­ru­fung und der Re­vi­si­on zu tra­gen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten noch darüber, ob der Be­triebs­rat vor ei­ner in der ge­setz­li­chen War­te­zeit erklärten or­dent­li­chen Kündi­gung ord­nungs­gemäß an­gehört wor­den ist.


Die Kläge­rin war seit dem 1. Ju­li 2010 bei der Be­klag­ten (vor­mals: Be­klag­te zu 3.) beschäftigt. In § 2 des Ar­beits­ver­trags ist ei­ne Pro­be­zeit bis zum 31. De­zem­ber 2010 mit ei­ner Kündi­gungs­frist von zwei Wo­chen zum 15. des Mo­nats bzw. zum Mo­nats­en­de ver­ein­bart. Die Be­klag­te ist ein Ver­sor­gungs­dienst­leis­ter mit Sitz in P, der Trans­port- und Ser­vice­leis­tun­gen im Ge­sund­heits­we­sen an­bie­tet. Die Kläge­rin wur­de als Mit­ar­bei­te­rin im Be­reich Lo­gis­tik und Haus­ser­vice im Kli­nik­ver­bund der frühe­ren Be­klag­ten zu 1. in W ein­ge­setzt, die den Hol- und Bring­dienst mit Wir­kung zum 1. Ju­li 2010 an die Be­klag­te fremd­ver­ge­ben hat­te, statt ihn wie bis­her im Ver­bund mit der frühe­ren Be­klag­ten zu 2., bei der die Kläge­rin bis zum 30. Ju­ni 2010 beschäftigt war, zu er­brin­gen. Es ist rechts­kräftig fest­ge­stellt bzw. un­strei­tig, dass zwi­schen der frühe­ren Be­klag­ten zu 1. und der Kläge­rin kein Ar­beits­verhält­nis be­stand, kein Be­triebsüber­gang auf die Be­klag­te er­folgt ist und das Ar­beits­verhält­nis der Kläge­rin mit der frühe­ren Be­klag­ten zu 2. zum 30. Ju­ni 2010 wirk­sam be­en­det wor­den ist.


Die Be­klag­te hörte mit Schrei­ben vom 14. De­zem­ber 2010 den an ih­rem Sitz ge­bil­de­ten Be­triebs­rat vor­sorg­lich und „oh­ne ei­ne Präju­di­zie­rung, ob
 


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ei­ne Zuständig­keit des Be­triebs­rats für die Be­triebsstätte W vor­liegt“ zur be­ab­sich­tig­ten Kündi­gung der Kläge­rin an. Ne­ben den So­zi­al­da­ten der Kläge­rin, ih­rem Ein­tritts­da­tum und Beschäfti­gungs­ort teil­te die Be­klag­te dem Be­triebs­rat mit, sie be­ab­sich­ti­ge, das Ar­beits­verhält­nis vor Ab­lauf des 31. De­zem­ber 2010 or­dent­lich frist­ge­recht un­ter Ein­hal­tung der Kündi­gungs­frist von 14 Ta­gen zu kündi­gen. Wei­ter heißt es in dem Anhörungs­schrei­ben:


„Auf das Ar­beits­verhält­nis fin­det das KSchG noch kei­ne An­wen­dung, es wur­de zu­dem ei­ne sechs­mo­na­ti­ge Pro­be-zeit ver­ein­bart. Ei­ne Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses ist nicht in un­se­rem In­ter­es­se.

...“

Mit Schrei­ben vom 22. De­zem­ber 2010 wi­der­sprach der Be­triebs­rat der be­ab­sich­tig­ten Kündi­gung, weil ihm kein Kündi­gungs­grund ge­nannt wor­den sei. Er könne nicht nach­voll­zie­hen, ob es sich um ei­ne be­triebs­be­ding­te, per­so­nen­be­ding­te oder ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung han­de­le und ob so­zia­le As­pek­te hin­rei­chend berück­sich­tigt wor­den sei­en. Die Be­klag­te kündig­te das Ar­beits­verhält­nis mit Schrei­ben vom 28. De­zem­ber 2010 zum 15. Ja­nu­ar 2011.

Die Kläge­rin hat - so­weit für die Re­vi­si­ons­in­stanz von Be­deu­tung - mit ih­rer am 18. Ja­nu­ar 2011 er­ho­be­nen Kla­ge gel­tend ge­macht, die Be­klag­te ha­be den Be­triebs­rat nicht aus­rei­chend in­for­miert. Die Be­klag­te ha­be im Ver­lauf des Rechts­streits vor­ge­tra­gen, ihr Kündi­gungs­ent­schluss be­ru­he auf der Würdi­gung kon­kre­ter, ob­jek­ti­ver Tat­sa­chen. Die­se ha­be sie dem Be­triebs­rat mit­tei­len müssen.


Die Kläge­rin hat zu­letzt be­an­tragt 


1. fest­zu­stel­len, dass das zwi­schen der Kläge­rin und der Be­klag­ten be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis durch die Kündi­gung der Be­klag­ten vom 28. De­zem­ber 2010 nicht auf­gelöst wird;


2. die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, die Kläge­rin über den 15. Ja­nu­ar 2011 hin­aus ent­spre­chend dem Ar­beits­ver­trag vom 23. Ju­ni 2010 zu un­veränder­ten Be­din­gun­gen als Mit­ar­bei­te­rin für den Be­reich Lo­gis­tik und Haus­ser­vice ge­gen Zah­lung ei­ner Brut­to­mo­nats­vergütung von 1.850,00 Eu­ro, be­zo­gen auf ei­ne 40-St­un­den­wo­che, bis zur rechts­kräfti­gen Ent­schei­dung
 


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über den Kündi­gungs­schutz­an­trag wei­ter­zu­beschäfti­gen.


Die Be­klag­te hat ih­ren Kla­ge­ab­wei­sungs­an­trag da­mit be­gründet, dass sich die Kläge­rin in­ner­halb der Pro­be­zeit nicht für die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses qua­li­fi­ziert ha­be. Sie hat im Ein­zel­nen an­geführt, wor­auf sie die­se Einschätzung stützt, und dies mit kon­kre­ten Bei­spie­len be­legt. Die­se Wahr­neh­mun­gen sei­en je­doch nur Vorüber­le­gun­gen bei ih­rer Be­ur­tei­lung, ob sich die Kläge­rin bewährt ha­be, ge­we­sen. Im Er­geb­nis ha­be die Be­klag­te das ver­neint. Die­sen Schluss ha­be sie an­sch­ließend ih­rer Abwägung zu­grun­de ge­legt, ob sie das Ri­si­ko ein­ge­hen wol­le, die Kläge­rin nach Ab­lauf der War­te­zeit in ein kündi­gungs­geschütz­tes Ar­beits­verhält­nis zu über­neh­men, und sie sei zu der Ent­schei­dung ge­langt, dass ei­ne Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses über die War­te­zeit hin­weg nicht ih­rem un­ter­neh­me­ri­schen In­ter­es­se ent­spro­chen ha­be. Mit der Kund­ga­be ih­res Abwägungs­er­geb­nis­ses, die Kläge­rin nicht wei­ter­beschäfti­gen zu wol­len, das sub­jek­tiv das un­mit­tel­ba­re Kündi­gungs­mo­tiv ge­we­sen sei, ha­be sie den Be­triebs­rat ord­nungs­gemäß un­ter­rich­tet.

Das Ar­beits­ge­richt hat - so­weit für das Re­vi­si­ons­ver­fah­ren von In­ter­es­se - die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat auf die Be­ru­fung der Kläge­rin der Kla­ge im noch rechtshängi­gen Um­fang statt­ge­ge­ben. Mit ih­rer vom Lan­des­ar­beits­ge­richt zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on ver­folgt die Be­klag­te ihr Ziel der Kla­ge­ab­wei­sung wei­ter.

Ent­schei­dungs­gründe


Die Re­vi­si­on der Be­klag­ten ist be­gründet. Das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en ist durch die Kündi­gung der Be­klag­ten vom 28. De­zem­ber 2010 mit dem 15. Ja­nu­ar 2011 be­en­det wor­den. Ent­ge­gen der An­sicht des Lan­des­ar­beits­ge­richts ist die Kündi­gung nicht nach § 102 Abs. 1 Satz 3 Be­trVG un­wirk­sam. An­de­re Un­wirk­sam­keits­gründe macht die Kläge­rin nicht mehr gel­tend. Der Wei­ter­beschäfti­gungs­an­trag fällt nicht zur Ent­schei­dung an.
 


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I. Die Re­vi­si­on rügt al­ler­dings oh­ne Er­folg, das Lan­des­ar­beits­ge­richt ha­be sei­ne Prüfungs­kom­pe­tenz über­schrit­ten. Es sei nicht be­fugt ge­we­sen, sei­ne Aus­le­gung des un­be­stimm­ten Rechts­be­griffs „ord­nungs­gemäße Anhörung“ an die Stel­le der Aus­le­gung die­ses Be­griffs durch das Ar­beits­ge­richt zu set­zen.

1. Die Re­vi­si­on geht be­reits von ei­nem un­zu­tref­fen­den Aus­gangs­punkt aus, wenn sie an­nimmt, es ge­he bei der Fra­ge, ob der Be­triebs­rat „ord­nungs­gemäß an­gehört“ wor­den sei, um die Aus­le­gung ei­nes un­be­stimm­ten Rechts­be­griffs. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat viel­mehr im We­ge der Rechts­feh­ler­kon­trol­le zu prüfen, ob die Vor­in­stanz die Be­stim­mung des § 102 Be­trVG rechts­feh­ler­frei an­ge­wandt hat. Gemäß § 529 Abs. 2 Satz 2 ZPO un­ter­liegt das mit ei­ner zulässi­gen Be­ru­fung an­ge­foch­te­ne Ur­teil, von den in § 529 Abs. 2 Satz 1 ZPO und § 65 ArbGG ge­nann­ten, hier nicht ein­schlägi­gen Aus­nah­men ab­ge­se­hen, der in­halt­lich un­be­schränk­ten, nicht an die gel­tend ge­mach­ten Be­ru­fungs­gründe ge­bun­de­nen Über­prüfung auf Feh­ler bei der An­wen­dung for­mel­len und ma­te­ri­el­len Rechts durch das Lan­des­ar­beits­ge­richt. Das Be­ru­fungs­ge­richt hat in­so­weit den Pro­zess­stoff selbstständig nach al­len Rich­tun­gen von Neu­em zu prüfen, oh­ne da­bei an die recht­li­chen Ge­sichts­punk­te und Be­ur­tei­lun­gen der Par­tei­en oder der Vor­in­stanz ge­bun­den zu sein. Ins­be­son­de­re hat es al­le in Be­tracht kom­men­den An­spruchs­grund­la­gen zu prüfen (vgl. BGH 25. Ja­nu­ar 2005 - XI ZR 78/04 - zu II 2 der Gründe).

2. Die Re­vi­si­on miss­ver­steht zu­dem die Funk­ti­on des Be­ru­fungs­ver­fah­rens, wenn sie an­nimmt, bei der Über­prüfung der Aus­le­gung un­be­stimm­ter Rechts­be­grif­fe durch das Ar­beits­ge­richt kom­me dem Lan­des­ar­beits­ge­richt nur ei­ne be­grenz­te Prüfungs­kom­pe­tenz zu, die der des Re­vi­si­ons­ge­richts ent­spre­che. Zu Un­recht fol­gert die Re­vi­si­on dies aus dem Ver­weis auf § 546 ZPO in § 513 Abs. 1 ZPO. Bei die­ser Ar­gu­men­ta­ti­on berück­sich­tigt sie nicht, dass das Lan­des­ar­beits­ge­richt wei­ter­hin (auch) Tat­sa­chen­ge­richt ist.


a) Durch das Ge­setz zur Re­form des Zi­vil­pro­zes­ses (Zi­vil­pro­zess-Re­form­ge­setz - ZPO-RG) vom 27. Ju­li 2001 (BGBl. I S. 1887) ist die Be­ru­fungs­in­stanz zwar zu ei­nem In­stru­ment zur Kon­trol­le und Be­sei­ti­gung von Feh­lern der erst­in­stanz­li­chen Ent­schei­dung um­ge­stal­tet wor­den (BGH 14. Ju­li

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2004 - VIII ZR 164/03 - zu II 1 der Gründe, BGHZ 160, 83). An­ders als im Re­vi­si­ons­ver­fah­ren ist das an­ge­foch­te­ne Ur­teil im Be­ru­fungs­ver­fah­ren aber nicht nur auf Rechts­feh­ler hin zu über­prüfen. Viel­mehr gehört es gemäß § 513 Abs. 1 Alt. 2 ZPO, der über die Ver­wei­sung in § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG auch im ar­beits­ge­richt­li­chen Be­ru­fungs­ver­fah­ren An­wen­dung fin­det (ErfK/Koch 13. Aufl. § 66 ArbGG Rn. 26), zu den Auf­ga­ben des Be­ru­fungs­ge­richts, das Ur­teil der Vor­in­stanz auch auf kon­kre­te An­halts­punk­te für Zwei­fel hin­sicht­lich der Rich­tig­keit und Vollständig­keit der ge­trof­fe­nen Tat­sa­chen­fest­stel­lun­gen zu prüfen und et­wai­ge Feh­ler zu be­sei­ti­gen (BGH 12. März 2004 - V ZR 257/03 - zu II 2 b aa (3) der Gründe, BGHZ 158, 269). Es dient in­so­weit auch der Kon­trol­le und Kor­rek­tur feh­ler­haf­ter Tat­sa­chen­fest­stel­lun­gen (BGH 19. März 2004 - V ZR 104/03 - zu II 2 d bb (3) (a) der Gründe, BGHZ 158, 295).

b) Das Be­ru­fungs­ge­richt kann sei­ne mit der Ein­rich­tung ei­ner zwei­ten - wenn auch be­schränk­ten - Tat­sa­chen­in­stanz ver­bun­de­ne Funk­ti­on, die Ein­zel­fall­ge­rech­tig­keit zu gewähr­leis­ten, nur erfüllen, wenn es die recht­li­che Tat­sa­chenwürdi­gung der Vor­in­stanz zu­min­dest im sel­ben Um­fang zu über­prüfen hat, in dem auch die zu­grun­de lie­gen­den Tat­sa­chen­fest­stel­lun­gen über­prüft wer­den dürfen. Des­halb ist un­ge­ach­tet der Be­zug­nah­me in § 513 Abs. 1 ZPO auf die re­vi­si­ons­recht­li­che Be­stim­mung des § 546 ZPO die Prüfungs­be­fug­nis des Be­ru­fungs­ge­richts bezüglich der erst­in­stanz­li­chen Aus­le­gung von In­di­vi­du­al­ver­ein­ba­run­gen und un­be­stimm­ten Rechts­be­grif­fen nicht in glei­chem Um­fang wie die des Re­vi­si­ons­ge­richts be­schränkt (aA Holt­haus/Koch RdA 2002, 140, 154; ErfK/Koch 13. Aufl. § 66 ArbGG Rn. 28). Viel­mehr hat das Be­ru­fungs­ge­richt die erst­in­stanz­li­che Aus­le­gung sol­cher Ver­ein­ba­run­gen und Rechts­be­grif­fe in vol­lem Um­fang dar­auf zu über­prüfen, ob die Aus­le­gung über­zeugt. In­so­weit ha­ben Be­ru­fungs- und Re­vi­si­ons­ge­rich­te auch nach der Re­form des Rechts­mit­tel­rechts wei­ter­hin un­ter­schied­li­che Funk­tio­nen. Die Be­schränkung des re­vi­si­ons­recht­li­chen Prüfungs­um­fangs be­ruht auf der Funk­ti­on der Re­vi­si­on, die Klärung grundsätz­li­cher Rechts­fra­gen, die Fort­bil­dung des Rechts und die Wah­rung der Rechts­ein­heit zu fördern. Auf­grund die­ser sog. „Leit­bild­funk­ti­on“ der re­vi­si­ons­ge­richt­li­chen Ent­schei­dung für zukünf­ti­ge Fälle wer­den nur die ver­all­ge­mei­ne­rungsfähi­gen As­pek­te der Aus­le­gung von In­di­vi­du­al­ver­ein­ba­run­gen


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und un­be­stimm­ten Rechts­be­grif­fen in die re­vi­si­ons­ge­richt­li­che Über­prüfung ein­be­zo­gen. Die­se Leit­bild­funk­ti­on und die dar­aus ab­zu­lei­ten­de Recht­fer­ti­gung für die ein­ge­schränk­te Über­prüfung der Aus­le­gung von In­di­vi­du­al­ver­ein­ba­run­gen und un­be­stimm­ten Rechts­be­grif­fen im Re­vi­si­ons­ver­fah­ren sind auf das Be­ru­fungs­ver­fah­ren auch nach des­sen Um­ge­stal­tung nicht zu über­tra­gen (BGH 14. Ju­li 2004 - VIII ZR 164/03 - zu II 1 a bb und II 1 b aa und bb der Gründe, BGHZ 160, 83; Düwell/Lip­ke/Maul-Sar­t­ori ArbGG 3. Aufl. § 64 Rn. 86; im Er­geb­nis wohl auch GMP/Ger­mel­mann 8. Aufl. § 64 Rn. 74, der dar­auf hin­weist, dass im ar­beits­ge­richt­li­chen Be­ru­fungs­ver­fah­ren gemäß § 67 ArbGG im stärke­ren Um­fang als im Zi­vil­ver­fah­ren neue Tat­sa­chen berück­sich­tigt wer­den können).


II. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat zu Un­recht die Kündi­gung vom 28. De­zem­ber 2010 gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 Be­trVG als un­wirk­sam an­ge­se­hen.


1. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat nicht auf­geklärt, ob der am Sitz der Be­klag­ten in P ge­bil­de­te Be­triebs­rat für die in W beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer zuständig war. Nur wenn das der Fall ge­we­sen wäre, könn­te die streit­be­fan­ge­ne Kündi­gung we­gen der Ver­let­zung der Pflich­ten der Be­klag­ten aus § 102 Be­trVG un­wirk­sam sein (vgl. BAG 8. Ja­nu­ar 1980 - 6 AZR 659/77 - zu II 1 der Gründe). Es kann je­doch zu­guns­ten der Kläge­rin un­ter­stellt wer­den, dass der Be­triebs­rat am Sitz der Be­klag­ten vor der Kündi­gung der Kläge­rin an­zuhören war.


2. Die Anhörung des Be­triebs­rats vom 14. De­zem­ber 2010 genügt den An­for­de­run­gen des § 102 Abs. 1 Be­trVG.

a) Die Kündi­gung ist un­strei­tig in der ge­setz­li­chen War­te­zeit des § 1 KSchG er­folgt.


b) Auch in der ge­setz­li­chen War­te­zeit ist nach ständi­ger Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts (seit Ur­teil vom 13. Ja­nu­ar 1978 - 2 AZR 717/76 - zu III 1 der Gründe, BA­GE 30, 386) der Be­triebs­rat vor der be­ab­sich­tig­ten Kündi­gung zu hören. Dies folgt schon aus dem Wort­laut des § 102 Abs. 1 Satz 1



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Be­trVG, wo­nach der Be­triebs­rat „vor je­der Kündi­gung“ zu hören ist. Auch wenn ein in­di­vi­du­al-recht­li­cher Kündi­gungs­schutz nicht oder noch nicht be­steht, soll der Be­triebs­rat in die La­ge ver­setzt wer­den, auf den Ar­beit­ge­ber ein­zu­wir­ken, um ihn ggf. mit bes­se­ren Ar­gu­men­ten von sei­nem Kündi­gungs­ent­schluss ab­zu­brin­gen. Dafür muss der Be­triebs­rat die Gründe ken­nen, die den Ar­beit­ge­ber zur Kündi­gung ver­an­las­sen (BAG 3. De­zem­ber 1998 - 2 AZR 234/98 - zu II 1 der Gründe).


c) Bei ei­ner Kündi­gung in der War­te­zeit ist die Sub­stan­ti­ie­rungs­pflicht nicht an den ob­jek­ti­ven Merk­ma­len der Kündi­gungs­gründe des noch nicht an­wend­ba­ren § 1 KSchG, son­dern al­lein an den Umständen zu mes­sen, aus de­nen der Ar­beit­ge­ber sub­jek­tiv sei­nen Kündi­gungs­ent­schluss her­lei­tet (BAG 22. April 2010 - 6 AZR 828/08 - Rn. 26). Dies folgt aus dem Grund­satz der sub­jek­ti­ven De­ter­mi­na­ti­on.


aa) Nach die­sem Grund­satz ist der Be­triebs­rat im­mer dann ord­nungs­gemäß an­gehört, wenn der Ar­beit­ge­ber ihm die Gründe mit­ge­teilt hat, die nach sei­ner sub­jek­ti­ven Sicht die Kündi­gung recht­fer­ti­gen und die für sei­nen Kündi­gungs­ent­schluss maßgeb­lich sind. Die­sen Kündi­gungs­ent­schluss hat er re­gelmäßig un­ter An­ga­be von Tat­sa­chen so zu be­schrei­ben, dass der Be­triebs­rat oh­ne zusätz­li­che ei­ge­ne Nach­for­schun­gen die Stich­hal­tig­keit der Kündi­gungs­gründe prüfen kann (BAG 23. Fe­bru­ar 2012 - 2 AZR 773/10 - Rn. 30). Schil­dert der Ar­beit­ge­ber dem Be­triebs­rat den sei­ner Kündi­gungs­ent­schei­dung zu­grun­de lie­gen­den Sach­ver­halt be­wusst ir­reführend, ist die Anhörung un­zu­rei­chend, die Kündi­gung des­halb un­wirk­sam. Ei­ne ver­meid­ba­re oder un­be­wuss­te Fehl­in­for­ma­ti­on macht die Be­triebs­rats­anhörung da­ge­gen noch nicht un­wirk­sam (vgl. BAG 22. Sep­tem­ber 1994 - 2 AZR 31/94 - zu II 3 der Gründe, BA­GE 78, 39).


bb) Hin­sicht­lich der An­for­de­run­gen, die an die In­for­ma­ti­on des Be­triebs­rats durch den Ar­beit­ge­ber bei War­te­zeitkündi­gun­gen zu stel­len sind, ist des­halb zwi­schen Kündi­gun­gen, die auf sub­stan­ti­ier­ba­re Tat­sa­chen gestützt wer­den (vgl. BAG 8. Sep­tem­ber 1988 - 2 AZR 103/88 - zu II 3 b aa der Gründe, BA­GE 59, 295) und Kündi­gun­gen, die auf per­so­nen­be­zo­ge­nen Wert­ur­tei­len be­ru­hen, die sich in vie­len Fällen durch Tat­sa­chen nicht näher be­le­gen las­sen
 


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(BAG 18. Mai 1994 - 2 AZR 920/93 - zu II 4 a der Gründe, BA­GE 77, 13), zu dif­fe­ren­zie­ren. In der ers­ten Kon­stel­la­ti­on genügt die Anhörung den An­for­de­run­gen des § 102 Be­trVG nur, wenn dem Be­triebs­rat die zu­grun­de lie­gen­den Tat­sa­chen bzw. Aus­gangs­grund­la­gen mit­ge­teilt wer­den. In der zwei­ten Kon­stel­la­ti­on reicht die Mit­tei­lung al­lein des Wert­ur­teils für ei­ne ord­nungs­gemäße Be­triebs­rats­anhörung aus. Der Ar­beit­ge­ber ist in die­sem Fall nicht ver­pflich­tet, im Rah­men des Anhörungs­ver­fah­rens nach § 102 Be­trVG sein Wert­ur­teil ge­genüber der Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tung zu sub­stan­ti­ie­ren oder zu be­gründen. Dar­um genügten die Mit­tei­lun­gen, die Ar­beit­neh­me­rin ha­be sich „während der Pro­be­zeit nicht bewährt“ und sei „nicht ge­eig­net, die ihr über­tra­ge­nen Auf­ga­ben ord­nungs­gemäß zu erfüllen“ (BAG 22. April 2010 - 6 AZR 828/08 - Rn. 26 f.), „nach un­se­rer all­ge­mei­nen, sub­jek­ti­ven Einschätzung genügt die Ar­beit­neh­me­rin un­se­ren An­for­de­run­gen nicht“ (BAG 3. De­zem­ber 1998 - 2 AZR 234/98 -) oder der Ar­beit­neh­mer ha­be die „in ihn ge­setz­ten Er­war­tun­gen nicht erfüllt“ (BAG 18. Mai 1994 - 2 AZR 920/93 - aaO) je­weils den An­for­de­run­gen an ei­ne ord­nungs­gemäße Anhörung des Be­triebs­rats.


d) Lie­gen dem sub­jek­ti­ven Wert­ur­teil des Ar­beit­ge­bers, das Ar­beits­verhält­nis nicht über die War­te­zeit hin­aus fort­set­zen zu wol­len, nach Zeit, Ort und Umständen kon­kre­ti­sier­ba­re Tat­sa­chen­ele­men­te zu­grun­de, muss der Ar­beit­ge­ber den Be­triebs­rat über die­sen Tat­sa­chen­kern bzw. die An­satz­punk­te sei­nes sub­jek­ti­ven Wert­ur­teils nicht in­for­mie­ren. Es genügt für ei­ne ord­nungs­gemäße Anhörung, wenn er al­lein das Wert­ur­teil selbst als das Er­geb­nis sei­nes Ent­schei­dungs­pro­zes­ses mit­teilt. Die­se Aus­le­gung der Pflich­ten des Ar­beit­ge­bers im Anhörungs­ver­fah­ren nach § 102 Be­trVG bei Kündi­gun­gen in­ner­halb der War­te­zeit, die auf sub­jek­ti­ve Wert­ur­tei­le gestützt wer­den, ist Kon­se­quenz des Grund­sat­zes der sub­jek­ti­ven De­ter­mi­na­ti­on. Sie ko­or­di­niert den for­mel­len Kündi­gungs­schutz nach § 102 Be­trVG mit dem ma­te­ri­el­len Kündi­gungs­schutz des Ar­beit­neh­mers während der War­te­zeit in ei­ner Wei­se, die so­wohl den (Grund-)Rech­ten des Ar­beit­neh­mers als auch des Ar­beit­ge­bers so­wie dem Zweck des Anhörungs­ver­fah­rens Rech­nung trägt und die­se wech­sel­sei­ti­gen Rech­te und In­ter­es­sen zum Aus­gleich bringt.


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aa) Die War­te­zeit dient der bei­der­sei­ti­gen Über­prüfung der Ar­beits­ver­trags­par­tei­en, ob sie das Ar­beits­verhält­nis über die War­te­zeit hin­aus fort­set­zen wol­len (BAG 22. April 2010 - 6 AZR 828/08 - Rn. 26). In der War­te­zeit be­steht Kündi­gungs­frei­heit auch des Ar­beit­ge­bers. Die­se Frei­heit ist durch Art. 12 Abs. 1 GG bzw. durch die wirt­schaft­li­che Betäti­gungs­frei­heit iSv. Art. 2 Abs. 1 GG geschützt. Die grund­recht­li­che Gewähr­leis­tung er­streckt sich auch auf das In­ter­es­se des Ar­beit­ge­bers, in sei­nem Un­ter­neh­men nur Mit­ar­bei­ter zu beschäfti­gen, die sei­nen Vor­stel­lun­gen ent­spre­chen (BVerfG 27. Ja­nu­ar 1998 - 1 BvL 15/87 - zu B I 3 a der Gründe, BVerfGE 97, 169; vgl. auch 21. Ju­ni 2006 - 1 BvR 1659/04 - Rn. 13, BVerfGK 8, 244). In der ge­setz­li­chen War­te­zeit un­ter­liegt die Bil­dung der Mei­nung des Ar­beit­ge­bers, ob ein Ar­beit­neh­mer sei­nen Vor­stel­lun­gen ent­spricht, von Miss­brauchsfällen ab­ge­se­hen kei­ner Über­prüfung nach ob­jek­ti­ven Maßstäben. Kommt der Ar­beit­ge­ber bei die­ser Prüfung zu ei­nem ne­ga­ti­ven Er­geb­nis, kann er das Ar­beits­verhält­nis grundsätz­lich frei kündi­gen, oh­ne auf ent­ge­gen­ste­hen­de In­ter­es­sen des Ar­beit­neh­mers Rück­sicht neh­men zu müssen (BAG 23. April 2009 - 6 AZR 516/08 - Rn. 23, BA­GE 130, 369). Die während der War­te­zeit grundsätz­lich be­ste­hen­de Kündi­gungs­frei­heit des Ar­beit­ge­bers ist das Ge­gen­ge­wicht zu dem im Gel­tungs­be­reich des Kündi­gungs­schutz­ge­set­zes ent­ste­hen­den ma­te­ri­el­len Kündi­gungs­schutz, der die Kündi­gungs­frei­heit des Ar­beit­ge­bers nicht un­er­heb­lich be­schnei­det.


(1) In­so­weit ist die kündi­gungs­recht­li­che Aus­gangs­si­tua­ti­on ver­gleich­bar mit der frei­en un­ter­neh­me­ri­schen Ent­schei­dung, die ei­ner be­triebs­be­ding­ten Kündi­gung zu­grun­de liegt. Kündi­gungs­grund ist die ge­trof­fe­ne un­ter­neh­me­ri­sche Ent­schei­dung und sind nicht die die­ser Ent­schei­dung zu­grun­de lie­gen­den Erwägun­gen (vgl. Ha­Ko/Näge­le 4. Aufl. § 102 Be­trVG Rn. 105). Be­ruht die­se Ent­schei­dung auf in­ner­be­trieb­li­chen Gründen, müssen dem Be­triebs­rat nur die nach die­ser frei­en un­ter­neh­me­ri­schen Ent­schei­dung be­ab­sich­tig­ten or­ga­ni­sa­to­ri­schen Maßnah­men als der ei­gent­li­che Kündi­gungs­grund so­wie de­ren Aus­wir­kun­gen auf das Beschäfti­gungs­bedürf­nis dar­ge­stellt wer­den (vgl. KR/Et­zel 10. Aufl. § 102 Be­trVG Rn. 62d). Die Erläute­rung der die­ser Ent­schei­dung zu­grun­de lie­gen­den Hin­ter­gründe, Mo­ti­ve oder Vorüber­le­gun­gen ist da­ge­gen nicht



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er­for­der­lich (vgl. BAG 21. Sep­tem­ber 2000 - 2 AZR 385/99 - zu B II 3 b der Gründe; APS/Koch 4. Aufl. § 102 Be­trVG Rn. 109a).


(2) Der erst nach Ab­lauf der War­te­zeit ein­tre­ten­de Kündi­gungs­schutz darf durch die An­for­de­run­gen, die an ei­ne Anhörung nach § 102 Be­trVG ge­stellt wer­den, nicht vor­ver­la­gert wer­den. Ei­ne Ver­men­gung der for­mel­len Wirk­sam­keits­vor­aus­set­zun­gen der Anhörung mit der Über­prüfung der Kündi­gungs­gründe auf­grund der Pro­zess­si­tua­ti­on be­zweckt § 102 Be­trVG nicht (BAG 26. Ja­nu­ar 1995 - 2 AZR 386/94 - zu II 2 a der Gründe). Die for­mel­len An­for­de­run­gen an die Un­ter­rich­tung des Be­triebs­rats sind des­halb an dem Schutz­ni­veau des ma­te­ri­ell-recht­li­chen Kündi­gungs­schut­zes des Ar­beit­neh­mers in der War­te­zeit zu mes­sen (vgl. BAG 22. April 2010 - 6 AZR 828/08 - Rn. 26; Ti­ling ZTR 2012, 554, 556 nimmt zu Un­recht an, dass die Feh­ler­anfällig­keit der War­te­zeitkündi­gung ins­be­son­de­re dar­auf be­ru­he, dass das ver­fah­rens­recht­li­che Schutz­ni­veau höher sei als das ma­te­ri­ell-recht­li­che).


(3) Dem­ent­spre­chend ist dem Be­triebs­rat bei ei­ner auf ei­nem sub­jek­ti­ven Wert­ur­teil be­ru­hen­den Kündi­gung in der War­te­zeit nur die­ses Wert­ur­teil als der ei­gent­li­che Kündi­gungs­grund mit­zu­tei­len. Die dem Ur­teil zu­grun­de lie­gen­den Erwägun­gen bzw. An­satz­punk­te müssen auch dann nicht mit­ge­teilt wer­den, wenn sie ei­nen sub­stan­ti­ier­ba­ren Tat­sa­chen­kern ha­ben (vgl. be­reits BAG 18. Mai 1994 - 2 AZR 920/93 - zu II 4 a der Gründe, BA­GE 77, 13). Et­was an­de­res gilt nur dann, wenn in Wirk­lich­keit nicht das Wert­ur­teil, son­dern be­stimm­te kon­kre­te Ver­hal­tens­wei­sen oder Tat­sa­chen den ei­gent­li­chen Kündi­gungs­grund bil­den.


(a) Wert­ur­tei­le sind in ei­ner Viel­zahl von Fällen durch Tat­sa­chen nicht be­leg­bar (vgl. BAG 18. Mai 1994 - 2 AZR 920/93 - zu II 4 a der Gründe, BA­GE 77, 13). Des­halb kann vom Ar­beit­ge­ber nicht ver­langt wer­den, sein Wert­ur­teil ge­genüber dem Be­triebs­rat zu sub­stan­ti­ie­ren oder zu be­gründen, wenn er die Kündi­gungs­ent­schei­dung le­dig­lich auf ein sub­jek­ti­ves, nicht durch ob­jek­ti­vier­ba­re Tat­sa­chen be­gründ­ba­res Wert­ur­teil stützt (vgl. BAG 22. April 2010 - 6 AZR 828/08 - Rn. 26).


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(b) Gleich­wohl wer­den Wert­ur­tei­le in al­ler Re­gel nicht aus dem bzw. im luft­lee­ren Raum ge­trof­fen. Sie be­ru­hen viel­fach auf ei­ner Viel­zahl klei­ne­rer Be­ob­ach­tun­gen, Vorfälle oder Ver­hal­tens­wei­sen und da­mit auf mehr oder min­der fun­dier­ten, ob­jek­ti­ven Tat­sa­chen, die der Ar­beit­ge­ber oft nicht ab­sch­ließend re­flek­tie­ren kann und will und die oft auch nicht ob­jek­ti­vier­bar sind. Gleich­wohl ver­mit­teln die­se Umstände in ih­rer Ge­samt­heit dem Ar­beit­ge­ber bzw. dem zuständi­gen Vor­ge­setz­ten das Gefühl, dass ei­ne Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses nicht sinn­voll er­scheint, son­dern der Ar­beit­ge­ber von sei­ner Kündi­gungs­frei­heit Ge­brauch ma­chen will (auf die­ses Gefühl ab­stel­lend be­reits BAG 3. De­zem­ber 1998 - 2 AZR 234/98 - zu II 1 der Gründe). Die­ses Gefühl ma­ni­fes­tiert sich dann in ei­nem Wert­ur­teil, et­wa „der Ar­beit­neh­mer ist un­ge­eig­net“ oder „der Ar­beit­neh­mer er­bringt kei­ne aus­rei­chen­de Leis­tung“ oder „der Ar­beit­neh­mer hat die Pro­be­zeit nicht be­stan­den“, das dann den Kündi­gungs­grund bil­det.


(c) Wird die Kündi­gung auf ein so ge­won­ne­nes sub­jek­ti­ves Wert­ur­teil gestützt, ist strikt zwi­schen dem Wert­ur­teil selbst als dem ei­gent­li­chen Kündi­gungs­grund und dem die­sem Ur­teil zu­grun­de lie­gen­den Tat­sa­chen­kern zu dif­fe­ren­zie­ren. Dem Be­triebs­rat muss nur der ei­gent­li­che Kündi­gungs­grund, dh. das Wert­ur­teil, nicht aber die Grund­la­ge die­ser sub­jek­ti­ven Einschätzung mit­ge­teilt wer­den.


bb) Die­se Aus­le­gung trägt auch dem be­reits in der War­te­zeit be­ste­hen­den, aus Art. 12 GG (vgl. BVerfG 21. Ju­ni 2006 - 1 BvR 1659/04 - Rn. 13, BVerfGK 8, 244) und den Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bo­ten des All­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­set­zes her­ge­lei­te­ten Kündi­gungs­schutz des Ar­beit­neh­mers hin­rei­chend Rech­nung. Es bleibt ihm un­be­nom­men, im Rah­men der ab­ge­stuf­ten Dar­le­gungs­last zu der Be­triebs­rats­anhörung In­di­zi­en dar­zu­le­gen, die dafür spre­chen, dass der Ar­beit­ge­ber den Be­triebs­rat be­wusst falsch bzw. un­vollständig in­for­miert hat und in Wirk­lich­keit doch we­gen kon­kre­ter Tat­sa­chen gekündigt hat (zu die­ser Möglich­keit der Rechts­ver­tei­di­gung des Ar­beit­neh­mers im Kündi­gungs­schutz­pro­zess be­reits BAG 3. De­zem­ber 1998 - 2 AZR 234/98 - zu II 2 der Gründe). Trägt der Ar­beit­neh­mer der­ar­ti­ge In­di­zi­en vor, muss der Ar­beit­ge-


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ber be­wei­sen, dass er den Be­triebs­rat nicht be­wusst ir­reführend in­for­miert hat (vgl. BAG 22. Sep­tem­ber 1994 - 2 AZR 31/94 - zu II 3 c der Gründe, BA­GE 78, 39).


cc) Auch der Zweck der Be­triebs­rats­anhörung ist bei ei­ner sol­chen Dif­fe­ren­zie­rung zwi­schen dem Wert­ur­teil und dem Tat­sa­chen­kern die­ses Ur­teils ge­wahrt. Die Anhörung soll, wie aus­geführt, den Be­triebs­rat in die La­ge ver­set­zen, auf den Ar­beit­ge­ber ein­zu­wir­ken, um ihn ggf. mit bes­se­ren Ar­gu­men­ten von sei­nem Kündi­gungs­ent­schluss ab­zu­brin­gen. Das ist zwar bei ei­nem un­be­stimm­ten Wert­ur­teil schwie­ri­ger als bei ei­ner auf kon­kre­te Tat­sa­chen gestütz­ten Kündi­gung. Gleich­wohl kann der Be­triebs­rat auch bei ei­ner auf ein sol­ches Ur­teil gestütz­ten Kündi­gung auf den Kündi­gungs­ent­schluss des Ar­beit­ge­bers ein­wir­ken. Ins­be­son­de­re kann er ver­su­chen, den Ar­beit­ge­ber mit Sach­ar­gu­men­ten zu ei­ner bes­se­ren Einschätzung des Ar­beit­neh­mers zu be­we­gen. Er kann in­so­weit un­ter Umständen sein mögli­cher­wei­se um­fas­sen­de­res Tat­sa­chen­wis­sen über die Umstände der Leis­tungs­er­brin­gung des Ar­beit­neh­mers ein­brin­gen (vgl. da­zu BAG 13. Ju­li 1978 - 2 AZR 717/76 - zu III 2 a der Gründe, BA­GE 30, 386). Da­bei kann er gemäß § 102 Abs. 2 Satz 4 Be­trVG auch den Ar­beit­neh­mer anhören und sich den Sach­ver­halt aus des­sen Sicht dar­stel­len las­sen (vgl. KR/Et­zel 10. Aufl. § 102 Be­trVG Rn. 94; Thüsing in Ri­char­di Be­trVG 13. Aufl. § 102 Rn. 107; APS/Koch 4. Aufl. § 102 Be­trVG Rn. 137 und KR/Et­zel aaO neh­men in­so­weit ei­ne Pflicht des Be­triebs­rats zur Anhörung des Ar­beit­neh­mers an). So ha­ben sich die Be­triebsräte im Vor­feld der den Ent­schei­dun­gen des Bun­des­ar­beits­ge­richts vom 13. Ju­li 1978 (- 2 AZR 717/76 - BA­GE 30, 386), 18. Mai 1994 (- 2 AZR 920/93 - BA­GE 77, 13) so­wie vom 21. Ju­li 2005 (- 6 AZR 498/04 -) zu­grun­de lie­gen­den Kündi­gun­gen trotz der le­dig­lich mit­ge­teil­ten pau­scha­len Wert­ur­tei­le nicht ge­hin­dert ge­se­hen, um­fang­rei­che und sub­stan­ti­ier­te Stel­lung­nah­men un­ter Nen­nung der Gründe, die aus ih­rer Sicht ge­gen die Kündi­gungs­ab­sicht spra­chen, zu ver­fas­sen.


e) Die Würdi­gung des Lan­des­ar­beits­ge­richts, die von der Be­klag­ten an­ge­stell­ten Vorüber­le­gun­gen sei­en für die Kündi­gungs­ent­schei­dung von Be­deu­tung ge­we­sen und hätten dem Be­triebs­rat mit­ge­teilt wer­den müssen, auch wenn die

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meis­ten Gründe nicht durch Tat­sa­chen kon­kre­ti­siert wer­den könn­ten, son­dern auf sub­jek­ti­ven Wer­tun­gen be­ruh­ten und je­der Grund für sich al­lein nicht aus­schlag­ge­bend für die Kündi­gung ge­we­sen sei, wird vor­ste­hen­den Maßstäben nicht ge­recht.


aa) Die Be­klag­te hat vor­ge­tra­gen, sie ha­be als Re­sul­tat ver­schie­de­ner Wahr­neh­mun­gen, die selbst nicht der ei­gent­li­che Kündi­gungs­grund ge­we­sen sei­en, den Schluss ge­zo­gen, dass sich die Kläge­rin aus ih­rer Sicht in der Pro­be­zeit nicht bewährt ha­be. Die­sen Schluss ha­be sie ih­rer Abwägung zu­grun­de ge­legt, ob sie das Ri­si­ko ein­ge­hen wol­le, die Kläge­rin nach Ab­lauf der War­te­zeit in ein kündi­gungs­geschütz­tes Ar­beits­verhält­nis zu über­neh­men. Sie sei zu der Ent­schei­dung ge­langt, dass ei­ne Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses über die War­te­zeit hin­weg nicht ih­rem un­ter­neh­me­ri­schen In­ter­es­se ent­spro­chen ha­be. Sub­jek­tiv sei ihr un­mit­tel­ba­res Kündi­gungs­mo­tiv das Abwägungs­er­geb­nis ge­we­sen.

bb) Die­sen Tat­sa­chen­vor­trag hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt sei­ner recht­li­chen Würdi­gung zu­grun­de ge­legt und ihn da­mit für den Se­nat bin­dend fest­ge­stellt (vgl. zur Tat­sa­chen­fest­stel­lung in den Ent­schei­dungs­gründen BAG 24. Fe­bru­ar 2011 - 6 AZR 626/09 - Rn. 59). Die Kläge­rin hat kei­ne Ge­genrügen er­ho­ben.


cc) Die Be­klag­te hat ih­ren nach die­sen bin­den­den Fest­stel­lun­gen maßgeb­li­chen Kündi­gungs­grund, nämlich ih­re sub­jek­ti­ve Ent­schei­dung, als Er­geb­nis ih­rer Abwägun­gen das Ar­beits­verhält­nis nicht über die War­te­zeit hin­aus fort­set­zen zu wol­len, weil dies nicht in ih­rem In­ter­es­se lie­ge, dem Be­triebs­rat vollständig mit­ge­teilt. Auf die ein­zel­nen, im Pro­zess vor­ge­tra­ge­nen Vorfälle und Be­ob­ach­tun­gen hat sie sich zur Recht­fer­ti­gung ih­rer Kündi­gung nicht be­ru­fen. Im Ge­gen­teil hat sie im Kam­mer­ter­min vor dem Lan­des­ar­beits­ge­richt un­wi­der­spro­chen vor­ge­tra­gen, die­se Umstände sei­en je­der für sich ge­nom­men nicht aus­schlag­ge­bend für die Kündi­gung ge­we­sen. Ih­re Vorüber­le­gun­gen, die zu ih­rer Ent­schei­dung geführt ha­ben, das Ar­beits­verhält­nis vor Ab­lauf der War­te­zeit zu kündi­gen, muss­te sie dem Be­triebs­rat des­halb nicht mit­tei­len (vgl. be­reits BAG 22. April 2010 - 6 AZR 828/08 - Rn. 27; 27. Ok­to­ber 2005 - 6 AZR
 


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27/05 - Rn. 40). An­ders als die Kläge­rin an­nimmt, hat die Be­klag­te ihr Kündi­gungs­mo­tiv dem Be­triebs­rat auch hin­rei­chend deut­lich erklärt. Mit der An­ga­be, die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses lie­ge nicht in ih­rem In­ter­es­se, hat die Be­klag­te zu er­ken­nen ge­ge­ben, dass die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses über den Ab­lauf der War­te­zeit nicht ih­re Ab­sicht sei bzw. nicht ih­rem Wil­len ent­spre­che (vgl. Du­den Das Syn­onymwörter­buch 4. Aufl. Stich­wort: „In­ter­es­se“ Nr. 3). In der Zu­sam­men­schau mit dem Hin­weis dar­auf, dass das Kündi­gungs­schutz­ge­setz noch kei­ne An­wen­dung fin­de, ließ die­se Be­gründung nur den Rück­schluss zu, dass die Kündi­gung al­lein von sub­jek­ti­ven Wer­tun­gen ge­tra­gen war. Ge­nau­so gut hätte die Be­klag­te mit­tei­len können, dass sie sich ent­schlos­sen ha­be, von ih­rer Kündi­gungs­frei­heit Ge­brauch zu ma­chen.


f) Mit dem Schrei­ben vom 14. De­zem­ber 2010 hat die Be­klag­te den Be­triebs­rat aus­rei­chend über den Zeit­punkt der be­ab­sich­tig­ten Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses in­for­miert. Sie hat die Kündi­gungs­frist mit­ge­teilt und klar-ge­stellt, dass die Kündi­gung in na­her Zu­kunft, nämlich noch vor dem 31. De­zem­ber 2010, erklärt wer­den soll­te (vgl. BAG 20. Ju­ni 2013 - 6 AZR 805/11 - Rn. 38).


3. Auf die von der Re­vi­si­on auf­ge­wor­fe­ne Fra­ge nach den Rechts­fol­gen ei­ner feh­ler­haf­ten Be­triebs­rats­anhörung (zu die­ser Fra­ge zu­letzt BAG 23. Fe­bru­ar 2012 - 2 AZR 773/10 - Rn. 30) kommt es nicht an.

III. Die an­ge­foch­te­ne Ent­schei­dung stellt sich nicht aus an­de­ren Gründen als rich­tig dar (§ 561 ZPO). Die Kläge­rin macht kei­ne wei­te­ren Un­wirk­sam­keits­gründe der Kündi­gung vom 28. De­zem­ber 2010 mehr gel­tend. Ins­be­son­de­re rügt sie nicht mehr, die Par­tei­en hätten still­schwei­gend ei­ne zeit­li­che Vor­ver­la­ge­rung des Kündi­gungs­schut­zes ver­ein­bart (vgl. zur Zulässig­keit ei­ner sol­chen Ver­ein­ba­rung BAG 24. Ok­to­ber 1996 - 2 AZR 874/95 - zu II 1 a der Gründe). Es ist we­der vor­ge­tra­gen noch er­sicht­lich, dass die Kündi­gung die Kläge­rin dis­kri­mi­nier­te, sit­ten­wid­rig war, ge­gen § 242 BGB ver­stieß oder willkürlich war. Ent­schließt sich der Ar­beit­ge­ber, das Ar­beits­verhält­nis nicht über die War­te­zeit hin­aus fort­zu­set­zen, oh­ne dies auf ob­jek­ti­vier­ba­re Fak­to­ren stützen zu können oder zu wol­len, macht dies die Kündi­gung al­lein noch nicht willkürlich. Ge­ra­de
 


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ei­ne sol­che Kündi­gung ist Teil der in der War­te­zeit grundsätz­lich be­ste­hen­den Kündi­gungs­frei­heit, die dem Ar­beit­ge­ber das Recht gibt, von die­ser Frei­heit Ge­brauch zu ma­chen und sich da­bei von sei­nem „Bauch­gefühl“ lei­ten zu las­sen (vgl. BAG 3. De­zem­ber 1998 - 2 AZR 234/98 - zu II 1 der Gründe). Bis zum Ab­lauf der War­te­zeit kann sich der Ar­beit­ge­ber - außer­halb von hier nicht vor­ge­tra­ge­nen und nicht er­sicht­li­chen Miss­brauchs-, ins­be­son­de­re Dis­kri­mi­nie­rungsfällen - frei von sol­chen Ar­beit­neh­mern tren­nen, bei de­nen er während der War­te­zeit den Ein­druck ge­won­nen hat, dass ei­ne wei­te­re Zu­sam­men­ar­beit nicht sinn­voll ist. Von die­ser Kündi­gungs­frei­heit hat die Be­klag­te Ge­brauch ge­macht.


IV. Die Kläge­rin hat gemäß § 92 Abs. 2 Nr. 1, § 91 Abs. 1 ZPO die Kos­ten des Ver­fah­rens zu tra­gen.


Fi­scher­mei­er 

Gall­ner 

Spel­ge

Wol­lensak 

Lo­renz

 


BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT


6 AZR 121/12
17 Sa 961/11
Lan­des­ar­beits­ge­richt
Düssel­dorf

BESCHLUSS


In Sa­chen


Be­klag­te zu 3., Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­onskläge­rin,

pp.

Kläge­rin, Be­ru­fungskläge­rin und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

hat der Sechs­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts am 13. Ja­nu­ar 2014 be­schlos­sen:


Das Ur­teil des er­ken­nen­den Se­nats vom 12. Sep­tem­ber 2013 - 6 AZR 121/12 - wird in den Ent­schei­dungs­gründen gemäß § 319 ZPO we­gen of­fen­ba­rer Un­rich­tig­keit von Amts we­gen da­hin ge­hend be­rich­tigt, dass das Da­tum der un­ter Rand­num­mer 19 zi­tier­ten Ent­schei­dung des Zwei­ten Se­nats des Bun­des­ar­beits­ge­richts - 2 AZR 717/76 - nicht „13. Ja­nu­ar 1978“ son­dern rich­tig „13. Ju­li 1978“ lau­tet.

Fi­scher­mei­er 

Spel­ge 

Gall­ner

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Nina Wesemann
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