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LAG Schles­wig-Hol­stein, Ur­teil vom 22.06.2011, 3 Sa 95/11

   
Schlagworte: Kündigung
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Aktenzeichen: 3 Sa 95/11
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 22.06.2011
   
Leitsätze:

1. Im Falle einer Kündigung innerhalb der ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses darf der Arbeitgeber seine die Kündigung veranlassende subjektive Bewertung (hier: Sicherheitsrisiko) von ihm schon bei Vertragsschluss bekannten, unverändert gebliebenen, persönlichen Verhältnissen des Arbeitnehmers nicht ohne Darlegung nachvollziehbarer neuer Erwägungen mit Tatsachenkern ändern.

2. Eine Kündigung verstößt gegen Art. 6 Abs. 1 GG, wenn sie wegen der Eheschließung des Arbeitnehmers mit einer chinesischen Staatsangehörigen ausgesprochen wurde. Sie verstößt jedenfalls dann gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) und ist willkürlich, wenn diese familiären Verhältnisse schon bei der Einstellung bekannt waren, als unbeachtlich eingeordnet wurden und sich auch arbeitstechnisch keinerlei Tatsachenveränderung ergeben hat.

3. Eine Kündigung innerhalb der ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses ist sittenwidrig (§ 138 BGB), wenn der Arbeitgeber das "ethische Minimum" nicht eingehalten hat. Es verstößt gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden, wenn der Arbeitgeber einen seit mehreren Jahren bei ihm im Wege der Arbeitnehmerüberlassung eingesetzten Arbeitnehmer in Kenntnis dessen langjähriger familiärer Beziehung zu einer in China lebenden chinesischen Staatsangehörigen nicht als Sicherheitsrisiko einordnet, ihn dann in Kenntnis seiner diesbezüglichen Eheschließung abwirbt, ihm kurz darauf ohne Veränderung der tatsächlichen oder rechtlichen Situation in der Wartezeit des § 1 KSchG wegen dieser persönlichen Verhältnisse kündigt und gegen eine andere Arbeitskraft austauscht.

4. Der unwirksam gekündigte Arbeitnehmer hat einen Auflösungs- und Abfindungsanspruch nach §§ 13 Abs. 2, 9, 10 KSchG, da ihm bei einer sittenwidrigen Kündigung das weitere Verbleiben bei dem Arbeitgeber regelmäßig unzumutbar ist.

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Elmshorn, Urteil vom 8.12.2010, 4 Ca 1016 d/10
   

Lan­des­ar­beits­ge­richt Schles­wig-Hol­stein

Ak­ten­zei­chen: 3 Sa 95/11
4 Ca 1016 d/10 ArbG Elms­horn (Bit­te bei al­len Schrei­ben an­ge­ben!)

 

Verkündet am 22.06.2011

Gez. ...
als Ur­kunds­be­am­tin der Geschäfts­stel­le

 

Ur­teil

Im Na­men des Vol­kes

In dem Rechts­streit

pp.

hat die 3. Kam­mer des Lan­des­ar­beits­ge­richts Schles­wig-Hol­stein auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 22.06.2011 durch die Vi­ze­präsi­den­tin des Lan­des­ar­beits­ge­richts ... als Vor­sit­zen­de und d. eh­ren­amt­li­chen Rich­ter ... als Bei­sit­zer und d. eh­ren­amt­li­chen Rich­ter ... als Bei­sit­zer

für Recht er­kannt:

 

- 2 -

Auf die Be­ru­fung des Klägers wird das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Elms­horn vom 08.12.2010 – 4 Ca 1016 d/10 – ab­geändert:

1. Es wird fest­ge­stellt, dass das zwi­schen den Par­tei­en be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis nicht durch die Kündi­gung der Be­klag­ten vom 21.06.2010 be­en­det wor­den ist.

2. Das Ar­beits­verhält­nis des Klägers wird zum Ab­lauf des 30.09.2010 auf An­trag des Klägers auf­gelöst.

3. Die Be­klag­te wird ver­ur­teilt, an den Kläger ei­ne Ab­fin­dung in Höhe von 28.000,-- EUR brut­to zu zah­len.

4. Die Kos­ten des Rechts­streits trägt die Be­klag­te.

5. Die Re­vi­si­on wird nicht zu­ge­las­sen.

.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-

Ge­gen die­ses Ur­teil ist das Rechts­mit­tel der Re­vi­si­on nicht ge­ge­ben; im Übri­gen wird auf § 72 a ArbGG ver­wie­sen.

 

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Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten über die Wirk­sam­keit ei­ner or­dent­li­chen Kündi­gung, die in­ner­halb der ers­ten sechs Mo­na­te ei­ner ar­beits­ver­trag­li­chen Ver­bin­dung er­folg­te so­wie über ein Auflösungs­be­geh­ren des Klägers.

Die Be­klag­te ist ein tex­til­ver­ar­bei­ten­des Un­ter­neh­men, das zum Zeit­punkt des Aus­spruchs der Kündi­gung rund 230 Ar­beit­neh­mer beschäftig­te, ca. 1/3 da­von mit Mi­gra­ti­ons­hin­ter­grund. Das Un­ter­neh­men hat sich auf die Ent­wick­lung, Fer­ti­gung, War­tung und den Ver­trieb von Kraft­stoff­mess- und -re­gel­sys­te­men, Si­cher­heits­sit­zen für Hub­schrau­ber und Schleu­der­sitz-Ret­tungs­sys­te­men spe­zia­li­siert. Die Be­klag­te be­lie­fert Un­ter­neh­men der Luft­fahrt­in­dus­trie und Wehr­tech­nik im In- und Aus­land, aber auch die Bun­des­wehr di­rekt.

Der Kläger ist 1963 ge­bo­ren, ver­hei­ra­tet und ei­nem Kind ge­genüber un­ter­halts­pflich­tig. Er ist seit dem 31.05.2006 im Un­ter­neh­men der Be­klag­ten als Mit­ar­bei­ter der Mus­ter­prüfleit­stel­le und Kon­fi­gu­ra­ti­ons­kon­trol­le tätig. Grund­la­ge war zunächst ei­ne Beschäfti­gung im Rah­men der Ar­beit­neh­merüber­las­sung. Im No­vem­ber 2009 trat die Be­klag­te an ihn her­an und bot ihm den Ab­schluss ei­nes Ar­beits­ver­tra­ges an. Dar­auf­hin un­ter­zeich­ne­te der Kläger am 19.11.2009 den als An­la­ge K1 zur Ak­te ge­reich­ten Ar­beits­ver­trag, der ei­nen Beschäfti­gungs­be­ginn ab 01.02.2010, ei­ne Tätig­keit auf sei­nem al­ten Ar­beits­platz, ein Weg­fal­len der Pro­be­zeit, ei­ne Kündi­gungs­frist von drei Mo­na­ten zum Mo­nats­en­de und ei­ne Ein­grup­pie­rung in die Ta­rif­grup­pe T4 nach den ta­rif­li­chen Be­stim­mun­gen für die Nord­west­deut­sche Tex­til- und Be­klei­dungs­in­dus­trie re­gelt (Bl. 80 ff der Ak­te). In­klu­si­ve Son­der­zu­wen­dun­gen er­gibt sich ei­ne durch­schnitt­li­che mo­nat­li­che Vergütung von 4.000,-- € brut­to.

Die Beschäfti­gung des Klägers im Be­trieb der Be­klag­ten hat­te fol­gen­den Ver­lauf:

 

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Am 31.05.2006 nahm der Kläger sei­ne Tätig­keit als Mit­ar­bei­ter in der Mus­ter­prüfleit­stel­le und Kon­fi­gu­ra­ti­ons­kon­trol­le im We­ge der Ar­beit­neh­merüber­las­sung auf.

Ab 2007 un­ter­nahm er mehr­fach länge­re Ur­laubs­rei­sen nach Chi­na/Hong­kong, um sei­ne dort le­ben­de Le­bens­gefähr­tin mit chi­ne­si­scher Staats­an­gehörig­keit zu be­su­chen. Vor den ent­spre­chen­den Rei­sen kon­tak­tier­te der Kläger je­weils wei­sungs­gemäß die Si­cher­heits­be­auf­trag­te der Be­klag­ten, die zu kei­nem Zeit­punkt Be­den­ken äußer­te.

Nach drei­ein­halbjähri­gem Ein­satz bei der Be­klag­ten un­ter­zeich­ne­te der Kläger am 19.11.2009 auf Initia­ti­ve der Be­klag­ten den oben ge­nann­ten Ar­beits­ver­trag. Da er be­reits bei sei­nem al­ten Ar­beit­ge­ber für De­zem­ber 2009/Ja­nu­ar 2010 Ur­laub be­an­tragt hat­te, um in Chi­na sei­ne Le­bens­gefähr­tin zu hei­ra­ten, wur­de der Be­ginn des Ar­beits­verhält­nis­ses nach ent­spre­chen­dem Hin­weis des Klägers ein­ver­nehm­lich auf den 01.02.2010 fest­ge­legt.

Am 28.12.2009 hei­ra­te­te der Kläger sei­ne chi­ne­si­sche Le­bens­gefähr­tin.

Ab 1.Fe­bru­ar 2010 führ­te er sei­ne Tätig­keit bei der Be­klag­ten als de­ren Mit­ar­bei­ter auf dem glei­chen Ar­beits­platz fort.

Am 1. März 2010 führ­ten die Si­cher­heits­be­auf­trag­te und der Per­so­nal­lei­ter der Be­klag­ten ein Gespräch mit dem Kläger mit der Fest­stel­lung, dass kei­ne Si­cher­heits­be­den­ken in Be­zug auf sei­ne Beschäfti­gung be­ste­hen.

Am 5. März 2010 stell­te der Per­so­nal­lei­ter der Be­klag­ten den Kläger we­gen sei­ner fa­mi­liären Kon­tak­te zur Volks­re­pu­blik Chi­na frei. Sinn­gemäß teil­te er ihm Fol­gen­des mit:

"Die Geschäfts­lei­tung hat fest­ge­legt, dass Sie ein Si­cher­heits­ri­si­ko für die Fir­ma A... sind. Durch ih­re fa­mi­liären Kon­tak­te zur Volks­re­pu­blik Chi­na un­ter­lie­gen sie ei­ner be­son­de­ren Gefähr­dung durch An­bahnungs- und Wer­bungs­ver­su­che chi­ne­si­scher Nach­rich­ten­diens­te. Wei­ter­hin sind Sie im Be­son­de­ren er­press­bar. Man könn­te Mit­glie­der der Fa­mi­lie Ih­rer Frau, die min­derjähri­ge Toch­ter Ih­rer Frau oder Ih­re Frau selbst entführen, um sie zu er­pres­sen, In­for­ma­tio­nen der Fir­ma A... an chi­ne­si­sche Ge­heim­diens­te zu ver­ra­ten. Dar­um sind Sie mit so­for­ti­ger Wir­kung be­ur­laubt. Räum­en Sie bit­te

 

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Ih­ren Tisch und Schreib­con­tai­ner aus, über­ge­ben Sie Ih­re Ar­beit und ver­las­sen das Fir­men­gelände."

(Bl. 4, 32 der Ak­te)
Am 16.03.2010 fand ein Gespräch zwi­schen der Geschäfts­lei­tung und dem Be­triebs­rat statt, des­sen In­halt im De­tail strei­tig ist.

Am 22.03.2010 ging beim Be­triebs­rat ein An­trag der Be­klag­ten vom 16.03.2010 auf Er­tei­lung der Zu­stim­mung zur Ein­stel­lung ei­ner neu­en Mit­ar­bei­te­rin ein. Als Be­gründung wur­de an­ge­ge­ben:

"Be­fris­te­te Ein­stel­lung von Frau T... H...-R... vom 12.04. bis 31.12.2010 zur Un­terstützung bei der Ab­ar­bei­tung der Ände­rungs­mit­tei­lun­gen (Er­satz Herr B...)"

(An­la­ge B4, Bl. 44 der Ak­te).
Die­sem Ein­stel­lungs­an­trag stimm­te der Be­triebs­rat am 24.03.2010 zu.

Mit Schrei­ben vom 14.04.2010 bestätig­te die Be­klag­te die er­folg­te Frei­stel­lung, und zwar mit fol­gen­dem Wort­laut:

„Sie sind bis zum En­de des Ver­trags­verhält­nis­ses un­ter An­rech­nung von Ur­laub und mögli­chen Plus­stun­den von der Ar­beits­leis­tung wi­der­ruf­lich frei­ge­stellt. Die Bezüge wer­den bis zum Aus­tritt aus dem Un­ter­neh­men wie vor der Frei­stel­lung wei­ter ge­zahlt".

(Anl. K4 - Bl. 14 der Ak­te).
Knapp zwei Mo­na­te später, mit Da­tum vom 07.06.2010 hörte die Be­klag­te den Be­triebs­rat in Be­zug auf die Per­son des Klägers zum Aus­spruch ei­ner „be­triebs­be­ding­ten Kündi­gung un­ter Ein­hal­tung der Kündi­gungs­frist von drei Mo­na­ten zum Mo­nats­en­de" an. Zur Be­gründung wur­de Fol­gen­des aus­geführt:

„Die Fir­ma hat die un­ter­neh­me­ri­sche Ent­schei­dung ge­trof­fen, dass der Part in der Mus­ter­prüfleit­stel­le und Kon­fi­gu­ra­ti­ons­kon­trol­le, für den Herr B... seit dem 1.2.2010 ein­ge­stellt wur­de, von Herrn Z... über­nom­men wer­den soll. Herr Z... hat­te früher be­reits in die­sem Be­reich ge­ar­bei­tet und verfügt so­mit über die er­for­der­li­che Qua­li­fi­ka­ti­on.

 

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In die So­zi­al­aus­wahl sind ver­gleich­ba­re Ar­beitsplätze ein­zu­be­zie­hen. Ver­gleich­bar sind auf­grund des spe­zi­fi­schen Auf­ga­ben­fel­des nur die Mit­ar­bei­ter in der Mus­ter­prüfleit­stel­le...“

(An­la­ge B 2 – Bl. 40 f der Ak­te).

Mit Da­tum vom 09.06.2010 wi­der­sprach der Be­triebs­rat der Kündi­gung und mo­nier­te un­ter an­de­rem die ge­trof­fe­ne so­zia­le Aus­wahl (Anl. K3, Bl. 13 der Ak­te).

Mit Da­tum vom 10.06.2010 hörte die Be­klag­te den Be­triebs­rat noch­mals zum Aus­spruch ei­ner „be­triebs­be­ding­ten Kündi­gung“ zum 30.09.2010 an. Mit Aus­nah­me der nach­fol­gen­den Ergänzung ist die­se Be­triebs­rats­anhörung iden­tisch mit dem Wort­laut der Anhörung vom 07.06.2010:

„Des Wei­te­ren se­hen wir kei­ne Möglich­keit, Herrn B... auf ei­ner an­de­ren In­ge­nieur­stel­le ein­zu­set­zen, da die Möglich­keit ei­nes Be­ste­hens der Si­cher­heitsüber­prüfung auf­grund sei­ner persönli­chen Verhält­nis­se nicht ge­ge­ben ist. Dies gilt glei­cher­maßen für die wei­te­ren Ausführun­gen."

(An­la­ge B3, Bl. 42 f der Ak­te).

Mit Da­tum vom 18.06.2010 hielt der Be­triebs­rat den Wi­der­spruch vom 09.06.2010 auf­recht (Bl. 43 der Ak­te).

Mit Schrei­ben vom 21.06.2010 kündig­te die Be­klag­te so­dann das Ar­beits­verhält­nis aus "be­triebs­be­ding­ten Gründen frist­ge­recht zum 30.09.2010". (Anl. K2, Bl. 12 der Ak­te).

Im Rah­men der am 30. Ju­ni 2010 ein­ge­gan­ge­nen Kündi­gungs­schutz­kla­ge hat der Kläger die­se Kündi­gung als dis­kri­mi­nie­rend und ge­gen sei­ne Grund­rech­te, un­ter an­de­rem ge­gen Art. 6 GG ver­s­toßend ein­ge­ord­net, da ihm we­gen sei­ner Ehe­sch­ließung mit ei­ner Chi­ne­sin gekündigt wor­den sei.

Die Ehe­frau des Klägers lebt zwi­schen­zeit­lich in Deutsch­land.

 

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Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Aus­ge­hend da­von, dass das Kündi­gungs­schutz­ge­setz kei­ne An­wen­dung fin­de, ist es zu dem Er­geb­nis ge­kom­men, die Kündi­gung sei auch nicht treu- oder sit­ten­wid­rig, weil sie nicht an dis­kri­mi­nie­ren­de Merk­ma­le, wie z. B. die Ehe des Klägers an­ge­knüpft ha­be, son­dern am Auf­ent­halts­ort der Ehe­frau, nämlich Chi­na - und dar­aus re­sul­tie­ren­den sub­jek­ti­ven Befürch­tun­gen der Be­klag­ten in Be­zug auf ei­ne mögli­che In­dus­trie­spio­na­ge. Da­mit lie­ge ein "ir­gend­wie ein­leuch­ten­der Grund" im Sin­ne der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­rich­tes für die Recht­fer­ti­gung der Kündi­gung vor. Die Be­triebs­rats­anhörung sei ord­nungs­gemäß ge­we­sen.

Ge­gen die­ses dem Kläger am 08.02.2011 zu­ge­stell­te Ur­teil des Ar­beits­ge­richts vom 08.12.2010 hat er am 03.03.2011 Be­ru­fung ein­ge­legt, die am 08.04.2011 per Fax/11.04.2011 im Ori­gi­nal be­gründet wur­de.

Der Kläger ergänzt und ver­tieft sein erst­in­stanz­li­ches Vor­brin­gen. Er trägt vor, die Kündi­gung sei sit­ten- und treu­wid­rig, da sie ge­gen den grund­ge­setz­lich ga­ran­tier­ten Schutz von Ehe und Fa­mi­lie ver­s­toße und den Schutz­zweck der War­te­zeit im Sin­ne des ein­ge­schränk­ten Kündi­gungs­schut­zes ge­zielt un­ter­lau­fe. Die ers­ten sechs Mo­na­te der ar­beits­ver­trag­li­chen Be­zie­hun­gen hätten vor­lie­gend nicht den übli­chen Er­pro­bungs­zweck der War­te­zeit ge­habt. Be­reits in­so­weit sei es treu­wid­rig, wenn sich die Be­klag­te dar­auf be­ru­fe, das Ar­beits­verhält­nis oh­ne Dar­le­gung ir­gend­ei­nes Kündi­gungs­grun­des kündi­gen zu dürfen. Dem Kläger sei we­gen sei­ner Ehe­sch­ließung mit ei­ner chi­ne­si­schen Staats­an­gehöri­gen gekündigt wor­den. Das sei grund­rechts­wid­rig. Die Kündi­gung ver­s­toße ge­gen die gu­ten Sit­ten so­wie Treu und Glau­ben. Das gel­te um­so mehr, als der Be­klag­ten seit 2007 die Be­zie­hung zu sei­ner heu­ti­gen Ehe­frau be­kannt ge­we­sen sei und die Be­klag­te schon bei Ver­trags­un­ter­zeich­nung von der noch vor Ar­beits­an­tritt er­fol­gen­den Ehe­sch­ließung ge­wusst ha­be. Ab­ge­se­hen da­von ergäbe sich hier­aus auch kei­ner­lei kon­kre­te Gefähr­dungs­si­tua­ti­on des Be­trie­bes. Das Ar­beits­ge­richt las­se jeg­li­che Abwägung zwi­schen dem grund­ge­setz­lich ga­ran­tier­ten Schutz von Ehe und Fa­mi­lie un­ter ei­nem "ir­gend­wie ein­leuch­ten­den Grund" für sub­jek­ti­ve Befürch­tun­gen der Be­klag­ten in Be­zug auf de­ren Si­cher­heits­be­lan­ge ver­mis­sen. Zu­dem sei die Be­triebs­rats­anhörung nicht ord­nungs­gemäß. Der tatsächli­che Kündi­gungs­grund sei dem Be­triebs­rat ver­schwie­gen wor­den. Die Kündi­gung sei als

 

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be­triebs­be­ding­te Kündi­gung de­kla­riert wor­den, ob­gleich ein sol­cher Kündi­gungs­grund nicht vor­ge­le­gen ha­be. Schon im März 2010 sei dem Be­triebs­rat nach der Frei­stel­lung mit­ge­teilt wor­den, die Frei­stel­lung be­ru­he dar­auf, dass der Kläger durch die Ehe­sch­ließung und die fa­mi­liären Kon­tak­te zur Volks­re­pu­blik Chi­na ein Si­cher­heits­ri­si­ko sei, die Frei­stel­lung wer­de in ei­ner Kündi­gung münden. An­ge­sichts des­sen ha­be die Be­klag­te dem Be­triebs­rat ge­zielt fal­sche Gründe ge­nannt und da­durch ge­gen § 102 Be­trVG ver­s­toßen.

Der Kläger be­an­tragt,

in Abände­rung des Ur­teils des Ar­beits­ge­richts Elms­horn vom 08.12.2010
1. fest­zu­stel­len, dass das zwi­schen den Par­tei­en be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis nicht durch die Kündi­gung der Be­klag­ten vom 21.06.2010 be­en­det wor­den ist,

2. die Be­klag­te zu ver­pflich­ten, den Kläger zu den bis­he­ri­gen Ar­beits­be­din­gun­gen als Mit­ar­bei­ter in der Mus­ter­prüfleit­stel­le und Kon­fi­gu­ra­ti­ons­kon­trol­le wei­ter zu beschäfti­gen.

Die Be­klag­te be­an­tragt,

die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

Sie hält das an­ge­foch­te­ne Ur­teil so­wohl in tatsäch­li­cher als auch in recht­li­cher Hin­sicht für zu­tref­fend. Kündi­gungs­grund sei nicht die Ehe­sch­ließung des Klägers ge­we­sen. Der Schutz der Ehe wer­de da­her nicht tan­giert. Wenn über­haupt, knüpfe al­len¬falls die Frei­stel­lung an der Ehe­sch­ließung des Klägers an. Da­mit ha­be die späte­re Kündi­gung je­doch nichts zu tun. Die Be­klag­te ha­be um­or­ga­ni­siert, die Po­si­ti­on des Klägers weg­fal­len las­sen und die Auf­ga­ben um­ver­teilt (Bl. 118 der Ak­te). Nähe­rer Dar­le­gun­gen bedürfe es in­so­weit nicht, da zum Zeit­punkt des Zu­gangs der Kündi­gungs­erklärung die War­te­zeit des § 1 KSchG noch nicht erfüllt ge­we­sen sei. Die Be­triebs­rats­anhörung sei ord­nungs­gemäß. Sie ha­be dem Be­triebs­rat man­gels An­wend­bar­keit des Kündi­gungs­schutz­ge­set­zes nur die für sie tra­gen­den sub­jek­ti­ven Gründe

 

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mit­tei­len müssen. Das sei in den Anhörungs­schrei­ben vom 07. und 10.06.2010 ge­sche­hen. Die Tat­sa­che, dass dem Be­triebs­rat am 09.03.2010 und 16.03.2010 bei Erörte­rung der Frei­stel­lung mit­ge­teilt wur­de, dass der Kläger we­gen der er­folg­ten Hoch­zeit als ein Si­cher­heits­ri­si­ko gel­te, ha­be mit der knapp drei Mo­na­te später aus­ge­spro­che­nen Kündi­gung nichts zu tun.

Das Ge­richt hat Be­weis er­ho­ben über die Be­haup­tung des Klägers, schon in dem zwi­schen der Geschäftsführung und dem Be­triebs­rat am 16.03.2010 geführ­ten Gespräch ha­be die Be­klag­te mit­ge­teilt, die Frei­stel­lung wer­de in ei­ne Kündi­gung münden, durch Ver­neh­mung des Be­triebs­rats­vor­sit­zen­den G.... Hin­sicht­lich des kon­kre­ten Be­weisthe­mas und des Er­geb­nis­ses der Be­weis­auf­nah­me wird auf das Pro­to­koll der Be­ru­fungs­ver­hand­lung vom 22.06.2011 ver­wie­sen.

Nach Durchführung und Erörte­rung der Be­weis­auf­nah­me be­an­tragt der Kläger, gestützt auf die auch ak­tu­ell wie­der­hol­te Be­wer­tung der Be­klag­ten, er gel­te we­gen sei­ner fa­mi­liären Verhält­nis­se als Si­cher­heits­ri­si­ko für die Fir­ma,

das Ar­beits­verhält­nis nach §§ 9, 10 KSchG mit der Maßga­be, dass die Höhe der Ab­fin­dung in das Er­mes­sen des Ge­rich­tes ge­stellt wird, je­doch 24.000,--EUR nicht un­ter­schrei­ten soll­te, auf­zulösen.

Die Be­klag­te be­an­tragt,

den Auflösungs­an­trag zurück­zu­wei­sen.

Hin­sicht­lich des wei­te­ren Vor­brin­gens wird auf den münd­lich vor­ge­tra­ge­nen In­halt der ge­wech­sel­ten Schriftsätze nebst An­la­gen Be­zug ge­nom­men.

Ent­schei­dungs­gründe

Die Be­ru­fung ist zulässig. Sie ist der Be­schwer statt­haft so­wie form- und frist­ge­recht ein­ge­legt und in­ner­halb der Be­ru­fungs­be­gründungs­frist auch be­gründet wor­den.

 

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Die Be­ru­fung ist auch be­gründet.

Die Kündi­gung der Be­klag­ten vom 21.06.2010 hat das Ar­beits­verhält­nis nicht mit Ab­lauf des 30.09.2010 be­en­det, da sie treu- und sit­ten­wid­rig im Sin­ne der §§ 138, 242 BGB ist und da­mit ge­gen Ver­bots­ge­set­ze im Sin­ne des § 134 BGB verstößt. Auf den ent­spre­chen­den An­trag des Klägers war das Ar­beits­verhält­nis gemäß § 13 Abs. 2 KSchG i.V.m. §§ 9, 10 KSchG zum 30.09.2010 ge­gen Zah­lung ei­ner Ab­fin­dung auf­zulösen. Dem Kläger ist die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses nicht zu­zu­mu­ten, da das Ver­hal­ten der Be­klag­ten sit­ten­wid­rig ist. Sie hat ihn we­gen sei­ner Ehe­sch­ließung mit sei­ner langjähri­gen Part­ne­rin, die über die chi­ne­si­sche Staats­an­gehörig­keit verfügt und zum Zeit­punkt der Kündi­gung in Chi­na leb­te, als Si­cher­heits­ri­si­ko ein¬ge­ord­net und hält die­ses nach wie vor auf­recht, oh­ne hierfür Tat­sa­chen zu be­nen­nen. Sie verhält sich zu­dem wi­dersprüchlich, weil sie die fa­mi­liären Verhält­nis­se vor Ver­trags­schluss kann­te und die­se wie­der­holt als un­be­denk­lich ein­ge­ord­net hat. Un­ter Berück­sich­ti­gung al­ler Umstände des Ein­zel­falls war ei­ne Ab­fin­dung in Höhe von sie­ben Mo­nats­ver­diens­ten, mit­hin in Höhe von 28.000,-- € brut­to fest­zu­set­zen.

A. Die Kündi­gung ist un­wirk­sam. Mit der frist­gemäßen Kündi­gung vom 21.06.2010 zum 30.09.2010 hat die Be­klag­te die Gren­ze der Sit­ten­wid­rig­keit (§ 138 BGB) und auch der Treu­wid­rig­keit (§ 242 BGB) über­schrit­ten. Gleich­zei­tig hat sie den Be­triebs­rat nicht ord­nungs­gemäß im Sin­ne des § 102 Be­trVG an­gehört. Das führt zur Un­wirk­sam­keit der Kündi­gung nach § 134 BGB. Das an­ders lau­ten­de Ur­teil des Ar­beits­ge­richts war da­her ab­zuändern.

I. Die Kündi­gung ist nicht nach § 1 KSchG un­wirk­sam. Das Ar­beits­verhält­nis zwi­schen den Par­tei­en hat bei der Kündi­gung noch nicht länger als sechs Mo­na­te oh­ne Un­ter­bre­chung be­stan­den (§ 1 Abs. 1 KSchG).

Das gekündig­te Ar­beits­verhält­nis be­gann am 1. Fe­bru­ar 2010 und ist am 21.06.2010 gekündigt wor­den. Auch wenn der Kläger vor dem 01.02.2010 be­reits drei Jah­re und sie­ben Mo­na­te lang bei der Be­klag­ten auf dem glei­chen Ar­beits­platz als Leih­ar­beit­neh­mer tätig war, ist nach herr­schen­der Mei­nung die­se Zeit nicht auf die War­te­zeit

 

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nach § 1 Abs. 1 KSchG an­zu­rech­nen (vgl. nur LAG Köln vom 29.5.2009 - 4Sa 1096/08-zi­tiert nach Ju­ris, m.w.N.).

II. Die Kündi­gung verstößt ge­gen § 242 BGB und ist da­mit nich­tig. Die Be­klag­te hat ihr Kündi­gungs­recht treu­wid­rig aus­geübt. Ein ir­gend­wie ein­leuch­ten­der Grund für die Kündi­gung ist nicht fest­stell­bar.

1. Während der ge­setz­li­chen War­te­zeit des § 1 KSchG ist der Ar­beit­neh­mer le­dig­lich vor ei­ner sit­ten- oder treu­wid­ri­gen Ausübung des Kündi­gungs­rechts des Ar­beit­ge­bers geschützt. In der War­te­zeit er­folgt da­her grundsätz­lich nur ei­ne Miss­brauchs­kon­trol­le. Auch un­ter ver­fas­sungs­recht­li­chen Vor­ga­ben verstößt ei­ne Kündi­gung in der War­te­zeit nur dann ge­gen § 242 BGB, wenn sie Treu und Glau­ben aus Gründen ver­letzt, die von § 1 KSchG nicht er­fasst sind. Ei­ne sol­che Kündi­gung ist nicht willkürlich, wenn für sie ein ir­gend­wie ein­leuch­ten­der Grund be­steht (BAG vom 22.04.2010 – 6 AZR 828/08- zi­tiert nach Ju­ris, Rz. 41). Für die Be­stim­mung des In­halts und der Gren­zen ei­nes Kündi­gungs­schut­zes außer­halb des Kündi­gungs­schutz­ge­set­zes ist die Be­deu­tung grund­recht­li­cher Schutz­pflich­ten zu be­ach­ten. Im Rah­men der Ge­ne­ral­klau­seln (§§ 242, 138 BGB) ist auch der ob­jek­ti­ve Ge­halt der Grund­rech­te, hier vor al­lem Art. 12 Abs. 1 GG, zu be­ach­ten. Maßgeb­lich sind die Umstände des Ein­zel­falls. In sach­li­cher Hin­sicht geht es dar­um, Ar­beit­neh­mer vor willkürli­chen oder auf sach­frem­den Mo­ti­ven be­ru­hen­den Kündi­gun­gen zu schützen, z.B. vor Dis­kri­mi­nie­run­gen iSv. Art. 3 Abs. 3 GG (27. Ja­nu­ar 1998 - 1 BvL 15/87 - BVerfGE 97, 169). Das gilt auch für Kündi­gun­gen in­ner­halb der War­te­zeit des § 1 Abs. 1 KSchG (BVerfG 21. Ju­ni 2006 - 1 BvR 1659/04 - NZA 2006, 913; BAG vom 24.01.2008 – 6 AZR 96/07 – zi­tiert nach Ju­ris, 27 m.w.N.). Zu den ty­pi­schen Tat­beständen ei­ner treu­wid­ri­gen Kündi­gung zählen Rechts­miss­brauch und Dis­kri­mi­nie­run­gen (BAG vom 22.05.2003 - 2 AZR 426/02 - zi­tiert nach Ju­ris, Rz. 27 m.w.N.). Die Dar­le­gungs- und Be­weis­last für das Vor­lie­gen der­je­ni­gen Tat­sa­chen, aus de­nen sich die Treu­wid­rig­keit er­gibt, liegt beim Ar­beit­neh­mer (BAG, a.a.O., Rz. 28).

2. Die Be­klag­te ver­weist zur Ver­tei­di­gung ih­rer Vor­ge­hens­wei­se dar­auf, dass der Kläger zum Zeit­punkt des Zu­gangs der Kündi­gungs­erklärung noch kei­nen Kündi-

 

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gungs­schutz ge­noss, da er in dem zur Be­klag­ten be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis noch nicht die War­te­zeit des § 1 KSchG erfüllt hat­te. Sie meint, dass die Kündi­gung des­halb für ih­re Wirk­sam­keit kei­nes ir­gend­wie ge­ar­te­ten verständi­gen, sinn­vol­len oder sach­li­chen Grun­des, den das Ar­beits­ge­richt über­prüfen könne, bedürfe (Be­ru­fungs­be­gründung Sei­te 5 un­ter 1. - Bl. 120 der Ak­te). In­so­weit miss­braucht die Be­klag­te nach der Über­zeu­gung der Be­ru­fungs­kam­mer un­ter Berück­sich­ti­gung der vor­lie­gen­den Ein­zel­fall­si­tua­ti­on den Zweck der ge­setz­li­chen War­te­zeit im Sin­ne des § 1 KSchG für ei­ne willkürli­che Vor­ge­hens­wei­se ih­rer­seits.

a) Die ge­setz­li­che War­te­zeit des § 1 KSchG dient u. a. ei­nem be­rech­tig­ten In­ter­es­se des Ar­beit­ge­bers dar­an, prüfen zu können, ob der neue Mit­ar­bei­ter sei­nen Vor­stel­lun­gen ent­spricht (BAG vom 22.04.2010 - 6 AZR 828/08 - zi­tiert nach Ju­ris, Rz. 41 m.w.N.). In der War­te­zeit ist das Schutz­ni­veau für die Ar­beit­neh­mer in der Re­gel des­halb nied­ri­ger, weil sie we­gen des Er­pro­bungs­zwecks der War­te­zeit und des kur­zen Be­stan­des des Ar­beits­verhält­nis­ses nur in ge­rin­gem Maß auf des­sen Fort­be­ste­hen ver­trau­en können (BAG a.a.O.; BVerfG vom 21.06.2006 - 1 BvR 1659/04 - zi­tiert nach Ju­ris, Rz. 17 f).

b) Die­ser Schutz­zweck der Er­pro­bung greift hier ge­ra­de nicht. Der Kläger hat be­reits drei Jah­re und acht Mo­na­te lang während sei­ner Tätig­keit für die Be­klag­te im We­ge der Ar­beit­neh­merüber­las­sung auf dem glei­chen Ar­beits­platz be­legt, dass sei­ne Ar­beits­leis­tung den Vor­stel­lun­gen der Be­klag­ten ent­sprach und ent­spricht. Der Kläger ist be­reits er­probt. Das sah die Be­klag­te selbst so. Ge­ra­de das war der Grund für den Ab­schluss des Ar­beits­ver­tra­ges mit der Be­klag­ten. Nur das recht­li­che Ge­rip­pe sei­ner Beschäfti­gung wur­de auf Initia­ti­ve der Be­klag­ten mit Wir­kung ab 01.02.2010 verändert. Dass kei­ne Er­pro­bung mehr für er­for­der­lich ge­hal­ten wur­de, er­gibt sich auch aus § 2 Abs. 1 des Ar­beits­ver­tra­ges. In ihm wur­de ei­ne Pro­be­zeit aus­drück­lich ab­be­dun­gen. Schon die­ser Fakt deu­tet auf ei­ne rechts­miss­bräuch­li­che Vor­ge­hens­wei­se der Be­klag­ten im Zu­sam­men­hang mit dem Aus­spruch der Kündi­gung hin, ist je­den­falls bei der Be­wer­tung mit zu ge­wich­ten.

3. Die Kündi­gung verstößt ge­gen die grund­recht­lich ga­ran­tier­te Ehe­sch­ließungs­frei­heit des Klägers im Sin­ne des Art. 6 Abs. 1 GG. Die Be­klagt hat dem Kläger gekün-

 

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digt, weil er mit ei­ner – da­mals noch – in Chi­na le­ben­den chi­ne­si­schen Staats­an­gehöri­gen ver­hei­ra­tet ist und da­mit ein­her­ge­hend fa­mi­liäre Kon­tak­te zu Chi­na hat. Hier­von hat­te die Be­klag­te schon vor Ein­ge­hung des un­mit­tel­ba­ren Ver­trags­verhält­nis­ses Kennt­nis. Die Kündi­gung stellt un­ter Berück­sich­ti­gung von Treu und Glau­ben (§ 242 BGB) so­wie der ge­bo­te­nen Abwägung des Schut­zes der Ehe mit et­wai­gen berück­sich­ti­gungsfähi­gen Gründen der Be­klag­ten ei­ne ver­bo­te­ne Be­nach­tei­li­gung des Klägers dar. Ge­genüber dem Be­triebs­rat an­geführ­te „be­triebs­be­ding­te Gründe“ oder auch nur sons­ti­ge be­trieb­li­che Gründe sind vor­ge­scho­ben, je­den­falls un­sub­stan­ti­iert und un­ter dem Ge­sichts­punkt des Willkürver­bots nicht be­acht­lich.

a) Das In­ter­es­se des Ar­beit­neh­mers an der Er­hal­tung sei­nes Ar­beits­plat­zes ist durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützt. Auch wenn Art. 12 Abs. 1 GG kei­nen un­mit­tel­ba­ren Schutz ge­gen den Ver­lust des Ar­beits­plat­zes auf­grund pri­va­ter Dis­po­si­ti­on gewährt, ob­liegt dem Staat in­so­fern aber ei­ne aus die­sem Grund­recht fol­gen­de Schutz­pflicht, der die gel­ten­den Kündi­gungs­schutz­vor­schrif­ten Rech­nung tra­gen. Außer­halb des Kündi­gungs­schutz­ge­set­zes schützen die §§ 138, 242 BGB den Ar­beit­neh­mer vor ei­ner sit­ten- oder treu­wid­ri­gen Kündi­gung. Im Rah­men die­ser Ge­ne­ral­klau­seln ist auch der ob­jek­ti­ve Ge­halt der Grund­rech­te zu be­ach­ten (BVerfG vom 21.6.2006 - 1 BvR 1659/04-zi­tiert nach Ju­ris, Leit­satz 1 A und Rz. 12 ff). Vor die­sem Hin­ter­grund ist der Hin­weis der Be­klag­ten, der Grund­rechts­schutz rich­te sich nur ge­gen den Staat, nicht je­doch ge­gen den Ar­beit­ge­ber, be­reits falsch.

b) Die Ehe ist nach Art. 6 Abs. 1 GG als In­sti­tu­ti­on geschützt. Sie ist von grund­le­gen­der Be­deu­tung für die Ord­nung des Ge­mein­schafts­le­bens. Geschützt ist da­mit ins­be­son­de­re auch die Ehe­sch­ließungs­frei­heit (BVerfGE 76, 1, 71; BVerfGE 29,166, 175). Die­ser Schutz­zweck wird durch die Kündi­gung ver­letzt, die we­gen der Ehe­sch­ließung des Klägers und der da­mit ein­her­ge­hen­den fa­mi­liären Kon­tak­te zur Volks­re­pu­blik Chi­na aus­ge­spro­chen wur­de. Die Vor­ge­hens­wei­se der Be­klag­ten ist durch kei­ner­lei greif­ba­re sach­li­che Gründe ge­deckt.

c) Die Kündi­gung be­ruht auf der Ehe­sch­ließung und den dar­aus re­sul­tie­ren­den fa­mi­liären Kon­tak­ten zu Chi­na Die Be­klag­te hat ihr Kündi­gungs­recht treu­wid­rig aus­geübt und un­ter­neh­me­ri­schen Um­or­ga­ni­sa­ti­ons­ent­schei­dun­gen vor­ge­scho­ben. Zur Über-

 

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zeu­gung der Kam­mer steht letzt­end­lich nach dem Er­geb­nis der durch­geführ­ten Be­weis­auf­nah­me un­ter Berück­sich­ti­gung al­ler sons­ti­gen Ein­zel­fall­ge­sichts­punk­te fest, dass nicht nur die Frei­stel­lung, son­dern auch die Kündi­gung auf der Ehe­sch­ließung des Klägers mit sei­ner da­mals noch in Hong­kong le­ben­den chi­ne­si­schen Part­ne­rin be­ruht und un­mit­tel­bar an ihr an­knüpft und dass re­al kei­ne an­de­ren ein­leuch­ten­den Kündi­gungs­gründe exis­tie­ren. Die Kam­mer sieht un­ter Würdi­gung der Be­weis­auf­nah­me und al­ler ak­ten­kun­di­gen Fak­ten die Ein­las­sung der Be­klag­ten, nur die Frei­stel­lung ha­be in en­gem Zu­sam­men­hang mit dem Auf­ent­halts­ort der Ehe­frau in Chi­na ge­stan­den, das ha­be aber mit der späte­ren Kündi­gung nichts zu tun ge­habt, als wi­der­legt an. Viel­mehr wur­de auch die Kündi­gung ge­ra­de we­gen und nur we­gen der Ehe­sch­ließung und der da­mit ein­her­ge­hen­den fa­mi­liären Kon­tak­te zu Chi­na aus­ge­spro­chen.

aa) Der Kläger ist be­reits am 05.03.2010 mit der Be­gründung frei­ge­stellt wor­den, er sei durch die fa­mi­liären Kon­tak­te zu Chi­na ein Si­cher­heits­ri­si­ko. Dem stell­ver­tre­ten­den Be­triebs­rats­vor­sit­zen­den S... ist am 09.03.2010 un­strei­tig mit­ge­teilt wor­den, der Kläger sei ein Si­cher­heits­ri­si­ko, weil er ei­ne chi­ne­si­sche Staats­an­gehöri­ge mit Kind ge­hei­ra­tet ha­be und so­mit für das dor­ti­ge Re­gime er­press­bar ge­wor­den sei.

bb) Auch der Zeu­ge G... hat bestätigt, dass der Kündi­gungs­ent­schluss der Be­klag­ten zeit­gleich mit der Frei­stel­lungs­ent­schei­dung ge­fal­len ist und auf dem Sach­ver­halt der Ehe des Klägers mit ei­ner da­mals noch in der Volks­re­pu­blik Chi­na le­ben­den Chi­ne­sin be­ruht. Die Kam­mer hat kei­ne Zwei­fel an der Glaubwürdig­keit des Zeu­gen G....

(1) Der Zeu­ge G... hat aus­ge­sagt, dass der Kläger, we­gen sei­ner Ehe mit ei­ner Chi­ne­sin ein­ge­ord­net als Si­cher­heits­ri­si­ko für die Fir­ma, schon frei­ge­stellt war, als er von ei­ner Dienst­rei­se zurück­kam und dass er darüber sehr empört war. Man ha­be sich das nicht vor­stel­len können, zu­mal der Kläger schon vor­her im Be­trieb beschäftigt war und die Ar­beit­ge­be­rin die fa­mi­liäre Si­tua­ti­on schon bei Ver­trags­schluss ge­kannt ha­be. Dar­auf­hin ha­be er die Geschäftsführung um ein Gespräch ge­be­ten, das am 16.03.2010 durch­geführt wur­de. Er ha­be sei­ne außer­or­dent­li­chen Be­den­ken geäußert, zu­mal der Kläger be­reits vor­her bei der Be­klag­ten beschäftigt war und nie si­cher­heitsüber­prüft wor­den sei. Im Be­trieb sei­en auch an­de­re Beschäftig­te tätig, die

 

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ei­nen ausländi­schen Hin­ter­grund ha­ben und we­der si­cher­heitsüber­prüft wor­den sei­en noch als Si­cher­heits­ri­si­ko ein­ge­ord­net würden. Der Per­so­nal­chef ha­be sich da­hin­ge­hend geäußert, das Un­ter­neh­men wer­de in die­ser An­ge­le­gen­heit schon ei­ne Lösung fin­den. Das ha­be sich nach sei­ner Les­art so an­gehört, dass man ei­nen Ent­las­sungs­weg fin­den woll­te. Es sei ganz klar ge­we­sen, dass ei­ne Kündi­gung ge­meint ge­we­sen sei. Es sei um gar nichts an­de­res ge­gan­gen. Der Zeu­ge hat nach Vor­halt sei­nes am 17.03.2010 er­stell­ten Pro­to­kolls klar­ge­stellt, dass das, was in dem Gespräch ge­sagt wur­de, von ihm dort pro­to­kol­liert wor­den sei. Der Zeu­ge hat die­ses Pro­to­koll zur Ak­te ge­reicht. Der Zeu­ge hat wei­ter aus­ge­sagt, dass er für den Be­triebs­rat in den Ta­gen da­nach in Gesprächen mit der Geschäfts­lei­tung über mil­de­re Mit­tel z. B. Ver­set­zungsmöglich­kei­ten ge­spro­chen ha­be. Ihm sei je­doch ent­geg­net wor­den, der Kläger blei­be erst ein­mal frei­ge­stellt, oh­ne dass ein End­ter­min ge­nannt wur­de. Kon­fron­tiert mit un­ter­schied­li­cher Aus­sa­ge sei­ner­seits zum Gespräch am 16.03.2010 - ein­mal: „wir wer­den schon ei­ne Lösung fin­den“ und ein an­de­res Mal: man ha­be von „Kündi­gung“ ge­re­det - , hat der Zeu­ge un­ter Hin­weis auf die zwi­schen­zeit­lich ver­stri­che­ne Zeit erklärt, dass es in dem Gespräch um gar nichts an­de­res als die Kündi­gung ge­gan­gen sei und dass auch mit der erwähn­ten Lösung ganz klar die Kündi­gung ge­meint ge­we­sen sei.

(2) Die Kam­mer ist nach die­ser Aus­sa­ge da­von über­zeugt, dass die Be­klag­te be­reits im März 2010 den Ent­schluss ge­fasst hat, dem Kläger zu kündi­gen, weil die­ser mit ei­ner chi­ne­si­schen Staats­an­gehöri­gen ver­hei­ra­tet ist und er da­her fa­mi­liäre Kon­tak­te zu Chi­na hat; dass der Kündi­gung kei­ne an­de­ren be­trieb­li­chen Erwägun­gen zu­grun­de­lie­gen. Die Be­klag­te hat ihn des­halb, oh­ne dass sich sei­ne Le­bens­umstände verändert ha­ben, an­ders als noch in den Mo­na­ten vor­her als Si­cher­heits­ri­si­ko ein­ge­ord­net und nur des­halb die Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ein­ge­lei­tet und später her­bei­geführt. Schon in dem Gespräch vom 16.03.2010 mit den an­we­sen­den Be­triebs­rats­mit­glie­dern hat die Be­klag­te darüber ge­spro­chen, dass das Ar­beits­verhält­nis des Klägers gekündigt wird, weil die­ser ei­ne chi­ne­si­sche Staats­an­gehöri­ge mit Kind ge­hei­ra­tet ha­be, so­mit für das dor­ti­ge Re­gime er­press­bar und des­halb ein Si­cher­heits­ri­si­ko ge­wor­den sei. Es ging in­so­weit schon am 16.03.2010 – ent­ge­gen dem Vor­brin­gen der Be­klag­ten - nicht nur um die Frei­stel­lung des Klägers aus den ge­nann­ten Gründen. Die Aus­sa­ge des Zeu­gen war – ent­ge­gen der An­sicht der Be­klag-

 

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ten - glaub­haft. Zwei­fel an der Glaubwürdig­keit des Zeu­gen hat­te die Kam­mer nicht. Der Zeu­ge G... hat das ge­sam­te Ge­sche­hen mit in­di­vi­du­el­len Merk­ma­len durch­setzt ge­schil­dert. Er hat dar­ge­legt, wie empört er über die Hand­lungs­wei­se der Be­klag­ten war und in­so­weit sei­ne emo­tio­na­le Be­tei­li­gung an die­sem Ge­sche­hen of­fen­ge­legt. Da­bei hat er die gewähl­ten Wor­te nicht auf die Gold­waa­ge ge­legt, was die Aus­sa­ge zunächst un­er­gie­big er­schei­nen ließ. Kon­fron­tiert mit even­tu­el­len Wi­dersprüchlich­kei­ten, hat er dann so­fort klar­ge­stellt, dass es in dem ge­sam­ten Gespräch vom 16.03.2010 um nichts an­de­res als die Kündi­gung ging. Die­se Ant­wort kam so spon­tan und emo­tio­nal, dass zur Über­zeu­gung der Kam­mer fest­steht, dass er ge­ra­de des­halb in sei­ner Aus­sa­ge nicht be­son­ders auf ent­spre­chen­de Wort­wahl ge­ach­tet hat. Bestätigt wird das auch durch das von dem Zeu­gen erwähn­te wei­te­re Gespräch. Er hat als Be­triebs­rats­vor­sit­zen­der die Be­klag­te auch ei­ni­ge Ta­ge nach dem Gespräch ge­be­ten, über mil­de­re Mit­tel, wie z. B. ei­ne Ver­set­zung nach­zu­den­ken. An­ge­sichts der be­reits er­folg­ten Frei­stel­lung un­ter Fort­zah­lung der Bezüge kann das vom Zeu­gen an­ge­spro­che­ne "mil­de­re Mit­tel der Ver­set­zung" nur ins Verhält­nis zu ei­ner im Raum ste­hen­den Kündi­gung ge­setzt wer­den. Je­der an­de­re Be­zug er­gibt kei­nen Sinn. Ei­ne Ver­set­zung ist nur zur Kündi­gung ein mil­de­res Mit­tel zur Kündi­gung. Der Zeu­ge hat dar­ge­legt, dass er es in sei­ner Funk­ti­on als Be­triebs­rats­vor­sit­zen­der für sich selbst­verständ­lich als Auf­ga­be an­sah, die Fort­set­zung des Beschäfti­gungs­verhält­nis­ses und ei­ne Beschäfti­gung des Klägers, ge­ge­be­nen­falls zu geänder­ten Be­din­gun­gen, zu er­rei­chen. War­um soll­te der Zeu­ge aber „in den Ta­gen nach dem 16.03.2010“ , al­so schon En­de März 2010, mit der Be­klag­ten über die Ver­mei­dung ei­ner Kündi­gung ge­run­gen ha­ben, wenn die Be­klag­te ei­ne sol­che dem Be­triebs­rat ge­genüber gar nicht in den Raum ge­stellt hätte.

Auch das zur Ak­te ge­reich­te Pro­to­koll über das Gespräch vom 16.03.2010, das der Zeu­ge am 17.03.2010 er­stellt hat, bestätigt, dass die Be­klag­te schon am 16.03.2010 über die Kündi­gung des Klägers mit dem Be­triebs­rat ge­spro­chen und ih­re Kündi­gungs­ent­schei­dung mit der Ehe­sch­ließung des Klägers mit ei­ner Chi­ne­sin, den fa­mi­liären Kon­tak­ten zu Chi­na und der - neu­en - Ein­ord­nung als Si­cher­heits­ri­si­ko be­gründet hat. Die­ses Pro­to­koll ist zeit­nah ent­stan­den, zu­dem zu ei­nem Zeit­punkt, als ein Rechts­streit sich noch nicht ein­mal an­satz­wei­se an­bahn­te. Ei­ne et­wai­ge späte­re Zeu­gen­ein­ver­nah­me stand al­so noch nicht im Raum. Der In­halt des Pro­to­kolls war

 

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al­so nicht er­geb­nis­ori­en­tiert. Die ers­te „Aus­sa­ge/ Nie­der­schrift“ ist nach den all­ge­mei­nen Re­geln der Be­weiswürdi­gung an­er­kann­ter­maßen der Wahr­heit stets am nächs­ten, da noch nicht so viel darüber kom­mu­ni­ziert wur­de, die Er­in­ne­rung wei­test­ge­hend un­verfälscht ist. Das galt es zu würdi­gen.

Für die Wahr­heit der Aus­sa­ge des Zeu­gen G... sprach ins­be­son­de­re auch, dass der Zeu­ge wie­der­holt ei­gen­psy­chi­sche Vorgänge, al­so Gefühle und er­leb­nis­be­zo­ge­ne Ge­dan­ken ge­schil­dert hat. So hat der Zeu­ge wie­der­holt be­schrie­ben, wie empört er über die Frei­stel­lung war; dass er er­staunt nach­ge­hakt ha­be, war­um die aus zwei Per­so­nen be­ste­hen­de Geschäfts­lei­tung un­ter Ein­be­zie­hung des Per­so­nal­lei­ters erst­mals von „wir drei“ ge­spro­chen ha­be, weil das völlig un­gewöhn­lich ge­we­sen sei und wie „die drei“ dann zu­sam­men­gerückt sei­en. Der Zeu­ge hat die­ses in­tui­tiv de­mons­triert. Auch die Spon­ta­nität sei­ner Erklärung, war­um er das Wort „Kündi­gung“ erst auf wie­der­hol­tes Nach­fra­gen ein­ge­floch­ten hat, führt im Kon­text der vor­he­ri­gen und dar­an an­sch­ließen­den wei­te­ren Schil­de­run­gen für die Kam­mer zu der Über­zeu­gung, dass für sie an dem Wahr­heits­ge­halt der Zeu­gen­aus­sa­ge kei­ne Zwei­fel be­ste­hen. Ei­ne der­ar­ti­ge Si­tua­ti­on und der­ar­ti­ge Ge­dan­kengänge denkt man sich nicht aus.

Warn­si­gna­le, die auf ei­ne Lüge des Zeu­gen hin­deu­ten könn­ten, ver­moch­te die Kam­mer nicht zu er­ken­nen. Das gilt ins­be­son­de­re auch im Hin­blick auf sei­ne Aus­sa­ge zu der Fra­ge, wer zu dem Gespräch am 16.03.2010 ein­ge­la­den hat­te und um wel­che Art von Gespräch es sich han­del­te. Während die Be­klag­te zunächst be­strit­ten hat, dass die­ses Gespräch mit rund zehn Teil­neh­mern über­haupt statt­fand, hat der Zeu­ge völlig glaub­haft dar­ge­legt, dass er te­le­fo­nisch nach Rück­kehr von sei­ner Dienst­rei­se vol­ler Empörung um An­be­rau­mung die­ses Gespräches ge­be­ten hat und dann die Be­klag­te die­sem Ver­lan­gen nach­ge­kom­men ist und zu dem Gespräch ein­ge­la­den hat. Et­was an­de­res er­gibt sich auch nicht aus der nicht mit­tels Be­weis­auf­nah­me auf­geklärten The­ma­tik, ob es sich am 16.03.2010 um ein Quar­tals­gespräch han­del­te oder nicht. Es mag sein, dass die Be­klag­te die­ses von ihr ursprüng­lich grundsätz­lich be­strit­te­ne Gespräch als „Quar­tals­gespräch" ein­ge­ord­net hat, zu­mal es im ers­ten Quar­tal 2010 statt­fand. Der Zeu­ge hin­ge­gen hat aus­ge­sagt, die ge­setz­lich vor­ge­schrie­be­nen re­gelmäßigen tur­nus­gemäßen Quar­tals­gespräche ge­be es bei der Be­klag­ten gar nicht. Bei­des kann zu­tref­fen. In­so­weit war das Gespräch aus Sicht der

 

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Be­klag­ten mögli­cher­wei­se auch ein Quar­tals­gespräch, aus Sicht des Zeu­gen G... als Be­triebs­rats­vor­sit­zen­den hin­ge­gen je­doch nicht ein „tur­nus­gemäßes re­gelmäßiges Quar­tals­gespräch", weil er un­strei­tig te­le­fo­nisch die­ses Gespräch aus­drück­lich und an­lass­be­zo­gen ver­langt hat. An­ge­sichts des­sen kann zu Guns­ten der Be­klag­ten un­ter­stellt wer­den, dass das Gespräch vom 16.03.2010 aus ih­rer Sicht als Quar­tals­gespräch ein­ge­ord­net wur­de. Hier­aus er­ge­ben sich für die Kam­mer je­doch kei­ner­lei Zwei­fel an der Rich­tig­keit der Aus­sa­ge des Zeu­gen G... und an des­sen Glaubwürdig­keit.

cc) Nach die­ser Aus­sa­ge steht im Kon­text al­ler wei­te­ren Ein­zel­fak­to­ren zur Über­zeu­gung der Kam­mer fest, dass nicht nur die Frei­stel­lung son­dern auch die späte­re Kündi­gung des Klägers ein­heit­lich und aus­sch­ließlich auf der der Be­klag­ten be­reits vor Ar­beits­an­tritt be­kann­ten Ehe­sch­ließung des Klägers mit ei­ner chi­ne­si­schen Staats­an­gehöri­gen und de­ren Auf­ent­halts­ort in Chi­na be­ruht. Die Kündi­gung wur­de ge­ra­de des­we­gen und nur des­we­gen aus­ge­spro­chen. Das an­ders­lau­ten­de Vor­brin­gen der Be­klag­ten stellt ei­ne Schutz­be­haup­tung dar. Zu die­ser Über­zeu­gung kommt die Kam­mer un­ter Würdi­gung der un­strei­ti­gen Erklärung des Per­so­nal­lei­ters ge­genüber dem Kläger am 5. März 2010 im Zu­sam­men­hang mit der Frei­stel­lung und der Aus­sa­ge des Zeu­gen G... nebst dem zur Ak­te ge­reich­ten Pro­to­koll des Gesprächs vom 16.3.2010. Das er­gibt sich fer­ner aus der Be­triebs­rats­anhörung vom 16.03.2010/ 17.03.2010 zur Ein­stel­lung von Frau H...-R... ab 12.04.2010 bis 31.12.2010 als Er­satz für den Kläger (An­la­ge B 4, Bl. 44 der Ak­te). Das er­gibt sich aber auch wei­ter aus dem an­sch­ließen­den Frei­stel­lungs­schrei­ben vom 14. April 2010 (Bl. 14 der Ak­te), aus dem her­vor­geht, dass der Kläger „bis zum En­de des Ver­trags­verhält­nis­ses" frei­ge­stellt wird und „bis zum Aus­tritt aus dem Un­ter­neh­men" die Vergütung wei­ter­ge­zahlt wird. Auch die­ses Schrei­ben zeigt, dass der Kündi­gungs­ent­schluss der Be­klag­ten ent­ge­gen ih­rem pro­zes­sua­len Vor­brin­gen kei­nen an­de­ren Auslöser und kei­nen an­de­ren sach­li­chen Grund hat. Erhärtet wird die­se Über­zeu­gung des Ge­rich­tes letzt­end­lich auch aus dem Wort­laut der zwei­ten Be­triebs­rats­anhörung vom 10.06.2010, in­dem die Be­klag­te noch­mals dar­auf hin­weist, dass der Kläger nicht an­der­wei­tig ein­setz­bar sei, weil er ei­ne Si­cher­heitsüber­prüfung nicht be­ste­hen könne (Bl. 42 der Ak­te).

 

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Da­mit be­ruh­te nicht nur die Frei­stel­lung, auch die Kündi­gung auf die­sem ein­heit­lich zu be­wer­ten­den Le­bens­sach­ver­halt: Ehe­sch­ließung des Klägers mit ei­ner chi­ne­si­schen Staats­an­gehöri­gen, fa­mi­liärer Kon­takt zu Chi­na und Ein­ord­nung die­ses Sach­ver­hal­tes als Si­cher­heits­ri­si­ko.

d) Die von der Be­klag­ten mit der Kündi­gung durch­geführ­te un­mit­tel­ba­re An­knüpfung an sei­ne Ehe­sch­ließung mit ei­ner chi­ne­si­schen Staats­an­gehöri­gen und dem Auf­ent­halts­ort sei­ner neu­en Fa­mi­li­en­mit­glie­der in Chi­na ist ent­ge­gen der An­sicht des Ar­beits­ge­rich­tes durch kei­ner­lei, die Grund­rechts­be­ein­träch­ti­gung des Klägers auf­wie­gen­de sach­li­che Gründe be­dingt. Es fehlt schon jeg­li­cher schlüssi­ge Vor­trag der Be­klag­ten zur rea­len Exis­tenz plau­si­bler ge­wich­ti­ger Gründe, die den Ein­griff in die durch Ar­ti­kel 6 Abs. 1 GG geschütz­te Ehe­sch­ließungs­frei­heit des Klägers auf­wie­gen könn­ten.

aa) Gemäß § 138 Abs. 2 ZPO hätte sich die Be­klag­te qua­li­fi­ziert auf das Vor­brin­gen des Klägers zum Ein­griff in sei­ne grund­ge­setz­lich geschütz­te Ehe­sch­ließungs­frei­heit durch die streit­be­fan­ge­ne Kündi­gung ein­las­sen müssen, um ihn zu ent­kräften oder zu recht­fer­ti­gen. Kommt der Ar­beit­ge­ber die­ser se­kundären Be­haup­tungs­last nicht nach, gilt der schlüssi­ge Sach­vor­trag des Ar­beit­neh­mers gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zu­ge­stan­den (vgl. nur BAG vom 22.05.2003 – 2 AZR 426/02 – zi­tiert nach Ju­ris, Rz. 28 mwN). Ei­nes dies­bezügli­chen ex­pli­zi­ten recht­li­chen Hin­wei­ses auf die­se Grund­la­gen der ab­ge­stuf­ten Dar­le­gungs- und Be­weis­last gem. § 139 ZPO be­durf­te es schon an­ge­sichts der Tat­sa­che, dass die Be­klag­te die­se Ent­schei­dung selbst zi­tiert hat, nicht.

bb) Die Be­klag­te ord­net den Kläger seit dem 5. März 2010 auf­grund sei­ner persönli­chen Verhält­nis­se als Si­cher­heits­ri­si­ko ein. Es fehlt jeg­li­cher Tat­sa­chen­vor­trag, auf­grund wel­cher Kri­te­ri­en sie zu die­ser Einschätzung kommt. Sie hat we­der Ar­beits­platz­spe­zi­fi­ka ge­schil­dert, noch tatsächli­che oder recht­li­che Rah­men­be­din­gun­gen, die die Be­haup­tung, der Kläger sei ein Si­cher­heits­ri­si­ko, auch nur an­satz­wei­se spe­zi­fi­zier­bar ma­chen. Das wäre je­doch zwin­gend er­for­der­lich ge­we­sen. Auch dies­bezügli­che Nach­fra­gen in der Be­ru­fungs­ver­hand­lung wur­den nicht be­ant­wor­tet. Der Kläger war schon vor Auf­nah­me der ar­beits­ver­trag­li­chen Tätig­keit drei Jah­re und sie­ben

 

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Mo­na­te auf dem glei­chen Ar­beits­platz für die Be­klag­te tätig. Wel­che Si­cher­heits­vor­schrif­ten für die­sen Be­reich gel­ten, hat die Be­klag­te trotz Nach­fra­ge nicht vor­ge­tra­gen. Der Kläger hat seit 2007 re­gelmäßige Kon­tak­te nach Chi­na ge­pflegt und ist wie­der­holt nach Rück­spra­che mit der Be­klag­ten und de­ren Si­cher­heits­be­auf­trag­ten nach Chi­na zu sei­ner heu­ti­gen Ehe­frau ge­reist. Der Kläger hat vor Ab­schluss des Ar­beits­ver­tra­ges be­reits sei­ne heu­ti­ge Ehe­frau mit chi­ne­si­scher Staats­an­gehörig­keit ge­hei­ra­tet. Das war der Be­klag­ten de­fi­ni­tiv be­kannt. Der Kläger hat dann - be­reits ver­hei­ra­tet - am 01.02.2010 sei­ne Tätig­keit als Ar­beit­neh­mer bei der Be­klag­ten am un­veränder­ten Ar­beits­platz auf­ge­nom­men. Seit Ar­beits­auf­nah­me hat sich nichts geändert. Am 01.03.2010 hat die Be­klag­te dem Kläger mit­ge­teilt, es bestünden kei­ne Si­cher­heits­be­den­ken. Am 05.03.2010 hat sie den Kläger hin­ge­gen we­gen Si­cher­heits­be­den­ken frei­ge­stellt, oh­ne dass ir­gend­ei­ne Ände­rung der Ar­beits- und Le­bens­be­din­gun­gen des Klägers ein­ge­tre­ten ist. Sach­li­che Gründe für die­sen Sin­nes­wan­del hat die Be­klag­te nicht vor­ge­tra­gen. In­so­weit kann die Kam­mer in An­wen­dung des § 138 ZPO die Exis­tenz ei­nes plau­si­blen, auf ei­nem Tat­sa­chen­kern be­ru­hen­den und auf den Ar­beits­platz be­zo­ge­nen sach­li­chen Grun­des für ei­ne Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses nicht er­ken­nen.

Die in­ner­halb der War­te­zeit trotz un­veränder­tem Le­bens­sach­ver­halts we­gen der fa­mi­liären Le­bens­verhält­nis­se - Ehe mit ei­ner chi­ne­si­schen, da­mals noch in Chi­na le­ben­den Staats­an­gehöri­gen - aus­ge­spro­che­ne Kündi­gung ist da­her treu­wid­rig im Sin­ne des § 242 BGB.

III. Die Kündi­gung ist zu­dem we­gen Sit­ten­wid­rig­keit (§ 138 BGB) un­wirk­sam.

1. Der Vor­wurf ob­jek­ti­ver Sit­ten­wid­rig­keit kann nur in be­son­ders kras­sen Fällen er­ho­ben wer­den. § 138 BGB ver­langt die Ein­hal­tung des "ethi­schen Mi­ni­mums". Sit­ten­wid­rig ist ei­ne Kündi­gung, wenn sie dem An­stands­gefühl al­ler bil­lig und ge­recht Den­ken­den wi­der­spricht (BAG vom 22.5.2003 - 2 AZR 426/02 - zi­tiert nach Ju­ris, Rz. 47 m.w.N.; BAG vom 19.07.1973, 2 AZR 464/72 – zi­tiert nach Ju­ris, Rz. 14).

 

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2. Die­se Vor­aus­set­zun­gen sind hier ge­ge­ben, da die Kündi­gung un­ter kei­nem tatsächli­chen und recht­li­chen Ge­sichts­punkt der Durch­set­zung rechtmäßiger und le­gi­ti­mer In­ter­es­sen der Be­klag­ten dien­te.

Die Be­klag­te hat ihr for­mel­les Recht zum Aus­spruch ei­ner Kündi­gung in­ner­halb der War­te­zeit im Rah­men ei­nes un­geschütz­ten Ar­beits­verhält­nis­ses ge­zielt zu ih­ren Guns­ten aus­ge­nutzt, oh­ne dass ihr hierfür sach­li­che Gründe zur Sei­te stan­den. Wie be­reits un­ter II 3. c) dar­ge­legt, war al­lei­ni­ger Auslöser und Kündi­gungs­grund die be­reits bei Ver­trags­schluss be­kann­te Tat­sa­che, dass der Kläger mit ei­ner chi­ne­si­schen Staats­an­gehöri­gen ver­hei­ra­tet ist, die zum Kündi­gungs­zeit­punkt noch in Chi­na leb­te. Wie eben­falls dar­ge­legt, hat die Be­klag­te die­sen ihr schon lan­ge be­kann­ten Le­bens­sach­ver­halt bis zum 1. März 2010 nicht als Si­cher­heits­ri­si­ko ein­ge­ord­net, die­se Be­wer­tung je­doch oh­ne Verände­rung der tatsächli­chen und recht­li­chen Si­tua­ti­on und oh­ne Dar­le­gung ir­gend­ei­nes kon­kre­ten Tat­sa­chen­kerns ab 5. März 2010 geändert. Durch die­sen nicht an­satz­wei­se auf Tat­sa­chen gestütz­ten Sin­nes­wan­del und den an­sch­ließen­den Aus­spruch der Kündi­gung in­ner­halb der War­te­zeit oh­ne Of­fen­le­gung sach­li­cher In­ter­es­sen ist der Kläger der Be­klag­ten „schlicht willkürlich aus­ge­lie­fert". Zu berück­sich­ti­gen ist wei­ter, dass der Kläger bei Er­halt der Kündi­gung im Ju­ni 2010 be­reits rund vier Jah­re lang auf dem glei­chen Ar­beits­platz für die Be­klag­te un­be­an­stan­det ge­ar­bei­tet hat. Maßgeb­lich ist auch, dass der Be­klag­ten vor Ab­schluss des Ar­beits­ver­tra­ges die Le­bens­umstände und die fa­mi­liären Bin­dun­gen des Klägers zur Volks­re­pu­blik Chi­na be­kannt wa­ren und in­so­weit ab Ver­trags­be­ginn, ab dem 01.02.2010 kei­ner­lei Verände­run­gen ein­ge­tre­ten sind. Das vor­he­ri­ge Leih­ar­beits­verhält­nis des Klägers zu sei­nem ursprüng­li­chen Ar­beit­ge­ber ist auf Ver­an­las­sung der Be­klag­ten be­en­det wor­den. Dort hat­te der Kläger Kündi­gungs­schutz. Die Be­klag­te ist im No­vem­ber 2009 an den Kläger her­an­ge­tre­ten und hat ihm ei­nen Ar­beits­ver­trag an­ge­dient. Ob­gleich kei­ner­lei Verände­run­gen in den tatsächli­chen und recht­li­chen Verhält­nis­sen ein­ge­tre­ten sind, hat die Be­klag­te so­dann un­ter Aus­nut­zung der Nicht­an­wend­bar­keit des Kündi­gungs­schutz­ge­set­zes das Ar­beits­verhält­nis im Ju­ni 2010 gekündigt, weil sie den Kläger plötz­lich als Si­cher­heits­ri­si­ko ein­ge­ord­net hat. Rund ein Drit­tel der Beschäftig­ten der Be­klag­ten verfügen über ei­nen Mi­gra­ti­ons­hin­ter­grund. Die Be­klag­te hat kei­ner­lei kon­kre­te Si­cher­heits­gefähr­dung dar­ge­legt. Sie hat nichts zur kon­kre­ten Tätig­keit des Klägers, zu ei­nem et­wai­gen Um­gang mit sen­si­blen

 

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Da­ten, zu Kri­te­ri­en ei­ner Si­cher­heitsüber­prüfung in ih­rem Be­trieb, zu kon­kre­ten Fak­ten und Hin­ter­gründen vor­ge­tra­gen, auf de­nen ih­re von ih­rer Ein­stel­lungs­ent­schei­dung ab­wei­chen­de neue Einschätzung der Si­cher­heits­si­tua­ti­on vom 05.03.2010 be­ruht. Die Be­klag­te hat den Kläger am 5. März 2010 bis zum Aus­tritt aus dem Un­ter­neh­men frei­ge­stellt. Sie hat so­fort da­nach, am 16.3./ 17.03.2010 mit Wir­kung ab 12.04.2010 ex­pli­zit ei­ne Er­satz­ein­stel­lung für ihn vor­ge­nom­men – Frau H...-R... (Bl. 44 der Ak­te). Sie hat dann am 07.06.2010 – ka­schiert als „be­triebs­be­ding­te Kündi­gung“ - (Bl. 41 der Ak­te) recht­zei­tig vor Ver­strei­chen der War­te­zeit des § 1 KSchG das Kündi­gungs­pro­ze­de­re ein­ge­lei­tet und dar­ge­legt, man ha­be sich ent­schie­den, dass der „Part, für den der Kläger ein­ge­stellt wur­de, jetzt von Herrn Z... über­nom­men wer­den soll“ (Bl. 40 d.A.). Sie hat den Kläger da­mit ein­fach aus­ge­tauscht. Sie hat vor­ge­tra­gen, das ha­be nichts mit den un­strei­ti­gen Hin­ter­gründen der Frei­stel­lung zu tun, ob­gleich sie nach dem Er­geb­nis der Be­weis­auf­nah­me schon im März mit dem Be­triebs­rat anläss­lich der Frei­stel­lung des Klägers über die Be­en­di­gung sei­nes Beschäfti­gungs­verhält­nis­ses ge­spro­chen hat und ob­gleich sie ihn auch noch­mals im Rah­men der Be­triebs­rats­anhörung vom 11.06.2011 er­neut auf­grund sei­ner persönli­chen Verhält­nis­se als Si­cher­heits­ri­si­ko ein­ge­ord­net hat. Die­se Vor­ge­hens­wei­se der Be­klag­ten, die den schon jah­re­lang bei ihr mit­tels Ar­beit­neh­merüber­lass­sung ein­ge­setz­ten Kläger in Kennt­nis sei­ner fa­mi­liären Verhält­nis­se selbst ab­ge­wor­ben hat, ist mit dem An­stands­gefühl al­ler bil­lig und ge­recht Den­ken­den nicht zu ver­ein­ba­ren. Ihr fehlt die Ein­hal­tung jeg­li­chen "ethi­schen Mi­ni­mums". Der Kläger ist im Zu­sam­men­hang mit dem Aus­spruch die­ser Kündi­gung willkürlich zum Spiel­ball der Be­klag­ten ge­macht wor­den. Die­se Kündi­gung ist sit­ten­wid­rig im Sin­ne des § 138 BGB und da­mit gemäß § 134 BGB un­wirk­sam.

IV. An­ge­sichts der vor­ste­hen­den Ausführun­gen kann es da­hin­ge­stellt blei­ben, ob die Kündi­gung zu­dem ge­gen § 102 Be­trVG verstößt. Es spricht al­ler­dings an­ge­sichts des Er­geb­nis­ses der Be­weis­auf­nah­me so­wie der vor­lie­gen­den Be­triebs­rats­anhörun­gen sehr viel dafür, dass die Be­klag­te den Be­triebs­rat nicht ord­nungs­gemäß im Sin­ne des § 102 Be­trVG be­tei­ligt hat. Al­les deu­tet dar­auf hin, dass die Be­klag­te die ei­gent­li­chen Kündi­gungs­gründe ver­schwie­gen und dem Be­triebs­rat in der Be­triebs­rats­anhörung ge­zielt fal­sche Gründe ge­nannt hat. Ob­gleich für sie un­mit­tel­ba­rer Auslöser der Kündi­gung ih­re „neue“ Be­wer­tung der „al­ten“ fa­mi­liären Si­tua­ti­on des Klägers war, hat sie

 

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dem Be­triebs­rat in der Be­triebs­rats­anhörung mit­ge­teilt, die Kündi­gung be­ru­he auf „drin­gen­den be­triebs­be­ding­ten Gründen" (Bl. 41, 43 der Ak­te). Ab­ge­se­hen da­von, dass in­ner­halb der War­te­zeit zur Recht­fer­ti­gung ei­ner Kündi­gung "drin­gen­de be­triebs­be­ding­te Gründe" und ei­ne ent­spre­chen­de so­zia­le Aus­wahl gar nicht er­for­der­lich wa­ren, hat sich die Be­klag­te hier­auf ge­genüber dem Be­triebs­rat als Kündi­gungs­grund fest­ge­legt. Der tatsächli­che Kündi­gungs­grund, nämlich die un­verändert ge­blie­be­nen fa­mi­liären Verhält­nis­se des Klägers, sei­ne Ehe mit ei­ner in Chi­na le­ben­de chi­ne­si­sche Staats­an­gehöri­gen, ist je­doch in der Be­triebs­rats­anhörung ver­schwie­gen wor­den.

Letzt­end­lich kann je­doch die Fra­ge, ob die Kündi­gung auch we­gen Ver­s­toßes ge­gen § 102 Be­trVG gemäß § 134 BGB un­wirk­sam ist, da­hin­ge­stellt blei­ben, da sich die Un­wirk­sam­keit der Kündi­gung be­reits aus §§ 138, 242 BGB er­gibt.

V. Die frist­gemäße Kündi­gung der Be­klag­ten vom 21.6.2010 hat das Ar­beits­verhält­nis des Klägers aus den oben ge­nann­ten Gründen nicht zum 30.9.2010 wirk­sam be­en­det. Die Kündi­gung ist un­wirk­sam, weil sie ge­gen Ge­set­ze verstößt.

B. Auf den Auflösungs­an­trag des Klägers hin war das Ar­beits­verhält­nis gemäß § 13 Abs. 2 KSchG zum Ab­lauf der Kündi­gungs­frist ge­gen Zah­lung ei­ner Ab­fin­dung in Höhe von 28 000,-- € brut­to auf­zulösen, da dem Kläger die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses nicht zu­zu­mu­ten ist.

1. Verstößt ei­ne Kündi­gung ge­gen die gu­ten Sit­ten, so fin­den gemäß § 13 Abs. 2 KSchG die Vor­schrif­ten des § 9 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 KSchG und der §§ 10-12 KSchG ent­spre­chen­de An­wen­dung. Stellt das Ge­richt fest, dass das Ar­beits­verhält­nis durch die Kündi­gung nicht auf­gelöst ist, ist je­doch dem Ar­beit­neh­mer die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses nicht zu­zu­mu­ten, hat das Ge­richt auf An­trag des Ar­beit­neh­mers gemäß § 9 Abs. 1 S. 1 KSchG das Ar­beits­verhält­nis auf­zulösen und den Ar­beit­ge­ber zur Zah­lung ei­ner an­ge­mes­se­nen Ab­fin­dung zu ver­ur­tei­len. Als Ab­fin­dung ist ein Be­trag bis zu 12 Mo­nats­ver­diens­ten fest­zu­set­zen (§ 10 Abs. 1 KSchG).

 

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2. Bei ei­ner sit­ten­wid­ri­gen Kündi­gung ist dem Ar­beit­neh­mer das wei­te­re Ver­blei­ben bei dem Ar­beit­ge­ber in al­ler Re­gel un­zu­mut­bar (KR-Fried­rich, Rz. 163 zu § 13 KSchG, APS-Biebl, Rz. 53 zu § 13 KSchG).

3. Un­ge­ach­tet des­sen er­ge­ben sich vor­lie­gend auch kon­kre­te Umstände, die in ei­nem in­ne­ren Zu­sam­men­hang zu der von der Be­klag­ten erklärten Kündi­gung ste­hen und dem Kläger die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses un­zu­mut­bar ma­chen. Die Be­klag­te hat den Kläger so­wohl im Zu­sam­men­hang mit der Frei­stel­lungs­erklärung am 05.03.2010 als auch in dem Gespräch mit dem Be­triebs­rat am 16.03.2010 als auch in der Be­triebs­rats­anhörung vom 10.06.2010, als letzt­end­lich auch nach wie vor in der Be­ru­fungs­ver­hand­lung auf­grund sei­ner fa­mi­liären Verhält­nis­se als Si­cher­heits­ri­si­ko ein­ge­ord­net, weil er ei­ne chi­ne­si­sche Staats­an­gehöri­ge ge­hei­ra­tet hat und Fa­mi­li­en­an­gehöri­ge in Chi­na le­ben. Sie hat das in Kennt­nis die­ser fa­mi­liären Kon­tak­te zu­vor jah­re­lang an­ders ge­se­hen. Sie hat den Kläger trotz die­ser fa­mi­liären Kon­tak­te so­gar ge­zielt ab­ge­wor­ben. Die Be­klag­te hat die Hin­ter­gründe für die­se neue Einschätzung nicht of­fen­ge­legt und sich auch nicht hier­von dis­tan­ziert. Ob­gleich die Ehe­frau zwi­schen­zeit­lich in Deutsch­land wohnt und der ge­sam­ten Be­ru­fungs­ver­hand­lung bei­ge­wohnt hat, er­folg­te die­se Ein­ord­nung als „Si­cher­heits­ri­si­ko", zu­letzt noch­mals in der Schluss­stel­lung­nah­me des Geschäftsführers der Be­klag­ten in der Be­ru­fungs­ver­hand­lung vom 22.06.2011. Da­mit ist ei­ne wei­te­re ver­trau­ens­vol­le Zu­sam­men­ar­beit zwi­schen den Par­tei­en er­sicht­lich un­denk­bar. Dem Kläger ist ei­ne Rück­kehr in den Be­trieb und ei­ne Fort­set­zung die­ses Ar­beits­verhält­nis­ses an­ge­sichts die­ser auf­recht­er­hal­te­nen Ein­ord­nung als Si­cher­heits­ri­si­ko so­wie der Dar­le­gun­gen un­ter Zif­fer 3 des Ur­teils un­zu­mut­bar.

4. Bei der Fest­set­zung der Ab­fin­dungshöhe hat die Kam­mer, aus­ge­hend von der mo­nat­li­chen Vergütung des Klägers sein fort­ge­schrit­te­nes Le­bens­al­ter so­wie die Tat­sa­che berück­sich­tigt, dass er sei­ner Ehe­frau so­wie ei­nem Kind ge­genüber un­ter­halts­pflich­tig ist. Der Kläger stand zwar nur we­ni­ge Mo­na­te in ei­nem un­mit­tel­ba­ren Ar­beits­verhält­nis zur Be­klag­ten. Die­se hat­te ihn aber nach vor­he­ri­gem mehr als drei­ein­halbjähri­gem Ein­satz in ih­rem Be­trieb im We­ge der Ar­beit­neh­merüber­las­sung aus ei­nem un­gekündig­ten Ar­beits­verhält­nis in das bei ihr un­geschütz­te Ar­beits­verhält­nis ab­ge­wor­ben. Der Wech­sel in ein Ar­beits­verhält­nis zur Be­klag­ten ent­stand auf

 

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Initia­ti­ve der Be­klag­ten, nicht auf Initia­ti­ve des Klägers. Durch den Wech­sel hat der Kläger sei­nen Kündi­gungs­schutz ver­lo­ren. Zu berück­sich­ti­gen war wei­ter, dass die aus­ge­spro­che­ne streit­be­fan­ge­ne Kündi­gung mit ei­ner nach­hal­ti­gen Ver­let­zung der Grund­rech­te des Klägers ein­her­geht. Dem war in­fol­ge der Ab­fin­dun­gen nach § 10 KSchG auch zu­kom­men­den Ge­nug­tu­ungs­funk­ti­on Rech­nung zu tra­gen. Die Kündi­gung war durch kei­ner­lei pflicht­wid­ri­ges Ver­hal­ten des Klägers aus­gelöst. Sie war auch nicht auf tatsächli­che Verände­run­gen im Le­bens­um­feld des Klägers zurück­zuführen. Der frisch ver­hei­ra­te­te und nun für ei­ne dreiköpfi­ge Fa­mi­lie zuständi­ge Kläger ist un­ter Ver­let­zung sei­ner Grund­rech­te auf­grund ei­nes schlich­ten, nicht jus­ti­zia­blen Sin­nes­wan­del der Be­klag­ten ar­beits­los ge­wor­den. Die Be­klag­te hat sich ihm ge­genüber krass wi­dersprüchlich ver­hal­ten, da sich zwi­schen Ar­beits­auf­nah­me und Kündi­gung we­der in den fa­mi­liären Le­bens­verhält­nis­sen des Klägers noch in sei­nen ar­beits­platz­be­zo­ge­nen Verhält­nis­sen et­was verändert hat. Die Be­klag­te hat ih­re for­mel­len Rech­te ei­nes Ar­beit­ge­bers im Rah­men ei­nes un­geschütz­ten Ar­beits­verhält­nis­ses aus­ge­nutzt, um ih­ren durch kei­ner­lei Tat­sa­chen be­gründe­ten Sin­nes­wan­del in die Tat um­zu­set­zen. Sie hat hierfür später „drin­gen­de be­triebs­be­ding­te Gründe" vor­ge­scho­ben. Der Kläger ist hier­durch ar­beits­los ge­wor­den, oh­ne hier­zu auch nur durch ir­gend­ei­ne Hand­lung oder ein Ver­hal­ten bei­ge­tra­gen zu ha­ben. Der Kläger hat durch das Ver­hal­ten der Be­klag­ten zwei Ar­beitsplätze ver­lo­ren, denn er ist ab­ge­wor­ben wor­den. Der Be­klag­ten wa­ren die Fol­gen ih­res Han­delns für den Kläger egal. Das hat sie, hier­auf hin­ge­wie­sen, auch in der Ver­hand­lung noch­mals zum Aus­druck ge­bracht. Sie hat sich dem­ge­genüber nur pau­schal dar­auf be­ru­fen, das Kündi­gungs­schutz­ge­setz fin­de kei­ne An­wen­dung, die Kündi­gung bedürfe kei­nes verständi­gen, sinn­vol­len oder sach­li­chen Grun­des. Die Be­klag­te hätte im Fal­le ei­ner er­neu­ten Kündi­gung ei­nes Kündi­gungs­grun­des nach dem Kündi­gungs­schutz­ge­setz be­durft. Außer­dem wäre auf­grund der ar­beits­ver­trag­li­chen Re­ge­lun­gen ei­ne lan­ge Kündi­gungs­frist von drei Mo­na­ten zum Mo­nats­en­de ein­zu­hal­ten ge­we­sen. Un­ter Berück­sich­ti­gung al­ler die­ser Umstände des Ein­zel­fal­les hat die Kam­mer die Fest­set­zung ei­ner Ab­fin­dung in Höhe von rund sie­ben Brut­to-Mo­nats­gehältern für an­ge­mes­sen aber auch für aus­rei­chend ge­hal­ten.

C. Aus den ge­nann­ten Gründen war auf die Be­ru­fung des Klägers das an­ge­foch­te­ne Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Elms­horn ab­zuändern und der Kla­ge auf Fest­stel­lung der

 

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Un­wirk­sam­keit der Kündi­gung statt­zu­ge­ben. Fer­ner war auf An­trag des Klägers we­gen Un­zu­mut­bar­keit der Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses die­ses zum Ab­lauf der or­dent­li­chen Kündi­gungs­frist, dem 30.09.2010, auf­zulösen und die Be­klag­te zur Zah­lung von 28.000,-- € brut­to gemäß §§ 13 Abs. 2, 9, 10 Kündi­gungs­schutz­ge­setz als an­ge­mes­se­ne Ab­fin­dung zu ver­ur­tei­len.

Die Kos­ten­ent­schei­dung folgt aus § 91 ZPO.

Die Re­vi­si­on war nicht zu­zu­las­sen. Die Vor­aus­set­zun­gen des § 72 Abs. 2 ArbGG lie­gen nicht vor. Vor­lie­gend han­delt es sich aus­sch­ließlich um ei­ne Ein­zel­fall­ent­schei­dung.

 

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