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Kün­di­gung in der Pro­be­zeit und EU-Grund­rech­te­char­ta

EU-Grund­rech­te­char­ta ver­bes­sert den Schutz vor Pro­be­zeit­kün­di­gun­gen nicht: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Be­schluss vom 08.12.2011, 6 AZN 1371/11
Abrisskalender Kün­di­gungs­schutz in Deutsch­land: Erst ab sechs­mo­na­ti­ger Be­schäf­ti­gung

30.01.2012. Das Kün­di­gungs­schutz­ge­setz (KSchG) er­laubt Kün­di­gun­gen aus be­triebs-, per­so­nen- oder ver­hal­tens­be­ding­ten Grün­den. Die­se Grün­de muss der Ar­beit­ge­ber im Streit­fall be­wei­sen. Al­ler­dings gilt das KSchG nur für Ar­beits­ver­hält­nis­se in Be­trie­ben mit mehr als zehn Ar­beit­neh­mern und auch dann erst nach sechs­mo­na­ti­gem Be­ste­hen des Ar­beits­ver­hält­nis­ses.

In­ner­halb die­ser War­te­zeit von sechs Mo­na­ten ("Pro­be­zeit") ist auch ei­ne "grund­lo­se" Kün­di­gung mög­lich. Des­halb sind Pro­be­zeit­kün­di­gun­gen meis­tens wirk­sam. Nur in Aus­nah­me­fäl­len ist ei­ne Pro­be­zeit­kün­di­gung un­wirk­sam, z.B. wenn sie sit­ten­wid­rig ist oder ge­gen Treu und Glau­ben ver­stößt. Das aber kommt sel­ten vor und ist vom Ar­beit­neh­mer zu be­wei­sen. Da­bei hilft dem Ar­beit­neh­mer auch die Be­ru­fung auf die Char­ta der Grund­rech­te der Eu­ro­päi­schen Uni­on (EU-Grund­rech­te­char­ta) we­nig, wie das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) vor kur­zem klar­stell­te (BAG, Be­schluss vom 08.12.2011, 6 AZN 1371/11).

Wann ist ei­ne Kündi­gung in der Pro­be­zeit un­wirk­sam?

Auf der Grund­la­ge des KSchG können Ar­beit­ge­ber nur kündi­gen, wenn sie dafür ei­nen be­triebs­be­ding­ten und/oder per­so­nen­be­ding­ten und/oder ver­hal­tens­be­ding­ten Grund ha­ben. In ei­nem sol­chen Fall ist ei­ne Kündi­gung "so­zi­al ge­recht­fer­tigt", an­dern­falls un­wirk­sam. Das KSchG gilt aber nur in Be­trie­ben mit mehr als zehn Ar­beit­neh­mern (§ 23 KSchG) und erst nach­dem das Ar­beits­verhält­nis min­des­tens sechs Mo­na­te be­stan­den hat (§ 1 Abs.1 KSchG). Die­se Zeit des War­tens auf die An­wend­bar­keit des KSchG („War­te­zeit“) wird oft Pro­be­zeit ge­nannt, weil auch ei­ne ver­trag­lich ver­ein­bar­te Pro­be­zeit meis­tens sechs Mo­na­te beträgt und dann zeit­gleich mit der ge­setz­li­chen War­te­zeit abläuft (§ 622 Abs.3 Bürger­li­ches Ge­setz­buch - BGB).

Wenn das KSchG ein­greift, trägt der Ar­beit­ge­ber die Be­weis­last für die Wirk­sam­keit sei­ner Kündi­gung (§ 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG). Während der War­te­zeit da­ge­gen und in ei­nem Klein­be­trieb muss der Ar­beit­neh­mer den Nach­weis führen, dass die Kündi­gung un­wirk­sam ist. Das kommt sel­ten vor, am ehes­ten noch, wenn die Be­triebs­rats­anhörung feh­ler­haft war oder ei­ne Schwan­ge­re gekündigt wur­de oh­ne vor­he­ri­ge Zu­stim­mung der zuständi­gen Behörde.

Sind auch die­se Spe­zi­al­vor­schrif­ten nicht an­zu­wen­den, wird es für den in der War­te­zeit gekündig­ten Ar­beit­neh­mer eng: Dann kann die Kündi­gung höchs­tens noch "sit­ten­wid­rig" sein (§ 138 BGB) oder dis­kri­mi­nie­rend oder sie kann gemäß § 242 BGB ge­gen „Treu und Glau­ben ver­s­toßen. Mit ei­ner sol­chen Ar­gu­men­ta­ti­on ha­ben gekündig­te Ar­beit­neh­mer vor Ge­richt aber meist kei­nen Er­folg. Und auch ei­ne Be­ru­fung auf die EU-Grund­rech­te­char­ta hilft hier nicht wei­ter.

BAG: Die Grund­rech­te­char­ta der EU spielt für die Wirk­sam­keit ei­ner Pro­be­zeitkündi­gung kei­ne Rol­le

Ein Ar­beit­neh­mer er­litt in den ers­ten Mo­na­ten des Ar­beits­verhält­nis­ses ei­nen Un­fall, an dem der Ar­beit­ge­ber Schuld hat­te, und war da­her ar­beits­unfähig. So­dann er­hielt er die Kündi­gung. Da­ge­gen er­hob er Kündi­gungs­schutz­kla­ge, da er die Kündi­gung für sit­ten­wid­rig und/oder treu­wid­rig hielt. Das Ar­beits­ge­richt Frei­burg und das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Ba­den-Würt­tem­berg ga­ben dem Ar­beit­ge­ber recht (Ur­teil vom 05.07.2011, 22 Sa 11/11).

Der Ar­beit­neh­mer be­an­trag­te da­her beim BAG die Zu­las­sung der Re­vi­si­on. Er ar­gu­men­tier­te, dass das LAG die EU-Grund­rech­te­char­ta bei der Ge­set­zes­aus­le­gung hätte berück­sich­ti­gen und den Eu­ropäischen Ge­richts­hof (EuGH) um Aus­le­gung bit­ten müssen. Das BAG ent­schied da­ge­gen, dass die Grund­rech­te­char­ta bei der Aus­le­gung der hier an­zu­wen­den­den deut­schen Ge­set­zes­vor­schrif­ten (§§ 138, 242 BGB) kei­ne Be­deu­tung hat, da die­se Re­ge­lun­gen nichts mit dem EU-Recht (z.B. ei­ner EU-Richt­li­nie) zu tun ha­ben. Die Re­vi­si­on wur­de da­her nicht zu­ge­las­sen.

Fa­zit: Auch die Grund­rech­te­char­ta ändert nichts dar­an, dass Pro­be­zeitkündi­gun­gen nur äußerst sel­ten un­wirk­sam sind. Ar­beit­neh­mer müssen da­her in sol­chen Fällen da­mit le­ben, dass ei­ne Kündi­gungs­schutz­kla­ge nur ge­rin­ge Er­folgs­aus­sich­ten hat.

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Letzte Überarbeitung: 6. Juli 2017

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