Um das Angebot dieser Webseite optimal zu präsentieren und zu verbessern, verwendet diese Webseite Cookies. Durch die weitere Nutzung der Webseite stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Näheres dazu erfahren Sie in unserer Datenschutzerklärung.
Okay

HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

BAG, Be­schluss vom 06.06.2007, 4 AZN 487/06

   
Schlagworte: Whistleblowing, Anzeige gegen Arbeitgeber
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 4 AZN 487/06
Typ: Beschluss
Entscheidungsdatum: 06.06.2007
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 3.08.2005, 39 Ca 4775/05
Landesarbeitsgericht Berlin, Urteil vom 28.03.2006, 7 Sa 1884/05
   


BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT

4 AZN 487/06
7 Sa 1884/05
Lan­des­ar­beits­ge­richt

Ber­lin

BESCHLUSS

In Sa­chen

pp.

hat der Vier­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts am 6. Ju­ni 2007 be­schlos­sen:

1. Die Be­schwer­de der Kläge­rin ge­gen die Nicht­zu­las­sung der Re­vi­si­on in dem Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Ber­lin vom 28. März 2006 - 7 Sa 1884/05 - wird zurück­ge­wie­sen.


2. Die Kläge­rin hat die Kos­ten des Be­schwer­de­ver­fah­rens zu tra­gen.

3. Der Streit­wert für das Be­schwer­de­ver­fah­ren wird auf 8.100,00 Eu­ro fest­ge­setzt.

- 2 -

Gründe


I. Die Par­tei­en strei­ten um die Wirk­sam­keit ei­ner außer­or­dent­li­chen ar­beit­ge­ber­sei­ti­gen Kündi­gung. Die Kläge­rin trat am 16. Sep­tem­ber 2000 als Al­ten­pfle­ge­rin in die Diens­te der Rechts­vorgänge­rin der Be­klag­ten. Seit 2002 war sie in ei­nem Wohn­pfle­ge­zen­trum für Se­nio­ren beschäftigt. Die Be­klag­te kündig­te das Ar­beits­verhält­nis nach Anhörung des Be­triebs­rats mit Schrei­ben vom 9. Fe­bru­ar 2005 frist­los, hilfs­wei­se frist-ge­recht. Der Streit der Par­tei­en geht - so­weit für das Be­schwer­de­ver­fah­ren von In­ter­es­se - zum ei­nen dar­um, ob ei­ne von der Kläge­rin ge­gen die Be­klag­te mit an­walt­li­cher Hil­fe er­stat­te­te Straf­an­zei­ge, in der die Kläge­rin der Be­klag­ten ua. Ab­rech­nungs­be­trug und Be­trug zu Las­ten von Be­woh­nern und An­gehöri­gen vor­warf und den „in Re­de“ ste­hen­den Scha­den un­ter Ein­be­zie­hung an­de­rer Ein­rich­tun­gen der Be­klag­ten als sol­chen „in Mil­lio­nenhöhe“ be­zeich­ne­te, als wich­ti­ger Grund die außer­or­dent­li­che Kündi­gung recht­fer­tigt. Zum an­de­ren strei­ten sie dar­um, ob dar­auf die Ent­schei­dung über die Wirk­sam­keit der Kündi­gung gestützt wer­den kann, weil die Be­klag­te die­ses Ver­hal­ten im ers­ten Rechts­zug über­haupt nicht oder nicht deut­lich als Kündi­gungs­grund an­geführt hat. Sch­ließlich ist die Wirk­sam­keit der Be­triebs­rats­anhörung strei­tig.

Das Ar­beits­ge­richt hat der Kla­ge durch Teil­ur­teil statt­ge­ge­ben. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat sie ab­ge­wie­sen und die Re­vi­si­on ge­gen sein Ur­teil nicht zu­ge­las­sen. Hier­ge­gen wen­det sich die Kläge­rin mit ih­rer auf Di­ver­genz, grundsätz­li­che Be­deu­tung ei­ner ent­schei­dungs­er­heb­li­chen Rechts­fra­ge und Ver­let­zung des An­spruchs auf recht­li­ches Gehör gestütz­ten Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de.

II. Die Be­schwer­de hat kei­nen Er­folg. Als Grund­satz­be­schwer­de ent­spricht ih­re Be­gründung nicht den ge­setz­li­chen An­for­de­run­gen. Dies gilt auch für die Rüge der Ver­let­zung des An­spruchs auf recht­li­ches Gehör. Un­ter dem Ge­sichts­punkt der Di­ver­genz ist die Be­schwer­de un­be­gründet.


1. Die Be­schwer­de hat die Vor­aus­set­zun­gen für die Zu­las­sung der Re­vi­si­on we­gen grundsätz­li­cher Be­deu­tung ei­ner ent­schei­dungs­er­heb­li­chen Rechts­fra­ge nicht schlüssig dar­ge­legt.


a) Nach § 72a Abs. 1 ArbGG, § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG kann ei­ne Be­schwer­de ge­gen die Nicht­zu­las­sung der Re­vi­si­on dar­auf gestützt wer­den, dass das Be­ru­fungs­ge­richt die Re­vi­si­on nicht zu­ge­las­sen hat, ob­wohl des­sen Ur­teil ei­ne ent­schei­dungs­er­heb-
 


- 3 -

li­che Rechts­fra­ge von grundsätz­li­cher Be­deu­tung auf­wirft. Das ist dann der Fall, wenn die Klärung der Rechts­fra­ge ent­we­der von all­ge­mei­ner Be­deu­tung für die Rechts­ord­nung ist oder we­gen ih­rer tatsächli­chen Aus­wir­kun­gen die In­ter­es­sen zu­min­dest ei­nes größeren Teils der All­ge­mein­heit berührt (BAG 26. Sep­tem­ber 2000 - 3 AZN 181/00 - BA­GE 95, 372, zu II 2 der Gründe; 23. Ja­nu­ar 2007 - 9 AZN 792/06 - NJW 2007, 1165; Se­nat 9. Mai 2007 - 4 AZN 1144/06 -). Ent­schei­dungs­er­heb­lich ist die Rechts­fra­ge, wenn die Ent­schei­dung des Lan­des­ar­beits­ge­richts von ihr ab­hing (zB Se­nat 23. Au­gust 2006 - 4 AZN 244/06 -; 21. Fe­bru­ar 2007 - 4 AZN 534/06 -). Dies ist der Fall, wenn sich das Lan­des­ar­beits­ge­richt mit der vom Be­schwer­deführer in der Be­schwer­de for­mu­lier-ten Rechts­fra­ge be­fasst, sie be­ant­wor­tet hat. Es genügt nicht, dass das Lan­des­ar­beits­ge­richt sich nach der Auf­fas­sung des Be­schwer­deführers mit der Rechts­fra­ge grundsätz­li­cher Be­deu­tung hätte be­fas­sen müssen (vgl. BAG 13. Ju­ni 2006 - 9 AZN 226/06 - AP ArbGG 1979 § 72a Grund­satz Nr. 65 = EzA ArbGG 1979 § 72a Nr. 109; Se­nat 21. Fe­bru­ar 2007 - 4 AZN 534/06 -).

b) Die­se Vor­aus­set­zun­gen sind von der Be­schwer­de nicht dar­ge­legt. Die Be­schwer­de be­zeich­net zwar die von ihr an­geführ­te „Rechts­fra­ge“ - „Kann der Ar­beit­ge­ber die Er­stat­tung ei­ner Straf­an­zei­ge ge­gen den Ar­beit­ge­ber als Kündi­gungs­grund in der Be­ru­fung nach­schie­ben, wenn er in der ers­ten In­stanz sei­ne Kündi­gung auf die Ver­tei­lung ei­nes Flug­blat­tes ge­gen den Ar­beit­ge­ber gestützt und aus­drück­lich erklärt hat, dass er die Kündi­gung nicht auf die Straf­an­zei­ge stützt?“ - ein­lei­tend als sol­che von „grund­le­gen­der Be­deu­tung“, lässt aber die fall­be­zo­ge­ne Dar­le­gung der Erfüllung die­ser Vor­aus­set­zung ver­mis­sen. Zu­dem be­haup­tet sie nicht die Ent­schei­dungs­er­heb­lich­keit der Rechts­fra­ge in dem vor­ste­hend dar­ge­stell­ten Sin­ne, al­so die Be­fas­sung des Lan­des­ar­beits­ge­richts mit die­ser Rechts­fra­ge, und dies mit Recht: Denn das Lan­des­ar­beits­ge­richt ist nicht da­von aus­ge­gan­gen, dass die Be­klag­te „aus­drück­lich erklärt“ hat, die Kündi­gung nicht auf die Straf­an­zei­ge zu stützen. Es hat viel­mehr aus­geführt, die Be­klag­te ha­be „sich in der ers­ten In­stanz nicht hin­rei­chend deut­lich auf die­sen Kündi­gungs­grund gestützt“.


2. Ei­nen Ver­s­toß des Lan­des­ar­beits­ge­richts ge­gen den An­spruch auf Gewährung recht­li­chen Gehörs iSv. § 72 Abs. 2 Nr. 3 ArbGG hat die Be­schwer­de eben­falls nicht den ge­setz­li­chen An­for­de­run­gen ent­spre­chend dar­ge­legt.


a) Zur Be­gründung ei­ner Be­schwer­de we­gen der Ver­let­zung des An­spruchs auf recht­li­ches Gehör (§ 72 Abs. 2 Nr. 3 ArbGG), der sich auf ei­nen feh­len­den Hin­weis des
 


- 4 -

Lan­des­ar­beits­ge­richts im Be­ru­fungs­ver­fah­ren stützt, hat der Be­schwer­deführer nicht nur vor­zu­tra­gen, wel­che kon­kre­ten Hin­wei­se das Lan­des­ar­beits­ge­richt ihm auf­grund wel­cher Tat­sa­chen hätte er­tei­len müssen und wel­che wei­te­ren er­heb­li­chen Tat­sa­chen er dann in der Be­ru­fungs­in­stanz vor­ge­bracht hätte (BAG 1. März 2005 - 9 AZN 29/05 - BA­GE 114, 57, 59). Darüber hin­aus gehört zur Dar­le­gung ei­ner Ver­let­zung des An­spruchs auf recht­li­ches Gehör bei der Rüge ei­nes un­ter­las­se­nen Hin­wei­ses nach § 139 Abs. 2 ZPO der Vor­trag, dass mit der recht­li­chen Be­ur­tei­lung durch das Be­ru­fungs­ge­richt auch ein ge­wis­sen­haf­ter und rechts­kun­di­ger Pro­zess­be­vollmäch­tig­ter auch un­ter Be­ach­tung der Viel­falt ver­tret­ba­rer Rechts­auf­fas­sun­gen nicht zu rech­nen brauch­te. Denn nicht je­der ein­fach­recht­li­che Ver­s­toß ge­gen die Hin­weis­pflicht nach § 139 Abs. 2 ZPO stellt zu­gleich ei­ne Ver­let­zung des ver­fas­sungs­recht­li­chen An­spruchs auf Gewährung recht­li­chen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG dar (BVerfG 12. Ju­ni 2003 - 1 BvR 2285/02 - NJW 2003, 2524; 8. Ja­nu­ar 2004 - 1 BvR 864/03 - NJW 2004, 1371; BAG 31. Au­gust 2005 - 5 AZN 187/05 - AP ArbGG 1979 § 72a Recht­li­ches Gehör Nr. 7 = EzA ArbGG 1979 § 72a Nr. 104; Se­nat 14. Fe­bru­ar 2007 - 4 AZN 802/06 -).

b) Die­sen An­for­de­run­gen wird die Be­schwer­de­be­gründung der Kläge­rin nicht­ge­recht. Die Be­schwer­de rügt, das Lan­des­ar­beits­ge­richt ha­be es un­ter Ver­s­toß ge­gen § 139 ZPO versäumt, ihr fol­gen­den rich­ter­li­chen Hin­weis zu ge­ben: „Der Kläge­rin wird Ge­le­gen­heit ge­ge­ben, Stel­lung zu neh­men zu den Ausführun­gen der Be­klag­ten in de­ren Schrift­satz vom 23. März 2006, die Straf­an­zei­ge der Kläge­rin ent­hal­te be­wusst wahr­heits­wid­ri­ge, je­den­falls aber leicht­fer­ti­ge An­ga­ben und die Kläge­rin wer­fe der Be­klag­ten in der Straf­an­zei­ge oh­ne ei­ne annähernd hin­rei­chen­de Tat­sa­chen­grund­la­ge ‚ins Blaue hin­ein’ ei­nen Ab­rech­nungs­be­trug und ei­ne Ge­sund­heits­gefähr­dung der Be­woh­ner vor.“ Mit die­sem Vor­trag ist ei­ne Ver­let­zung des ver­fas­sungs­recht­li­chen An­spruchs auf die Gewährung recht­li­chen Gehörs gem. Art. 103 Abs. 1 GG nicht hin­rei­chend dar­ge­legt. In­so­weit ist von Be­deu­tung, dass das Lan­des­ar­beits­ge­richt in der ers­ten Be­ru­fungs­ver­hand­lung am 14. Fe­bru­ar 2006 der Kläge­rin fol­gen­de Auf­la­ge er­teilt hat: „Der Kläge­rin wird Ge­le­gen­heit ge­ge­ben, bin­nen drei Wo­chen An­lass und Gründe für die von ihr ge­stell­te Straf­an­zei­ge ge­gen die Geschäftsführung der Be­klag­ten we­gen Be­tru­ges und Nöti­gung dar­zu­le­gen. Da­bei ist auch vor­zu­tra­gen, wel­che in­ner­be­trieb­li­chen Mit­tel gewählt wur­den, um die be­haup­te­ten Missstände zu be­sei­ti­gen.“ An­ge­sichts des­sen be­durf­te es der Dar­le­gung in der Be­schwer­de, auch ein ge­wis­sen­haf­ter und rechts­kun­di­ger Pro­zess­be­vollmäch­tig­ter hätte nicht er­ken­nen können, dass es der Kläge­rin da­mit ob­lag, die „Tat­sa­chen­grund­la­ge“ für die der Be­klag­ten vor­ge­wor­fe­nen Straf­ta­ten im Ein­zel­nen dar­zu­le­gen, son­dern dass ein sol­cher Pro­zess-
 


- 5 -

be­vollmäch­tig­ter noch des Hin­wei­ses be­durf­te, die­ser Vor­trag sei auch für die Fra­ge von Be­deu­tung, ob die Kläge­rin in ih­rer Straf­an­zei­ge leicht­fer­tig fal­sche An­ga­ben ge­macht ha­be. Die­se Dar­le­gung hat die Be­schwer­de versäumt. Da­von ab­ge­se­hen ver­weist das Lan­des­ar­beits­ge­richt bei sei­ner Wer­tung, die Kläge­rin ha­be in ih­rer Straf­an­zei­ge leicht­fer­tig fal­sche An­ga­ben ge­macht, dar­auf, die Kläge­rin ha­be „trotz ent­spre­chen­der Auf­la­ge“ die Nach­voll­zieh­bar­keit ih­rer Vorwürfe nicht dar­ge­legt. Es stützt sich al­so nicht auf Ausführun­gen der Be­klag­ten in ih­rem Schrift­satz vom 23. März 2006. Die Kläge­rin lässt so­mit auch die Dar­le­gung ver­mis­sen, dass erst in die­sem Schrift­satz ent­hal­te­ner über den In­halt der ihr er­teil­ten Auf­la­ge vom 14. Fe­bru­ar 2006 hin­aus­ge­hen­der Vor­trag ent­schei­dungs­er­heb­lich war, ihr al­so dies­bezüglich Ge­le­gen­heit zur Er­wi­de­rung hätte ge­ge­ben wer­den müssen.


So­weit die Kläge­rin dem Lan­des­ar­beits­ge­richt ei­nen Ver­s­toß ge­gen die Dar­le­gungs- und Be­weis­last vor­wirft, weil sie als Ers­te zum Ge­sichts­punkt der Leicht­fer­tig­keit ha­be vor­tra­gen sol­len, fehlt es auf Grund der vor­ste­hen­den Ausführun­gen an der Dar­le­gung der Ent­schei­dungs­er­heb­lich­keit die­ses Ver­fah­rens­ver­s­toßes.

3. Un­ter dem Ge­sichts­punkt der Di­ver­genz ist die Be­schwer­de un­be­gründet. Die von ihr be­haup­te­ten Di­ver­gen­zen lie­gen sämt­lich nicht vor.


a) Die Di­ver­genz­be­schwer­de (§ 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG) ist be­gründet, wenn sich der an­zu­fech­ten­den und der her­an­ge­zo­ge­nen Ent­schei­dung die vom Be­schwer­deführer be­haup­te­ten Rechtssätze ent­neh­men las­sen, die die­sel­be Rechts­fra­ge be­tref­fen­den Rechtssätze von­ein­an­der ab­wei­chen und die an­zu­fech­ten­de Ent­schei­dung auf die­ser Ab­wei­chung be­ruht.


b) Dies ist nicht der Fall. Die von der Be­schwer­de an­geführ­ten an­geb­lich di­ver­gie­ren­den Rechtssätze, de­ren teil­wei­se zwei­fel­haf­ter Rechts­satz­cha­rak­ter zu­guns­ten der Be­schwer­de un­ter­stellt wer­den kann, be­tref­fen zum Teil nicht die­sel­be Rechts­fra­ge; zum Teil sind sie vom Lan­des­ar­beits­ge­richt nicht auf­ge­stellt wor­den. Für die ers­te Di­ver­genzrüge wird dies nach­fol­gend im Ein­zel­nen be­gründet. An­ge­sichts der Zahl der be­haup­te­ten Di­ver­gen­zen und des Um­fangs der Be­schwer­de­be­gründung, die ins­ge­samt 55 Sei­ten um­fasst, wird von der vollständi­gen Dar­stel­lung der an­geb­lich di­ver­gie­ren­den Rechtssätze bei den nach­fol­gen­den Di­ver­gen­zen ab­ge­se­hen und nur schwer­punktmäßig be­gründet, war­um der an­ge­spro­che­ne Vor­trag ei­ne nachträgli­che Re­vi­si­ons­zu­las­sung nicht recht­fer­tigt.

1. Di­ver­genzrüge (S. 1 ff. der Be­schwer­de­be­gründung)

- 6 -

aa) Die Be­schwer­de be­haup­tet fol­gen­den Rechts­satz der an­zu­fech­ten­den Ent­schei­dung: „Ei­ne Ar­beit­neh­me­rin macht leicht­fer­tig fal­sche An­ga­ben, wenn sie die in ei­ner Straf­an­zei­ge ge­gen ih­ren Ar­beit­ge­ber er­ho­be­nen Vorwürfe je­den­falls nicht in ei­ner an­sch­ließen­den Kündi­gungs­schutz­kla­ge nach­voll­zieh­bar auf ei­nen Sach­ver­halt gründet, der er­wi­de­rungsfähig und ei­nem Be­weis zugäng­lich ist. Dann ist ei­ne sol­che Straf­an­zei­ge ein wich­ti­ger Grund für ei­ne frist­lo­se Kündi­gung.“


Da­mit - so die Be­schwer­de - wei­che das Lan­des­ar­beits­ge­richt so­wohl von dem Rechts­satz des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts in der Ent­schei­dung vom 2. Ju­li 2001 (- 1 BvR 2049/00 - AP BGB § 626 Nr. 170 = EzA BGB § 626 nF Nr. 188) ab, der lau­te: „Auch die Wahr­neh­mung staatsbürger­li­cher Rech­te im Straf­ver­fah­ren kann - so­weit nicht wis­sent­lich un­wah­re oder leicht­fer­tig fal­sche An­ga­ben ge­macht wer­den - im Re­gel­fall aus rechts­staat­li­chen Gründen nicht da­zu führen, dar­aus ei­nen Grund für ei­ne frist­lo­se Kündi­gung ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses ab­zu­lei­ten“, als auch von dem­je­ni­gen „Rechts­satz“ des Bun­des­ar­beits­ge­richts in der Ent­schei­dung vom 3. Ju­li 2003 (- 2 AZR 235/02 - BA­GE 107, 36): „Zeigt ein Ar­beit­neh­mer sei­nen Ar­beit­ge­ber ‚frei­wil­lig’ bei der Straf­ver­fol­gungs­behörde an, so kann die dar­in lie­gen­de Wahr­neh­mung staatsbürger­li­cher Rech­te im Straf­ver­fah­ren re­gelmäßig nicht zu ei­ner Ver­let­zung der ar­beits­ver­trag­li­chen Pflich­ten führen und ei­ne des­we­gen erklärte Kündi­gung so­zi­al recht­fer­ti­gen ... Mit dem Rechts­staats­prin­zip ist es re­gelmäßig un­ver­ein­bar, wenn ei­ne An­zei­ge und Aus­sa­ge im Er­mitt­lungs­ver­fah­ren zu zi­vil­recht­li­chen Nach­tei­len für den an­zei­gen­den Ar­beit­neh­mer bzw. Zeu­gen führen würde, es sei denn, er hat wis­sent­lich un­wah­re oder leicht­fer­tig fal­sche An­ga­ben ge­macht ...“. Außer­dem ste­he der Rechts­satz der an­zu­fech­ten­den Ent­schei­dung „in Wi­der­spruch“ zu „wei­te­ren Rechtssätzen“ des Bun­des­ar­beits­ge­richts in der­sel­ben Ent­schei­dung, wor­un­ter die Be­schwer­de ei­nen aus ins­ge­samt sechs Sätzen be­ste­hen­den, ei­ne hal­be Druck­sei­te ausfüllen­den Teil der Ent­schei­dungs­gründe ver­steht.


bb) Die von der Be­schwer­de be­haup­te­te Di­ver­genz liegt nicht vor. Denn die an­geb­lich di­ver­gie­ren­den Rechtssätze der an­zu­fech­ten­den und die oben im Wort­laut wie­der­ge­ge­be­nen Rechtssätze der her­an­ge­zo­ge­nen Ent­schei­dun­gen be­tref­fen nicht die­sel­be Rechts­fra­ge. Der an­geb­lich vom Lan­des­ar­beits­ge­richt auf­ge­stell­te Rechts­satz be­fasst sich vor­ran­gig mit der Rechts­fra­ge, ob aus dem Pro­zess­vor­trag des Ar­beit­neh­mers der Schluss ge­zo­gen wer­den kann, in ei­ner Straf­an­zei­ge leicht­fer­tig fal­sche An­ga­ben ge­macht zu ha­ben. Dar­um geht es in den zi­tier­ten Rechtssätzen der her­an-ge­zo­ge­nen Ent­schei­dun­gen nicht. Die­se be­fas­sen sich mit der Kündi­gungs­re­le­vanz


- 7 -

ei­ner Straf­an­zei­ge des Ar­beit­neh­mers ge­gen den Ar­beit­ge­ber und dif­fe­ren­zie­ren da­bei ua. da­nach, ob der Ar­beit­neh­mer in der Straf­an­zei­ge leicht­fer­tig fal­sche An­ga­ben ge­macht hat oder ihm dies nicht vor­zu­wer­fen ist.


So­weit die Be­schwer­de ei­ne Di­ver­genz des von ihr an­geführ­ten Rechts­sat­zes der an­zu­fech­ten­den Ent­schei­dung zu „wei­te­ren Rechtssätzen“ des Bun­des­ar­beits­ge­richts in der her­an­ge­zo­ge­nen Ent­schei­dung rügt, fehlt schon die kon­kre­te Dar­le­gung ei­nes Rechts­sat­zes. Im Übri­gen be­trifft der von der Be­schwer­de zi­tier­te Teil der Ent­schei­dungs­gründe des her­an­ge­zo­ge­nen Ur­teils eben­falls nicht die Rechts­fra­ge, wel­che Be­deu­tung der Pro­zess­vor­trag des Ar­beit­neh­mers für die Fra­ge leicht­fer­ti­gen Ver­hal­tens bei der Straf­an­zei­ge hat.


2. Di­ver­genzrüge (S. 9 ff. der Be­schwer­de­be­gründung)

aa) Be­haup­te­ter Rechts­satz der her­an­ge­zo­ge­nen Ent­schei­dung: „Ei­ne Ar­beit­neh­me­rin macht selbst dann leicht­fer­tig fal­sche An­ga­ben in ei­ner Straf­an­zei­ge ge­gen ih­ren Ar­beit­ge­ber und re­agiert un­verhält­nismäßig, wenn sie Per­so­nal­man­gel und die dar­aus re­sul­tie­ren­den Kon­se­quen­zen für Per­so­nal und Be­woh­ner als An­lass für ih­re An­zei­ge an­gibt und das Ar­beits­ge­richt in der 1. In­stanz die­sen Per­so­nal­man­gel in ge­wis­sem Um­fang als ob­jek­tiv ge­ge­ben einschätzt.“


bb) Die be­haup­te­te Di­ver­genz zu den­sel­ben her­an­ge­zo­ge­nen Rechtssätzen wie bei der ers­ten Di­ver­genzrüge be­steht eben­falls des­halb nicht, weil die­se Rechtssätze nicht die in dem Rechts­satz der an­zu­fech­ten­den Ent­schei­dung be­han­del­te Rechts­fra­ge be­tref­fen. In kei­nem der bei­den Fälle, zu de­nen die her­an­ge­zo­ge­nen Ent­schei­dun­gen er­gan­gen sind, wa­ren „Per­so­nal­man­gel und die dar­aus re­sul­tie­ren­den Kon­se­quen­zen für Per­so­nal und Be­woh­ner An­lass für“ die „An­zei­ge“.


3. Di­ver­genzrüge (S. 13 ff. der Be­schwer­de­be­gründung)

aa) Der an­geb­lich vom Lan­des­ar­beits­ge­richt auf­ge­stell­te Rechts­satz be­trifft die Fra­ge des Vor­rangs der in­ner­be­trieb­li­chen Aufklärung vor der Straf­an­zei­ge.


bb) Da­mit be­fasst sich der schon für die ers­te und zwei­te Di­ver­genzrüge von der Kläge­rin her­an­ge­zo­ge­ne Rechts­satz des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts nicht. Zu dem Rechts­satz des Bun­des­ar­beits­ge­richts in der Ent­schei­dung vom 3. Ju­li 2003 (- 2 AZR 235/02 - aaO): „Ent­ge­gen ei­ner teil­wei­se ver­tre­te­nen Auf­fas­sung ... gebührt der in­ner­be­trieb­li­chen Klärung nicht ge­ne­rell der Vor­rang“, den die Be­schwer­de als „Leit­li­nie“ ei­nem von ihr zi­tier­ten aus elf Sätzen be­ste­hen­den Text­ab­schnitt der Ent­schei­dungs-
 


- 8 -

gründe ent­nimmt, be­steht kei­ne Di­ver­genz. Denn auch das Lan­des­ar­beits­ge­richt, wel­ches die Ent­schei­dung des Bun­des­ar­beits­ge­richts vom 3. Ju­li 2003 (- 2 AZR 235/02 - aaO) mehr­fach zi­tiert, führt zur in­ner­be­trieb­li­chen Klärung aus: „Ihr gebührt nicht ge­ne­rell der Vor­rang.“ Das un­ter­schlägt die Be­schwer­de.


4. Di­ver­genzrüge (S. 23 ff. der Be­schwer­de­be­gründung)

aa) Der be­haup­te­te „Rechts­satz“ der her­an­ge­zo­ge­nen Ent­schei­dung be­fasst sich im We­sent­li­chen mit der Rechts­fra­ge, ob „ei­ne Straf­an­zei­ge ge­gen den Ar­beit­ge­ber ... dann leicht­fer­tig und ei­ne un­verhält­nismäßige Re­ak­ti­on der Ar­beit­neh­me­rin“ ist, „wenn die Ar­beit­neh­me­rin ge­gen den Ar­beit­ge­ber Straf­an­zei­ge er­stat­tet, ob­wohl der Ar­beit­ge­ber ei­ner außer­be­trieb­li­chen Kon­trol­le un­ter­liegt, die­se Kon­troll­ein­rich­tun­gen“ - rich­tig: Kon­troll­ein­rich­tung - „mit der Prüfung der Vorwürfe be­fasst ist und schon ein­mal zu ei­nem frühe­ren Zeit­punkt Kon­se­quen­zen an­ge­droht hat.“


bb) Mit die­ser Rechts­fra­ge be­fas­sen sich die be­reits zu den vor­be­han­del­ten Di­ver­genzrügen von der Kläge­rin her­an­ge­zo­ge­nen Ent­schei­dun­gen des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts und des Bun­des­ar­beits­ge­richts nicht. Dies er­kennt letzt­lich auch die Be­schwer­de, meint aber, dem Sin­ne nach liegt ei­ne Ab­wei­chung vor. Da­mit be­haup­tet sie der Sa­che nach ei­ne nur im Re­vi­si­ons­ver­fah­ren über­prüfba­re feh­ler­haf­te Rechts­an­wen­dung des Lan­des­ar­beits­ge­richts, auch wenn sie dies aus­drück­lich in Ab­re­de stellt.


5. Di­ver­genzrüge (S. 28 ff. der Be­schwer­de­be­gründung)

aa) Die Be­schwer­de be­haup­tet die Auf­stel­lung „der fol­gen­den abs­trak­ten Rechtssätze“ durch das Lan­des­ar­beits­ge­richt: „Hat der Ar­beit­ge­ber in der Anhörung des Be­triebs­ra­tes als Kündi­gungs­grund ‚Straf­an­zei­ge ge­gen den Ar­beit­ge­ber’ ge­nannt, so ist er selbst dann nicht ver­pflich­tet, hin­sicht­lich wei­te­rer Tat­sa­chen den Be­triebs­rat er­neut an­zuhören, wenn die­se wei­te­ren Tat­sa­chen kündi­gungs­re­le­vant sind oder der Kündi­gung er­heb­lich mehr Ge­wicht ver­lei­hen und der Ar­beit­ge­ber die­se wei­te­ren Tat­sa­chen in dem ge­richt­li­chen Ver­fah­ren ver­wer­ten will.“ Da­mit - so die Be­schwer­de - wei­che das Lan­des­ar­beits­ge­richt von ei­nem von ihr näher dar­ge­stell­ten Rechts­satz des Bun­des­ar­beits­ge­richts in der Ent­schei­dung vom 18. De­zem­ber 1980 (- 2 AZR 1006/78 - BA­GE 34, 309) ab.


bb) Die be­haup­te­te Di­ver­genz liegt nicht vor. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat den be­haup­te­ten Rechts­satz we­der selbst aus­drück­lich auf­ge­stellt, wo­von auch die Be­schwer­de aus­geht, noch ist er des­sen fall­be­zo­ge­nen Ausführun­gen zu ent­neh­men.
 


- 9 -

Das Lan­des­ar­beits­ge­richt geht nicht da­von aus, dass die Be­klag­te im Kündi­gungs­rechts­streit - ver­gli­chen mit dem In­halt der Be­triebs­rats­anhörung - wei­te­re kündi­gungs-re­le­van­te Tat­sa­chen oder sol­che Tat­sa­chen „ver­wer­ten“ will, die „der Kündi­gung er­heb­lich mehr Ge­wicht ver­lei­hen“. Viel­mehr führt es aus, die Be­klag­te ha­be dem Be­triebs­rat im Anhörungs­ver­fah­ren „auch die von der Kläge­rin ge­stell­te Straf­an­zei­ge“ mit­ge­teilt. De­ren In­halt sei der Be­klag­ten sei­ner­zeit - un­strei­tig - nicht be­kannt ge­we­sen. Des­sen nach­fol­gen­de Her­an­zie­hung für die Be­ur­tei­lung der Wirk­sam­keit der Kündi­gung sei - le­dig­lich - „ei­ne Kon­kre­ti­sie­rung des Kündi­gungs­grun­des ‚Straf­an­zei­ge ge­gen den Ar­beit­ge­ber’, für die es ei­ner er­neu­ten Anhörung des Be­triebs­rats nicht be­durf­te“. Auch in­so­weit liegt der Sa­che nach trotz der wie­der­um aus­drück­lich ver­tre­te­nen ge­gen­tei­li­gen Auf­fas­sung der Kläge­rin al­len­falls ei­ne feh­ler­haf­te Rechts­an­wen­dung vor, die al­lein die Zu­las­sung der Re­vi­si­on nicht zu be­gründen ver­mag.

6. Di­ver­genzrüge (S. 1 ff. des Ergänzungs­schrift­sat­zes vom 3. Ju­li 2006)


aa) Die Be­schwer­de be­haup­tet „fol­gen­den abs­trak­ten Rechts­satz“ des Lan­des­ar­beits­ge­richts: „Ei­ne Straf­an­zei­ge ge­gen den ei­ge­nen Ar­beit­ge­ber, die be­zweckt, den Ar­beit­ge­ber un­ter öffent­li­chen un­ter Druck zu set­zen und da­mit ei­ner an­ge­spann­ten Per­so­nal­si­tua­ti­on ab­zu­hel­fen, be­rech­tigt selbst dann, der An­zei­gen­den aus wich­ti­gem Grund zu kündi­gen,


• wenn vor­her zahl­rei­che in­ner­be­trieb­li­che und außer­be­trieb­li­che Hin­wei­se den Ar­beit­ge­ber auf ei­nen Per­so­nal­man­gel oder doch zu­min­dest ei­ne an­ge­spann­te Per­so­nal­si­tua­ti­on hin­ge­wie­sen ha­ben und das Ar­beits­ge­richt 1. In­stanz ur­teilt, dass ‚ein ge­wis­ser Per­so­nal­man­gel ob­jek­tiv vor­zu­lie­gen scheint’ und

• wenn die An­zei­gen­de vor­her ge­warnt hat, dass durch Per­so­nal­man­gel Be­woh­ner gefähr­det wer­den, und den Ar­beit­ge­ber bit­tet, dar­zu­le­gen, wie Ein­lei­tung von staats­an­walt­li­chen Er­mitt­lun­gen ver­mie­den wer­den können und

• der Ar­beit­ge­ber trotz­dem den Vor­wurf der nicht si­cher­ge­stell­ten aus­rei­chen­den Pfle­ge ent­schie­den zurück­weist.“

Da­mit wei­che das Lan­des­ar­beits­ge­richt wie­der­um von Rechtssätzen der be­reits in den Di­ver­genzrügen 1 bis 4 her­an­ge­zo­ge­nen Ent­schei­dun­gen ab.


bb) Dies ist nicht der Fall. Es gel­ten auch hier die Ausführun­gen zur Di­ver­genzrüge 2.
 


- 10 -

III. Von ei­ner wei­te­ren Be­gründung zum sons­ti­gen, vom Se­nat ge­prüften Vor­brin­gen der Kläge­rin wird ab­ge­se­hen, da sie nicht ge­eig­net wäre, zur Klärung der Vor­aus­set­zun­gen bei­zu­tra­gen, un­ter de­nen die Re­vi­si­on zu­zu­las­sen wäre (§ 72a Abs. 5 Satz 5 ArbGG).


IV. Die Kos­ten­ent­schei­dung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

V. Die Fest­set­zung des Wer­tes des Streit­ge­gen­stan­des be­ruht auf § 63 Abs. 2 GKG, § 3 ZPO, § 42 Abs. 4 Satz 1 GKG. Der fest­ge­setz­te Streit­wert ent­spricht dem Be­trag des drei­fa­chen Mo­nats­ver­diens­tes der Kläge­rin.

Be­p­ler 

Creutz­feldt 

Bott

Jürgens 

Rupp­recht

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 


zur Übersicht 4 AZN 487/06