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ARBEITSRECHT AKTUELL // 11/175

Ver­pfei­fen / Whist­leb­lo­wing oh­ne Ri­si­ko ei­ner Kün­di­gung?

Wer sich für ein Ver­pfei­fen sei­nes Ar­beit­ge­bers („Whist­leb­lo­wing“) ent­schei­det, ris­kiert die frist­lo­se Kün­di­gung: Eu­ro­päi­scher Ge­richts­hof für Men­schen­rech­te, Ur­teil vom 21.07.2011, 28274/08 (Hei­nisch)
Europafahne Ver­stößt das deut­sche Ar­beits­recht ge­gen die Men­schen­rech­te?

08.09.2011. Ar­beit­neh­mer müs­sen dem Ar­beit­ge­ber die Stan­ge hal­ten, d.h. sie sind zur "Loya­li­tät" und Ver­schwie­gen­heit ver­pflich­tet (§ 241 Abs. 2 Bür­ger­li­ches Ge­setz­buch - BGB).

In­ner­be­trieb­li­che Pro­ble­me dür­fen sie nicht her­aus­po­sau­nen, son­dern müs­sen sich erst ein­mal um ei­ne in­ner­be­trieb­li­che Lö­sung be­mü­hen. Nur wenn das kei­nen Er­folg hat oder von vorn­her­ein aus­sichts­los ist, dür­fen sie den Ar­beit­ge­ber bei au­ßer­be­trieb­li­chen Stel­len und Be­hör­den "ver­pfei­fen", d.h. sie sind zum "Whist­leb­lo­wing" be­rech­tigt.

Die deut­sche Recht­spre­chung ist hier ar­beit­ge­ber­freund­lich. Ar­beit­neh­mer, die sich für ein Ver­pfei­fen bzw. Whist­leb­lo­wing ent­schei­den, ris­kie­ren die au­ßer­or­dent­li­che Kün­di­gung und müs­sen im Kün­di­gungs­schutz­pro­zess nach­wei­sen, dass sie den Ar­beit­ge­ber ver­geb­lich auf Miss­stän­de hin­ge­wie­sen hat­ten und dass das Ver­pfei­fen bzw. Whist­leb­lo­wing auf kon­kre­ten Tat­sa­chen be­ruh­te. Ein be­kann­ter Fall wur­de vor kur­zem vom Eu­ro­päi­schen Ge­richts­hof für Men­schen­rech­te (EGMR) ent­schie­den.

Die Ber­li­ner Al­ten­pfle­ge­rin Bri­git­te Hei­nisch hat­te 2003 und 2004 eben­so wie der Me­di­zi­ni­sche Dienst der Kran­ken­kas­sen ih­ren Ar­beit­ge­ber ver­geb­lich zur Be­sei­ti­gung von Pfle­ge­män­geln auf­ge­for­dert. Schließ­lich er­stat­te­te sie Straf­an­zei­ge ge­gen ih­ren Ar­beit­ge­ber und wur­de frist­los ge­kün­digt. Nach­dem sie er­folg­los durch al­le In­stan­zen ge­klagt hat­te, sprach ihr der EGMR we­gen Ver­let­zung des Rechts auf freie Mei­nungs­äu­ße­rung ei­ne Ent­schä­di­gung von 15.000 EUR zu (EGMR, Ur­teil vom 21.07.2011, 28274/08).

Fa­zit: Das Ur­teil wi­der­spricht we­der dem deut­schen Ge­set­zes­recht noch der deut­schen Recht­spre­chung. Der EGMR be­ur­teil­te den strei­ti­gen Ein­zel­fall nur an­ders als die deut­schen Ge­rich­te. Er mein­te, Frau Hei­nisch hät­te sich aus­rei­chend um in­ner­be­trieb­li­che Ab­hil­fe be­müht und in der An­zei­ge nicht leicht­fer­tig fal­sche An­ga­ben ge­macht hat­te (ob­wohl die An­schul­di­gun­gen letzt­lich nicht be­wie­sen wer­den konn­ten). Das Ver­pfei­fen des Ar­beit­ge­bers bzw. das Whist­leb­lo­wing ist da­her nach wie vor ris­kant.

Nä­he­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, konn­te der jah­re­lan­ge Rechts­streit zwi­schen Bri­git­te Hei­nisch und ih­rem Ar­beit­ge­ber durch ei­nen ar­beits­ge­richt­li­chen Ab­fin­dungs­ver­gleich bei­ge­legt wer­den.

    Letzte Überarbeitung: 16. November 2020

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