HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

LAG Hamm, Be­schluss vom 23.10.2009, 10 TaBV 39/09

   
Schlagworte: Betriebsrat: Mitbestimmungsrecht, Kündigung
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Aktenzeichen: 10 TaBV 39/09
Typ: Beschluss
Entscheidungsdatum: 23.10.2009
   
Leitsätze:

1. Im Verfahren nach § 104 BetrVG auf Entlassung eines betriebsstörenden Arbeitnehmers ist der betroffene Arbeitnehmer Beteiligter.

2. Das Entlassungsbegehren des Betriebsrats nach § 104 BetrVG verlangt neben einem gesetzwidrigen Verhalten oder einer groben Verletzung der in § 75 Abs. 1 enthaltenen Grundsätze als zusätzliches Tatbestandsmerkmal die wiederholte ernstliche Störung des Betriebsfriedens. Eine bloße Gefährdung des Betriebsfriedens reicht nicht aus, es muss zumindest eine wiederholte erhebliche Beunruhigung unter der Belegschaft entstanden sein

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Paderborn, Beschluss vom 26.02.2009, 1 BV 97/08
   

Te­nor:

Auf die Be­schwer­den der Ar­beit­ge­be­rin und des Be­tei­lig­ten zu 3. wird der Be­schluss des Ar­beits­ge­richts Pa­der­born vom 26.02.2009 – 1 BV 97/08 – ab­geändert.

Die Anträge des Be­triebs­rats wer­den ab­ge­wie­sen. Die Rechts­be­schwer­de wird nicht zu­ge­las­sen.

Gründe:

A

Die Be­tei­lig­ten strei­ten um ei­nen An­spruch des Be­triebs­rats auf Ent­las­sung bzw. Ver­set­zung ei­nes Ar­beit­neh­mers nach § 104 Be­trVG.

Die Ar­beit­ge­be­rin pro­du­ziert und ver­treibt Back­wa­ren und beschäftigt ca. 980 Ar­beit­neh­mer. In ih­rem Be­trieb ist der an­trag­stel­len­de Be­triebs­rat gewählt, der aus 13 Per­so­nen be­steht.

Der 41jähri­ge Be­tei­lig­te zu 3., der zwei Kin­dern un­ter­halts­ver­pflich­tet ist, ist seit dem 04.07.1988 bei der Ar­beit­ge­be­rin beschäftigt. Zu­letzt war er re­gelmäßig als Ab­tei­lungs­lei­ter der so­ge­nann­ten Brot­schicht in der Nacht­schicht ein­ge­setzt, in der ca. 20 Mit­ar­bei­ter tätig sind.

Der Be­tei­lig­te zu 3. war Er­satz­mit­glied des Be­triebs­rats. Am 03.09.2008 und am 16.09.2008 nahm er als Er­satz­mit­glied für ver­hin­der­te or­dent­li­che
Be­triebs­rats­mit­glie­der an Be­triebs­rats­sit­zun­gen teil. Am 24.09.2008 nahm er auch an ei­ner Wirt­schafts­aus­schuss­sit­zung teil.

Am 17.11.2006 hat­te der Be­tei­lig­te zu 3. von der Ar­beit­ge­be­rin ei­ne Ab­mah­nung (Bl. 10 d.A.) er­hal­ten, weil er am 08.11.2006 ge­gen 22.30 Uhr im Rah­men ei­ner Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Ar­beit­neh­mer B5 L2 die­sen in das Gesäß ge­tre­ten hat­te.

Ob es zu­vor noch wei­te­re hand­greif­li­che oder se­xu­el­le Überg­rif­fe durch den Be­tei­lig­ten zu 3. ge­genüber an­de­ren Mit­ar­bei­tern ge­ge­ben hat, ist zwi­schen den Be­tei­lig­ten strei­tig.

Am 19.11.2008 kam es wie­der­um in der Nacht­schicht, in der der Be­tei­lig­te zu 3. als Ab­tei­lungs­lei­ter in der so­ge­nann­ten Brot­schicht tätig war, zu ei­ner Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Mit­ar­bei­ter F1 D2, wo­bei der Be­tei­lig­te zu 3. den Mit­ar­bei­ter D2 in Brusthöhe am T-Shirt pack­te und ihn im Brust­be­reich ver­letz­te. Ob der Be­tei­lig­te zu 3. von dem Mit­ar­bei­ter D2 hier­zu pro­vo­ziert wor­den ist, ist zwi­schen den Be­tei­lig­ten strei­tig. Der Mit­ar­bei­ter D2 war dar­auf­hin vom 19. bis zum 22.11.2008 ar­beits­unfähig er­krankt (Bl. 11 d.A.).

Nach­dem der Mit­ar­bei­ter D2 sich un­ter an­de­rem auch beim Be­triebs­rat we­gen der Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Be­tei­lig­ten zu 3. vom 19.11.2008 be­schwert hat­te, prüfte der Be­triebs­rat die Be­schwer­de des Mit­ar­bei­ters D2. Mit Schrei­ben vom 26.11.2008 (Bl. 15 d.A.) teil­te der Be­triebs­rat der Ar­beit­ge­be­rin mit, dass er auf­grund sei­ner Prüfung zu dem Er­geb­nis ge­langt sei, dass die Be­schwer­de des Mit­ar­bei­ters D2 ge­recht­fer­tigt sei; er for­der­te die Ar­beit­ge­be­rin auf, bis zum 28.11.2008 Ab­hil­fe zu schaf­fen und teil­te gleich­zei­tig mit, dass er über­prüfen las­se, ob ein Ver­fah­ren nach § 104 Be­trVG ein­zu­lei­ten sei.

Be­reits mit Schrei­ben vom 23.11.2008 (Bl. 9 d.A.) hat­te der Be­tei­lig­te zu 3. mit­ge­teilt, dass er als "stell­ver­tre­ten­des Be­triebs­rats­mit­glied" mit so­for­ti­ger Wir­kung am 24.11.2008 zurück­tre­te.

Mit Schrei­ben vom 28.11.2008 (Bl. 13 d.A.) er­teil­te die Ar­beit­ge­be­rin dem Be­tei­lig­ten zu 3. ei­ne "letz­te Ab­mah­nung" we­gen des Vor­fal­les vom 19.11.2008. Auf den In­halt des Ab­mah­nungs­schrei­bens vom 28.11.2008 wird Be­zug ge­nom­men. Gleich­zei­tig wur­de mit dem Be­tei­lig­ten zu 3. we­gen der Vor­komm­nis­se vom 19.11.2008 fol­gen­de Ver­ein­ba­rung ge­trof­fen:

"1. Herr B4 G1 über­nimmt die Kos­ten für die Ent­gelt­fort­zah­lung im Krank­heits­fall des Herrn D2 für den Zeit­raum vom 19.11. – 22.11.2008, mit­hin 461,45 EUR inkl. Ar­beit­ge­ber­an­teil So­zi­al­ver­si­che­rung.

2. Herr G1 ver­pflich­tet sich, außer­halb sei­ner Ar­beits­zeit ei­ne Maßnah­me zur Ver­mei­dung von Fehl­ver­hal­ten ge­genüber Mit­ar­bei­tern (z.B. Be­such ei­nes Se­mi­nars zur Ge­walt­präven­ti­on/Stress­ma­nage­ment oder psy­cho­lo­gi­sche Be­hand­lung mit ei­nem Min­dest­ge­samt­um­fang von 10 St­un­den durch­zuführen). Herr G1 trägt die Ge­samt­kos­ten die­ses Se­mi­nars persönlich. Herr G1 er­bringt über die Teil­nah­me bis zum 31.05.2008 ge­genüber der Geschäfts­lei­tung ei­nen schrift­li­chen Nach­weis ge­genüber der Geschäfts­lei­tung. Wird der Nach­weis nicht frist­gemäß er­bracht, so er­folgt er­satz­wei­se die An­mel­dung zu ei­ner ver­gleich­ba­ren Ver­an­stal­tung des Herrn G1 durch die Fa. B2 S1. Herr G1 hat dann die Kos­ten vollständig zu tra­gen.

3. Herr G1 ent­schul­digt sich persönlich bei Herrn D2 vor sei­ner Ab­tei­lung.

4. Soll­ten wei­ter­ge­hen­de Kos­ten für die B2 S1 GmbH & Co. OHG, gleich wel­cher 16 Art, ent­ste­hen, so bleibt ei­ne Gel­tend­ma­chung durch die B2 S1 GmbH & Co. OHG vor­be­hal­ten. Verjährungs­klau­seln sind nicht zu be­ach­ten.

5. Herr G1 stimmt aus­drück­lich der Ver­rech­nung der Beträge der Zif­fern 1 und 2 mit der je­weils nächs­ten Lohn­ab­rech­nung zu.

6. Herr G1 ak­zep­tiert die heu­te an ihn über­ge­be­ne Ab­mah­nung für sein Fehl­ver­hal­ten am 19.11.2008 so­wohl in­halt­lich als auch in recht­li­cher Hin­sicht."

Am Sonn­tag, den 30.11.2008 ent­schul­dig­te sich der Be­tei­lig­te zu 3. bei dem Mit­ar­bei­ter D2 vor der ver­sam­mel­ten Ab­tei­lung für sein Ver­hal­ten vom 19.11.2008.

Am 02.12.2008 fass­te der Be­triebs­rat auf sei­ner Sit­zung den Be­schluss, die Ent­las­sung des Be­tei­lig­ten zu 3. nach § 104 Be­trVG zu ver­lan­gen. Da die Ar­beit­ge­be­rin die­sem Be­geh­ren nicht nach­kam, lei­te­te der Be­triebs­rat am 24.12.2008 das vor­lie­gen­de Be­schluss­ver­fah­ren beim Ar­beits­ge­richt ein.

Der Be­triebs­rat hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, sein Ent­las­sungs­be­geh­ren sei ge­recht­fer­tigt. Min­des­tens müsse dem Be­tei­lig­ten zu 3. die Per­so­nalführungs­funk­ti­on ent­zo­gen und er in die Tag­schicht ver­setzt wer­den.

Die von der Ar­beit­ge­be­rin ge­trof­fe­nen Maßnah­men sei­en nämlich un­zu­rei­chend. Dies er­ge­be sich dar­aus, dass der Vor­fall vom 19.11.2008 und die An­wen­dung von körper­li­cher Ge­walt ge­genüber dem Mit­ar­bei­ter L2, die zu der Ab­mah­nung vom 17.11.2006 geführt ha­be, nicht die ein­zi­gen Vorfälle ge­we­sen sei­en. In­so­weit hat der Be­triebs­rat be­haup­tet, dass es vor drei Jah­ren be­reits ei­nen Vor­fall ge­ge­ben ha­be, bei der der Be­tei­lig­te zu 3. ei­ne se­xu­el­le Belästi­gung vor­ge­nom­men ha­be.

Im Übri­gen sei der Be­tei­lig­te zu 3. ins­ge­samt für sein auf­brau­sen­des We­sen und sei­ne Ge­walt­be­reit­schaft be­kannt. Er ha­be den Be­triebs­frie­den er­heb­lich gestört.

Die von der Ar­beit­ge­be­rin er­teil­te Ab­mah­nung vom 28.11.2008 sei un­zu­rei­chend. Auch die Ent­schul­di­gung des Be­tei­lig­ten zu 3. vom 30.11.2008 ha­be der be­trof­fe­ne Mit­ar­bei­ter, Herr D2, nicht vollständig ak­zep­tiert. Auch die an­de­ren Kol­le­gen hätten die Ent­schul­di­gung des Be­tei­lig­ten zu 3. nicht ganz ernst ge­nom­men. Al­le Mit­ar­bei­ter gin­gen da­von aus, dass sich ein sol­cher oder ähn­li­cher Vor­fall wie­der­ho­len wer­de.

Min­des­tens sei der Hilfs­an­trag ge­recht­fer­tigt. Der Be­tei­lig­te zu 3. müsse in die Tag­schicht ver­setzt wer­den, weil dann ei­ne bes­se­re Auf­sicht des Be­tei­lig­ten zu 3. durch sei­ne Vor­ge­setz­ten gewähr­leis­tet sei.

Der Be­triebs­rat hat be­an­tragt,

1. der Ar­beit­ge­be­rin auf­zu­ge­ben, den Be­tei­lig­ten zu 3. zu ent­las­sen;

2. hilfs­wei­se der Ar­beit­ge­be­rin auf­zu­ge­ben, dem Be­tei­lig­ten zu 3. die Per­so­nalführungs­funk­ti­on zu ent­zie­hen und ihn in die Tag­schicht zu ver­set­zen;

3. für den Fall, dass die Ar­beit­ge­be­rin ih­rer Ver­pflich­tung gemäß Zif­fer 1. bzw. 2. nach rechts­kräfti­ger ge­richt­li­cher Ent­schei­dung nicht nach­kommt, ihr für je­den Tag der Zu­wi­der­hand­lung ein Zwangs­geld in Höhe von 250,00 € an­zu­dro­hen.

Die Ar­beit­ge­be­rin und der Be­tei­lig­te zu 3. ha­ben be­an­tragt,

die Anträge zurück­zu­wei­sen.

Die Ar­beit­ge­be­rin hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, dass vom Be­triebs­rat ge­stell­te Ent­las­sungs­be­geh­ren sei un­verhält­nismäßig. Dies er­ge­be sich schon dar­aus, dass der Be­triebs­rat es nicht ein­mal für nötig er­ach­tet ha­be, den Be­tei­lig­ten zu 3. vor dem Ent­las­sungs­be­geh­ren selbst an­zuhören. Aus Enttäuschung über die­ses Ver­hal­ten ha­be der Be­tei­lig­te zu 3. dar­auf­hin sein Man­dat als Er­satz­mit­glied des Be­triebs­rats nie­der­ge­legt.

Die Ar­beit­ge­be­rin und der Be­tei­lig­te zu 3. ha­ben be­haup­tet, der Be­tei­lig­te zu 3. sei am 19.11.2008 von dem Mit­ar­bei­ter D2 pro­vo­ziert wor­den. Der Be­tei­lig­te zu 3. sei da­mit beschäftigt ge­we­sen, Roll­wa­gen aus dem Gar­raum zum Ofen zu schie­ben. Da­bei ha­be er auch den Ar­beits­platz von Herrn D2 pas­sie­ren müssen. Da Herr D2 den Weg mit Körben ver­sperrt ha­be, ha­be der Be­tei­lig­te zu 3. den Weg frei­geräumt und Herrn D2 dar­auf hin­ge­wie­sen, dass er den Weg frei las­sen sol­le, da er noch mit ei­nem wei­te­ren Wa­gen zum Ofen müsse. Als der Be­tei­lig­te zu 3. dann kurz dar­auf mit ei­nem wei­te­ren Roll­wa­gen zum Ofen ge­wollt ha­be, ha­be Herr D2 die Körbe de­mons­tra­tiv wie­der in den Weg ge­scho­ben, so­dass der Be­tei­lig­te zu 3. nicht vor­bei ge­kom­men sei. Da­bei ha­be Herr D2 den Be­tei­lig­ten zu 3. be­wusst an­ge­grinst. Der Be­tei­lig­te zu 3. ha­be die Körbe zur Sei­te ges­toßen, um sich Platz zu ver­schaf­fen. Herr D2 ha­be dar­auf­hin zum Be­tei­lig­ten zu 3. in ei­nem her­ab­las­sen­den Ton ge­sagt: "Was willst Du denn?". Der Be­tei­lig­te zu 3. ha­be sich dar­auf­hin da­zu hin­reißen las­sen, den Mit­ar­bei­ter D2 in Brusthöhe am T-Shirt zu pa­cken und ihn zurück­zu­drängen. Da­bei ha­be er sinn­gemäß ge­sagt, dass Herr D2 das zu tun ha­be, was er ihm sa­ge. Nach­dem der Be­tei­lig­te zu 3. nach ent­spre­chen­der Auf­for­de­rung durch Herrn D2 die­sen los­ge­las­sen ha­be, ha­be er noch sinn­gemäß geäußert, dass er ihn "wie ei­ne Flie­ge zer­quet­schen" könne.

Die Ar­beit­ge­be­rin ha­be das Ver­hal­ten des Be­tei­lig­ten zu 3. aufs Schärfs­te miss­bil­ligt und ihm auf­grund die­ses Vor­falls ei­ne letz­te Ab­mah­nung er­teilt. Der Be­tei­lig­te zu 3. ha­be sich ein­sichtsfähig und reu­ig ge­zeigt. Ent­spre­chend der ge­trof­fe­nen Ab­mah­nung ha­be er die Lohn­fort­zah­lungs­kos­ten für den Mit­ar­bei­ter D2 über­nom­men. Der Be­tei­lig­te zu 3. neh­me in­zwi­schen an ei­ner Schu­lung zur Ge­walt­präven­ti­on und Stress­bewälti­gung teil. Er ha­be auch selbst in­zwi­schen ein­geräumt, sich am 19.11.2008 völlig falsch ver­hal­ten zu ha­ben. Sein Ver­hal­ten be­daue­re er zu­tiefst. Nach Er­tei­lung der Ab­mah­nung ge­be es kei­ne Pro­ble­me mit dem Be­tei­lig­ten zu 3. mehr. Auf­grund der Ent­schul­di­gung des Be­tei­lig­ten zu 3. sei der Be­triebs­frie­den wie­der her­ge­stellt. Ei­ne Wie­der­ho­lungs­ge­fahr be­ste­he nicht.

Auch der vom Be­triebs­rat ge­stell­te Hilfs­an­trag sei we­gen feh­len­der Wie­der­ho­lungs­ge­fahr un­be­gründet. Im Übri­gen sei der Ar­beit­ge­be­rin ei­ne
Ver­set­zung des Be­tei­lig­ten zu 3. in die Tag­schicht nicht zu­mut­bar. Der Be­tei­lig­te zu 3. sei als hoch­spe­zia­li­sier­ter Mit­ar­bei­ter für das Ba­cken der Bro­te als Ab­tei­lungs­lei­ter ver­ant­wort­lich. Bro­te würden bei der Ar­beit­ge­be­rin nur in der Nacht­schicht ge­ba­cken. Die Ar­beit­ge­be­rin ha­be da­her ein be­rech­tig­tes In­ter­es­se da-ran, den Be­tei­lig­ten zu 3. auch wei­ter­hin als Ab­tei­lungs­lei­ter in der Nacht­schicht ein­zu­set­zen.

Durch Be­schluss vom 26.02.2009 hat das Ar­beits­ge­richt dem Haupt­an­trag des Be­triebs­rats statt­ge­ge­ben und zur Be­gründung aus­geführt, der Be­tei­lig­te zu 3. ha­be sich in der Nacht­schicht vom 19.11.2008 ge­setz­wid­rig im Sin­ne des § 104 Be­trVG ver­hal­ten. Ein Ent­las­sungs­be­geh­ren kom­me auch bei Tätlich­kei­ten und vorsätz­li­chen körper­li­chen An­grif­fen in Be­tracht. Durch sein gro­bes ge­setz­wid­ri­ges Ver­hal­ten und den körper­li­chen An­griff auf den Mit­ar­bei­ter D2 ha­be der Be­tei­lig­te zu 3. den Be­triebs­frie­den er­heb­lich gestört. Auch die Ent­schul­di­gung des Be­tei­lig­ten zu 3. vermöge hier­an nichts zu ändern, da sie le­dig­lich auf der mit der Ar­beit­ge­be­rin ge­schlos­se­nen Ver­ein­ba­rung be­ru­he. Zu­dem sei der Be­tei­lig­te zu 3. be­reits zu­vor ein­schlägig ab­ge­mahnt wor­den.

Ge­gen den der Ar­beit­ge­be­rin und dem Be­tei­lig­ten zu 3. am 09.04.2009 zu­ge­stell­ten Be­schluss, auf des­sen Gründe ergänzend Be­zug ge­nom­men wird, ha­ben die Ar­beit­ge­be­rin und der Be­tei­lig­te zu 3. am 30.04.2009 Be­schwer­de zum Lan­des­ar­beits­ge­richt ein­ge­legt und die­se nach Verlänge­rung der Be­schwer­de­be­gründungs­frist bis zum 09.07.2009 mit den Schriftsätzen vom 09.07.2009 be­gründet.

Während des lau­fen­den Be­schwer­de­ver­fah­rens teil­te der Mit­ar­bei­ter D2 dem Be­triebs­rat mit Schrei­ben vom 28.09.2009 (Bl. 142 d.A.) fol­gen­des mit:

"Hier­mit möch­te ich Sie bit­ten, das Be­schwer­de­ver­fah­ren ge­gen Herrn G1 ein­zu­stel­len.

Herr G1 hat sich mitt­ler­wei­le mehr­fach bei mir persönlich für den Vor­fall am 19.11.2008 ent­schul­digt.

Für mich ist die­se Ge­schich­te da­mit er­le­digt und ich se­he dies als mei­ne persönli­che An­ge­le­gen­heit an.

Da­her mei­ne Bit­te, das Ver­fah­ren ge­gen Herrn G1 ein­zu­stel­len."

Un­ter Vor­la­ge ei­ner Teil­nah­me­bestäti­gung für den Be­tei­lig­ten zu 3. vom 10.05.2009 (Bl. 85 d.A.) sind die Ar­beit­ge­be­rin und der Be­tei­lig­te zu 3. wei­ter der Auf­fas­sung, dass das Ent­las­sungs­be­geh­ren des Be­triebs­rats nicht ge­recht­fer­tigt sei. Be­reits der ers­te Vor­fall, der zur Ab­mah­nung vom 17.11.2006 geführt ha­be, sei nicht so schwer­wie­gend ge­we­sen und stel­le auch kei­ne ernst­li­che Störung des Be­triebs­frie­dens dar. Es ha­be sich nämlich bei dem Vor­fall vom 08.11.2006 ei­gent­lich um kei­ne Tätlich­keit ge­han­delt. Dies er­ge­be sich aus der Stel­lung­nah­me des Mit­ar­bei­ters L2 gemäß des­sen Schrei­ben vom 20.05.2009 (Bl. 84 d.A.), auf des­sen In­halt Be­zug ge­nom­men wird.

Im Übri­gen ha­be der Be­tei­lig­te zu 3. an Sit­zun­gen über ein "Trai­ning zur Stress­bewälti­gung und Stress­ma­nage­ment" teil­ge­nom­men. Dies er­ge­be sich aus der Teil­nah­me­bestäti­gung vom 10.05.2009 (Bl. 85 d.A.). Der Be­tei­lig­te zu 3. sei da­mit sei­ner Ver­pflich­tung aus der mit der Ar­beit­ge­be­rin ab­ge­schlos­se­nen Ver­ein­ba­rung nach­ge­kom­men. Im Übri­gen sei der Be­tei­lig­te zu 3. kein un­kon­trol­lier­ter Ge­walttäter, wie der Be­triebs­rat vor­tra­ge. Ei­ne wie­der­hol­te ernst­li­che Störung des Be­triebs­frie­dens lie­ge nicht vor, auch wenn das Ver­hal­ten des Be­tei­lig­ten zu 3. vom 08.11.2006 und vom 19.11.2008 nicht in Ord­nung ge­we­sen sei.

Das Ar­beits­ge­richt ha­be im Übri­gen nicht aus­rei­chend berück­sich­tigt, dass der Be­tei­lig­te zu 3. bei dem Vor­fall vom 19.11.2008 von dem Mit­ar­bei­ter D2 pro­vo­ziert wor­den sei.

Sch­ließlich müsse berück­sich­tigt wer­den, dass im vor­lie­gen­den Fall we­gen der Teil­nah­me des Be­tei­lig­ten zu 3. an Be­triebs­rats­sit­zun­gen vom 03. und 16.09.2008 le­dig­lich ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung in Be­tracht ge­kom­men wäre. Der Be­triebs­rat ha­be aber das vor­lie­gen­de Ver­fah­ren erst am 24.12.2008 ein­ge­lei­tet. Zu die­sem Zeit­punkt sei die Zwei­wo­chen­frist des § 626 Abs. 2 BGB be­reits ver­stri­chen ge­we­sen. Der Aus­spruch ei­ner außer­or­dent­li­chen Kündi­gung sei zum Zeit­punkt der Ein­lei­tung des vor­lie­gen­den Be­schluss­ver­fah­rens be­reits nicht mehr möglich ge­we­sen.

Min­des­tens müsse da­von aus­ge­gan­gen wer­den, dass das Recht des Be­triebs­rats die Ent­las­sung oder Ver­set­zung des Be­tei­lig­ten zu 3. zu ver­lan­gen, ver­wirkt sei. Be­reits am 30.11.2008 ha­be der Be­tei­lig­te zu 3. sich we­gen sei­nes Ver­hal­tens vom 19.11.2008 ent­schul­digt. Al­le Mit­ar­bei­ter, ins­be­son­de­re auch der Mit­ar­bei­ter D2, hätten die­se Ent­schul­di­gung an­ge­nom­men. Zu­dem ha­be der Be­tei­lig­te noch am 19.11.2008 bei Herrn D2 auf des­sen Han­dy an­ge­ru­fen und, als er ihn nicht er­reicht ha­be, ei­ne Nach­richt auf der Mail­box hin­ter­las­sen, in der er sich bei ihm ent­schul­digt und Herrn D2 um Rück­ruf ge­be­ten ha­be. Seit dem Vor­fall vom 19.11.2008 und sei­ner Ent­schul­di­gung ar­bei­te­ten al­le Mit­ar­bei­ter in der Brot­schicht vor­be­halt­los mit­ein­an­der zu­sam­men. En­de De­zem­ber 2008 ha­be nie­mand mehr mit ei­nem Ent­las­sungs­be­geh­ren sei­tens des Be­triebs­rats zu rech­nen brau­chen. Es ha­be auch seit dem 19.11.2008 kei­ne wei­te­ren Vorfälle mehr ge­ge­ben. Ei­ne Wie­der­ho­lungs­ge­fahr be­ste­he nicht.

Die Ar­beit­ge­be­rin und der Be­tei­lig­te zu 3. be­an­tra­gen,

den Be­schluss des Ar­beits­ge­richts Pa­der­born vom 26.02.2009 – 1 BV 97/08 – 49 ab­zuändern und die Anträge des Be­triebs­rats zurück­zu­wei­sen.

Der Be­triebs­rat be­an­tragt,

die Be­schwer­de zurück­zu­wei­sen.

Er ver­tei­digt den an­ge­foch­te­nen Be­schluss und ist nach wie vor der Auf­fas­sung, die Vorfälle, auf die der Be­triebs­rat sich be­zie­he, recht­fer­tig­ten das
Ent­las­sungs­be­geh­ren. In­so­weit be­haup­tet der Be­triebs­rat er­neut, es ha­be be­reits im Jah­re 2005 ei­nen Vor­fall we­gen ei­ner durch den Be­tei­lig­ten zu 3. vor­ge­nom­me­nen se­xu­el­len Belästi­gung ge­ge­ben. Auch der Vor­fall vom 08.11.2006 könne nicht ba­ga­tel­li­siert wer­den. Am 08.11.2006 ha­be der Be­tei­lig­te zu 3. den Mit­ar­bei­ter L2 be­wusst in das Gesäß ge­tre­ten. We­gen die­ses Vor­fal­les ha­be der Be­tei­lig­te zu 3. am 17.11.2006 ei­ne Ab­mah­nung er­hal­ten, die der Be­tei­lig­te zu 3. hin­ge­nom­men ha­be. Die nun­mehr von dem Mit­ar­bei­ter L2 ab­ge­ge­be­ne Stel­lung­nah­me vom 20.05.2009 ände­re hier­an nichts.

Der Be­tei­lig­te zu 3. sei ge­genüber ihm un­ter­ge­be­nen Mit­ar­bei­tern ag­gres­siv und wer­de die­se auch wei­ter­hin in Zu­kunft tätlich an­grei­fen. Dass der Be­tei­lig­te zu 3. sei­ne ag­gres­si­ve Grund­ein­stel­lung bei­be­hal­ten ha­be, zei­ge ge­ra­de der Vor­fall vom 19.11.2008. Die vor­an­ge­gan­ge­ne Ab­mah­nung vom 17.11.2008 ha­be kei­ne Wir­kung ge­zeigt. Hier­aus er­ge­be sich die Wie­der­ho­lungs­ge­fahr.

Der Be­tei­lig­te zu 3. ha­be sich auch erst ca. 10 Ta­ge nach der At­ta­cke vom 19.11.2008 bei dem Mit­ar­bei­ter D2 ent­schul­digt, dies aber nur des­halb, weil er sich ge­genüber der Ar­beit­ge­be­rin hier­zu ver­pflich­tet ha­be. Die Ent­schul­di­gung hätten we­der Herr D2 noch sämt­li­che an­de­ren Ar­beits­kol­le­gen ernst ge­nom­men. Al­le Mit­ar­bei­ter gin­gen da­von aus, dass sich ein sol­cher oder ähn­li­cher Vor­fall wie­der­ho­len wer­de, da der Be­tei­lig­te zu 3. für sein auf­brau­sen­des Tem­pe­ra­ment und sei­ne Ge­walt­be­reit­schaft be­kannt sei. Die Beschäftig­ten ge­ra­de in der Nacht­schicht sei­en dem Be­tei­lig­ten zu 3. schutz­los aus­ge­lie­fert. Der Be­tei­lig­te zu 3. wer­de in sei­ner Schicht ge­mie­den, nach Kennt­nis des Be­triebs­rats spre­che nach dem Vor­fall vom 19.11.2008 nie­mand mehr als nötig mit ihm.

Die Ar­beit­ge­be­rin und der Be­tei­lig­te zu 3. könn­ten sich auch nicht auf das Schrei­ben des Mit­ar­bei­ters D2 vom 28.09.2009 be­ru­fen. In­zwi­schen sei nämlich Herr D2 in die Tag­schicht ver­setzt und dort zum Teigführer er­nannt wor­den. Er ar­bei­te nun­mehr nicht mehr un­mit­tel­bar mit dem Be­tei­lig­ten zu 3. zu­sam­men. Auch durch die Ak­zep­tanz der Ent­schul­di­gung durch Herrn D2 sei nicht das In­ter­es­se des Be­triebs­rats an der Fortführung des vor­lie­gen­den Ver­fah­rens weg­ge­fal­len. Dem Be­tei­lig­ten zu 3. wer­de nämlich wei­ter­hin kei­ne Per­so­nalführungs­kom­pe­tenz zu­ge­spro­chen. Die Stim­mung der Mit­ar­bei­ter in der Nacht­schicht sei im­mer noch schlecht und ge­genüber dem Be­tei­lig­ten zu 3. von Angst und An­span­nung ge­prägt.

Die Ar­beit­ge­be­rin und der Be­tei­lig­te zu 3. könn­ten sich auch nicht dar­auf be­ru­fen, dass der Be­tei­lig­te zu 3. im Sep­tem­ber 2008 an Be­triebs­rats­sit­zun­gen teil­ge­nom­men ha­be. Der Be­tei­lig­te zu 3. sei kein or­dent­li­ches Be­triebs­rats­mit­glied, ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung sei nicht aus­ge­schlos­sen. Im Übri­gen ha­be der Be­triebs­rat be­reits mit Schrei­ben vom 26.11.2008 die Frist des § 626 Abs. 2 BGB ein­ge­hal­ten. Auf den Zeit­punkt der Ein­lei­tung des vor­lie­gen­den Be­schluss­ver­fah­rens kom­me es nicht an. Der Be­triebs­rat ha­be auch nicht sei­nen An­spruch auf Ent­las­sung des Be­tei­lig­ten zu 3. ver­wirkt.

Im Übri­gen wird auf den wei­te­ren In­halt der von den Be­tei­lig­ten ge­wech­sel­ten Schriftsätze nebst de­ren An­la­gen ergänzend Be­zug ge­nom­men.

B

Die zulässi­gen Be­schwer­den der Ar­beit­ge­be­rin und des Be­tei­lig­ten zu 3. sind be­gründet.

Der Zulässig­keit der form- und frist­ge­recht ein­ge­leg­ten und be­gründe­ten Be­schwer­den der Ar­beit­ge­be­rin und des Be­tei­lig­ten zu 3. steht nicht ent­ge­gen, dass die Be­schwer­de­schriftsätze der Ar­beit­ge­be­rin und des Be­tei­lig­ten zu 3. kein vol­les Ru­brum ent­hal­ten. Mit den Be­schwer­de­schriftsätzen vom 29.04.2009 ist nämlich klar­ge­stellt wor­den, für wen die Be­schwer­de ge­gen den erst­in­stanz­li­chen Be­schluss ein­ge­legt wor­den ist. Im Übri­gen ha­ben die Ar­beit­ge­be­rin und der Be­tei­lig­te zu 3. mit dem Be­schwer­de­schrift­satz vom 29.04.2008 ei­ne Ko­pie des an­ge­foch­te­nen ar­beits­ge­richt­li­chen Be­schlus­ses bei­gefügt, der ein vol­les Ru­brum der Be­tei­lig­ten enthält.

I.

Der Haupt­an­trag des Be­triebs­rats ist zulässig.

1. Zu­tref­fend ver­folgt der Be­triebs­rat sein Ent­las­sungs­be­geh­ren im ar­beits­ge­richt­li­chen Be­schluss­ver­fah­ren nach den §§ 2 a, 80 ArbGG. Zwi­schen den Be­tei­lig­ten ist nämlich ei­ne be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­che An­ge­le­gen­heit nach § 104 Be­trVG strei­tig.

2. Die An­trags­be­fug­nis des Be­triebs­rats und die Be­tei­li­gung der Ar­beit­ge­be­rin er­ge­ben sich aus den §§ 10, 83 Abs. 3 ArbGG, § 104 Be­trVG.

Nach Auf­fas­sung der Be­schwer­de­kam­mer hat das Ar­beits­ge­richt am vor­lie­gen­den Be­schluss­ver­fah­ren auch zu Recht den Be­tei­lig­ten zu 3. be­tei­ligt.

Be­tei­lig­ter in An­ge­le­gen­hei­ten des Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­set­zes ist nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts je­de Stel­le, die durch die be­gehr­te Ent­schei­dung in ih­rer be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­chen Stel­lung un­mit­tel­bar be­trof­fen ist (BAG, 11.11.1998 – 4 ABR 40/97 – AP Be­trVG 1972 § 50 Nr. 18; BAG, 16.03.2005 – 7 ABR 40/04 – AP Be­trVG 1972 § 15 Nr. 3; BAG, 12.12.2006 – 1 ABR 38/05 – AP Be­trVG 1972 § 1 Ge­mein­sa­mer Be­trieb Nr. 27 m.w.N.). Hier­nach war auch der Be­tei­lig­te zu 3. am vor­lie­gen­den Be­schluss­ver­fah­ren zu be­tei­li­gen. Zwar sieht § 104 Be­trVG – an­ders als die Re­ge­lung in § 103 Abs. 2 Satz 2 Be­trVG – nicht aus­drück­lich vor, dass der vom Ent­las­sungs­be­geh­ren des Be­triebs­rats be­trof­fe­ne Mit­ar­bei­ter in dem vom Be­triebs­rat ein­ge­lei­te­ten Be­schluss­ver­fah­ren zu be­tei­li­gen ist. Re­gelmäßig ist auch der be­trof­fe­ne Ar­beit­neh­mer, des­sen Ent­las­sung oder Ver­set­zung vom Be­triebs­rat be­gehrt wird, nicht un­mit­tel­bar in sei­ner be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­chen Stel­lung be­trof­fen. Nach herr­schen­der Auf­fas­sung in der ar­beits­ge­richt­li­chen Recht­spre­chung und der ar­beits­recht­li­chen Li­te­ra­tur ge­bie­tet es aber die Par­al­le­le zu § 103 Be­trVG, die dor­ti­gen Ver­fah­rens­grundsätze auch auf das Ver­fah­ren nach § 104 Be­trVG zu über­tra­gen. Dem von ei­nem Ent­las­sungs­be­geh­ren be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer muss be­reits im Be­schluss­ver­fah­ren die Möglich­keit eröff­net wer­den, al­le Rech­te ei­nes Be­tei­lig­ten im Ver­fah­ren wahr­zu­neh­men, um ei­ne ihm nach­tei­li­ge Ent­schei­dung zu ver­mei­den. Im Ver­fah­ren nach § 104 Be­trVG hat die Ent­schei­dung, dass ein Grund für ei­ne Kündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses mit dem Ar­beit­neh­mer oder des­sen Ver­set­zung vor­liegt, in glei­cher Wei­se für das Vor­lie­gen ent­spre­chen­der Gründe präju­di­zi­el­le Wir­kung für ei­nen nach­fol­gen­den In­di­vi­du­al­rechts­streit wie im Ver­fah­ren nach § 103 Be­trVG (LAG Ba­den-Würt­tem­berg, 24.01.2002 – 4 TaBV 1/01 – AuR 2002, 116 = RzK III 1 a Nr. 3; LAG Hes­sen, 07.09.1984 – 14/4 TaBV 116/83 –; Fit­ting/En­gels/Schmidt/Tre­bin­ger/Lin­sen­mai­er, Be­trVG, 24. Aufl., § 104 Rn. 14; Däubler/Kitt­ner/Kle­be/Bach­ner, Be­trVG, 11. Aufl., § 104 Rn. 11; Ri­char­di/Thüsing, Be­trVG, 11. Aufl., § 104 Rn. 21; WPK/Preis, Be­trVG, 4. Aufl., § 104 Rn. 4; APS/Linck, 3. Aufl., § 104 Be­trVG Rn. 30; KR/Et­zel, 9. Aufl., § 104 Be­trVG Rn. 42; an­de­re Auf­fas­sung: GK/Raab, Be­trVG, 8. Aufl., § 104 Rn. 18; Hauck/Helml, ArbGG, § 83 Rn. 13 m.w.N.). Im vor­lie­gen­den Fall ge­bie­tet darüber hin­aus die Tat­sa­che, dass der Be­tei­lig­te zu 3. im Sep­tem­ber 2008 als Er­satz­mit­glied zu
Be­triebs­rats­sit­zun­gen hin­zu­ge­zo­gen wor­den ist und da­mit nach­wir­ken­den Kündi­gungs­schutz ge­nießt, sei­ne Be­tei­li­gung am vor­lie­gen­den Ver­fah­ren.

II.

Der Haupt­an­trag des Be­triebs­rats ist nicht be­gründet. Das Ent­las­sungs­be­geh­ren des Be­triebs­rats ist in der Sa­che nicht ge­recht­fer­tigt. Die Vor­aus­set­zun­gen des § 104 Be­trVG lie­gen nämlich nicht vor.

Nach § 104 Be­trVG kann der Be­triebs­rat vom Ar­beit­ge­ber die Ent­las­sung ei­nes Mit­ar­bei­ters ver­lan­ge, wenn die­ser durch ge­setz­wid­ri­ges Ver­hal­ten oder durch gro­be Ver­let­zung der in § 75 Abs. 1 ent­hal­te­nen Grundsätze, ins­be­son­de­re durch ras­sis­ti­sche oder frem­den­feind­li­che Betäti­gun­gen, den Be­triebs­frie­den wie­der­holt ernst­lich gestört hat.

Das Ent­las­sungs- oder Ver­set­zungs­be­geh­ren des Be­triebs­rats setzt in­so­weit ne­ben ei­nem ge­set­zes­wid­ri­gen Ver­hal­ten oder ei­ner gro­ben Ver­let­zung der in § 75 Abs. 1 Be­trVG ent­hal­te­nen Grundsätze wei­ter vor­aus, dass das ge­setz­wid­ri­ge Ver­hal­ten des Ar­beit­neh­mers zu ei­ner wie­der­hol­ten und ernst­li­chen Störung des Be­triebs­frie­dens geführt hat. Die­se Vor­aus­set­zun­gen sind im vor­lie­gen­den Fall nicht ge­ge­ben.

a) Zu­tref­fend ist das Ar­beits­ge­richt in dem an­ge­foch­te­nen Be­schluss da­von aus­ge­gan­gen, dass der Vor­fall vom 19.11.2008 ein ge­setz­wid­ri­ges Ver­hal­ten des Be­tei­lig­ten zu 3. dar­stellt, so­dass vom Grund­satz her ein Ent­las­sungs­be­geh­ren nach § 104 Be­trVG in Be­tracht kommt. Ein ge­setz­wid­ri­ges Ver­hal­ten im Sin­ne des § 104 Be­trVG liegt ins­be­son­de­re dann vor, wenn ein Ar­beit­neh­mer wie­der­holt Mit­ar­bei­ter ver­leum­det oder be­lei­digt, Tätlich­kei­ten, Diebstähle oder sons­ti­ge straf­ba­re Hand­lun­gen be­geht. Eben­so wie bei ei­nem schwer­wie­gen­den tätli­chen An­griff auf ei­nen Ar­beits­kol­le­gen ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses nach § 626 BGB in Be­tracht kommt (vgl. statt al­ler: LAG Hamm, 29.07.1994 – 18 Sa 2015/93 – BB 1994, 2208; KR/Fi­scher­mai­er, a.a.O., § 626 BGB Rn. 449 m.w.N), stel­len gro­be Tätlich­kei­ten, die zu Körper­ver­let­zun­gen führen, ein ge­setz­wid­ri­ges Ver­hal­ten im Sin­ne des § 104 Be­trVG dar (Fit­ting, a.a.O., § 104 Rn. 4; DKK/Bach­ner, a.a.O., § 104 Rn. 2; GK/Raab, a.a.O., § 104 Rn. 5 und 8; ErfK/Ka­nia, 10. Aufl., § 104 Be­trVG Rn. 2; KR/Et­zel, a.a.O., § 104 Be­trVG Rn. 8; APS/Linck, a.a.O., § 104 Be­trVG Rn. 10). In­so­weit geht auch die Be­schwer­de­kam­mer da­von aus, dass der Be­tei­lig­te zu 3. sich anläss­lich des Vor­falls vom 19.11.2008 ge­setz­wid­rig ver­hal­ten hat, als er den Mit­ar­bei­ter D2 tätlich an­ge­grif­fen und im Brust­be­reich ver­letzt hat.

b) Al­lein die­ses ge­setz­wid­ri­ge Ver­hal­ten des Be­tei­lig­ten zu 3. führt je­doch nicht da­zu, dass das Ent­las­sungs­be­geh­ren des Be­triebs­rats ge­recht­fer­tigt ge­we­sen ist. Nach § 104 Be­trVG muss nämlich zu dem ge­setz­wid­ri­gen Ver­hal­ten ei­ne wie­der­hol­te ernst­li­che Störung des Be­triebs­frie­dens hin­zu­tre­ten. Im Un­ter­schied zu § 99 Abs. 2 Nr. 6 Be­trVG ver­langt § 104 Satz 1 Be­trVG nicht nur die be­gründe­te Pro­gno­se ei­ner künf­ti­gen Störung des Be­triebs­frie­dens, son­dern de­ren tatsächli­ches und zu­dem wie­der­hol­tes Vor­lie­gen in der Ver­gan­gen­heit. Die Ver­let­zungs­hand­lung im Sin­ne des § 104 Satz 1 Be­trVG ist da­her grundsätz­lich nicht iden­tisch mit dem von der Norm noch zusätz­lich ge­for­der­ten Störun­gen des Be­triebs­frie­dens; ein schlüssi­ger Vor­trag er­for­dert des­halb die Schil­de­rung bei­der Tat­be­stands­merk­ma­le.

Die ernst­li­che Störung des Be­triebs­frie­dens im Sin­ne des § 104 Satz 1 Be­trVG liegt nur dann vor, wenn das Ver­hal­ten ei­nes Ar­beit­neh­mers den Be­triebs­ab­lauf bzw. das be­trieb­li­che Mit-ein­an­der so er­heb­lich ne­ga­tiv be­ein­träch­tigt, dass schutzwürdi­ge In­ter­es­sen an­de­rer Ar­beit­neh­mer oder des Ar­beit­ge­bers ei­ne Ent­fer­nung des Ar­beit­neh­mers un­be­dingt er­for­dern. Ei­ne Störung des Be­triebs­frie­dens im Sin­ne des § 104 Satz 1 Be­trVG kann nur dann an­ge­nom­men wer­den, wenn das fried­li­che Zu­sam­men­ar­bei­ten der Ar­beit­neh­mer un­ter­ein­an­der und mit dem Ar­beit­ge­ber gestört ist, die Störung von ei­ner ge­wis­sen Dau­er und von nach­hal­ti­ger Wir­kung für ei­ne größere An­zahl von Ar­beit­neh­mern ist. Da­bei genügt ei­ne bloße Gefähr­dung des Be­triebs­frie­dens bzw. die Eig­nung der Ver­let­zungs­hand­lung zur Störung nicht; viel­mehr muss der Be­triebs­frie­den so er­heb­lich be­ein­träch­tigt sein, dass die Zu­sam­men­ar­beit der Be­triebs­part­ner tatsächlich erschüttert ist; zu­min­dest muss ei­ne er­heb­li­che Be­un­ru­hi­gung un­ter der Be­leg­schaft ent­stan­den sein (LAG Köln, 15.03.1993 – 13 TaBV 36/93 – NZA 1994, 431; LAG Bre­men, 28.05.2003 – 2 TaBV 9/02 –; APS/Linck, a.a.O., § 104 Be­trVG Rn. 13 ff.; 15; WPK/Preis, a.a.O., § 104 Rn. 2; Fit­ting, a.a.O., § 104 Rn. 7; GK/Raab, a.a.O., § 104 Rn. 8; KR/Et­zel, a.a.O., § 104 Be­trVG Rn. 11, 12 m.w.N.).

Die­se Vor­aus­set­zun­gen sind vom Be­triebs­rat je­doch nicht dar­ge­tan wor­den. Dass durch das Fehl­ver­hal­ten des Be­tei­lig­ten zu 3. am 19.11.2008 der Be­triebs­frie­den im Be­trieb der Ar­beit­ge­be­rin oder auch nur in der so­ge­nann­ten Brot­schicht grob und ernst­lich gestört wor­den ist, ist aus dem Vor­brin­gen des Be­triebs­rats nicht er­sicht­lich. Der Be­triebs­rat hat auch nicht dar­ge­tan, dass durch die Aus­ein­an­der­set­zung zwi­schen dem Be­tei­lig­ten zu 3. und dem Mit­ar­bei­ter D2 ei­ne er­heb­li­che Be­un­ru­hi­gung ei­ner be­acht­li­chen Zahl von Ar­beit­neh­mern ent­stan­den ist. Rich­tig ist al­lein, dass der Mit­ar­bei­ter D2 sich auf­grund des Vor­falls vom 19.11.2008 beim Be­triebs­rat be­schwert hat. In­wie­weit auch an­de­re Mit­ar­bei­ter durch den Vor­fall vom 19.11.2008 er­heb­lich be­ein­träch­tigt wor­den sind, hat der Be­triebs­rat nicht vor­ge­tra­gen. Al­lein das Vor­brin­gen des Be­triebs­rats, der Be­tei­lig­te zu 3. sei ins­ge­samt für sein auf­brau­sen­des We­sen und sei­ne Ge­walt­be­reit­schaft be­kannt, er sei ge­genüber Mit­ar­bei­tern ag­gres­siv und wer­de die­se auch in Zu­kunft tätlich an­grei­fen, ist un­sub­stan­ti­iert. Eben­so stellt es auch kei­ne er­heb­li­che Be­un­ru­hi­gung ei­ner be­acht­li­chen An­zahl von Ar­beit­neh­mern dar, wenn der Be­triebs­rat dar­auf hin­weist, dass der Be­tei­lig­te zu 3. in sei­ner Schicht ge­mie­den wer­de und nach dem Vor­fall vom 19.11.2008 nie­mand mehr als nötig mit ihm spre­che. Auch der Hin­weis dar­auf, dass die Stim­mung der Mit­ar­bei­ter in der Nacht­schicht noch im­mer schlecht und von Angst und An­span­nung ge­prägt sei, stellt kei­ne wie­der­hol­te ernst­li­che Störung des Be­triebs­frie­dens im Sin­ne des § 104 Be­trVG dar. Ei­ne er­heb­li­che Be­un­ru­hi­gung in­ner­halb der Be­leg­schaft oder auch nur un­ter den Mit­ar­bei­tern der so­ge­nann­ten Brot­schicht kann auf­grund des Vor­brin­gens des Be­triebs­rats nicht fest­ge­stellt wer­den.

c) Hin­zu kommt, dass das Ent­las­sungs­be­geh­ren des Be­triebs­rats, soll­te es im Sin­ne 75 ei­ner außer­or­dent­li­chen Kündi­gung des Be­tei­lig­ten zu 3. ge­meint sein, oh­ne­hin nach § 626 Abs. 2 BGB aus­ge­schlos­sen war. Will ein Ar­beit­ge­ber auf ein Ent­las­sungs­be­geh­ren des Be­triebs­rats den Weg der außer­or­dent­li­chen Kündi­gung wählen, so ist die Aus­schluss­frist des § 626 Abs. 2 BGB zu be­ach­ten (GK/Raab, a.a.O., § 104 Rn. 13, 20; ErfK/Ka­nia, a.a.O., § 104 Be­trVG Rn. 5). Bei Ein­lei­tung des vor­lie­gen­den Be­schluss­ver­fah­rens war die Zwei­wo­chen­frist des § 626 Abs. 2 BGB oh­ne­hin be­reits ab­ge­lau­fen.

Der Aus­spruch ei­ner or­dent­li­chen Kündi­gung des Be­tei­lig­ten zu 3. kam dem­ge­genüber zum Zeit­punkt des Ent­las­sungs­be­geh­rens des Be­triebs­rats nicht in Be­tracht, weil der Be­tei­lig­te zu 3. auf­grund sei­ner Her­an­zie­hung zu Be­triebs­rats­sit­zun­gen im Sep­tem­ber 2008 nach § 15 Abs. 1 Satz 2 Be­trVG nach­wir­ken­den Kündi­gungs­schutz ge­noss. Nach § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG war die or­dent­li­che Kündi­gung des Be­tei­lig­ten zu 3. auf­grund der Her­an­zie­hung zu Be­triebs­rats­sit­zun­gen für ver­hin­der­te or­dent­li­che Be­triebs­rats­mit­glie­der in­ner­halb ei­nes Jah­res aus­ge­schlos­sen. Dass noch nach Ab­lauf die­ser Jah­res­frist ei­ne ernst­li­che Störung des Be­triebs­frie­dens durch den Vor­fall vom 19.11.2008 vor­liegt, ist vom Be­triebs­rat nicht vor­ge­tra­gen wor­den und kann auch auf­grund des Schrei­bens des sei­ner­zeit be­trof­fe­nen Mit­ar­bei­ters D2 vom 28.09.2009 an den Be­triebs­rat nicht mehr an­ge­nom­men wer­den. Der bloße Um­stand, dass die Stim­mung der Mit­ar­bei­ter in der Nacht­schicht im­mer noch schlecht und von Angst und An­span­nung ge­prägt sei, stellt, wie be­reits aus­geführt, kei­ne ernst­li­che Störung des Be­triebs­frie­dens im Sin­ne des § 104 Satz 1 Be­trVG dar.

III.

Auch dem Hilfs­an­trag des Be­triebs­rats, der in der Be­schwer­de­instanz zur Ent­schei­dung an­ge­fal­len ist, konn­te nicht statt­ge­ge­ben wer­den.

Der Hilfs­an­trag hat, so­wie er vom Be­triebs­rat ge­stellt ist, ist be­reits nicht statt­haft, weil § 104 Be­trVG ne­ben der Ent­las­sung nur die Ver­set­zung des Ar­beit­neh­mers, nicht hin­ge­gen ei­ne be­stimm­te Maßnah­me, zum Ge­gen­stand ei­nes mögli­chen An­trags des Be­triebs­rats macht. Mit dem Hilfs­an­trag be­gehrt der Be­triebs­rat in ers­ter Li­nie die Ent­zie­hung von Per­so­nalführungs­funk­tio­nen des Be­tei­lig­ten zu 3. Dafür, dass der Be­triebs­rat ei­ne ganz kon­kre­te Maßnah­me be­an­tra­gen und im Ver­fah­ren nach § 104 Be­trVG durch­set­zen können soll, gibt es aus der ge­setz­lich vor­ge­se­he­nen Rechts­fol­ge kei­nen An­halts­punkt. Ins­be­son­de­re kann der Be­triebs­rat nicht vom Ar­beit­ge­ber un­mit­tel­bar kon­kre­te per­so­nel­le Maßnah­men ver­lan­gen. Dem Ar­beit­ge­ber kann auch nicht die Ver­set­zung auf ei­nen be­stimm­ten an­de­ren Ar­beits­platz vor­ge­schrie­ben wer­den (LAG Ba­den-Würt­tem­berg, 24.01.2002 - 4 TaBV 1/01 - Rn. 29; KR/Et­zel, a.a.O., § 104 Be­trVG Rn. 21; Fit­ting, a.a.O., § 104 Rn. 18 m.w.N.).

Darüber hin­aus wäre auch der Hilfs­an­trag des Be­triebs­rats un­be­gründet, weil ei­ne wie­der­hol­te ernst­li­che Störung des Be­triebs­frie­dens aus den ge­nann­ten Gründen nicht an­ge­nom­men wer­den kann.

IV.

Für die Zu­las­sung der Rechts­be­schwer­de zum Bun­des­ar­beits­ge­richt be­stand kei­ne Ver­an­las­sung, §§ 92 Abs. 1, 72 Abs. 2 ArbGG.

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 


zur Übersicht 10 TaBV 39/09