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ARBEITSRECHT AKTUELL // 17/180

EuGH be­stä­tigt Al­ters­gren­ze von 65 Jah­ren für Ver­kehrspi­lo­ten

Zum Zwe­cke der Flug­si­cher­heit ist ei­ne all­ge­mei­ne Al­ters­gren­ze von 65 Jah­ren für Pi­lo­ten im ge­werb­li­chen Luft­ver­kehr zu­läs­sig: Eu­ro­päi­scher Ge­richts­hof, Ur­teil vom 05.07.2017, C-190/16 (Fries)
Fluggast und Pilot auf dem Rollfeld

05.07.2017. An­fang 2016 leg­te das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) dem Eu­ro­päi­schen Ge­richts­hof (EuGH) die Fra­ge vor, ob die Al­ters­gren­ze von 65 Jah­ren für Pi­lo­ten in der ge­werb­li­chen Luft­fahrt mit dem Ver­bot der Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung und dem Schutz der Be­rufs­frei­heit der be­trof­fe­nen Pi­lo­ten ver­ein­bar ist (BAG, Be­schluss vom 27.01.2016, 5 AZR 263/15 (A), wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 16/119 Al­ters­gren­ze 65 für Pi­lo­ten).

Hin­ter­grund der An­fra­ge ist ei­ne eu­ro­päi­schen Rechts­ver­ord­nung, der zu­fol­ge Pi­lo­ten nicht mehr im ge­werb­li­chen Luft­ver­kehr ein­ge­setzt wer­den, wenn sie das 65 Le­bens­jahr er­reicht ha­ben (Ver­ord­nung (EU) Nr.1178/2011, An­hang I, FCL.065 b)).

Heu­te kam die Ant­wort des EuGH: Die um­strit­te­ne Al­ters­gren­ze ist mit dem Eu­ro­pa­recht ver­ein­bar, da sie in­ter­na­tio­nal an­er­kannt ist, dem Schutz der Flug­si­cher­heit dient und da­bei nicht über­mä­ßig in die Rech­te der 65-jäh­ri­gen Pi­lo­ten ein­greift: EuGH, Ur­teil vom 05.07.2017, C-190/16 (Fries).

Ist die Al­ters­gren­ze von 65 Jah­ren für Pi­lo­ten dis­kri­mi­nie­rend?

Be­reits vor gut sechs Jah­ren hat EuGH ent­schie­den, dass die für Luft­han­sa-Pi­lo­ten gel­ten­de ta­rif­li­che Al­ters­gren­ze von 60 Jah­ren mit dem eu­ropäischen Recht nicht zu ver­ein­ba­ren ist (EuGH, Ur­teil vom 13.09.2011, Rs. C-447/09 - Prig­ge u.a., wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell 11/178 EuGH kippt Al­ters­gren­ze 60 für Luft­han­sa-Pi­lo­ten).

In dem da­ma­li­gen Streit­fall konn­te die Luft­han­sa sich mit ih­rer Ar­gu­men­ta­ti­on nicht durch­set­zen, dass ei­ne - ex­trem frühe - Al­ters­gren­ze von 60 Jah­ren für die Si­cher­heit im Luft­ver­kehr er­for­der­lich ist, denn schließlich durf­ten die Pi­lo­ten an­de­rer Kon­zern­un­ter­neh­men der Luft­han­sa be­reits da­mals fünf Jah­re länger flie­gen. Und auch das Ar­gu­ment der Luft­han­sa, man wol­le mit der ta­rif­ver­trag­li­chen Al­ters­gren­ze von 60 Jah­ren Platz für nachrücken­de jun­ge Pi­lo­ten schaf­fen, zog vor dem EuGH nicht, da der da­mit ver­bun­de­ne Ein­griff in die Be­rufs­frei­heit der be­reits mit 60 Jah­ren „zwangs­pen­sio­nier­ten“ Pi­lo­ten un­verhält­nismäßig war.

Dem­ge­genüber gilt die Al­ters­gren­ze von 65 Jah­ren für Pi­lo­ten im ge­werb­li­chen Luft­ver­kehr nicht auf na­tio­na­ler Ebe­ne, son­dern wird von der „In­ter­na­tio­nal Ci­vil Avia­ti­on Or­ga­niza­t­i­on (ICAO)“ emp­foh­len und ist in ei­ner Ver­ord­nung der Eu­ropäischen Uni­on (EU) fest­ge­legt, nämlich in der Ver­ord­nung (EU) Nr.1178 vom 03.11.2011. Da­nach gilt, dass In­ha­ber ei­ner Pi­lo­ten­li­zenz, die das Al­ter von 65 Jah­ren er­reicht ha­ben, nicht mehr als Pi­lo­ten ei­nes Luft­fahr­zeugs im ge­werb­li­chen Luft­ver­kehr tätig sein dürfen (EU-Ver­ord­nung Nr.1178, An­hang I, Punkt FCL.065 b).

Mögli­cher­wei­se ist aber auch die­se, erst fünf Jah­re später ein­set­zen­de Al­ters­gren­ze für Be­rufs­pi­lo­ten rechts­wid­rig, denn im­mer­hin ver­lie­ren Pi­lo­ten da­durch al­lein auf­grund ih­res Al­ters ih­re Li­zenz. Das könn­te ge­gen Art.21 der Char­ta der Grund­rech­te der Eu­ropäischen Uni­on (EU-Grund­rech­te­char­ta) ver­s­toßen. Die­se Vor­schrift ver­bie­tet u.a. Dis­kri­mi­nie­run­gen we­gen des Al­ters.

Vor die­sem Hin­ter­grund hat­te das BAG wie erwähnt den EuGH um ei­ne Stel­lung­nah­me da­zu ge­be­ten, ob die Al­ters­gren­ze 65 gemäß der EU-Ver­ord­nung Nr.1178, An­hang I, Punkt FCL.065 b mit dem Eu­ro­pa­recht ver­ein­bar ist (BAG, Be­schluss vom 27.01.2016, 5 AZR 263/15 (A), wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 16/119 Al­ters­gren­ze 65 für Pi­lo­ten).

Der Fall Fries: Im Ok­to­ber 1948 ge­bo­re­ner Pi­lot muss zwei Mo­na­te bis zum Ren­ten­ein­tritt über­brücken, denn Ren­te gibt es für ihn erst mit 65 Jah­ren und zwei Mo­na­ten

Im Streit­fall hat­te der Luft­han­sa-Pi­lot Wer­ner Fries die Luft­han­sa auf je­weils gut 15.000 EUR Ge­halt für No­vem­ber und De­zem­ber 2013 ver­klagt. Denn im Ok­to­ber 2013 hat­te das 65. Le­bens­jahr voll­endet, wo­mit er gemäß Ver­ord­nung (EU) Nr.1178/2011, An­hang I, FCL.065 b) nicht mehr als Pi­lot ei­nes Luft­fahr­zeu­ges im ge­werb­li­chen Luft­ver­kehr ein­ge­setzt wer­den durf­te. Al­ler­dings en­de­te sein Ar­beits­verhält­nis auf­grund der schritt­wei­sen Einführung der Ren­te mit 67 erst zwei Mo­na­te später, da der ein­schlägi­ge Luft­han­sa-Ta­rif­ver­trag die Erhöhung des Ren­ten­ein­tritts­al­ters nach­voll­zo­gen hat­te und da­her vor­sah, dass das Ar­beits­verhält­nis von Herrn Fries erst mit Ab­lauf des Mo­nats en­de­te, in dem er die Vor­aus­set­zun­gen für die Re­gel­al­ters­ren­te erfüll­te. Und das war hier nicht der 31.10., son­dern erst der 31.12.2013.

Die Luft­han­sa beschäftig­te Herrn Fries dar­auf­hin nicht und ver­wei­ger­te oben­drein die Ge­halts­zah­lung. Denn da Herr Fries als Pi­lot an­ge­stellt war, konn­te er im No­vem­ber und De­zem­ber 2013 nicht mehr ver­trags­gemäß ein­ge­setzt wer­den, so je­den­falls die Luft­han­sa. Da­her ent­fal­le der An­spruch auf Ge­halt. Ein Fall von An­nah­me­ver­zug des Ar­beit­ge­bers gemäß § 615 Bürger­li­ches Ge­setz­buch (BGB) lag hier nach An­sicht der Luft­han­sa nicht vor, da Herr Fries nach Ein­tritt sei­ner Li­zenz­be­schränkung nicht mehr leis­tungsfähig war.

Trotz­dem ga­ben das Ar­beits­ge­richt Köln (Ur­teil vom 30.07.2014, 9 Ca 9995/13) und das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Köln der Zah­lungs­kla­ge statt (Ur­teil vom 20.03.2015, 4 Sa 966/14). Nach An­sicht des LAG Köln be­fand sich die Luft­han­sa zwar nicht im An­nah­me­ver­zug, doch nütz­te ihr das im Er­geb­nis nichts. Denn sie muss­te für den ein­ge­klag­ten Lohn als Scha­dens­er­satz auf­kom­men, weil sie Herrn Fries an­de­re Ar­bei­ten hätte zu­wei­sen können, und bei die­sen hätte der Weg­fall der Flug­li­zenz kei­ne Rol­le ge­spielt.

Auch das BAG würde den Fall wohl auf die­ser Li­nie, d.h. zu­guns­ten von Herrn Fries ent­schei­den, doch kommt es für die Ent­schei­dung dar­auf an zu wis­sen, wie der Ar­beits­aus­fall ju­ris­tisch ein­zu­ord­nen ist (BAG, Be­schluss vom 27.01.2016, 5 AZR 263/15 (A)).

EuGH: Die eu­ro­pa­recht­li­che Al­ters­gren­ze von 65 Jah­ren für Pi­lo­ten in der ge­werb­li­chen Luft­fahrt ist kei­ne Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung und ver­letzt auch nicht die Be­rufs­frei­heit der be­trof­fe­nen Pi­lo­ten

Nach An­sicht des Ge­richts­hofs ist der um­strit­te­ne Weg­fall der Li­zenz mit Er­rei­chen des 65. Le­bens­jah­res (EU-Ver­ord­nung Nr.1178, An­hang I, Punkt FCL.065 b) mit dem Eu­ro­pa­recht ver­ein­bar. Denn ob­wohl die­se Re­ge­lun­gen ei­ne Un­gleich­be­hand­lung we­gen des Al­ters dar­stellt und so­mit den Schutz­be­reich von Art.21 EU-Grund­rech­te­char­ta ein­schränkt, ist die­se Un­gleich­be­hand­lung sach­lich ge­recht­fer­tigt und verhält­nismäßig.

Da­bei ver­weist der EuGH auf Art.52 Abs.1 Satz EU-Grund­rech­te­char­ta, wo­nach Ein­schränkun­gen von Grund­rech­ten, die durch die EU-Grund­rech­te­char­ta gewährt wer­den, ge­setz­lich vor­ge­se­hen sein und den We­sens­ge­halt der Grund­rech­te ach­ten müssen. Die­se Ein­griffs­vor­aus­set­zun­gen sind nach An­sicht des Ge­richts­hofs hier ge­ge­ben.

Dass die Li­zenz­be­schränkung nur für den ge­werb­li­chen Luft­ver­kehr gilt (und nicht auch für den nicht-ge­werb­li­chen), spricht nicht ge­gen ih­re „Kohärenz“ (d.h. ih­re Fol­ge­rich­tig­keit), denn im ge­werb­li­chen Luft­ver­kehr sind tech­nisch kom­ple­xe­re Flug­zeu­ge zu führen und die An­zahl der un­ter der Pi­lo­ten-Ver­ant­wor­tung ste­hen­den Per­so­nen ist größer als in der nicht ge­werb­li­chen Luft­fahrt, so der EuGH.

Die Al­ters­gren­ze ist ein taug­li­ches Mit­tel, um die Flug­si­cher­heit zu ver­bes­sern. Denn die Flug­si­cher­heit ist durch die al­ters­be­dingt nach­las­sen­de körper­li­che Fit­ness von Pi­lo­ten nun ein­mal gefähr­det.

Die Al­ters­gren­ze ist auch verhält­nismäßig, denn sie ist gut be­gründ­bar und greift nicht zu sehr in die Rech­te der be­trof­fe­nen Pi­lo­ten ein: Sie ist nämlich in­ter­na­tio­nal an­er­kannt, löst das Ar­beits­verhält­nis der be­trof­fe­nen Pi­lo­ten nicht auf (sie können da­her bei ih­rem Ar­beit­ge­ber im­mer noch an­de­re Pi­lo­tentätig­kei­ten ver­rich­ten, z.B. bei der Aus­bil­dung oder bei Leerflügen) und sie liegt eher am obe­ren Rand denk­ba­rer Al­ters­gren­zen.

Fa­zit: Ei­ne all­ge­mein gülti­ge bzw. „star­re“ Al­ters­gren­ze von 65 Jah­ren ist für Be­rufs­pi­lo­ten in der ge­werb­li­chen Luft­fahrt rech­tens. Die Flug­ge­sell­schaf­ten sind nicht da­zu ver­pflich­tet, die Fit­ness ih­rer Pi­lo­ten im Ein­zel­fall zu über­prüfen.

Für man­che deut­sche Pi­lo­ten und Flug­ge­sell­schaf­ten heißt das, dass sie künf­tig zu­neh­mend vie­le Mo­na­te mit ei­ner an­der­wei­ti­gen Tätig­keit über­brücken müssen. Denn ab 65 Jah­ren dürfen die Pi­lo­ten nicht mehr im re­gulären ge­werb­li­chen Flug­be­trieb ein­ge­setzt wer­den, doch wird ihr Ar­beits­verhält­nis gemäß vie­len Ta­rif- und Ar­beits­verträgen erst später auf­gelöst, nämlich mit dem En­de des Mo­nats, in dem der Pi­lot die Re­gel­al­ters­gren­ze in der ge­setz­li­chen Ren­ten­ver­si­che­rung er­reicht.

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Letzte Überarbeitung: 30. Dezember 2018

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