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ARBEITSRECHT AKTUELL // 10/184

Al­ters­gren­ze für Flug­be­glei­ter

Ka­bi­nen­per­so­nal im fort­ge­schrit­te­nen Al­ter ist nicht le­bens­ge­fähr­lich: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 23.06.2010, 7 AZR 1021/08
Al­ters­gren­zen für Ste­war­des­sen aus Si­cher­heits­grün­den?
21.09.2010. Ta­rif­li­che Re­ge­lun­gen, die vor­se­hen, dass ein Ar­beits­ver­hält­nis au­to­ma­tisch en­det, wenn ei­ne be­stimm­te (Ren­ten-) Al­ters­gren­ze er­reicht wird, kann man sa­lopp als "Zwangs­pen­sio­nie­run­gen" be­zeich­nen.

An­ge­sichts neu­er Stu­di­en und ei­ner noch nicht völ­lig ge­klär­ten Rechts­la­ge soll­ten Ar­beit­neh­mer, die wei­ter ar­bei­ten möch­ten, nicht ein­fach auf­ge­ben, son­dern um ih­ren Ar­beits­platz kämp­fen. Je­den­falls Flug­be­glei­ter/in­nen ha­ben da­bei vor Ge­richt gu­te Chan­cen: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 23.06.2010, 7 AZR 1021/08.

Ha­ben Flug­be­glei­te­rin­nen ei­nen so gefähr­li­chen Job wie Pi­lo­ten?

Die Richt­li­nie 2000/78/EG des Ra­tes vom 27.11.2000 zur Fest­le­gung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens für die Ver­wirk­li­chung der Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf (RL 2000/78/EG) ver­bie­tet Dis­kri­mi­nie­run­gen von Er­werbstäti­gen, ins­be­son­de­re von Ar­beit­neh­mern, we­gen be­stimm­ter persönli­cher Merk­ma­le wie et­wa des Al­ters.

In Deutsch­land würde die­se Richt­li­nie durch das All­ge­mei­ne Gleich­be­hand­lungs­ge­setz (AGG) mit Wir­kung vom 18.08.2006 um­ge­setzt. Seit­dem sind sach­lich nicht ge­recht­fer­tig­te Be­nach­tei­li­gun­gen von Ar­beit­neh­mern we­gen ih­res Al­ters ver­bo­ten.

So­wohl Art.6 Abs.1 RL 2000/78/EG als auch das § 10 AGG er­lau­ben je­doch Un­gleich­be­hand­lun­gen we­gen des Al­ters, wenn sie „ob­jek­tiv und an­ge­mes­sen“ sind und durch ein „le­gi­ti­mes Ziel“ ge­recht­fer­tigt sind. Zu­dem müssen die Mit­tel zur Er­rei­chung die­ses Ziels „an­ge­mes­sen und er­for­der­lich“ sein.

Hef­tig um­strit­ten ist in die­sem Zu­sam­men­hang die Wirk­sam­keit ei­ner in Ta­rif- und/oder Ar­beits­verträgen oft ent­hal­te­nen auflösen­den Be­din­gung, der zu­fol­ge das Ar­beits­verhält­nis au­to­ma­tisch mit Er­rei­chen des Ren­ten­al­ters be­en­det wer­den soll. Ei­ne ausführ­li­che Zu­sam­men­fas­sung der Recht­spre­chung zu die­sen "Zwangs­pen­sio­nie­run­gen" fin­den sie in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 10/173 Ta­rif­li­cher Ren­ten­zwang bei der Ham­bur­ger Hoch­bahn un­wirk­sam.

Kon­troll­maßstab ist je­doch nicht das AGG, son­dern stets das Teil­zeit- und Be­fris­tungs­ge­setz (Tz­B­fG). Dort wer­den Be­fris­tun­gen in al­ler Re­gel nur zu­ge­las­sen, wenn sie durch ei­nen "sach­li­chen Grund" (§ 14 Abs. 1 Tz­B­fG) ge­recht­fer­tigt sind.

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) über­prüft seit je­her be­son­ders streng Re­ge­lun­gen, die schon vor dem Ren­ten­al­ter ei­ne "Zwangs­pen­sio­nie­rung" vor­se­hen. Sie sind nur rechtmäßig, wenn als sach­li­cher Grund die "Gefähr­dung wich­ti­ger Rechtsgüter" im Raum steht.

Bei älte­ren Pi­lo­ten wur­de das bis­her an­ge­nom­men. Ih­re Tätig­keit ist nicht nur körper­lich und geis­tig an­spruchs­voll, son­dern auch gefähr­lich. Un­vor­her­ge­se­he­ne al­ters­be­ding­te Aus­fall­er­schei­nun­gen und un­er­war­te­te Fehl­re­ak­tio­nen könn­ten Pas­sa­gie­re, Be­sat­zungs­mit­glie­der und am Bo­den be­find­li­che Per­so­nen das Le­ben kos­ten.

Ein Ar­beit­ge­ber und sein Ta­rif­part­ner mein­ten, die­se Ar­gu­men­ta­ti­on las­se sich auch auf Flug­be­glei­ter/in­nen über­tra­gen. Das Bun­des­ar­beits­ge­richt war an­de­rer Auf­fas­sung: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 23.06.2010, 7 AZR 1021/08.

Der Fall: Ei­ne 60jähri­ge Flug­be­glei­te­rin kämpft um ih­ren Job

Ei­ne im No­vem­ber 1949 ge­bo­re­ne Flug­be­glei­te­rin ar­bei­te­te seit 40 Jah­ren bei der be­klag­ten Flug­ge­sell­schaft mit Sitz in Düssel­dorf. Auf ihr Ar­beits­verhält­nis fin­det ein Man­tel­ta­rif­ver­trag (MTV) für Ka­bi­nen­per­so­nal vom 01.01.2007 An­wen­dung. Er sieht vor, dass die Ar­beits­verhält­nis­se von Ka­bi­nen­mit­ar­bei­tern oh­ne Kündi­gung mit Ab­lauf des Mo­nats en­den,

„in dem die Zah­lung ei­ner Al­ters­ren­te durch den ge­setz­li­chen Ver­si­che­rungs­träger ein­tritt, spätes­tens je­doch mit Ab­lauf des Mo­nats, in dem der Ar­beit­neh­mer das 60. Le­bens­jahr voll­endet hat.“

Vor die­sem Hin­ter­grund bat die Ste­war­dess ih­ren Ar­beit­ge­ber dar­um, das Ar­beits­verhält­nis bis zum 65. Le­bens­jahr fort­zu­set­zen, was die­ser ab­lehn­te. Dar­auf­hin zog die Ste­war­dess im De­zem­ber 2007 vor Ge­richt mit dem Ziel, die Un­wirk­sam­keit der ta­rif­li­chen Be­fris­tung ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses fest­stel­len zu las­sen.

Im Pro­zess schil­der­te der Ar­beit­ge­ber ein­drucks­voll die außer­gewöhn­lich ho­hen phy­si­schen und psy­chi­schen Be­las­tun­gen (Höhen­strah­lung, Druck­un­ter­schie­de, Tem­pe­ra­tur­schwan­kun­gen, ver­schie­de­ne Zeit­zo­nen, Schicht­dienst) des Ka­bi­nen­per­so­nals. Eben­so wie die Pi­lo­ten könne ihr Aus­fall die Flug­si­cher­heit und den Ab­lauf von No­te­va­ku­ie­run­gen er­heb­lich gefähr­den.

Mit sei­nen dra­ma­ti­schen Schil­de­run­gen blieb er vor dem Ar­beits­ge­richt Düssel­dorf (Ur­teil vom 29.04.2008, 7 Ca 7849/07) und dem Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Düssel­dorf (Ur­teil vom 05.11.2008, 12 Sa 860/08) er­folg­los. Im­mer­hin lies das LAG die Re­vi­si­on zu und öff­ne­te ihm da­mit den Weg zum BAG.

Bun­des­ar­beits­ge­richt: Ge­fah­ren­la­ge bei Pi­lo­ten und Ka­bi­nen­per­so­nal ist nicht annähernd ver­gleich­bar

Auch das BAG lies sich nicht be­ein­dru­cken und ent­schied ge­gen den Ar­beit­ge­ber.

Das BAG ist der Mei­nung, dass die ta­rif­li­che Al­ters­gren­ze von 60 Jah­ren für Ka­bi­nen­per­so­nal kei­nen sach­li­chen Grund hat. Kurz zu­sam­men­ge­fasst sind die Er­fur­ter Rich­ter der An­sicht, dass beim Aus­fall des Ka­bi­nen­per­so­nals nur die Ser­vice­qua­lität und nicht das Flug­zeug abstürzt:

"Die durch den Aus­fall ei­nes Flug­be­glei­ters während des Flu­ges ent­ste­hen­de Ge­fah­ren­la­ge ist je­doch der­je­ni­gen beim Aus­fall ei­nes Mit­glieds des Cock­pit-Per­so­nals, das für die Führung des Flug­zeugs ver­ant­wort­lich ist, nicht ver­gleich­bar. Selbst wenn der Aus­fall ei­nes Flug­be­glei­ters zur Ver­nachlässi­gung ... [von] ... Si­cher­heits­be­stim­mun­gen führen soll­te, er­scheint es völlig un­wahr­schein­lich, dass dies den Ab­sturz des Flug­zeu­ges zur Fol­ge ha­ben könn­te. In Fällen ei­ner Not­lan­dung oder Not­was­se­rung könn­te das al­ters­be­ding­te Nach­las­sen der Leis­tungsfähig­keit oder der vollständi­ge Aus­fall ei­nes Mit­glieds des Ka­bi­nen­per­so­nals zwar zu ei­ner Gefähr­dung der Pas­sa­gie­re führen, wenn das Flug­zeug nicht schnell ge­nug oder nicht sach­ge­recht geräumt wer­den könn­te oder - bei ei­ner Not­was­se­rung - nicht al­le Ret­tungs­boo­te ord­nungs­gemäß be­treut wer­den könn­ten. Die­se Fälle sind je­doch der­art theo­re­tisch und un­wahr­schein­lich, dass sie zur Recht­fer­ti­gung ei­ner ge­ne­rel­len Al­ters­gren­ze von 60 Jah­ren für das Ka­bi­nen­per­so­nal nicht ge­eig­net sind."

Die Ta­rif­par­tei­en hat­ten al­so mit der Al­ters­gren­ze den ih­nen grundsätz­lich zu­ste­hen­den Be­ur­tei­lungs­spiel­raum über­schrit­ten. Die Al­ters­be­fris­tung war dem­ent­spre­chend schon nach § 14 Abs.1 Tz­B­fG - d.h. man­gels Sach­grund - un­wirk­sam, so dass es auf das AGG nicht mehr an­kam.

Fa­zit: Wer gern wei­ter ar­bei­ten möch­te, soll­te sich spätes­tens in­ner­halb von drei Wo­chen nach dem vor­ge­se­he­nen En­de des Ar­beits­verhält­nis­ses mit ei­ner Be­fris­tungs­kon­troll­kla­ge (§ 17 Satz 1 Tz­B­fG) weh­ren. Je nach dem, wie gefähr­lich die aus­geübte Tätig­keit ist und wann die Zwangs­ren­te be­gin­nen soll, be­steht durch­aus die Möglich­keit, dass die ta­rif­li­che Be­fris­tung un­wirk­sam ist.

Das BAG bestätigt da­mit sei­ne aus dem Jahr 2008 stam­men­de Recht­spre­chung zur ta­rif­li­chen Zwangs­pen­sio­nie­rung von Ka­bi­nen­per­so­nal (Ur­teil vom 16.10.2008, 7 AZR 253/07 (A)). Al­ters­gren­zen, die Ar­beits­verhält­nis­se vor dem Ren­ten­al­ter be­en­den, sind dem­ent­spre­chend nur aus­nahms­wei­se rechtmäßig. Of­fen ge­blie­ben ist da­mit lei­der die Fra­ge, ob die Kläge­rin auch er­folg­reich ge­we­sen wäre, wenn sie ge­gen ih­re ta­rif­li­che Zwangs­ren­te mit 65 vor­ge­gan­gen wäre.

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Letzte Überarbeitung: 17. Januar 2018

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