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BAG, Ur­teil vom 26.09.2013, 8 AZR 1026/12

   
Schlagworte: Detektivkosten, Haftung des Arbeitnehmers, Kündigung: Verdachtskündigung, Arbeitsunfähigkeit, Krankheit: Vortäuschen
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 8 AZR 1026/12
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 26.09.2013
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 21.2.2011 - 2 Ca 3494/10
Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 2.10-2012 - 18 Sa 492/11
   


BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT


8 AZR 1026/12
18 Sa 492/11

Hes­si­sches
Lan­des­ar­beits­ge­richt

 

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am
26. Sep­tem­ber 2013

UR­TEIL

Förs­ter, Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Kläger, Wi­der­be­klag­ter, Be­ru­fungskläger, Be­ru­fungs­wi­der­be­klag­ter und Re­vi­si­onskläger,

pp.

Be­klag­te, Wi­derkläge­rin, Be­ru­fungs­be­klag­te, Be­ru­fungs­wi­derkläge­rin und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

hat der Ach­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 26. Sep­tem­ber 2013 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun-
 


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des­ar­beits­ge­richt Hauck, die Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Böck und Brein­lin­ger so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Wein und Dr. Pau­li für Recht er­kannt:


Auf die Re­vi­si­on des Klägers wird das Ur­teil des Hes­si­schen Lan­des­ar­beits­ge­richts vom 2. Ok­to­ber 2012 - 18 Sa 492/11 - in­so­weit auf­ge­ho­ben, als das Lan­des­ar­beits­ge­richt die Be­ru­fung des Klägers ge­gen die Ver­ur­tei­lung zur Zah­lung von 1.000,00 Eu­ro nebst Zin­sen an die Be­klag­te zurück­ge­wie­sen hat.


Im Um­fang der Auf­he­bung wird der Rechts­streit zur neu­en Ver­hand­lung und Ent­schei­dung - auch über die Kos­ten des Re­vi­si­ons­ver­fah­rens - an das Lan­des­ar­beits­ge­richt zurück­ver­wie­sen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten noch um ei­nen An­spruch auf Scha­dens­er­satz der Be­klag­ten, den sie im We­ge der Wi­der­kla­ge we­gen auf­ge­wen­de­ter De­tek­tiv­kos­ten gel­tend ge­macht hat und der ihr vom Be­ru­fungs­ge­richt iHv. 1.000,00 Eu­ro nebst Zin­sen zu­ge­spro­chen wur­de.


Die Be­klag­te be­treibt ein Bus­un­ter­neh­men und beschäftigt mehr als zehn Ar­beit­neh­mer. Der Kläger war seit 9. Ok­to­ber 2000 als Bus­fah­rer im Schicht­dienst zu ei­nem Brut­to­mo­nats­ge­halt von zu­letzt ca. 2.100,00 Eu­ro beschäftigt.
 

2009 hat­te der Kläger neun­mal Fehl­zei­ten we­gen ärzt­lich at­tes­tier­ter Ar­beits­unfähig­keit, wo­bei die­se zwi­schen fünf Ta­gen und mehr als fünf Wo­chen dau­er­ten. 2010 war der Kläger zunächst vom 4. bis zum 28. Ja­nu­ar ar­beits­unfähig. So­dann reich­te er ei­ne wei­te­re Ar­beits­unfähig­keits­be­schei­ni­gung für die Zeit vom 22. Fe­bru­ar 2010 bis 6. März 2010 ein. Auf An­trag der Be­klag­ten be­stimm­te die AOK ei­nen Un­ter­su­chungs­ter­min für den Kläger bei dem Me­di­zi­ni­schen Dienst der Kran­ken­kas­sen auf den 2. März 2010. Ei­ne ent­spre­chen­de



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La­dung schick­te sie an den Kläger ab, wel­cher den Un­ter­su­chungs­ter­min nicht wahr­nahm. Am 9. März 2010 be­stimm­te die AOK ei­nen wei­te­ren Un­ter­su­chungs­ter­min für den Kläger auf den 11. März 2010, dies­mal wur­de die La­dung durch ei­nen Mit­ar­bei­ter der AOK dem Kläger am 9. März 2010 in den Brief­kas­ten ge­wor­fen. Am 11. März 2010 rief so­dann die Ehe­frau des Klägers bei der AOK an und teil­te mit, der Kläger ha­be die Ein­la­dung erst am 11. März 2010 er­hal­ten. Auf Vor­halt ei­nes Mit­ar­bei­ters der AOK, der Brief sei be­reits am 9. März 2010 ein­ge­wor­fen wor­den, er­wi­der­te die Ehe­frau des Klägers, sie schaue nicht täglich in den Brief­kas­ten. Der Kläger nahm auch die­sen Un­ter­su­chungs­ter­min nicht wahr. Der Kläger reich­te wei­te­re Ar­beits­unfähig­keits­be­schei­ni­gun­gen bis ein­sch­ließlich 22. März 2010 ein.


Die Be­klag­te ließ den Kläger vom 16. März bis 21. März 2010 von ei­ner De­tek­tei ob­ser­vie­ren. Die­se stell­te fest, dass sich der Kläger täglich in dem Bis­tro „B“ in R auf­hal­te. In­ha­ber des Bis­tros ist der Schwie­ger­va­ter des Klägers, geführt wird das Bis­tro von der Ehe­frau des Klägers. Im Ob­ser­va­ti­ons­zeit­raum tätig­te der Kläger ver­schie­de­ne Einkäufe mit dem Pkw und hol­te sei­ne Ehe­frau ab. Eben­so wur­de be­ob­ach­tet, dass er an der Ein­gangstür des Bis­tros ein Schild mit neu­en Öff­nungs­zei­ten an­brach­te und ein­mal zwei vol­le Ge­tränke­kis­ten aus dem Kof­fer­raum sei­nes Au­tos in das Bis­tro trug. Für die­se Ob­ser­va­ti­on stell­te die De­tek­tei der Be­klag­ten un­ter dem 23. März 2010 ins­ge­samt 11.946,88 Eu­ro net­to in Rech­nung.


Oh­ne die Ob­ser­va­ti­on zu erwähnen hielt die Be­klag­te mit Schrei­ben vom 31. März 2010 dem Kläger vor, sich zwei­mal der Un­ter­su­chung durch den Me­di­zi­ni­schen Dienst ent­zo­gen zu ha­ben, um nicht sei­ne Ar­beitsfähig­keit fest­stel­len zu las­sen. Dem Kläger wur­de ei­ne Kündi­gung an­ge­droht und ei­ne Frist zur Stel­lung­nah­me ge­setzt. Der Kläger leg­te sei­ner­seits ei­ne neue Ar­beits­unfähig­keits­be­schei­ni­gung für die Zeit ab dem 1. April 2010 vor und ließ durch An­walts­schrei­ben vom 8. April 2010 erklären, die Ein­la­dung zur Un­ter­su­chung vom 2. März 2010 nicht er­hal­ten und die­je­ni­ge für den 11. März 2010 erst an die­sem Tag im Brief­kas­ten ge­fun­den zu ha­ben. Die Ar­beits­unfähig­keit des Klägers dau­er­te über den 19. April 2010 hin­aus fort, am 21. April 2010 leg­te der
 


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Kläger ei­ne neue Ar­beits­unfähig­keits­be­schei­ni­gung bis ein­sch­ließlich 5. Mai 2010 vor.

Vom 23. April 2010 bis 25. April 2010 ließ die Be­klag­te den Kläger er­neut durch die De­tek­tei be­ob­ach­ten. Die­se hielt die Ak­ti­vitäten des Klägers sinn­gemäß wie folgt fest:


23. April 2010: Um 16:30 Uhr er­schien er im Bis­tro. Ab 18:10 Uhr maß er die Ter­ras­se des Bis­tros aus; zu­vor hat­te er in ei­nem Bau­markt Holz ge­kauft. Der Kläger trans­por­tier­te die Holz­bal­ken aus dem Au­to in den hin­te­ren Be­reich des Bis­tros, darüber hin­aus ei­nen Ei­mer mit Spann­schrau­ben und ei­ne Tüte mit Pfos­ten­hal­tern aus Me­tall.

Am Sams­tag, dem 24. April 2010 wur­de der Kläger von ei­nem Mit­ar­bei­ter des De­tek­tivbüros da­bei be­ob­ach­tet, wie er zwi­schen 17:11 Uhr und 20:49 Uhr, durch Pau­sen un­ter­bro­chen, mit ei­nem Be­kann­ten ei­nen nied­ri­gen Zaun als Um­ran­dung ei­ner Ter­ras­se im Außen­be­reich des Bis­tros bau­te. Da­bei han­tier­te der Kläger mit ei­ner Säge, ei­nem Ham­mer und ei­nem Ak­ku­schrau­ber. Ab 21:00 Uhr spiel­te der Kläger bis 00:51 Uhr Ame­ri­can Dart, da­bei trank er Bier und nahm auch hoch­pro­zen­ti­ge al­ko­ho­li­sche Ge­tränke zu sich. Ins­ge­samt mach­te der Kläger nicht den Ein­druck, dass er körper­lich be­ein­träch­tigt war.


Am Sonn­tag, dem 25. April 2010 mach­te der auf den Kläger an­ge­setz­te De­tek­tiv bis 14:00 Uhr kei­ne Be­ob­ach­tun­gen.

Für die­se Ob­ser­va­ti­on stell­te die De­tek­tei 1.000,00 Eu­ro zuzüglich Mehr­wert­steu­er in Rech­nung.

Am 27. April 2010 wur­de der Kläger bei dem Me­di­zi­ni­schen Dienst der Kran­ken­kas­sen un­ter­sucht und sei­ne Ar­beitsfähig­keit ab dem 28. April 2010 fest­ge­stellt. Der Kläger nahm an die­sem Tag sei­ne Ar­beit wie­der auf.

Un­ter dem 30. April 2010 kon­fron­tier­te die Be­klag­te den Kläger er­neut mit dem Vor­wurf, sei­ne Ar­beits­unfähig­keits­be­schei­ni­gun­gen er­schli­chen zu ha­ben. Nun­mehr hielt sie ihm sei­ne Ak­ti­vitäten im Bis­tro „B“ vor und droh­te ihm ei­ne Kündi­gung für den Fall an, dass er die­se Ver­dachts­mo­men­te nicht ent­kräften könne. Der Kläger stritt in der Fol­ge­zeit ab, im Bis­tro ge­ar­bei­tet oder an­de­re


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Ak­ti­vitäten ver­rich­tet zu ha­ben. Nach Anhörung des Be­triebs­rats kündig­te die Be­klag­te un­ter dem 14. Mai 2010 das Ar­beits­verhält­nis mit dem Kläger ein­mal außer­or­dent­lich und ein­mal frist­gemäß zum 31. Au­gust 2010. Am 11. No­vem­ber 2010 folg­te er­neut ei­ne außer­or­dent­li­che, hilfs­wei­se frist­gemäße Kündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses, da der Kläger ver­ein­nahm­te Bar­gel­der nicht an die Be­klag­te wei­ter­ge­lei­tet ha­be.


Der Kläger hat die aus­ge­spro­che­nen Kündi­gun­gen frist­gemäß an­ge­grif­fen. Die Be­klag­te hat Wi­der­kla­ge auf Er­satz der ent­stan­de­nen De­tek­tiv­kos­ten iHv. 12.946,88 Eu­ro nebst Zin­sen er­ho­ben.


Die Be­klag­te hat in­so­weit be­an­tragt, 

den Kläger zu ver­ur­tei­len, an die Be­klag­te 12.946,88 Eu­ro nebst Zin­sen iHv. fünf Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit Zu­stel­lung der Wi­der­kla­ge zu zah­len.


Der Kläger hat be­an­tragt, die Wi­der­kla­ge ab­zu­wei­sen und be­strit­ten, sich ver­trags­un­treu ver­hal­ten zu ha­ben.

Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge ab­ge­wie­sen und auf die Wi­der­kla­ge un­ter Ab­wei­sung im Übri­gen den Kläger ver­ur­teilt, an die Be­klag­te 1.000,00 Eu­ro nebst Zin­sen zu zah­len. Bis auf ei­nen ge­ringfügi­gen Zah­lungs­an­spruch des Klägers blie­ben die von bei­den Par­tei­en ein­ge­leg­ten Be­ru­fun­gen vor dem Lan­des­ar­beits­ge­richt er­folg­los. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat für bei­de Par­tei­en in Be­zug auf die Wi­der­kla­ge die Re­vi­si­on zu­ge­las­sen; mit der nur von ihm ein­ge­leg­ten Re­vi­si­on be­gehrt der Kläger die vollständi­ge Ab­wei­sung der Wi­der­kla­ge.

Ent­schei­dungs­gründe

Die Re­vi­si­on des Klägers ist be­gründet. Mit der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt ge­ge­be­nen Be­gründung durf­te er nicht zu ei­ner Scha­dens­er­satz­zah­lung an die Be­klag­te we­gen ent­stan­de­ner De­tek­tiv­kos­ten ver­ur­teilt wer­den.

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A. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat sei­ne Ent­schei­dung im We­sent­li­chen wie folgt be­gründet: Die außer­or­dent­li­che Kündi­gung der Be­klag­ten vom 14. Mai 2010 ha­be das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en aus wich­ti­gem Grund nach § 626 BGB zum 15. Mai 2010 be­en­det. Ge­gen den Kläger be­ste­he der schwe­re Ver­dacht, dass er sei­ne Ar­beits­unfähig­keit vor­getäuscht und zu Un­recht Ent­gelt­fort­zah­lung im Krank­heits­fall be­zo­gen ha­be. Trotz er­heb­li­cher Zwei­fel, ob der Kläger ab dem 19. April 2010 noch ar­beits­unfähig ge­we­sen sei, schei­de ei­ne Tatkündi­gung aus, weil zur Über­zeu­gung der Kam­mer nicht aus­zu­sch­ließen sei, dass der Kläger we­gen der Ein­nah­me von Me­di­ka­men­ten kei­nen Bus hätte fühlen dürfen.


An­ders als noch im März durf­te die Be­klag­te im April 2010 auf­grund der kon­kre­ten Ver­dachts­mo­men­te ge­gen den Kläger ei­ne De­tek­tei mit sei­ner Ob­ser­va­ti­on be­auf­tra­gen. Ihr mitt­ler­wei­le durch Tat­sa­chen zu un­ter­set­zen­der Ver­dacht, der Kläger be­zie­he trotz Ar­beitsfähig­keit Ent­gelt­fort­zah­lung, sei durch die Be­ob­ach­tun­gen der De­tek­tei im April 2010 als Ver­dacht bestätigt wor­den. Für die Fra­ge der Er­stat­tung er­for­der­li­cher und an­ge­mes­se­ner De­tek­tiv­kos­ten könne es kei­nen Un­ter­schied ma­chen, ob die Ob­ser­va­ti­on zur si­che­ren Fest­stel­lung ei­ner vorsätz­li­chen Ver­trags­pflicht­ver­let­zung führe oder le­dig­lich genüge, ei­ne Ver­dachtskündi­gung zu recht­fer­ti­gen. Dies gel­te zu­min­dest dann, wenn das Ver­hal­ten, das zu dem schwer­wie­gen­den und er­heb­li­chen Ver­dacht führe, für sich be­trach­tet be­reits pflicht­wid­rig sei. Rück­schau­end sei zwar die Fra­ge, ob der Kläger am 23. und 24. April 2010 ar­beitsfähig ge­we­sen sei, nicht mehr zu be­ant­wor­ten. We­gen des mögli­chen Me­di­ka­men­ten­ein­flus­ses blei­be es in­so­weit bei ei­nem Ver­dacht. Dies ha­be je­doch die Be­klag­te nicht zu ver­ant­wor­ten. Das Ver­hal­ten des Klägers sei zu­min­dest ge­ne­sungs­wid­rig ge­we­sen, falls er nicht mehr an Schmer­zen litt, aber sei­ne Schul­ter be­las­te­te und hoch­pro­zen­ti­gen Al­ko­hol kon­su­mier­te so­wie Me­di­ka­men­te ein­nahm, die das zen­tra­le Ner­ven­sys­tem be­ein­fluss­ten.


B. Die Be­gründung des Lan­des­ar­beits­ge­richts hält nicht in al­len Punk­ten ei­ner re­vi­si­ons­recht­li­chen Über­prüfung stand. Ob der Kläger die Kos­ten der zwei­ten Be­auf­tra­gung des De­tek­tivbüros iHv. 1.000,00 Eu­ro der Be­klag­ten zu

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er­stat­ten hat, kann der Se­nat nicht ent­schei­den, da es dafür wei­te­rer Fest­stel­lun­gen durch das Tat­sa­chen­ge­richt be­darf (§ 563 Abs. 1 ZPO).


I. Grundsätz­lich kommt ei­ne Er­stat­tungs­pflicht hin­sicht­lich der De­tek­tiv­kos­ten auch dann in Be­tracht, wenn die er­mit­tel­ten Tat­sa­chen zu ei­nem so schwer­wie­gen­den Ver­dacht ei­ner vorsätz­li­chen Ver­trags­pflicht­ver­let­zung führen, dass ei­ne des­we­gen aus­ge­spro­che­ne Kündi­gung im Sin­ne ei­ner Ver­dachtskündi­gung als be­gründet an­ge­se­hen wer­den muss.


1. Nach der Recht­spre­chung des Se­nats (vgl. BAG 28. Ok­to­ber 2010 - 8 AZR 547/09 - Rn. 24, AP BGB § 611 Haf­tung des Ar­beit­neh­mers Nr. 135 = EzA BGB 2002 § 280 Nr. 5; 28. Mai 2009 - 8 AZR 226/08 - Rn. 22, AP BGB § 611 Haf­tung des Ar­beit­neh­mers Nr. 133 = EzA ZPO 2002 § 91 Nr. 4; 17. Sep­tem­ber 1998 - 8 AZR 5/97 - zu C II 1 der Gründe, BA­GE 90, 1 = AP BGB § 611 Haf­tung des Ar­beit­neh­mers Nr. 113 = EzA BGB § 249 Nr. 23) hat der Ar­beit­neh­mer we­gen der Ver­let­zung ar­beits­ver­trag­li­cher Pflich­ten (§ 280 Abs. 1 BGB) dem Ar­beit­ge­ber die durch das Tätig­wer­den ei­nes De­tek­tivs ent­stan­de­nen not­wen­di­gen Kos­ten zu er­set­zen, wenn der Ar­beit­ge­ber auf­grund ei­nes kon­kre­ten Tat­ver­dachts ei­nem De­tek­tiv die Über­wa­chung des Ar­beit­neh­mers überträgt und der Ar­beit­neh­mer ei­ner vorsätz­li­chen Ver­trags­pflicht­ver­let­zung überführt wird. In­so­fern han­delt es sich um kei­ne Vor­sor­ge­kos­ten, die un­abhängig von kon­kre­ten scha­dens­stif­ten­den Er­eig­nis­sen als ständi­ge Be­triebs­aus­ga­be vom Ar­beit­ge­ber zu tra­gen sind. Nach § 249 BGB er­streckt sich die Scha­dens­er­satz­pflicht auf al­le Auf­wen­dun­gen des Geschädig­ten, so­weit die­se nach den Umständen des Fal­les als not­wen­dig an­zu­se­hen sind. Da­zu gehört auch die Ab­wehr dro­hen­der Nach­tei­le, wenn sich in­so­fern kon­kre­te Ver­dachts­mo­men­te er­ge­ben. § 254 BGB ver­langt von ei­nem Geschädig­ten al­ler­dings die Rück­sicht­nah­me auf das In­ter­es­se des Schädi­gers an der Ge­ring­hal­tung des Scha­dens. Dar­aus folgt, dass der Ar­beit­ge­ber nur für die Maßnah­men Er­stat­tungs­ansprüche hat, die ein vernünf­ti­ger, wirt­schaft­lich den­ken­der Ar­beit­ge­ber nach den Umständen des Ein­zel­fal­les zur Be­sei­ti­gung der Störung bzw. zur Scha­dens­verhütung nicht nur als zweckmäßig, son­dern auch als er­for­der­lich
 


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er­grif­fen ha­ben würde (BAG 28. Mai 2009 - 8 AZR 226/08 - aaO; 17. Sep­tem­ber 1998 - 8 AZR 5/97 - aaO).


2. Rechts­feh­ler­frei ist das Lan­des­ar­beits­ge­richt wei­ter da­von aus­ge­gan­gen, dass die den Ver­dacht be­gründen­den so­ge­nann­ten Be­las­tungs­tat­sa­chen Ver­let­zun­gen von Ver­trags­pflich­ten dar­stel­len können und dann der Grund für die Er­stat­tungs­pflicht auf­ge­wen­de­ter De­tek­tiv­kos­ten sind.


a) Der Ver­dacht, der Ver­trags­part­ner bzw. Ar­beit­neh­mer könn­te ei­ne straf­ba­re Hand­lung oder ei­ne schwer­wie­gen­de Pflicht­ver­let­zung be­gan­gen ha­ben, kann nach ge­fes­tig­ter Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts ei­nen wich­ti­gen Grund für ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung bil­den (vgl. BAG 18. No­vem­ber 1999 - 2 AZR 743/98 - zu II 1 a der Gründe, BA­GE 93, 1 = AP BGB § 626 Ver­dacht ei­ner straf­ba­ren Hand­lung Nr. 32; ErfK/Müller-Glöge 13. Aufl. § 626 BGB Rn. 173). Ent­schei­dend sind da­bei der Ver­dacht ei­nes Ver­s­toßes ge­gen ver­trag­li­che Haupt- oder Ne­ben­pflich­ten und der da­mit ver­bun­de­ne Ver­trau­ens­ver­lust (vgl. BAG 10. Ju­ni 2010 - 2 AZR 541/09 - BA­GE 134, 349). Es muss ge­ra­de der Ver­dacht sein, der das zur Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses not­wen­di­ge Ver­trau­en des Ar­beit­ge­bers in die Red­lich­keit des Ar­beit­neh­mers zerstört oder zu ei­ner un­erträgli­chen Be­las­tung des Ar­beits­verhält­nis­ses geführt hat (vgl. BAG 26. März 1992 - 2 AZR 519/91 - AP BGB § 626 Ver­dacht straf­ba­rer Hand­lung Nr. 23; 27. No­vem­ber 2008 - 2 AZR 98/07 -). Da­her er­scheint der Be­griff der Ver­trau­enskündi­gung an­ge­mes­sen (Gil­berg DB 2006, 1555, 1559). Letzt­lich geht es dar­um, dass er­heb­li­che Ver­dachts­mo­men­te das für ein wei­te­res Zu­sam­men­wir­ken er­for­der­li­che Ver­trau­en zerstört ha­ben. Die Kündi­gung we­gen Ver­dachts stellt ne­ben der Kündi­gung we­gen der Tat ei­nen ei­genständi­gen Tat­be­stand dar (vgl. BAG 13. Sep­tem­ber 1995 - 2 AZR 587/94 - zu II 3 der Gründe, BA­GE 81, 27 = AP BGB § 626 Ver­dacht straf­ba­rer Hand­lung Nr. 25; 12. Au­gust 1999 - 2 AZR 923/98 - zu II 2 a der Gründe, BA­GE 92, 184 = AP BGB § 626 Ver­dacht straf­ba­rer Hand­lung Nr. 28; 23. Ju­ni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 55, BA­GE 131, 155).


b) Das dem Ver­dacht zu­grun­de lie­gen­de Fehl­ver­hal­ten des Ar­beit­neh­mers muss ei­ne er­heb­li­che Ver­feh­lung des Ar­beit­neh­mers - straf­ba­re Hand­lung oder



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schwer­wie­gen­de Ver­trags­ver­let­zung - sein (BAG 27. No­vem­ber 2008 - 2 AZR 98/07 - Rn. 18). Der Ver­dacht muss ob­jek­tiv durch Tat­sa­chen - sog. Be­las­tungs­tat­sa­chen - be­gründet sein, die so be­schaf­fen sind, dass sie ei­nen verständi­gen und ge­recht abwägen­den Ar­beit­ge­ber zum Aus­spruch der Kündi­gung ver­an­las­sen können (vgl. BAG 14. Sep­tem­ber 1994 - 2 AZR 164/94 - BA­GE 78, 18 = AP BGB § 626 Ver­dacht straf­ba­rer Hand­lung Nr. 24; 29. No­vem­ber 2007 - 2 AZR 724/06 - Rn. 30, AP BGB § 626 Ver­dacht straf­ba­rer Hand­lung Nr. 40). Der Ver­dacht muss darüber hin­aus drin­gend sein, dh. es muss ei­ne große Wahr­schein­lich­keit dafür be­ste­hen, dass der gekündig­te Ar­beit­neh­mer die Straf­tat oder die Pflicht­ver­let­zung be­gan­gen hat (vgl. BAG 12. Au­gust 1999 - 2 AZR 923/98 - BA­GE 92, 184 = AP BGB § 626 Ver­dacht straf­ba­rer Hand­lung Nr. 28; 25. No­vem­ber 2010 - 2 AZR 801/09 - Rn. 16). Hierfür ist ei­ne wer­ten­de Be­ur­tei­lung und kein be­stimm­ter Grad der Wahr­schein­lich­keit not­wen­dig (vgl. BAG 6. Sep­tem­ber 2007 - 2 AZR 722/06 - BA­GE 124, 59; LAG Düssel­dorf 17. Ja­nu­ar 2012 - 17 Sa 252/11 -). Die Ver­dachts­mo­men­te und die Ver­feh­lun­gen, de­ren der Ar­beit­neh­mer verdäch­tigt wird, müssen so schwer­wie­gend sein, dass dem Ar­beit­ge­ber die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses nicht zu­ge­mu­tet wer­den kann. Als der­ar­ti­ge schwe­re Ver­feh­lun­gen gel­ten et­wa Ver­un­treu­un­gen ei­nes Fi­li­al­lei­ters, Ver­rat von Geschäfts­ge­heim­nis­sen, Dieb­stahl, Be­trug bei der Spe­sen­ab­rech­nung, Er­schlei­chen der Lohn­fort­zah­lung, ei­ne il­le­ga­le ver­fas­sungs­feind­li­che Tätig­keit oder die se­xu­el­le Belästi­gung von Mit­ar­bei­tern (vgl. ErfK/Müller-Glöge 13. Aufl. § 626 BGB Rn. 177, un­ter Hin­weis auf die ein­schlägi­ge Recht­spre­chung).


3. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat in­des bis­lang nicht fest­ge­stellt, dass die Ob­ser­va­ti­on vor­ge­la­ger­te und den Ver­dacht als Hilfs­tat­sa­chen be­gründen­de Pflicht­wid­rig­kei­ten des Klägers er­bracht hat.


a) So­weit das Be­ru­fungs­ge­richt in Erwägung ge­zo­gen hat, der Kläger ha­be sich zu­min­dest ge­ne­sungs­wid­rig ver­hal­ten, „falls er nicht mehr an Schmer­zen litt“, be­deu­tet dies zum ei­nen nicht die Fest­stel­lung ei­ner Hilfs­tat­sa­che, die für sich ei­ne Pflicht­wid­rig­keit dar­stellt. Es han­delt sich viel­mehr um ei­ne Ver­mu­tung, „falls“ der Kläger wie­der schmerz­frei ge­we­sen sein soll­te. Zum an­de­ren


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konn­te das Be­ru­fungs­ge­richt nicht oh­ne Ver­s­toß ge­gen Denk­ge­set­ze al­ter­na­tiv ein ge­ne­sungs­wid­ri­ges und da­mit pflicht­wid­ri­ges Ver­hal­ten des Klägers an­neh­men. Denn „ge­ne­sungs­wid­rig“ kann sich nur der Ar­beit­neh­mer ver­hal­ten, der tatsächlich ar­beits­unfähig ist. Die Kündi­gung der Be­klag­ten hielt je­doch das Lan­des­ar­beits­ge­richt we­gen des schwer­wie­gen­den Ver­dachts tatsächlich be­ste­hen­der Ar­beitsfähig­keit und er­schli­che­ner Ent­gelt­fort­zah­lung für be­gründet. Um die­se Ver­mu­tung zu erhärten, war im März und im April 2010 die Be­auf­tra­gung der De­tek­tei er­folgt. Nur in­so­weit kann nach den Umständen des Fal­les die Auf­wen­dung der Be­klag­ten für das De­tek­tivbüro als not­wen­dig an­zu­se­hen sein. Die Re­vi­si­on sieht im Grund­satz zu­tref­fend, dass ent­ge­gen der Recht­spre­chung des Se­nats an­dern­falls un­abhängig von der Not­wen­dig­keit ge­mach­ter Auf­wen­dun­gen auch Zu­fall­s­er­geb­nis­se zur Kos­ten­er­stat­tungs­pflicht des ob­ser­vier­ten Ar­beit­neh­mers führen könn­ten.

b) Hätte die Ob­ser­va­ti­on im April 2010 In­di­zi­en er­bracht, die in Form ei­nes vorsätz­li­chen Ver­hal­tens des Klägers dar­auf hin­deu­ten, dass er in Wahr­heit nicht er­krankt war und die so den Ver­dacht stütz­ten, er ha­be sich die Ar­beits­unfähig­keits­be­schei­ni­gun­gen und in­fol­ge des­sen die Ent­gelt­fort­zah­lung er­schli­chen, könn­te dies zu ei­ner Er­satz­pflicht des Klägers führen. Es kommt in­so­weit nicht dar­auf an, ob sich der Kläger ge­sund­heits- oder ge­ne­sungs­wid­rig ver­hal­ten hat, son­dern dar­auf, ob er sich vorsätz­lich so ver­hal­ten hat, dass nach all­ge­mei­ner Le­bens­er­fah­rung der Schluss ge­zo­gen wer­den muss, er sei nicht ar­beits­unfähig. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat rechts­kräftig die frist­lo­se Kündi­gung der Be­klag­ten vom 14. Mai 2010 für wirk­sam be­fun­den, weil die Be­klag­te zwar nicht be­wei­sen konn­te, dass der Kläger tatsächlich ge­sund war, sie aber In­di­zi­en dar­le­gen und be­wei­sen konn­te, die die­se Schluss­fol­ge­rung zu­las­sen und da­mit den Ver­dacht be­gründen, es sei so ge­we­sen und der Kläger ha­be die Be­klag­te be­tro­gen. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt wird da­her bezüglich der De­tek­tiv­kos­ten zu prüfen ha­ben, ob für sei­ne Ent­schei­dung über die Kündi­gung maßgeb­li­che Hilfs­tat­sa­chen auf die Ob­ser­va­ti­on durch das De­tek­tivbüro vom 23. bis 25. April 2010 zurück­zuführen sind. Das setzt vor­aus, dass ein Ver­hal­ten des Klägers be­ob­ach­tet wur­de, das in ei­ner vom Kläger zu ver­tre­ten­den Art und Wei­se (§ 619a BGB) die Rück­sicht auf die In­ter­es­sen der Be­klag­ten (§ 241
 


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Abs. 2 BGB) der­art ver­mis­sen ließ, dass es den Ver­dacht ei­nes Be­trugs zu Las­ten der Be­klag­ten (mit-)be­gründe­te. Nach § 619a BGB liegt im Übri­gen die Dar­le­gungs- und Be­weis­last dafür, dass der Kläger der­ge­stalt vor­werf­bar sei­ne Pflich­ten aus dem Ar­beits­ver­trag ver­letzt hat und nach § 280 Abs. 1 BGB der Be­klag­ten zum Scha­dens­er­satz ver­pflich­tet ist, bei der Be­klag­ten.


II. Im Übri­gen sind die Erwägun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts zur zwei­ten Be­auf­tra­gung der De­tek­tei im April 2010 rechts­feh­ler­frei, so­wohl was die Ge­bo­ten­heit des Auf­tra­ges als auch die An­ge­mes­sen­heit der ent­stan­de­nen Kos­ten an­be­langt. In­so­weit hat die Re­vi­si­on auch kei­ne Rügen er­ho­ben. Bei sei­ner Kos­ten­ent­schei­dung wird das Lan­des­ar­beits­ge­richt auch über die Kos­ten des Re­vi­si­ons­ver­fah­rens zu ent­schei­den ha­ben.

Hauck 

Böck 

Brein­lin­ger

Wein 

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