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BAG, Ur­teil vom 07.08.2012, 9 AZR 353/10

   
Schlagworte: Urlaub, Urlaubsabgeltung, Urlaub: Krankheit
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 9 AZR 353/10
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 07.08.2012
   
Leitsätze:

1. Der gesetzliche Erholungsurlaub (§§ 1, 3 BUrlG) und der schwerbehinderten Menschen zustehende Zusatzurlaub (§ 125 Abs. 1 SGB IX) setzen keine Arbeitsleistung des Arbeitnehmers im Urlaubsjahr voraus. Gesetzliche Urlaubsansprüche entstehen auch dann, wenn der Arbeitnehmer eine befristete Rente wegen Erwerbsminderung bezieht und eine tarifliche Regelung das Ruhen des Arbeitsverhältnisses an den Bezug dieser Rente knüpft.

2. Ist ein Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen an seiner Arbeitsleistung gehindert, verfallen seine gesetzlichen Urlaubsansprüche aufgrund unionsrechtskonformer Auslegung des § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres (im Anschluss an EuGH 22. November 2011 - C-214/10 - [KHS]).

3. Für die Leistung der Urlaubsabgeltung ist im Sinne von § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB keine Zeit nach dem Kalender bestimmt, sodass der Arbeitgeber grundsätzlich noch nicht mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sondern erst durch Mahnung in Verzug kommt.

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Freiburg Kammern Villingen-Schwenningen, Urteil vom 21.7.2009 - 7 Ca 198/09
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Kammern Freiburg, Urteil vom 29.4.2010 - 11 Sa 64/09
   


BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT


9 AZR 353/10
11 Sa 64/09
Lan­des­ar­beits­ge­richt

Ba­den-Würt­tem­berg

 

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am

7. Au­gust 2012

UR­TEIL

Brüne, Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Be­klag­te, Be­ru­fungskläge­rin und Re­vi­si­onskläge­rin,

pp.

Kläge­rin, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

hat der Neun­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 7. Au­gust 2012 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Brühler, die Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Krasshöfer und Klo­se so­wie die eh­ren­amt­li­che Rich­te­rin Neu­mann und den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Dip­per für Recht er­kannt:
 


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1. Auf die Re­vi­si­on der Be­klag­ten wird das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Ba­den-Würt­tem­berg vom 29. April 2010 - 11 Sa 64/09 - un­ter Zurück­wei­sung der Re­vi­si­on im Übri­gen teil­wei­se auf­ge­ho­ben.


2. Auf die Be­ru­fung der Be­klag­ten wird das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Frei­burg vom 21. Ju­li 2009 - 7 Ca 198/09 - teil­wei­se ab­geändert und zur Klar­stel­lung neu ge­fasst:


Die Be­klag­te wird ver­ur­teilt, an die Kläge­rin 3.919,95 Eu­ro brut­to nebst Zin­sen in Höhe von fünf Pro­zent­punk­ten über den Ba­sis­zins­satz seit dem 9. April 2009 zu zah­len. Im Übri­gen wird die Kla­ge ab­ge­wie­sen.

3. Die Kläge­rin hat die Kos­ten des Rechts­streits der ers­ten In­stanz zu 80 % zu tra­gen, die Be­klag­te zu 20 %. Die Kos­ten der Be­ru­fung und der Re­vi­si­on hat die Kläge­rin zu 71 % zu tra­gen, die Be­klag­te zu 29 %.

Von Rechts we­gen!


Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten noch über die Ab­gel­tung des ge­setz­li­chen Er­ho­lungs­ur­laubs und des Schwer­be­hin­der­ten­zu­satz­ur­laubs aus den Jah­ren 2005 bis 2009.


Die als schwer­be­hin­dert an­er­kann­te Kläge­rin war vom 1. Ju­li 2001 bis zum 31. März 2009 in der Re­ha­bi­li­ta­ti­ons­kli­nik der Be­klag­ten ge­gen ei­ne mo­nat­li­che Brut­to­vergütung iHv. zu­letzt 2.737,64 Eu­ro als An­ge­stell­te beschäftigt. In § 2 des schrift­li­chen Ar­beits­ver­trags vom 21. Ju­ni 2001 ist ver­ein­bart, dass sich das Ar­beits­verhält­nis nach dem Bun­des-An­ge­stell­ten­ta­rif­ver­trag (BAT) und den die­sen ergänzen­den, ändern­den oder er­set­zen­den Ta­rif­verträgen in der für den Be­reich der Ver­ei­ni­gung der kom­mu­na­len Ar­beit­ge­ber­verbände (VKA) je­weils gel­ten­den Fas­sung be­stimmt und außer­dem die für die Ar­beit­ge­be­rin je­weils gel­ten­den sons­ti­gen ein­schlägi­gen Ta­rif­verträge An­wen­dung fin­den. Im Jahr 2004 er­krank­te die Kläge­rin ar­beits­unfähig. Ab dem 20. De­zem­ber 2004
 


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be­zog sie ei­ne be­fris­te­te Ren­te we­gen Er­werbs­min­de­rung, die sie nach den nicht mit Re­vi­si­onsrügen an­ge­grif­fe­nen Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts über den Zeit­punkt der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses hin­aus be­zog.

Mit ih­rer der Be­klag­ten am 8. April 2009 zu­ge­stell­ten Kla­ge hat die Kläge­rin die Ab­gel­tung von 149 Ur­laubs­ta­gen aus den Jah­ren 2005 bis 2009 ver­langt und be­an­tragt,


die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an sie 18.841,05 Eu­ro brut­to nebst Zin­sen in Höhe von fünf Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit dem 1. April 2009 zu zah­len.


Die Be­klag­te hat zu ih­rem Kla­ge­ab­wei­sungs­an­trag die Auf­fas­sung ver­tre­ten, während des Be­zugs der Er­werbs­min­de­rungs­ren­te auf Zeit ha­be das Ar­beits­verhält­nis gemäß § 33 Abs. 2 Satz 6 TVöD ge­ruht. Während des Ru­hens des Ar­beits­verhält­nis­ses sei­en Ur­laubs­ansprüche der Kläge­rin nicht ent­stan­den, so­dass kein Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruch be­ste­he. Je­den­falls ha­be die Kläge­rin nicht über meh­re­re Jah­re hin­weg Ur­laubs­ansprüche an­sam­meln können. Dem stünden auch die all­ge­mei­nen Verjährungs­re­geln und die ta­rif­li­chen Aus­schluss­fris­ten ent­ge­gen.


Das Ar­beits­ge­richt hat die Be­klag­te zur Ab­gel­tung des ge­setz­li­chen Er­ho­lungs­ur­laubs und des der Kläge­rin zu­ste­hen­den Schwer­be­hin­der­ten­zu­satz-rlaubs aus den Jah­ren 2005 bis 2009 ver­ur­teilt, der Kläge­rin 13.403,70 Eu­ro brut­to nebst Zin­sen zu­ge­spro­chen und die Kla­ge in Be­zug auf die von der Kläge­rin be­an­spruch­te Ab­gel­tung des ta­rif­li­chen Mehr­ur­laubs ab­ge­wie­sen. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die Be­ru­fung der Be­klag­ten zurück­ge­wie­sen. Mit der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on ver­folgt die Be­klag­te ihr Ziel der vollständi­gen Kla­ge­ab­wei­sung wei­ter.
 


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Ent­schei­dungs­gründe


Die Re­vi­si­on der Be­klag­ten ist be­gründet, so­weit das Lan­des­ar­beits­ge­richt die Be­klag­te ver­ur­teilt hat, den ge­setz­li­chen Er­ho­lungs­ur­laub und den zusätz­li­chen Ur­laub für schwer­be­hin­der­te Men­schen aus den Jah­ren 2005 bis 2007 ab­zu­gel­ten. So­weit das Lan­des­ar­beits­ge­richt die Be­klag­te zur Ab­gel­tung des ge­setz­li­chen Er­ho­lungs­ur­laubs und des Zu­satz­ur­laubs der Kläge­rin aus den Jah­ren 2008 und 2009 ver­ur­teilt hat, ist die Re­vi­si­on der Be­klag­ten un­be­gründet.

I. Ein An­spruch der Kläge­rin auf Ab­gel­tung des Er­ho­lungs­ur­laubs gemäß § 1 iVm. § 3 Abs. 1 BUrlG und des Zu­satz­ur­laubs nach § 125 Abs. 1 Satz 1 SGB IX aus den Jah­ren 2005 bis 2007 folgt ent­ge­gen der An­sicht des Lan­des­ar­beits­ge­richts nicht aus § 7 Abs. 4 BUrlG. Ur­laubs­ansprüche der Kläge­rin aus die­sen Jah­ren ha­ben bei der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses am 31. März 2009 nicht mehr be­stan­den. Ent­ge­gen der An­sicht der Be­klag­ten hat der Be­zug der be­fris­te­ten Ren­te we­gen Er­werbs­min­de­rung al­ler­dings nicht das Ent­ste­hen von Ur­laubs­ansprüchen der Kläge­rin in die­sen Jah­ren ge­hin­dert. In­so­fern lässt das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts kei­nen Rechts­feh­ler er­ken­nen.

1. Für das Ent­ste­hen des Ur­laubs­an­spruchs ist nach dem Bun­des­ur­laubs­ge­setz al­lein das Be­ste­hen ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses Vor­aus­set­zung (st. Rspr. seit BAG 28. Ja­nu­ar 1982 - 6 AZR 571/79 - zu II 2 b der Gründe, BA­GE 37, 382; vgl. auch 24. März 2009 - 9 AZR 983/07 - Rn. 21, BA­GE 130, 119; ErfK/Gall­ner 12. Aufl. § 1 BUrlG Rn. 6; MüArbR/Düwell 3. Aufl. Bd. 1 § 77 Rn. 7). Der Ur­laubs­an­spruch nach §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG steht eben­so wie der Ur­laubs­an­spruch nach § 125 SGB IX (zur Bin­dung an das recht­li­che Schick­sal des Min­des­t­ur­laubs­an­spruchs: vgl. BAG 23. März 2010 - 9 AZR 128/09 - Rn. 71 mwN, BA­GE 124, 1) nicht un­ter der Be­din­gung, dass der Ar­beit­neh­mer im Be­zugs­zeit­raum ei­ne Ar­beits­leis­tung er­bracht hat. Der Ur­laubs­an­spruch ent­steht auch dann, wenn der Ar­beit­neh­mer nicht ar­bei­tet (st. Rspr., grund­le­gend



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BAG 13. Mai 1982 - 6 AZR 360/80 - zu II 4 a bis e der Gründe, BA­GE 39, 53). Ge­gen­tei­li­ges ist auch den Ge­set­zes­ma­te­ria­li­en nicht zu ent­neh­men (ErfK/Gall­ner aaO). Der Aus­schuss für Ar­beit des Deut­schen Bun­des­tags führ­te zu dem Ent­wurf des § 4 BUrlG viel­mehr aus, der Ent­wurf stel­le auf den recht­li­chen Be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses ab, so­dass es un­er­heb­lich sei, ob der Ar­beit­neh­mer während des Laufs der War­te­zeit die ihm ob­lie­gen­de Beschäfti­gung tatsächlich aus­geübt ha­be (BT-Drucks. IV/785 S. 3). Gemäß § 4 BUrlG wird der vol­le Ur­laubs­an­spruch nach sechs­mo­na­ti­gem Be­ste­hen des Ar­beits­verhält­nis­ses er­wor­ben. Es ist nicht er­sicht­lich, dass der Ge­setz­ge­ber die Zeiträume nach Ab­lauf der War­te­zeit an­ders be­han­deln woll­te. Darüber, dass der seit dem 1. Ju­li 2001 bei der Be­klag­ten beschäftig­ten Kläge­rin un­ge­ach­tet ei­nes ta­rif­li­chen Mehr­ur­laubs jähr­lich gemäß § 1 iVm. § 3 Abs. 1 BUrlG 20 Ar­beits­ta­ge Er­ho­lungs­ur­laub und fünf wei­te­re Ar­beits­ta­ge Zu­satz­ur­laub nach § 125 Abs. 1 Satz 1 SGB IX zu­stan­den, be­steht kein Streit.


2. Oh­ne Be­deu­tung ist, dass das Ar­beits­verhält­nis ab dem 20. De­zem­ber 2004 bis zu sei­ner Be­en­di­gung am 31. März 2009 auf­grund des Be­zugs der be­fris­te­ten Ren­te we­gen Er­werbs­min­de­rung gemäß § 33 Abs. 2 Satz 6 TVöD ge­ruht hat. Zwar be­stimmt § 26 Abs. 2 Buchst. c TVöD im We­sent­li­chen über-ein­stim­mend mit der Vorgänger­vor­schrift § 48 Abs. 3 Satz 1 BAT, dass sich die Dau­er des Er­ho­lungs­ur­laubs ein­sch­ließlich ei­nes et­wai­gen Zu­satz­ur­laubs für je­den vol­len Ka­len­der­mo­nat um ein Zwölf­tel ver­min­dert, wenn das Ar­beits­verhält­nis ruht. Die­se Vor­schrift ist je­doch je­den­falls in­so­weit un­wirk­sam, als sie auch die Ver­min­de­rung ge­setz­li­cher Ur­laubs­ansprüche von Ar­beit­neh­mern und schwer­be­hin­der­ten Men­schen er­fasst, die aus ge­sund­heit­li­chen Gründen nicht die ih­nen nach dem Ar­beits­ver­trag ob­lie­gen­de Leis­tung er­bracht ha­ben. Ei­ne sol­che Ver­min­de­rung ge­setz­li­cher Ur­laubs­ansprüche lässt § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG nicht zu. Der An­spruch auf be­zahl­ten Er­ho­lungs­ur­laub und Zu­satz­ur­laub für schwer­be­hin­der­te Men­schen steht auch dann nicht zur Dis­po­si­ti­on der Ta­rif­ver­trags­par­tei­en (vgl. BAG 8. März 1994 - 9 AZR 49/93 - zu III 2 der Gründe, BA­GE 76, 74), wenn länge­re Zeit aus ge­sund­heit­li­chen Gründen nicht die ge­schul­de­te Ar­beits­leis­tung er­bracht wur­de. Kraft aus­drück­li­cher An­ord­nung des Ge­setz­ge­bers in § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG kann von den Vor­schrif­ten der
 


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§§ 1, 2 und 3 Abs. 1 BUrlG auch in Ta­rif­verträgen nicht ab­ge­wi­chen wer­den. Das Ver­bot der Ab­wei­chung gilt un­abhängig da­von, ob im Ur­laubs­jahr ei­ne Ar­beits­leis­tung er­bracht wur­de oder der Ar­beit­neh­mer aus ge­sund­heit­li­chen Gründen dar­an ganz oder teil­wei­se ge­hin­dert war.


3. Ein an­de­res Verständ­nis des Ab­wei­chungs­ver­bots in § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG würde der Ver­pflich­tung zur uni­ons­rechts­kon­for­men Aus­le­gung des na­tio­na­len Rechts nicht ge­recht (vgl. Boecken FS Düwell S. 53, 59 ff.; Boecken/Ja­cob­sen ZTR 2011, 267, 269 f.; Suckow/Klo­se JbAr­bR Bd. 49 S. 59, 63; aA oh­ne nähe­re Be­gründung wohl Düwell DB 2012, 1750, 1751).


a) Nach ständi­ger Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs der Eu­ropäischen Uni­on (vgl. 24. Ja­nu­ar 2012 - C-282/10 - [Do­m­in­guez] Rn. 24, EzA EG-Ver­trag 1999 Richt­li­nie 2003/88 Nr. 8) müssen die na­tio­na­len Ge­rich­te bei der An­wen­dung des na­tio­na­len Rechts die­ses so weit wie möglich an­hand des Wort­lauts und des Zwecks der Richt­li­nie aus­le­gen, um das in der Richt­li­nie fest­ge­leg­te Ziel zu er­rei­chen und da­mit Art. 288 Abs. 3 AEUV nach­zu­kom­men. Die Ver­pflich­tung zur uni­ons­rechts­kon­for­men Aus­le­gung des na­tio­na­len Rechts ist dem Sys­tem des AEU-Ver­trags im­ma­nent, da den na­tio­na­len Ge­rich­ten da­durch ermöglicht wird, im Rah­men ih­rer Zuständig­kei­ten die vol­le Wirk­sam­keit des Uni­ons­rechts si­cher­zu­stel­len, wenn sie über die bei ih­nen anhängi­gen Rechts­strei­tig­kei­ten ent­schei­den (vgl. EuGH 19. Ja­nu­ar 2010 - C-555/07 - [Kücükde­ve­ci] Rn. 48, Slg. 2010, I-365; 23. April 2009 - C-378/07 bis C-380/07 - [An­gel­i­da­ki ua.] Rn. 197 f., Slg. 2009, I-3071; 5. Ok­to­ber 2004 - C-397/01 bis C-403/01 - [Pfeif­fer ua.] Rn. 113 f., Slg. 2004, I-8835).


b) Dies be­wirkt, dass bei der Aus­le­gung des Ab­wei­chungs­ver­bots in § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG zu berück­sich­ti­gen ist, dass die Richt­li­nie 2003/88/EG des Eu­ropäischen Par­la­ments und des Ra­tes vom 4. No­vem­ber 2003 über be­stimm­te As­pek­te der Ar­beits­zeit­ge­stal­tung (ABl. EU L 299 vom 18. No­vem­ber 2003 S. 9; im Fol­gen­den: Ar­beits­zeit­richt­li­nie) nicht zwi­schen Ar­beit­neh­mern, die während des Be­zugs­zeit­raums we­gen Krank­heit der Ar­beit fern­ge­blie­ben sind, und sol­chen, die während die­ses Zeit­raums tatsächlich ge­ar­bei­tet ha­ben, dif­fe­ren­ziert, und dass nach ständi­ger Recht­spre­chung des EuGH der An­spruch



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je­des Ar­beit­neh­mers auf be­zahl­ten Jah­res­ur­laub als ein be­son­ders be­deut­sa­mer Grund­satz des So­zi­al­rechts der Uni­on an­zu­se­hen ist, von dem nicht ab­ge­wi­chen wer­den darf und den die zuständi­gen na­tio­na­len Stel­len nur in den Gren­zen um­set­zen dürfen, die in der Richt­li­nie 93/104/EG des Ra­tes vom 23. No­vem­ber 1993 über be­stimm­te As­pek­te der Ar­beits­zeit­ge­stal­tung (ABl. EG L 307 vom 13. De­zem­ber 1993 S. 18), die durch die Ar­beits­zeit­richt­li­nie ko­di­fi­ziert wur­de, selbst aus­drück­lich ge­zo­gen sind (vgl. EuGH 22. No­vem­ber 2011 - C-214/10 - [KHS] Rn. 23, AP Richt­li­nie 2003/88/EG Nr. 6 = EzA EG-Ver­trag 1999 Richt­li­nie 2003/88 Nr. 7; 20. Ja­nu­ar 2009 - C-350/06 und C-520/06 - [Schultz-Hoff] Rn. 22, Slg. 2009, I-179; 16. März 2006 - C-131/04 und C-257/04 - [Ro­bin­son-Stee­le ua.] Rn. 48, Slg. 2006, I-2531; 18. März 2004 - C-342/01 - [Me­ri­no Gómez] Rn. 29, Slg. 2004, I-2605; 26. Ju­ni 2001 - C-173/99 - [BEC­TU] Rn. 43, Slg. 2001, I-4881). Dar­aus folgt, dass bei „ord­nungs­gemäß krank­ge­schrie­be­nen“ Ar­beit­neh­mern der al­len Ar­beit­neh­mern zu­ste­hen­de An­spruch auf be­zahl­ten Min­dest­jah­res­ur­laub nicht von der Vor­aus­set­zung abhängig ge­macht wer­den darf, dass sie während des Ur­laubs­jah­res tatsächlich ge­ar­bei­tet ha­ben (EuGH 24. Ja­nu­ar 2012 - C-282/10 - [Do­m­in­guez] Rn. 20 mwN, EzA EG-Ver­trag 1999 Richt­li­nie 2003/88 Nr. 8; 20. Ja­nu­ar 2009 - C-350/06 und C-520/06 - [Schultz-Hoff] Rn. 41, aaO). Wird § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG an­hand des Wort­lauts und des Zwecks der Ar­beits­zeit­richt­li­nie aus­ge­legt, steht die­se Vor­schrift ei­ner Kürzung der Min­des­t­ur­laubs­ansprüche von Ar­beit­neh­mern ent­ge­gen, die aus ge­sund­heit­li­chen Gründen im Be­zugs­zeit-raum kei­ne Ar­beits­leis­tung er­bracht ha­ben, wo­bei es grundsätz­lich nicht dar­auf an­kommt, ob sie in­fol­ge ei­nes Un­falls am Ar­beits­platz oder an­ders­wo oder aber in­fol­ge ei­ner Krank­heit, wel­cher Art oder wel­chen Ur­sprungs auch im­mer, krank­ge­schrie­ben wa­ren (EuGH 24. Ja­nu­ar 2012 - C-282/10 - [Do­m­in­guez] Rn. 30, aaO). Vor die­sem Hin­ter­grund be­darf es je­den­falls in den Fällen wie dem vor­lie­gen­den, in de­nen ei­ne Er­kran­kung kau­sal für das Ru­hen des Ar­beits­verhält­nis­ses war, kei­ner wei­te­ren Klärung der Rechts­la­ge durch den EuGH gemäß Art. 267 AEUV.


4. Ord­net ei­ne Ta­rif­vor­schrift wie § 26 Abs. 2 Buchst. c TVöD an, dass sich die Dau­er des ge­setz­li­chen Ur­laubs für je­den vol­len Mo­nat um ein Zwölf­tel



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ver­min­dert, wenn das Ar­beits­verhält­nis ruht, so weicht sie je­den­falls dann iSd. § 13 Abs. 1 BUrlG zu Un­guns­ten des Ar­beit­neh­mers von §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG ab, wenn das Ru­hen des Ar­beits­verhält­nis­ses dar­auf zurück­zuführen ist, dass der Ar­beit­neh­mer aus ge­sund­heit­li­chen Gründen sei­ne Ver­pflich­tung zur Ar­beits­leis­tung nicht erfüllen kann. Un­er­heb­lich ist da­bei, ob die Ta­rif­vor­schrift be­reits das Ent­ste­hen von Ur­laubs­ansprüchen hin­dern oder ob sie ei­nen ent­stan­de­nen Ur­laubs­an­spruch ver­min­dern will. Bei­de Kon­stel­la­tio­nen un­ter­schei­den sich in ih­rer Wir­kung auf den Ur­laubs­an­spruch im Er­geb­nis nicht.


a) In Recht­spre­chung und Li­te­ra­tur wird al­ler­dings teil­wei­se an­ge­nom­men, während des Ru­hens ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses entstünden kei­ne Ur­laubs­ansprüche bzw. die Kürzung des Ur­laubs­an­spruchs um Zei­ten des Ru­hens sei zulässig (vgl. nur LAG Düssel­dorf 19. Ja­nu­ar 2012 - 15 Sa 380/11 - ZTR 2012, 283; LAG Ba­den-Würt­tem­berg 9. Ju­ni 2011 - 6 Sa 109/10 -; LAG München 26. Mai 2011 - 4 Sa 66/11 -; LAG Düssel­dorf 1. Ok­to­ber 2010 - 9 Sa 1541/09 -; LAG Köln 29. April 2010 - 6 Sa 103/10 - ZTR 2010, 589; Düwell DB 2012, 1750, 1751; Wicht BB 2012, 1349; Bürger ZTR 2011, 707, 713; Fie­berg NZA 2009, 929). Dem liegt die Erwägung zu­grun­de, wenn auf­grund der Su­s­pen­die­rung der Haupt­leis­tungs­pflich­ten des Ar­beits­ver­trags kein Vergütungs­an­spruch be­ste­he, könne auch kein An­nex- oder Ne­ben- oder Se­kundäran­spruch auf Ur­laub be­gründet wer­den (LAG München 26. Mai 2011 - 4 Sa 66/11 - zu II 2 c bb der Gründe mwN). An­de­rer­seits soll es nur dann ge­recht­fer­tigt sein, dem Ar­beit­ge­ber die Ver­pflich­tung zu­zu­wei­sen, Ur­laub zu gewähren und Ur­laubs­ent­gelt zu zah­len, wenn ver­trag­lich ei­ne Ar­beits­pflicht des Ar­beit­neh­mers be­steht (LAG Düssel­dorf 1. Ok­to­ber 2010 - 9 Sa 1541/09 - zu B I 3 b aa (1) der Gründe). Maßge­bend soll sein, dass nicht die (Dau­er-)Ar­beits­unfähig­keit des Ar­beit­neh­mers per se das Ru­hen des Ar­beits­verhält­nis­ses be­wir­ke, son­dern die Ver­ein­ba­rung des Ru­hens als wil­lens­ge­steu­er­tes Ele­ment al­lei­ni­ge Ur­sa­che für das Ru­hen des Ar­beits­verhält­nis­ses sei (vgl. Wicht BB 2012, 1349, 1352; Fie­berg NZA 2009, 929, 934; Pi­cker ZTR 2009, 230, 237 je­weils mwN). An­ge­knüpft wird auch un­ter Hin­weis auf die Re­ge­lung in § 125 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 SGB IX an die Abhängig­keit der Ur­laubs­ta­ge von der An­zahl der Ar­beits­ta­ge in der Ka­len­der­wo­che. Bei kon­se­quen­ter An­wen­dung der Be­rech­nungs­for­mel für den


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Ur­laubs­an­spruch bei ei­ner Beschäfti­gung von we­ni­ger als fünf Ta­gen in der Wo­che be­tra­ge die Höhe des Ur­laubs­an­spruchs bei ei­nem ru­hen­den Ar­beits­verhält­nis „Null“ (Wicht aaO). Die „An­pas­sung“ des Ur­laubs­an­spruchs ste­he in­so­fern in Ein­klang mit der Ent­schei­dung des EuGH in der Rechts­sa­che Zen­tral­be­triebs­rat der Lan­des­kran­kenhäuser Ti­rols vom 22. April 2010 - C-486/08 - (vgl. LAG Düssel­dorf 5. Mai 2010 - 7 Sa 1571/09 - zu II 2 a der Gründe, NZA-RR 2010, 568). Teil­wei­se wird ei­ne Ein­schränkung da­hin­ge­hend vor­ge­nom­men, das Ru­hen hin­de­re das Ent­ste­hen von Ur­laubs­ansprüchen nur dann, wenn es be­reits zu Be­ginn des Ur­laubs­jah­res vor­ge­le­gen ha­be und während des ge­sam­ten Jah­res fort­be­ste­he (LAG Düssel­dorf 1. Ok­to­ber 2010 - 9 Sa 1541/09 - zu B I 3 b bb der Gründe; Düwell DB 2012, 1750).


b) Die An­nah­me, dass Ur­laubs­ansprüche im ru­hen­den Ar­beits­verhält­nis auch dann nicht ent­ste­hen, wenn das Ru­hen des Ar­beits­verhält­nis­ses auf ei­ne Ar­beits­unfähig­keit des Ar­beit­neh­mers zurück­zuführen ist, ist mit der in § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG an­ge­ord­ne­ten Un­ab­ding­bar­keit des ge­setz­li­chen Min­des­t­ur­laubs­an­spruchs nicht zu ver­ein­ba­ren (abl. auch Boecken/Ja­cob­sen ZTR 2011, 267, 268 ff.; noch of­fen­ge­las­sen in BAG 9. Au­gust 2011 - 9 AZR 475/10 - Rn. 16, NZA 2012, 166).


aa) Der Hin­weis auf das wil­lens­ge­steu­er­te Ele­ment auch auf Sei­ten des Ar­beit­neh­mers über­zeugt nicht. Von den §§ 1, 2 und § 3 Abs. 1 BUrlG können nach der aus­drück­li­chen An­ord­nung in § 13 Abs. 1 BUrlG we­der die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en ge­schwei­ge denn die Ar­beits­ver­trags­par­tei­en ab­wei­chen, in­dem sie im Rah­men ei­ner Ru­hens­ver­ein­ba­rung aus­drück­lich oder kon­klu­dent vor­se­hen, dass kei­ne Ur­laubs­ansprüche des Ar­beit­neh­mers ent­ste­hen, wenn die­ser aus ge­sund­heit­li­chen Gründen länge­re Zeit an sei­ner Ar­beits­leis­tung ge­hin­dert ist. Nicht nur der Um­fang des Min­des­t­ur­laubs­an­spruchs, son­dern auch die De­fi­ni­ti­on des Gel­tungs­be­reichs des BUrlG ist der Dis­po­si­ti­on der Ta­rif­ver­trags­par­tei­en ent­zo­gen. Nach § 2 Satz 1 BUrlG sind Ar­beit­neh­mer im Sin­ne des Ge­set­zes Ar­bei­ter und An­ge­stell­te so­wie die zu ih­rer Be­rufs­aus­bil­dung Beschäftig­ten. In­dem die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en des TVöD als Fol­ge der An­ord­nung des Ru­hens in § 33 Abs. 2 Satz 6 TVöD die Kürzung des Ur­laubs­an­spruchs
 


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nach § 26 Abs. 2 Buchst. c TVöD an­ge­ord­net ha­ben, ha­ben sie Ar­beit­neh­mer, die ei­ne be­fris­te­te Ren­te we­gen Er­werbs­min­de­rung be­zie­hen, während des Ru­hens des Ar­beits­verhält­nis­ses nach § 33 Abs. 2 Satz 6 TVöD im Er­geb­nis aus dem An­wen­dungs­be­reich des BUrlG aus­ge­nom­men. Dies lässt § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG nicht zu. § 2 Satz 1 BUrlG nimmt ar­beits­unfähi­ge Ar­beit­neh­mer, de­ren Ar­beits­verhält­nis kraft Ab­re­de der Ar­beits­ver­trags­par­tei­en oder auf­grund ta­rif­li­cher An­ord­nung ruht, nicht aus. Sinn und Zweck der §§ 1, 2 BUrlG ge­bie­ten auch kei­ne te­leo­lo­gi­sche Re­duk­ti­on (aA jetzt Düwell DB 2012, 1750). Die Frei­stel­lung von der Ar­beit ist kein Selbst­zweck, son­dern der Ur­laub dient grundsätz­lich da­zu, es dem Ar­beit­neh­mer zu ermögli­chen, sich zum ei­nen von der Ausübung der ihm nach sei­nem Ar­beits­ver­trag ob­lie­gen­den Auf­ga­ben zu er­ho­len und zum an­de­ren über ei­nen Zeit­raum für Ent­span­nung und Frei­zeit zu verfügen (EuGH 22. No­vem­ber 2011 - C-214/10 - [KHS] Rn. 31, AP Richt­li­nie 2003/88/EG Nr. 6 = EzA EG-Ver­trag 1999 Richt­li­nie 2003/88 Nr. 7). Die Ent­ste­hung des Ur­laubs­an­spruchs ist al­ler­dings we­der von ei­nem kon­kre­ten noch von ei­nem abs­trak­ten Er­ho­lungs­bedürf­nis des Ar­beit­neh­mers abhängig (BAG 20. Mai 2008 - 9 AZR 219/07 - Rn. 30 mwN, BA­GE 126, 352; Boecken/Ja­cob­sen ZTR 2011, 267, 268). Mit dem Zu­satz „Er­ho­lung“ wird in § 1 BUrlG le­dig­lich der so­zi­al­po­li­ti­sche Zweck des Ur­laubs be­schrie­ben (Mü-ArbR/Düwell § 77 Rn. 8).

bb) Aus der zu § 3 Abs. 1 BUrlG ab­ge­lei­te­ten Um­rech­nungs­for­mel für die Fälle der Beschäfti­gung an nicht al­len Werk­ta­gen der Ka­len­der­wo­che und aus der Re­ge­lung in § 125 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 SGB IX kann nicht ab­ge­lei­tet wer­den, dass Ur­laubs­ansprüche im ru­hen­den Ar­beits­verhält­nis auch dann nicht ent­ste­hen, wenn die Ru­hens­ver­ein­ba­rung für den Fall des Be­zugs ei­ner Ren­te we­gen Min­de­rung der Er­werbsfähig­keit des Ar­beit­neh­mers ge­trof­fen wur­de. In ei­nem sol­chen Fall kann der Ar­beit­neh­mer eben­so wie ein ar­beits­unfähi­ger Ar­beit­neh­mer oh­ne Ru­hens­ver­ein­ba­rung aus ge­sund­heit­li­chen Gründen sei­ne Ver­pflich­tung zur Ar­beits­leis­tung nicht erfüllen. Da­durch re­du­ziert sich der Um­fang der Ar­beits­pflicht je­doch nicht auf „Null“. Auch im ru­hen­den Ar­beits­verhält­nis wird „an sich“ ei­ne Ar­beits­leis­tung ge­schul­det, die Pflicht ruht le­dig­lich (Boecken/Ja­cob­sen ZTR 2011, 267, 269). Zu­dem dient die Um­rech­nungs­for­mel


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bei ei­ner Beschäfti­gung an nicht al­len Werk­ta­gen der Ka­len­der­wo­che der Er­mitt­lung der An­zahl der Ur­laubs­ta­ge. Die­se For­mel setzt da­mit das Be­ste­hen ei­nes Ur­laubs­an­spruchs vor­aus und kann da­her nicht zur Klärung der Fra­ge her­an­ge­zo­gen wer­den, ob über­haupt für be­stimm­te Zeiträume ein Ur­laubs­an­spruch ent­stan­den ist.


cc) Auch der Ge­setz­ge­ber ist in § 17 BEEG und § 4 Arb­PlSchG da­von aus­ge­gan­gen, dass im ru­hen­den Ar­beits­verhält­nis Ur­laubs­ansprüche ent­ste­hen. Dies zei­gen die in die­sen Vor­schrif­ten ent­hal­te­nen Kürzungsmöglich­kei­ten (vgl. für die El­tern­zeit: BAG 17. Mai 2011 - 9 AZR 197/10 - Rn. 24, EzA TVG § 4 Me­tall­in­dus­trie Nr. 138). Nur ein ent­stan­de­ner Ur­laubs­an­spruch kann gekürzt wer­den (so schon BAG 30. Ju­li 1986 - 8 AZR 475/84 - zu I 3 der Gründe, BA­GE 52, 305). Da­von sind auch die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en des TVöD aus­ge­gan­gen. Sie ha­ben nicht an­ge­nom­men, dass die An­ord­nung des Ru­hens des Ar­beits­verhält­nis­ses in § 33 Abs. 2 Satz 6 TVöD per se be­wirkt, dass während des Be­zugs der be­fris­te­ten Ren­te we­gen Er­werbs­min­de­rung kei­ne Ur­laubs­ansprüche ent­ste­hen, son­dern ha­ben es für er­for­der­lich ge­hal­ten, die Ver­min­de­rung des Ur­laubs in § 26 Abs. 2 Buchst. c TVöD aus­drück­lich zu re­geln.


dd) Die in § 17 Abs. 1 BEEG und § 4 Abs. 1 Arb­PlSchG vor­ge­se­he­nen Kürzungsmöglich­kei­ten sind auch nicht Aus­druck ei­nes all­ge­mei­nen Rechts­ge­dan­kens, der für ei­ne te­leo­lo­gi­sche Re­duk­ti­on des BUrlG in Be­zug auf ru­hen­de Ar­beits­verhält­nis­se her­an­ge­zo­gen wer­den könn­te (vgl. BAG 30. Ju­li 1986 - 8 AZR 475/84 - zu I 3 b der Gründe, BA­GE 52, 305; vgl. auch allg. ge­gen ei­ne Über­tra­gung von ur­laubs­recht­li­chen Son­der­be­stim­mun­gen auf den Ur­laub nach dem BUrlG: BAG 13. Mai 1982 - 6 AZR 360/80 - zu II 4 d der Gründe, BA­GE 39, 53). Dem steht schon ent­ge­gen, dass der Ge­setz­ge­ber in dem am 1. Ju­li 2008 in Kraft ge­tre­te­nen Pfle­ge­zeit­ge­setz nicht die Möglich­keit der Kürzung des Ur­laubs vor­ge­se­hen hat (Liebs­cher ArbR 2011, 189, 191), ob­wohl während der Pfle­ge­zeit die Haupt­leis­tungs­pflich­ten ru­hen (ErfK/Gall­ner § 3 Pfle­geZG Rn. 4; DFL/Böck 4. Aufl. § 3 Pfle­geZG Rn. 11).

5. Die in den Jah­ren 2005 bis 2007 ent­stan­de­nen Ur­laubs­ansprüche der Kläge­rin sind je­doch vor der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses am 31. März
 


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2009 ver­fal­len. Dies folgt al­ler­dings nicht be­reits aus den ta­rif­li­chen Fris­ten­re­ge­lun­gen.


a) Der Ver­fall der in den Jah­ren 2005 bis 2007 ent­stan­de­nen ge­setz­li­chen Ur­laubs­ansprüche er­gibt sich nicht aus § 26 Abs. 2 Buchst. a TVöD. Zwar ver­fal­len Ur­laubs­ansprüche nach die­ser Ta­rif­re­ge­lung auch bei fort­be­ste­hen­der Er­kran­kung am 31. Mai des dem Ur­laubs­jahr fol­gen­den Jah­res, die Vor­schrift gilt je­doch nur für den ta­rif­li­chen Mehr­ur­laub und er­fasst nicht den ge­setz­li­chen Min­des­t­ur­laub (vgl. BAG 22. Mai 2012 - 9 AZR 618/10 - Rn. 18, NZA 2012, 987). Nur Letz­te­rer ist in der Re­vi­si­on noch Streit­ge­gen­stand. Die Kläge­rin hat die Kla­ge­ab­wei­sung durch das Ar­beits­ge­richt in­so­fern nicht mit Rechts­mit­teln an­ge­grif­fen.


b) Ent­ge­gen der Rechts­an­sicht der Be­klag­ten folgt der Ver­fall der Ur­laus­ansprüche auch nicht aus der Nicht­ein­hal­tung der in § 37 Abs. 1 TVöD ge­re­gel­ten Aus­schluss­frist. Die­se fin­det auf den Ur­laubs­an­spruch kei­ne An­wen­dung (vgl. BAG 18. No­vem­ber 2003 - 9 AZR 95/03 - zu A II 1 d der Gründe mwN, BA­GE 108, 357; HWK/Schinz 5. Aufl. § 7 BUrlG Rn. 74e).

6. Die in den Jah­ren 2005 bis 2007 ent­stan­de­nen Ur­laubs­ansprüche der Kläge­rin sind je­doch 15 Mo­na­te nach Ab­lauf des je­wei­li­gen Ka­len­der­jah­res und da­mit am 31. März des zwei­ten auf das je­wei­li­ge Ur­laubs­jahr fol­gen­den Jah­res gemäß § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG ver­fal­len, so­dass die­se Ur­laubs­ansprüche bei der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses am 31. März 2009 nicht gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG ab­zu­gel­ten wa­ren.


a) Nach dem Wort­laut des § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG muss der Ur­laub im Fall sei­ner Über­tra­gung in das nächs­te Ka­len­der­jahr in den ers­ten drei Mo­na­ten des fol­gen­den Ka­len­der­jah­res gewährt und ge­nom­men wer­den. Da­nach er­lischt er (st. Rspr. seit BAG 26. Ju­ni 1969 - 5 AZR 393/68 - zu 1 der Gründe, BA­GE 22, 85; vgl. AnwK-ArbR/Düwell 2. Aufl. Bd. 2 § 7 BUrlG Rn. 86, 89). Dass nicht zeit­ge­recht gel­tend ge­mach­ter bzw. gewähr­ter Ur­laub verfällt, folgt aus der vom Ge­setz (§§ 1, 13 BUrlG) un­ab­ding­bar fest­ge­leg­ten Bin­dung des Ur­laubs­an­spruchs an das Ka­len­der­jahr, die zu­gleich dem Sinn und Zweck der ge­sam­ten



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ge­setz­li­chen Ur­laubs­re­ge­lung ent­spricht. Der Ge­setz­ge­ber woll­te da­mit er­rei­chen, dass je­der Ar­beit­neh­mer in ei­nem ei­ni­ger­maßen re­gelmäßigen Rhyth­mus ei­ne ge­wis­se Zeit der Er­ho­lung auch tatsächlich erhält. Die­sem Ziel dien­ten die im Ver­gleich zu den Re­ge­lun­gen in den Lan­des­ur­laubs­ge­set­zen we­sent­lich strik­te­re zeit­li­che Be­gren­zung des Ur­laubs­an­spruchs und die ein­ge­schränk­te Möglich­keit der Über­tra­gung des Ur­laubs auf das nächs­te Ka­len­der­jahr. Nicht zeit­ge­recht in An­spruch ge­nom­me­ner Ur­laub soll­te ver­fal­len (BAG 26. Ju­ni 1969 - 5 AZR 393/68 - aaO mwN).

b) Seit dem Ab­lauf der Um­set­zungs­frist für die ers­te Ar­beits­zeit­richt­li­nie 93/104/EG am 23. No­vem­ber 1996 ist das Uni­ons­recht bei der Aus­le­gung und An­wen­dung des § 7 Abs. 3 BUrlG frei­lich mit­zu­berück­sich­ti­gen (vgl. BAG 23. März 2010 - 9 AZR 128/09 - Rn. 101 ff., BA­GE 134, 1). Art. 7 die­ser Richt­li­nie lau­tet:


Jah­res­ur­laub

(1) Die Mit­glied­staa­ten tref­fen die er­for­der­li­chen Maßnah­men, da­mit je­der Ar­beit­neh­mer ei­nen be­zahl­ten Min­dest­jah­res­ur­laub von vier Wo­chen nach Maßga­be der Be­din­gun­gen für die In­an­spruch­nah­me und die Gewährung erhält, die in den ein­zel­staat­li­chen Rechts­vor­schrif­ten und/oder nach den ein­zel­staat­li­chen Ge­pflo­gen­hei­ten vor­ge­se­hen sind.

(2) Der be­zahl­te Min­dest­jah­res­ur­laub darf außer bei Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses nicht durch ei­ne fi­nan­zi­el­le Vergütung er­setzt wer­den.“

aa) Der EuGH, dem nach Art. 267 AEUV die Auf­ga­be der ver­bind­li­chen Aus­le­gung von Richt­li­ni­en zu­ge­wie­sen ist (vgl. BAG 24. März 2009 - 9 AZR 983/07 - Rn. 47, BA­GE 130, 119), hat fest­ge­stellt, dass Art. 7 Abs. 1 der Ar­beits­zeit­richt­li­nie grundsätz­lich ei­ner na­tio­na­len Re­ge­lung nicht ent­ge­genteht, die für die Ausübung des mit die­ser Richt­li­nie aus­drück­lich ver­lie­he­nen An­spruchs auf be­zahl­ten Jah­res­ur­laub Mo­da­litäten vor­sieht, die so­gar den Ver­lust die­ses An­spruchs am En­de ei­nes Be­zugs­zeit­raums oder ei­nes Über­tra­gungs­zeit­raums um­fas­sen. Al­ler­dings hat er die­ser grundsätz­li­chen Fest­stel­lung die Vor­aus­set­zung hin­zu­gefügt, dass der Ar­beit­neh­mer, des­sen An­spruch auf
 


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be­zahl­ten Jah­res­ur­laub er­lo­schen ist, tatsächlich die Möglich­keit ge­habt ha­ben muss, den ihm mit der Richt­li­nie ver­lie­he­nen An­spruch aus­zuüben (EuGH 20. Ja­nu­ar 2009 - C-350/06 und C-520/06 - [Schultz-Hoff] Rn. 43, 49, Slg. 2009, I-179). Der EuGH hat später ergänzend fest­ge­stellt, dass ein Recht auf ein un­be­grenz­tes An­sam­meln von Ansprüchen auf be­zahl­ten Jah­res­ur­laub aus meh­re­ren Be­zugs­zeiträum­en, die während ei­nes sol­chen Zeit­raums der Ar­beits­unfähig­keit er­wor­ben wur­den, nicht mehr dem Zweck des An­spruchs auf be­zahl­ten Jah­res­ur­laub ent­spre­chen würde (EuGH 22. No­vem­ber 2011 - C-214/10 - [KHS] Rn. 30, AP Richt­li­nie 2003/88/EG Nr. 6 = EzA EG-Ver­trag 1999 Richt­li­nie 2003/88 Nr. 7). Der An­spruch ei­nes während meh­re­rer Be­zugs­zeiträume in Fol­ge ar­beits­unfähi­gen Ar­beit­neh­mers auf be­zahl­ten Jah­res­ur­laub könne den Zweck­be­stim­mun­gen des Ur­laubs nur in­so­weit ent­spre­chen, als der Über­trag ei­ne ge­wis­se zeit­li­che Gren­ze nicht über­schrei­te. Das na­tio­na­le Recht könne da­her Über­tra­gungs­zeiträume vor­se­hen, an de­ren En­de auch bei fort­be­ste­hen­der Ar­beits­unfähig­keit der Ur­laubs­an­spruch ent­fal­le. Ein sol­cher Über­tra­gungs­zeit­raum müsse die Dau­er des Be­zugs­zeit­raums, für den er gewährt wer­de, deut­lich über­schrei­ten (EuGH 22. No­vem­ber 2011 - C-214/10 - [KHS] Rn. 38, aaO; 3. Mai 2012 - C-337/10 - [Nei­del] Rn. 41, EzA EG-Ver­trag 1999 Richt­li­nie 2003/88 Nr. 9). Bei der Fest­le­gung der Länge sei ei­ner­seits zu berück­sich­ti­gen, dass je­der Über­tra­gungs­zeit­raum den spe­zi­fi­schen Umständen Rech­nung tra­gen müsse, in de­nen sich ein Ar­beit­neh­mer be­fin­de, der während meh­re­rer Be­zugs­zeiträume in Fol­ge ar­beits­unfähig sei. Die­ser Zeit­raum müsse da­her für den Ar­beit­neh­mer ins­be­son­de­re die Möglich­keit gewähr­leis­ten, bei Be­darf über Er­ho­lungs­zeiträume zu verfügen, die länger­fris­tig ge­staf­felt und ge­plant wer­den so­wie verfügbar sein können (EuGH 22. No­vem­ber 2011 - C-214/10 - [KHS] aaO). An­der­seits müsse der Über­tra­gungs­zeit­raum den Ar­beit­ge­ber vor der Ge­fahr der An­samm­lung von zu lan­gen Ab­we­sen­heits­zeiträum­en und den Schwie­rig­kei­ten schützen, die sich dar­aus für die Ar­beits­or­ga­ni­sa­ti­on er­ge­ben können (EuGH 22. No­vem­ber 2011 - C-214/10 - [KHS] Rn. 39, aaO).
b

b) Nach der Schultz-Hoff-Ent­schei­dung des EuGH hat der Se­nat an­ge­nom­men, der An­spruch auf Ab­gel­tung des ge­setz­li­chen Ur­laubs erlösche nicht,
 


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wenn der Ar­beit­neh­mer bis zum En­de des Ur­laubs­jah­res und/oder des in § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG ge­nann­ten Über­tra­gungs­zeit­raums er­krankt und des­halb ar­beits­unfähig ist, und hat § 7 Abs. 3 und 4 BUrlG nach den Vor­ga­ben des Art. 7 der Ar­beits­zeit­richt­li­nie in der Aus­le­gung des EuGH in der Schultz-Hoff-Ent­schei­dung richt­li­ni­en­kon­form aus­ge­legt bzw. fort­ge­bil­det (BAG 24. März 2009 - 9 AZR 983/07 - Rn. 57 ff., BA­GE 130, 119).

cc) Nun­mehr hat der EuGH in der KHS-Ent­schei­dung sei­ne Schluss­fol­ge­rung im Schultz-Hoff-Ur­teil, dass ei­ne na­tio­na­le Be­stim­mung, mit der ein Über­tra­gungs­zeit­raum fest­ge­legt wird, nicht das Erlöschen des An­spruchs des Ar­beit­neh­mers auf be­zahl­ten Jah­res­ur­laub vor­se­hen kann, wenn der Ar­beit­neh­mer nicht tatsächlich die Möglich­keit hat­te, die­sen An­spruch aus­zuüben, aus­drück­lich „nu­an­ciert“ (EuGH 22. No­vem­ber 2011 - C-214/10 - [KHS] Rn. 28, AP Richt­li­nie 2003/88/EG Nr. 6 = EzA EG-Ver­trag 1999 Richt­li­nie 2003/88 Nr. 7). Er hat er­kannt, dass Art. 7 Abs. 1 der Ar­beits­zeit­richt­li­nie da­hin aus­zu­le­gen ist, dass er ein­zel­staat­li­chen Rechts­vor­schrif­ten oder Ge­pflo­gen­hei­ten nicht ent­ge­gen­steht, die die Möglich­keit für ei­nen während meh­re­rer Be­zugs­zeiträume in Fol­ge ar­beits­unfähi­gen Ar­beit­neh­mer, Ansprüche auf be­zahl­ten Jah­res­ur­laub an­zu­sam­meln, da­durch ein­schränken, dass sie ei­nen Über­tra­gungs­zeit­raum von 15 Mo­na­ten vor­se­hen, nach des­sen Ab­lauf der An­spruch auf be­zahl­ten Ur­laub er­lischt (EuGH 22. No­vem­ber 2011 - C-214/10 - [KHS] Rn. 44, aaO). An­ge­sichts die­ser geänder­ten Recht­spre­chung des EuGH ist die Fra­ge in Recht­spre­chung (Hes­si­sches LAG 7. Fe­bru­ar 2012 - 19 Sa 818/11 - Re­vi­si­on anhängig un­ter - 9 AZR 305/12 -; LAG Hamm 12. Ja­nu­ar 2012 - 16 Sa 1352/11 - Re­vi­si­on anhängig un­ter - 9 AZR 232/12 -; LAG Ba­den-Würt­tem­berg 21. De­zem­ber 2011 - 10 Sa 19/11 - Re­vi­si­on anhängig un­ter - 9 AZR 225/12 -) und Li­te­ra­tur (vgl. nur Bau­er/von Me­dem NZA 2012, 113, 115 f.; Gehl­haar NJW 2012, 271, 273 f.; Pötters/Stie­bert NJW 2012, 1034, 1037; Schinz RdA 2012, 181, 184; Bay­reu­ther DB 2011, 2848, 2849; Fran­zen NZA 2011, 1403, 1405; Forst Anm. EzA EG-Ver­trag 1999 Richt­li­nie 2003/88 Nr. 7) un­ter­schied­lich be­ant­wor­tet wor­den, ob auch nach der „nu­an­cier­ten“ Recht­spre­chung des EuGH an ei­ner zeit­lich nicht be­grenz­ten An­samm­lung von Ur­laubs­ansprüchen bei lang an­dau­ern­der Ar­beits­unfähig­keit fest­zu­hal­ten sei. Erörtert wur­de, ob

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auf­grund der Er­kennt­nis des EuGH in der KHS-Ent­schei­dung, dass die Ar­beits­zeit­richt­li­nie nur ei­nen Über­tra­gungs­zeit­raum ver­langt, der die Dau­er des Be­zug­zeit­raums deut­lich über­schrei­tet (EuGH 22. No­vem­ber 2011 - C-214/10 - [KHS] Rn. 38, aaO), und ein Über­tra­gungs­zeit­raum von 15 Mo­na­ten die­se Vor­aus­set­zung bei ei­nem Be­zugs­zeit­raum von ei­nem Jahr erfüllt, § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG uni­ons­rechts­kon­form so aus­ge­legt wer­den kann oder muss, dass die­se Vor­schrift auch die Min­des­t­ur­laubs­ansprüche bei lang an­dau­ern­der Ar­beits­unfähig­keit be­grenzt. Dis­ku­tiert wur­de auch, ob der Wort­laut des § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG („drei Mo­na­te“) auf­grund der Bin­dung der Ge­rich­te an Recht und Ge­setz (Art. 20 Abs. 3 GG) ei­ner richt­li­ni­en­kon­for­men Rechts­fort­bil­dung und zeit­li­chen Be­gren­zung der ge­setz­li­chen Ur­laubs­ansprüche bei Dau­er­er­kran­kung des Ar­beit­neh­mers ent­ge­gen­steht (vgl. BAG 13. De­zem­ber 2011 - 9 AZR 399/10 - Rn. 37, EzA BUrlG § 7 Ab­gel­tung Nr. 20; Schinz RdA 2012, 181, 185; Suckow/Klo­se JbAr­bR Bd. 49 S. 59, 73). Letz­te­res ist nicht der Fall. Ei­ne mo­di­fi­zier­te uni­ons­rechts­kon­for­me Aus­le­gung von § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG ist nach der mo­di­fi­zier­ten Recht­spre­chung des EuGH in der KHS-Ent­schei­dung ge­bo­ten.


(1) Ein­zel­staat­li­che Nor­men sind im Verhält­nis zu ei­nem pri­va­ten Ar­beit­ge­ber wie der Be­klag­ten al­ler­dings grundsätz­lich un­an­ge­wen­det zu las­sen, wenn das na­tio­na­le Recht ge­gen das Primärrecht der Uni­on verstößt (BAG 24. März 2009 - 9 AZR 983/07 - Rn. 53, BA­GE 130, 119). Der An­spruch auf be­zahl­ten Jah­res­ur­laub ist auch in Art. 31 Abs. 2 der Char­ta der Grund­rech­te der Eu­ropäischen Uni­on aus­drück­lich ver­an­kert, der von Art. 6 Abs. 1 EUV der glei­che recht­li­che Rang wie den Verträgen zu­er­kannt wird (EuGH 22. No­vem­ber 2011 - C-214/10 - [KHS] Rn. 37, AP Richt­li­nie 2003/88/EG Nr. 6 = EzA EG-Ver­trag 1999 Richt­li­nie 2003/88 Nr. 7). Die­se Rechts­la­ge führt vor­lie­gend je­doch nicht da­zu, dass die Be­fris­tung des Ur­laubs­an­spruchs in § 7 Abs. 3 BUrlG im Fal­le ei­ner Dau­er­er­kran­kung des Ar­beit­neh­mers nicht berück­sich­tigt wer­den darf. Dies folgt hier be­reits aus dem Um­stand, dass die Grund­rech­te­char­ta erst mit dem In­kraft­tre­ten des Ver­trags von Lis­sa­bon am 1. De­zem­ber 2009 den Rang von Primärrecht er­hielt. Das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en war zu die­sem Zeit­punkt be­reits be­en­det.
 


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(2) Un­abhängig da­von stellt sich die Fra­ge, ob ei­ne na­tio­na­le Be­stim­mung we­gen ih­rer Un­ver­ein­bar­keit mit dem Uni­ons­recht un­an­ge­wen­det blei­ben muss, nur dann, wenn ei­ne uni­ons­rechts­kon­for­me Aus­le­gung nicht möglich ist (EuGH 24. Ja­nu­ar 2012 - C-282/10 - [Do­m­in­guez] Rn. 23, EzA EG-Ver­trag 1999 Richt­li­nie 2003/88 Nr. 8; vgl. Wißmann FS Be­p­ler S. 649, 654). § 7 Abs. 3 BUrlG kann und muss uni­ons­rechts­kon­form aus­ge­legt wer­den (vgl. BAG 24. März 2009 - 9 AZR 983/07 - Rn. 57, BA­GE 130, 119). Ermöglicht es das na­tio­na­le Recht durch An­wen­dung sei­ner Aus­le­gungs­me­tho­den, ei­ne in­ner­staat­li­che Be­stim­mung so aus­zu­le­gen, dass ei­ne Kol­li­si­on mit ei­ner an­de­ren Norm in­ner­staat­li­chen Rechts ver­mie­den wird, sind die na­tio­na­len Ge­rich­te ver­pflich­tet, die glei­chen Me­tho­den an­zu­wen­den, um das von der Richt­li­nie ver­folg­te Ziel zu er­rei­chen (BAG 24. März 2009 - 9 AZR 983/07 - Rn. 58 mwN, aaO; vgl. auch EuGH 24. Ja­nu­ar 2012 - C-282/10 - [Do­m­in­guez] Rn. 24 mwN, aaO). Meh­re­re mögli­che Aus­le­gungs­me­tho­den sind da­her hin­sicht­lich des Richt­li­ni­en­ziels bestmöglich an­zu­wen­den im Sin­ne ei­nes Op­ti­mie­rungs­ge­bots (BVerfG 26. Sep­tem­ber 2011 - 2 BvR 2216/06 ua. - Rn. 46, NJW 2012, 669). Die­se Ver­pflich­tung be­steht auch dann, wenn die na­tio­na­len Ge­rich­te die Reich­wei­te der in­ner­staat­li­chen Be­stim­mung zu die­sem Zweck ein­schränken müssen (BAG 17. No­vem­ber 2009 - 9 AZR 844/08 - Rn. 25 mwN zur Rspr. des EuGH, BA­GE 132, 247; Gall­ner FS Et­zel S. 155, 163). Er­geb­nis der rich­ter­li­chen Rechts­an­wen­dung kann da­bei auch die Fest­le­gung ei­ner kon­kre­ten Zahl sein (vgl. zur Zahl von 15 Über­hang­man­da­ten: BVerfG 25. Ju­li 2012 - 2 BvE 9/11 ua - Rn. 144).


(3) Al­ler­dings un­ter­liegt der Grund­satz der uni­ons­rechts­kon­for­men Aus­le­gung des na­tio­na­len Rechts Schran­ken. Die Pflicht zur Ver­wirk­li­chung ei­nes Richt­li­ni­en­ziels im Aus­le­gungs­weg fin­det zu­gleich ih­re Gren­zen an dem nach in­ner­staat­li­cher Rechts­tra­di­ti­on me­tho­disch Er­laub­ten (BVerfG 26. Sep­tem­ber 2011 - 2 BvR 2216/06 ua. - Rn. 47, NJW 2012, 669). Sie darf nicht als Grund­la­ge für ei­ne Aus­le­gung con­tra le­gem des na­tio­na­len Rechts die­nen (EuGH 24. Ja­nu­ar 2012 - C-282/10 - [Do­m­in­guez] Rn. 25 mwN, EzA EG-Ver­trag 1999 Richt­li­nie 2003/88 Nr. 8; BAG 17. No­vem­ber 2009 - 9 AZR 844/08 - Rn. 26, BA­GE 132, 247). Ob und in­wie­weit das in­ner­staat­li­che Recht ei­ne ent­sp­re-
 


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chen­de richt­li­ni­en­kon­for­me Aus­le­gung zulässt, können nur in­ner­staat­li­che Ge­rich­te be­ur­tei­len (BVerfG 26. Sep­tem­ber 2011 - 2 BvR 2216/06 ua. - Rn. 47 f., NJW 2012, 669).


c) In An­wen­dung die­ser Grundsätze ist § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG uni­ons­rechts­kon­form so aus­zu­le­gen, dass ge­setz­li­che Ur­laubs­ansprüche vor Ab­lauf ei­nes Zeit­raums von 15 Mo­na­ten nach dem En­de des Ur­laubs­jah­res nicht erlöschen, wenn der Ar­beit­neh­mer aus ge­sund­heit­li­chen Gründen an sei­ner Ar­beits­leis­tung ge­hin­dert war. Sie ge­hen je­doch mit Ab­lauf des 31. März des zwei­ten Fol­ge­jah­res un­ter. Dies gilt auch bei fort­dau­ern­der Ar­beits­unfähig­keit. Ein sol­cher Über­tra­gungs­zeit­raum von 15 Mo­na­ten wur­de vom EuGH als uni­ons­rechts­kon­form ge­bil­ligt, so­dass es kei­ner Ein­lei­tung ei­nes Ver­fah­rens nach Art. 267 AEUV zur Klärung der Aus­le­gung der Ar­beits­zeit­richt­li­nie be­darf. Da­bei ist klar­zu­stel­len, dass sich die Länge des Über­tra­gungs­zeit­raums von 15 Mo­na­ten nicht zwin­gend aus dem Uni­ons­recht er­gibt. Der Ge­setz­ge­ber wäre nicht ge­hin­dert, ei­nen an­de­ren Über­tra­gungs­zeit­raum fest­zu­set­zen, der le­dig­lich deut­lich länger sein müss­te als der Be­zugs­zeit­raum. Ein sol­ches Tätig­wer­den des Ge­setz­ge­bers ist in der Li­te­ra­tur viel­fach ge­for­dert wor­den (vgl. Bau­er/von Me­dem NZA 2012, 113, 116 f.; Düwell ju­ris­PR-ArbR 16/2012 Anm. 3; Fran­zen NZA 2011, 1403, 1404 f.) - bis­lang oh­ne Er­folg.


aa) Ei­ne sol­che uni­ons­rechts­kon­for­me Aus­le­gung ent­spricht dem vom Ge­setz­ge­ber mit der Re­ge­lung in § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG ver­folg­ten Zweck, wenn die Zie­le des Art. 7 Abs. 1 der Ar­beits­zeit­richt­li­nie und der re­gelmäßig an­zu­neh­men­de Wil­le des na­tio­na­len Ge­setz­ge­bers zur ord­nungs­gemäßen Um­set­zung von Richt­li­ni­en berück­sich­tigt wer­den (BAG 24. März 2009 - 9 AZR 983/07 - Rn. 59 mwN, BA­GE 130, 119). Da­bei kann da­hin­ste­hen, in­wie­weit rechts­me­tho­disch an der klas­si­schen Un­ter­schei­dung zwi­schen Aus­le­gung und Rechts­fort­bil­dung fest­zu­hal­ten ist (kri­tisch zur Wort­laut­gren­ze: Pötters/Chris­ten­sen JZ 2011, 387, 389 ff.; kri­tisch zur richt­li­ni­en­kon­for­men Rechts­fort­bil­dung: Ka­man­ab­rou SAE 2009, 233, 234 ff.; Höpfner Anm. AP BUrlG § 11 Nr. 65). Auch das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt geht da­von aus, dass der Wort­laut im Re­gel­fall kei­ne star­re Aus­le­gungs­gren­ze zieht und zählt zu den


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an­er­kann­ten Me­tho­den der Aus­le­gung von Ge­set­zen auch die te­leo­lo­gi­sche Re­duk­ti­on (BVerfG 26. Sep­tem­ber 2011 - 2 BvR 2216/06 ua. - Rn. 57, NJW 2012, 669). Ent­schei­dend ist, dass sich we­der aus dem Wort­laut der Norm noch aus den Ge­set­zes­ma­te­ria­li­en zum BUrlG ein ein­deu­ti­ger Wil­le des Ge­setz­ge­bers er­gibt, den Ur­laubs­an­spruch auch dann zum En­de des Ur­laubs­jah­res und/oder des in § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG ge­nann­ten Über­tra­gungs­zeit­raums erlöschen zu las­sen, wenn der Ar­beit­neh­mer auf­grund von Krank­heit nicht da­zu in der La­ge war, den Ur­laub in An­spruch zu neh­men. Es ist eben­so möglich, dass der Ge­setz­ge­ber den Fall nicht im Au­ge hat­te, dass die Ver­wirk­li­chung des Ur­laubs im Ka­len­der­jahr und im Über­tra­gungs­zeit­raum we­gen Ar­beits­unfähig­keit nicht möglich ge­we­sen ist (vgl. BAG 13. No­vem­ber 1969 - 5 AZR 82/69 - zu 2 der Gründe, BA­GE 22, 211).


bb) In­so­fern ge­bie­tet der Grund­satz der uni­ons­rechts­kon­for­men Aus­le­gung ei­ne weit­ge­hen­de Rück­kehr zum Aus­le­gungs­er­geb­nis der frühe­ren Recht­spre­chung zu § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG (BAG 13. No­vem­ber 1969 - 5 AZR 82/69 - zu 2 der Gründe, BA­GE 22, 211; zur Ähn­lich­keit die­ser Rspr. mit der Rspr. des EuGH: vgl. Pol­zer Die Be­fris­tung des Ur­laubs­an­spruchs auf das Ka­len­der­jahr S. 21). Da­nach ver­fiel der Ur­laubs­an­spruch nicht, wenn der Ar­beit­neh­mer in­fol­ge lang an­dau­ern­der Ar­beits­unfähig­keit ge­hin­dert war, den Ur­laub vor Ab­lauf des Ka­len­der­jah­res bzw. des Über­tra­gungs­zeit­raums zu neh­men. Viel­mehr wur­de § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG so aus­ge­legt, dass der Ur­laub im Fal­le der Unmöglich­keit der Ur­laubs­ver­wirk­li­chung im Ka­len­der­jahr in­fol­ge lang an­dau­ern­der Ar­beits­unfähig­keit auf das fol­gen­de Ka­len­der­jahr oh­ne Be­schränkung auf die Drei­mo­nats­frist des § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG über­geht. Dem­ent­spre­chend hat der Se­nat in sei­ner Ent­schei­dung vom 9. Au­gust 2011 (- 9 AZR 425/10 - Rn. 19, EzA BUrlG § 7 Nr. 125) be­reits klar­ge­stellt, dass zum Ur­laubs­an­spruch nicht nur der je­weils neu­es­te, am 1. Ja­nu­ar ei­nes je­den Ka­len­der­jah­res ent­ste­hen­de An­spruch gehört, son­dern auch der in­fol­ge der Über­tra­gung hin­zu­tre­ten­de, noch zu erfüllen­de An­spruch aus dem Vor­jahr. Auf die­se ku­mu­lie­ren­de Wei­se wächst der Ur­laubs­an­spruch an. Nach § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG be­steht nur die Be­son­der­heit, dass der Ar­beit­ge­ber im In­ter­es­se ei­ner zeit­na­hen Er­ho­lung den An­teil des Ur­laubs­an­spruchs, der vor dem lau­fen­den Ur-


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laubs­jahr ent­stan­den ist, in­ner­halb des ers­ten Quar­tals gewähren muss. Geht der aus dem Vor­jahr über­tra­ge­ne Ur­laubs­an­spruch trotz Ab­laufs des Über­tra­gungs­zeit­raums - et­wa we­gen an­dau­ern­der krank­heits­be­ding­ter Ar­beits­unfähig­keit des Ar­beit­neh­mers - nicht un­ter, ist die­ser Teil des Ur­laubs­an­spruchs ge­genüber dem Teil, den der Ar­beit­neh­mer zu Be­ginn des ak­tu­el­len Ur­laubs­jah­res er­wor­ben hat, nicht pri­vi­le­giert. Er un­ter­liegt dem Fris­ten­re­gime des § 7 Abs. 3 BUrlG (BAG 9. Au­gust 2011 - 9 AZR 425/10 - aaO). So­weit in der Ver­gan­gen­heit of­fen­ge­las­sen wur­de, ob der über­tra­ge­ne Ur­laubs­an­spruch am En­de des Jah­res im Fal­le fort­be­ste­hen­der Ar­beits­unfähig­keit un­ter­geht (BAG 13. No­vem­ber 1969 - 5 AZR 82/69 - zu 2 der Gründe, BA­GE 22, 211; vgl. auch 9. Au­gust 2011 - 9 AZR 425/10 - Rn. 19, EzA BUrlG § 7 Nr. 125; 9. Au­gust 2011 - 9 AZR 365/10 - Rn. 11, EzA BUrlG § 7 Ab­gel­tung Nr. 18; 13. De­zem­ber 2011 - 9 AZR 399/10 - Rn. 37, EzA BUrlG § 7 Ab­gel­tung Nr. 20), ist die­se Fra­ge zu ver­nei­nen.

(1) Dies er­gibt sich zum ei­nen be­reits aus der An­wend­bar­keit des § 7 Abs. 3 BUrlG - ins­be­son­de­re des Sat­zes 2 - auf den über­tra­ge­nen Ur­laub (vgl. Bau­er/von Me­dem NZA 2012, 113, 116 un­ter Hin­weis auf § 7 Abs. 3 Satz 4 BUrlG). We­gen des (wei­ter­hin) vor­lie­gen­den Grun­des in der Per­son des Ar­beit­neh­mers wird der Ur­laubs­an­spruch (er­neut) über­tra­gen, dies­mal in das - vom Ur­laubs­jahr aus be­trach­tet - übernächs­te Ka­len­der­jahr.


(2) Zum an­de­ren steht ei­nem Un­ter­gang des in das Fol­ge­jahr über­tra­ge­nen Ur­laubs­an­spruchs der Grund­satz der uni­ons­rechts­kon­for­men Aus­le­gung ent­ge­gen.


(a) Nach der Recht­spre­chung des EuGH folgt aus Art. 7 Abs. 1 der Ar­beits­zeit­richt­li­nie, dass ein Über­tra­gungs­zeit­raum die Dau­er des Be­zugs­zeit­raums, für den er gewährt wird, deut­lich über­schrei­ten muss (EuGH 22. No­vem­ber 2011 - C-214/10 - [KHS] Rn. 38, AP Richt­li­nie 2003/88/EG Nr. 6 = EzA EG-Ver­trag 1999 Richt­li­nie 2003/88 Nr. 7; 3. Mai 2012 - C-337/10 - [Nei­del] Rn. 41, EzA EG-Ver­trag 1999 Richt­li­nie 2003/88 Nr. 9). Der Be­zugs­zeit­raum ist nach dem BUrlG das Ka­len­der­jahr. Würde der über­tra­ge­ne Ur­laub be­reits am En­de des Fol­ge­jah­res ver­fal­len, würde der Über­tra­gungs­zeit­raum
 


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nur dem Be­zugs­zeit­raum ent­spre­chen, die­sen aber nicht deut­lich über­schrei­ten. Die­se Rechts­fra­ge war be­reits mehr­fach Ge­gen­stand der Aus­le­gung durch den EuGH (ac­te éclairé). Ei­ne er­neu­te Vor­la­ge die­ser Rechts­fra­ge nach Art. 267 AEUV ist nicht ge­bo­ten (vgl. jüngst BVerfG 29. Mai 2012 - 1 BvR 3201/11 - Rn. 30).


(b) Art. 9 des Übe­r­ein­kom­mens Nr. 132 der In­ter­na­tio­na­len Ar­beits­or­ga­ni­sa­ti­on (IAO) über den be­zahl­ten Jah­res­ur­laub vom 24. Ju­ni 1970 (vgl. BGBl. II 1975 S. 746) ge­bie­tet kei­ne eu­ro­pa­rechts­wid­ri­ge Aus­le­gung des § 7 Abs. 3 BUrlG im Sin­ne ei­nes (teil­wei­sen) Erlöschens des über­tra­ge­nen Ur­laubs 12 Mo­na­te nach Ab­lauf des Ur­laubs­jah­res (aA Düwell ju­ris­PR-ArbR 16/2012 Anm. 3). Nach die­ser Re­ge­lung ist der in Art. 8 Abs. 2 des Übe­r­ein­kom­mens ge­nann­te un­un­ter­bro­che­ne Teil des be­zahl­ten Jah­res­ur­laubs spätes­tens ein Jahr und der übri­ge Teil des be­zahl­ten Jah­res­ur­laubs spätes­tens 18 Mo­na­te nach Ab­lauf des Jah­res, für das der Ur­laubs­an­spruch er­wor­ben wur­de, zu gewähren und zu neh­men. Die Be­stim­mun­gen des IAO-Übe­r­ein­kom­mens Nr. 132 sind je­doch kei­ne un­mit­tel­bar an­wend­ba­ren völker­recht­li­chen Nor­men (BAG 7. De­zem­ber 1993 - 9 AZR 683/92 - zu I 5 der Gründe, BA­GE 75, 171; vgl. auch 9. Au­gust 2011 - 9 AZR 425/10 - Rn. 23, EzA BUrlG § 7 Nr. 125; Po­wietz­ka/Rolf BUrlG § 1 Rn. 16; ErfK/Gall­ner § 7 BUrlG Rn. 35 mwN). Durch das Zu­stim­mungs­ge­setz ist das IAO-Übe­r­ein­kom­men Nr. 132 nicht in­ner­staat­li­ches Recht in dem Sin­ne ge­wor­den, dass sei­ne Vor­schrif­ten nor­ma­tiv auf al­le Ar­beits­verhält­nis­se in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land ein­wir­ken mit der Fol­ge, dass die Ge­rich­te für Ar­beits­sa­chen ent­ge­gen­ste­hen­de ge­setz­li­che oder kol­lek­tiv-recht­li­che Be­stim­mun­gen oder ein­zel­ver­trag­li­che Ver­ein­ba­run­gen nicht zu be­ach­ten ha­ben oder zu­min­dest völker­rechts­freund­lich aus­zu­le­gen ha­ben (BAG 7. De­zem­ber 1993 - 9 AZR 683/92 - zu I 5 b der Gründe, aaO). Ins­be­son­de­re ist die durch die Ra­ti­fi­zie­rung be­gründe­te Bin­dung nicht der­art, dass sie die Bin­dung an das Uni­ons­recht außer Kraft set­zen könn­te. Der EuGH hat bei sei­ner Aus­le­gung des Art. 7 Abs. 1 der Ar­beits­zeit­richt­li­nie die in Art. 9 Abs. 1 des IAO-Übe­r­ein­kom­mens Nr. 132 ent­hal­te­ne zwölf­mo­na­ti­ge Frist berück­sich­tigt (EuGH 22. No­vem­ber 2011 - C-214/10 - [KHS] Rn. 41 f., AP Richt­li­nie 2003/88/EG Nr. 6 = EzA EG-Ver­trag 1999 Richt­li­nie 2003/88 Nr. 7)
 


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und ist den­noch zu dem Er­geb­nis ge­langt, der Über­tra­gungs­zeit­raum müsse deut­lich länger als 12 Mo­na­te sein. Hier­an sieht sich der Se­nat we­gen Art. 23 GG, Art. 267 AEUV ge­bun­den.


Es kann da­her of­fen­blei­ben, ob Art. 9 Abs. 1 des IAO-Übe­r­ein­kom­mens Nr. 132 den Fall der Unmöglich­keit der In­an­spruch­nah­me des Ur­laubs über­haupt er­fasst und ob die­ser Vor­schrift die Ver­pflich­tung zu ent­neh­men ist, dass der Ur­laubs­an­spruch nach ei­nem be­stimm­ten Zeit­raum un­ter­ge­hen muss (in die­sem Sin­ne: BAG 7. De­zem­ber 1993 - 9 AZR 683/92 - zu I 5 c der Gründe, BA­GE 75, 171). Die Be­fris­tung des Ur­laubs­an­spruchs ist ein vom deut­schen Ge­setz­ge­ber gewähl­tes Mit­tel, um den Ar­beit­neh­mer da­zu an­zu­hal­ten, den Ur­laubs­an­spruch zeit­nah zum Ur­laubs­jahr gel­tend zu ma­chen. Im IAO-Übe­r­ein­kom­men Nr. 132 ist die­ses Mit­tel nicht vor­ge­ge­ben. Art. 14 des Übe­r­ein­kom­mens schreibt nur vor, dass mit der Art der Durchführung des Übe­r­ein­kom­mens im Ein­klang ste­hen­de wirk­sa­me Maßnah­men zu tref­fen sind, um die ord­nungs­gemäße An­wen­dung und Durch­set­zung der Vor­schrif­ten oder Be­stim­mun­gen über den be­zahl­ten Ur­laub „durch ei­ne an­ge­mes­se­ne Auf­sicht oder durch sons­ti­ge Mit­tel“ zu gewähr­leis­ten.


cc) Be­steht die Ar­beits­unfähig­keit auch am 31. März des zwei­ten auf das Ur­laubs­jahr fol­gen­den Jah­res fort, so verfällt der Ur­laubs­an­spruch gemäß § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG. Der in das Fol­ge­jahr über­tra­ge­ne Ur­laub un­ter­liegt dem Fris­ten­re­gime des § 7 Abs. 3 BUrlG (BAG 9. Au­gust 2011 - 9 AZR 425/10 - Rn. 19, EzA BUrlG § 7 Nr. 125). Ei­ne er­neu­te Pri­vi­le­gie­rung des be­reits ein­mal über­tra­ge­nen Ur­laubs ist eu­ro­pa­recht­lich nicht ge­bo­ten. So­weit der Se­nat (24. März 2009 - 9 AZR 983/07 - Rn. 59, BA­GE 130, 119) auf­grund der Schluss­fol­ge­run­gen des EuGH in der Schultz-Hoff-Ent­schei­dung an­ge­nom­men hat, dass Ur­laubs­ansprüche bei fort­be­ste­hen­der Krank­heit un­abhängig von der Länge des Zeit­raums der Unmöglich­keit der In­an­spruch­nah­me zu kei­nem Zeit­punkt ver­fal­len, hält der Se­nat nach der „Nu­an­cie­rung“ der Recht­spre­chung des EuGH und der Er­kennt­nis des Ge­richts­hofs in der KHS-Ent­schei­dung, dass ein Recht des Ar­beit­neh­mers, der während meh­re­rer Be­zugs­zeiträume in Fol­ge ar­beits­unfähig ist, un­be­grenzt al­le während des Zeit­raums sei­ner Ab­we­sen­heit



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von der Ar­beit er­wor­be­nen Ansprüche auf be­zahl­ten Jah­res­ur­laub an­zu­sam­meln, nicht mehr dem Zweck des An­spruchs auf be­zahl­ten Jah­res­ur­laub ent­spre­chen würde, dar­an nicht fest. Verfällt der auf­recht­er­hal­te­ne Ur­laub nach na­tio­na­lem Recht ent­spre­chend § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG am 31. März des zwei­ten auf das Ur­laubs­jahr fol­gen­den Jah­res, mit­hin 15 Mo­na­te nach dem En­de des Be­zugs­zeit­raums, be­darf es kei­ner Klärung der Fra­ge, ob uni­ons-recht­lich auch ein kürze­rer Über­tra­gungs­zeit­raum von zB 13 oder 14 Mo­na­ten zulässig wäre (zu die­ser Fra­ge: vgl. Forst Anm. EzA EG-Ver­trag 1999 Richt­li­nie 2003/88 Nr. 7).


dd) Ei­ne wei­te­re Re­duk­ti­on des § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG ist we­der nach na­tio­na­lem Recht noch nach Uni­ons­recht ge­bo­ten. Der Ge­setz­ge­ber hat den Ur­laub in §§ 1, 13 Abs. 1 BUrlG grundsätz­lich un­ab­ding­bar an das Ur­laubs­jahr ge­bun­den (vgl. BAG 26. Ju­ni 1969 - 5 AZR 393/68 - zu 1 der Gründe, BA­GE 22, 85). Selbst dann, wenn ei­ne Über­tra­gung aus­nahms­wei­se ge­stat­tet ist, muss der Ur­laub in en­gem zeit­li­chen An­schluss an das Ka­len­der­jahr durch­geführt wer­den. Aus §§ 1, 7 Abs. 3 BUrlG er­gibt sich in­so­fern das Ge­bot der zeit­na­hen Erfüllung des Ur­laubs­an­spruchs (BAG 21. Ju­ni 2005 - 9 AZR 200/04 - zu II 3 b bb der Gründe, AP In­sO § 55 Nr. 11 = EzA BUrlG § 7 Nr. 114). Das Bedürf­nis nach ur­laubs­gemäßer Er­ho­lung ver­rin­gert sich auch, je mehr sich der zeit­li­che Ab­stand zum Ent­ste­hungs­jahr des Ur­laubs ver­größert (vgl. BAG 21. Ju­li 1973 - 5 AZR 105/73 - AP BUrlG § 7 Über­tra­gung Nr. 3 = EzA BUrlG § 7 Nr. 15). Darüber hin­aus ist das In­ter­es­se des Ar­beit­ge­bers an ei­ner zeit­li­chen Be­gren­zung der Ur­laubs­ansprüche an­zu­er­ken­nen. Ei­ne sol­che Be­gren­zung kann auch im In­ter­es­se des Ar­beit­neh­mers lie­gen. Muss ein Ar­beit­ge­ber im Fal­le ei­ner Dau­er­er­kran­kung des Ar­beit­neh­mers nicht mit ei­ner un­be­grenz­ten An­samm­lung von Ur­laubs­ansprüchen rech­nen, wird er in al­ler Re­gel trotz der lang an­hal­ten­den Ar­beits­unfähig­keit des Ar­beit­neh­mers eher zur Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses be­reit sein und von ei­ner Kündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses Ab­stand neh­men.


d) Bei An­wen­dung die­ser Grundsätze ver­fiel der im Jahr 2005 ent­stan­de­ne Ur­laub am 31. März 2007, der im Jahr 2006 ent­stan­de­ne Ur­laub am



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31. März 2008 und der im Jahr 2007 ent­stan­de­ne Ur­laub am 31. März 2009. Der Ur­laub aus die­sen Jah­ren ist we­gen sei­nes Ver­falls nach § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG nicht gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG ab­zu­gel­ten.

II. Oh­ne Er­folg rügt die Be­klag­te, sie sei nicht ver­pflich­tet, den ge­setz­li­chen Er­ho­lungs­ur­laub und den der Kläge­rin zu­ste­hen­den Schwer­be­hin­der­ten­zu­satz­ur­laub aus den Jah­ren 2008 und 2009 im Um­fang von ins­ge­samt 31 Ur­laubs­ta­gen gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG mit ins­ge­samt 3.919,95 Eu­ro brut­to nebst Zin­sen ab­zu­gel­ten. Darüber, dass ein Ur­laubs­tag mit 126,45 Eu­ro brut­to ab­zu­gel­ten ist, be­steht kein Streit.


1. Der im Jahr 2008 er­wor­be­ne ge­setz­li­che Ur­laubs­an­spruch von ins­ge­samt 25 Ur­laubs­ta­gen ver­fiel nicht mit Ab­lauf des 31. März 2009. Dies folgt schon aus § 26 Abs. 2 Buchst. a Satz 2 TVöD, wo­nach der Ur­laub, der we­gen Ar­beits­unfähig­keit nicht bis zum 31. März an­ge­tre­ten wer­den kann, bis zum 31. Mai an­zu­tre­ten ist. Die­se zu­guns­ten der Beschäftig­ten von § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG ab­wei­chen­de Re­ge­lung verstößt nicht ge­gen die Re­ge­lung in § 13 Abs. 1 BUrlG. Die Vor­aus­set­zung, dass der Ur­laub von der Kläge­rin we­gen Ar­beits­unfähig­keit nicht an­ge­tre­ten wer­den konn­te, ist erfüllt. Die Be­klag­te hat selbst be­haup­tet, dass die Kläge­rin im Jahr 2008 und darüber hin­aus bis zur Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses am 31. März 2009 auf­grund ih­rer ge­sund­heit­li­chen Kon­sti­tu­ti­on nicht in der La­ge war, ih­re Ar­beits­kraft für die ver­trags­gemäße Tätig­keit an­zu­bie­ten. Die Kläge­rin be­an­sprucht auch mit Recht die Ab­gel­tung des im Jahr 2009 ent­stan­de­nen an­tei­li­gen ge­setz­li­chen Er­ho­lungs­ur­laubs von fünf Ur­laubs­ta­gen und des an­tei­li­gen Zu­satz­ur­laubs von ei­nem Tag, so­dass die Be­klag­te ins­ge­samt 31 Ur­laubs­ta­ge mit je­weils 126,45 Eu­ro brut­to ab­zu­gel­ten hat und des­halb zur Zah­lung von 3.919,95 Eu­ro brut­to zu ver­ur­tei­len war.

2. Die Zins­ent­schei­dung be­ruht auf §§ 291, 288 Abs. 1 BGB. Es ist nicht fest­ge­stellt, dass die Kläge­rin die Be­klag­te zu ei­nem frühe­ren Zeit­punkt bezüglich der Ur­laubs­ab­gel­tung iSd. § 286 Abs. 1 BGB durch ei­ne Mah­nung in Ver­zug ge­setzt hat. Aus § 7 Abs. 4 BUrlG folgt nur das Ent­ste­hen des Ab­gel­tungs­an­spruchs mit Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses (BAG 9. Au­gust 2011 - 9 AZR 365/10 - Rn. 17, EzA BUrlG § 7 Ab­gel­tung Nr. 18). Für die Leis­tung der
 


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Ab­gel­tung ist da­mit je­doch nicht iSd. § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB ei­ne Zeit nach dem Ka­len­der be­stimmt. So­weit der Se­nat in der Ver­gan­gen­heit an­ge­nom­men hat, der Ar­beit­ge­ber ge­ra­te oh­ne Wei­te­res be­reits mit Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses in Ver­zug, hält er dar­an nicht mehr fest.

III. Die Kos­ten­ent­schei­dung folgt aus § 97 Abs. 1, § 92 Abs. 1 ZPO. 


Brühler 

Krasshöfer 

Klo­se

Mat­thi­as Dip­per 

Neu­mann

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