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ArbG Trier, Ur­teil vom 08.12.2011, 3 Ca 936/11

   
Schlagworte: Maßregelungsverbot, Kündigung
   
Gericht: Arbeitsgericht Trier
Aktenzeichen: 3 Ca 936/11
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 08.12.2011
   
Leitsätze:

 

Vorinstanzen:
   

Te­nor

1. Es wird fest­ge­stellt, dass das zwi­schen den Par­tei­en be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis durch die Kündi­gung des Be­klag­ten vom 10.07.2011, dem Kläger zu­ge­gan­gen am 13.07.2011, nicht auf­gelöst wor­den ist.

2. Es wird fest­ge­stellt, dass das zwi­schen den Par­tei­en be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis auch nicht durch die nicht da­tier­te, als An­la­ge 1 des Schrift­sat­zes vom 30.05.2011 bei­gefügte Kündi­gung auf­gelöst wor­den ist.

3. Der Be­klag­te wird ver­ur­teilt, den Kläger als Büffet­kraft zu ei­nem Brut­to­lohn von 1.550,00 € mo­nat­lich bei ei­ner 40-St­un­den-Wo­che zu den Be­din­gun­gen des Ar­beits­ver­tra­ges vom 20.12.2010 wei­ter zu beschäfti­gen.

4. Der Be­klag­te wird ver­ur­teilt, an den Kläger fol­gen­de Beträge zu zah­len:

a) 1.550,00 € brut­to ab­zgl. am 18.08.2011 ge­zahl­ter 912,28 € net­to nebst Zin­sen in Höhe von 5 Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit 01.08.2011;

b) für den Zeit­raum 01.08.2011 bis 15.08.2011 741,30 € brut­to nebst Zin­sen in Höhe von 5 Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit 01.09.2011;

c) für den Zeit­raum 16.08.2011 bis 31.08.2011 808,70 € brut­to ab­zgl. 295,95 € net­to nebst Zin­sen in Höhe von 5 Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit 01.09.2011;

d) für Sep­tem­ber 2011 1.550,00 € brut­to ab­zgl. 591,90 € net­to nebst Zin­sen in Höhe von 5 Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit 01.10.2011;

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e) für Ok­to­ber 2011 1.550,00 € brut­to ab­zgl. 591,90 € net­to nebst Zin­sen in Höhe von 5 Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit 01.11.2011.

5. Die Kos­ten des Rechts­streits trägt der Be­klag­te.

6. Der Streit­wert wird auf 7.612,72 € fest­ge­setzt.

7. Die Be­ru­fung wird nicht ge­son­dert zu­ge­las­sen.

 

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten um die Wirk­sam­keit zwei­er Kündi­gun­gen so­wie um An­nah­me­ver­zugs­lohn­ansprüche.

Der Kläger ist seit dem 01.10.2010 im V-Shop des Be­klag­ten als Büffet­kraft beschäftigt. Der Ar­beits­ver­trag enthält fol­gen­de Vergütungs­re­ge­lung:

"Der Grund­lohn Brut­to beträgt 1211,00 €. Es wird ei­ne ÜTZ ge­zahlt von 339,-".

Am Sams­tag, den 09.07.2011, muss­te sich der Kläger während der Ar­beit zwei­mal er­bre­chen. Gleich­wohl wur­de ihm be­klag­ten­seits un­ter­sagt, sei­nen Ar­beits­platz zu ver­las­sen und nach Hau­se zu ge­hen, so dass er sei­ne Schicht bis zum Schluss ab­leis­te­te. Als sich sein ge­sund­heit­li­cher Zu­stand nicht bes­ser­te, kon­tak­tier­te er am Sonn­tag, den 10.07.2011, te­le­fo­nisch sei­nen Haus­arzt, den er am 11.07. auch auf­such­te; fer­ner be­nach­rich­tig­te er den Be­klag­ten noch am 10.07. vor Schicht­be­ginn darüber, dass er krank­heits­be­dingt sei­ne Sonn­tags-Schicht nicht an­tre­ten könne. Dar­auf­hin kündig­te der Be­klag­te noch am sel­ben Ta­ge das Ar­beits­verhält­nis or­dent­lich mit Schrei­ben vom 10.07. zum 31.07.2011. Ein wei­te­res Mal kündig­te er es per Ko­pie ei­nes un­da­tier­ten Kündi­gungs­schrei­bens als An­la­ge zu sei­nem auf den 30.05.2011 da­tier­ten Schrift­satz, wel­cher am 10.10.2011 bei Ge­richt ein­ging, or­dent­lich zum 15.08.2011, hilfs­wei­se zum nächstmögli­chen Ter­min. Ein Ori­gi­nal die­ses zwei­ten Kündi­gungs­schrei­bens er­hielt der Kläger zu kei­nem Zeit­punkt. Das KSchG fin­det vor­lie­gend kei­ne An­wen­dung, da der Be­klag­te ei­nen Klein­be­trieb un­terhält.

Der Kläger hält bei­de Kündi­gun­gen für rechts­un­wirk­sam. Die zwei­te Kündi­gung genüge als bloße Ko­pie schon nicht dem Schrift­for­mer­for­der­nis des § 623 BGB. Die ers­te Kündi­gung ver­s­toße ge­gen das Maßre­ge­lungs­ver­bot des § 612a BGB, da sie ei­ne di­rek­te Sank­ti­on sei­ner Krank­mel­dung vom 10.07.2011 dar­stel­le. Je­den­falls sei die Kündi­gungs­frist zum 31.07.2011 zu kurz be­mes­sen.

Der Kläger be­an­tragt,

1. fest­zu­stel­len, dass das zwi­schen den Par­tei­en be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis durch die Kündi­gung des Be­klag­ten vom 10.07.2011, zu­ge­gan­gen am 13.07.2011, nicht auf­gelöst wor­den ist,

2. fest­zu­stel­len, dass das zwi­schen den Par­tei­en be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis auch durch die nicht da­tier­te, als An­la­ge 1 des Schrift­sat­zes vom 30.05.2011 bei­gefügte Kündi­gung nicht auf­gelöst wor­den ist,

3. den Be­klag­ten zu ver­ur­tei­len, ihn als Büffet­kraft zu ei­nem Brut­to­lohn von 1.550,00 €

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mo­nat­lich bei ei­ner 40-St­un­den-Wo­che zu den Be­din­gun­gen des Ar­beits­ver­tra­ges vom 20.12.2010 wei­ter zu beschäfti­gen,

4. den Be­klag­ten zu ver­ur­tei­len, an ihn 1.550,00 € brut­to ab­zgl. am 18.08.2011 ge­zahl­ter 912,28 € net­to nebst Ver­zugs­zin­sen in Höhe von 5 Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit 01.08.2011 zu zah­len,

5. den Be­klag­ten zu ver­ur­tei­len, an ihn für den Zeit­raum 01.08.2011 bis 15.08.2011 741,30 € brut­to nebst Ver­zugs­zin­sen von 5 Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit 01.09.2011 zu zah­len,

6. den Be­klag­ten zu ver­ur­tei­len, an ihn für den Zeit­raum 16.08.2011 bis 31.08.2011 808,70 € brut­to ab­zgl. 295,95 € net­to nebst Ver­zugs­zin­sen von 5 Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit 01.09.2011 zu zah­len,

7. den Be­klag­ten zu ver­ur­tei­len, an ihn für den Mo­nat Sep­tem­ber 2011 1.550,00 € brut­to ab­zgl. 591,90 € net­to nebst Ver­zugs­zin­sen von 5 Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit 01.10.2011 zu zah­len,

8. den Be­klag­ten zu ver­ur­tei­len, an ihn für den Mo­nat Ok­to­ber 2011 1.550,00 € brut­to ab­zgl. 591,90 € net­to nebst Ver­zugs­zin­sen von 5 Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit 01.11.2011 zu zah­len,

hilfs­wei­se für den Fall des Un­ter­lie­gens mit den bei­den Kündi­gungs­schutz­anträgen, den Be­klag­ten zu ver­ur­tei­len, an ihn 1.073,10 € brut­to Ur­laubs­ab­gel­tung nebst Ver­zugs­zin­sen von 5 Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit 01.08.2011 zu zah­len.

Der Be­klag­te be­an­tragt,

die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Er hält die ers­te streit­ge­genständ­li­che Kündi­gung für rechts­wirk­sam. Die­se stütze er auf be­triebs­be­ding­te Gründe, zu­dem sei der Kläger so­zi­al schwächer als die ein­zi­ge wei­te­re bei ihm in Voll­zeit beschäftig­te Ar­beit­neh­me­rin. Die Be­schränkun­gen des KSchG fänden kei­ne An­wen­dung. So­fern dem Kläger Lohn zu­ste­he, könne er nur den ar­beits­ver­trag­li­chen Grund­lohn gel­tend ma­chen, nicht aber die über­ta­rif­li­che Zu­la­ge, da die­se leis­tungs­be­zo­gen sei und nicht bei Ar­beits­unfähig­keit be­zahlt wer­de. Hin­sicht­lich der zwei­ten Kündi­gung ver­tritt er in sei­nem Schrift­satz vom 10.11.2011 die An­sicht, es sei un­er­heb­lich, ob die­se dem Kläger zu­ge­stellt wor­den sei oder nicht, da die ers­te Kündi­gung al­le ih­re Zwe­cke erfülle.
We­gen der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten des Sach- und Streit­stan­des wird auf den In­halt der Ge­richts­ak­ten ver­wie­sen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

A.

Die zu­letzt ge­stell­ten Haupt­anträge sind zulässig und be­gründet, so­dass über den Hilfs­an­trag auf Ur­laubs­ab­gel­tung nicht mehr zu ent­schei­den war.

1.) Die zwei­te streit­ge­genständ­li­che Kündi­gung war be­reits des­we­gen un­wirk­sam, weil sie dem Schrift­for­mer­for­der­nis des § 623 BGB nicht genügt. Schrift­form im Sin­ne der vor­ge­nann­ten Norm be­deu­tet gem. § 126 Abs. 1 BGB die ei­genhändi­ge Un­ter­zeich­nung der be­tref­fen­den Ur­kun­de durch den Aus­stel­ler, wo­bei ei­ne bloße Ko­pie sei­ner Un­ter­schrift nicht genügt (KR/Spil­ger, 9. Aufl. 2009, § 623 BGB Rn. 120). Wann ge­nau die­ses ko­pier­te Kündi­gungs­schrei­ben als An­la­ge zum Schrift­satz des Be­klag­ten dem

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Kläger zu­ge­gan­gen und ob die in § 4 KSchG vor­ge­se­he­ne dreiwöchi­ge Kla­ge­frist gem. § 4 S. 1 i.V.m. §§ 13 Abs. 3, 23 Abs. 1 S. 2 KSchG ein­ge­hal­ten ist, konn­te vor­lie­gend da­hin­ste­hen, da die vor­ge­nann­te Drei­wo­chen­frist kei­ne An­wen­dung fin­det, wenn der Ar­beit­neh­mer die Nicht­ein­hal­tung der ge­setz­li­chen Schrift­form rügt (BAG 28.06.2007 NZA 2007, 972, 973; ErfK/Kiel, 11. Aufl. 2011, § 4 KSchG Rn. 6; KR/Fried­rich, § 4 KSchG Rn. 135; DLW/Dörner, Hand­buch des Fach­an­walts Ar­beits­recht, 9. Aufl. 2011, Kap. 4 Rn. 1771).

2.) Aber auch die ers­te streit­ge­genständ­li­che Kündi­gung er­wies sich trotz der Nicht­an­wend­bar­keit des KSchG we­gen Ver­s­toßes ge­gen das Maßre­ge­lungs­ver­bot des § 612a BGB als un­wirk­sam.

a) Auch in Be­trie­ben, in de­nen das KSchG nicht zur An­wen­dung ge­langt, gilt es nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts (vgl. BVerfG 27.01.1998 NZA 1998, 470, 471 f.) so­wie des Bun­des­ar­beits­ge­richts (vgl. BAG 21.02.2001 AP Nr. 12 zu § 242 BGB Kündi­gung; 06.02.2003 NZA 2003, 717 f.), ei­nen durch Art. 12 GG ge­bo­te­nen Min­dest­schutz des Ar­beit­neh­mers vor dem Ver­lust des Ar­beits­plat­zes zu gewähr­leis­ten. Die­ser darf zwar nicht da­zu führen, dem Ar­beit­ge­ber im Er­geb­nis die nach dem KSchG gel­ten­den Maßstäbe der So­zi­al­wid­rig­keit doch wie­der auf­zu­er­le­gen. An­de­rer­seits ist ihm aber so­wohl durch zi­vil­recht­li­che Ge­ne­ral­klau­seln (et­wa §§ 138, 242 BGB) wie auch durch ver­schie­de­ne Ein­zel­nor­men (vgl. hier­zu die Über­sicht bei KR/Fried­rich, § 13 KSchG Rn. 211) u.a. die sit­ten­wid­ri­ge, rechts­miss­bräuch­li­che, ge­set­zes­wid­ri­ge oder auch sons­ti­ge Kündi­gung, bei der er nicht we­nigs­tens ein ge­wis­ses Maß an so­zia­ler Rück­sicht­nah­me wahrt, ver­wehrt (KR/Wei­gand, § 23 KSchG Rn. 56 ff. m.w.N.). Hier­zu zählt auch die Kündi­gung, de­ren Aus­spruch ge­gen das in § 612a BGB ver­an­ker­te Maßre­ge­lungs­ver­bot verstößt (BAG 23.04.2009 AP Nr. 40 zu § 611 BGB Persönlich­keits­recht; ErfK/Kiel, § 13 KSchG Rn. 13; KR/Fried­rich, § 13 KSchG Rn. 211).

b) Nach § 612a BGB darf der Ar­beit­ge­ber ei­nen Ar­beit­neh­mer nicht des­halb bei ei­ner Maßnah­me be­nach­tei­li­gen, weil der Ar­beit­neh­mer in zulässi­ger Wei­se sei­ne Rech­te ausübt. Als Maßnah­me in die­sem Sin­ne kommt auch der Aus­spruch ei­ner Kündi­gung in Be­tracht (BAG 23.04.2009 AP Nr. 40 zu § 611 BGB Persönlich­keits­recht). Wei­ter be­darf es ei­nes un­mit­tel­ba­ren Zu­sam­men­hangs zwi­schen der Be­nach­tei­li­gung und der Rechts­ausübung, wo­bei die zulässi­ge Rechts­ausübung der tra­gen­de Be­weg­grund, d.h. das we­sent­li­che Mo­tiv für die be­nach­tei­li­gen­de Maßnah­me sein muss; wur­de der Kündi­gungs­ent­schluss des Ar­beit­ge­bers so­gar aus­sch­ließlich durch die zulässi­ge Rechts­ver­fol­gung des Ar­beit­neh­mers be­stimmt, verstößt die Kündi­gung selbst dann ge­gen § 612a BGB, wenn sie auch auf ei­nen an­de­ren, sie recht­fer­ti­gen­den Sach­ver­halt hätte gestützt wer­den können, da sich die­ser dann nicht kau­sal auf den Kündi­gungs­ent­schluss aus­ge­wirkt hat und sich der Ar­beit­ge­ber des­halb nicht auf ihn be­ru­fen kann (BAG 22.05.2003 AP Nr. 18 zu § 1 KSchG 1969 War­te­zeit; 23.04.2009 AP Nr. 40 zu § 611 BGB Persönlich­keits­recht; Hes­si­sches LAG 13.11.2007 – 12 Sa 724/07; LAG Ber­lin-Bran­den­burg 07.10.2010 – 25 Sa 1435/10).

c) Aus­ge­hend von die­sen Grundsätzen er­wies sich die streit­ge­genständ­li­che ers­te Kündi­gung als nich­tig, da der Be­klag­te mit ih­rem Aus­spruch ge­gen das Maßre­ge­lungs­ver­bot ver­s­toßen hat:

aa) Nach Auf­fas­sung der Kam­mer stell­te der Aus­spruch der Kündi­gung noch am 10.07.2011 ei­ne un­mit­tel­ba­re Re­ak­ti­on auf die Krank­mel­dung des Klägers dar, mit der der Be­klag­te ihn sank­tio­nie­ren woll­te. Zwar hat der Be­klag­te sich auf be­triebs­be­ding­te Gründe be­ru­fen. Dies er­schien je­doch als rei­ne und durch kei­ner­lei kon­kre­ten Sach­vor­trag erhärte­te Schutz­be­haup­tung.

Zum ei­nen ist es be­reits un­gewöhn­lich, dass der Be­klag­te das Kündi­gungs­schrei­ben an ei­nem Sonn­tag ver­fass­te. Wer an­ge­sichts ei­ner länger­wie­ri­gen wirt­schaft­li­chen Ne­ga­tiv­ent­wick­lung Per­so­nal ein­spa­ren will, wird hier­von nicht im Lau­fe ei­nes Wo­chen­en­des über­rascht. Hier­zu hat sich der Be­klag­te im Kam­mer­ter­min auf Nach­fra­ge zwar da­hin­ge­hend ein­ge­las­sen, dass er sie­ben Ta­ge die Wo­che ar­bei­te und für ihn

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da­her ein Tag wie der an­de­re sei. Selbst wenn man dies aber ein­mal als wahr un­ter­stel­len woll­te, fiel der Tag der Kündi­gung nicht nur auf ei­nen Sonn­tag, son­dern just auf den Sonn­tag, an dem sich der Kläger im Be­trieb krank­ge­mel­det hat­te. Der Kläger hat­te am Sams­tag, den 09.07.2011, un­strei­tig un­ter Übel­keit ge­lit­ten und sich zwei­mal er­bro­chen, durf­te aber den­noch – beim Be­klag­ten als Büffet­kraft in ei­nem le­bens­mit­tel­ver­ar­bei­ten­den und -aus­ge­ben­den Be­trieb ! – nicht nach Hau­se ge­hen. Al­lein dies ist in meh­rer­lei Hin­sicht be­mer­kens­wert und deu­tet dar­auf hin, dass dem Be­klag­ten der Ein­satz sei­ner Ar­beit­neh­mer wich­ti­ger als de­ren Ge­sund­heit sein könn­te. Wenn der Kläger dann sei­ne Schicht am 09.07. noch re­gulär ab­leis­tet, sich am Fol­ge­tag (nach An­mel­dung bei sei­nem Haus­arzt we­gen fort­dau­ern­der ge­sund­heit­li­cher Be­schwer­den) ord­nungs­gemäß vor Schicht­be­ginn am 10.07. krank­mel­det und der Be­klag­te dar­auf­hin un­mit­tel­bar das Kündi­gungs­schrei­ben ver­fasst und un­ter­zeich­net, so in­di­ziert dies für die Kam­mer ei­nen deut­li­chen Zu­sam­men­hang da­hin, dass die Kündi­gung ge­ra­de we­gen der Krank­mel­dung er­folg­te. Da der Be­klag­te hin­sicht­lich der von ihm be­haup­te­ten be­triebs­be­ding­ten Gründe kei­ner­lei kon­kre­te Da­ten, Fak­ten, Um­satz­zah­len, benötig­te Ar­beits­vo­lu­mi­na etc. vor­tra­gen konn­te, ver­moch­te er auch nicht an­satz­wei­se be­trieb­li­che Er­for­der­nis­se für die Kündi­gung des Klägers dar­zu­tun.

Hier­bei ver­kennt die Kam­mer nicht, dass außer­halb des KSchG kei­ne drin­gen­den be­trieb­li­chen Er­for­der­nis­se im Sin­ne von § 1 KSchG vor­lie­gen müssen und der Ar­beit­ge­ber die­se auch nicht – wie im Rah­men von § 1 Abs. 2 S. 4 KSchG – zu be­wei­sen hat. Trägt er aber über­haupt kei­ne, vom Ge­richt we­nigs­tens auf of­fen­sicht­li­che Willkür hin über­prüfba­ren Tat­sa­chen vor, son­dern be­schränkt sich wie hier auf die schlich­te, voll­kom­men abs­trak­te Be­haup­tung, es lägen be­triebs­be­ding­te Er­for­der­nis­se vor, und würde dies trotz ent­ge­gen­ste­hen­der In­di­zi­en zur "Be­gründung" ei­ner Kündi­gung genügen, könn­te er den ver­fas­sungs­recht­lich ge­bo­te­nen Min­destkündi­gungs­schutz oh­ne Wei­te­res schon mit bloßen Schutz­be­haup­tun­gen aus­he­beln und ihn da­mit ad ab­sur­dum führen. Dies ent­spricht aber we­der der ge­setz­ge­be­ri­schen In­ten­ti­on et­wa bei den Re­ge­lun­gen der §§ 138, 242, 612a BGB noch den von der höchst­rich­ter­li­chen Recht­spre­chung ent­wi­ckel­ten Grundsätzen zum Kündi­gungs­schutz im Klein­be­trieb. Hin­zu­kommt, dass die Par­tei­en An­fang des Jah­res 2011 ei­nen wei­te­ren Kündi­gungs­rechts­streit vor ei­ner an­de­ren Kam­mer des er­ken­nen­den Ge­richts aus­tru­gen, dem nach dem un­wi­der­spro­chen Vor­trag des Klägers eben­falls ei­ne Kündi­gung zu Grun­de lag, die der Be­klag­te im un­mit­tel­ba­ren An­schluss an ei­ne Krank­mel­dung aus­ge­spro­chen hat­te, was wohl le­dig­lich auf Grund der of­fen­sicht­li­chen Form­nich­tig­keit der Kündi­gung kei­ne wei­te­re Ver­tie­fung er­fuhr, son­dern sich die Par­tei­en im Ver­hand­lungs­ter­min viel­mehr auf die Fortführung ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses verständig­ten.

Auch vor die­sem Hin­ter­grund ging die Kam­mer vor­lie­gend da­von aus, dass die hier in kei­ner Wei­se näher be­nann­ten be­trieb­li­chen Gründe vom Be­klag­ten le­dig­lich vor­ge­scho­ben wur­den und das ei­gent­li­che Mo­tiv für die Kündi­gung die Krank­mel­dung des Klägers war. Da die Kam­mer auch kein Mo­tivbündel er­ken­nen konn­te, sich der Kündi­gungs­grund al­so auf die Krank­mel­dung des Klägers re­du­zier­te, käme es nach der oben dar­ge­stell­ten Recht­spre­chung noch nicht ein­mal mehr dar­auf an, ob der Be­klag­te sie evtl. auf an­de­re Gründe hätte stützen können.

bb) Da der zeit­li­che Ab­lauf der Ge­scheh­nis­se zwi­schen den Par­tei­en un­strei­tig ist, hat der Kläger nach Auf­fas­sung der Kam­mer auch sei­ner Dar­le­gungs- und Be­weis­last im Rah­men von § 612a BGB hin­rei­chend genügt mit der Fol­ge, dass er sich auf die Grundsätze des An­scheins­be­wei­ses be­ru­fen kann, den der Ar­beit­ge­ber gem. § 138 Abs. 2 ZPO durch sub­stan­ti­ier­ten Vor­trag sei­ner­seits ent­kräften muss, an­de­ren­falls der schlüssi­ge Vor­trag des Ar­beit­neh­mers gem. § 138 Abs. 3 ZPO als zu­ge­stan­den gilt (BAG 22.05.2003 AP Nr. 18 zu § 1 KSchG 1969 War­te­zeit; Hes­si­sches LAG 13.11.2007 – 13 Sa 724/07; zum An­scheins­be­weis in die­sem Zu­sam­men­hang fer­ner LAG Hamm 06.09.2005 – 19 Sa 1045/05).

cc) Dem steht nicht ent­ge­gen, dass der Ar­beit­ge­ber außer­halb wie auch in­ner­halb des KSchG grundsätz­lich ei­ne Kündi­gung we­gen Krank­heit aus­spre­chen darf (eben­so Hes­si­sches LAG 13.11.2007 – 13 Sa 724/07; a. A. wohl LAG Rhein­land-Pfalz 30.08.2007 – 2 Sa 373/07; LAG Ber­lin-Bran­den­burg 07.10.2010 – 25 Sa 1435/10). Dass der Kläger häufig oder über länge­re Zeiträume hin­weg ar­beits­unfähig er­krankt ge­we­sen

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wäre und der Be­klag­te sich wei­te­re Aus­fall­zei­ten nicht mehr hätte leis­ten können, hat der Be­klag­te selbst nicht be­haup­tet. Da­her war Kündi­gungs­grund of­fen­bar nicht die Krank­heit des Klägers als sol­che, son­dern viel­mehr der Um­stand sei­ner Krank­mel­dung und sei­nes Feh­lens im Be­trieb trotz krank­heits­be­ding­ter Ar­beits­unfähig­keit, wofür auch spricht, dass der Kläger am 09.07.2011 trotz sei­ner Krank­heit den Ar­beits­platz nicht ver­las­sen durf­te, oh­ne dass der Be­klag­te hierfür ir­gend­ei­ne Be­gründung ab­ge­ge­ben hätte. Da­her er­schien die Kündi­gung nicht auf krank­heits­be­ding­te Gründe gemünzt, son­dern als di­rek­te Re­ak­ti­on auf das Nich­t­er­schei­nen des Klägers an sei­nem Ar­beits­platz (in die­sem Sin­ne auch Hes­si­sches LAG 13.11.2007 – 13 Sa 724/07).

dd) Ein Ver­s­toß ge­gen § 612a BGB schei­tert auch nicht dar­an, dass der Ar­beit­neh­mer, der ar­beits­unfähig er­krankt zu Hau­se bleibt, kei­ne "Rech­te" im Sin­ne von § 612a BGB ausüben würde (eben­so LAG Köln 10.11.1993 LA­GE § 612a BGB Nr. 5; Hes­si­sches LAG 13.11.2007 – 13 Sa 724/07). Die Ge­gen­an­sicht (LAG Hamm 06.09.2005 – 19 Sa 1045/05; LAG Rhein­land-Pfalz 30.08.2007 – 2 Sa 373/07; LAG Ber­lin-Bran­den­burg 07.10.2011 – 25 Sa 1435/10), die dar­auf ab­stellt, der Ar­beit­neh­mer sei le­dig­lich nicht zur Ar­beits­leis­tung ver­pflich­tet, ma­che aber da­mit noch kein ei­ge­nes Recht gel­tend, er­scheint der er­ken­nen­den Kam­mer zu spitz­fin­dig und in der Sa­che nicht an­ge­mes­sen. Wer nicht ver­pflich­tet ist zu ar­bei­ten, ist da­mit zu­gleich be­rech­tigt, der Ar­beit fern zu blei­ben. Den Ar­beit­neh­mer trifft grundsätz­lich aus dem Ar­beits­ver­trag die Pflicht zur Er­brin­gung der Ar­beits­leis­tung. Er­krankt er ar­beits­unfähig, ent­pflich­tet ihn das Ge­setz in § 275 Abs. 1 (oder auch § 616) BGB von sei­ner nach dem Ver­trag an sich fort­be­ste­hen­den Ar­beits­ver­pflich­tung und räumt ihm da­mit das Recht ein, der Ar­beit fern zu blei­ben.
§ 3 Abs. 1 EFZG er­wei­tert dies um das Recht des Ar­beit­neh­mers auf Vergütungs­fort­zah­lung ent­ge­gen dem sons­ti­gen all­ge­mei­nen schuld­recht­li­chen Grund­satz des § 326 Abs. 1 S. 1 BGB "Oh­ne Ar­beit kein Lohn". In­dem der Ar­beit­neh­mer trotz sei­ner an sich fort­be­ste­hen­den ar­beits­ver­trag­li­chen Leis­tungs­pflicht im Krank­heits­fal­le nicht zur Ar­beit er­scheint, übt er da­mit ein ihm vom Ge­setz ein­geräum­tes Recht aus (so auch aus­drück­lich BAG 23.04.2009 AP Nr. 40 zu § 611 BGB Persönlich­keits­recht; LAG Köln 10.11.1993 LA­GE 612a BGB Nr. 5; Hes­si­sches LAG 13.11.2007 – 13 Sa 724/07).

3. Da­her wa­ren bei­de Kündi­gun­gen un­wirk­sam.

4. Die An­nah­me­ver­zugs­lohn­ansprüche des Klägers sind im gel­tend ge­mach­ten Um­fang be­gründet.

a) Da das Ar­beits­verhält­nis an­ge­sichts der un­wirk­sa­men Kündi­gun­gen un­verändert fort­be­steht, trifft den Be­klag­ten wei­ter­hin die Pflicht zur Vergütung des Klägers, bis zum Kündi­gungs­end­ter­min aus dem Ar­beits­ver­trag i.V.m. § 611 BGB bzw. § 3 Abs. 1 EFZG, ab dem 16.08. bzw. 01.08.2011 je­den­falls aus An­nah­me­ver­zug gem. § 615 S. 1 BGB, da der Kläger be­reits in sei­ner Kla­ge­schrift sei­ne Wei­ter­beschäfti­gung ver­langt und da­mit sei­ne Ar­beits­leis­tung – un­ter der Vor­aus­set­zung sei­ner Ar­beitsfähig­keit – wei­ter an­ge­bo­ten hat.

b) Die Vergütung beläuft sich auch grundsätz­lich auf 1.550,00 € brut­to pro Mo­nat. Zwar hat der Be­klag­te be­haup­tet, die über­ta­rif­li­che Zu­la­ge von 339,00 € brut­to mo­nat­lich ste­he dem Kläger nicht bei Ar­beits­unfähig­keit zu, da es sich um ei­ne Leis­tungs­zu­la­ge hand­le. Wie er hier­auf kommt, ließ er in­des of­fen. Der Kläger hat un­wi­der­spro­chen vor­ge­tra­gen, er ha­be die über­ta­rif­li­che Zu­la­ge je­den Mo­nat er­hal­ten, oh­ne dass die­se an ent­spre­chen­de Vor­aus­set­zun­gen ge­knüpft ge­we­sen sei. Zum an­de­ren enthält der Ar­beits­ver­trag we­der sei­ner­seits be­stimm­te Vor­aus­set­zun­gen für ei­nen An­spruch auf die Zu­la­ge noch wäre klar, auf wel­chen Ta­rif­ver­trag die "über­ta­rif­li­che" Zu­la­ge even­tu­ell Be­zug neh­men soll. Die ein­zi­ge Re­ak­ti­on des Be­klag­ten war die Vor­la­ge der Ko­pie der ers­ten Sei­te ei­nes Ar­beits­ver­tra­ges, wo die über­ta­rif­li­che Zu­la­ge nun­mehr als Leis­tungs­zu­la­ge de­kla­riert und nur "bei An­we­sen­heit am Ar­beits­platz gewährt" wird. Un­strei­tig ist aber die­se vom Be­klag­ten später in ei­nem am Com­pu­ter selbst zu­sam­men­ge­stell­ten Ver­trags­mus­ter-Roh­ling in keins­ter Wei­se für den Kläger ver­bind­lich ge­schwei­ge denn von ihm un­ter­zeich­net. Ihr kommt da­her in Be­zug auf ihn

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über­haupt kein Aus­sa­ge­wert zu, wes­we­gen es der Kam­mer voll­kom­men un­er­find­lich war, war­um der Be­klag­te die­se of­fen­sicht­lich von ihm im Nach­hin­ein ab­geänder­te und voll­kom­men abs­trak­te Ver­trags­vor­la­ge über­haupt in den Pro­zess einführ­te.

Da­mit war die An­we­sen­heit am Ar­beits­platz kei­ne hin­rei­chend dar­ge­leg­te An­spruchs­vor­aus­set­zung für die Zah­lung der über­ta­rif­li­chen Zu­la­ge, so­dass sie der Kläger zu­sam­men mit dem re­gulären Grund­lohn be­an­spru­chen konn­te.

5.) Dem­ent­spre­chend war der Be­klag­te auch zur Wei­ter­beschäfti­gung des Klägers zu un­veränder­ten Be­din­gun­gen des zwi­schen den Par­tei­en ge­schlos­se­nen
Ar­beits­ver­tra­ges zu ver­ur­tei­len.

B.

Die Kos­ten­ent­schei­dung folgt aus § 91 ZPO.

C.

Bei der Streit­wert­fest­set­zung wur­de der Kla­ge­an­trag zu 1) mit drei Brut­to­mo­nats­gehältern zu je­weils 1.550,00 € be­wer­tet, der Kla­ge­an­trag 3) mit ei­nem Brut­to­mo­nats­ge­halt, der Kla­ge­an­trag zu 4) wie be­zif­fert und der Kla­ge­an­trag zu 6) (zwei­ter Kündi­gungs­schutz­an­trag) mit ei­nem hal­ben Brut­to­mo­nats­ge­halt für die zeit­li­che Dif­fe­renz der bei­den Kündi­gungs­end­ter­mi­ne (31.07. und 15.08.2011). Die Kla­ge­anträge zu 7) bis 10) wur­den we­gen wirt­schaft­li­cher Iden­tität zu den Kla­ge­anträgen zu 1) bzw. 6) nicht ge­son­dert be­wer­tet.

D.

Die Be­ru­fung war vor­lie­gend nicht ge­son­dert zu­zu­las­sen, da es hierfür an den Vor­aus­set­zun­gen des § 64 Abs. 3 ArbGG fehlt.


 

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