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ARBEITSRECHT AKTUELL // 14/169

Ver­zicht auf Kün­di­gungs­schutz­kla­ge

Ist ein Zeug­nis mit der No­te "gut" ei­ne hin­rei­chen­de Ge­gen­leis­tung für ei­nen Kla­ge­ver­zicht per Ab­wick­lungs­ver­trag?: Lan­des­ar­beits­ge­richt Nie­der­sach­sen, Ur­teil vom 27.03.2014 5 Sa 1099/13
Kündigung Wall-Street-Karton mit Frau Wer ge­hen muss, soll­te et­was mit­neh­men kön­nen

09.05.2014. Ar­beit­neh­mer kön­nen nach Er­halt ei­ner Kün­di­gung nicht vor­ab oh­ne Ge­gen­leis­tung auf ei­ne Kün­di­gungs­schutz­kla­ge ver­zich­ten.

Das geht je­den­falls dann nicht, wenn der Ar­beit­ge­ber die Ver­zichts­er­klä­rung ein­sei­tig vor­for­mu­liert hat und sie dem Ar­beit­neh­mer zur Un­ter­schrift vor­legt, denn dann ist die Ver­zichts­er­klä­rung Teil der All­ge­mei­nen Ge­schäfts­be­din­gun­gen (AGB) des Ar­beit­ge­bers.

Aber ist ein Zeug­nis mit der No­te "gut" be­reits ei­ne aus­rei­chen­de Ge­gen­leis­tung? Das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Nie­der­sach­sen meint ja: LAG Nie­der­sach­sen, Ur­teil vom 27.03.2014 5 Sa 1099/13.

Wel­che Ge­gen­leis­tung müssen Ar­beit­ge­ber für den Ver­zicht auf ei­ne Kündi­gungs­schutz­kla­ge zu­ge­ste­hen?

Mit ei­nem Auf­he­bungs­ver­trag ver­zich­ten Ar­beit­neh­mer nicht auf ei­ne Kündi­gungs­schutz­kla­ge, denn in­fol­ge des Auf­he­bungs­ver­trags kommt es erst gar nicht zu ei­ner Kündi­gung und folg­lich auch nicht zu der recht­li­chen Möglich­keit, ei­ne Kündi­gungs­schutz­kla­ge zu er­he­ben.

Da­ge­gen steckt in prak­tisch je­dem Ab­wick­lungs­ver­trag ein Kla­ge­ver­zicht des Ar­beit­neh­mers: Ab­wick­lungs­verträge wer­den meist nach Er­halt ei­ner ar­beit­ge­ber­sei­ti­gen Kündi­gung ab­ge­schlos­sen und re­geln de­ren Fol­gen, d.h. die wei­te­re Ab­wick­lung des Ar­beits­verhält­nis­ses.

Da­her ent­hal­ten Ab­wick­lungs­verträge ty­pi­scher­wei­se Zu­geständ­nis­se des Ar­beit­ge­bers, al­so z.B. ei­ne Ab­fin­dung, ei­ne Frei­stel­lung oder ei­ne gu­te Zeug­nis­no­te, während der Ar­beit­neh­mer sei­ner­seits erklärt, auf ei­ne Kündi­gungs­schutz­kla­ge zu ver­zich­ten. Ab­wick­lungs­verträge sind dem­nach Aus­tausch­verträge: Die vom Ar­beit­ge­ber zu­ge­stan­de­nen (fi­nan­zi­el­len) Vergüns­ti­gun­gen sind die Ge­gen­leis­tung für den Kla­ge­ver­zicht des Ar­beit­neh­mers.

Wer­den Ab­wick­lungs­verträge vom Ar­beit­ge­ber vor­for­mu­liert, sind sie des­sen AGB und dürfen den Ar­beit­neh­mer da­her nicht "un­an­ge­mes­sen be­nach­tei­li­gen". Das er­gibt sich aus § 307 Abs.1 Satz 1 Bürger­li­ches Ge­setz­buch (BGB) und gilt nicht nur für Ab­wick­lungs­verträge, son­dern auch für Aus­gleichs­klau­seln.

Erklärt der Ar­beit­neh­mer oh­ne Ge­gen­leis­tung per Aus­gleichs­klau­sel, kei­ne Ansprüche mehr ge­gen den Ar­beit­ge­ber zu ha­ben, ist die Aus­gleichs­klau­sel un­wirk­sam, so das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) im Jah­re 2011 (BAG, Ur­teil vom 21.06.2011, 9 AZR 203/10, wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 12/005 Auf­he­bungs­ver­trag oh­ne Ab­fin­dung, aber mit Aus­gleichs­klau­sel?.

Dem­ent­spre­chend ist auch ein Kla­ge­ver­zicht in ei­nem vom Ar­beit­ge­ber ent­wor­fe­nen Ab­wick­lungs­ver­trag, der kei­ne Ge­gen­leis­tung für den Ver­zicht des Ar­beit­neh­mers auf ei­ne Kündi­gungs­schutz­kla­ge enthält, ei­ne un­an­ge­mes­se­ne Be­nach­tei­li­gung des Ar­beit­neh­mers und da­her gemäß § 307 Abs.1 Satz 1 BGB un­wirk­sam (BAG, Ur­teil vom 06.09.2007, 2 AZR 722/06, wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 07/44 Bei Kündi­gung kein Kla­ge­ver­zicht oh­ne Ge­gen­leis­tung).

Frag­lich ist al­ler­dings, was als "Ge­gen­leis­tung" des Ar­beit­ge­bers für den Ver­zicht auf ei­ne Kündi­gungs­schutz­kla­ge an­zu­se­hen ist. Genügt dafür schon das "Zu­geständ­nis", dem Ar­beit­neh­mer ein Zeug­nis mit der No­te "gut" zu er­tei­len?

Der Streit­fall: Elf Jah­re beschäftig­ter ge­werb­li­cher Ar­beit­neh­mer un­ter­schreibt bei Er­halt der Kündi­gung ei­nen Ab­wick­lungs­ver­trag oh­ne Ab­fin­dung, aber mit "gu­ter" Zeug­nis­no­te

Im Streit­fall nahm ein ge­werb­li­cher Ar­beit­neh­mer nach länge­rer Krank­heit wie­der sei­ne Ar­beit auf und er­hielt be­reits we­ni­ge Ta­ge später im Be­trieb ei­ne or­dent­li­che Kündi­gung. Zu­gleich mit Aushändi­gung der Kündi­gung un­ter­zeich­ne­te er ei­nen Ab­wick­lungs­ver­trag.

Im Ab­wick­lungs­ver­trag ver­zich­te­te der Ar­beit­neh­mer aus­drück­lich auf die Er­he­bung ei­ner Kündi­gungs­schutz­kla­ge. Als ein­zi­ge Ge­gen­leis­tung war im Ver­trag ein Zeug­nis mit ei­ner "gu­ten" Leis­tungs- und Führungs­be­wer­tung vor­ge­se­hen, ob­wohl das Ar­beits­verhält­nis zum Kündi­gungs­zeit­punkt im­mer­hin schon elf Jah­re lang be­stan­den hat­te.

Der Ar­beit­neh­mer erklärte we­ni­ge Ta­ge später die An­fech­tung des Ab­wick­lungs­ver­trags, die der Ar­beit­ge­ber mit Ach­sel­zu­cken quit­tier­te. Kurz dar­auf er­hob er vor dem Ar­beits­ge­richt Han­no­ver Kündi­gungs­schutz­kla­ge. Das Ar­beits­ge­richt wies die Kla­ge ab, weil es den Kla­ge­ver­zicht für wirk­sam an­sah (Ur­teil vom 06.09.2013, 1 Ca 65/13).

LAG Nie­der­sach­sen: Die Zeug­nis­no­te "gut" ist ei­ne aus­rei­chen­de Ge­gen­leis­tung für den Ver­zicht auf ei­ne Kündi­gungs­schutz­kla­ge

Das LAG wies die Be­ru­fung des Ar­beit­neh­mers zurück, denn der Ar­beit­neh­mer hat­te zum The­ma Zeug­nis­no­te im We­sent­li­chen nur vor­ge­tra­gen, sei­ne Ar­beits­leis­tung sei be­an­stan­dungs­frei ge­we­sen und da­her ste­he ihm die Zeug­nis­no­te "gut" auch oh­ne den Ab­wick­lungs­ver­trag zu.

Das war dem LAG aber zu we­nig, d.h. zu sei­nen Leis­tun­gen hätte der Kläger ge­nau­er vor­tra­gen müssen. Dem­zu­fol­ge kam das LAG zu dem Er­geb­nis, dass die vom Ar­beit­ge­ber zu­ge­stan­de­ne Zeug­nis­no­te "gut" tatsächlich ein Zu­geständ­nis war, d.h. ei­ne Ge­gen­leis­tung für den vom Ar­beit­neh­mer erklärten Ver­zicht auf ei­ne Kündi­gungs­schutz­kla­ge. Der Leit­satz der LAG-Ent­schei­dung lau­tet:

"Enthält ein for­mu­larmäßiger Ver­zicht auf das Recht Kündi­gungs­schutz­kla­ge zu er­he­ben im Ge­gen­zug die Ver­pflich­tung des Ar­beit­ge­bers, dem Ar­beit­neh­mer ein Zeug­nis mit der No­te gut zu er­tei­len, ist die­ser Ver­zicht wirk­sam, es sei denn, dem Ar­beit­neh­mer steht un­ter Berück­sich­ti­gung der herkömmli­chen Dar­le­gungs- und Be­weis­last in ei­nem Zeug­nis­pro­zess ei­ne gu­te Be­ur­tei­lung zwei­fels­frei zu."

Da­mit legt das LAG die bis­her an­er­kann­te Be­weis­last­ver­tei­lung im Pro­zess um ei­ne Zeug­nis­be­rich­ti­gung zu­grun­de: Er­teilt der Ar­beit­ge­ber ein Zeug­nis mit der No­te "aus­rei­chend" oder "man­gel­haft", muss er vor Ge­richt un­ter­durch­schnitt­li­che Leis­tun­gen des Ar­beit­neh­mers be­wei­sen. Will der Ar­beit­neh­mer ei­ne Auf­bes­se­rung sei­ner Zeug­nis­no­te auf "gut" oder "sehr gut", muss er über­durch­schnitt­li­che Leis­tun­gen be­wei­sen.

Von die­ser Be­weis­last­ver­tei­lung sind vor kur­zem das Ar­beits­ge­richt Ber­lin (wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 13/056 Ar­beits­zeug­nis - Be­weis­last beim Streit um die No­te) und das LAG Ber­lin-Bran­den­burg ab­ge­wi­chen (wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 14/160 No­te im Ar­beits­zeug­nis: Was ist Durch­schnitt?). Ih­rer An­sicht zu­fol­ge ist ei­ne Zeug­nis­no­te "gut" heut­zu­ta­ge der Nor­mal­fall, so dass Ar­beit­neh­mer oh­ne wei­te­re Dar­le­gun­gen zu ih­ren Leis­tun­gen ein Zeug­nis mit der No­te "gut" ver­lan­gen können ("stets zu un­se­rer vol­len Zu­frie­den­heit" oder "zu un­se­rer volls­ten Zu­frie­den­heit").

Da das LAG Nie­der­sach­sen die­ser An­sicht nicht folgt, kam es zu fol­gen­dem Er­geb­nis:

"Die Auf­wer­tung des Zeug­nis­ses um ei­ne No­ten­stu­fe lässt sich kei­nes­falls als völlig wert­lo­se Ge­gen­leis­tung qua­li­fi­zie­ren, die den of­fen­sicht­lich durch­schau­ba­ren Ver­such ei­ner Um­ge­hung der BAG-Recht­spre­chung dar­stellt."

Fa­zit: Ob ein Zeug­nis mit der No­te "gut" be­reits ei­ne aus­rei­chen­de Ge­gen­leis­tung für ei­nen Kla­ge­ver­zicht per Ab­wick­lungs­ver­trag ist oder nicht, hängt da­von ab, ob man Ar­beit­neh­mern be­reits im Re­gel­fall ei­nen An­spruch auf die No­te "gut" zu­ge­steht oder nicht. Die­se Fra­ge ist der­zeit in der Dis­kus­si­on, so dass das LAG Nie­der­sach­sen die Re­vi­si­on zum BAG zu­ge­las­sen hat.

Im übri­gen können Ar­beit­neh­mer Auf­he­bungs­verträge nur in ex­trem sel­te­nen Aus­nah­mefällen durch ei­ne An­fech­tung wie­der aus der Welt schaf­fen, und das gilt auch für Ab­wick­lungs­verträge. Und da be­reits sehr ge­ringfügi­ge Zu­geständ­nis­se des Ar­beit­ge­bers dafür genügen, dass ein Kla­ge­ver­zicht nicht we­gen "un­an­ge­mes­se­ner Be­nach­tei­li­gung" un­wirk­sam ist, kann ei­ne vor­schnel­le Un­ter­schrift große Nach­tei­le für den Ar­beit­neh­mer mit sich brin­gen.

Vor der Un­ter­zeich­nung sol­cher Verträge soll­ten sich Ar­beit­neh­mer da­her im­mer ei­ni­ge Ta­ge Be­denk­zeit aus­bit­ten und sich in der Zwi­schen­zeit an­walt­lich be­ra­ten las­sen.

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Letzte Überarbeitung: 1. Juli 2019

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