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ARBEITSRECHT AKTUELL // 10/229

Schuld­an­er­kennt­nis ei­nes Ar­beit­neh­mers nur aus­nahms­wei­se un­wirk­sam

Ei­ne fal­sche Un­ter­schrift kann die wirt­schaft­li­che Exis­tenz rui­nie­ren: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 22.07.2010, 8 AZR 144/09
Dokument mit Unterschriftenzeile und Füller Vor­sicht bei Un­ter­schrift ei­nes Schuld­an­er­kennt­nis­ses
23.11.2010. Im­mer wie­der kommt es vor, dass Ar­beit­neh­mer un­er­war­tet zu ei­nem Per­so­nal­ge­spräch ge­be­ten und dort mit über­ra­schen­den Ge­sprächs­the­men kon­fron­tiert wer­den. Prak­tisch be­deut­sam sind bei­spiels­wei­se das En­de des Ar­beits­ver­hält­nis­ses und /oder der Vor­wurf von Straf­ta­ten.

Meist läuft das dar­auf hin­aus, dass der an­ge­sichts die­ser The­men oh­ne­hin schon spon­tan auf­tre­ten­de Stress noch durch das Drän­gen des Ar­beit­ge­bers auf ei­ne schnel­le Er­le­di­gung der An­ge­le­gen­heit, viel­leicht auch die Dro­hung mit ei­ner Straf­an­zei­ge, ver­stärkt wird. Oft las­sen sich die Be­trof­fe­nen hier zu Äu­ße­run­gen und Zu­sa­gen hin­rei­ßen, die sich spä­ter als ex­trem nach­tei­lig her­aus­stel­len und nur schwer oder gar nicht wie­der aus der Welt ge­schafft wer­den kön­nen.

Ne­ben Auf­he­bungs­ver­trä­gen, die oh­ne an­walt­li­che Un­ter­stüt­zung prak­tisch im­mer für Ar­beit­neh­mer gro­ße Nach­tei­le ha­ben, spie­len in der Pra­xis Schuld­an­er­kennt­nis­se bzw. Schuld­ein­ge­ständ­nis­se die größ­te Rol­le. Zwar be­steht in bei­den Fäl­len grund­sätz­lich die Mög­lich­keit, die­se we­gen Täu­schung bzw. wi­der­recht­li­cher Dro­hung an­zu­fech­ten (§§ 142, 123 Bür­ger­li­ches Ge­setz­buch - BGB) oder sich auf Sit­ten­wid­rig­keit (§ 138 BGB) zu be­ru­fen. Die Vor­aus­set­zun­gen hier­für muss al­ler­dings der Ar­beit­neh­mer be­wei­sen, was nur sel­ten ge­lingt.

Es kann da­her ein schwe­rer, nicht wie­der gut­zu­ma­chen­der Feh­ler sein, oh­ne ju­ris­ti­sche Be­ra­tung Er­klä­run­gen ab­zu­ge­ben oder Schrift­stü­cke zu un­ter­schrei­ben.

Die­se Er­fah­rung muss­te auch ein 22 Jah­re al­ter ge­lern­ter Ein­zel­han­dels­kauf­mann ma­chen, der als Ver­käu­fer in ei­nem Ge­trän­ke­markt be­schäf­tigt war. Er hat­te tat­säch­lich nicht vor­han­de­nes Leer­gut ge­bucht und die ent­spre­chen­den Teil­be­trä­ge an sich aus­ge­zahlt. Mit­te 2006 wur­de dies bei ei­ner Re­vi­si­on be­merkt und konn­te an­hand ei­ner an­schlie­ßend durch­ge­führ­ten, ver­deck­ten Vi­deo­über­wa­chung auch teil­wei­se be­wie­sen wer­den.

Als er mit sei­nen Un­ter­schla­gun­gen vom Markt­lei­ter, vom Be­zirks­lei­ter und vom Re­vi­sor in An­we­sen­heit des Be­triebs­rats­vor­sit­zen­den kon­fron­tiert wur­de, gab er schrift­lich zu, in den ver­gan­ge­nen vier Jah­ren auf die­se Wei­se ei­nen Scha­den von et­wa 110.000 Eu­ro ver­ur­sacht zu ha­ben. Das Geld sei weg.

Dar­auf­hin muss­te er et­wa 45 Mi­nu­ten war­ten, wäh­rend ei­ne an­de­re Ar­beit­neh­me­rin mit ähn­li­chen Vor­wür­fen kon­fron­tiert wur­de. An­schlie­ßend fuh­ren die Ge­sprächs­teil­neh­mer zu ei­nem No­tar. Dort un­ter­schrieb der Ver­käu­fer ein Schuld­an­er­kennt­nis über 113.750 Eu­ro zu­züg­lich Zin­sen, ob­wohl der No­tar ihn aus­drück­lich dar­auf hin­wies, dass er dies nicht tun müs­se.

En­de 2006 ließ er sei­ne Er­klä­rung we­gen Täu­schung und Dro­hung an­fech­ten und be­rief sich auf die Sit­ten­wid­rig­keit des Schuld­an­er­kennt­nis­ses. Zu­gleich wehr­te er sich ge­gen die von sei­nem Ar­beit­ge­ber ein­ge­lei­te­te Zwangs­voll­stre­ckung mit ei­ner Voll­stre­ckungs­ab­wehr­kla­ge.

Da­mit hat­te er - al­ler­dings nur aus for­mel­len Grün­den - vor dem Ar­beits­ge­richt Mün­chen zwar zu­nächst Er­folg (Ur­teil vom 24.10.2007, 2b 7669/07 H). Doch so­wohl das Lan­des­ar­beits­ge­richt Mün­chen (Ur­teil vom 18.12.2008, 3 Sa 88/08) als auch das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG, Ur­teil vom 22.07.2010, 8 AZR 144/09) wie­sen sei­ne Kla­ge ab.

Im We­sent­li­chen mein­ten die Ge­rich­te, mit sei­nem Schuld­an­er­kennt­nis ha­be er sich sämt­li­che Ein­wen­dun­gen, spe­zi­ell zu Be­weis­fra­gen, ge­gen die an­er­kann­te For­de­rung ab­ge­schnit­ten. Das An­er­kennt­nis selbst war auch wirk­sam und ins­be­son­de­re nicht sit­ten­wid­rig. Aus ver­si­che­rungs­recht­li­chen Grün­den durf­te der Ar­beit­ge­ber hier näm­lich über das schrift­li­che Ge­ständ­nis hin­aus ein no­ta­ri­el­les Schuld­an­er­kennt­nis ver­lan­gen.

Au­ßer­dem war der Ein­zel­han­dels­kauf­mann lan­ge ge­nug im Be­rufs­le­ben, um Er­fah­rung in wirt­schaft­li­chen An­ge­le­gen­hei­ten zu sam­meln, und hat­te wäh­rend der War­te­zeit so­wie auf dem Weg zum No­tar ge­nü­gend Zeit, um sich der Kon­se­quen­zen sei­nes Han­delns be­wusst zu wer­den.

Da­mit steht rechts­kräf­tig fest, dass der Be­trof­fe­ne im We­sent­li­chen we­gen ei­ner Un­ter­schrift vor­aus­sicht­lich für den Rest sei­nes Le­bens enor­me Schul­den ha­ben wird. Die von ihm ge­zahl­ten Ra­ten sind noch nicht ein­mal aus­rei­chend, um die an­fal­len­den Zin­sen ab­zu­de­cken.

Fa­zit: Der Fall macht deut­lich, wie wich­tig an­walt­li­che Be­ra­tung in Fäl­len ist, in de­nen sich ein Ar­beit­neh­mer ju­ris­tisch und fi­nan­zi­ell un­ter Druck ge­setzt sieht und ihm "ei­ne Un­ter­schrift" ab­ver­langt wird. Ar­beit­neh­mer soll­ten spä­tes­tens dann Ver­dacht schöp­fen, wenn ih­nen kei­ne Be­denk­zeit für ei­ne ex­ter­ne Be­ra­tung zu­ge­stan­den wird.

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Letzte Überarbeitung: 1. Juli 2019

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