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Reform der Leiharbeit 2017
30.11.2016. Manchmal müssen sich parlamentarische Mehrheitsfraktionen von der Opposition den Vorwurf anhören, sie hätten ein Gesetz allzu rasch "durchgepeitscht". Jedenfalls dieser Kritikpunkt wäre bei der Reform des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) nicht berechtigt.
Nachdem Arbeitsministerin Nahles im November 2015 der Öffentlichkeit erstmals einen Entwurf zur Reform der Leiharbeit präsentierte (wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell: 15/330 Gesetzentwurf zur Zeitarbeit 2015), gab es überwiegend Kritik und im Februar 2016 prompt eine nachgebesserte Fassung (wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell: 16/106 Gesetzliche Definition des Arbeitnehmerbegriffs und in Arbeitsrecht aktuell: 16/161 Gesetzentwurf zur Zeitarbeit 2016).
Dann passierte monatelang nichts, bis die Bundesregierung im Juli 2016 einen weiteren Gesetzentwurf vorlegte, der vom Bundestag am 21.10.2016 in dritter Lesung angenommen wurde. Da mittlerweile auch der Bundesrat sein OK gegeben hat, werden die Neuregelungen zum 01.04.2017 in Kraft treten: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze, Gesetzentwurf der Bundesregierung, vom 20.07.2016, BT-Drucks 18/9232.
Im folgenden finden Sie einen Überblick über die wesentlichen Gesetzesänderungen.
- Begrenzung der maximalen Überlassungsdauer auf 18 Monate
- Anspruch auf "equal pay" bzw. "equal treatment" nach neun Monaten im selben Einsatzbetrieb
- Verbot der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung
- Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers gegenüber einem Wechsel vom Verleiher zum Entleiher ("Festhaltenserklärung")
- Kein Einsatz von Leiharbeitnehmern in bestreikten Unternehmen
- Leiharbeitnehmer und betriebsverfassungsrechtliche Schwellenwerte
- Gesetzliche Definition des Arbeitnehmerbegriffs
- Fazit: Trotz vieler Gesetzesänderungen im Detail bleibt im Grundsatz alles beim alten
Begrenzung der maximalen Überlassungsdauer auf 18 Monate
Nach bisheriger Rechtslage darf der Einsatz von Leiharbeitnehmern beim Entleiher nur "vorübergehend" sein (§ 1 Abs.1 Satz 2 AÜG). Damit ist aber keine feste Grenze definiert. Durch die Neuregelung wird die maximale Dauer der Überlassung eines bestimmten Leiharbeitnehmers an einen Entleiher konkret auf 18 Monate festgelegt. Die Höchstüberlassungsdauer ist in § 1 Abs.1b Satz 1 und 2 AÜG neue Fassung (n.F.) enthalten. Diese Regelung lautet:
"Der Verleiher darf denselben Leiharbeitnehmer nicht länger als 18 aufeinander folgende Monate demselben Entleiher überlassen; der Entleiher darf denselben Leiharbeitnehmer nicht länger als 18 aufeinander folgende Monate tätig werden lassen. Der Zeitraum vorheriger Überlassungen durch denselben oder einen anderen Verleiher an denselben Entleiher ist vollständig anzurechnen, wenn zwischen den Einsätzen jeweils nicht mehr als drei Monate liegen."
Laut Gesetzesbegründung (S.20) orientiert sich die Grenze von 18 Monaten an Tarifverträgen der Zeitarbeitsbranche, die die Einsatzdauer bereits begrenzen und den Entleiher dazu verpflichten, Leiharbeitnehmern nach einer bestimmten Einsatzdauer einen Arbeitsvertrag anzubieten. Infolge der Höchstüberlassungsdauer von 18 Monaten sollen künftig weniger Stammarbeitnehmer durch Leiharbeitnehmer verdrängt werden.
Um Drehtür- bzw. Umgehungsstrategien zu vermeiden, wird eine Karenzzeit von über drei Monaten vorgeschrieben, während der der Leiharbeitnehmer nicht in demselben Einsatzbetrieb arbeiten darf. Als Einsatzzeiten und damit nicht als Karenzzeiten gelten (zurecht) auch solche Zeiten, während der der Leiharbeitnehmer (pro forma) bei einer anderen Zeitarbeitsfirma angestellt ist, aber weiter in demselben Entleiherbetrieb arbeitet. Wird die Karenzzeit von drei Monaten und einem Tag eingehalten, ist eine erneute 18monatige Beschäftigung des Leiharbeitnehmers in "seinem" alten Einsatzbetrieb wieder möglich.
Von der 18monatigen Höchstüberlassungsdauer kann in Tarifverträgen abgewichen werden, auch nach oben hin, und zwar unbegrenzt. Voraussetzung ist allerdings, dass diese Tarifverträge von den Tarifparteien der Entleiherbranche vereinbart werden. Soll daher z.B. in der Metallindustrie die Einsatzdauer von Leiharbeitnehmern in demselben Betrieb maximal 24 oder 36 Monate betragen, braucht es dazu einen Tarifvertrag, den die IG Metall abgeschlossen hat, d.h. ein Tarifvertrag der Leiharbeitsbranche genügt hier nicht. Diese Regelung ist in § 1 Abs.1b Satz 3 bis 6 AÜG n.F. enthalten und lautet:
"In einem Tarifvertrag von Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche kann eine von Satz 1 abweichende Überlassungshöchstdauer festgelegt werden. Im Geltungsbereich eines Tarifvertrages nach Satz 3 können abweichende tarifvertragliche Regelungen im Betrieb eines nicht tarifgebundenen Entleihers durch Betriebs- oder Dienstvereinbarung übernommen werden. In einer auf Grund eines Tarifvertrages von Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche getroffenen Betriebs- oder Dienstvereinbarung kann eine von Satz 1 abweichende Überlassungshöchstdauer festgelegt werden. Können auf Grund eines Tarifvertrages nach Satz 5 abweichende Regelungen in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung getroffen werden, kann auch in Betrieben eines nicht tarifgebundenen Entleihers bis zu einer Überlassungshöchstdauer von 24 Monaten davon Gebrauch gemacht werden, soweit nicht durch diesen Tarifvertrag eine von Satz 1 abweichende Überlassungshöchstdauer für Betriebs- oder Dienstvereinbarungen festgelegt ist."
Kritisch ist anzumerken, dass die Karenzzeit ursprünglich, d.h. im Gesetzentwurf vom 17.02.2016 (S.5), noch mehr als sechs Monate betragen hatte. Die auf die Hälfte verringerte Karenzzeit erhöht ist die Wahrscheinlichkeit legaler Umgehungen der 18monatigen Höchstüberlassungsdauer. Auswirkungen in diese Richtung wird auch die Übergangsregelung haben, die in § 19 Abs.2 AÜG n.F. enthalten ist. Danach werden Überlassungszeiten, die vor dem 01.01.2017 liegen, bei der Berechnung der Überlassungszeiten gemäß § 1 Abs.1b nicht mitgezählt.
Anspruch auf "equal pay" bzw. "equal treatment" nach neun Monaten im selben Einsatzbetrieb
Theoretisch haben Leiharbeitnehmer bereits nach geltendem Recht (§ 9 Nr.2 AÜG) einen Anspruch auf gleiche Bezahlung und Behandlung wie vergleichbare Stammkräfte des Einsatzbetriebs. Tarifverträge der "Leiharbeitsbranche" können aber von diesem Grundsatz abweichen. Immerhin gilt ein Mindestlohn von derzeit 9,00 EUR brutto in den alten und 8,50 EUR brutto in den neuen Bundesländern gemäß § 3a Abs.2 AÜG bzw. der auf dieser Grundlage erlassenen Lohnuntergrenzen-Verordnung für die Arbeitnehmerüberlassung.
Die gesetzlich erlaubte Schlechterstellung von Leiharbeitnehmern auf der Grundlage von Leiharbeitstarifverträgen ist derzeit unbefristet möglich. Hier ist künftig eine Höchstdauer von neun Monaten zu beachten. Sie ist in § 8 Abs.4 AÜG n.F. enthalten. Diese Regelung erlaubt im Regelfall eine Abweichung vom Gleichstellungsgrundsatz zulasten des Leiharbeitnehmers nur während der ersten neun Monate des Einsatzes in demselben Entleiherbetrieb.
Gilt für den Leiharbeitnehmer ein Tarifvertrag, der nach einer Einarbeitungszeit von höchstens sechs Wochen eine stufenweise Heranführung an den Tariflohn vergleichbarer Stammkräfte vorsieht, greift der Gleichstellungsgrundsatz erst nach 15 Monaten ein. Dabei spielt es keine Rolle, ob ein solcher Lohnanhebungs-Tarifvertrag aufgrund der Tarifbindung bzw. Gewerkschaftszugehörigkeit des Leiharbeitnehmers gilt oder aufgrund einer Bezugnahme im Arbeitsvertrag. Auch bei dieser Regelung lehnt sich das Gesetz an bestehende Tarifverträge über Branchenzuschläge an.
Ergänzend stellt § 8 Abs.4 Satz 4 AÜG n.F. klar, dass Unterbrechungen von Einsatzzeiten bei der Berechnung der Neun- bzw. 15-Monatsfrist keine Rolle spielen, wenn diese Unterbrechungen nur drei Monate oder weniger lang dauern. Ist der Leiharbeiter dagegen mehr als drei Monate nicht im selben Einsatzbetrieb, kann er erneut für neun Monate geringer als vergleichbare Stammkräfte entlohnt werden.
Wie bei der Höchstüberlassungsdauer gilt auch hier die Übergangsvorschrift des § 19 Abs.2 AÜG n.F., wonach Überlassungszeiten vor dem 01.01.2017 nicht zählen.
Man kann bezweifeln, dass die zeitliche Begrenzung der tarifvertraglichen Schlechterstellung von Leiharbeitnehmern auf neun bzw. 15 Monate die Bezahlung von Leiharbeitnehmern verbessern wird. Dagegen spricht, dass Entleiher und Zeitarbeitsfirmen ein gemeinsames Interesse daran haben, die Kosten der Leiharbeit gering zu halten. Je nachdem, wie groß der Abstand zwischen dem Lohn der Leiharbeitnehmer gemäß Leiharbeitstarif und dem (Tarif-)Lohn der Stammkräfte ist, lohn es sich für die beteiligten Arbeitgeber, Leiharbeitnehmer nach neun Monaten aus dem Einsatzbetrieb abzuziehen und anderswo einzusetzen.
Verbot der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung
Von verdeckter Arbeitnehmerüberlassung spricht man,
- wenn ein Arbeitgeber seine Mitarbeiter bei einem Kunden einsetzt, um dort angeblich "werkvertragliche" Arbeiten durchzuführen,
- wenn aber in Wahrheit nicht der Vertragsarbeitgeber, sondern dessen Kunde vor Ort das Weisungsrecht gegenüber den Arbeitnehmern ausübt, und
- wenn diese ebenso in die betriebliche Organisation des Kunden eingegliedert wie dessen eigene Arbeitnehmer.
Ein solcher Arbeitnehmereinsatz ist objektiv als Arbeitnehmerüberlassung zu bewerten und sollte eigentlich zur Folge haben, dass die als Leiharbeiter eingesetzten Mitarbeiter entsprechend dem Gleichstellungsgrundsatz bezahlt werden (§ 9 Nr.2 1.Halbsatz AÜG) oder zumindest den Leiharbeitsmindestlohn gemäß § 3a Abs.2 AÜG in Verbindung mit der Lohnuntergrenzen-Verordnung für die Arbeitnehmerüberlassung erhalten. Tatsächlich werden sie aber meist schlechter bezahlt, da das Vorliegen einer gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung hinter Scheinwerkverträgen verborgen wird.
In solchen Fällen haben gewiefte Verleiher oft eine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung in der Schublade, um sie notfalls vorzuweisen, falls gegen sie wegen illegaler Arbeitnehmerüberlassung ermittelt wird und/oder die Arbeitnehmer gegen den Entleiher vorgehen. Denn ohne Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung sind die Arbeitsverträge zwischen Zeitarbeitsfirma und Leiharbeitnehmer unwirksam (§ 9 Nr.1 AÜG) und es besteht ein Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer (§ 10 Abs.1 Satz 1 AÜG). Und wie das Bundesarbeitsgericht (BAG) erst vor kurzem entschieden hat (Urteil vom 12.07.2016, 9 AZR 352/15), kommt bei Scheinwerkverträgen kein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher zustande, wenn der Verleiher eine Vorratserlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung hat (wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell: 16/224 Werkvertrag und Arbeitnehmerüberlassung).
An dieser Stelle setzt § 1 Abs.1 Satz 5 und 6 AÜG n.F. ein. Diese Regelung lautet:
"Verleiher und Entleiher haben die Überlassung von Leiharbeitnehmern in ihrem Vertrag ausdrücklich als Arbeitnehmerüberlassung zu bezeichnen, bevor sie den Leiharbeitnehmer überlassen oder tätig werden lassen. Vor der Überlassung haben sie die Person des Leiharbeitnehmers unter Bezugnahme auf diesen Vertrag zu konkretisieren."
Verstößt der Entleiher gegen diese Pflichten, ist der Arbeitsvertrag mit seinem Mitarbeiter gemäß § 9 Abs.1 Nr.1a AÜG n.F. unwirksam, was wiederum zur Folge hat, dass gemäß § 10 Abs.1 Satz 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer besteht.
Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers gegenüber einem Wechsel vom Verleiher zum Entleiher ("Festhaltenserklärung")
Nach dem reformierten AÜG tritt öfter als bisher der Fall ein, dass der Arbeitsvertrag zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer unwirksam ist, insbesondere wegen Überschreitens der Höchstüberlassungsdauer von neun bzw. maximal 15 Monaten oder weil gegen das Verbot der verdeckten Leiharbeit verstoßen wird (§ 9 Abs.1 Nr.1a und Nr.1b AÜG n.F.). Die Neufassung sieht daher vor, dass der betroffene Arbeitnehmer entgegen dieser gesetzlichen Regel-Rechtsfolge an dem Arbeitsvertrag mit seinem bisherigen Arbeitgeber (dem Verleiher) festhalten kann.
Dieses Wahlrecht schützt die Berufsfreiheit (Art.12 Grundgesetz - GG) des Leiharbeitnehmers, der letztlich selbst entscheiden sollte, bei welchem der beiden Arbeitgeber er besser aufgehoben ist.
§ 9 Abs.1 Nr.1, Nr.1a und Nr.1b, Abs.2 AÜG n.F. enthalten ziemlich komplizierte Regeln über die Ausübung dieses Widerspruchs- bzw. Wahlrechts. Die "Festhaltenserklärung" muss schriftlich gegenüber dem einen oder anderen Arbeitgeber erklärt werden, und zwar frühestens mit Beginn des Arbeitseinsatzes beim Entleiher und spätestens einen Monat später. Außerdem muss der Arbeitnehmer persönlich bei der Arbeitsagentur vorsprechen, um sich seine Festhaltenserklärung vor Abgabe bei dem einen oder anderen Arbeitgeber abstempeln zu lassen. Nach Erhalt des Stempels muss die Festhaltenserklärung dann aber extrem schnell (binnen drei Tagen!) dem Ver- oder Entleiher zugehen.
Auch wenn man in Rechnung stellt, dass die gegen das AÜG verstoßenden Entleiher Leiharbeitnehmer unter Druck setzen werden, um solche Festhaltenserklärungen zu bekommen: Mit diesem bürokratischen Hürdenlauf ist niemandem gedient. Ein effektiver Schutz der Berufsfreiheit des Leiharbeitnehmers müsste anders geregelt werden.
Kein Einsatz von Leiharbeitnehmern in bestreikten Unternehmen
§ 11 Abs.5 AÜG in seiner bislang geltenden Fassung stellt klar, dass Leiharbeitnehmer nicht dazu verpflichtet sind, bei einem bestreikten Entleiher tätig zur sein.
Allerdings verbietet es diese Regelung Entleihern nicht, die bei ihnen arbeitenden Leiharbeitnehmer freundlich darum zu bitten, Streikbrucharbeit zu leisten. Es hängt also vom einzelnen Leiharbeitnehmer ab, sich einer solchen "Bitte" zu widersetzen und sich auf sein gesetzliches Recht zu berufen, Streikbrucheinsatz zu verweigern.
Diese Regelung wurde zugunsten der Leiharbeitnehmer verbessert und verbietet jetzt den Entleihern ausdrücklich, Leiharbeitnehmer zur Streikbrucharbeit heranzuziehen. § 11 Abs.5 AÜG n.F. lautet:
"Der Entleiher darf Leiharbeitnehmer nicht tätig werden lassen, wenn sein Betrieb unmittelbar durch einen Arbeitskampf betroffen ist. Satz 1 gilt nicht, wenn der Entleiher sicherstellt, dass Leiharbeitnehmer keine Tätigkeiten übernehmen, die bisher von Arbeitnehmern erledigt wurden, die
- sich im Arbeitskampf befinden oder
- ihrerseits Tätigkeiten von Arbeitnehmern, die sich im Arbeitskampf befinden, übernommen haben.
Der Leiharbeitnehmer ist nicht verpflichtet, bei einem Entleiher tätig zu sein, soweit dieser durch einen Arbeitskampf unmittelbar betroffen ist. In den Fällen eines Arbeitskampfes hat der Verleiher den Leiharbeitnehmer auf das Recht, die Arbeitsleistung zu verweigern, hinzuweisen."
Leiharbeitnehmer und betriebsverfassungsrechtliche Schwellenwerte
Die Mitarbeit von Leiharbeitnehmern ist in den Gesetzen zur Betriebs- und Unternehmensmitbestimmung bisher nur unzureichend geregelt. § 7 Satz 2 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) stellt klar, dass Leiharbeitnehmer im Entleiherbetrieb wählen dürfen, d.h. das aktive Wahlrecht haben, wenn sie dort länger als drei Monate eingesetzt wurden. § 14 Abs.2 Satz 1 AÜG schließt es allerdings aus, dass Leiharbeitnehmer dort in den Betriebsrat gewählt werden.
Gesetzliche Schwellenwerte legen fest, wie viele Arbeitnehmer beschäftigt oder von einer Maßnahme betroffen sein müssen, damit bestimmte Gesetzesvorschriften anzuwenden sind. In den vergangenen Jahren hatte das BAG immer wieder zu entscheiden, ob Leiharbeitnehmer bei betriebsverfassungsrechtlichen Schwellenwerten mitberücksichtigt werden müssen oder nicht. Diese Entscheidungen fielen praktisch immer zugunsten einer Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern aus (wir berichteten: Arbeitsrecht aktuell 11/204 Interessenausgleich und Sozialplan: Leiharbeitnehmer zählen mit; Arbeitsrecht aktuell: 13/214 Sozialauswahl bei der Kündigung von Leiharbeitnehmern, Arbeitsrecht aktuell: 15/321 Aufsichtsratswahl und Leiharbeit).
Durch § 14 Abs.2 Satz 4 bis 6 AÜG n.F. wird diese Rechtsprechung bestätigt und zugunsten der Leiharbeitnehmer ergänzt.
Gesetzliche Definition des Arbeitnehmerbegriffs
Schließlich wird in das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) ein neuer § 611a eingefügt, der eine Definition des Arbeitnehmerbegriffs enthält (wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell: 16/106 Gesetzliche Definition des Arbeitnehmerbegriffs). Diese Vorschrift mit der Überschrift "Arbeitnehmer" lautet:
"Arbeitnehmer ist, wer auf Grund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit betreffen. Arbeitnehmer ist derjenige Mitarbeiter, der nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann; der Grad der persönlichen Abhängigkeit hängt dabei auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab. Für die Feststellung der Arbeitnehmereigenschaft ist eine Gesamtbetrachtung aller Umstände vorzunehmen. Zeigt die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses, dass es sich um ein Arbeitsverhältnis handelt, kommt es auf die Bezeichnung im Vertrag nicht an."
In der Gesetzesbegründung wird zutreffend darauf hingewiesen, dass dieser "neue" Paragraph die seit Jahren anerkannten Grundsätze des BAG-Rechtsprechung zum Arbeitnehmerbegriff wörtlich wiedergibt (Gesetzentwurf vom 20.07.2016, S.31). Eine Änderung der Rechtslage ist damit also nicht verbunden.
Trotzdem verspricht man sich laut Gesetzesbegründung, dass mit diesem Paragraphen "missbräuchliche Gestaltungen des Fremdpersonaleinsatzes durch vermeintlich selbstständige Tätigkeiten verhindert und die Rechtssicherheit der Verträge erhöht werden" kann (Gesetzentwurf vom 20.07.2016, S.31). Hier wird offenbar Symbolpolitik betrieben.
Fazit: Trotz vieler Gesetzesänderungen im Detail bleibt im Grundsatz alles beim alten
Wer von der großen Koalition eine grundlegende Reform der Arbeitnehmerüberlassung zugunsten der knapp eine Million Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer in Deutschland erwartet hatte, wird durch das Gesetz zur Änderung des AÜG enttäuscht sein. Eine solche Erwartung wäre aber auch unrealistisch.
Letztlich ist das Reformgesetz ein politischer Kompromiss zwischen dem Wirtschaftsflügel der CDU und dem Arbeitnehmerflügel der SPD. Daher wird die Reform wohl kaum dazu führen, dass sich die Anzahl der Leiharbeitnehmer verringert oder ihre Vergütung steigt. Andererseits stellt das reformierte Gesetz immerhin klar, dass Scheinwerkverträge politisch unerwünscht und daher gesetzlich verboten sind. Das ist ein Ansatzpunkt für einen weiteren Ausbau der Rechtsprechung zu diesen Fragen.
Nähere Informationen finden Sie hier:
- Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze, Gesetzentwurf der Bundesregierung, vom 20.07.2016, BT-Drucks 18/9232
- Beschlussempfehlung und Bericht des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales, vom 19.10.2016, BT Drucks.18/10064
- Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze, vom 17.02.2016
- Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze, vom 16.11.2015
- Koalitionsvertrag der SPD, CDU und CSU "Deutschlands Zukunft gestalten" vom 27.11.2013
- Interessenverband deutscher Zeitarbeitsunternehmen e.V., Kurzstellungnahme zum "Diskussionsentwurf " des BMAS zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes, vom 17.11.2015
- IG Metall zoom: Stellungnahme der IG Metall vom 18.11.2015 zum AÜG-Gesetzentwurf
- Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes, Gesetzentwurf der Bundesregierung, vom 17.02.2011, BT-Drucks. 17/4804
- Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 12.07.2016, 9 AZR 352/15
- Handbuch Arbeitsrecht: Arbeitnehmer
- Handbuch Arbeitsrecht: Arbeitnehmerüberlassung (Leiharbeit, Zeitarbeit)
- Handbuch Arbeitsrecht: Scheinselbständigkeit
- Handbuch Arbeitsrecht: Weisungsrecht
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- Arbeitsrecht aktuell: 16/224 Werkvertrag und Arbeitnehmerüberlassung
- Arbeitsrecht aktuell: 16/161 Gesetzentwurf zur Zeitarbeit 2016
- Arbeitsrecht aktuell: 16/106 Gesetzliche Definition des Arbeitnehmerbegriffs
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Letzte Überarbeitung: 13. November 2020
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