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BAG, Ur­teil vom 13.02.2020, 6 AZR 146/19

   
Schlagworte: Massenentlassung, Arbeitsagentur, Betriebsschließung, Betriebsstillegung, Kündigung: Betriebsbedingt
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 6 AZR 146/19
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 13.02.2020
   
Leitsätze:

1. Der Betriebsbegriff des Massenentlassungsrechts ist ein unionsrechtlicher Begriff. Er ist in der Unionsrechtsordnung autonom, einheitlich und losgelöst vom nationalen Begriffsverständnis auszulegen. Die Betriebsbegriffe des KSchG oder des BetrVG sind in diesem Zusammenhang nicht maßgeblich.

2. Das Konsultationsverfahren ist vom Arbeitgeber mit der nach nationalem Recht zuständigen Arbeitnehmervertretung durchzuführen. Die auf der Grundlage des unionsrechtlichen Betriebsbegriffs zu beantwortende Frage, ob der Arbeitgeber eine Massenentlassung beabsichtigt, ist von der nach nationalem Recht zu beantwortenden Frage, welche Arbeitnehmervertretung er dabei zu konsultieren hat, strikt zu trennen.

3. Die Massenentlassungsanzeige ist bei der für den Betriebssitz örtlich zuständigen Agentur für Arbeit zu erstatten. Geht die Anzeige dort vor Zugang der Kündigung nicht ein, ist die Massenentlassungsanzeige fehlerhaft und die auf sie bezogene Kündigung unwirksam. Das Gleiche gilt, sofern die Anzeige infolge der Verkennung des Betriebsbegriffs objektiv unrichtige „Muss-Angaben“ enthält.

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 20.04.2018, 4 Ca 6911/17,
Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 08.01.2019, 3 Sa 338/18
   

BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT

6 AZR 146/19
3 Sa 338/18
Lan­des­ar­beits­ge­richt
Düssel­dorf

 

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am
13. Fe­bru­ar 2020

UR­TEIL

Schu­chardt, Ur­kunds­be­am­tin
der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

 

Kläger, Be­ru­fungskläger und Re­vi­si­onskläger,

 

pp.

 

Be­klag­ter, Be­ru­fungs­be­klag­ter und Re­vi­si­ons­be­klag­ter,

 

hat der Sechs­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 13. Fe­bru­ar 2020 durch die Vor­sit­zen­de Rich­te­rin am Bun­des­ar­beits­ge­richt Spel­ge, die Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Krum­bie­gel und Dr. Hein­kel so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Klap­proth und St­ein­brück für Recht er­kannt:


 

- 2 -

I.  Auf die Re­vi­si­on des Klägers wird das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Düssel­dorf vom 8. Ja­nu­ar 2019 - 3 Sa 338/18 - im Kos­ten­punkt und in­so­weit auf­ge­ho­ben, als es die Be­ru­fung des Klägers ge­gen die Ab­wei­sung der Kündi­gungs­schutz­kla­ge zurück­ge­wie­sen hat.
II. Auf die Be­ru­fung des Klägers wird das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Düssel­dorf vom 20. April 2018 - 4 Ca 6911/17 - im Kos­ten­punkt und in­so­weit ab­geändert, als es die Kündi­gungs­schutz­kla­ge ab­ge­wie­sen hat. Es wird ins­ge­samt klar­stel­lend wie folgt neu ge­fasst:
  1. Es wird fest­ge­stellt, dass das Ar­beits­verhält­nis durch die Kündi­gung der Air Ber­lin PLC & Co. Luft­ver­kehrs KG vom 28. No­vem­ber 2017 nicht auf­gelöst wor­den ist.
  2. Im Übri­gen wird die Kla­ge ab­ge­wie­sen.
III. Der Kläger trägt die Kos­ten der ers­ten und zwei­ten In­stanz zu 1/10, der Be­klag­te zu 9/10. Die Kos­ten des Re­vi­si­ons­ver­fah­rens trägt der Be­klag­te.

 

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

 

Die Par­tei­en strei­ten über die Wirk­sam­keit ei­ner or­dent­li­chen be­triebs­be­ding­ten Kündi­gung.

1

Der Kläger war seit dem 1. Ja­nu­ar 1988 bei der LTU Luft­trans­port-Un­ter­neh­men GmbH & Co. KG als Ver­kehrs­flug­zeugführer beschäftigt. In dem maßgeb­li­chen Ar­beits­ver­trag vom 12. Ju­li 1995 war in § 3 als Ein­satz­ort Düs­sel­dorf ver­ein­bart so­wie die Ver­pflich­tung des Klägers ent­hal­ten, sei­nen Wohn­sitz so zu wählen, dass er bei nor­ma­ler Ver­kehrs­la­ge in­ner­halb von 60 Mi­nu­ten nach Ab­ruf den Dienst in Düssel­dorf an­tre­ten kann.

2

Das Ar­beits­verhält­nis ging im Jahr 2011 auf die Air Ber­lin PLC & Co. Luft­ver­kehrs KG (Schuld­ne­rin) mit Sitz in Ber­lin über. Die­se be­dien­te im Li­ni­en-

 

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flug­ver­kehr Zie­le in Eu­ro­pa, Nord­afri­ka, Is­ra­el so­wie in Nord- und Mit­tel­ame­ri­ka. Hierfür un­ter­hielt sie Sta­tio­nen an den Flughäfen Ber­lin-Te­gel, Düssel­dorf, München, Frank­furt am Main, Stutt­gart, Ham­burg, Köln, Pa­der­born, Nürn­berg und Leip­zig. Am sog. Sta­tio­nie­rungs­ort (ho­me ba­se bzw. Hei­mat­ba­sis) tritt das flie­gen­de Per­so­nal sei­nen Dienst an und be­en­det ihn. Die Lang­stre­cken­flüge wur­den in ers­ter Li­nie von den Dreh­kreu­zen in Ber­lin-Te­gel und Düssel­dorf aus durch­geführt. So­weit Cock­pit­per­so­nal auf Flügen von an­de­ren Flughäfen als dem ver­ein­bar­ten Dienst­ort ein­ge­setzt wur­de, er­folg­te dies in Form des sog. pro­cee­ding. Das Per­so­nal fand sich da­bei zunächst am Dienst­ort ein und wur­de von dort zum Ein­satz­flug­ha­fen ge­bracht.

3

In Ber­lin war der Lei­ter des Flug­be­triebs („Head of Flight Ope­ra­ti­ons“) ansässig. Die­sem ob­lag die Lei­tung und Führung des Cock­pit­per­so­nals im ope­ra­ti­ven Geschäft. Er war für die Durch­set­zung, Kon­trol­le und Ein­hal­tung der Be­triebs­re­geln und Ar­beits­an­wei­sun­gen im Be­reich Cock­pit, die Re­kru­tie­rung und Neu­ein­stel­lung so­wie die Per­so­nal­pla­nung des ge­sam­ten flie­gen­den Per­so­nals zuständig. Ihm je­den­falls teil­wei­se un­ter­stellt war die Po­si­ti­on „Head of Crew Ope­ra­ti­ons“. De­ren In­ha­be­rin ob­lag das ge­sam­te Stra­te­gie- und Pro­zess­ma­nage­ment, die Ein­satz- und Be­reit­stel­lungs­pla­nung der Crews, der Crew-Ver­kehr zwi­schen den ein­zel­nen Sta­tio­nen und die Crew-Ka­pa­zitäts­pla­nung. Die Um­lauf- und Dienst­pla­nung er­folg­te für den ge­sam­ten Flug­be­trieb zen­tral von Ber­lin aus.

4

Das in eng­li­scher Spra­che ver­fass­te Be­triebs­hand­buch („Ope­ra­ti­ons Ma­nu­al Part A“, im Fol­gen­den OM/A), wel­ches die Or­ga­ni­sa­ti­ons­struk­tur des Flug­be­triebs ab­bil­de­te, sah bezüglich des Cock­pit­per­so­nals die Funk­ti­on des „Area Ma­na­ger Cock­pit“ vor. Hier­bei han­del­te es sich um Pi­lo­ten, die im re­gulä­ren Flug­be­trieb ein­ge­setzt wa­ren und da­ne­ben ad­mi­nis­tra­ti­ve Auf­ga­ben wahr­nah­men. Ins­ge­samt gab es vier Area Ma­na­ger, die je­weils für meh­re­re Sta­tio­nen zuständig und dem Flot­ten­ma­nage­ment un­ter­stellt wa­ren. Das OM/A ent­hielt mit Stand 28. De­zem­ber 2016 in der vom Se­nat in der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 13. Fe­bru­ar 2020 mit Ein­verständ­nis der Par­tei­en bei­ge­zo­ge­nen deut­schen Über­set­zung un­ter Ziff. 1.3.2.2.1 fol­gen­de Auf­ga­ben­be­schrei­bung:

 

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Zuständig­kei­ten und Po­si­ti­on

Der Area Ma­na­ger Cock­pit ist für al­le or­ga­ni­sa­to­ri­schen und ad­mi­nis­tra­ti­ven An­ge­le­gen­hei­ten für die Außen­sta­tio­nen zuständig, für die er ver­ant­wort­lich ist.

Er ist in die­sen An­ge­le­gen­hei­ten der Vor­ge­setz­te für das zu­ge­wie­se­ne Per­so­nal. Er wird vom NPFO (Flug­be­triebs­lei­ter, Anm. des Se­nats) er­nannt und be­rich­tet an das Air­bus-Flot­ten­ma­nage­ment. Während der Ab­we­sen­heit ei­nes Area Ma­na­gers han­deln die wei­te­ren Area Ma­na­ger stell­ver­tre­tend für ihn.

Auf­ga­ben und Ver­ant­wor­tungs­be­rei­che

  • Lei­tung des Flug­per­so­nals an der Sta­ti­on
  • Mo­ti­va­ti­on und persönli­che Ent­wick­lung des Cock­pit-Per­so­nals
  • In­ter­views/Auf­sicht/Ver­war­nun­gen, wie vom Flot­ten­ma­nage­ment an­ge­wie­sen
  • Er­stel­lung von Sta­ti­ons­be­rich­ten für das Flot­ten­ma­nage­ment
  • Er­ken­nung und Lösung von Pro­ble­men zur Si­cher­stel­lung ein­heit­li­cher Pro­zes­se
  • Er­tei­lung not­wen­di­ger An­wei­sun­gen im Rah­men der Führungs­auf­ga­ben
  • Be­kannt­ga­be von Re­ge­lun­gen
  • De­es­ka­la­ti­on von Kon­flikt­si­tua­tio­nen in­ner­halb des Cock­pit­per­so­nals und zwi­schen Cock­pit- und Ka­bi­nen­per­so­nal in en­ger Ab­stim­mung mit der für das Ka­bi­nen­per­so­nal zuständi­gen Ab­tei­lung
  • Bei­trag zur Be­ur­tei­lung des Flug­per­so­nals
  • Per­so­nal­gespräche gemäß An­wei­sung durch das Flot­ten­ma­nage­ment
  • Teil­nah­me an Sta­ti­ons­sit­zun­gen
  • Or­ga­ni­sa­ti­on und Er­stel­lung der Ta­ges­ord­nung der Sta­ti­ons­sit­zun­gen
  • Ver­wal­tung von Be­rich­ten über Ver­bes­se­run­gen
  • Si­cher­stel­lung der Cor­po­ra­te lden­ti­ty an den Sta­tio­nen
  • Er/sie ist ein an­sprech­ba­res, sicht­ba­res Rol­len­vor­bild für das Cock­pit­per­so­nal und re­präsen­tiert auf po­si­ti­ve Art die Ab­tei­lung Flug­be­trieb

 

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...“

5

Der Lei­tung des Ka­bi­nen­per­so­nals („PX-OK Ca­bin Crew“) wa­ren ua. zwei Re­gio­nal Ma­na­ger un­ter­stellt. Das OM/A be­schreibt in der vom Se­nat bei­ge­zo­ge­nen be­glau­big­ten deut­schen Über­set­zung un­ter Ziff. 1.1.4.4 die Auf­ga­ben des für die Sta­ti­on Düssel­dorf zuständi­gen Re­gio­nal Ma­na­ger West wie folgt:

„...

Er/sie nimmt an den Flug­be­triebs­sit­zun­gen teil und führt in Ab­spra­che mit der Lei­tung Ka­bi­nen­per­so­nal Pro­jek­te durch. Er/sie ist täglich mit den Ge­werk­schaf­ten und Be­triebsräten in Kon­takt.

Auf­ga­ben und Ver­ant­wor­tungs­be­rei­che

  • Auf­sicht über al­le Ak­ti­vitäten im Be­reich der Pas­sa­gier­be­treu­ung zur Er­zie­lung ei­nes op­ti­ma­len pro­fes­sio­nel­len, si­che­ren und freund­li­chen Ser­vices für die Pas­sa­gie­re
  • Über­wa­chung der Ein­hal­tung al­ler in­ter­nen Richt­li­nien durch das Ka­bi­nen­per­so­nal (z.B. Com­p­li­an­ce, Da­ten­schutz, in­ter­ne Vor­ga­ben)
  • Aus­tausch von In­for­ma­tio­nen in al­len si­cher­heits­re­le­van­ten und Dienst­leis­tungs­an­ge­le­gen­hei­ten so­wie in persönli­chen An­ge­le­gen­hei­ten mit den Re­gio­nal Ma­na­gern und der Lei­tung für das Ka­bi­nen­per­so­nal
  • Durchführung von Sta­ti­ons­sit­zun­gen an den ent­sp­re­chen­den Sta­tio­nen
  • Um­set­zung von Feed­back, Lob, persönli­chem Aus­tausch usw. in be­son­de­ren Fällen für al­le Mit­glie­der des Ka­bi­nen­per­so­nals an den ent­spre­chen­den Sta­ti­onen
  • Er/Sie ist Mit­glied des Health Ma­nage­ment Team (BEM).
  • Über­wa­chung der Ein­hal­tung al­ler Dienst­pläne an den ent­spre­chen­den Sta­tio­nen. Vor­ga­be von Richt­li­nien und Spe­zi­fi­ka­tio­nen für die Ka­bi­nen­per­so­nal­p­la-nung, den Ein­satz­plan und Crew­kon­takt.
  • Re­gelmäßige Be­set­zung der Hot­line für das Ka­bi­nen­per­so­nal (24/7) als dienst­ha­ben­der Ma­na­ger
  • Per­so­nal­be­schaf­fung für al­le Po­si­tio­nen im Be­reich Ka­bi­nen­per­so­nal

 

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6

Die Schuld­ne­rin beschäftig­te mit Stand Au­gust 2017 mehr als 6.000 Ar­beit­neh­mer, da­von 1.318 Cock­pit­mit­ar­bei­ter, 3.362 Beschäftig­te in der Ka­bi­ne und 1.441 Mit­ar­bei­ter am Bo­den. Für das Cock­pit­per­so­nal war gemäß § 117 Abs. 2 Be­trVG durch Ab­schluss des „Ta­rif­ver­trags Per­so­nal­ver­tre­tung (TVPV) für das Cock­pit­per­so­nal der Air Ber­lin PLC & Co. Luft­ver­kehrs KG“ (im Fol­gen­den TVPV) ei­ne Per­so­nal­ver­tre­tung (PV Cock­pit) ge­bil­det. Für das Ka­bi­nen­per­so­nal wur­de durch den „Ta­rif­ver­trag Per­so­nal­ver­tre­tung (TVPV) für das Ka­bi­nen­per­so­nal der Air Ber­lin PLC & Co. Luft­ver­kehrs KG“ die Per­so­nal­vert­re­tung Ka­bi­ne (PV Ka­bi­ne) er­rich­tet. Bei­de Gre­mi­en hat­ten ih­ren Sitz in Ber­lin. Das Bo­den­per­so­nal ver­tra­ten die re­gio­nal zuständi­gen Be­triebsräte (Bo­den Nord, West und Süd) und der Ge­samt­be­triebs­rat.

7

Am 15. Au­gust 2017 be­an­trag­te die Schuld­ne­rin beim zuständi­gen In­sol­venz­ge­richt die Eröff­nung des In­sol­venz­ver­fah­rens über ihr Vermögen bei Ei­gen­ver­wal­tung. Das Ge­richt ord­ne­te zunächst die vorläufi­ge Ei­gen­ver­wal­tung an und be­stell­te den Be­klag­ten am 16. Au­gust 2017 zum vorläufi­gen Sach­wal­ter. Da­nach lei­te­te die Schuld­ne­rin ei­ne In­ves­to­ren­su­che ein, die ei­ne Fortfüh­rung des Geschäfts­be­triebs im Rah­men ei­ner über­tra­gen­den Sa­nie­rung ermög­li­chen soll­te. Nach Ab­lauf der An­ge­bots­frist am 15. Sep­tem­ber 2017 lag kein an­nah­mefähi­ges An­ge­bot vor. Dar­auf­hin wur­de be­schlos­sen, wei­te­re Ver­hand­lun­gen mit der Luft­han­sa-Grup­pe und der bri­ti­schen Flug­ge­sell­schaft ea­sy­Jet Air­line Com­pa­ny Li­mi­ted (ea­sy­Jet) zu führen.

8

Am 12. Ok­to­ber 2017 un­ter­zeich­ne­ten der Exe­cu­ti­ve Di­rec­tor der per­sönlich haf­ten­den Ge­sell­schaf­te­rin der Schuld­ne­rin, der Ge­ne­ral­be­vollmäch­tig­te der Schuld­ne­rin und der Be­klag­te für die Schuld­ne­rin ei­ne Erklärung. Die­se lau­te­te aus­zugs­wei­se wie folgt:

„Erklärung der Air Ber­lin PLC & Co. Luft­ver­kehrs KG

... Es ist be­ab­sich­tigt, die Eröff­nung des In­sol­venz­ver­fah-rens am 26. Ok­to­ber 2017 beim In­sol­venz­ge­richt an­zu­re­gen.

I. Die Li­qui­ditäts- und Fortführungs­pla­nung hat er­ge­ben, dass ei­ne Fortführung des Geschäfts­be­triebs

 

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im Rah­men des eröff­ne­ten In­sol­venz­ver­fah­rens nicht möglich ist. Vor die­sem Hin­ter­grund ha­ben die Geschäftsführung, der Ge­ne­ral­be­vollmäch­tig­te, das Ma­nage­ment Board so­wie die Board of Di­rec­tors der Air Ber­lin PLC die Ent­schei­dung ge­trof­fen, die er­for­der­li­che Be­triebsände­rung (Still­le­gung) - vor­be­halt­lich der Zu­stim­mung des Gläubi­ger­aus­schus­ses und un­ter Wah­rung der Be­tei­li­gungs­rech­te des Wirt­schafts­aus­schus­ses so­wie des Be­triebs­ra­tes/ Ge­samt­be­triebs­rats bzw. der Per­so­nal­ver­tre­tun­gen - durch­zuführen.

...

II. Die Un­ter­zeich­ner die­ses Be­schlus­ses stim­men da­her dar­in übe­rein, dass be­ab­sich­tigt ist, den Ge­schäfts­be­trieb der Air Ber­lin Flüge ein­zu­stel­len. Die Ein­stel­lung und Still­le­gung des Geschäfts­be­triebs der Air Ber­lin PLC & Co. Luft­ver­kehrs KG soll wie folgt um­ge­setzt wer­den:
1. Be­en­di­gung der Flug­zeug-Lea­sing­verträge der Air Ber­lin PLC & Co. Luft­ver­kehrs KG als Lea­sing­neh-mer durch Kündi­gung bzw. Ab­schluss von Auf­he­bungs­verträgen und Rück­ga­be der Flug­zeu­ge suk­zes­si­ve bis zum 31.01.2018.
2. Ein­stel­lung des ope­ra­ti­ven Geschäfts­be­triebs der Air Ber­lin PLC & Co. Luft­ver­kehrs KG. Da­bei wird mit Ab­lauf des 28. Ok­to­ber 2017 der ope­ra­ti­ve Flug­ver­kehr im Na­men und auf Rech­nung der Air Ber­lin PLC & Co. Luft­ver­kehrs KG ein­ge­stellt. ...
3. Er­brin­gung der Dienst­leis­tun­gen ge­genüber Eu­ro-wings im Rah­men des sog. ‚Wet Lea­se‘ für den Zeit­raum bis ma­xi­mal zum 31. Ja­nu­ar 2018. Dies be­trifft 13 Flug­zeu­ge.
4.a) Der­zeit verfügen 6.054 Ar­beit­neh­mer/-in­nen über ein Ar­beits­verhält­nis und 8 Aus­zu­bil­den­de (nach­fol­gend Ar­beit­neh­mer) über ein Aus­bil­dungs­verhält­nis mit der Air Ber­lin PLC & Co. Luft­ver­kehrs KG. Die Air Ber­lin PLC & Co. Luft­ver­kehrs KG be­ab­sich­tigt, sämt­li­che Ar­beits­verhält­nis­se ... nach Durchführung der In­ter­es­sen­aus­gleichs- so­wie Mas­sen­ent­las-sungs­an­zei­ge­ver­hand­lun­gen (§ 17 KSchG) und nach Durchführung der Anhörungs­ver­fah­ren mit den Mit­be­stim­mungs­gre­mi­en (Be­triebsräte/Per­so­nal­ver-tre­tun­gen) zu kündi­gen. Die Air Ber­lin PLC & Co. Luft­ver­kehrs KG wird - so­weit er­for­der­lich - ei­ne Zu­stim­mung für Ar­beit­neh­mer mit et­wai­gem Son­derkündi­gungs­schutz (z. B. SGB IX, BEEG,

 

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  MuSchG) be­an­tra­gen und auch die­se Ar­beits­ver­hält­nis­se zeit­nah kündi­gen. Es wer­den auch So­zi­al-plan­ver­hand­lun­gen geführt wer­den. 
 
7. Die Ge­samt­ab­wick­lung des Geschäfts­be­triebs der Air Ber­lin PLC & Co. Luft­ver­kehrs KG soll nach der­zei­ti­ger Pla­nung zum 31. Ja­nu­ar 2018 ab­ge­sch­los­sen sein, so dass im An­schluss dar­an die Still­le­gung er­folgt.“

9

Mit wei­te­rem Schrei­ben vom 12. Ok­to­ber 2017 wand­te sich die Schuld­ne­rin an die PV Cock­pit. Das Schrei­ben ent­spricht in­halt­lich der vor­ste­hend wie­der­ge­ge­be­nen Erklärung vom sel­ben Tag. Es sei be­ab­sich­tigt, die durch die Be­triebs­still­le­gung be­ding­ten Kündi­gun­gen nach Eröff­nung des In­sol­venz­ver-fah­rens im Lau­fe des Mo­nats Ok­to­ber 2017, vor­aus­sicht­lich ab 26. Ok­to­ber 2017, un­ter Wah­rung der ge­ge­be­nen­falls durch § 113 In­sO be­grenz­ten Kündi­gungs­frist zu erklären. We­gen der Be­en­di­gung al­ler Ar­beits­verhält­nis­se sei ei­ne So­zi­al­aus­wahl nicht er­for­der­lich. Da es sich um ei­ne an­zei­ge­pflich­ti­ge Mas­sen­ent­las­sung iSd. § 17 Abs. 1 KSchG hand­le, wer­de das Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­ren hier­mit „ergänzend zu un­se­ren persönli­chen Erörte­run­gen“ gemäß § 17 Abs. 2 KSchG ein­ge­lei­tet.

10

In ei­ner an die Geschäftsführung der Agen­tur für Ar­beit Ber­lin Nord ge­rich­te­ten E-Mail vom 13. Ok­to­ber 2017 stell­te die Schuld­ne­rin fol­gen­de An­fra­ge:

„Wir be­ab­sich­ti­gen nächs­te Wo­che ei­ne Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge für das ge­sam­te Per­so­nal der Air Ber­lin PLC & Co. Luft­ver­kehrs KG zu stel­len. Wie be­spro­chen, bit­te ich um Mit­tei­lung, an wel­che Agen­tur für Ar­beit wir die Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge rich­ten müssen. Fol­gen­des da­her zum Hin­ter­grund:

Die Air Ber­lin PLC & Co. Luft­ver­kehrs KG hat ih­ren Sitz in Ber­lin, ...

Wir ha­ben drei Mit­ar­bei­ter­grup­pen: das Bo­den­per­so­nal, das Cock­pit­per­so­nal und das Ka­bi­nen­per­so­nal. Al­len Mit­ar­bei­ter­grup­pen soll die be­triebs­be­ding­te Be­en­di­gungs­kündi­gung aus­ge­spro­chen wer­den.

Für das Bo­den­per­so­nal ha­ben wir ei­nen Ta­rif­ver­trag gem. § 3 Be­trVG ab­ge­schlos­sen, wo­nach es den Be­trieb Nord (Ber­lin, Ham­burg ca. 1100 MA), den Be­trieb West (Düs-

 

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sel­dorf und Köln = 42 MA) und den Be­trieb Süd (München, Nürn­berg = 15 MA) gibt.

...

Für das Cock­pit- und Ka­bi­nen­per­so­nal er­folgt die Lei­tung sämt­lichst von Ber­lin her­aus. Es exis­tie­ren nur Crewräume an den Flughäfen für das Check-in Ver­fah­ren. In den Ar­beits­verträgen sind die Home­ba­ses be­nannt. Wie be­s­pro­chen, ist die­ser Ort z.B. für Ru­he­zeit­be­rech­nun­gen etc. maßgeb­lich.

Ich bit­te Sie mir, uns vor dem Hin­ter­grund der vor­ste­hen­den In­for­ma­tio­nen mit­zu­tei­len, bei wel­cher(n) Agen­tur(en) für Ar­beit die Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge ge­stellt wer­den muss. ...“

 

11

Ein Sach­be­ar­bei­ter des Büros des Geschäftsführers der Agen­tur für Ar­beit Ber­lin Nord ant­wor­te­te mit E-Mail vom 16. Ok­to­ber 2017 wie folgt:

„... Sie stel­len dar, dass das Un­ter­neh­men in 3 Grup­pen ge­glie­dert ist und knüpfen da­bei an Mit­ar­bei­ter­grup­pen/ Be­triebs­ab­lauf­struk­tu­ren an: Bo­den­per­so­nal, Cock­pit­per-so­nal und Ka­bi­nen­per­so­nal. Da­nach könn­ten die­se in der ers­ten Grob­glie­de­rung als drei un­abhängi­ge Be­trie­be zu be­trach­ten sein, wenn die­se Struk­tu­ren so ge­lebt und in der Un­ter­neh­mens­rea­lität auch so ab­ge­bil­det wur­den, z.B. mit ei­ge­nen Be­triebs­num­mern. Soll­te dies der Fall sein und Sie die­se Struk­tu­ren als ab­ge­grenz­te Be­trie­be be­wer­ten, wäre für je­den Be­trieb un­ter dem ein­heit­li­chen Un­ter­neh­men ein An­trag zu stel­len.

...

Für die Be­rei­che Cock­pit und Ka­bi­nen­per­so­nal wäre nach bis­her mit­ge­teil­ter Sach­ver­halts­la­ge von ei­nem Be­trieb mit Sitz in Ber­lin aus­zu­ge­hen und da­mit von ei­ner ein­heit­li­chen An­trag­stel­lung ge­genüber der Agen­tur für Ar­beit Ber­lin Nord für al­les Per­so­nal, wenn sich solch ge­trenn­te Be­triebs­struk­tu­ren tatsächlich bestäti­gen. ...“

12

Der letz­te im Na­men der Schuld­ne­rin durch­geführ­te Flug lan­de­te am 27. Ok­to­ber 2017 auf dem Flug­ha­fen Ber­lin-Te­gel.

13

Am 30. Ok­to­ber 2017 ver­ein­bar­te die Schuld­ne­rin mit dem für das Bo­den­per­so­nal ge­bil­de­ten Ge­samt­be­triebs­rat be­zo­gen auf die Sta­tio­nen Ber­lin, Düssel­dorf und München ei­nen In­ter­es­sen­aus­gleich. Der Ge­samt­be­trieb sol­le

 

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zum 31. Ja­nu­ar 2018 still­ge­legt wer­den. Es wer­de al­len Beschäftig­ten gekün­digt. Ei­ne So­zi­al­aus­wahl sei des­halb nicht er­for­der­lich. Die Mit­ar­bei­ter er­hiel­ten nach Maßga­be ei­ner ge­son­der­ten Be­triebs­ver­ein­ba­rung ein An­ge­bot des Über­gangs in ei­ne Trans­fer­ge­sell­schaft.

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Mit Be­schluss vom 1. No­vem­ber 2017 eröff­ne­te das In­sol­venz­ge­richt das In­sol­venz­ver­fah­ren über das Vermögen der Schuld­ne­rin. Es ord­ne­te Ei­gen­ver­wal­tung an und be­stell­te den Be­klag­ten zum Sach­wal­ter. Die­ser zeig­te noch am glei­chen Ta­ge ge­genüber dem In­sol­venz­ge­richt gemäß § 208 Abs. 1 Satz 2 In­sO ei­ne dro­hen­de Mas­seun­zuläng­lich­keit an. Zu­dem stell­te er den Kläger und wei­te­re nicht mehr ein­zu­set­zen­de Pi­lo­ten und Ka­bi­nen­per­so­nal von der Ver­pflich­tung zur Ar­beits­leis­tung frei.

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Am 17. No­vem­ber 2017 schloss die Schuld­ne­rin mit der PV Cock­pit ei­nen In­ter­es­sen­aus­gleich.

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Mit Schrei­ben vom 20. No­vem­ber 2017 hörte die Schuld­ne­rin die PV Cock­pit zur be­ab­sich­tig­ten be­triebs­be­ding­ten Kündi­gung sämt­li­cher in ei­ner An­la­ge 2 be­nann­ten Beschäftig­ten des Cock­pit­per­so­nals an.

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Mit For­mu­lar und Be­gleit­schrei­ben vom 24. No­vem­ber 2017 er­stat­te­te die Schuld­ne­rin bei der Agen­tur für Ar­beit Ber­lin Nord ei­ne Mas­sen­ent­las-sungs­an­zei­ge. Das Be­gleit­schrei­ben nimmt Be­zug auf ei­ne am 30. Ok­to­ber 2017 er­folg­te Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge für das Bo­den­per­so­nal und erläutert den Kündi­gungs­grund bezüglich des Cock­pit­per­so­nals. Das Cock­pit­per­so­nal um­fas­se in der Re­gel 1.301 Mit­ar­bei­ter. Die Per­so­nal­lei­tung für die­se Beschäf­tig­ten er­fol­ge in sämt­li­chen An­ge­le­gen­hei­ten von Ber­lin aus. Dort ha­be auch die auf ta­rif­li­cher Grund­la­ge ge­bil­de­te PV Cock­pit ih­ren Sitz. Das Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­ren nach § 17 Abs. 2 KSchG sei mit Schrei­ben vom 13. Ok­to­ber 2017 ein­ge­lei­tet und aus­weis­lich des der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge bei­gefügten In­te­res­sen­aus­gleichs vom 17. No­vem­ber 2017 ab­ge­schlos­sen wor­den.

18

Das For­mu­lar „Ent­las­sungs­an­zei­ge gemäß § 17 Kündi­gungs­schutz­ge­setz (KSchG)“ der Bun­des­agen­tur für Ar­beit (Stand 06/2017) ver­langt die An­ga­be des Be­triebs, auf den sich die An­zei­ge be­zieht. Als Erläute­rung wird an­ge­führt, dass „Be­trieb“ iSd. An­zei­ge­ver­fah­rens „die or­ga­ni­sa­to­ri­sche Ein­heit in­ner-

 

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halb des Un­ter­neh­mens sei, der die zu ent­las­sen­den Ar­beit­neh­mer an­gehören, z.B. ei­ne Fi­lia­le oder Zweig­stel­le“. Die Schuld­ne­rin hat in dem hierfür vor­ge­se­he­nen For­mu­lar­feld an­ge­ge­ben, die An­zei­ge be­zie­he sich auf den „Haupt­sitz der Air Ber­lin PLC & Co. Luft­ver­kehrs KG“. Dort sei­en in der Re­gel 1.301 Ar-beit­neh­mer/in­nen beschäftigt, wel­che vor­aus­sicht­lich al­le im Zeit­raum vom 27. No­vem­ber 2017 bis zum 26. De­zem­ber 2017 ent­las­sen wer­den sol­len. Hin­sicht­lich der in der Re­gel Beschäftig­ten wird auf An­la­gen ver­wie­sen. In die­sen wird bei den „An­ga­ben zu Ent­las­sun­gen Cock­pit“ die Zahl von 1.301 Beschäftig­ten nach Sta­tio­nen und Be­rufs­grup­pen auf­ge­schlüsselt.

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Die Agen­tur für Ar­beit Ber­lin Nord bestätig­te mit Schrei­ben vom 28. No­vem­ber 2017 den Ein­gang der vollständi­gen An­zei­ge für den „Be­trieb Cock­pit“ am 24. No­vem­ber 2017.

20

Mit ei­nem per E-Mail über­sand­ten Schrei­ben vom 27. No­vem­ber 2017 teil­te der Vor­sit­zen­de der PV Cock­pit der Schuld­ne­rin mit, die PV Cock­pit ha­be be­schlos­sen, den be­ab­sich­tig­ten Kündi­gun­gen nicht zu­zu­stim­men.

21

Mit ei­nem dem Kläger am 29. No­vem­ber 2017 zu­ge­gan­ge­nen Schrei­ben vom 28. No­vem­ber 2017 kündig­te die Schuld­ne­rin mit Zu­stim­mung des Be­klag­ten das Ar­beits­verhält­nis zum 28. Fe­bru­ar 2018.

22

Mit Be­schluss vom 17. Ja­nu­ar 2018 hob das In­sol­venz­ge­richt die Ei­gen­ver­wal­tung auf und be­stell­te den Be­klag­ten zum In­sol­venz­ver­wal­ter.

23

Nach länge­ren Ver­hand­lun­gen mit der PV Ka­bi­ne kündig­te der Be­klag­te dem Ka­bi­nen­per­so­nal über­wie­gend mit Schrei­ben vom 27. Ja­nu­ar 2018.

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Mit sei­ner frist­ge­recht er­ho­be­nen Kla­ge hat sich der Kläger ge­gen die Kündi­gung vom 28. No­vem­ber 2017 ge­wandt. Sie sei un­wirk­sam. Ei­ne Be­triebs­still­le­gung sei zum Zeit­punkt ih­res Zu­gangs nicht be­schlos­sen ge­we­sen, die Schuld­ne­rin ha­be viel­mehr noch mit mögli­chen Be­triebs­er­wer­bern ver­han­delt. Die PV Cock­pit sei nicht ord­nungs­gemäß be­tei­ligt wor­den. Dies gel­te so­wohl bezüglich des nach § 17 Abs. 2 KSchG durch­zuführen­den Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­rens als auch bezüglich der nach § 74 Abs. 1 TVPV er­for­der­li­chen Anhö­rung vor Erklärung der Kündi­gung. Zu­dem hat der Kläger be­reits erst­in­stanz­lich die Auf­fas­sung ver­tre­ten, die Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge sei feh­ler­haft.

 

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Der Kläger hat - so­weit für die Re­vi­si­on noch von Be­deu­tung - be­an­tragt

fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis durch die or­dent­li­che Kündi­gung der Schuld­ne­rin vom 28. No­vem­ber 2017 nicht auf­gelöst wur­de.

26

Der Be­klag­te hat be­an­tragt, die Kla­ge ab­zu­wei­sen. Er hat die An­sicht ver­tre­ten, die Kündi­gung sei we­gen der be­ab­sich­tig­ten und tatsächlich er­folg­ten Still­le­gung des Flug­be­triebs so­zi­al ge­recht­fer­tigt. Ein Be­triebs(teil)über­gang sei nicht ge­plant ge­we­sen und ha­be auch nicht statt­ge­fun­den. Die Rech­te der PV Cock­pit sei­en ge­wahrt. Die Mas­sen­ent­las­sung sei ord­nungs­gemäß ge­gen­über der zuständi­gen Agen­tur für Ar­beit an­ge­zeigt wor­den.

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Die Vor­in­stan­zen ha­ben so­wohl den Kündi­gungs­schutz­an­trag als auch ei­nen im Be­ru­fungs­ver­fah­ren noch anhängi­gen An­trag auf Aus­kunfts­er­tei­lung ab­ge­wie­sen. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die Re­vi­si­on zu­ge­las­sen. Mit die­ser ver­folgt der Kläger be­schränkt auf den Kündi­gungs­schutz­an­trag sein Kla­ge­ziel wei­ter.

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Ent­schei­dungs­gründe

 

Die Re­vi­si­on ist be­gründet. Die streit­ge­genständ­li­che Kündi­gung ist nach § 17 Abs. 1, Abs. 3 KSchG iVm. § 134 BGB un­wirk­sam (Rn. 97 ff.). Be­trieb iSd. § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG war die Sta­ti­on der Schuld­ne­rin am Flug­ha­fen Düssel­dorf (Rn. 31 ff.). Das Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­ren muss­te mit der PV Cock­pit durch­geführt wer­den (Rn. 60 ff.). Die Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung war da­ge­gen in­so­weit nicht zu be­tei­li­gen (Rn. 64 ff.). Ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Lan­des­ar­beits­ge­richts er­stat­te­te die Schuld­ne­rin die nach § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG er­for­der­li­che Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge nicht ord­nungs­gemäß iSd. § 17 Abs. 3 KSchG. Sie ist zu­dem bei der un­zuständi­gen Behörde ein­ge­reicht wor­den (Rn. 70 ff.). Die­se Feh­ler wur­den nicht ge­heilt (Rn. 111). Auch steht dem Be­klag­ten kein Ver­trau­ens­schutz zur Sei­te (Rn. 112 ff.). Ei­ne Vor­la­ge nach

 

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Art. 267 AEUV war nicht er­for­der­lich (Rn. 115). Es konn­te des­halb da­hin­ste­hen, ob die Kündi­gung auch noch aus den an­de­ren vom Kläger gerügten Gründen, im Be­son­de­ren we­gen des von die­sem an­ge­nom­me­nen Be­triebs(teil)-über­gangs, un­wirk­sam ist.

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I. Der in § 17 KSchG ge­re­gel­te be­son­de­re Kündi­gungs­schutz bei Mas­sen­ent­las­sun­gen un­terfällt in zwei ge­trennt durch­zuführen­de Ver­fah­ren mit je­weils ei­ge­nen Wirk­sam­keits­vor­aus­set­zun­gen, nämlich die in § 17 Abs. 2 KSchG nor­mier­te Pflicht zur Kon­sul­ta­ti­on des Be­triebs­rats ei­ner­seits und die in § 17 Abs. 1, Abs. 3 KSchG ge­re­gel­te An­zei­ge­pflicht ge­genüber der Agen­tur für Ar­beit an­de­rer­seits. Bei­de Ver­fah­ren ste­hen selbstständig ne­ben­ein­an­der und sind auch vor ei­ner Be­triebs­still­le­gung durch­zuführen (vgl. EuGH 3. März 2011 - C-235/10 bis C-239/10 - [Cla­es ua.] Rn. 33, 43; BAG 22. Sep­tem­ber 2016 - 2 AZR 276/16 - Rn. 22, BA­GE 157, 1). Sie die­nen in un­ter­schied­li­cher Wei­se der Er­rei­chung des mit dem Mas­sen­ent­las­sungs­schutz ver­folg­ten Ziels (BAG 9. Ju­ni 2016 - 6 AZR 405/15 - Rn. 20, BA­GE 155, 245; 21. März 2013 - 2 AZR 60/12 - Rn. 28, BA­GE 144, 366). Je­des die­ser bei­den Ver­fah­ren stellt ein ei­genständi­ges Wirk­sam­keits­er­for­der­nis für die im Zu­sam­men­hang mit ei­ner Mas­sen­ent­las­sung er­folg­te Kündi­gung dar (BAG 13. Ju­ni 2019 - 6 AZR 459/18 - Rn. 40; 9. Ju­ni 2016 - 6 AZR 405/15 - aaO).

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II. Die An­zei­ge- und Kon­sul­ta­ti­ons­pflich­ten des Ar­beit­ge­bers nach § 17 Abs. 1 bis Abs. 3 KSchG knüpfen an den Be­trieb an. In glei­cher Wei­se verfährt Art. 1 Abs. 1 Buchst. a Un­terabs. i der Richt­li­nie 98/59/EG (Mas­sen­ent­las­sungs-richt­li­nie, im Fol­gen­den MERL), den § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG um­setzt. Zen­tra­ler Be­zugs­punkt des Mas­sen­ent­las­sungs­schut­zes ist da­mit der Be­triebs­be­griff. Die­sen hat die Schuld­ne­rin vor­lie­gend ver­kannt. Ei­nen rein be­rufs­grup­pen­be-zo­ge­nen Be­triebs­be­griff, wie sie ihn ih­rem Verständ­nis des Be­triebs im zu beur­tei­len­den Mas­sen­ent­las­sungs­ver­fah­ren zu­grun­de ge­legt hat, kennt die MERL nicht. Be­trieb iSd. MERL und des § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG war für den Kläger viel­mehr die Sta­ti­on der Schuld­ne­rin am Flug­ha­fen Düssel­dorf.

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1. Ziel der MERL ist der Schutz der Ar­beit­neh­mer im Fall von Mas­sen­ent­las­sun­gen (EuGH 21. De­zem­ber 2016 - C-201/15 - [AGET Ira­klis] Rn. 27;

 

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17. De­zem­ber 1998 - C-250/97 - [Lau­ge ua.] Rn. 19; vgl. auch Erwägungs­grund 2 der MERL; APS/Moll 5. Aufl. KSchG Vor §§ 17 - 26 Rn. 12). Nach der Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs der Eu­ropäischen Uni­on (im Fol­gen­den Ge­richts­hof) ist der in der MERL selbst nicht de­fi­nier­te Be­griff „Be­trieb“ ein uni­ons­recht­li­cher Be­griff. Sein In­halt kann nicht an­hand der Rechts­vor­schrif­ten der Mit­glied­staa­ten be­stimmt wer­den (vgl. EuGH 13. Mai 2015 - C-182/13 - [Lytt­le ua.] Rn. 26; 13. Mai 2015 - C-392/13 - [Ra­bal Cañas] Rn. 42; 30. April 2015 - C-80/14 - [USDAW und Wil­son] Rn. 45; in die­sem Sin­ne schon EuGH 7. De­zem­ber 1995 - C-449/93 - [Rock­fon] Rn. 25). Er ist da­her in der Uni­ons­rechts­ord­nung au­to­nom und ein­heit­lich (vgl. nur EuGH 13. Mai 2015 - C-392/13 - [Ra­bal Cañas] Rn. 42) al­lein vom Ge­richts­hof und da­mit los­gelöst von den na­tio­na­len Be­griff­lich­kei­ten aus­zu­le­gen. Für die De­fi­ni­ti­on des Be­triebs im Be­reich des Mas­sen­ent­las­sungs­schut­zes kann dar­um nicht auf den Ge­halt des Be­triebs­be­griffs des KSchG oder des Be­trVG ab­ge­stellt wer­den. Zwar sind Kon­stel­la­tio­nen denk­bar, in de­nen die­se Be­grif­fe übe­rein­stim­men. Das dürf­te bspw. häufig der Fall sein, wenn der Ar­beit­ge­ber nur ei­nen Be­trieb hat. So­weit sich der Be­triebs­be­griff iSd. MERL und der Be­triebs­be­griff nach na­tio­na­lem Verständ­nis aber nicht de­cken, ist al­lein das Verständ­nis des Ge­richts­hofs ent­schei­dend. Des­halb ist es für den Be­triebs­be­griff der MERL un­maßgeb­lich, wenn nach der Vor­stel­lung des Ar­beit­ge­bers Or­ga­ni­sa­ti­ons­ein­hei­ten be­ste­hen, die sich an be­triebs­ver­fas­sungs­recht­lich ge­prägten Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tungs-struk­tu­ren ori­en­tie­ren, wie sie bspw. nach § 117 Be­trVG möglich sind. So­weit der Se­nat in frühe­ren Ent­schei­dun­gen (auch) ein na­tio­na­les Be­griffs­verständ­nis zu­grun­de ge­legt hat (vgl. et­wa BAG 25. April 2013 - 6 AZR 49/12 - Rn. 149; 13. De­zem­ber 2012 - 6 AZR 608/11 - Rn. 85; 13. De­zem­ber 2012 - 6 AZR 348/11 - Rn. 84, BA­GE 144, 125; an­ders be­reits BAG 26. Ja­nu­ar 2017 - 6 AZR 442/16 - Rn. 21, BA­GE 158, 104), hält er hier­an nicht fest.

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2. Der Ge­richts­hof legt den Be­griff „Be­trieb“ iSd. MERL sehr weit aus (Brams Uni­ons­recht­li­che Im­pul­se für das Recht der Mas­sen­ent­las­sung S. 60) und stellt kei­ne ho­hen or­ga­ni­sa­to­ri­schen An­for­de­run­gen an die er­for­der­li­che Lei­tungs­struk­tur (Jun­ker ZfA 2018, 73, 76). Nach sei­nem Verständ­nis wird das Ar­beits­verhält­nis im We­sent­li­chen durch die Ver­bin­dung zwi­schen dem Ar­beit-

 

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neh­mer und dem Un­ter­neh­mens­teil ge­kenn­zeich­net, dem er zur Erfüllung sei­ner Auf­ga­be an­gehört. Der Be­griff „Be­trieb“ ist da­hin aus­zu­le­gen, dass er nach Maßga­be der Umstände die Ein­heit be­zeich­net, der die von der Ent­las­sung be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer zur Erfüllung ih­rer Auf­ga­be an­gehören (EuGH 13. Mai 2015 - C-392/13 - [Ra­bal Cañas] Rn. 44; 30. April 2015 - C-80/14 - [USDAW und Wil­son] Rn. 47; 7. De­zem­ber 1995 - C-449/93 - [Rock­fon] Rn. 31 f.). Es muss sich um ei­ne un­ter­scheid­ba­re Ein­heit von ei­ner ge­wis­sen Dau­er­haf­tig­keit und Sta­bi­lität han­deln, die zur Er­le­di­gung ei­ner oder meh­re­rer be­stimm­ter Auf­ga­ben be­stimmt ist und über ei­ne Ge­samt­heit von Ar­beit­neh­mern so­wie über tech­ni­sche Mit­tel und ei­ne or­ga­ni­sa­to­ri­sche Struk­tur zur Erfüllung die­ser Auf­ga­ben verfügt (EuGH 13. Mai 2015 - C-392/13 - [Ra­bal Cañas] Rn. 45; 30. April 2015 - C-80/14 - [USDAW und Wil­son] Rn. 49; 15. Fe­bru­ar 2007 - C-270/05 - [Athi­naïki Char­to­poiïa] Rn. 27). Da die MERL die so­zioöko­no­mi­schen Aus­wir­kun­gen be­trifft, die Mas­sen­ent­las­sun­gen in ei­nem be­stimm­ten ört­li­chen Kon­text und ei­ner be­stimm­ten so­zia­len Um­ge­bung her­vor­ru­fen können, muss die frag­li­che Ein­heit we­der recht­li­che noch wirt­schaft­li­che, fi­nan­zi­el­le, ver­wal­tungsmäßi­ge oder tech­no­lo­gi­sche Au­to­no­mie be­sit­zen, um als „Be­trieb“ qua­li­fi­ziert wer­den zu können (EuGH 13. Mai 2015 - C-392/13 - [Ra­bal Cañas] Rn. 47; 30. April 2015 - C-80/14 - [USDAW und Wil­son] Rn. 51; 15. Fe­bru­ar 2007 - C-270/05 - [Athi­naïki Char­to­poiïa] Rn. 28). Der Be­trieb iSd. MERL muss dar­um auch kei­ne Lei­tung ha­ben, die selbstständig Mas­sen­ent­las­sun­gen vor­neh­men kann (EuGH 13. Mai 2015 - C-392/13 - [Ra­bal Cañas] Rn. 44 mwN). Viel­mehr reicht es aus, wenn ei­ne Lei­tung be­steht, die die ord­nungs­gemäße Durchführung der Ar­beit und die Kon­trol­le des Ge­samt­be­triebs der Ein­rich­tun­gen der Ein­heit so­wie die Lösung tech­ni­scher Pro­ble­me im Sin­ne ei­ner Auf­ga­ben­ko­or­di­nie­rung (EuGH 13. Mai 2015 - C-392/13 - [Ra­bal Cañas] Rn. 50) si­cher­stellt (EuGH 15. Fe­bru­ar 2007 - C-270/05 - [Athi­naïki Char­to­poiïa] Rn. 31). Ei­ne be­stimm­te räum­li­che Ent­fer­nung ist - an­ders als bei § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Be­trVG - nach die­sem Be­triebs­verständ­nis nicht er­for­der­lich (EuGH 15. Fe­bru­ar 2007 - C-270/05 - [Athi­naïki Char­to­poiïa] Rn. 29).

33

Ob ei­ne Ein­heit nach Maßga­be der Umstände im kon­kre­ten Ein­zel­fall die Vor­aus­set­zun­gen die­ses Be­triebs­be­griffs erfüllt, der im Sin­ne ei­ner Sys­tem-

 

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bil­dung Gel­tung für al­le denk­ba­ren Be­triebs­for­men und -ar­ten be­an­sprucht (vgl. Jun­ker ZfA 2018, 73, 77 mwN), ha­ben al­lein die na­tio­na­len Ge­rich­te fest­zu­s­tel­len (EuGH 13. Mai 2015 - C-182/13 - [Lytt­le ua.] Rn. 52; 30. April 2015 - C-80/14 - [USDAW und Wil­son] Rn. 70).

34

3. Nach die­sen Grundsätzen stell­te die Sta­ti­on der Schuld­ne­rin am Flug­ha­fen Düssel­dorf für den Kläger den Be­trieb iSd. MERL und da­mit des § 17 KSchG dar.

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a) Die Sta­ti­on in Düssel­dorf war nicht nur vorüber­ge­hend ein­ge­rich­tet. Sie wies die er­for­der­li­che zeit­li­che Kon­ti­nuität und or­ga­ni­sa­to­ri­sche Sta­bi­lität auf, um in der Ge­samt­struk­tur der Schuld­ne­rin von an­de­ren Ein­hei­ten un­ter­scheid­bar wahr­ge­nom­men zu wer­den (vgl. zu die­sen Kri­te­ri­en Brams Uni­ons­recht­li­che Im­pul­se für das Recht der Mas­sen­ent­las­sung S. 64 f.).

36

b) Die Düssel­dor­fer Sta­ti­on war zur Er­le­di­gung ei­ner oder meh­re­rer Auf­ga­ben, nämlich da­zu be­stimmt, den Flug­be­trieb der Schuld­ne­rin an die­sem Flug­ha­fen zu ermögli­chen. Sie dien­te als Start- und Lan­de­ba­sis.

37

c) Die Sta­ti­on in Düssel­dorf verfügte über ei­ne „Ge­samt­heit von Ar­beit­neh­mern“ iSd. Be­griffs­be­stim­mung des Ge­richts­hofs, be­ste­hend aus dem flie­gen­den Per­so­nal und dem Bo­den­per­so­nal.

38

aa) Die­se Vor­aus­set­zung ist im­mer dann erfüllt, wenn der Ein­heit meh­re­re Ar­beit­neh­mer der­ge­stalt zu­ge­ord­net sind, dass sie in die­ser Ein­heit oder von die­ser aus tätig wer­den und die Ein­heit rein tatsächlich über sie verfügen kann (vgl. zu letz­te­rem Ge­sichts­punkt EuGH 15. Fe­bru­ar 2007 - C-270/05 - [Athi­naïki Char­to­poiïa] Rn. 27, 31; Brams Uni­ons­recht­li­che Im­pul­se für das Recht der Mas­sen­ent­las­sung S. 61 un­ter Hin­weis auf die eng­li­sche Sprach­fas­sung des vor­ge­nann­ten Ur­teils). Es ist maßge­bend, wel­cher Ein­heit die zu ent­las­sen­den Ar­beit­neh­mer zur Erfüllung ih­rer Auf­ga­ben an­gehören. Zen­tra­les Ele­ment ist die Ver­bin­dung zwi­schen dem Ar­beit­neh­mer und der Ein­heit (vgl. EuGH 13. Mai 2015 - C-392/13 - [Ra­bal Cañas] Rn. 44; 7. De­zem­ber 1995 - C-449/93 - [Rock­fon] Rn. 32; Brams aaO).

 

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bb) Die­se Ver­bin­dung lag bei den Bo­den­mit­ar­bei­tern der Sta­ti­on Düssel­dorf auf der Hand. Sie gehörten iSd. MERL die­ser Ein­heit und da­mit der Sta­ti­on an.

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cc) Auch beim flie­gen­den Per­so­nal be­stand die im Rah­men des Mas­sen­ent­las­sungs­schut­zes er­for­der­li­che Ver­bin­dung zum je­wei­li­gen Sta­tio­nie­rungs­ort (Hei­mat­ba­sis) als dem Ort, von dem aus es tätig wur­de. Von die­ser Ba­sis aus gin­gen die Be­sat­zungs­mit­glie­der ih­rer Ar­beit nach und an die­ser be­gann so­wie en­de­te ih­re Ar­beits­zeit. Da­mit be­stand ei­ne hin­rei­chen­de Ver­bin­dung zu die­ser Ein­heit, so dass sie über die Be­sat­zungs­mit­glie­der in ei­nem rein tatsächli­chen Sinn „verfügte“. Auch die Be­sat­zungs­mit­glie­der „zähl­ten da­zu“.

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(1) Für an­de­re Re­ge­lungs­be­rei­che ist zwar ent­schie­den, dass gewöhn­li­cher Ar­beits­ort ei­nes Mit­glieds des flie­gen­den Per­so­nals nicht der Flug­ha­fen, son­dern das Flug­zeug ist (vgl. zum Vor­lie­gen ei­ner Ver­set­zung im ar­beits­recht­li­chen Sinn für das Ka­bi­nen­per­so­nal BAG 30. No­vem­ber 2016 - 10 AZR 11/16 - Rn. 23; an­ders für den gewöhn­li­chen Ar­beits­ort iSd. Art. 19 Nr. 2 Buchst. a der Brüssel-I-Ver­ord­nung BAG 20. De­zem­ber 2012 - 2 AZR 481/11 - Rn. 22 ff.). Cock­pit- und Ka­bi­nen­mit­ar­bei­ter ar­bei­ten nicht „an ei­nem“ Flug­ha­fen, son­dern „von ei­nem“ Flug­ha­fen aus (vgl. da­zu Knöfel GPR 2019, 43, 45 f.).

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(2) Das flie­gen­de Per­so­nal ist aber un­ge­ach­tet des­sen auf mehr­fa­che Wei­se mit sei­ner Hei­mat­ba­sis ver­bun­den (vgl. Knöfel GPR 2019, 43, 47, der von ei­nem überg­rei­fen­den „Prin­zip der Hei­mat­ba­sis“ spricht). Über ei­ne rein for­ma­le Zu­ord­nung zu ei­ner Hei­mat­ba­sis hin­aus ist die­se Ba­sis und da­mit die Sta­ti­on zen­tra­ler Be­zugs­punkt und An­knüpfungs­punkt von flug- und ar­beits(zeit)recht­li­chen Re­ge­lun­gen der Be­sat­zungs­mit­glie­der.

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(a) Die­se fin­den sich auf uni­ons­recht­li­cher Ebe­ne ins­be­son­de­re in der Ver­ord­nung (EU) Nr. 965/2012 so­wie der die­se ergänzen­den Ver­ord­nung (EU) Nr. 83/2014. Letz­te­re legt in dem ab 18. Fe­bru­ar 2016 un­mit­tel­bar in je­dem Mit­glied­staat gel­ten­den (vgl. Art. 2 der Ver­ord­nung (EU) Nr. 83/2014) An­hang II im Teil­ab­schnitt FTL (im Fol­gen­den ORO.FTL) die An­for­de­run­gen an ei­nen Be­trei­ber und sei­ne Be­sat­zungs­mit­glie­der in Be­zug auf Flug- und Dienst­zeit­be-schränkun­gen so­wie Ru­he­vor­schrif­ten für Be­sat­zungs­mit­glie­der fest (vgl.

 

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ORO.FTL.100). Nach ORO.FTL.200 hat ein Be­trei­ber je­dem Be­sat­zungs­mit­glied (Flug- oder Ka­bi­nen­be­sat­zung, vgl. Art. 2, An­hang I Nr. 4 der Ver­ord­nung (EU) Nr. 965/2012 bzw. An­hang I Nr. 29 der kon­so­li­dier­ten Fas­sung die­ser Ver­ord­nung vom 25. Sep­tem­ber 2019) ei­ne Hei­mat­ba­sis zu­zu­wei­sen. Die­se wird da­mit we­der be­lie­big noch vom Ar­beit­neh­mer be­stimmt, son­dern vom Luft­fahrt­un­ter­neh­mer für je­des Be­sat­zungs­mit­glied (EuGH 14. Sep­tem­ber 2017 - C-168/16 und C-169/16 - [No­guei­ra ua.] Rn. 72). Mit die­ser An­ga­be erfüllt der Ar­beit­ge­ber zu­gleich sei­ne Ver­pflich­tung nach § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 NachwG. Die Hei­mat­ba­sis ist gemäß ORO.FTL.105 Nr. 14 der vom Be­trei­ber ge­genüber dem Be­sat­zungs­mit­glied be­nann­te Ort, wo das Be­sat­zungs­mit­glied nor­ma­ler­wei­se ei­ne Dienst­zeit oder ei­ne Ab­fol­ge von Dienst­zei­ten be­ginnt und be­en­det und wo der Be­trei­ber nor­ma­ler­wei­se nicht für die Un­ter­brin­gung des be­tref­fen­den Be­sat­zungs­mit­glieds ver­ant­wort­lich ist. Es ist der Ort, an dem das Flug­per­so­nal sys­te­ma­tisch sei­nen Ar­beits­tag be­ginnt und be­en­det so­wie sei­ne tägli­che Ar­beit or­ga­ni­siert und in des­sen Nähe es für die Dau­er des Ver­trags­verhält­nis­ses sei­nen tatsächli­chen Wohn­sitz be­gründet hat und dem Luft­fahrt­un­ter­neh­mer zur Verfügung steht (EuGH 14. Sep­tem­ber 2017 - C-168/16 und C-169/16 - [No­guei­ra ua.] Rn. 70; vgl. auch BAG 30. No­vem­ber 2016 - 10 AZR 11/16 - Rn. 23). Dem­ent­spre­chend knüpfen die Re­ge­lun­gen über Dienst- und Ru­he­zei­ten an die Zu­ord­nung zu die­ser Hei­mat­ba­sis an (vgl. ORO.FTL.105 Nr. 11, ORO.FTL.235). Glei­ches gilt für den sog. Um­lauf. Das ist nach ORO.FTL.105 Nr. 22 ein Dienst oder ei­ne Ab­fol­ge von Diens­ten, dar­un­ter min­des­tens ein Flug­dienst, und Ru­he­zei­ten außer­halb der Hei­mat­ba­sis, be­gin­nend an der Hei­mat­ba­sis und en­dend mit der Rück­kehr zur Hei­mat­ba­sis für ei­ne Ru­he­zeit, wo der Be­trei­ber nicht mehr für die Un­ter­brin­gung des Be­sat­zungs­mit­glieds ver­ant­wort­lich ist. Die Dienst­zeit wie­der­um ist ein Zeit­raum, der be­ginnt, wenn sich ein Be­sat­zungs­mit­glied auf Ver­lan­gen des Be­trei­bers für ei­nen Dienst mel­det oder den Dienst be­ginnt, und der en­det, wenn das Be­sat­zungs­mit­glied frei von al­len dienst­li­chen Ver­pflich­tun­gen ist, ein­sch­ließlich der Tätig­kei­ten der Nach­be­rei­tung des Flu­ges (vgl. ORO.FTL.105 Nr. 11). Zum Dienst in die­sem Sin­ne ge­hören auch Zei­ten, in de­nen das nicht dienst­tu­en­de Be­sat­zungs­mit­glied auf Ver­an­las­sung des Be­trei­bers un­ter be­stimm­ten Vor­aus­set­zun­gen an ei­nen

 

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an­de­ren Ort befördert wird (Po­si­tio­nie­rung, ORO.FTL.105 Nr. 10, 18, ORO.FTL.215; von den Par­tei­en als pro­cee­ding be­zeich­net).

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(b) Auch in an­de­ren Re­ge­lungs­zu­sam­menhängen ist das An­knüpfen an die Hei­mat­ba­sis als Aus­druck ei­nes über­ge­ord­ne­ten Recht­s­prin­zips (vgl. Knöfel GPR 2019, 43, 47) an­er­kannt.

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(aa) Die Hei­mat­ba­sis ist zB ein in­ter­na­tio­nal-so­zi­al­recht­li­cher An­knüpfungs­punkt für die Be­stim­mung der für die Mit­glie­der von Flug- und Ka­bi­nen­be­sat­zun­gen gel­ten­den Rechts­vor­schrif­ten (vgl. Art. 11 Abs. 5 der Ver­ord­nung (EG) Nr. 883/2004 idF der Ver­ord­nung (EU) Nr. 465/2012). Dies soll die An­wen­dung der Ver­ord­nung (EG) Nr. 883/2004 auf Flug- oder Ka­bi­nen­be­sat­zungs­mit­glie­der er­leich­tern und dient da­mit de­ren Schutz (vgl. Erwägungs­grund 18b der Ver­ord­nung (EG) Nr. 883/2004 idF der Ver­ord­nung (EU) Nr. 465/2012).

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(bb) Sch­ließlich ist die Hei­mat­ba­sis auch bei der Be­stim­mung der ge­richt­li­chen Zuständig­keit für ar­beits­recht­li­che Kla­gen von Flug­per­so­nal von Re­le­vanz. Nach Art. 21 Abs. 1 Buchst. b Un­terabs. i der Ver­ord­nung (EU) Nr. 1215/2012 (sog. Brüssel-Ia-Ver­ord­nung) kann ein Ar­beit­ge­ber, der sei­nen Wohn­sitz im Ho­heits­ge­biet ei­nes Mit­glied­staats hat, in ei­nem an­de­ren Mit­glied­staat vor dem Ge­richt des Or­tes ver­klagt wer­den, an dem oder von dem aus der Ar­beit­neh­mer gewöhn­lich sei­ne Ar­beit ver­rich­tet oder zu­letzt gewöhn­lich ver­rich­tet hat. Da­bei ist der Be­griff des gewöhn­li­chen Ar­beits­or­tes zwar nicht mit dem Be­griff der „Hei­mat­ba­sis“ iSv. An­hang III der Ver­ord­nung (EWG) Nr. 3922/91 - der Vorgän­ger­ver­ord­nung zur Ver­ord­nung (EU) Nr. 965/2012 - gleich­zu­set­zen. Er stellt je­doch ein In­diz dar, das bei der Er­mitt­lung des Or­tes, von dem aus das Flug­per­so­nal gewöhn­lich sei­ne Ar­beit ver­rich­tet, ei­ne wich­ti­ge Rol­le spie­len und es ermögli­chen kann, die­sen Ort zu be­stim­men (EuGH 14. Sep­tem­ber 2017 - C-168/16 und C-169/16 - [No­guei­ra ua.] Rn. 61 ff. zu Art. 19 Nr. 2 Buchst. a der Brüssel-I-Ver­ord­nung als Vorgänger­vor­schrift des Art. 21 Abs. 1 Buchst. b Un­terabs. i der Brüssel-Ia-Ver­ord­nung; sie­he schon BAG 20. De­zem­ber 2012 - 2 AZR 481/11 - Rn. 22 ff.; vgl. auch LAG Ber­lin-Bran­den­burg 27. Fe­bru­ar 2018 - 6 SHa 140/18 - zu II 2 b der Gründe zur Be­stim­mung des zuständi­gen Ge­richts in ei­nem Air-Ber­lin-Ver­fah­ren).

 

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d) Die Sta­ti­on in Düssel­dorf verfügte schließlich auch über tech­ni­sche Mit­tel und ei­ne or­ga­ni­sa­to­ri­sche Struk­tur zur Erfüllung ih­rer Auf­ga­ben. So wa­ren aus­weis­lich der E-Mail der Schuld­ne­rin an die Agen­tur für Ar­beit vom 13. Ok­to­ber 2017 an den je­wei­li­gen Sta­tio­nen zum Bei­spiel Crewräume für das Check-in-Ver­fah­ren vor­han­den. Da­bei kommt es nicht auf die Ei­gen­tums­la­ge an (Brams Uni­ons­recht­li­che Im­pul­se für das Recht der Mas­sen­ent­las­sung S. 62). Ei­ne Lei­tung, die die ord­nungs­gemäße Durchführung der Ar­beit und die Kon­trol­le des Ge­samt­be­triebs der Ein­rich­tun­gen der Ein­heit so­wie die Lösung tech­ni­scher Pro­ble­me im Sin­ne ei­ner Auf­ga­ben­ko­or­di­nie­rung si­cher­stell­te, war für die Be­sat­zungs­mit­glie­der mit den Kom­pe­ten­zen des Area Ma­na­gers Cock­pit so­wie des Re­gio­nal Ma­na­gers Ka­bi­ne ge­ge­ben, für das Bo­den­per­so­nal mit den Kom­pe­ten­zen der un­ter Ziff. 1.1.4.3 im OM/A für Düssel­dorf aus­ge­wie­se­nen Per­son.

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aa) Nach der og. Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs (Rn. 33) ist ei­ne Lei­tung aus­rei­chend, die ei­nen rei­bungs­lo­sen Be­triebs­ab­lauf vor Ort gewähr­leis­ten kann. Es genügt ei­ne sta­bi­le or­ga­ni­sa­to­ri­sche Struk­tur, oh­ne dass darüber hin­aus­ge­hen­de An­for­de­run­gen an den Grad der Ver­selbstständi­gung zu stel­len sind (Brams Uni­ons­recht­li­che Im­pul­se für das Recht der Mas­sen­ent­las­sung S. 63). Da­bei sind an die er­for­der­li­che Lei­tungs­struk­tur kei­ne ho­hen An­for­de­run­gen zu stel­len. Ins­be­son­de­re müssen sich die Ent­schei­dungs­be­fug­nis­se der Lei­tung nicht auf mit­be­stim­mungs­recht­li­che An­ge­le­gen­hei­ten er­stre­cken, so dass der uni­ons­recht­li­che Be­griff der „Lei­tungs­macht“ deut­lich of­fe­ner und wei­ter als nach dem na­tio­na­len, be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­chen Verständ­nis ist (Brams aaO S. 64). Die­ser Be­griff kor­re­spon­diert auch nicht mit dem Be­griff der für ei­ne „wirt­schaft­li­che Ein­heit“ iSd. Richt­li­nie 2001/23/EG (sog. Be­triebsüber-gangs­richt­li­nie) er­for­der­li­chen funk­tio­nel­len Au­to­no­mie (vgl. da­zu EuGH 13. Ju­ni 2019 - C-664/17 - [El­li­ni­ka Naf­pi­geia] Rn. 60 ff.). So hat der Ge­richts­hof ei­nen Be­trieb iSd. MERL nicht nur für ein­zel­ne La­den­geschäfte an­ge­nom­men, die aus­sch­ließlich Wa­ren­verkäufe tätig­ten und von ei­nem ei­ge­nen Fi­li­al­lei­ter mit ei­ge­ner Kos­ten­stel­le geführt wur­den (EuGH 13. Mai 2015 - C-182/13 - [Lytt­le ua.] Rn. 51). Wei­ter­ge­hend hat er ei­ne un­ter­scheid­ba­re Ein­heit auch in ei­nem Fall be­jaht, in dem der Be­triebs­lei­ter von der Zen­tra­le an den Stand­ort ent­sandt

 

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wor­den war und über die Ko­or­di­nie­rung der Auf­ga­ben vor Ort hin­aus nicht über ei­ge­ne Ent­schei­dungs­be­fug­nis­se verfügte. Der Ge­richts­hof sah die Kri­te­ri­en des Be­triebs­be­griffs der MERL als erfüllt an, da der Stand­ort eröff­net wor­den war, um die Ka­pa­zität ins­be­son­de­re der Be­ar­bei­tung der Be­stel­lun­gen ört­li­cher Kun­den des Un­ter­neh­mens zu erhöhen (EuGH 13. Mai 2015 - C-392/13 - [Ra­bal Cañas] Rn. 50 f.). Ob die ört­li­che Lei­tung dis­zi­pli­na­ri­sche Wei­sungs­rech­te oder sons­ti­ge ei­genständi­ge Be­fug­nis­se in Be­zug auf per­so­nel­le Maßnah­men oh­ne Be­tei­li­gung über­ge­ord­ne­ten Lei­tungs­per­so­nals hat, ist für das Vor­lie­gen ei­nes Be­triebs iSd. MERL da­ge­gen un­er­heb­lich. Aus­ge­hend da­von, dass die MERL die so­zioöko­no­mi­schen Fol­gen von Mas­sen­ent­las­sun­gen im ört­li­chen Kon­text und der dort vor­han­de­nen so­zia­len Um­ge­bung re­geln will, steht für den Be­triebs­be­griff der MERL nach der neue­ren Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs nicht die Fra­ge im Vor­der­grund, ob vor Ort be­stimm­te for­ma­le Ent­schei­dungs­be­fug­nis­se be­ste­hen, son­dern ob ei­ne ob­jek­tiv und ört­lich be­stimm­ba­re Ein­heit vor­liegt. Die­ses Be­triebs­verständ­nis ist nach der für den Se­nat maßgeb­li­chen In­ter­pre­ta­ti­on des Ge­richts­hofs am bes­ten ge­eig­net, den nöti­gen Ar­beit­neh­mer­schutz im ört­li­chen Kon­text zu gewähr­leis­ten (vgl. Ko­cher Anm. ZESAR 2016, 86, 88; Preis/Sa­gan/Na­ber/Sit­tard EuArbR 2. Aufl. Rn. 14.33). Ei­ne bloße Zent­ra­li­sie­rung von Ent­schei­dungs­be­fug­nis­sen kann da­nach die An­nah­me ei­nes Be­triebs iSd. MERL nicht ver­hin­dern (Masch­mann Eu­ZA 2015, 488, 494). Aus­ge­hend von die­sem Be­triebs­verständ­nis muss ei­ne Ein­heit auch nicht ei­gen­ständig den ihr zu­ge­wie­se­nen Teil­zweck erfüllen können, um ei­nen Be­trieb iSd. MERL dar­stel­len zu können. Erst recht muss sie nicht aut­ark agie­ren können.

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bb) Die­sen An­for­de­run­gen genügten die Be­fug­nis­se des Area Ma­na­gers Cock­pit. Die­ser stell­te vor Ort den ord­nungs­gemäßen Ar­beits­ab­lauf si­cher und löste dort ar­beits­or­ga­ni­sa­to­ri­sche Pro­ble­me, wie das OM/A zeigt. Es de­fi­nier­te, wie von ORO.GEN.200 des An­hangs III der Ver­ord­nung (EU) Nr. 965/2012 vor­ge­ge­ben, ua. in Ziff. 1.3.2.2.1 OM/A die Zuständig­kei­ten und Po­si­ti­on des Area Ma­na­gers Cock­pit. Die­ser war da­nach für al­le or­ga­ni­sa­to­ri­schen und ad­mi­nist­ra­ti­ven An­ge­le­gen­hei­ten für die Außen­sta­tio­nen zuständig, für die er ver­ant­wort­lich war. In­so­weit war er der Vor­ge­setz­te für das zu­ge­wie­se­ne Per­so­nal. Nach dem OM/A ob­la­gen ihm die Lei­tung des Flug­per­so­nals an der Sta­ti­on so-

 

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wie In­ter­views, Auf­sicht, Ver­war­nun­gen, wie vom Flot­ten­ma­nage­ment an­ge­wie­sen. Er hat­te zur Si­cher­stel­lung ein­heit­li­cher Pro­zes­se Pro­ble­me zu er­ken­nen und zu lösen so­wie not­wen­di­ge An­wei­sun­gen im Rah­men der Führungs­auf­ga­ben zu er­tei­len. Sch­ließlich hat­te der Area Ma­na­ger Cock­pit Kon­flikt­si­tua­tio­nen in­ner­halb des Cock­pit­per­so­nals und zwi­schen Cock­pit- und Ka­bi­nen­per­so­nal in en­ger Ab­stim­mung mit der für das Ka­bi­nen­per­so­nal zuständi­gen Ab­tei­lung zu de­es­ka­lie­ren und Per­so­nal­gespräche gemäß An­wei­sung durch das Flot­ten­ma­nage­ment zu führen. Der Area Ma­na­ger Cock­pit war da­mit ers­ter An­sprech­part­ner vor Ort für Pro­ble­me im tägli­chen Geschäft, stell­te in­so­weit als „Bin­de­glied“ zur zen­tra­len Ver­wal­tung in Ber­lin den ord­nungs­gemäßen Ar­beits­ab­lauf si­cher und löste ar­beits­or­ga­ni­sa­to­ri­sche Pro­ble­me.

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cc) In glei­cher Wei­se war der Re­gio­nal Ma­na­ger Ka­bi­ne ver­ant­wort­lich in dis­zi­pli­na­ri­schen Fra­gen und Per­so­nal­an­ge­le­gen­hei­ten, ein­sch­ließlich persönli­cher An­ge­le­gen­hei­ten der Ka­bi­nen­be­sat­zung (vgl. Ziff. 1.1.4.4 OM/A). Er hat­te die Auf­sicht über al­le Ak­ti­vitäten im Be­reich der Pas­sa­gier­be­treu­ung und über­wach­te die Ein­hal­tung al­ler in­ter­nen Richt­li­ni­en durch das Ka­bi­nen­per­so­nal. Er war für die Um­set­zung von Feed­back, Lob und persönli­chem Aus­tausch ver­ant­wort­lich und über­wach­te die Ein­hal­tung al­ler Dienst­pläne an den ent­sp­re­chen­den Sta­tio­nen. Sch­ließlich war er mit der Per­so­nal­be­schaf­fung für al­le Po­si­tio­nen im Be­reich Ka­bi­ne be­traut.

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dd) Auf­grund uni­ons­recht­li­cher Vor­ga­ben ist für die Be­fug­nis­se des Area Ma­na­gers Cock­pit so­wie des Re­gio­nal Ma­na­gers Ka­bi­ne das OM/A ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Be­klag­ten al­lein maßgeb­lich. Der Be­trei­ber hat vor Auf­nah­me des ge­werb­li­chen Luft­be­triebs ein Luft­ver­kehrs­be­trei­ber­zeug­nis (Air Ope­ra­tor Cer­ti­fi­ca­te, AOC) zu be­an­tra­gen und ein­zu­ho­len. Da­bei hat er ua. ein Ex­em­plar des gemäß ORO.MLR.100 des An­hangs III der Ver­ord­nung (EU) Nr. 965/2012 iVm. Nr. 8.b des An­hangs IV der Ver­ord­nung (EG) Nr. 216/2008 er­for­der­li­chen Be­triebs­hand­buchs vor­zu­le­gen (vgl. ORO.AOC.100 Buchst. a, b Nr. 6 des An­hangs III der Ver­ord­nung (EU) Nr. 965/2012). Die­ses ist auf dem neu­es­ten Stand zu hal­ten (vgl. ORO.MLR.100 Buchst. e des An­hangs III der Ver­ord­nung (EU) Nr. 965/2012). Je­der Flug ist ent­spre­chend den Be­stim­mun-

 

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gen des Be­triebs­hand­buchs durch­zuführen (vgl. ORO.GEN.110 Buchst. b des An­hangs III der Ver­ord­nung (EU) Nr. 965/2012). Nach Nr. 8.b des An­hangs IV der Ver­ord­nung (EG) Nr. 216/2008 darf der ge­werb­li­che Be­trieb von Luft­fahr­zeu­gen nur gemäß ei­nem Be­triebs­hand­buch des Be­trei­bers er­fol­gen. Die­ses muss für sämt­li­che be­trie­be­ne Luft­fahr­zeu­ge al­le er­for­der­li­chen An­wei­sun­gen, In­for­ma­tio­nen und Ver­fah­ren ent­hal­ten, die für das Be­triebs­per­so­nal zur Wahr­neh­mung sei­ner Auf­ga­ben er­for­der­lich sind. Be­schränkun­gen hin­sicht­lich Flug­zeit, Flug­dienst­zeiträum­en und Ru­he­zei­ten sind aus­zu­wei­sen. Das Be­triebs­hand­buch und sei­ne übe­r­ar­bei­te­ten Fas­sun­gen müssen mit dem ge­neh­mig­ten Flug­hand­buch im Ein­klang ste­hen und ge­ge­be­nen­falls geändert wer­den.

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ee) Dass die Lei­tungs­funk­ti­on nicht von ei­ner Per­son, son­dern ge­trennt für das Cock­pit- und das Ka­bi­nen­per­so­nal wahr­ge­nom­men wur­de, ist für die Ein­ord­nung der Sta­ti­on Düssel­dorf als Be­trieb iSd. MERL eben­so un­er­heb­lich wie der Um­stand, dass die für die Sta­ti­on Düssel­dorf zuständi­gen Area Ma­na­ger Cock­pit und Re­gio­nal Ma­na­ger Ka­bi­ne West auch für die Sta­ti­on Pa­der­born ver­ant­wort­lich wa­ren. Die­se Auf­tei­lung der Kom­pe­ten­zen ent­sprach der or­ga­ni­sa­to­ri­schen Tren­nung der Beschäftig­ten­grup­pen, die dem Be­triebs­verständ­nis der Schuld­ne­rin zu­grun­de lag, aber dem der MERL wi­der­spricht. Maßgeb­lich ist des­halb al­lein, dass die Sta­ti­on Düssel­dorf in der Ge­samt­schau die er­for­der­li­che Lei­tungs­struk­tur auf­wies.

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ff) So­weit die­ses uni­ons­recht­li­che Be­griffs­verständ­nis im Fall klein­tei­li­ger Struk­tu­ren da­zu führen kann, dass ei­ne Viel­zahl von Ar­beit­neh­mern vom Mas-sen­ent­las­sungs­schutz nicht er­fasst wird (vgl. die Fall­ge­stal­tung bei EuGH 30. April 2015 - C-80/14 - [USDAW und Wil­son]), steht dies im Ein­klang mit den Zie­len der MERL. Die­se be­trifft die so­zioöko­no­mi­schen Aus­wir­kun­gen, die Mas­sen­ent­las­sun­gen in ei­nem be­stimm­ten ört­li­chen Kon­text und ei­ner be­stimm­ten so­zia­len Um­ge­bung her­vor­ru­fen können (EuGH 13. Mai 2015 - C-392/13 - [Ra­bal Cañas] Rn. 47; 13. Mai 2015 - C-182/13 - [Lytt­le ua.] Rn. 32; 30. April 2015 - C-80/14 - [USDAW und Wil­son] Rn. 51; Brams Uni­ons­recht­li­che Im­pul­se für das Recht der Mas­sen­ent­las­sung S. 66 f.). Bei Ent­las­sun­gen in klein­tei­li­gen Struk­tu­ren wird aber der ört­li­che Ar­beits­markt ty­pi­scher-

 

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wei­se nicht be­las­tet, so dass es des Mas­sen­ent­las­sungs­schut­zes nicht be­darf. Ein Rechts­miss­brauch kann in sol­chen Fällen erst dann an­ge­nom­men wer­den, wenn der Ar­beit­ge­ber sein Un­ter­neh­men be­wusst in kleins­te Ein­hei­ten auf­teilt, um dem Mas­sen­ent­las­sungs­schutz zu ent­ge­hen (MHdB ArbR/Spel­ge 4. Aufl. Bd. 2 § 121 Rn. 8).

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e) Der Um­stand, dass die Um­lauf- und Dienst­pla­nung für den ge­sam­ten Flug­be­trieb zen­tral in Ber­lin er­folg­te, be­dingt nicht die Zu­ord­nung des in Düs­sel­dorf sta­tio­nier­ten Cock­pit­per­so­nals zu ei­nem in Ber­lin ansässi­gen und al­le Sta­tio­nen um­fas­sen­den ein­heit­li­chen Flug­be­trieb und führt da­mit zu kei­nem an­de­ren Er­geb­nis. Ei­ne sol­che Be­trach­tungs­wei­se ver­wisch­te die in ei­ner Un­ter­neh­mens­struk­tur von der MERL ge­for­der­te Un­ter­schei­dung zwi­schen Un­ter­neh­men und Be­trieb. Für ei­nen Be­trieb iSd. MERL reicht es aus, wenn ei­ne Ein­heit ei­ne Struk­tur hat, die sie in­ner­halb ei­nes Un­ter­neh­mens zu ei­nem un­ter­scheid­ba­ren Teil macht. Das war hier, wie aus­geführt, der Fall. Der Be­triebs­be­griff der MERL setzt ge­ra­de kei­ne recht­li­che, wirt­schaft­li­che, fi­nan­zi­el­le, ver­wal­tungsmäßige oder tech­no­lo­gi­sche Au­to­no­mie der Ein­heit vor­aus (EuGH 13. Mai 2015 - C-392/13 - [Ra­bal Cañas] Rn. 45 ff.; 13. Mai 2015 - C-182/13 - [Lytt­le ua.] Rn. 30 ff.; 30. April 2015 - C-80/14 - [USDAW und Wil­son] Rn. 49 ff.).

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4. Dem Verständ­nis der Sta­ti­on Düssel­dorf als Be­trieb iSd. MERL und des § 17 KSchG steht der be­son­de­re Be­triebs­be­griff für den Luft­ver­kehr in § 24 Abs. 2 KSchG nicht ent­ge­gen. Die­ser Be­griff hat un­ge­ach­tet des miss­verständ­li­chen Wort­lauts der Be­stim­mung für den Mas­sen­ent­las­sungs­schutz kei­ne Be­deu­tung. Das folgt aus der Ge­set­zes­sys­te­ma­tik.

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a) Nach § 24 Abs. 2 KSchG gilt als Be­trieb „im Sin­ne die­ses Ge­set­zes“ ua. die Ge­samt­heit der Luft­fahr­zeu­ge ei­nes Luft­ver­kehrs­be­triebs. In Ab­gren­zung von den Land- und Bo­den­be­trie­ben enthält § 24 Abs. 2 KSchG in­so­weit ei­nen ei­genständi­gen Be­triebs­be­griff. Die­ser be­zieht sich aus­weis­lich § 23 Abs. 1 Satz 1, § 24 Abs. 1 KSchG aber nur auf die Vor­schrif­ten des Ers­ten und Zwei­ten Ab­schnitts des Kündi­gungs­schutz­ge­set­zes (KSchG). Für den im Drit­ten Ab­schnitt des KSchG ge­re­gel­ten Mas­sen­ent­las­sungs­schutz be­an­sprucht er da­ge­gen nach die­sen Be­stim­mun­gen kei­ne Gel­tung (LKB/Bay­reu­ther KSchG

 

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16. Aufl. § 24 Rn. 6, 17; aA APS/Moll 5. Aufl. KSchG § 24 Rn. 7; aA bezüglich der Be­triebs­größe auch Ha­Ko/Pfeif­fer 6. Aufl. KSchG § 24 Rn. 8). Sys­te­ma­tisch de­fi­niert § 23 Abs. 1 KSchG den Gel­tungs­be­reich der Vor­schrif­ten des Ers­ten und Zwei­ten Ab­schnitts des KSchG und enthält (nur in­so­weit) ei­nen durch § 24 KSchG aus­ge­stal­te­ten Vor­be­halt ua. für die Luft­ver­kehrs­be­trie­be. Im Ge­gen­satz da­zu gilt für die­se gemäß § 23 Abs. 2 KSchG der Mas­sen­ent­las­sungs­schutz oh­ne die in § 24 Abs. 2 KSchG nor­mier­te Mo­di­fi­ka­ti­on des Be­triebs­be­griffs. Ei­ne Son­der­re­ge­lung für den im Drit­ten Ab­schnitt des KSchG ent­hal­te­nen Mas-sen­ent­las­sungs­schutz enthält § 24 Abs. 5 KSchG al­lein für die Be­sat­zun­gen von See­schif­fen und auch in­so­weit nur in Be­zug auf die Be­tei­li­gung des See­be­triebs­rats an­stel­le des Be­triebs­rats so­wie die zuständi­ge Behörde bei See­schif­fen, die un­ter der Flag­ge ei­nes an­de­ren Mit­glied­staats der Eu­ropäischen Uni­on fah­ren. Die zunächst noch in § 23 Abs. 2 Satz 2 KSchG ent­hal­te­ne Her­aus-nah­me der See­schif­fe aus dem Gel­tungs­be­reich des Drit­ten Ab­schnitts des KSchG hat der deut­sche Ge­setz­ge­ber durch Art. 4 Nr. 1 EM-Leis­tungs-ver­bes­se­rungs­ge­setz vom 17. Ju­li 2017 (BGBl. I S. 2509) mit Wir­kung ab 10. Ok­to­ber 2017 ge­stri­chen. Gleich­zei­tig hat er § 24 Abs. 5 KSchG in der ak­tu­ell gel­ten­den Fas­sung an­gefügt. Dies ge­schah in Um­set­zung von Art. 4 der Richt­li­nie (EU) 2015/1794 zur Ände­rung ver­schie­de­ner Richt­li­ni­en in Be­zug auf See­leu­te.

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b) Die­ses Norm­verständ­nis wird auch durch ei­ne his­to­ri­sche Be­trach­tung bestätigt. Der na­tio­na­le Ge­setz­ge­ber hat die bis 29. April 1978 in § 23 Abs. 2 Satz 2 KSchG ent­hal­te­ne Her­aus­nah­me der Luft­fahr­zeu­ge und ih­rer Be­sat­zun­gen aus dem Gel­tungs­be­reich des Drit­ten Ab­schnitts des KSchG durch Art. 1 Nr. 4 des Zwei­ten Ge­set­zes zur Ände­rung des Kündi­gungs­schutz­ge­set­zes vom 27. April 1978 (BGBl. I S. 550), mit dem er die Vor­ga­ben der Richt­li­nie 75/129/EWG in na­tio­na­les Recht um­ge­setzt hat (vgl. BT-Drs. 8/1041 S. 4), ge­stri­chen. Dies ge­schah vor dem Hin­ter­grund, dass die Richt­li­nie ei­ne sol­che Aus­nah­me nicht ent­hielt (vgl. BT-Drs. 8/1041 S. 6). Für die Be­sat­zun­gen von Luft­fahr­zeu­gen gel­ten die MERL und § 17 KSchG dem­zu­fol­ge nach dem Wil­len des na­tio­na­len Ge­setz­ge­bers un­ein­ge­schränkt. Das gilt auch für den die­sen Be­stim­mun­gen zu­grun­de lie­gen­den Be­triebs­be­griff.

 

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Dar­an hat die­ser auch später nichts geändert. Mit der Neu­fas­sung des § 24 KSchG durch Art. 3 des Ge­set­zes zur Um­set­zung des See­ar­beitsübe­rein-kom­mens 2006 der In­ter­na­tio­na­len Ar­beits­or­ga­ni­sa­ti­on vom 20. April 2013 (BGBl. I S. 868) soll­ten die Re­ge­lun­gen zu kündi­gungs­schutz­recht­li­chen Be­son­der­hei­ten an die heu­ti­gen Verhält­nis­se der See­schiff­fahrt und des Luft­ver­kehrs an­ge­passt wer­den, oh­ne dass da­mit ei­ne in­halt­li­che Ände­rung des Be­triebs­be­griffs ver­bun­den sein soll­te (BT-Drs. 17/10959 S. 119). Die Re­ge­lung des bis­he­ri­gen § 24 Abs. 1 Satz 2 KSchG wur­de le­dig­lich als ei­genständi­ger Ab­satz 2 ge­fasst. Den Be­triebs­be­griff des Drit­ten Ab­schnitts des KSchG und die un­ein­ge­schränk­te An­wen­dung der Vor­schrif­ten zur Mas­sen­ent­las­sung auf die Be­sat­zung von Luft­fahr­zeu­gen ließ die Neu­fas­sung un­verändert.

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5. Das Be­triebs­verständ­nis des § 17 KSchG hat nicht zur Fol­ge, dass der Ar­beit­ge­ber kein Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­ren iSv. § 17 Abs. 2 KSchG durchführen muss, wenn auf­grund des ab­wei­chen­den be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­chen Be­triebs­be­griffs des deut­schen Rechts für den Be­trieb iSd. MERL kein ei­ge­nes Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tungs­gre­mi­um gewählt ist. Un­ge­ach­tet des uni­ons­recht­lich de­ter­mi­nier­ten Verständ­nis­ses des Be­triebs­be­griffs sind die von § 17 Abs. 2 KSchG ge­for­der­ten Kon­sul­ta­tio­nen bei uni­ons­rechts­kon­for­mem Verständ­nis die­ser Norm mit der nach na­tio­na­lem Recht zuständi­gen Ar­beit­neh­mer­vert­re­tung durch­zuführen. Be­steht ein nach na­tio­na­lem Recht gewähl­tes Gre­mi­um, das (auch) die Ar­beit­neh­mer des Be­triebs iSd. § 17 KSchG re­präsen­tiert, muss der Ar­beit­ge­ber da­her die­ses Gre­mi­um be­tei­li­gen. Die Schuld­ne­rin muss­te dem­nach das Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­ren mit der PV Cock­pit durchführen. Ei­ne zu­sätz­li­che Be­tei­li­gung der PV Ka­bi­ne war da­ge­gen eben­so we­nig er­for­der­lich wie die Hin­zu­zie­hung der Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung.

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a) Nach § 17 Abs. 2 KSchG be­steht die Kon­sul­ta­ti­ons­pflicht für den Ar­beit­ge­ber ge­genüber „dem Be­triebs­rat“. Dies dient der Um­set­zung von Art. 2 der MERL, der von „Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tern“ spricht. Das sind nach Art. 1 Abs. 1 Buchst. b der MERL die Ar­beit­neh­mer­ver­tre­ter nach den Rechts­vor­schrif­ten oder der Pra­xis der Mit­glied­staa­ten. Es muss sich so­mit um das Re­präsen­ta­ti­ons­or­gan han­deln, das nach na­tio­na­lem Recht die Ar­beit­neh­mer­inte-

 

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res­sen ge­genüber dem Ar­beit­ge­ber ver­tritt (zu Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richt­li­nie 2001/23/EG Schu­bert/Sch­mitt in Oet­ker/Preis EAS Stand No­vem­ber 2019 B 8300 Rn. 609). Wei­ter ist zu berück­sich­ti­gen, dass es sich bei dem Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­ren trotz sei­ner ge­setz­li­chen Ver­an­ke­rung im KSchG ma­te­ri­ell um ei­ne be­triebs­ver­fas­sungs­recht­lich ge­prägte Re­ge­lung han­delt (BAG 22. Sep­tem­ber 2016 - 2 AZR 276/16 - Rn. 37, BA­GE 157, 1). Die nach § 17 Abs. 2 KSchG zuständi­ge Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tung ist da­her grundsätz­lich nach der Kom­pe­tenz­zu­wei­sung des Be­trVG zu be­stim­men (vgl. BAG 7. Ju­li 2011 - 6 AZR 248/10 - Rn. 30 f., BA­GE 138, 301; Schu­bert/Sch­mitt in Oet­ker/Preis aaO Rn. 560; APS/Moll 5. Aufl. KSchG § 17 Rn. 11a, 74d; Brams Uni­ons­recht­li­che Im­pul­se für das Recht der Mas­sen­ent­las­sung S. 84, 86). In­so­weit ist zwi­schen der Eröff­nung des An­wen­dungs­be­reichs der MERL bzw. des § 17 KSchG, für die der uni­ons­recht­lich ge­prägte Be­triebs­be­griff des Mas­sen­ent­las-sungs­schut­zes maßgeb­lich ist, und der Be­stim­mung der zuständi­gen Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tung, die sich nach dem na­tio­na­len Recht rich­tet, strikt zu tren­nen.

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Das führt zur grundsätz­li­chen Zuständig­keit des ört­li­chen Be­triebs­rats, un­ter den Vor­aus­set­zun­gen des § 50 Be­trVG zu der des Ge­samt­be­triebs­rats (BAG 13. De­zem­ber 2012 - 6 AZR 752/11 - Rn. 44; vgl. auch BAG 20. Sep­tem­ber 2012 - 6 AZR 155/11 - Rn. 41, BA­GE 143, 150; Schu­bert/Sch­mitt in Oet­ker/ Preis EAS Stand No­vem­ber 2019 B 8300 Rn. 560). Soll die Mas­sen­ent­las­sung in ei­nem Be­triebs­teil durch­geführt wer­den, der be­triebs­ver­fas­sungs­recht­lich ei­nem Haupt­be­trieb zu­ge­ord­net ist, ist we­gen der Rück­ver­wei­sung auf das na­ti­ona­le Recht der Be­triebs­rat des Haupt­be­triebs, der auch die Ar­beit­neh­mer des Be­triebs­teils re­präsen­tiert, zu be­tei­li­gen. Nur die­ses Verständ­nis wird dem Zweck der MERL ge­recht. Ei­ne Aus­le­gung, die trotz Über­schrei­tens der Schwel­len­wer­te im Be­triebs­teil man­gels ei­genständi­ger Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tung ein Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­ren und da­mit ein we­sent­li­ches Ele­ment des Mas­sen-ent­las­sungs­schut­zes von vorn­her­ein aus­schlösse, ver­bie­tet der ef­fet uti­le (vgl. EuGH 8. Ju­ni 1994 - C-383/92 - [Kom­mis­si­on/Ver­ei­nig­tes König­reich] Rn. 19, 23). Die vor­ste­hen­den Über­le­gun­gen gel­ten für ei­nen Ge­mein­schafts­be­trieb oder kol­lek­tiv­recht­lich er­rich­te­te Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tun­gen nach § 3 Be­trVG ent­spre­chend (Schu­bert/Sch­mitt in Oet­ker/Preis aaO Rn. 561). Uni­ons­recht­lich

 

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nicht zu be­an­stan­den ist es hin­ge­gen, wenn in ei­nem be­triebs­ratsfähi­gen Be­trieb ein Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­ren aus­schei­det, weil kein Be­triebs­rat gewählt ist und die Ar­beit­neh­mer die­ses Be­triebs auch nicht durch ein an­de­res, von ih­nen mit­gewähl­tes Gre­mi­um re­präsen­tiert wer­den (vgl. Schu­bert/Sch­mitt in Oet­ker/ Preis aaO Rn. 566).

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b) Auch wenn § 17 Abs. 2 KSchG nur von „Be­triebsräten“ spricht, ist er uni­ons­rechts­kon­form da­hin aus­zu­le­gen (vgl. Schu­bert/Sch­mitt ZESAR 2020, 53, 55), dass er in Re­ge­lungs­be­rei­chen, in de­nen das Be­trVG nicht gilt und da­her kein Be­triebs­rat gewählt wer­den kann, aber ein dem Be­triebs­rat ver­gleich­ba­res Gre­mi­um vor­ge­se­hen ist, das die In­ter­es­sen der Be­leg­schaft ge­genüber dem Ar­beit­ge­ber ver­tritt, die Be­tei­li­gung die­ses Gre­mi­ums an­ord­net. Art. 1 Abs. 1 Buchst. b der MERL gewährt den Mit­glied­staa­ten kei­nen Spiel­raum hin­sicht­lich der Fra­ge des „Ob“ der Be­tei­li­gung ei­ner nach na­tio­na­lem Recht (an­stel­le des Be­triebs­rats) be­ste­hen­den Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tung. Er be­trifft le­dig­lich das „Wie“ de­ren Be­stel­lung (vgl. EuGH 8. Ju­ni 1994 - C-383/92 - [Kom­mis-si­on/Ver­ei­nig­tes König­reich] Rn. 19; Schu­bert/Sch­mitt aaO). Ein Be­griffs­ver­ständ­nis, das ei­ne be­ste­hen­de Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tung vom An­wen­dungs­be­reich des § 17 Abs. 2 KSchG ausnähme, ver­stieße ge­gen den Grund­satz des ef­fet uti­le (vgl. Schu­bert/Sch­mitt aaO). Da Art. 1 Abs. 1 Buchst. b der MERL nicht zwi­schen ge­setz­lich und kol­lek­tiv­ver­trag­lich vor­ge­se­he­nen Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tun­gen dif­fe­ren­ziert, hat der Ar­beit­ge­ber, der ei­nen Flug­be­trieb un­terhält, die auf der Grund­la­ge ei­nes Ta­rif­ver­trags nach § 117 Abs. 2 Satz 1 Be­trVG er­rich­te­te und nach die­sem zuständi­ge Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tung zu kon­sul­tie­ren. Auch die­se sind Ar­beit­neh­mer­ver­tre­ter iSd. Richt­li­nie. Da­von ist das Lan­de­sar­beits­ge­richt zu Recht aus­ge­gan­gen (vgl. für die PV Ka­bi­ne als Ver­tre­tungs­or­gan von Flug­be­glei­tern LAG Ber­lin-Bran­den­burg 11. Ju­li 2019 - 21 Sa 2100/18 - zu II 1 a cc (1) der Gründe; Schu­bert/Sch­mitt ZESAR 2020, 53, 54).

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c) Da­ge­gen war die Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung auch bei uni­ons­rechts­kon­for­mem Verständ­nis des § 17 Abs. 2 KSchG kein Gre­mi­um, mit dem die Schuld­ne­rin das Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­ren durchführen muss­te. Zwar ist auch die­se Ver­tre­tung ein ge­setz­li­ches Or­gan der Ver­fas­sung des Be­triebs, des­sen

 

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Rech­te und Pflich­ten ih­re Grund­la­ge in den Vor­schrif­ten über die Auf­ga­ben, Rech­te und Pflich­ten der Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung ha­ben (BAG 21. Sep­tem­ber 1989 - 1 AZR 465/88 - zu I 2 der Gründe, BA­GE 62, 382). Ih­re Kon­sul­ta­ti­on ne­ben der PV Cock­pit ge­bot aber we­der die MERL noch § 17 Abs. 2 KSchG (vgl. Lud­wig/Kem­na NZA 2019, 1547, 1551; aA LAG Ber­lin-Bran­den­burg 11. Ju­li 2019 - 21 Sa 2100/18 - zu II 1 a dd der Gründe - Re­vi­si­on zurück­ge­nom­men).

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aa) Wel­che von meh­re­ren in Be­tracht kom­men­den Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tun­gen iSd. MERL zu kon­sul­tie­ren ist, be­stimmt die­se nicht selbst, son­dern ge­währt den Mit­glied­staa­ten gemäß Art. 1 Abs. 1 Buchst. b ei­nen wei­ten Spiel­raum (Preis/Sa­gan/Na­ber/Sit­tard EuArbR 2. Aufl. Rn. 14.71). Die­ser ist erst dann über­schrit­ten, wenn die na­tio­na­le Re­ge­lung dem Schutz­ni­veau der MERL nicht mehr ge­recht wird, weil bspw. - wie dar­ge­legt - für be­stimm­te Ar­beit­neh­mer trotz be­ste­hen­der Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tung von vorn­her­ein kein Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­ren in Be­tracht käme oder die Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tung der (frei­wil­li­gen) An­er­ken­nung sei­tens des Ar­beit­ge­bers bedürf­te (vgl. EuGH 8. Ju­ni 1994 - C-383/92 - [Kom­mis­si­on/Ver­ei­nig­tes König­reich] Rn. 21).

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bb) Ei­ne „dop­pel­te Re­präsen­tanz“ ein­zel­ner Ar­beit­neh­mer­grup­pen for­dert die MERL aber nicht (Schu­bert/Sch­mitt ZESAR 2020, 53, 56). Sie will den Schwie­rig­kei­ten bei der Ar­beits­platz­su­che be­geg­nen, die für al­le Ar­beit­neh­mer un­ge­ach­tet persönli­cher Merk­ma­le aus dem Um­stand re­sul­tie­ren, dass ei­ne Viel­zahl ver­gleich­bar qua­li­fi­zier­ter Ar­beit­neh­mer dem lo­ka­len Ar­beits­markt gleich­zei­tig zur Verfügung steht (vgl. Hütter ZESAR 2015, 27). Ei­ne Berück­sich­ti­gung von Par­ti­ku­lar­in­ter­es­sen wie der der Grup­pe der schwer­be­hin­der­ten und der die­sen gleich­ge­stell­ten Ar­beit­neh­mer durch ein ge­son­der­tes Gre­mi­um be­reits im Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­ren sieht die MERL nicht vor. Ei­ne sol­che ist nach de­ren Sinn und Zweck auch nicht er­for­der­lich. Das Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­ren nimmt die von ei­ner Kündi­gung be­droh­ten Ar­beit­neh­mer als Ge­mein­schaft in den Blick und ver­mit­telt für die­se ei­nen kol­lek­ti­ven präven­ti­ven Kündi­gungs­schutz (vgl. EuGH 16. Ju­li 2009 - C-12/08 - [Mo­no Car Sty­ling] Rn. 42; BAG 7. Ju­li 2011 - 6 AZR 248/10 - Rn. 27, BA­GE 138, 301 - „kol­lek­tiv aus­ge­stal­te­tes


 

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Recht auf In­for­ma­ti­on und Kon­sul­ta­ti­on“), be­vor sich die Kündi­gungs­ab­sicht des Ar­beit­ge­bers auf be­stimm­te Ar­beit­neh­mer kon­kre­ti­siert hat. Die MERL re­gelt als bloß teil­har­mo­ni­sie­ren­de Richt­li­nie die ma­te­ri­ell-recht­li­chen Vor­aus­set­zun­gen für wirk­sa­me Mas­sen­ent­las­sun­gen nicht, son­dern behält die­se dem na­tio­na­len Recht vor (vgl. EuGH 21. De­zem­ber 2016 - C-201/15 - [AGET Ira­klis] Rn. 33), das da­bei un­ter Umständen wie­der­um Vor­ga­ben des Uni­ons­rechts berück­sich­ti­gen muss. Zu die­sen na­tio­na­len Vor­aus­set­zun­gen gehören nach­ge­la­ger­te Be­tei­li­gungs­ver­fah­ren, wie sie § 102 Be­trVG oder § 178 Abs. 2 SGB IX vor­se­hen (Schu­bert/Sch­mitt in Oet­ker/Preis EAS Stand No­vem­ber 2019 B 8300 Rn. 594).

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Im Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­ren ist da­ge­gen grundsätz­lich der Be­triebs­rat das Gre­mi­um, das nach na­tio­na­lem Recht die Be­leg­schaft der be­trieb­li­chen Ein­heit, von der er gewählt wor­den ist, ins­ge­samt re­präsen­tiert (vgl. BAG 18. No­vem­ber 2014 - 1 ABR 21/13 - Rn. 20, BA­GE 150, 74; 17. Au­gust 2010 - 9 ABR 83/09 - Rn. 18, BA­GE 135, 207), de­ren In­ter­es­sen er auch im Fall der Mas­sen­ent­las­sung (Lud­wig/Kem­na NZA 2019, 1547, 1551) fremdnützig wahr­nimmt (Fit­ting Be­trVG 30. Aufl. § 1 Rn. 285) und des­halb nach § 17 Abs. 2 KSchG zu be­tei­li­gen ist. Das Glei­che gilt im vor­lie­gen­den Fall für die PV Cock­pit in Be­zug auf das Cock­pit­per­so­nal. Ei­ne zusätz­li­che Kon­sul­ta­ti­on der Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung ver­langt die MERL nicht (vgl. Zöll­ner SAE 2019, 139, 144 - „SBV ist kein ‚Mi­ni-Be­triebs­rat‘“).

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cc) So­weit aus Art. 5 Satz 1 und Satz 2 der Richt­li­nie 2000/78/EG die Pflicht der Mit­glied­staa­ten zu po­si­ti­ven Maßnah­men für Men­schen mit Be­hin­de­rung folgt, ist dem mit der ge­trennt vom Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­ren durch­zuführen­den Be­tei­li­gung nach § 178 Abs. 2 SGB IX (bis 31. De­zem­ber 2017 § 95 Abs. 2 SGB IX in der ab dem 30. De­zem­ber 2016 gel­ten­den Fas­sung, vgl. Art. 1, Art. 2 Nr. 6 Buchst. b, Art. 26 Abs. 1, Abs. 2 Bun­des­teil­ha­be­ge­setz vom 23. De­zem­ber 2016, BGBl. I S. 3234) Genüge ge­tan (vgl. Schu­bert/Sch­mitt ZESAR 2020, 53, 56). Da­nach hat der Ar­beit­ge­ber die Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung vor ei­ner Ent­schei­dung, die Par­ti­ku­lar­in­ter­es­sen der Schwer­be­hin­der­ten berührt, an­zuhören, da­mit die­se zu der ge­plan­ten Maßnah­me Stel­lung neh­men und so die Ent­schei­dung des Ar­beit­ge­bers be­ein­flus­sen kann (BAG 14. März

 

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2012 - 7 ABR 67/10 - Rn. 21; zum In­halt der Un­ter­rich­tung vgl. BAG 13. De­zem­ber 2018 - 2 AZR 378/18 - Rn. 20 ff., BA­GE 164, 360). Ei­ne Pflicht, (auch) die Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung nach § 17 Abs. 2 KSchG zu kon­sul­tie­ren, folgt hier­aus aber nicht (aA LAG Ber­lin-Bran­den­burg 11. Ju­li 2019 - 21 Sa 2100/18 - zu II 1 a dd (2) und (3) der Gründe). Das Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­ren und das Be­tei­li­gungs­ver­fah­ren nach dem SGB IX sind viel­mehr von­ein­an­der zu tren­nen und un­ter­lie­gen je­weils ei­ge­nen Vor­aus­set­zun­gen. Ei­ne Kon­sul­ta­ti­on, wie sie § 17 Abs. 2 KSchG vor­sieht, setzt § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX nicht vo­raus. So­weit die­se Norm in ih­rem Abs. 2 Satz 1 die un­verzügli­che und um­fas­sen­de Un­ter­rich­tung in al­len An­ge­le­gen­hei­ten, die ei­nen ein­zel­nen oder die schwer­be­hin­der­ten Men­schen als Grup­pe berühren, dh. be­tref­fen (BAG 26. Ja­nu­ar 2017 - 8 AZR 736/15 - Rn. 35; 17. Au­gust 2010 - 9 ABR 83/09 - Rn. 14, BA­GE 135, 207), und die Anhörung vor ei­ner Ent­schei­dung ver­langt, führt dies nicht da­zu, dass die Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung be­reits im Rah­men des Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­rens zu be­tei­li­gen ist. Denn es be­steht kei­ne Un­ter­rich­tungs­pflicht, wenn die An­ge­le­gen­heit die Be­lan­ge schwer­be­hin­der­ter oder ih­nen gleich­ge­stell­ter be­hin­der­ter Men­schen in kei­ner an­de­ren Wei­se berührt als die nicht schwer­be­hin­der­ter Beschäftig­ter (vgl. BAG 26. Ja­nu­ar 2017 - 8 AZR 736/15 - Rn. 35; 14. März 2012 - 7 ABR 67/10 - Rn. 20; 17. Au­gust 2010 - 9 ABR 83/09 - Rn. 13, aaO; Mus­hoff in Hauck/Noftz SGB IX 2018 Stand De­zem­ber 2018 K § 178 Rn. 52; Lud­wig/Kem­na NZA 2019, 1547, 1548). Das ist je­den­falls bis zum Ab­schluss des Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­rens der Fall (vgl. für den Fall ei­ner Be­triebsände­rung Lud­wig/Kem­na aaO). Ent­schei­dun­gen iSd. Norm sind nur ein­sei­ti­ge Wil­lens­ak­te des Ar­beit­ge­bers wie bspw. ei­ne Kündi­gung (BAG 20. Ju­ni 2018 - 7 ABR 39/16 - Rn. 33; 14. März 2012 - 7 ABR 67/10 - Rn. 21). Das Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­ren fällt nicht dar­un­ter.

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d) Falls für ei­nen Be­trieb iSd. MERL meh­re­re Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tun­gen für ver­schie­de­ne Beschäftig­ten­grup­pen - wie bspw. vor­lie­gend die PV Cock­pit und die PV Ka­bi­ne oder wie der Spre­cher­aus­schuss - gewählt sind, ist der Ar­beit­ge­ber nicht ge­hal­ten, ein ein­heit­li­ches Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­ren mit al­len Ver­tre­tun­gen ge­mein­sam durch­zuführen. Auch ist es nicht er­for­der­lich, die Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­ren mit den je­wei­li­gen Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tun­gen zeit­lich par­al­lel

 

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ein­zu­lei­ten, durch­zuführen und ab­zu­sch­ließen. In­so­weit kann je­de Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tung nur für den Teil der Be­leg­schaft, von dem sie gewählt ist und den sie da­her re­präsen­tiert, auf­tre­ten. Da es sich - was Art. 1 Abs. 1 Buchst. b der MERL er­laubt und das na­tio­na­le Recht im Rah­men des § 117 Be­trVG ermög­licht - um je­weils selbstständi­ge Gre­mi­en han­delt, folgt aus de­ren Ne­ben­ein­an­der zu­gleich auch, dass die Kon­sul­ta­tio­nen in­halt­lich un­ter­schied­lich ver­lau­fen und zu un­ter­schied­li­chen Zeit­punk­ten mit un­ter­schied­li­chen Er­geb­nis­sen be­en­det sein können. Al­ler­dings hat der Ar­beit­ge­ber der Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tung während des Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­rens neu er­lang­te In­for­ma­tio­nen mit­zu­tei­len bzw. er­teil­te Auskünf­te zu ver­vollständi­gen, so­weit die­se re­le­vant oder zur ord­nungs­gemäßen Un­ter­rich­tung der Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tung er­for­der­lich sind (vgl. EuGH 10. Sep­tem­ber 2009 - C-44/08 - [Aka­van Eri­ty­isa­lo­jen Kes­kus­liit­to ua.] Rn. 53; BAG 26. Fe­bru­ar 2015 - 2 AZR 955/13 - Rn. 29, BA­GE 151, 83; LKB/ Bay­reu­ther KSchG 16. Aufl. § 17 Rn. 83). Da­her ist der Ar­beit­ge­ber ver­pflich­tet, in den Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­ren über den Stand der Be­ra­tun­gen mit dem je­weils an­de­ren Gre­mi­um recht­zei­tig zu un­ter­rich­ten, so­weit hier­zu Ver­an­las­sung be­steht. Das ist je­den­falls dann der Fall, wenn der Ar­beit­ge­ber ei­nes der meh­re­ren Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­ren ab­sch­ließt oder auf­grund der Erörte­rung in ei­nem der Ver­fah­ren sei­ne Pla­nun­gen übe­r­ar­bei­tet. In­so­weit han­delt es sich um zweck­dien­li­che Auskünf­te iSd. § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG.

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III. Die Kündi­gung ist gemäß § 17 Abs. 1, Abs. 3 KSchG iVm. § 134 BGB un­wirk­sam. Die Ver­ken­nung des Be­triebs­be­griffs durch die Schuld­ne­rin hat zur Fol­ge, dass die­se ei­ne in­halt­lich nicht ord­nungs­gemäße Mas­sen­ent­las­sungs­an-zei­ge bei der un­zuständi­gen Ar­beits­agen­tur Ber­lin Nord er­stat­tet hat. Ei­ne An­zei­ge bei der zuständi­gen Ar­beits­agen­tur Düssel­dorf er­folg­te hin­ge­gen nicht.

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1. Durch das An­zei­ge­ver­fah­ren soll die Agen­tur für Ar­beit recht­zei­tig über ei­ne be­vor­ste­hen­de Mas­sen­ent­las­sung un­ter­rich­tet wer­den, um sich auf die Ent­las­sung ei­ner größeren An­zahl von Ar­beit­neh­mern vor­be­rei­ten und ih­re Ver­mitt­lungs­bemühun­gen dar­auf ein­stel­len zu können (vgl. EuGH 27. Ja­nu­ar 2005 - C-188/03 - [Junk] Rn. 47; eben­so BAG 20. Ja­nu­ar 2016 - 6 AZR 601/14 - Rn. 27, BA­GE 154, 53). Das setzt vor­aus, dass be­reits fest­steht, wie

 

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vie­le und wel­che Ar­beit­neh­mer kon­kret ent­las­sen wer­den sol­len. Auf den Wil­lens­ent­schluss des Ar­beit­ge­bers zur Kündi­gung kann, soll und will die Agen­tur für Ar­beit - an­ders als das zuständi­ge Gre­mi­um im Rah­men des Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­rens - kei­nen Ein­fluss mehr neh­men. Ihr Tätig­wer­den knüpft viel­mehr an ei­nen sol­chen Wil­lens­ent­schluss an. Erst dann kann nach § 17 Abs. 1 KSchG die Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge wirk­sam er­stat­tet wer­den (BAG 13. Ju­ni 2019 - 6 AZR 459/18 - Rn. 28, 23).

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Al­ler­dings ver­pflich­tet § 17 Abs. 1 KSchG den Ar­beit­ge­ber bei richt­li­nien­kon­for­mem Verständ­nis da­zu, die An­zei­ge vor der „be­ab­sich­tig­ten“ Ent­las­sung, dh. vor der Kündi­gungs­erklärung, zu er­stat­ten. Die Kündi­gung kann da­her erst wirk­sam erklärt wer­den, wenn die Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge ord­nungs­gemäß er­folgt ist (BAG 9. Ju­ni 2016 - 6 AZR 405/15 - Rn. 17, BA­GE 155, 245; vgl. EuGH 27. Ja­nu­ar 2005 - C-188/03 - [Junk] Rn. 46 ff.; BAG 6. No­vem­ber 2008 - 2 AZR 935/07 - Rn. 25 ff., BA­GE 128, 256). Maßge­bend ist da­bei der Zu­gang der Kündi­gungs­erklärung beim Ar­beit­neh­mer. Wann die Kündi­gungser­klärung zu­geht, ist nach na­tio­na­lem Recht zu be­stim­men (BAG 13. Ju­ni 2019 - 6 AZR 459/18 - Rn. 34; vgl. auch EuGH 21. De­zem­ber 2016 - C-201/15 - [AGET Ira­klis] Rn. 29 ff., Rn. 33).

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2. Ent­ge­gen der An­nah­me der Re­vi­si­on ist die Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge nicht un­wirk­sam, wenn die Schuld­ne­rin - so­fern man dies zu Guns­ten der Re­vi­si­on un­ter­stell­te - die Kündi­gungs­erklärung vor Er­stat­tung der Mas­sen­ent-las­sungs­an­zei­ge un­ter­zeich­net hat und da­mit zu die­sem Zeit­punkt be­reits zur Kündi­gung der Kla­ge­par­tei ent­schlos­sen war (vgl. BAG 13. Ju­ni 2019 - 6 AZR 459/18 - Rn. 23).

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3. Die Schuld­ne­rin hat die An­zei­ge vom 24. No­vem­ber 2017 al­ler­dings bei der un­zuständi­gen Behörde ein­ge­reicht.

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a) Der Ar­beit­ge­ber ist nach § 17 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 KSchG ver­pflich­tet, der Agen­tur für Ar­beit die Mas­sen­ent­las­sung an­zu­zei­gen. Die An­zei­ge­pflicht als selbstständi­ger Teil des Mas­sen­ent­las­sungs­ver­fah­rens soll es der Agen­tur für Ar­beit ermögli­chen, durch ge­eig­ne­te Maßnah­men Be­las­tun­gen des Ar­beits-

 

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markts zu ver­mei­den oder zu­min­dest zu verzögern, die Fol­gen der Ent­las­sun­gen für die Be­trof­fe­nen zu mil­dern und für de­ren an­der­wei­ti­ge Beschäfti­gung zu sor­gen (vgl. EuGH 27. Ja­nu­ar 2005 - C-188/03 - [Junk] Rn. 47; eben­so BAG 13. Ju­ni 2019 - 6 AZR 459/18 - Rn. 28; 22. Sep­tem­ber 2016 - 2 AZR 276/16 - Rn. 24, BA­GE 157, 1; 20. Ja­nu­ar 2016 - 6 AZR 601/14 - Rn. 27, BA­GE 154, 53). Nach der Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs be­trifft die MERL die so­zio-öko­no­mi­schen Aus­wir­kun­gen, die Mas­sen­ent­las­sun­gen in ei­nem be­stimm­ten ört­li­chen Kon­text und ei­ner be­stimm­ten so­zia­len Um­ge­bung her­vor­ru­fen kön­nen. Die­se sol­len auf­ge­fan­gen wer­den, in­dem der Ar­beit­ge­ber nicht nur Ar­beit­neh­mer­ver­tre­ter kon­sul­tiert, son­dern auch die zuständi­ge Behörde un­ter­rich­tet, be­vor er die be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer entlässt (vgl. EuGH 13. Mai 2015 - C-182/13 - [Lytt­le ua.] Rn. 32; 15. Fe­bru­ar 2007 - C-270/05 - [Athi­naïki Char­to­poiïa] Rn. 28).

75

b) Nach Art. 3 Abs. 1 der MERL hat der Ar­beit­ge­ber der „zuständi­gen“ Be­hörde al­le be­ab­sich­tig­ten Mas­sen­ent­las­sun­gen schrift­lich an­zu­zei­gen. In Deutsch­land ist das die für den Be­triebs­sitz ört­lich zuständi­ge Agen­tur für Ar­beit. Das er­gibt die uni­ons­rechts­kon­for­me Aus­le­gung des § 17 Abs. 1 KSchG.

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aa) Die MERL be­stimmt die zuständi­ge Behörde nicht selbst, son­dern über­lässt dies der Aus­ge­stal­tung durch die Mit­glied­staa­ten (Preis/Sa­gan/Na­ber/ Sit­tard EuArbR 2. Aufl. Rn. 14.132; Brams Uni­ons­recht­li­che Im­pul­se für das Recht der Mas­sen­ent­las­sung S. 90). Die­se ha­ben le­dig­lich dafür zu sor­gen, dass Ver­fah­ren be­ste­hen, mit de­nen die Ein­hal­tung der von der Richt­li­nie vor­ge­se­he­nen Ver­pflich­tun­gen wirk­sam gewähr­leis­tet wer­den kann (Art. 6 der MERL; vgl. EuGH 16. Ju­li 2009 - C-12/08 - [Mo­no Car Sty­ling] Rn. 34, 36).

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bb) Der deut­sche Ge­setz­ge­ber hat in § 17 Abs. 1 KSchG fest­ge­legt, dass der Ar­beit­ge­ber „der Agen­tur für Ar­beit“ die An­zei­ge zu er­stat­ten hat. Hin­sicht­lich der ört­li­chen Zuständig­keit trifft § 17 KSchG selbst kei­ne aus­drück­li­che Re­ge­lung. Aus dem Zweck des An­zei­ge­ver­fah­rens folgt aber, dass die An­zei­ge bei der Agen­tur für Ar­beit zu er­stat­ten ist, bei der es zu den in­ner­halb der Sperr­frist zu bewälti­gen­den so­zioöko­no­mi­schen Aus­wir­kun­gen kommt (vgl. EuGH 27. Ja­nu­ar 2005 - C-188/03 - [Junk] Rn. 47 f.). Die­se tre­ten nach der Vors­tel-

 

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lung der MERL ty­pi­scher­wei­se am Sitz des Be­triebs auf, des­sen ört­li­che Ge­mein­schaft von der Mas­sen­ent­las­sung be­trof­fen ist. Dort bzw. in des­sen räum­li­cher Nähe woh­nen die Ar­beit­neh­mer, mel­den sich ar­beit­su­chend und würden den Ar­beits­markt und da­mit auch die so­zia­len Verhält­nis­se be­las­ten (vgl. die Schluss­anträge des Ge­ne­ral­an­walts vom 5. Fe­bru­ar 2015 - C-80/14 - [USDAW und Wil­son] Rn. 49; Brams Uni­ons­recht­li­che Im­pul­se für das Recht der Mas­sen­ent­las­sung S. 66 f.). Auf­grund des de­zen­tra­len Auf­baus der Bun­des­agen­tur für Ar­beit mit 156 Agen­tu­ren für Ar­beit, die wie­der­um rund 600 Nie­der­las­sun­gen ha­ben, ist die An­zei­ge bei der Agen­tur zu er­stat­ten, in de­ren Zuständig­keits­be­reich nach Mas­sen­ent­las­sun­gen ty­pi­scher­wei­se ei­ne verstärk­te Ver­mitt­lungstä­tig­keit zu er­war­ten ist. Das ist die Agen­tur, die für den Sitz des Be­triebs zustän­dig ist, nicht die­je­ni­ge am Un­ter­neh­mens­sitz (LAG Düssel­dorf 5. De­zem­ber 2018 - 12 Sa 401/18 - zu D II 1 der Gründe; MHdB ArbR/Spel­ge 4. Aufl. Bd. 2 § 121 Rn. 129; EuAr­bRK/Spel­ge 3. Aufl. RL 98/59/EG Art. 3 Rn. 3; ErfK/Kiel 20. Aufl. KSchG § 17 Rn. 29; Lembke/Ober­win­ter in Thüsing/Ra­chor/Lembke KSchG 4. Aufl. § 17 KSchG Rn. 123; Preis/Sa­gan/Na­ber/Sit­tard EuArbR 2. Aufl. Rn. 14.133; LKB/Bay­reu­ther KSchG 16. Aufl. § 17 Rn. 110; APS/Moll 5. Aufl. KSchG § 17 Rn. 96; Schaub ArbR-HdB/Linck 18. Aufl. § 142 Rn. 21; Brams aaO S. 90 „streng be­triebs­be­zo­gen“; Pier­ro Die Ent­wick­lung des ar­beits­recht­li­chen Kündi­gungs­schut­zes am Bei­spiel der Mas­sen­ent­las­sung un­ter be­son­de­rer Berück­sich­ti­gung der §§ 17, 18 KSchG S. 59). Dem­ent­spre­chend hat die Bun­des­agen­tur für Ar­beit - in Übe­rein­stim­mung mit den uni­ons­recht­li­chen Vor­ga­ben - in der Erläute­rung im For­mu­lar „Ent­las­sungs­an­zei­ge gemäß § 17 Kündi-gungs­schutz­ge­setz (KSchG)“ so­wie in ih­ren „Fach­li­chen Wei­sun­gen Drit­ter und Vier­ter Ab­schnitt Kündi­gungs­schutz­ge­setz - KSchG“ vom 10. Ok­to­ber 2017 (im Fol­gen­den Fach­li­che Wei­sun­gen KSchG) zu § 17 KSchG un­ter Ziff. 2.2.3. „Ört­li­che Zuständig­keit“ und da­mit für den be­trof­fe­nen Ar­beit­ge­ber oh­ne Wei­te­res er­kenn­bar fest­ge­legt, dass die An­zei­ge der Agen­tur für Ar­beit zu er­stat­ten ist, in de­ren Be­zirk der be­trof­fe­ne Be­trieb sei­nen Sitz hat. Dar­um reicht der Ein­gang bei ir­gend­ei­ner Agen­tur für Ar­beit in Deutsch­land oh­ne ei­ne recht­zei­ti­ge Wei­ter­lei­tung an die ört­lich zuständi­ge Agen­tur nicht für ei­ne ord­nungs­gemäße An­zei­ge iSv. § 17 Abs. 1 KSchG aus.

 

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Ob man die ört­lich zuständi­ge Agen­tur für Ar­beit da­bei an­hand ei­ner richt­li­ni­en­kon­for­men Aus­le­gung des § 3 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG (so NK-GA/ Bo­em­ke § 17 KSchG Rn. 105) oder des § 327 Abs. 4 SGB III (so MHdB ArbR/Spel­ge 4. Aufl. Bd. 2 § 121 Rn. 129; oh­ne nähe­re Be­gründung BAG 21. Mai 2019 - 2 AZR 582/18 - Rn. 25; 21. März 2012 - 6 AZR 596/10 - Rn. 27; 14. Au­gust 1986 - 2 AZR 683/85 - zu B I 6 der Gründe) be­stimmt, kann der Se­nat of­fen­las­sen. Bei­des führt vor­lie­gend zu glei­chen Er­geb­nis­sen.

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c) Mit der vor Zu­gang der Kündi­gung bei der Agen­tur für Ar­beit Ber­lin Nord er­stat­te­ten Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge vom 24. No­vem­ber 2017 hat die Schuld­ne­rin ih­re An­zei­ge­pflicht nicht erfüllt.

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aa) In­so­weit ist un­er­heb­lich, dass die Schuld­ne­rin der Agen­tur für Ar­beit Ber­lin Nord im Vor­feld der An­zei­ge und im da­zu er­stell­ten Be­gleit­schrei­ben den aus ih­rer Sicht für die Fra­ge der ört­li­chen Zuständig­keit re­le­van­ten Sach­ver­halt sub­jek­tiv um­fas­send und kor­rekt dar­ge­stellt und da­mit ver­meint­lich al­les ih­rer­seits Er­for­der­li­che ge­tan hat­te. Ent­spre­chend dem og. Zweck der An­zei­ge, die so­zioöko­no­mi­schen Aus­wir­kun­gen von Mas­sen­ent­las­sun­gen dort zu mil­dern, wo sie ty­pi­scher­wei­se auf­tre­ten, nämlich am Be­triebs­sitz, ver­langt Art. 3 Abs. 1 der MERL, dass die be­ab­sich­tig­ten Ent­las­sun­gen bei der nach na­tio­na­lem Recht tatsächlich und nicht nur ver­meint­lich „zuständi­gen“ Behörde an­ge­zeigt wer­den. Dem trägt § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG bei uni­ons­rechts­kon­for­mem Ver­ständ­nis, wie aus­geführt, Rech­nung.

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bb) Die­sem Nor­m­an­wen­dungs­be­fehl hat die Schuld­ne­rin nicht genügt. Die Ent­las­sun­gen des - wie der Kläger - in Düssel­dorf sta­tio­nier­ten Cock­pit­per­so-nals hätten recht­zei­tig bei der für Düssel­dorf zuständi­gen Agen­tur für Ar­beit an­ge­zeigt wer­den müssen. Wie aus­geführt, stell­te die Sta­ti­on Düssel­dorf für die­se Beschäftig­ten den Be­trieb iSd. § 17 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 KSchG dar. Dort tra­ten auch die so­zioöko­no­mi­schen Aus­wir­kun­gen der Ent­las­sun­gen ein. Ty­pi-scher­wei­se wohnt das Cock­pit­per­so­nal re­gelmäßig in der Nähe sei­ner Sta­ti­on und mel­det sich dort - un­ge­ach­tet ei­nes ge­ge­be­nen­falls glo­ba­len Ar­beits­markts - ar­beit­su­chend. Da­von ge­hen nicht nur die uni­ons­recht­li­chen Re­ge­lun­gen des Luft­fahrt­rechts zur Be­deu­tung der Hei­mat­ba­sis, na­ment­lich

 

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ORO.FTL.105 Nr. 14 und Nr. 22, aus (vgl. da­zu Rn. 44). Auch der Ar­beits­ver­trag der Par­tei­en enthält in § 3 Nr. 2 die Ver­pflich­tung des Klägers, sei­nen Wohn­sitz so zu wählen, dass er bei nor­ma­ler Ver­kehrs­la­ge in­ner­halb von 60 Mi­nu­ten nach Ab­ruf den Dienst an dem dienst­li­chen Ein­satz­ort Düssel­dorf an­tre­ten kann.

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d) Die in­ner­be­trieb­li­chen Or­ga­ni­sa­ti­ons­struk­tu­ren sind auch nicht des­we­gen ir­re­le­vant, weil die be­trieb­li­che Ein­heit bei Er­stat­tung der Mas­sen­ent­las-sungs­an­zei­ge be­reits durch Still­le­gung un­ter­ge­gan­gen war und die in Fra­ge ste­hen­den Kündi­gun­gen nur vor­sorg­lich aus­ge­spro­chen wer­den soll­ten. Für ei­ne sol­che Kon­stel­la­ti­on hat der Zwei­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts ent­schie­den, dass zu­min­dest un­ter die­sen Umständen der Ar­beit­ge­ber die An­zei­ge zu­gleich und mit so­for­ti­ger Wirk­sam­keit bei sämt­li­chen für die frühe­re Be­triebs­stätte mögli­cher­wei­se zuständi­gen Ar­beits­agen­tu­ren ein­rei­chen könne, wenn er auf die schon um­ge­setz­te Be­triebs­still­le­gung - und da­mit den Weg­fall ei­nes Be­triebs­sit­zes - hin­wei­se und zu­tref­fend mit­tei­le, im Zuständig­keits­be­reich wel­cher Agen­tur zu­letzt die meis­ten der zu ent­las­sen­den Ar­beit­neh­mer beschäftigt ge­we­sen sei­en. Dann sei es Sa­che der an­ge­gan­ge­nen Behörden, sich über die ört­li­che Zuständig­keit für die Ent­schei­dung nach §§ 18, 20 KSchG ab­zu­stim­men (BAG 22. Sep­tem­ber 2016 - 2 AZR 276/16 - Rn. 70, BA­GE 157, 1). Vor­lie­gend war im Zeit­punkt der An­zei­ge­er­stat­tung we­der ei­ne Still­le­gung be­reits er­folgt, noch han­del­te es sich um vor­sorg­lich aus­ge­spro­che­ne (Zweit-)Kündi­gun­gen. Zu­dem war die Agen­tur für Ar­beit Ber­lin Nord un­ter kei­nem denk­ba­ren Ge­sichts­punkt für die Sta­ti­on Düssel­dorf ört­lich zuständig.

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e) Es kann da­hin­ste­hen, ob die Agen­tur für Ar­beit bei Zwei­feln hin­sicht­lich ih­rer Zuständig­keit auf­grund des Amts­er­mitt­lungs­grund­sat­zes des § 20 SGB X ver­pflich­tet ist, beim Ar­beit­ge­ber ent­spre­chend nach­zu­fra­gen (§ 20 Abs. 3 KSchG; vgl. BAG 21. März 2012 - 6 AZR 596/10 - Rn. 27). Die an­ge­gan­ge­ne Agen­tur für Ar­beit Ber­lin Nord hielt sich selbst - feh­ler­haft - für zuständig.

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f) Ob ei­ne un­zuständi­ge Agen­tur für Ar­beit ver­pflich­tet ist, die An­zei­ge an die zuständi­ge Agen­tur wei­ter­zu­lei­ten (vgl. § 16 Abs. 2 SGB I; sie­he auch die Fach­li­chen Wei­sun­gen KSchG zu § 17 Ziff. 2.2.3. Abs. 3), kann hier of­fen­blei-

 

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ben (zu ei­ner sol­chen Ver­pflich­tung vgl. MHdB ArbR/Spel­ge 4. Aufl. Bd. 2 § 121 Rn. 176; ErfK/Kiel 20. Aufl. KSchG § 17 Rn. 29). Je­den­falls wird auch dann die An­zei­ge erst mit ih­rem Ein­gang bei der zuständi­gen Agen­tur wirk­sam. Ist die Kündi­gung zu die­sem Zeit­punkt dem Ar­beit­neh­mer be­reits zu­ge­gan­gen, ist sie un­wirk­sam (vgl. BAG 13. Ju­ni 2019 - 6 AZR 459/18 - Rn. 33).

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Vor­lie­gend ha­ben we­der das Lan­des­ar­beits­ge­richt fest­ge­stellt noch die Par­tei­en vor­ge­tra­gen, dass ei­ne Wei­ter­lei­tung der An­zei­ge vom 24. No­vem­ber 2017 durch die Agen­tur für Ar­beit Ber­lin Nord an die für die Sta­ti­on Düssel­dorf zuständi­ge Agen­tur für Ar­beit vor Zu­gang der Kündi­gung am 29. No­vem­ber 2017 er­folgt ist.

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g) Die bei der Agen­tur für Ar­beit Ber­lin Nord er­stat­te­te Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge vom 24. No­vem­ber 2017 ist auch nicht als sog. Sam­me­l­an­zei­ge wirk­sam er­stat­tet wor­den.

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aa) Nach den Fach­li­chen Wei­sun­gen KSchG zu § 17 Ziff. 2.2.3. Abs. 4 und Abs. 5 können Großun­ter­neh­men mit deutsch­land­wei­tem Fi­li­al­netz im Fall von Mas­sen­ent­las­sun­gen, die in meh­re­ren Be­trie­ben (Fi­lia­len) er­fol­gen, an re­gio­nal un­ter­schied­li­chen Stand­or­ten ei­ne Sam­me­l­an­zei­ge bei der Agen­tur für Ar­beit er­stat­ten, die für den Haupt­sitz des Un­ter­neh­mens ört­lich zuständig ist. Da­bei muss für je­den Be­trieb ein Vor­druck aus­gefüllt sein, dh. ei­ne Mas­sen­ent­las-sungs­an­zei­ge er­fol­gen. Die für den Haupt­sitz zuständi­ge Agen­tur nimmt die An­zei­gen ent­ge­gen, prüft für die be­trof­fe­nen Be­trie­be die An­zei­ge­pflicht nach § 17 KSchG und er­le­digt das An­zei­ge­ver­fah­ren ab­sch­ließend. Bei Be­darf sind die für die be­trof­fe­nen Be­trie­be zuständi­gen Ar­beits­agen­tu­ren bei der Be­ur­tei­lung der re­gio­na­len Ar­beits­markt­la­ge zu be­tei­li­gen. In je­dem Fall sind sie zu den ge­plan­ten Ent­las­sun­gen zu in­for­mie­ren.

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bb) Die Möglich­keit ei­ner sol­chen Sam­me­l­an­zei­ge un­ter­liegt auch in ei­nem de­zen­tra­len Ver­wal­tungs­auf­bau wie dem in Deutsch­land kei­nen uni­ons­recht­li­chen Be­den­ken. Art. 3 Abs. 1 der MERL be­stimmt die zuständi­ge Behörde nicht selbst, son­dern überlässt dies den Mit­glied­staa­ten, so­fern die Er­rei­chung der Richt­li­ni­en­zie­le ef­fek­tiv gewähr­leis­tet ist (vgl. Art. 288 Abs. 3 AEUV). Ei­nen be-

 

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stimm­ten Ver­wal­tungs­auf­bau oder ei­ne be­stimm­te Kom­pe­tenz­zu­ord­nung schreibt das Uni­ons­recht den Mit­glied­staa­ten da­her nicht aus­drück­lich vor. Da­rum kann das na­tio­na­le Recht auch ei­ne Zen­tral­stel­le zur Er­stat­tung der Mas-sen­ent­las­sungs­an­zei­ge vor­se­hen, so­lan­ge si­cher­ge­stellt ist, dass die ört­lich zuständi­ge Ar­beits­ver­wal­tung im In­ter­es­se ei­ner ef­fek­ti­ven Ver­mitt­lungstätig­keit so früh wie möglich von den - wie aus­geführt - ty­pi­scher­wei­se im ört­li­chen Um­feld des Be­triebs­sit­zes auf­tre­ten­den so­zioöko­no­mi­schen Aus­wir­kun­gen erfährt, um vor Ort an­ge­mes­se­ne Maßnah­men ein­zu­lei­ten (Schu­bert/Sch­mitt ZESAR 2020, 53, 58; vgl. auch Preis/Sa­gan/Na­ber/Sit­tard EuArbR 2. Aufl. Rn. 14.133). Mit ei­ner sol­chen Möglich­keit, die für meh­re­re Be­trie­be ei­nes Un­ter­neh­mens be­ab­sich­tig­ten Ent­las­sun­gen bei ei­ner Zen­tral­stel­le an­zu­zei­gen, ist zu­gleich si­cher­ge­stellt, dass ent­ge­gen der An­nah­me des Be­klag­ten ein wirk­sa­mes An-zei­ge­ver­fah­ren nicht aus­ge­schlos­sen ist, al­so das na­tio­na­le Ver­fah­rens­recht, mit dem die Vor­ga­ben der MERL aus­ge­stal­tet wer­den, die durch Art. 16 GRC geschütz­te un­ter­neh­me­ri­sche Frei­heit des Ar­beit­ge­bers, ei­nen Be­trieb zu schließen oder zu ver­klei­nern, nicht un­verhält­nismäßig be­schränkt (vgl. EuGH 21. De­zem­ber 2016 - C-201/15 - [AGET Ira­klis] Rn. 41). Die­sen An­for­de­run­gen genügt die von der Bun­des­agen­tur für Ar­beit eröff­ne­te Möglich­keit ei­ner Sam­me­lan­zei­ge, da die Fach­li­chen Wei­sun­gen KSchG zu § 17 Ziff. 2.2.3. Abs. 5 vor­se­hen, dass die für die je­wei­li­gen Be­triebs­sit­ze zuständi­gen Ar­beits­agentu­ren bei der Be­ur­tei­lung der re­gio­na­len Ar­beits­markt­la­ge zu be­tei­li­gen und über die ge­plan­ten Ent­las­sun­gen zu in­for­mie­ren sind.

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cc) Auch na­tio­na­les Ver­fah­rens­recht steht der Möglich­keit ei­ner Sam­mel­an­zei­ge nicht ent­ge­gen. § 3 Abs. 2 Satz 2 VwVfG er­laubt der fach­lich zuständi­gen Auf­sichts­behörde in den Fällen, in de­nen ei­ne glei­che An­ge­le­gen­heit sich auf meh­re­re Be­triebsstätten ei­nes Be­triebs oder Un­ter­neh­mens be­zieht, ei­ne der nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG zuständi­gen Behörden als ge­mein­sa­me zu­ständi­ge Behörde zu be­stim­men, wenn dies un­ter Wah­rung der In­ter­es­sen der Be­tei­lig­ten zur ein­heit­li­chen Ent­schei­dung ge­bo­ten ist. In glei­cher Wei­se kann die Bun­des­agen­tur für Ar­beit nach § 327 Abs. 6 SGB III die Zuständig­keit ab­wei­chend von § 327 Abs. 4 SGB III auf an­de­re Dienst­stel­len über­tra­gen.

 

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dd) Von der Möglich­keit ei­ner Sam­me­l­an­zei­ge hat die Schuld­ne­rin je­doch kei­nen Ge­brauch ge­macht. Zum ei­nen hat sie nicht für je­den Be­trieb ei­nen Vor­druck „Ent­las­sungs­an­zei­ge“ aus­gefüllt. Dies al­lein stünde der Wirk­sam­keit ei­ner Sam­me­l­an­zei­ge zwar nicht ent­ge­gen (vgl. auch die Fach­li­chen Wei­sun­gen KSchG zu § 17 Ziff. 2.2.1. Abs. 4, wo­nach auf die Ver­wen­dung der Vor­dru­cke nur „hin­zu­wir­ken“ ist). Die Schuld­ne­rin hat aber - aus­ge­hend von ih­rem un­zu­tref­fen­den Verständ­nis des maßgeb­li­chen Be­triebs - am 24. No­vem­ber 2017 ei­ne Ein­zel­an­zei­ge für den nach dem Be­triebs­be­griff der MERL nicht exis­tie­ren­den Be­trieb Cock­pit, be­ste­hend aus al­len Cock­pit­mit­ar­bei­tern der Ge­samt­heit al­ler Sta­tio­nen, er­stat­ten wol­len. Sie hat zu­dem ih­re Be­triebs­struk­tur ob­jek­tiv falsch dar­ge­stellt. Das folgt nicht nur aus den An­ga­ben der Schuld­ne­rin im For­mu­l­ar­blatt der Agen­tur für Ar­beit, ins­be­son­de­re un­ter Nr. 16 und Nr. 21 iVm. den bei­gefügten An­la­gen. Es lässt sich ein­deu­tig auch dem Be­gleit­schrei­ben vom 24. No­vem­ber 2017 ent­neh­men. Die Auf­schlüsse­lung der An­ga­ben zu den Ent­las­sun­gen nach Sta­tio­nen in der An­la­ge zur Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge ändert nichts dar­an, dass die Schuld­ne­rin ei­ne An­zei­ge für den ge­sam­ten Be­reich Cock­pit er­stat­ten woll­te und auch er­stat­tet hat. In die­sem Sin­ne hat die Agen­tur für Ar­beit Ber­lin Nord die er­stat­te­te Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge ver­stan­den und be­han­delt, wie ihr Schrei­ben vom 28. No­vem­ber 2017 be­legt.

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4. Die Schuld­ne­rin hat darüber hin­aus ei­ne in­halt­lich nicht den Vor­ga­ben des § 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG ent­spre­chen­de An­zei­ge er­stat­tet.

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a) Die vom Ar­beit­ge­ber zu er­stat­ten­de Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge muss, soll sie dem Zweck des An­zei­ge­ver­fah­rens genügen, ob­jek­tiv rich­ti­ge An­ga­ben über den Na­men des Ar­beit­ge­bers, den Sitz und die Art des Be­triebs, die Grün­de für die ge­plan­ten Ent­las­sun­gen, die Zahl und die Be­rufs­grup­pen der zu ent­las­sen­den und der in der Re­gel beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer, den Zeit­raum, in dem die Ent­las­sun­gen vor­ge­nom­men wer­den sol­len, und die vor­ge­se­he­nen Kri­te­ri­en für die Aus­wahl der zu ent­las­sen­den Ar­beit­neh­mer ent­hal­ten (§ 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG, sog. „Muss-An­ga­ben“). Darüber hin­aus sol­len An­ga­ben über Ge­schlecht, Al­ter, Be­ruf und Staats­an­gehörig­keit der zu ent­las­sen­den Ar­beit­neh­mer ge­macht wer­den (§ 17 Abs. 3 Satz 5 KSchG, sog. „Soll-An­ga­ben“).

 

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Ob­gleich die MERL die­se Un­ter­schei­dung nicht kennt und in Art. 3 Abs. 1 Un­terabs. 3 der MERL die Mit­tei­lung al­ler „zweck­dien­li­chen“ An­ga­ben ver­langt so­wie ein­zel­ne Punk­te nennt, die „ins­be­son­de­re“ an­zu­ge­ben sind, ent­spricht § 17 Abs. 3 Satz 4, Satz 5 KSchG den uni­ons­recht­li­chen Vor­ga­ben. Sämt­li­che in­so­weit auf­geführ­ten Ge­sichts­punk­te sind „zweck­dien­lich“ iSv. Art. 3 Abs. 1 Un­terabs. 3 der MERL.

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b) Auf­grund der Ver­ken­nung des Be­triebs­be­griffs der MERL be­zog sich die von der Schuld­ne­rin am 24. No­vem­ber 2017 er­stat­te­te Mas­sen­ent­las­sungs-an­zei­ge im Hin­blick auf den Kläger auf den fal­schen Be­trieb.

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Der Be­triebs­be­griff der MERL be­an­sprucht Gel­tung für den ge­sam­ten Mas­sen­ent­las­sungs­schutz und da­mit auch für das in § 17 Abs. 3 KSchG ge­re­gel­te An­zei­ge­ver­fah­ren (vgl. da­zu vor­ste­hend Rn. 33 ff.). Im Hin­blick auf den Kläger war, wie dar­ge­stellt, die Sta­ti­on Düssel­dorf der maßgeb­li­che Be­trieb. Die An­zei­ge vom 24. No­vem­ber 2017 be­zog sich dem­ge­genüber deutsch­land­weit (in­so­fern ei­ner­seits zu weit) al­lein (in­so­fern an­de­rer­seits zu eng) auf den Be­reich Cock­pit. Das folgt zum ei­nen aus den An­ga­ben der Schuld­ne­rin im For­mu­lar­blatt der Agen­tur für Ar­beit un­ter Nr. 16 und Nr. 21 iVm. den bei­gefügten An­la­gen. Es lässt sich zum an­de­ren dem Be­gleit­schrei­ben vom 24. No­vem­ber 2017 ent­neh­men. Dort führt die Schuld­ne­rin un­ter Nr. 3 ua. aus, das Cock­pit-per­so­nal um­fas­se in der Re­gel 1.301 Mit­ar­bei­ter. Das wa­ren sämt­li­che Ar­beit­neh­mer die­ser Beschäftig­ten­grup­pe. Die Auf­schlüsse­lung der An­ga­ben zu den Ent­las­sun­gen nach Sta­tio­nen in der An­la­ge zur Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge ändert nichts dar­an, dass die Schuld­ne­rin ei­ne An­zei­ge für den ge­sam­ten Be­reich Cock­pit er­stat­ten woll­te und auch er­stat­tet hat. Den bei der Agen­tur für Ar­beit ein­ge­reich­ten Un­ter­la­gen las­sen sich zu­dem kei­ne hin­rei­chen­den An­ga­ben in Be­zug auf das Bo­den- und Ka­bi­nen­per­so­nal ent­neh­men.

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c) Da die Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge rich­ti­ger­wei­se für die Sta­ti­on Düssel­dorf hätte er­stat­tet wer­den müssen, enthält sie darüber hin­aus mit der An­ga­be „1301“ ei­ne un­zu­tref­fen­de Mit­tei­lung der An­zahl der in der Re­gel be­schäftig­ten Ar­beit­neh­mer. So­wohl die MERL als auch § 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG ver­lan­gen die An­ga­be der in der Re­gel beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer.

 

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Un­abhängig von der Fra­ge, wie die re­gelmäßige Beschäftig­ten­zahl zu be­stim­men ist, wa­ren in der Sta­ti­on Düssel­dorf nicht die in der An­zei­ge vom 24. No­vem­ber 2017 an­ge­ge­be­nen 1.301 Ar­beit­neh­mer beschäftigt. Die­se Zahl gab die in der Re­gel deutsch­land­weit in al­len Sta­tio­nen beschäftig­ten Cock­pit-mit­ar­bei­ter an. Es fehl­ten An­ga­ben zu den in der Sta­ti­on Düssel­dorf beschäftig­ten Ka­bi­nen­mit­ar­bei­tern (und zum Bo­den­per­so­nal).

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5. Die dar­ge­stell­ten Feh­ler im An­zei­ge­ver­fah­ren ha­ben die Un­wirk­sam­keit der Kündi­gung gemäß § 134 BGB zur Fol­ge.

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a) Ei­ne Rechts­fol­ge für den Fall, dass die­ses Ver­fah­ren vor der Erklärung 98 ei­ner Kündi­gung nicht ord­nungs­gemäß durch­geführt wor­den ist, ist in der MERL selbst nicht vor­ge­se­hen. Enthält ei­ne uni­ons­recht­li­che Richt­li­nie kei­ne be­son­de­re Re­ge­lung für den Fall ei­nes Ver­s­toßes ge­gen ih­re Vor­schrif­ten, ob­liegt den Mit­glied­staa­ten die Wahl ei­ner Sank­ti­on. Sie ha­ben da­bei dar­auf zu ach­ten, dass die Verstöße ge­gen das Ge­mein­schafts­recht nach sach­li­chen und ver­fah­rens­recht­li­chen Re­geln ge­ahn­det wer­den, die den­je­ni­gen ent­spre­chen, die für nach Art und Schwe­re gleich­ar­ti­ge Verstöße ge­gen na­tio­na­les Recht gel­ten. Die Sank­ti­on muss da­bei wirk­sam, verhält­nismäßig und ab­schre­ckend sein (EuGH 8. Ju­ni 1994 - C-383/92 - [Kom­mis­si­on/Ver­ei­nig­tes König­reich] Rn. 40; BAG 22. No­vem­ber 2012 - 2 AZR 371/11 - Rn. 32, BA­GE 144, 47). Es sind al­so so­wohl der Äqui­va­lenz­grund­satz (Ob­we­xer in von der Gro­eben/Schwar­ze/Hat­je Eu­ropäisches Uni­ons­recht 7. Aufl. Art. 4 EUV Rn. 104) als auch der Ef­fek­ti­vi­täts­grund­satz - ef­fet uti­le - (Ob­we­xer aaO Rn. 105; Preis/Sa­gan/Sa­gan EuArbR 2. Aufl. Rn. 1.122) zu be­ach­ten.

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b) Ei­ne aus­drück­li­che Rechts­fol­ge für das Feh­len oder die Feh­ler­haf­tig­keit ei­ner Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge ent­hal­ten die §§ 17, 18 KSchG nicht.

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c) Un­ter Be­ach­tung des uni­ons­recht­li­chen Grund­sat­zes des ef­fet uti­le führt es zur Un­wirk­sam­keit der Kündi­gung als Rechts­geschäft, wenn bei ih­rer Erklärung ei­ne wirk­sa­me An­zei­ge nach § 17 Abs. 1, Abs. 3 KSchG nicht vor­liegt. In der Erklärung der Kündi­gung liegt dann ein Ver­s­toß ge­gen ein ge­setz­li­ches Ver­bot iSv. § 134 BGB (zu § 17 Abs. 1 iVm. Abs. 3 Satz 2, Satz 3 KSchG

 

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BAG 22. No­vem­ber 2012 - 2 AZR 371/11 - Rn. 31, 37 ff., BA­GE 144, 47; vgl. auch BAG 13. Ju­ni 2019 - 6 AZR 459/18 - Rn. 22; 21. März 2013 - 2 AZR 60/12 - Rn. 42, BA­GE 144, 366; zu den An­for­de­run­gen an ein Ver­bots­ge­setz BAG 24. Au­gust 2016 - 5 AZR 129/16 - Rn. 32 mwN aus der Rspr. des BAG, BA­GE 156, 157).

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aa) § 17 Abs. 1 iVm. Abs. 3 Satz 2, Satz 3 KSchG ist ein Ver­bots­ge­setz, so­weit die­se Be­stim­mung die Beifügung der Stel­lung­nah­me des Be­triebs­rats zu den Ent­las­sun­gen bzw. die Glaub­haft­ma­chung des Ar­beit­ge­bers über die Un­ter­rich­tung des Be­triebs­rats und den Stand der Be­ra­tun­gen re­gelt (BAG 21. März 2013 - 2 AZR 60/12 - Rn. 31 ff., BA­GE 144, 366; 22. No­vem­ber 2012 - 2 AZR 371/11 - Rn. 42 ff., BA­GE 144, 47). Dem­ent­spre­chend sind nicht nur Kündi­gun­gen, bei de­nen ei­ne An­zei­ge gänz­lich un­ter­blie­ben ist (BAG 20. Ja­nu­ar 2016 - 6 AZR 601/14 - Rn. 23 ff., BA­GE 154, 53), un­wirk­sam. Auch Kündi­gun­gen, die der Ar­beit­ge­ber oh­ne ei­ne nach § 17 Abs. 1, Abs. 3 KSchG wirk­sa­me Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge erklärt hat (vgl. BAG 22. Sep­tem­ber 2016 - 2 AZR 276/16 - Rn. 21, BA­GE 157, 1), ha­ben kei­nen Be­stand.

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bb) Die Ver­pflich­tung, die Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge bei der für den Sitz des Be­triebs ört­lich zuständi­gen Agen­tur für Ar­beit zu er­stat­ten, die bei uni­ons-rechts­kon­for­mer Aus­le­gung aus § 17 Abs. 1 iVm. Abs. 3 Satz 2 KSchG folgt, ist eben­falls ein Ver­bots­ge­setz iSd. § 134 BGB. Dar­um ist die Mas­sen­ent­las-sungs­an­zei­ge und in der Fol­ge auch die ihr fol­gen­de Kündi­gung un­wirk­sam, wenn die An­zei­ge bei ei­ner un­zuständi­gen Agen­tur für Ar­beit er­stat­tet wird (ErfK/Kiel 20. Aufl. KSchG § 17 Rn. 29; APS/Moll 5. Aufl. KSchG § 17 Rn. 96; Brams Uni­ons­recht­li­che Im­pul­se für das Recht der Mas­sen­ent­las­sung S. 93; of­fen­ge­las­sen von BAG 14. März 2013 - 8 AZR 153/12 - Rn. 47).

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(1) Die Agen­tur für Ar­beit soll aus beschäfti­gungs­po­li­ti­schen Gründen recht­zei­tig über ei­ne be­vor­ste­hen­de Mas­sen­ent­las­sung un­ter­rich­tet wer­den, um ih­re Ver­mitt­lungs­bemühun­gen dar­auf ein­stel­len zu können. Hier­auf be­schränk­te der his­to­ri­sche Ge­setz­ge­ber zunächst die Auf­ga­be des deut­schen Mas­sen­ent-las­sungs­ver­fah­rens. Al­ler­dings nimmt die MERL aus­drück­lich auch den Schutz der Ar­beit­neh­mer in den Blick. Sie soll ei­nen ver­gleich­ba­ren Schutz der Rech­te

 

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der Ar­beit­neh­mer in den ver­schie­de­nen Mit­glied­staa­ten im Fall von Mas­sen­ent­las­sun­gen gewähr­leis­ten und die für die Un­ter­neh­men in der Ge­mein­schaft mit die­sen Schutz­vor­schrif­ten ver­bun­de­nen Be­las­tun­gen ein­an­der an­glei­chen. Haupt­ziel der MERL ist es, Mas­sen­ent­las­sun­gen Kon­sul­ta­tio­nen mit Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tern und die Un­ter­rich­tung der zuständi­gen Behörde vor­an­ge­hen zu las­sen (EuGH 21. De­zem­ber 2016 - C-201/15 - [AGET Ira­klis] Rn. 28; 10. De­zem­ber 2009 - C-323/08 - [Ro­dríguez Ma­yor ua.] Rn. 44). In­so­weit soll der Ar­beit­neh­mer­schutz verstärkt wer­den, was der Erwägungs­grund 2 der MERL deut­lich macht (vgl. zur Vorgänger­richt­li­nie 75/129/EWG EuGH 7. De­zem­ber 1995 - C-449/93 - [Rock­fon] Rn. 29). Da­her hat auch das An­zei­ge-ver­fah­ren mit­tel­bar in­di­vi­du­alschützen­de Funk­ti­on. § 17 KSchG dient ins­ge­samt auch dem Ar­beit­neh­mer­schutz (BAG 22. No­vem­ber 2012 - 2 AZR 371/11 - Rn. 41, BA­GE 144, 47).

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(2) Geht die An­zei­ge zwar vor der Kündi­gung und da­mit recht­zei­tig, aber bei der un­zuständi­gen Agen­tur für Ar­beit ein, wer­den die zur Ver­mei­dung bzw. Mil­de­rung der so­zioöko­no­mi­schen Aus­wir­kun­gen zu er­grei­fen­den Maßnah­men er­schwert bzw. je­den­falls - so­fern man von ei­ner späte­ren Wei­ter­lei­tung an die zuständi­ge Agen­tur für Ar­beit aus­geht - verzögert. Ei­ne An­zei­ge bei der zustän­di­gen Agen­tur für Ar­beit liegt dann (noch) nicht vor. Der Ar­beit­ge­ber hat die ihn tref­fen­den Pflich­ten nicht vollständig erfüllt. Er hat den Norm­be­fehl des § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG miss­ach­tet, der bei uni­ons­rechts­kon­for­mem Verständ­nis ver­langt, die An­zei­ge­pflicht vor der „be­ab­sich­tig­ten“ Kündi­gung zu erfüllen, dh. be­vor der Ar­beit­ge­ber durch die Mit­tei­lung der Kündi­gung sei­ner Ent­schei­dung, das Ar­beits­verhält­nis zu be­en­den, Aus­druck ge­ge­ben hat (BAG 13. Ju­ni 2019 - 6 AZR 459/18 - Rn. 32; vgl. be­reits BAG 23. März 2006 - 2 AZR 343/05 - Rn. 17 ff., BA­GE 117, 281). Prak­ti­sche Wirk­sam­keit (vgl. zu die­sem Er­for­der­nis EuGH 21. De­zem­ber 2016 - C-201/15 - [AGET Ira­klis] Rn. 36) er­langt ei­ne Sank­ti­on die­ser Miss­ach­tung je­doch erst da­durch, dass die Re­ge­lung in § 17 Abs. 1 KSchG auch als ge­setz­li­ches Ver­bot iSd. § 134 BGB ver­stan­den wird, ei­ne Kündi­gung vor Ein­gang der er­for­der­li­chen Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge bei der ört­lich zuständi­gen Ar­beits­agen­tur zu erklären. Die Re­ge­lun­gen der MERL und des § 17 KSchG sol­len ver­hin­dern, dass der Ar­beit­ge­ber durch das Erklä-

 

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ren von Kündi­gun­gen Fak­ten schafft, be­vor die zuständi­ge Behörde von der be­vor­ste­hen­den Mas­sen­ent­las­sung Kennt­nis hat. Die­se Sank­ti­ons­fol­ge hat im Übri­gen be­reits der Ge­richts­hof klar­ge­stellt, wenn er an­nimmt, dass Art. 3 der MERL der Kündi­gung nicht „ent­ge­gen­steht“, wenn die Kündi­gung erst nach der An­zei­ge bei der zuständi­gen Behörde er­folgt (vgl. EuGH 27. Ja­nu­ar 2005 - C-188/03 - [Junk] Rn. 53).

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(3) Vor die­sem Hin­ter­grund stellt es kei­ne aus­rei­chen­de Sank­ti­on dar, ei­nen späte­ren Ein­gang der An­zei­ge bei der ört­lich zuständi­gen Agen­tur für Ar­beit - der vor­lie­gend nicht ein­mal fest­ge­stellt ist - da­durch zu berück­sich­ti­gen, dass die Ent­las­sungs­sper­re des § 18 KSchG erst ab die­sem Zeit­punkt zu lau­fen be­ginnt, sich al­so nach hin­ten ver­schiebt (in die­sem Sin­ne aber NK-GA/Bo­em­ke § 17 KSchG Rn. 128; APS/Moll 5. Aufl. KSchG § 17 Rn. 96). Dies berück­sich­tigt we­der die Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs noch den durch das Verständ­nis des Ent­las­sungs­be­griffs als Kündi­gung er­folg­ten Be­deu­tungs­wan­del der Sperr­frist hin­rei­chend, die sich nun­mehr le­dig­lich auf den Ein­tritt der Rechts­fol­gen der Kündi­gung be­zieht und mit­tel­bar ei­ne Min­destkündi­gungs­frist be­wirkt (vgl. BAG 6. No­vem­ber 2008 - 2 AZR 935/07 - Rn. 24 ff., BA­GE 128, 256). Ei­ne sol­che Sank­ti­on hätte in den Fällen kei­ne Wir­kung, in de­nen die in­di­vi­du­el­le Kündi­gungs­frist länger als die Sperr­frist ist. Sie hätte kei­ne ab­schre­cken­de Wir­kung und würde der Richt­li­nie ih­re prak­ti­sche Wirk­sam­keit neh­men. Sie stellt mit­hin kei­ne aus­rei­chen­de Sank­ti­on dar.

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(4) An­trag­stel­ler in an­de­ren Ver­wal­tungs­ver­fah­ren ste­hen da­mit nicht bes­ser als der Ar­beit­ge­ber, der ei­ne (feh­ler­haf­te) Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge bei der ört­lich un­zuständi­gen Agen­tur für Ar­beit ein­reicht. § 2 Abs. 1 SGB X (Be­stim­mung der zuständi­gen Behörde, wenn meh­re­re Behörden ört­lich zuständig sind), § 40 Abs. 3 Nr. 1, § 42 Satz 1 SGB X (Wirk­sam­keit ei­nes von ei­ner un­zu­ständi­gen Behörde er­las­se­nen Ver­wal­tungs­akts) so­wie § 327 Abs. 6 SGB III (Über­tra­gung von Auf­ga­ben auf an­de­re Dienst­stel­len durch die Bun­des­agen­tur für Ar­beit) be­tref­fen als Vor­schrif­ten des na­tio­na­len Ver­fah­rens­rechts gänz­lich an­ders ge­la­ger­te Sach­ver­hal­te als die der Si­che­rung ei­nes uni­ons­recht­lich vor-

 

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ge­ge­be­nen for­ma­len Ver­fah­rens die­nen­den Be­stim­mun­gen zur Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge.

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cc) Die glei­che Rechts­fol­ge, nämlich die Un­wirk­sam­keit der streit­ge­gen­ ständ­li­chen Kündi­gung, zie­hen die in­halt­lich nicht den Vor­ga­ben des § 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG ent­spre­chen­den An­ga­ben in der An­zei­ge zum Be­trieb und zur An­zahl der in der Re­gel Beschäftig­ten nach sich.

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(1) Feh­ler im An­zei­ge­ver­fah­ren im Hin­blick auf die „Muss-An­ga­ben“ des § 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG führen zur Un­wirk­sam­keit der Mas­sen­ent­las­sungs-an­zei­ge und da­mit zur Nich­tig­keit der Kündi­gung (§ 134 BGB; vgl. BAG 28. Ju­ni 2012 - 6 AZR 780/10 - Rn. 50, BA­GE 142, 202; vgl. auch APS/Moll 5. Aufl. KSchG § 17 Rn. 100, 133b; Brams Uni­ons­recht­li­che Im­pul­se für das Recht der Mas­sen­ent­las­sung S. 94). Dies ist - wie dar­ge­stellt - Fol­ge der Miss­ach­tung des in Art. 3 Abs. 1 Un­terabs. 3 der MERL, § 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG ent­hal­te­nen Norm­be­fehls un­ter Berück­sich­ti­gung des Grund­sat­zes des ef­fet uti­le. § 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG ist zwin­gen­des Recht (ErfK/Kiel 20. Aufl. KSchG § 17 Rn. 3).

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(2) Auf die­sen Feh­ler kann sich auch der Kläger als von der Mas­sen­ent­las­sung Be­trof­fe­ner be­ru­fen. Die Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge soll es der Agen­tur für Ar­beit ermögli­chen, sich auf die Ent­las­sung ei­ner größeren An­zahl von Ar­beit­neh­mern vor­be­rei­ten und ih­re Ver­mitt­lungs­bemühun­gen dar­auf ein­stel­len zu können (vgl. EuGH 27. Ja­nu­ar 2005 - C-188/03 - [Junk] Rn. 47; eben­so BAG 20. Ja­nu­ar 2016 - 6 AZR 601/14 - Rn. 27, BA­GE 154, 53). Sie soll Lösun­gen für die durch die Mas­sen­ent­las­sung auf­ge­wor­fe­nen Pro­ble­me su­chen (Art. 4 Abs. 2 der MERL). Durch die kor­rek­te Erfüllung der An­zei­ge­pflicht soll die Agen­tur für Ar­beit in die La­ge ver­setzt wer­den, die Fol­gen der Ent­las­sun­gen für die Be­trof­fe­nen möglichst zu mil­dern (BAG 21. März 2013 - 2 AZR 60/12 - Rn. 28, BA­GE 144, 366). Nach die­sem Zweck des An­zei­ge­ver­fah­rens dient die An­ga­be der Zahl der in der Re­gel beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer der zuständi­gen Behörde nicht nur - wo­von das Lan­des­ar­beits­ge­richt aus­geht - der Prüfung, ob die Schwel­len­wer­te er­reicht sind und da­mit ei­ne an­zei­ge­pflich­ti­ge Mas­sen­ent­las­sung vor­liegt. An­de­ren­falls wären die­se An­ga­ben bei ei­ner nicht in Etap­pen er-

 

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fol­gen­den Still­le­gung ei­nes Be­triebs mit mehr als 20 Ar­beit­neh­mern stets ent­behr­lich, weil in die­sem Fall im­mer ei­ne Mas­sen­ent­las­sung vorläge. Ei­ne derar­ti­ge Aus­nah­me se­hen aber we­der Art. 3 der MERL noch § 17 KSchG vor. Die der zuständi­gen Agen­tur für Ar­beit ob­lie­gen­de Prüfung wird viel­mehr durch je­den Feh­ler bei den „Muss-An­ga­ben“ be­ein­flusst und - aus ob­jek­ti­ver Sicht - durch Verzöge­run­gen in der Be­ar­bei­tung er­schwert. Das gilt auch bei un­zu­tref­fen­den An­ga­ben bei der An­zahl der in der Re­gel Beschäftig­ten. Die­se sind ge­eig­net, die zuständi­ge Behörde bei der Aus­wahl der zu er­grei­fen­den Ver­mitt­lungs­bemühun­gen zu be­ein­flus­sen, die je nach Größe des be­trof­fe­nen Be­triebs un­ter­schied­lich aus­fal­len können. Da­mit ist es im vor­lie­gen­den Fall nicht aus­zu­schließen, dass die Agen­tur für Ar­beit in ih­rer Ent­schei­dung be­ein­flusst wor­den ist (aA LAG Düssel­dorf 5. De­zem­ber 2018 - 12 Sa 401/18 - zu D I 3 b der Gründe; ähn­lich wie hier für den Fall der un­zu­rei­chen­den An­ga­be der Kri­te­ri­en für die Aus­wahl der zu ent­las­sen­den Ar­beit­neh­mer LAG Düssel­dorf 26. Sep­tem­ber 2013 - 5 Sa 530/13 - zu II 3.2.4.2 der Gründe). Ob dies bei un­er­heb­li­chen Ab­wei­chun­gen glei­cher­maßen gilt, braucht der Se­nat nicht zu ent­schei­den, da sich die feh­ler­haf­te An­ga­be im vor­lie­gen­den Fall nicht in ei­nem sol­chen Rah­men be­wegt (vgl. zu ei­ner Un­ter­schei­dung in die­ser Hin­sicht Preis/Sa­gan/Na­ber/Sit­tard EuArbR 2. Aufl. Rn. 14.176; vgl. auch LAG Ba­den-Würt­tem­berg 16. Sep­tem­ber 2010 - 9 Sa 33/10 -).

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(3) So­weit der Se­nat in sei­ner Ent­schei­dung vom 28. Ju­ni 2012 an­ge­nom­men hat, dass sich im Fall der zu nied­ri­gen An­ga­be der An­zahl der zu ent­las­sen­den Ar­beit­neh­mer nur die nicht in der An­zei­ge Ge­nann­ten auf die Un­wirk­sam­keit der Kündi­gung be­ru­fen können (BAG 28. Ju­ni 2012 - 6 AZR 780/10 - Rn. 50, BA­GE 142, 202), ist das mit dem vor­lie­gen­den Sach­ver­halt nicht ver­gleich­bar. Hier geht es um in­halt­lich fal­sche An­ga­ben, die auf der Ver­ken­nung des Be­triebs­be­griffs im Mas­sen­ent­las­sungs­recht be­ru­hen. Die Ent­schei­dung des Bun­des­ar­beits­ge­richts vom 22. März 2001 (- 8 AZR 565/00 - zu B II 10 b der Gründe), wo­nach die fal­sche An­ga­be der in der Re­gel Beschäftig­ten kei­ne Aus­wir­kun­gen auf die Wirk­sam­keit der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge ha­be, be­ruh­te noch auf dem zwi­schen­zeit­lich über­hol­ten Verständ­nis des Ent­las­sungs­be­griffs und ist da­her nicht mehr maßgeb­lich.

 

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6. Die Feh­ler im An­zei­ge­ver­fah­ren sind nicht da­durch ge­heilt wor­den bzw. der ge­richt­li­chen Kon­trol­le ent­zo­gen, dass die Agen­tur für Ar­beit die­se nicht - ins­be­son­de­re nicht in dem Schrei­ben vom 28. No­vem­ber 2017 - be­an­stan­det hat. Un­abhängig da­von, dass die­ses Schrei­ben man­gels ei­nes Re­ge­lungs­cha­rak­ters schon kein Ver­wal­tungs­akt war (zu den Vor­aus­set­zun­gen ei­nes Ver­wal­tungs­akts BAG 28. Ju­ni 2012 - 6 AZR 780/10 - Rn. 65 ff., BA­GE 142, 202), son­dern nur ei­ne Ein­gangs­bestäti­gung, hin­der­te selbst ein be­stands­kräfti­ger Be­scheid der Ar­beits­ver­wal­tung nach § 18 Abs. 1, § 20 KSchG die Ar­beits­ge­richts­bar­keit nicht dar­an, die Un­wirk­sam­keit der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge fest­zu­stel­len (BAG 22. Sep­tem­ber 2016 - 2 AZR 276/16 - Rn. 33, BA­GE 157, 1; 13. De­zem­ber 2012 - 6 AZR 752/11 - Rn. 66). Ob die Mas­sen­ent­las­sungs­an-zei­ge ord­nungs­gemäß er­stat­tet ist, ist le­dig­lich Vor­fra­ge für ei­nen Be­scheid der Ar­beits­ver­wal­tung nach § 18 Abs. 1, § 20 KSchG, gehört nicht zum Re­ge­lungs­in­halt ei­nes sol­chen Ver­wal­tungs­akts und wird des­halb von des­sen Be­stands­kraft nicht er­fasst (BAG 13. De­zem­ber 2012 - 6 AZR 752/11 - Rn. 67; ausführ­lich BAG 28. Ju­ni 2012 - 6 AZR 780/10 - Rn. 70 ff., aaO; Brams Uni­ons­recht­li­che Im­pul­se für das Recht der Mas­sen­ent­las­sung S. 98). Darüber hin­aus steht auch Art. 6 der MERL der An­nah­me ei­ner Hei­lungs­wir­kung von Ver­wal­tungs­ak­ten der Ar­beits­ver­wal­tung ent­ge­gen. Ei­ne sol­che Aus­le­gung der §§ 17 ff. KSchG führ­te zur Un­ter­schrei­tung des von Art. 6 der MERL ge­for­der­ten Schutz­ni­veaus und nähme den An­for­de­run­gen des § 17 KSchG ih­re prak­ti­sche Wirk­sam­keit (BAG 13. De­zem­ber 2012 - 6 AZR 752/11 - Rn. 68; ausführ­lich BAG 28. Ju­ni 2012 - 6 AZR 780/10 - Rn. 76 ff., aaO).

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7. Auf­grund der E-Mail-Kor­re­spon­denz vom 13. und 16. Ok­to­ber 2017 mit der Agen­tur für Ar­beit vor Er­stat­tung der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge durf­te die Schuld­ne­rin auch nicht dar­auf ver­trau­en, dass sie die An­zei­ge wirk­sam bei der Agen­tur für Ar­beit Ber­lin Nord er­stat­ten kann. Zum ei­nen lässt sich der Ant­wort der Agen­tur für Ar­beit, un­ter Berück­sich­ti­gung der Sach­ver­halts­dar­stel­lung der Schuld­ne­rin in der An­fra­ge vom 13. Ok­to­ber 2017, ent­ge­gen der An­nah­me des Be­klag­ten nicht ent­neh­men, dass sie ei­ne Zu­si­che­rung über die Fra­ge der zu­ständi­gen Ar­beits­agen­tur erklären oder in­so­weit ei­ne „An­wei­sung“ er­tei­len woll­te. Zum an­de­ren hin­der­te selbst in dem Fall, dass ei­ne sol­che Zu­si­che­rung bzw.

 

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Wei­sung er­folgt sein soll­te, die­ser Um­stand die Ar­beits­ge­rich­te nicht dar­an, die Un­wirk­sam­keit der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge und der Kündi­gung fest­zu­s­tel­len, wenn dies so­gar ein be­stands­kräfti­ger Ver­wal­tungs­akt nicht ver­mag.

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8. Die Gewährung des vom Be­klag­ten re­kla­mier­ten Ver­trau­ens­schut­zes in das Verständ­nis des Be­triebs­be­griffs ob­liegt nicht den na­tio­na­len Ge­rich­ten, son­dern al­lein dem Ge­richts­hof (BVerfG 10. De­zem­ber 2014 - 2 BvR 1549/07 - Rn. 27 f.).

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9. So­weit der Be­klag­te an­nimmt, ihm müsse we­gen des un­kla­ren Ge­set­zes­wort­lauts des § 17 KSchG Ver­trau­ens­schutz bis zur Schaf­fung ei­ner dem Be­stimmt­heits­ge­bot und dem Ge­bot der Norm­klar­heit genügen­den Rechts­la­ge gewährt wer­den, kann er da­mit sein Ziel der Kla­ge­ab­wei­sung nicht er­rei­chen, weil der Se­nat die­se Be­stim­mun­gen an­zu­wen­den hat. Im Übri­gen ist es un­ge­ach­tet der ver­meint­li­chen Un­klar­hei­ten im Wort­laut des § 17 KSchG zu­min­dest of­fen­kun­dig, dass ein auf der ta­rif­ver­trag­li­chen Aus­ge­stal­tung von Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tungs­struk­tu­ren be­ru­hen­des Be­triebs­verständ­nis für die Mas­sen­ent­las­sung schon des­halb nicht tra­gen kann, weil die MERL ein sol­ches Be­triebs­verständ­nis nicht kennt und § 17 KSchG ein sol­ches Be­triebs­verständ­nis dar­um nicht deckt.

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IV. Der Durchführung ei­nes Vor­ab­ent­schei­dungs­ver­fah­rens nach Art. 267 Abs. 3 AEUV be­durf­te es nicht. Der uni­ons­recht­li­che Be­triebs­be­griff der MERL ist durch die an­geführ­te, ge­fes­tig­te Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs hin­rei­chend geklärt (vgl. BAG 13. Au­gust 2019 - 8 AZN 171/19 - Rn. 26). Vernünf­ti­ge Zwei­fel dar­an be­ste­hen nicht (EuGH 4. Ok­to­ber 2018 - C-416/17 - [Kom­mis­si­on/Frank­reich (Précomp­te mo­bi­lier)] Rn. 110; 9. Sep­tem­ber 2015 - C-160/14 - [Fer­rei­ra da Sil­va e Bri­to ua.] Rn. 38 ff.; grund­le­gend EuGH 6. Ok­to­ber 1982 - 283/81 - [Cil­fit] Rn. 21; sie­he auch BVerfG 9. Mai 2018 - 2 BvR 37/18 - Rn. 24 mwN). So­weit der Be­klag­te auf (ver­meint­li­che) Un­klar­hei­ten bei der Um­set­zung des Be­triebs­be­griffs im na­tio­na­len Recht hin­weist, be­tref­fen die­se Un­klar­hei­ten nicht die Aus­le­gung des Uni­ons­rechts und da­mit nicht die Zuständig­keit des Ge­richts­hofs. Sie fal­len al­lein in die Zuständig­keit der na­tio­na­len Ge­rich­te.

 

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V. Die Kos­ten der Vor­in­stan­zen sind zwi­schen den Par­tei­en gemäß § 92 Abs. 1 Satz 1, § 97 Abs. 1 ZPO zu ver­tei­len, denn der An­trag auf Aus­kunftser­tei­lung wur­de mit dem Be­ru­fungs­ur­teil rechts­kräftig ab­ge­wie­sen. Die Kos­ten des auf den Kündi­gungs­schutz­an­trag be­schränk­ten Re­vi­si­ons­ver­fah­rens hat der Be­klag­te gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO al­lein zu tra­gen.

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