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HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

LAG Hamm, Ur­teil vom 14.06.2013, 10 Sa 18/13

   
Schlagworte: Kirche, Kündigung: Verhaltensbedingt, AVR, Kündigung: Kirche
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Aktenzeichen: 10 Sa 18/13
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 14.06.2013
   
Leitsätze:
Vorinstanzen:
   

10 Sa 18/13

2 Ca 786/12
ArbG Bo­cholt 

 

Verkündet am

14. Ju­ni 2013

 

Neu­ge­bau­er

Re­gie­rungs­beschäftig­te

als Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le

 

Lan­des­ar­beits­ge­richt Hamm


Im Na­men des Vol­kes

Ur­teil

In Sa­chen



hat die 10. Kam­mer des Lan­des­ar­beits­ge­richts Hamm

auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 14. Ju­ni 2013
durch den Rich­ter am Ar­beits­ge­richt Dr. Nie­mann als Vor­sit­zen­den
so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Lin­de und Müller

für Recht er­kannt:

1. Auf die Be­ru­fung der Be­klag­ten wird – un­ter Zurück­wei­sung der Be­ru­fung im Übri­gen – das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Bo­cholt vom 5. Ok­to­ber 2012 – 2 Ca 786/12 – teil­wei­se ab­geändert und ins­ge­samt wie folgt neu ge­fasst:

Es wird fest­ge­stellt, dass das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en nicht durch die außer­or­dent­li­che frist­lo­se Kündi­gung der Be­klag­ten vom 25. April 2012 auf­gelöst wor­den ist.

Im Übri­gen wird die Kla­ge ab­ge­wie­sen.

2. Der Kläger hat 2/3, die Be­klag­te 1/3 der Kos­ten des Rechts­streits zu tra­gen.

3. Die Re­vi­si­on wird für den Kläger zu­ge­las­sen.

2

Tat­be­stand


Die Par­tei­en strei­ten im We­sent­li­chen über die Wirk­sam­keit ei­ner außer­or­dent­li­chen frist­lo­sen, hilfs­wei­se or­dent­li­chen frist­ge­rech­ten Kündi­gung.


Der im April 1964 ge­bo­re­ne Kläger ist seit März 2001 bei der Be­klag­ten, mehr als zehn Voll­zeit­ar­beit­neh­mer aus­sch­ließlich der Aus­zu­bil­den­den beschäfti­gen­den Kir­chen­ge­mein­de als Kan­tor, Or­ga­nist und Chor­lei­ter (KOCH) ge­gen ein Brut­to­mo­nats­ent­gelt in Höhe von 3.535,43 Eu­ro tätig. Im Ar­beits­ver­trag (Bl. 10 - 11 d.A.) ist klar­ge­stellt, dass der Dienst in der ka­tho­li­schen Kir­che vom Mit­ar­bei­ter er­for­dert, dass er sei­ne persönli­che Le­bensführung nach der Glau­bens- und Sit­ten­leh­re und den sons­ti­gen Nor­men der ka­tho­li­schen Kir­che ein­rich­tet. Zu­dem wird die Kirch­li­che Ar­beits- und Vergütungs­ord­nung (KA­VO) in ih­rer je­wei­li­gen Fas­sung ein­sch­ließlich der An­la­gen in Be­zug ge­nom­men. Nach der Präam­bel der KA­VO ist die Grund­ord­nung des kirch­li­chen Diens­tes im Rah­men kirch­li­cher Ar­beits­verhält­nis­se vom 22. Sep­tem­ber 1993 (GrO) Grund­la­ge und in ih­rer je­wei­li­gen Fas­sung Be­stand­teil der KA­VO. In der GrO heißt es aus­zugs­wei­se:


„Ar­ti­kel 1

Grund­prin­zi­pi­en des kirch­li­chen Diens­tes

Al­le in ei­ner Ein­rich­tung der ka­tho­li­schen Kir­che Täti­gen tra­gen durch ih­re Ar­beit oh­ne Rück­sicht auf die ar­beits­recht­li­che Stel­lung ge­mein­sam da­zu bei, dass die Ein­rich­tung ih­ren Teil am Sen­dungs­auf­trag der Kir­che erfüllen kann (Dienst­ge­mein­schaft). Al­le Be­tei­lig­ten, Dienst­ge­ber so­wie lei­ten­de und ausführen­de Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter, müssen an­er­ken­nen und ih­rem Han­deln zu­grun­de le­gen, dass Ziel­set­zung und Tätig­keit, Or­ga­ni­sa­ti­ons­struk­tur und Lei­tung der Ein­rich­tung, für die sie tätig sind, sich an der Glau­bens- und Sit­ten­leh­re und an der Rechts­ord­nung der ka­tho­li­schen Kir­che aus­zu­rich­ten ha­ben.

(...)


3

Ar­ti­kel 4


Loya­litätsob­lie­gen­hei­ten


(1) Von den ka­tho­li­schen Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­tern wird er­war­tet, dass sie die Grundsätze der ka­tho­li­schen Glau­bens- und Sit­ten­leh­re an­er­ken­nen und be­ach­ten. Ins­be­son­de­re im pas­to­ra­len, ka­te­che­ti­schen und er­zie­he­ri­schen Dienst so­wie bei Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­tern, die auf­grund ei­ner Mis­sio ca­no­ni­ca tätig sind, ist das persönli­che Le­bens­zeug­nis im Sin­ne der Grundsätze der ka­tho­li­schen Glau­bens- und Sit­ten­leh­re er­for­der­lich. Dies gilt auch für lei­ten­de Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter.


(...)

(4) Al­le Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter ha­ben kir­chen­feind­li­ches Ver­hal­ten zu un­ter­las­sen. Sie dürfen in ih­rer persönli­chen Le­bensführung und in ih­rem dienst­li­chen Ver­hal­ten die Glaubwürdig­keit der Kir­che und der Ein­rich­tung, in der sie beschäftigt sind, nicht gefähr­den.

Ar­ti­kel 5

Verstöße ge­gen Loya­litätsob­lie­gen­hei­ten

(1) Erfüllt ei­ne Mit­ar­bei­te­rin oder ein Mit­ar­bei­ter die Beschäfti­gungs­an­for­de­run­gen nicht mehr, so muss der Dienst­ge­ber durch Be­ra­tung ver­su­chen, dass die Mit­ar­bei­te­rin oder der Mit­ar­bei­ter die­sen Man­gel auf Dau­er be­sei­tigt. Im kon­kre­ten Fall ist zu prüfen, ob schon ein sol­ches klären­des Gespräch oder ei­ne Ab­mah­nung, ein for­mel­ler Ver­weis oder ei­ne an­de­re Maßnah­me (z.B. Ver­set­zung, Ände­rungskündi­gung) ge­eig­net sind, dem Ob­lie­gen­heits­ver­s­toß zu be­geg­nen. Als letz­te Maßnah­me kommt ei­ne Kündi­gung in Be­tracht.

(2) Für ei­ne Kündi­gung aus kir­chen­spe­zi­fi­schen Gründen sieht die Kir­che ins­be­son­de­re fol­gen­de Loya­litäts­verstöße als schwer­wie­gend an.

- Ver­let­zun­gen der gemäß Art. 3 und 4 von ei­ner Mit­ar­bei­te­rin oder ei­nem Mit­ar­bei­ter zu erfüllen­den Ob­lie­gen­hei­ten, ins­be­son­de­re Kir­chen­aus­tritt, öffent­li­ches Ein­tre­ten ge­gen tra­gen­de Grundsätze der ka­tho­li­schen Kir­che (z.B. hin­sicht­lich der Ab­trei­bung) und schwer­wie­gen­de persönli­che sitt­li­che Ver­feh­lun­gen,

- Ab­schluss ei­ner nach dem Glau­bens­verständ­nis und der Rechts­ord­nung der Kir­che ungülti­gen Ehe

- Hand­lun­gen, die kir­chen­recht­lich als ein­deu­ti­ge Dis­tan­zie­rung von der ka­tho­li­schen Kir­che an­zu­se­hen sind, vor al­lem Ab­fall vom Glau­ben (Apost­asie oder Häre­sie gemäß c. 1364 § 1 i.V. mit c. 751 CIC), Ver­un­eh­rung der hei­li­gen Eu­cha­ris­tie (c. 1367 CIC),

4

öffent­li­che Got­tesläste­rung und Her­vor­ru­fen von Hass und Ver­ach­tung ge­gen Re­li­gi­on und Kir­che (c. 1369 CIC), Straf­ta­ten ge­gen die kirch­li­chen Au­to­ritäten und die Frei­heit der Kir­che (ins­be­son­de­re gemäß den cc. 1373, 1374 CIC).

(3) Ein nach Ab­satz 2 ge­ne­rell als Kündi­gungs­grund in Be­tracht kom­men­des Ver­hal­ten schließt die Möglich­keit ei­ner
Wei­ter­beschäfti­gung aus, wenn es be­gan­gen wird, von pas­to­ral, ka­te­che­tisch oder lei­tend täti­gen Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­tern oder Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­tern, die auf­grund ei­ner Mis­sio ca­no­ni­ca tätig sind. Von ei­ner Kündi­gung kann aus­nahms­wei­se ab­ge­se­hen wer­den, wenn schwer­wie­gen­de Gründe des Ein­zel­fal­les die­se als un­an­ge­mes­sen er­schei­nen las­sen.


(4) Wird ei­ne Wei­ter­beschäfti­gung nicht be­reits nach Abs. 3 aus­ge­schlos­sen, so hängt im Übri­gen die Möglich­keit ei­ner Wei­ter­beschäfti­gung von den Ein­zel­fal­l­umständen ab, ins­be­son­de­re vom Aus­maß ei­ner Gefähr­dung der Glaubwürdig­keit von Kir­che und kirch­li­cher Ein­rich­tung, von der Be­las­tung der kirch­li­chen Dienst­ge­mein­schaft, der Art der Ein­rich­tung, dem Cha­rak­ter der über­tra­ge­nen Auf­ga­be, de­ren Nähe zum kirch­li­chen Verkündi­gungs­auf­trag, von der Stel­lung der Mit­ar­bei­te­rin oder des Mit­ar­bei­ters in der Ein­rich­tung so­wie von der Art und dem Ge­wicht der Ob­lie­gen­heits­ver­let­zung. Da­bei ist auch zu berück­sich­ti­gen, ob ei­ne Mit­ar­bei­te­rin oder ein Mit­ar­bei­ter die Leh­re der Kir­che bekämpft oder sie an­er­kennt, aber im kon­kre­ten Fall ver­sagt.

(5) Mit­ar­bei­te­rin­nen oder Mit­ar­bei­ter, die aus der ka­tho­li­schen Kir­che aus­tre­ten, können nicht wei­ter­beschäftigt wer­den. Im Fall des Ab­schlus­ses ei­ner nach dem Glau­bens­verständ­nis und der Rechts­ord­nung der Kir­che ungülti­gen Ehe schei­det ei­ne wei­te­re Beschäfti­gung je­den­falls dann aus, wenn sie un­ter öffent­li­ches Ärger­nis er­re­gen­den oder die Glaubwürdig­keit der Kir­che be­ein­träch­ti­gen­den Umständen ge­schlos­sen wird (z.B. nach böswil­li­gem Ver­las­sen von Ehe­part­ner und Kin­dern)."

In der Dienst­an­wei­sung für Kir­chen­mu­si­ke­rin­nen und Kir­chen­mu­si­ker des Bischöfli­chen Ge­ne­ral­vi­ka­ri­ats aus Ju­ni 1996 (Bl. 12 - 13 d.A.) heißt es aus­zugs­wei­se:

„Der Dienst der Kir­chen­mu­si­ke­rin und des Kir­chen­mu­si­kers (nach­ste­hend KM ab­gekürzt) um­fasst die mu­si­ka­li­sche Ge­stal­tung der Lit­ur­gie. Da­zu gehören Eu­cha­ris­tie­fei­ern, an­de­re sa­kra­men­ta­le Fei­ern, Wort- und Ge­bets­got­tes­diens­te. So nimmt der KM am Auf­trag der Kir­che teil, die Bot­schaft Je­su Chris­ti zu verkünden. Des­halb kann der Dienst des KM nur an­ge­mes­sen aus­geübt wer­den, wenn er selbst die Lit­ur­gie als Fei­er des christ­li­chen Glau­bens ver­steht und be­geht.

Der KM nimmt sei­nen Dienst wahr

5


- (...)


- im Bemühen um ei­ne vol­le und täti­ge Teil­nah­me der Gläubi­gen an den lit­ur­gi­schen Fei­ern."

Der Kläger ist stan­des­amt­lich und kirch­lich ver­hei­ra­tet und Va­ter zwei­er er­wach­se­ner Kin­der. Er lebt von sei­ner Ehe­frau ge­trennt. Der Kläger un­terhält pri­va­ten Kon­takt zu dem stan­des­amt­lich ver­hei­ra­te­ten Ge­mein­de­mit­glied Q1. Die Zeu­gin Q1 ist Mit­glied des vom Kläger ge­lei­te­ten Propsteichors und nahm bei dem Kläger Un­ter­richt an den Or­geln der Kir­che.

Am 19. Sep­tem­ber 2011 er­schien der Ehe­mann der Zeu­gin Q1 im Ge­mein­debüro und er­kun­dig­te sich, wie man aus der Kir­che aus­tre­ten könne. Er er­tra­ge den Ge­dan­ken nicht, dass er mit sei­ner Kir­chen­steu­er das Ge­halt des Klägers, der so­wohl sei­ne Ehe als auch sei­ne Fa­mi­lie zerstört ha­be, mit­fi­nan­zie­re.

In ei­nem Te­le­fo­nat mit dem Propst am 27. Sep­tem­ber 2011 gab der Zeu­ge Q1 an, der Kläger sei in sei­ne Ehe ein­ge­bro­chen und un­ter­hal­te mitt­ler­wei­le ei­ne Be­zie­hung zu der Zeu­gin Q1. Des­halb wol­le die­se im Ok­to­ber aus dem ge­mein­sa­men Haus aus­zie­hen.

Am 29 Sep­tem­ber 2011 sprach der Propst den Kläger auf das Te­le­fo­nat mit dem Zeu­gen Q1 an und teil­te ihm mit, er sol­le in Ru­he über­le­gen, wie er mit der An­ge­le­gen­heit um­ge­he.

Am 30 Sep­tem­ber 2011 erklärte der Kläger dem Propst, dass er nie die Ehe ge­bro­chen ha­be. Durch den mehrjähri­gen Kla­vier­un­ter­richt sei zwar ein gu­tes Verhält­nis zur Zeu­gin Q1 ent­stan­den. So ha­be er mehr und mehr von de­ren Ehe­pro­ble­men er­fah­ren. Er ha­be sich je­doch nicht in die Pro­ble­me der Q1 ein­ge­mischt und be­ab­sich­ti­ge auch nicht, ei­ne Ehe und Fa­mi­lie zu zerstören. Der Kläger ver­si­cher­te, dass er wis­se, wie er sich als kirch­li­cher Mit­ar­bei­ter zu ver­hal­ten ha­be. Der Propst teil­te dem Kläger mit, dass er auf kei­nen Fall mit ei­ner un­geklärten Si­tua­ti­on le­ben wol­le und bat den Kläger, sei­ne Pri­vat­an­ge­le­gen­hei­ten so zu re­geln, dass sie in der Ge­mein­de und darüber hin­aus dem Ruf der Kir­che nicht scha­den könn­ten. Zu­dem kam man auf Be­trei­ben des Props­tes übe­rein, dass der Un­ter­richt

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mit Frau Q1 an den Or­geln der Kir­che zunächst ein­ge­stellt wer­de. Zu­letzt ver­si­cher­te der Kläger, den Propst so­fort zu in­for­mie­ren, wenn er – der Kläger – mit der GrO in Kon­flikt ge­ra­ten soll­te.

Als der Kläger in der Fol­ge vom Propst dar­auf an­ge­spro­chen wur­de, dass er ua. mehr­fach händ­chen­hal­tend mit der Zeu­gin Q1 ge­se­hen wor­den sei, ent­geg­ne­te der Kläger, dass er zwar ein Lie­bes­verhält­nis mit der Zeu­gin Q1 ha­be, al­ler­dings nichts „Ver­bo­te­nes" tue.

In ei­nem Dienst­gespräch zwi­schen dem Kläger, dem Propst und ei­nem Mit­ar­bei­ter des Ge­ne­ral­vi­ka­ri­ats am 25. No­vem­ber 2011 stritt der Kläger er­neut ab, ein „ver­bo­te­nes Verhält­nis" zu un­ter­hal­ten.

Mit E-Mail vom 25. No­vem­ber 2011 an den Kläger und meh­re­re wei­te­re Empfänger (Bl. 23 - 24 d.A.) teil­te der Propst ua. mit, dass der Kläger in den von ihm ge­lei­te­ten Got­tes­diens­ten zwar noch die Or­gel spie­len, aber kei­nen Kan­to­ren­dienst mehr über­neh­men wer­de.

Am 16. De­zem­ber 2011 fand ein Gespräch zwi­schen dem Kläger, dem Propst und dem Mit­ar­bei­ter des Ge­ne­ral­vi­ka­ri­ats statt. Es ist strei­tig, ob der Kläger da­bei um das An­ge­bot ei­nes Auf­he­bungs­ver­trags bat.

Am 4. Ja­nu­ar 2012 wur­de dem Kläger ein Auf­he­bungs­ver­trag zu­ge­sandt, wel­chen er nicht un­ter­zeich­ne­te.

In ei­nem Gespräch mit dem Kir­chen­vor­stand am 9. Ja­nu­ar 2012 wur­de der Kläger auf sei­ne Loya­litäts­pflich­ten aus Art. 5 GrO hin­ge­wie­sen und um Mit­tei­lung ge­be­ten, wie er sein Verhält­nis zur Zeu­gin Q1 se­he und mit der ge­sam­ten Si­tua­ti­on um­zu­ge­hen ge­den­ke. Der Kläger erklärte, dass er nicht ge­gen die GrO ver­s­toßen ha­be und zu sei­ner Be­zie­hung zu der Zeu­gin Q1 kei­ne An­ga­ben ma­chen wol­le. Er wis­se zwar, in wel­cher Straße die­se nach dem Aus­zug aus der ehe­li­chen Woh­nung le­be. Er ken­ne je­doch nicht ein­mal die Haus­num­mer.

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Am 2. April 2012 be­schloss der Kir­chen­vor­stand der Be­klag­ten, das Ar­beits­verhält­nis mit dem Kläger durch außer­or­dent­li­che frist­lo­se, hilfs­wei­se or­dent­li­che frist­ge­rech­te Kündi­gung zu be­en­den.

Nach­dem die Auf­ga­ben des Klägers im­mer wei­ter be­schränkt wor­den wa­ren, lei­te­te er ein Sch­lich­tungs­ver­fah­ren mit dem Ziel der ver­trags­gemäßen Beschäfti­gung ein. Im Sch­lich­tungs­ter­min am 19. April 2012 erklärte der Kläger, es sei sei­ne „Pri­vat­sa­che", ob er ein Verhält­nis ha­be. Sei­ne nun­meh­ri­ge Pro­zess­be­vollmäch­tig­te wies dar­auf hin, dass die Q1 le­dig­lich stan­des­amt­lich und nicht kirch­lich ver­hei­ra­tet sei­en, so­dass von ei­nem Ein­bre­chen in ei­ne be­ste­hen­de Ehe kei­ne Re­de sein könne. Der Zeu­ge Q1 sei ein De­nun­zi­ant. Im An­schluss an den Sch­lich­tungs­ter­min hörte die Be­klag­te den an­walt­lich ver­tre­te­nen Kläger er­neut zu dem Vor­wurf ei­ner außer­ehe­li­chen Be­zie­hung an. Der Kläger be­rief sich wie­der­um auf sein Pri­vat­le­ben. Sei­ne Pro­zess­be­vollmäch­tig­te teil­te mit, dass er zu den Vorwürfen kei­ne Erklärung mehr ab­ge­ben wer­de.

Mit Schrei­ben vom 20. April 2012 (Bl. 111 - 119 d.A.) so­wie Kor­rek­tur­schrei­ben vom 23. April 2012 (Bl. 120 d.A.) hörte die Be­klag­te die bei ihr ge­bil­de­te Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tung zu ei­ner be­ab­sich­tig­ten außer­or­dent­li­chen frist­lo­sen, hilfs­wei­se or­dent­li­chen ver­hal­tens­be­ding­ten Kündi­gung an und teil­te mit, dass die Kündi­gun­gen als Tat- und hilfs­wei­se als Ver­dachtskündi­gung aus­ge­spro­chen wer­den soll­ten. Mit Schrei­ben vom 24. April 2012 (Bl. 121 d.A.) erklärte die Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tung, dass sie ge­gen die be­ab­sich­tig­ten Kündi­gun­gen kei­ne Ein­wen­dun­gen er­he­be.

Mit ge­sie­gel­tem Schrei­ben vom 25. April 2012 (Bl. 58 d.A.), un­ter­zeich­net von der da­ma­li­gen stell­ver­tre­ten­den Vor­sit­zen­den und zwei wei­te­ren Mit­glie­dern des Kir­chen­vor­stands, kündig­te die Be­klag­te das Ar­beits­verhält­nis außer­or­dent­lich frist­los, hilfs­wei­se or­dent­lich frist­ge­recht zum 30. Sep­tem­ber 2012.

Mit der am 26. April 2012 beim Ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­ge­nen Kla­ge hat der Kläger zunächst be­gehrt, ver­trags­gemäß beschäftigt zu wer­den. Mit der am 8. Mai 2012 beim Ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­ge­nen Schutz­kla­ge wen­det er sich ge­gen die Kündi­gun­gen.

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Der Kläger hat zu­sam­men­ge­fasst vor­ge­tra­gen: Die Kündi­gun­gen sei­en un­wirk­sam. Es feh­le nach dem ei­ge­nen Vor­trag der Be­klag­ten so­wohl an ei­nem wich­ti­gen Grund als auch an ei­ner so­zia­len Recht­fer­ti­gung. Das ihm vor­ge­wor­fe­ne Ver­hal­ten ver­s­toße nicht ge­gen gel­ten­des Recht der ka­tho­li­schen Kir­che, ins­be­son­de­re ha­be er da­mit kei­ne Loya­litäts­pflich­ten aus Art. 4, 5 GrO ver­letzt. Ein außer­ehe­li­ches Verhält­nis stel­le kei­ne schwer­wie­gen­de persönli­che sitt­li­che Ver­feh­lung im Sin­ne von Art. 5 Abs. 2 Spie­gel­strich 1 GrO dar. In Art. 5 Abs. 2 Spie­gel­strich 2 GrO sei in Be­zug auf das Ehe­sa­kra­ment al­lein die Wie­der­hei­rat als schwe­rer Loya­litäts­ver­s­toß vor­ge­se­hen. Dem ent­spre­che es, dass der Ehe­bruch durch den co­dex iuris ca­no­ni­ci (cic) des Jah­res 1983 als straf­be­wehr­tes cri­men ab­ge­schafft wor­den sei. Je­den­falls un­ter­lie­ge der Kläger als ein­fa­cher wei­sungs­ge­bun­de­ner Kir­chen­mu­si­ker kei­nen ge­stei­ger­ten Loya­litätsan­for­de­run­gen. Mit der Un­ter­schrift un­ter den Ar­beits­ver­trag ha­be er sich nicht ver­pflich­tet, im Fal­le der Tren­nung oder Schei­dung le­bens­lang ab­sti­nent zu le­ben. Selbst wenn man den Vor­trag der Be­klag­ten für schlüssig hal­ten woll­te, könne er zu den Vorwürfen schwei­gen, oh­ne die Geständ­nis­wir­kung des § 138 Abs. 3 ZPO aus­zulösen, da aus­sch­ließlich sein durch die Eu­ropäische Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on (EM­RK) geschütz­tes Pri­vat­le­ben be­trof­fen sei. Hilfs­wei­se be­strei­te er die Vorwürfe. Darüber hin­aus be­haup­tet der Kläger, er sei selbst über­zeug­ter Ka­tho­lik und ste­he hin­ter der Glau­bens- und Sit­ten­leh­re der ka­tho­li­schen Kir­che. Die cha­rak­ter­li­che Ver­schie­den­heit zwi­schen ihm und sei­ner Ehe­frau ha­be es al­ler­dings unmöglich ge­macht, die Ehe fort­zu­set­zen. Er be­ab­sich­tig­te we­der, mit ei­ner an­de­ren Frau in häus­li­cher Ge­mein­schaft zu le­ben oder Kin­der zu ha­ben, noch mit ei­ner an­de­ren Frau in der Ge­mein­de als Paar auf­zu­tre­ten. Letz­tes ha­be er auch in der Ver­gan­gen­heit nicht ge­tan, ins­be­son­de­re ha­be nicht in der Öffent­lich­keit die Hand ei­ner an­de­ren Frau ge­hal­ten. Die Dienst­ge­mein­schaft sei durch das ihm vor­ge­wor­fe­ne Ver­hal­ten nicht be­las­tet wor­den. Die Be­tei­li­gung im Propsteichor sei erst nach Aus­spruch der Kündi­gung dra­ma­tisch ge­sun­ken. Er wer­de kei­ne an­de­re aus­bil­dungs­adäqua­te Beschäfti­gung fin­den. Die Be­klag­te ha­be das Ver­fah­ren nach Art. 5 Abs. 1 GrO nicht ein­ge­hal­ten und durch den schritt­wei­sen Ent­zug ein­zel­ner Ar­beits­auf­ga­ben zu er­ken­nen ge­ge­ben, dass sie auf ei­ne Kündi­gung ver­zich­ten wer­de. Die Kündi­gung sei vom Kir­chen­vor­stand nicht ord­nungs­gemäß be­schlos­sen, der Be­schluss des Kir­chen­vor­stands nicht kir­chen­auf­sicht­lich ge­neh­migt und die Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tung nicht ord­nungs­gemäß an­gehört wor­den.

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Der Kläger hat zu­letzt sinn­gemäß be­an­tragt,


1. fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis we­der durch die außer­or­dent­li­che frist­lo­se noch durch die or­dent­li­che frist­ge­rech­te Kündi­gung der Be­klag­ten vom 25. April 2012 auf­gelöst wor­den ist,

I.

2. im Fall des Ob­sie­gens mit dem Kündi­gungs­schutz­an­trag die Be­klag­ten zu ver­ur­tei­len, den Kläger bis zum rechts­kräfti­gen Ab­schluss des Kündi­gungs­schutz­ver­fah­rens als Or­ga­nist und Chor­lei­ter wei­ter zu beschäfti­gen.

Die Be­klag­te hat be­an­tragt,
die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Die Be­klag­te hat zu­sam­men­ge­fasst vor­ge­tra­gen: Be­reits die außer­or­dent­li­che frist­lo­se, je­den­falls die or­dent­li­che frist­ge­rech­te Kündi­gung sei als Tat-, zu­min­dest aber als Ver­dachtskündi­gung wirk­sam. Der Kläger führe ei­ne außer­ehe­li­che in­ti­me Be­zie­hung mit der Zeu­gin Q1. Der Propst ha­be in den auf das Dienst­gespräch vom 30. Sep­tem­ber 2011 fol­gen­den Wo­chen von ver­schie­de­nen Sei­ten die In­for­ma­ti­on er­hal­ten, dass meh­re­re Ver­hal­tens­wei­sen des Klägers in der Öffent­lich­keit und auch im Propsteichor dar­auf hin­deu­te­ten, dass zwi­schen dem Kläger und der Zeu­gin Q1 ei­ne weit in­ten­si­ve­re Be­zie­hung be­ste­he, als von ihm ein­geräumt. Am 1. No­vem­ber 2011 (Al­ler­hei­li­gen) sei­en der Kläger und die Zeu­gin Q1 Hand in Hand in An­we­sen­heit vie­ler Be­su­cher durch den Haupt­weg des Fried­hofs ge­gan­gen. In der glei­chen Wo­che sei­en der Kläger und die Zeu­gin Q1 von dem Hin­ter­ein­gang der neu­en Woh­nung der Zeu­gin Q1 händ­chen­hal­tend in Rich­tung Dom ge­gan­gen. Ent­ge­gen der Be­haup­tung, dass er nicht ein­mal de­ren Haus­num­mer ken­ne, ha­be der Kläger der Zeu­gin Q1 beim Um­zug ge­hol­fen und mehr­mals von de­ren neu­em Te­le­fon­an­schluss bei der Be­klag­ten an­ge­ru­fen. Zu­dem ha­be der Zeu­ge Q1 an­ge­ge­ben, dass sei­ne Ehe­frau ihm ein außer­ehe­li­ches Verhält­nis mit dem Kläger ge­stan­den ha­be. Der Kläger und sie lieb­ten sich seit zwei Jah­ren. Seit ei­nem hal­ben Jahr könn­ten die bei­den nicht mehr ge­gen ih­re Gefühle an­ge­hen. Sie pla­ne ei­ne ge­mein­sa­me Zu­kunft mit dem Kläger und wol­le mit ihm zu­sam­men­zie­hen. Der Kläger über­nach­te re­gelmäßig bei der Zeu­gin Q1. Letz­tes könne auch der Sohn der Ehe­leu­te Q1 bestäti­gen. Die­ser wol­le nur noch un­gern bei sei­ner Mut­ter über­nach­ten

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und ha­be sich bei sei­nem Va­ter darüber be­schwert, dass der Kläger mor­gens am Küchen­tisch sit­ze und al­les dop­pelt so lan­ge daue­re, weil der Kläger und die Zeu­gin Q1 ständig „knutsch­ten". Das Un­ter­hal­ten ei­ner außer­ehe­li­chen se­xu­el­len Be­zie­hung stel­le ei­ne schwer­wie­gen­de persönli­che sitt­li­che Ver­feh­lung im Sin­ne von Art. 5 Abs. 2 Spie­gel­strich 1 GrO dar. Die Ehe sei als Sa­kra­ment hei­lig und könne vom Men­schen nicht auf­gelöst wer­den. In­dem der Ehe­bruch als straf­be­wehr­tes cri­men ab­ge­schafft wor­den sei, ha­be die ka­tho­li­sche Kir­che nicht ei­nen zen­tra­len Be­stand­teil ih­rer Glau­bens- und Sit­ten­leh­re auf­ge­ge­ben. Der Ehe­bruch stel­le nach wie vor ei­nen Ver­s­toß ge­gen das Sechs­te Ge­bot dar. Nach den ge­sam­ten Umständen sei der Be­klag­ten jeg­li­che Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses un­zu­mut­bar. Der Kläger neh­me als Kan­tor Auf­ga­ben in der Lit­ur­gie war und ste­he da­durch in beträcht­li­cher Nähe zur Verkündi­gung des ka­tho­li­schen Glau­bens. Es sei nicht hin­nehm­bar, dass er ei­ner­seits ein außer­ehe­li­ches Verhält­nis – auch öffent­lich – le­be und an­de­rer­seits den Stand­punkt ver­tre­te, kein „ver­bo­te­nes Verhält­nis" zur Zeu­gin Q1 zu pfle­gen und ein sol­ches hartnäckig wahr­heits­wid­rig be­strei­te. Der Kläger ha­be seit Sep­tem­ber 2011 ein ab­so­lut un­ein­sich­ti­ges und tak­ti­sches Ver­hal­ten an den Tag ge­legt. Das ha­be zu er­heb­li­chem Un­frie­den in der Ge­mein­de und zu ei­nem schwer­wie­gen­den Ver­trau­ens­ver­lust bei dem Dienst­vor­ge­setz­ten des Klägers geführt. Die Glaubwürdig­keit sei­nes Dienst­herrn wer­de durch das Ver­hal­ten des Klägers beschädigt. Die Be­klag­te ha­be al­les ge­tan, um die Kündi­gung zu ver­mei­den. Sie ha­be mehr­fach ver­geb­lich das Gespräch mit dem Kläger ge­sucht. Der Kläger ha­be die Kündi­gung pro­vo­ziert an­statt sie zu ver­hin­dern. Die Ein­schränkung sei­ner Tätig­kei­ten sei le­dig­lich ei­ne vorüber­ge­hen­de Maßnah­me ge­we­sen. Die dau­er­haf­te Beschäfti­gung ei­nes Kir­chen­mu­si­kers oh­ne kir­chen­mu­si­ka­li­sche Auf­ga­ben sei un­denk­bar. Der Kündi­gungs­be­schluss des Kir­chen­vor­stands vom 2. April 2012 sei, ob­wohl dies kei­ne Wirk­sam­keits­vor­aus­set­zung dar­stel­le, kir­chen­auf­sicht­lich ge­neh­migt und die Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tung kor­rekt be­tei­ligt wor­den.

Das Ar­beits­ge­richt hat der Kla­ge mit Ur­teil vom 5. Ok­to­ber 2012 (Bl. 167 - 184b d.A.) statt­ge­ge­ben. Zur Be­gründung hat es im We­sent­li­chen aus­geführt, dass es auf Ba­sis des Be­klag­ten­vor­trags so­wohl an ei­nem wich­ti­gen Grund als auch an ei­ner so­zia­len Recht­fer­ti­gung feh­le. Es sei be­reits frag­lich, ob der Kläger ge­gen Loya­litäts­ver­pflich­tun­gen aus Art. 5 GrO ver­s­toßen ha­be. Je­den­falls sei­en so­wohl die

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außer­or­dent­li­che frist­lo­se als auch die or­dent­li­che frist­gemäße Kündi­gung un­verhält­nismäßig. Das In­ter­es­se des Klägers am Er­halt sei­nes Ar­beits­plat­zes und der Ach­tung sei­nes Pri­vat­le­bens über­wie­ge das – ob­gleich er­heb­li­che – Be­en­di­gungs­in­ter­es­se der Be­klag­ten und de­ren Selbst­be­stim­mungs­recht.

Ge­gen das ihr am 19. Ok­to­ber 2012 zu­ge­stell­te Ur­teil rich­tet sich die am 6. No­vem­ber 2012 ein­ge­leg­te und am 18. De­zem­ber 2012 be­gründe­te Be­ru­fung der Be­klag­ten, mit der sie das Ziel ei­ner vollständi­gen Kla­ge­ab­wei­sung un­verändert wei­ter­ver­folgt.

Die Be­klag­te wen­det sich un­ter Wie­der­ho­lung und Ver­tie­fung ih­res erst­in­stanz­li­chen Vor­brin­gens zur Sach- und Rechts­la­ge ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts und trägt ergänzend vor: Ent­ge­gen dem Ar­beits­ge­richt stel­le das Un­ter­hal­ten ei­ner außer­ehe­li­chen ge­schlecht­li­chen Be­zie­hung ei­ne schwer­wie­gen­de persönli­che sitt­li­che Ver­feh­lung im Sin­ne von Art. 5 Abs. 2 GrO dar. Es han­de­le sich um ei­nen der Wie­der­hei­rat gleich­wer­ti­gen Loya­litäts­ver­s­toß. Der Kläger ha­be die Be­haup­tun­gen der Be­klag­ten in Be­zug auf das außer­ehe­li­che Verhält­nis mit der Zeu­gin Q1 nur un­zu­rei­chend be­strit­ten. Ent­ge­gen der An­nah­me des Ar­beits­ge­richts über­wie­ge das In­ter­es­se der Be­klag­ten an der – so­for­ti­gen – Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses. Der Kläger sei als in die Lit­ur­gie ein­ge­bun­de­ner Kir­chen­mu­si­ker in her­aus­ge­ho­be­ner Stel­lung tätig. Er ha­be auch nicht ein­fach sein Recht auf ein selbst­be­stimm­tes Se­xu­al­le­ben aus­geübt. Ei­ner­seits ha­be er sich re­gelmäßig ganz be­wusst in der Öffent­lich­keit ge­zeigt und al­les ge­tan, um sein außer­ehe­li­ches Verhält­nis in die Ge­mein­de zu tra­gen. So sei er auch am 5. No­vem­ber 2011 deut­lich nach 20:30 Uhr händ­chen­hal­tend mit der Zeu­gin Q1 ge­se­hen wor­den. An­de­rer­seits ha­be der Kläger ge­genüber der Be­klag­ten das außer­ehe­li­che Verhält­nis ge­leug­net bzw. sich da­zu nicht erklärt und kei­nes der Gesprächs­an­ge­bo­te der Be­klag­ten ge­nutzt. Er ha­be kei­ner­lei Ein­sicht in die Pro­ble­ma­tik ge­zeigt und trotz di­ver­ser Hin­wei­se un­be­irrt an sei­nem Ver­hal­ten fest­ge­hal­ten. Ge­ra­de durch sein Ver­hal­ten in der Öffent­lich­keit ha­be der Kläger die Be­klag­te zu ei­ner Re­ak­ti­on ge­zwun­gen. Er ha­be das außer­ehe­li­che Verhält­nis zu­dem am Ar­beits­platz ge­lebt und mit der Zeu­gin Q1 während der Chor­pro­ben Händ­chen ge­hal­ten. Da­durch sei der Propsteichor in zwei La­ger ge­spal­ten wor­den. Der Kläger könne ei­nen neu­en aus­bil­dungs­adäqua­ten Ar­beits­platz fin­den. Falls selbst die or­dent­li­che frist­ge­rech­te Kündi­gung nicht für

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wirk­sam be­fun­den wer­den soll­te, sei das Ar­beits­verhält­nis je­den­falls ge­gen Zah­lung ei­ner Ab­fin­dung auf­zulösen. Ei­ne den Be­triebs­zwe­cken dien­li­che Zu­sam­men­ar­beit sei nicht mehr möglich. Ei­ner­seits ha­be der Kläger vorsätz­lich und be­harr­lich un­wah­re Be­haup­tun­gen im Rechts­streit auf­ge­stellt. An­de­rer­seits zei­ge er sich auch nach Zu­gang der Kündi­gung und während des Rechts­streits re­gelmäßig in­nig in der be­schrie­be­nen Wei­se mit der Zeu­gin Q1 in der Öffent­lich­keit. Der Kläger ver­su­che ganz of­fen­sicht­lich, die Be­klag­te zu pro­vo­zie­ren und ak­tiv die Glaubwürdig­keit der Kir­che zu un­ter­gra­ben. In die­sem Zu­sam­men­hang sei auch zu se­hen, dass der Kläger ent­ge­gen sei­ner bis­he­ri­gen Ge­wohn­heit mitt­ler­wei­le mehr­fach die Mes­se be­sucht und sich die Kom­mu­ni­on ha­be er­tei­len las­sen. Es ge­he dem Kläger dar­um, über die Be­klag­te zu „tri­um­phie­ren" und sie zu demüti­gen. Auf­grund des Ver­hal­tens des Klägers sähen sich zu­min­dest 33 Mit­glie­der des Propsteichors (vgl. das Schrei­ben vom 18. Fe­bru­ar 2013, Bl. 279 - 281 d.A.) so­wie der ge­sam­te Kir­chen­vor­stand und der Pfarr­ge­mein­de­rat (vgl. das Schrei­ben vom 2. April 2013, Bl. 290 - 291 d.A.) nicht mehr in der La­ge, künf­tig ge­deih­lich mit dem Kläger zu­sam­men zu ar­bei­ten. We­gen der Ein­zel­hei­ten des Be­ru­fungs­vor­brin­gens der Be­klag­ten wird auf ih­re Schriftsätze vom 18. De­zem­ber 2012 (Bl. 221 - 233 d.A.), vom 19. De­zem­ber 2012 (Bl. 239 - 241 d.A.), vom 26. Fe­bru­ar 2013 (Bl. 262 - 267 d.A.), vom 7. März 2013 (Bl. 278 - 281 d.A.), vom 6. Ju­ni 2013 (Bl. 288 - 291 d.A.) so­wie vom 11. Ju­ni 2013 (Bl. 298 - 303 d.A.) Be­zug ge­nom­men.

Die Be­klag­te be­an­tragt,

1. un­ter Abände­rung des erst­in­stanz­li­chen Ur­teils die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

2. Für den Fall, dass die Be­ru­fung zurück­ge­wie­sen wird, das Ar­beits­verhält­nis ge­gen Zah­lung ei­ner in das Er­mes­sen des Ge­richts ge­stell­ten Ab­fin­dung auf­zulösen.

Der Kläger be­an­tragt,

die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen und den Auflösungs­an­trag ab­zu­wei­sen.

Der Kläger ver­tei­digt un­ter Wie­der­ho­lung und Ver­tie­fung sei­nes erst­in­stanz­li­chen Vor­brin­gens zur Sach- und Rechts­la­ge das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts und trägt

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ergänzend vor: Die Be­klag­te wol­le ei­nen ganz neu­en Kündi­gungs­grund einführen. Die ka­tho­li­sche Kir­che könne ih­ren Mit­ar­bei­tern nicht bei Mei­dung ei­ner Kündi­gung auf­er­le­gen, kei­ne vor- oder außer­ehe­li­chen se­xu­el­len Hand­lun­gen vor­zu­neh­men. Je­den­falls gehöre der Kläger nicht zu dem Per­so­nen­kreis, den bei ei­nem Loya­litäts­ver­s­toß ei­ne „Re­gelkündi­gung" tref­fe. Nach den in Art. 5 Abs. 4 GrO be­zeich­ne­ten Kri­te­ri­en sei ei­ne Wei­ter­beschäfti­gung möglich. Er sei über­zeug­ter Ka­tho­lik, ha­be sich nach der Tren­nung von sei­ner Ehe­frau stets äußerst dis­kret ver­hal­ten und Ein­zel­hei­ten sei­ner pri­va­ten Le­bensführung nie in die Öffent­lich­keit ge­tra­gen. Die dies­bezügli­chen Vor­hal­tun­gen der Be­klag­ten blie­ben va­ge und un­kon­kret. Er sei nicht mit der Zeu­gin Q1 Hand in Hand her­um­ge­lau­fen und wei­se auf das Ent­schie­dens­te die Be­haup­tung zurück, sie hätten während der Chor­pro­ben Händ­chen ge­hal­ten. Es ge­be we­gen des an­geb­li­chen Ver­hal­tens des Klägers kei­ne La­ger­bil­dung im Chor. So­weit es über­haupt zu ei­ner La­ger­bil­dung ge­kom­men sein soll­te, sei die­se nach Aus­spruch der Kündi­gung auf­grund ei­ner Be­ein­flus­sung durch den Kir­chen­vor­stand oder ein­zel­ne Mit­glie­der ent­stan­den. We­gen der Ein­zel­hei­ten des Be­ru­fungs­vor­brin­gens des Klägers wird auf des­sen Schrift­satz vom 10. Ja­nu­ar 2013 (Bl. 246 - 251 d.A.) Be­zug ge­nom­men.

Ent­schei­dungs­gründe

A.

Die Be­ru­fung ist teil­wei­se be­gründet. Ent­ge­gen dem Ar­beits­ge­richt ist die an­ge­fal­le­ne Kla­ge teil­wei­se un­be­gründet. Die or­dent­li­che Kündi­gung ist wirk­sam. Sie hat das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en nach § 41 Abs. 2 KA­VO mit Ab­lauf des 30. Sep­tem­ber 2012 auf­gelöst. Hin­ge­gen hat das Ar­beits­ge­richt zu­tref­fend an­ge­nom­men, dass das Ar­beits­verhält­nis nicht schon durch die außer­or­dent­li­che frist­lo­se Kündi­gung be­en­det wor­den ist.
 


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I. Die or­dent­li­che frist­ge­rech­te Kündi­gung ist wirk­sam.

1. Die or­dent­li­che frist­ge­rech­te Kündi­gung ist als Tatkündi­gung so­zi­al ge­recht­fer­tigt im Sin­ne von § 1 Abs. 2 KSchG. Der Kläger hat sich durch das Un­ter­hal­ten ei­ner außer­ehe­li­chen ge­schlecht­li­chen Be­zie­hung mit der Zeu­gin Q1 in Wi­der­spruch zu den be­rech­tig­ten Loya­litätser­war­tun­gen der Be­klag­ten ge­setzt. Die Enttäuschung der be­rech­tig­ten Loya­litätser­war­tun­gen der Be­klag­ten ist durch Gründe be­dingt, die nicht „le­dig­lich" in der Per­son, son­dern zu­min­dest auch im Ver­hal­ten des Klägers lie­gen.

a) Ei­ne Kündi­gung ist aus Gründen im Ver­hal­ten des Ar­beit­neh­mers gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG so­zi­al ge­recht­fer­tigt, wenn der Ar­beit­neh­mer ei­ne Ver­trags­pflicht er­heb­lich – in der Re­gel schuld­haft – ver­letzt hat, die zu­mut­ba­re Möglich­keit ei­ner an­de­ren, künf­ti­ge Störun­gen zu­verlässig aus­sch­ließen­den Beschäfti­gung nicht be­steht und die Lösung des Ar­beits­verhält­nis­ses in Abwägung der In­ter­es­sen bei­der Ver­trags­tei­le bil­li­gens­wert und an­ge­mes­sen er­scheint. Auch die er­heb­li­che Ver­let­zung ei­ner ver­trag­li­chen Ne­ben­pflicht kann ei­ne Kündi­gung so­zi­al recht­fer­ti­gen. Vor­aus­set­zung ist, dass der Ar­beit­neh­mer sich rechts­wirk­sam zu dem be­an­stan­de­ten Tun oder Un­ter­las­sen hat ver­pflich­ten können. Hin­ge­gen ist ei­ne Kündi­gung im Sin­ne von § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG durch Gründe in der Per­son des Ar­beit­neh­mers be­dingt, wenn der Ar­beit­neh­mer auf­grund persönli­cher Ei­gen­schaf­ten – oh­ne dass ihm das vor­werf­bar wäre – nicht (mehr) in der La­ge ist, die Leis­tung ver­trags­ge­recht zu erfüllen. Vor­aus­ge­setzt ist ei­ne Nicht- oder Schlech­terfüllung der ge­schul­de­ten Leis­tung, et­wa weil der Ar­beit­neh­mer ei­ner be­ruf­li­chen An­for­de­rung nicht (mehr) ent­spricht (vgl. BAG 8. Sep­tem­ber 2011 - 2 AZR 543/10 - Rn. 16 f. mwN, NZA 2012, 443).

b) Mit dem Un­ter­hal­ten ei­ner außer­ehe­li­chen ge­schlecht­li­chen Be­zie­hung zu der Zeu­gin Q1 hat der Kläger ge­gen wirk­sam auf­er­leg­te Loya­litäts­pflich­ten aus dem Ar­beits­verhält­nis ver­s­toßen.

aa) Der Kläger hat seit spätes­tens Herbst 2011 und noch bei Zu­gang der Kündi­gung ein außer­ehe­li­ches ge­schlecht­li­ches Verhält­nis mit der Zeu­gin Q1
 


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un­ter­hal­ten. Das steht auf­grund der un­zu­rei­chen­den Ein­las­sung des Klägers gemäß § 138 Abs. 3 ZPO fest.

(1) Die Be­klag­te hat vor­ge­tra­gen, dass der Kläger vor­ge­richt­lich ge­genüber dem Propst ein­geräumt ha­be, dass er ei­ne – wenn auch ver­meint­lich nicht „ver­bo­te­ne" – Lie­bes­be­zie­hung zu der Zeu­gin Q1 un­ter­hal­te. Zu­dem ha­be der Zeu­ge Q1 erklärt, dass die Zeu­gin Q1 ihm ge­stan­den ha­be, dass sie und der Kläger sich seit zwei Jah­ren lieb­ten und seit ei­nem hal­ben Jahr nicht mehr ge­gen ih­re Gefühle ankönn­ten. Dem ent­spre­chen die vor­ge­tra­ge­nen An­ga­ben des Sohns der Q1, wo­nach der Kläger re­gelmäßig bei der Zeu­gin Q1 über­nach­te und mor­gens am Küchen­tisch sit­ze und „al­les dop­pelt so lan­ge daue­re", weil der Kläger und die Zeu­gin Q1 ständig „knutsch­ten".

(2) Der Kläger hat sich im Rechts­streit auf ein ein­fa­ches Be­strei­ten „der Vorwürfe" zurück­ge­zo­gen und sich le­dig­lich zu ein­zel­nen Fällen des von der Be­klag­ten be­haup­te­ten „Händ­chen­hal­tens" erklärt. Dem­ge­genüber hat er nicht ein­mal pau­schal be­haup­tet, dass sei­ne Be­zie­hung zu der Zeu­gin Q1 rein freund­schaft­li­cher Na­tur sei. Sei­ner vor­ge­richt­li­chen Äußerung, die „Lie­bes­be­zie­hung" sei kei­ne „ver­bo­te­ne", ist eben­falls nicht die Be­haup­tung zu ent­neh­men, dass das Verhält­nis zu der Zeu­gin Q1 nicht (auch) ge­schlecht­li­cher Na­tur sei. Viel­mehr be­ruh­te sie auf der An­nah­me, dass ei­ner­seits die Be­klag­te von ihm nach der Tren­nung von sei­ner Ehe­frau kei­ne Ent­halt­sam­keit ver­lan­gen könne und an­de­rer­seits ein Ein­bre­chen in ei­ne frem­de Ehe schon des­halb nicht vor­lie­gen könne, weil die Q1 nur stan­des­amt­lich ver­hei­ra­tet sind.

(3) Der Kläger meint, er sei mit Blick auf sein Recht auf Ach­tung des Pri­vat- und Fa­mi­li­en­le­bens aus Art. 8 EM­RK selbst zu dem hilfs­wei­se er­folg­ten pau­scha­len Be­strei­ten nicht bei Mei­dung der Geständ­nis­wir­kung des § 138 Abs. 3 ZPO ge­zwun­gen und müsse erst recht kei­ne po­si­ti­ven Erklärun­gen zu sei­ner Be­zie­hung zu der Zeu­gin Q1 ab­ge­ben. Die­se Auf­fas­sung ist rechts­ir­rig. Zwar ist der Kläger nicht im Sin­ne ei­ner Rechts­pflicht ge­hal­ten, ge­genüber sei­nem Ar­beit­ge­ber Aus­kunft über sein Pri­vat- und Fa­mi­li­en­le­ben zu er­tei­len (vgl. Jous­sen in: Straßburg und das kirch­li­che Ar­beits­recht S. 27 [29]). Die Ver­wei­ge­rung ei­ner der­ar­ti­gen Aus­kunft kann nicht ar­beits­recht­lich sank­tio­niert wer­den (vgl. LAG Hamm 14. Ja­nu­ar 1998 - 3 Sa 1087/97 - zu II 3 b bb der Gründe, LA­GE BGB § 626 Nr. 119). Da­von zu tren­nen ist

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je­doch die den Kläger im Rah­men ei­nes Rechts­streits in sei­nem wohl­ver­stan­de­nen Ei­gen­in­ter­es­se tref­fen­de Ob­lie­gen­heit, auf schlüssi­gen und sub­stan­ti­ier­ten Vor­trag der Be­klag­ten zu in sei­nem Kennt­nis­be­reich lie­gen­den Tat­sa­chen in eben­falls sub­stan­ti­ier­ter Wei­se zu er­wi­dern, wenn die Geständ­nis­fik­ti­on des § 138 Abs. 3 ZPO nicht ein­grei­fen soll. Es liegt hier nicht an­ders, als in ei­nem Rechts­streit um die Wirk­sam­keit ei­ner krank­heits­be­ding­ten Kündi­gung. In ei­nem sol­chen Ver­fah­ren kann den Ar­beit­neh­mer die pro­zes­sua­le Mit­wir­kungs­ob­lie­gen­heit tref­fen, sei­ne be­han­deln­den Ärz­te von der Schwei­ge­pflicht zu ent­bin­den (vgl. BAG 6. Sep­tem­ber 1989 - 2 AZR 19/89 - zu BI1b der Gründe, DB 1990, 429). Hier wie dort ist der Ar­beit­neh­mer vor ei­nem „Blank­zie­hen" in zwei­er­lei Hin­sicht geschützt: Zum ei­nen muss er sich oh­ne In­k­auf­nah­me von Rechts­nach­tei­len über­haupt nicht erklären, wenn der Vor­trag des Ar­beit­ge­bers be­reits aus Rechts­gründen un­schlüssig ist (so wie es bei ei­ner außer­ehe­li­chen Be­zie­hung in ei­nem säku­la­ren Ar­beits­verhält­nis re­gelmäßig der Fall sein wird) oder oh­ne greif­ba­re tatsächli­che An­halts­punk­te er­sicht­lich „ins Blaue hin­ein" er­folgt. Da­mit ist zu­gleich der – an sich be­rech­tig­ten – Befürch­tung des Klägers vor­ge­beugt, dass die staat­li­chen Ge­rich­te für Schnüffe­lei­en des Ar­beit­ge­bers im Pri­vat- und Fa­mi­li­en­le­ben ei­nes Ar­beit­neh­mers „in­stru­men­ta­li­siert" wer­den könn­ten. Zum an­de­ren und je­den­falls bleibt es die freie Ent­schei­dung des Ar­beit­neh­mers, ob und in­wie­weit er sich im Rechts­streit erklären möch­te. Auch im Pro­zess kann er zu ei­ner Erklärung in kei­nem Fall ge­zwun­gen wer­den. Er muss dann „nur" ge­ge­be­nen­falls die Fol­ge des § 138 Abs. 3 ZPO tra­gen (vgl. BAG 30. Ju­ni 1983 - 2 AZR 524/81 - zu B II 4 der Gründe, NJW 1984, 1917).

bb) Mit dem Un­ter­hal­ten ei­nes außer­ehe­li­chen ge­schlecht­li­chen Verhält­nis­ses hat der Kläger ge­gen we­sent­li­che Grundsätze der ka­tho­li­schen Glau­bens- und Sit­ten­leh­re ver­s­toßen, nämlich ei­nen Ehe­bruch be­gan­gen. Das Ge­bot der ehe­li­chen Treue (vgl. can. 1063 cic) ist ent­ge­gen der An­sicht des Klägers nach wie vor ein zen­tra­ler Grund­satz der ka­tho­li­schen Glau­bens- und Sit­ten­leh­re. Es gilt auch nach ei­ner Tren­nung der Ehe­leu­te (vgl. BAG 16. Sep­tem­ber 1999 - 2 AZR 712/98 - NZA 2000, 208; 8. Sep­tem­ber 2011 - 2 AZR 543/10 - Rn. 43, NZA 2012, 443; LAG Düssel­dorf 13. Au­gust 1998 - 7 Sa 425/98 - Kir­chE 36, 343). Zu den tra­gen­den Grundsätzen der ka­tho­li­schen Glau­bens- und Sit­ten­leh­re gehört die her­aus­ra­gen­de Be­deu­tung der Ehe, die nicht le­dig­lich ein Bund oder Ver­trag, son­dern viel­mehr auch ein Sa­kra­ment (gött­li­ches Heils­mit­tel) ist (can. 1055 cic). Dass der Ehe­bruch nach

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der Neu­fas­sung des co­dex iuris ca­no­ni­ci im Jah­re 1983 nicht länger als Ver­bre­chen an­ge­se­hen wird (so noch can. 2357 § 2 cic aF), ist oh­ne Be­lang. Das ka­no­ni­sche Recht nennt als We­sens­ei­gen­schaft ei­ner Ehe nach wie vor de­ren Un­auflöslich­keit (can. 1056 und 1141 cic) so­wie ih­re le­bens­lan­ge und aus­sch­ließli­che Na­tur (can. 1134 cic) (vgl. BAG 16. Sep­tem­ber 1999 - 2 AZR 712/98 - zu V 5 a bb der Gründe, NZA 2000, 208). Nach der ka­tho­li­schen Glau­bens- und Sit­ten­leh­re kommt der Ehe nicht ei­ne for­mel­le Funk­ti­on im Sin­ne ei­nes frei zu schließen­den und auch wie­der zu lösen­den pri­vat­recht­li­chen Ver­trags zu, son­dern sie ist als Sa­kra­ment un­auflöslich und aus­sch­ließlich so­wie in­te­gra­ler Be­stand­teil der gött­li­chen Schöpfungs- und Erlösungs­ord­nung (vgl. BAG 8. Sep­tem­ber 2011 - 2 AZR 543/10 - Rn. 36, NZA 2012, 443). Nach ka­tho­li­schem Kir­chen­recht ist des­halb der Ehe­bruch (vgl. can. 1152 cic) nach wie vor als schwer­wie­gen­des Fehl­ver­hal­ten an­zu­se­hen (vgl. BAG 16. Sep­tem­ber 1999 - 2 AZR 712/98 - zu II 5 b der Gründe, NZA 2000, 208).

cc) Das Ver­lan­gen der Be­klag­ten nach Ein­hal­tung der Vor­schrif­ten der ka­tho­li­schen Glau­bens- und Sit­ten­leh­re steht in Ein­klang mit den ver­fas­sungs­recht­li­chen Vor­ga­ben.


(1) Dem Kläger steht al­ler­dings das Recht auf freie Ent­fal­tung sei­ner Persönlich­keit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG zu. Die Ge­stal­tung des pri­va­ten Le­bens­be­reichs liegt außer­halb der Ein­fluss­sphäre des Ar­beit­ge­bers und wird durch ar­beits­ver­trag­li­che Pflich­ten nur in­so­weit ein­ge­schränkt, wie sich das pri­va­te Ver­hal­ten auf den be­trieb­li­chen Be­reich aus­wirkt und dort zu Störun­gen führt. Berührt außer­dienst­li­ches Ver­hal­ten den ar­beits­ver­trag­li­chen Pflich­ten­kreis nicht, ist der Ar­beit­ge­ber re­gelmäßig nicht be­rech­tigt, die ihm be­kannt ge­wor­de­nen Umstände aus der Pri­vat­sphäre des Ar­beit­neh­mers durch den Aus­spruch ei­ner Kündi­gung zu miss­bil­li­gen (BAG 8. Sep­tem­ber 2011 - 2 AZR 543/10 - Rn. 21, NZA 2012, 443 un­ter Be­zug­nah­me auf BAG 10. Sep­tem­ber 2009 - 2 AZR 257/08 - Rn. 20, AP KSchG 1969 § 1 Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr. 60; 16. Sep­tem­ber 2004 - 2 AZR 447/03 - Rn. 43, AP BGB § 611 Kir­chen­dienst Nr. 44).


(2) Das Grund­recht des Ar­beit­neh­mers nach Art. 2 Abs. 1 GG be­steht in­des nicht un­ein­ge­schränkt. Nach dem Be­schluss des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts vom 4. Ju­ni 1985 (- 2 BvR 1718/83 ua. - BVerfGE 70, 138), dem das Bun­des­ar­beits­ge­richt in


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ständi­ger Recht­spre­chung ge­folgt ist (zB BAG 21. Fe­bru­ar 2001 - 2 AZR 139/00 - NZA 2001, 1136; 24. April 1997 - 2 AZR 268/96 - NZA 1998, 145; 18. No­vem­ber 1986 - 7 AZR 274/85 - AP GG Art. 140 Nr. 35), gewähr­leis­tet das durch Art. 140 GG iVm. Art. 137 Abs. 3 WRV ver­fas­sungs­recht­lich verbürg­te Selbst­ord­nungs- und Selbst­ver­wal­tungs­recht den ver­fass­ten Kir­chen im Sin­ne ei­nes Selbst­be­stim­mungs­rechts darüber zu be­fin­den, wel­che Diens­te es in ih­ren Ein­rich­tun­gen ge­ben soll und in wel­chen Rechts­for­men sie wahr­zu­neh­men sind. Die Kir­chen können sich da­bei der staat­li­chen Pri­vat­au­to­no­mie be­die­nen, um ein Ar­beits­verhält­nis zu be­gründen und zu re­geln (BAG 8. Sep­tem­ber 2011 - 2 AZR 543/10 - Rn. 22, NZA 2012, 443 mwN).

(3) Be­die­nen sich die Kir­chen wie je­der­mann der Pri­vat­au­to­no­mie zur Be­gründung von Ar­beits­verhält­nis­sen, fin­det auf die­se das staat­li­che Ar­beits­recht An­wen­dung. Die Ein­be­zie­hung der kirch­li­chen Ar­beits­verhält­nis­se in das staat­li­che Ar­beits­recht hebt in­des de­ren Zu­gehörig­keit zu den „ei­ge­nen An­ge­le­gen­hei­ten" der Kir­che im Sin­ne von Art. 140 GG iVm. Art. 137 Abs. 3 WRV nicht auf. Das ermöglicht es den Kir­chen, in den Schran­ken des für al­le gel­ten­den Ge­set­zes den kirch­li­chen Dienst nach ih­rem Selbst­verständ­nis zu re­geln und da­zu die spe­zi­fi­schen Ob­lie­gen­hei­ten kirch­li­cher Ar­beit­neh­mer ver­bind­lich zu ma­chen. Wer­den Loya­litätsan­for­de­run­gen in ei­nem Ar­beits­ver­trag fest­ge­legt, nimmt der kirch­li­che Ar­beit­neh­mer nicht nur die all­ge­mei­ne Ver­trags­frei­heit für sich in An­spruch; er macht zu­gleich von sei­nem ver­fas­sungs­kräfti­gen Selbst­be­stim­mungs­recht Ge­brauch (vgl. BVerfG 4. Ju­ni 1985 - 2 BvR 1718/03 ua. - Rn. 59, BVerfGE 70, 138; BAG 8. Sep­tem­ber 2011 - 2 AZR 543/10 - Rn. 23, NZA 2012, 443).

(4) Wel­che kirch­li­chen Grund­ver­pflich­tun­gen als Ge­gen­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses be­deut­sam sein können, rich­tet sich nach den von der ver­fass­ten Kir­che an­er­kann­ten Maßstäben. Da­ge­gen kommt es we­der auf die Auf­fas­sung der ein­zel­nen be­trof­fe­nen kirch­li­chen Ein­rich­tun­gen, bei de­nen die Mei­nungs­bil­dung von ver­schie­de­nen Mo­ti­ven be­ein­flusst sein kann, noch auf die­je­ni­ge brei­ter Krei­se un­ter Kir­chen­mit­glie­dern oder gar ein­zel­ner, be­stimm­ten Ten­den­zen ver­bun­de­ner Mit­ar­bei­ter an (BAG 21. Fe­bru­ar 2001 - 2 AZR 139/00 - Rn. 53, NZA 2011, 1136). Die Ar­beits­ge­rich­te ha­ben die vor­ge­ge­be­nen kirch­li­chen Maßstäbe für die Be­wer­tung ein­zel­ner Loya­litätsan­for­de­run­gen zu­grun­de zu le­gen,

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so­weit die Ver­fas­sung das Recht der Kir­che an­er­kennt, hierüber selbst zu be­fin­den. Es bleibt da­nach grundsätz­lich den ver­fass­ten Kir­chen über­las­sen, ver­bind­lich zu be­stim­men, was die „Glaubwürdig­keit der Kir­che und der Ein­rich­tun­gen, in der sie beschäftigt sind" (vgl. Art. 4 Abs. 4, Art. 5 Abs. 5 GrO) er­for­dert, wel­ches die zu be­ach­ten­den „Grundsätze der ka­tho­li­schen Glau­bens- und Sit­ten­leh­re" sind (vgl. Art. 4 Abs. 1 GrO) und wel­che „Loya­litäts­verstöße" (vgl. Art. 5 Abs. 2 GrO) aus „kir­chen­spe­zi­fi­schen Gründen" als „schwer­wie­gend" an­zu­se­hen sind. Auch die Ent­schei­dung darüber, ob und wie in­ner­halb der im kirch­li­chen Dienst täti­gen Ar­beit­neh­mer ei­ne Ab­stu­fung der Loya­litätsan­for­de­run­gen ein­grei­fen soll (vgl. Art. 5 Abs. 3 und Abs. 4 GrO) ist grundsätz­lich ei­ne dem kirch­li­chen Selbst­be­stim­mungs­recht un­ter­lie­gen­de An­ge­le­gen­heit (vgl. BAG 21. Fe­bru­ar 2001 - 2 AZR 139/00 - Rn. 53, NZA 2001, 1136; 8. Sep­tem­ber 2011 - 2 AZR 543/10 - Rn. 24, NZA 2012, 443; bestäti­gend: EGMR 3. Fe­bru­ar 2011 - 18136/02 - NZA 2012, 199).

dd) Nach den da­mit maßgeb­li­chen kirch­li­chen Vor­schrif­ten liegt ein an sich kündi­gungs­re­le­van­ter Loya­litäts­ver­s­toß vor.


(1) Das Un­ter­hal­ten ei­ner außer­ehe­li­chen ge­schlecht­li­chen Be­zie­hung stellt ei­ne schwe­re persönli­che sitt­li­che Ver­feh­lung im Sin­ne von Art. 5 Abs. 2 Spie­gel­strich 1 der im Bis­tum Müns­ter wirk­sam in Kraft ge­setz­ten, über die Präam­bel der KA­VO für das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en in Be­zug ge­nom­me­nen und des­halb die Par­tei­en ar­beits­ver­trag­lich bin­den­den GrO dar. Der Kläger hat sich da­mit in er­heb­li­chem Maße il­loy­al im Sin­ne des Ethos der Be­klag­ten ver­hal­ten. Das Ge­gen­teil folgt ent­ge­gen sei­ner An­sicht nicht in ei­nem Um­kehr­schluss aus Art. 5 Abs. 2
Spie­gel­strich 2 GrO (vgl. BAG 16. Sep­tem­ber 1999 - 2 AZR 712/98 - zu II 5 b der Gründe, NZA 2000, 2008; LAG Düssel­dorf 13. Au­gust 1998 - 7 Sa 425/98 - zu A II der Gründe, LA­GE BGB § 611 Kirch­li­che Ar­beit­neh­mer Nr. 9 je­weils je­den­falls für das ge­schlecht­li­che Zu­sam­men­le­ben Un­ver­hei­ra­te­ter; in­so­weit als un­be­denk­lich ein­ge­stuft durch EGMR 23. Sep­tem­ber 2010 - 1620/03 - Rn. 68, NZA 2011, 279). Zum ei­nen stellt nach dem al­lein maßgeb­li­chen – wenn auch der Bevölke­rungs­mehr­heit mögli­cher­wei­se un­plau­si­bel, rückwärts­ge­rich­tet und ir­ra­tio­nal er­schei­nen­den (vgl. BAG 8. Sep­tem­ber 2011 - 2 AZR 543/10 - Rn. 39, NZA 2012, 443) – Verständ­nis der ka­tho­li­schen Kir­che ei­ne vor­ehe­li­che ge­schlecht­li­che
 


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Be­zie­hung kei­ne Vor­stu­fe zur Ehe dar. „Ehen auf Pro­be" sind im ka­tho­li­schen Verständ­nis nicht vor­ge­se­hen, ins­be­son­de­re hat die Se­xua­lität nur in der – in­so­fern aus­sch­ließli­chen – Ehe ih­ren be­rech­tig­ten Platz. Da­nach kann auch ei­ne außer­ehe­li­che ge­schlecht­li­che Be­zie­hung kei­ne Vor­stu­fe zur Wie­der­hei­rat sein. Zum an­de­ren ist die Wie­der­hei­rat (can. 1085 cic) nicht der ein­zi­ge Fall des Ab­schlus­ses „ei­ner nach dem Glau­bens­verständ­nis und der Rechts­ord­nung der Kir­che ungülti­gen Ehe" im Sin­ne von Art. 5 Abs. 2 Spie­gel­strich 2 GrO. Viel­mehr kann ei­ne ungülti­ge Ehe nach Ka­pi­tel III (Die Tren­nen­den Hin­der­nis­se im All­ge­mei­nen) und IV (Ehe­kon­sens) des co­dex iuris ca­no­ni­ci aus zahl­rei­chen an­de­ren Gründen vor­lie­gen. Zu die­sen Ungültig­keits­gründen rech­net auch, dass zu­min­dest ein Part­ner ein We­sensele­ment oder ei­ne We­sens­ei­gen­schaft der Ehe durch po­si­ti­ven Wil­lens­akt aus­ge­schlos­sen hat (vgl. can. 1101 § 2 cic; zB Ab­leh­nung der Zeu­gung von Nach­kom­men­schaft durch ge­schlecht­li­ches Zu­sam­men­wir­ken oder In­fra­ge­stel­len der Un­auflöslich­keit oder Aus­sch­ließlich­keit der Ehe). Sch­ließlich rich­tet sich die Wie­der­hei­rat vor al­lem ge­gen die Un­auflöslich­keit der Ehe, während das Un­ter­hal­ten ei­ner außer­ehe­li­chen ge­schlecht­li­chen Be­zie­hung ei­nen schwe­ren Ver­s­toß ge­gen den Grund­satz der Aus­sch­ließlich­keit der Ehe dar­stellt.

(2) Die Vor­stel­lun­gen der ka­tho­li­schen Kir­che zur Aus­sch­ließlich­keit der Ehe ste­hen nicht in Wi­der­spruch zu den Grund­prin­zi­pi­en der Rechts­ord­nung. Der Bruch ei­ner be­ste­hen­den (bürger­li­chen) Ehe, die gemäß Art. 6 Abs. 1 GG un­ter dem be­son­de­ren Schutz der staat­li­chen Ord­nung steht, wird auch vom bürger­li­chen Recht als ein schwer­wie­gen­des Fehl­ver­hal­ten an­ge­se­hen (vgl. § 1579 Nr. 7 BGB). Das gilt un­ge­ach­tet der Tat­sa­che, dass dies in der ge­leb­ten Pra­xis auch an­ders ge­se­hen wird (vgl. BAG 16. Sep­tem­ber 1999 - 2 AZR 712/98 - zu II 5 a cc der Gründe, NZA 2000, 208; 24. April 1997 - 2 AZR 258/96 - zu II 1 b bb (2) der Gründe, NZA 1998, 145; in­so­weit an­er­kannt durch EGMR 23. Sep­tem­ber 2010 - 425/03 - Rn. 48, NZA 2011, 277). Die ne­ga­ti­ve Härte­klau­sel des § 1579 Nr. 7 BGB, bei der Verstöße ge­gen die ehe­li­che Treue­pflicht im Vor­der­grund ste­hen (vgl. Münch­Komm-BGB/Mau­rer 5. Aufl. § 1579 Rn. 44 und 47; OLG Hamm 3. Ju­ni 1997 - 7 UF 523/96 - Fam­RZ 1997, 1484), gewähr­leis­tet ge­ra­de die Ver­fas­sungsmäßig­keit des ver­schul­dens­un­abhängi­gen Un­ter­halts­rechts (vgl. BVerfG 14. Ju­li 1981 - 1 BvL 28/77 ua. - NJW 1981, 1771; BGH 16. April 2008 - XII ZR 7/05 - Rn. 27, NJW 2008, 2779; vgl. auch BVerfG 20. Mai 2003 - 1 BvR 237/97 - NJW 2003, 2819 für die
 


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Härte­fall­klau­sel im Ver­sor­gungs­aus­gleich in § 1587c BGB). Der Grund­satz der Un­auflöslich­keit der kirch­li­chen Ehe spielt vor­lie­gend kei­ne Rol­le, weil der Kläger nicht ein­mal die Schei­dung sei­ner bürger­li­chen Ehe be­treibt. Im Übri­gen sieht auch das kirch­li­che Recht die Auflösung zu­min­dest der nicht voll­zo­ge­nen Ehe „aus ei­nem ge­rech­ten Grund" vor (can. 1142 cic). Mit al­le­dem ist im Übri­gen nicht ent­schie­den, dass der kirch­li­che Ar­beit­ge­ber sei­ne Ar­beit­neh­mer bei Mei­dung ei­ner Kündi­gung zu le­bens­lan­ger be­din­gungs­lo­ser Ab­sti­nenz nach dem Schei­tern ei­ner Ehe ver­pflich­ten darf. Denn es sind nicht In­halt und Verhält­nismäßig­keit der kirch­li­chen Loya­litäts­pflich­ten, son­dern es ist die Verhält­nismäßig­keit ei­ner auf de­ren kon­kre­te Ver­let­zung gestütz­ten ar­beits­recht­li­chen Maßnah­me zu über­prüfen (vgl. LAG Hamm 17. Fe­bru­ar 2012 - 18 Sa 867/11 - ju­risRn. 82; Gra­ben­war­ter in: Straßburg und das kirch­li­che Ar­beits­recht S. 9 [18]; Plum NZA 2011, 1194, 1199).

c) Die or­dent­li­che Kündi­gung ist nicht un­verhält­nismäßig we­gen Miss­ach­tung der Ver­fah­rens­vor­schrift des Art. 5 Abs. 1 GrO. Nach Art. 5 Abs. 1 GrO muss der kirch­li­che Dienst­ge­ber, wenn ein Mit­ar­bei­ter die Beschäfti­gungs­an­for­de­run­gen nicht mehr erfüllt, durch „Be­ra­tung", dh. „ein klären­des Gespräch" ver­su­chen, dass der Mit­ar­bei­ter die­sen Man­gel auf Dau­er be­sei­tigt (vgl. BAG 8. Sep­tem­ber 2011 - 2 AZR 543/10 - Rn. 29, NZA 2012, 443). Dem ist die Be­klag­te durch meh­re­re Gesprächs­an­ge­bo­te nach­ge­kom­men.


d) Das Recht der Be­klag­ten zum Aus­spruch der or­dent­li­chen frist­ge­rech­ten Kündi­gung ist ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Klägers nicht ver­wirkt. Die Be­klag­te hat die Kündi­gung nicht mit il­loya­ler Ver­spätung (§ 242 BGB) aus­ge­spro­chen. Ei­ner­seits muss­te sie zu­vor das in der Grund­ord­nung vor­ge­schrie­be­ne be­ra­ten­de Gespräch mit dem Kläger führen, ei­nen Be­schluss des Kir­chen­vor­stands her­beiführen und die Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tung be­tei­li­gen. An­ge­sichts der für bei­de Par­tei­en weit­rei­chen­den Fol­gen des Kündi­gungs­ent­schlus­ses ist es nicht zu be­an­stan­den, dass sie da­bei um­sich­tig und oh­ne Hast vor­ge­gan­gen ist (vgl. BAG 8. Sep­tem­ber 2011 - 2 AZR 543/10 - Rn. 13, NZA 2012, 443), gleich meh­re­re Gesprächs­an­ge­bo­te un­ter­brei­tet und auch das Ge­ne­ral­vi­ka­ri­at be­glei­tend in den Vor­gang ein­be­zo­gen hat. An­de­rer­seits und vor al­lem ist der Zeit­ab­lauf zwi­schen dem 19. Sep­tem­ber 2011 (der Zeu­ge Q1 er­scheint im Ge­mein­debüro) und dem Aus­spruch der Kündi­gung am 25. April 2012 maßgeb­lich dar­auf zurück­zuführen, dass der Kläger ver­si­chert hat­te,

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nichts „Ver­bo­te­nes" zu tun, sich sei­ner Ver­ant­wor­tung als kirch­li­cher Mit­ar­bei­ter be­wusst zu sein und den Propst von sich aus zu in­for­mie­ren, wenn er – der Kläger – mit der GrO in Kon­flikt ge­ra­ten soll­te. Sch­ließlich konn­te sich bei dem Kläger je­den­falls nach der Über­sen­dung des Auf­he­bungs­ver­trags im Ja­nu­ar 2012 kein schutzwürdi­ges Ver­trau­en mehr da­hin bil­den, dass die Be­klag­te ei­ne – ggf. ein­sei­ti­ge – Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses kei­nes­falls in Be­tracht zie­hen, son­dern es dau­er­haft bei den – zu­mal von ihm an­ge­grif­fe­nen – Be­schränkun­gen des Tätig­keits­be­reichs be­las­sen wer­de.


e) Ei­ne Ab­mah­nung war ent­behr­lich und die Abwägung der bei­der­sei­ti­gen In­ter­es­sen der Par­tei­en er­gibt, dass das Be­en­di­gungs­in­ter­es­se der Be­klag­ten die Be­lan­ge des Klägers über­wiegt.


aa) Bei der Prüfung, ob dem Ar­beit­ge­ber die Wei­ter­beschäfti­gung des Ar­beit­neh­mers trotz Vor­lie­gens ei­ner er­heb­li­chen Pflicht­ver­let­zung zu­mut­bar ist, ist in ei­ner Ge­samtwürdi­gung das In­ter­es­se des Ar­beit­ge­bers an der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ge­gen das In­ter­es­se des Ar­beit­neh­mers an des­sen Fort­be­stand ab­zuwägen. Es hat ei­ne Be­wer­tung des Ein­zel­falls un­ter Be­ach­tung des Verhält­nismäßig­keits­grund­sat­zes zu er­fol­gen. Ei­ne Kündi­gung kommt nur in Be­tracht, wenn es kei­nen an­ge­mes­se­nen Weg gibt, das Ar­beits­verhält­nis fort­zu­set­zen, weil dem Ar­beit­ge­ber al­le mil­de­ren Re­ak­ti­onsmöglich­kei­ten un­zu­mut­bar sind. Ei­ne Ab­mah­nung be­darf es in An­se­hung des Verhält­nismäßig­keits­grund­sat­zes dann nicht, wenn ei­ne Ver­hal­tensände­rung in Zu­kunft selbst nach Ab­mah­nung nicht zu er­war­ten steht oder es sich um ei­ne so schwe­re Pflicht­ver­let­zung han­delt, dass ei­ne Hin­nah­me durch den Ar­beit­ge­ber of­fen­sicht­lich – auch für den Ar­beit­neh­mer er­kenn­bar – aus­ge­schlos­sen ist. Dies gilt grundsätz­lich auch bei Störun­gen im Ver­trau­ens­be­reich (BAG 9. Ju­ni 2011 - 2 AZR 381/10 - Rn. 18, NZA 2011, 1027).

bb) Ei­ne Ab­mah­nung war im Streit­fall ent­behr­lich, weil ei­ne Ver­hal­tensände­rung in der Zu­kunft kei­nes­falls zu er­war­ten stand. Der Kläger war er­sicht­lich nicht ge­willt, die außer­ehe­li­che ge­schlecht­li­che Be­zie­hung mit der Zeu­gin Q1 zu be­en­den. Schon vor Aus­spruch der Kündi­gung hat­te er in an­walt­li­cher Ver­tre­tung und trotz di­ver­ser Gespräche mit Ver­tre­tern der Be­klag­ten und des Ge­ne­ral­vi­ka­ri­ats un­verrück­bar den Stand­punkt ein­ge­nom­men, dass das ihm vor­ge­wor­fe­ne Ver­hal­ten nach dem ei­ge­nen
 


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Vor­trag der Be­klag­ten kei­nen Ver­s­toß ge­gen gel­ten­des Recht der ka­tho­li­schen Kir­che dar­stel­le. Im Übri­gen hat­te die hartnäckig fort­ge­setz­te Loya­litäts­ver­let­zung an­ge­sichts des ge­sam­ten Ver­hal­tens des Klägers zwi­schen­zeit­lich ei­ne sol­che Schwe­re er­reicht, dass ih­re wei­te­re Hin­nah­me durch die Be­klag­te of­fen­sicht­lich – auch für den Kläger er­kenn­bar – aus­ge­schlos­sen war.

cc) Die In­ter­es­sen­abwägung im Übri­gen er­gibt, dass das Be­en­di­gungs­in­ter­es­se der Be­klag­ten das In­ter­es­se des Klägers so­wohl an der Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses als auch an der Ach­tung sei­nes Pri­vat- und Fa­mi­li­en­le­bens gemäß Art. 8 EM­RK über­wiegt.


(1) Die stets not­wen­di­ge Abwägung der recht­lich geschütz­ten In­ter­es­sen der Par­tei­en muss bei Kündi­gun­gen aus kir­chen­spe­zi­fi­schen Gründen dem Selbst­be­stim­mungs­recht der Kir­chen ein be­son­de­res Ge­wicht bei­mes­sen (BVerfG 4. Ju­ni 1985 - 2 BvR 1718/83 ua. - zu B II 1 e der Gründe, BVerfGE 70, 138). Die Ar­beits­ge­rich­te ha­ben zwi­schen dem Recht des Ar­beit­neh­mers auf freie Ent­fal­tung sei­ner Persönlich­keit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG und auf Ach­tung sei­nes Pri­vat- und Fa­mi­li­en­le­bens (Art. 8 EM­RK) ei­ner­seits und den nach Art. 140 GG iVm. Art. 137 Abs. 3 WRV so­wie nach Art. 9 EM­RK (Re­li­gi­ons­frei­heit) und Art. 11 EM­RK (Ver­ei­ni­gungs­frei­heit) geschütz­ten Rech­ten der Re­li­gi­ons­ge­mein­schaft an­de­rer­seits ab­zuwägen. Die­ses Abwägungs­ge­bot folgt auch aus der Recht­spre­chung des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs für Men­schen­rech­te (EGMR 3. Fe­bru­ar 2011 - 18136/02 - NZA 2012, 199; 23. Sep­tem­ber 2010 - 425/03 - NZA 2011, 277; 23. Sep­tem­ber 2010 - 1620/03 - NZA 2011, 279), de­ren Be­ach­tung ver­fas­sungs­recht­lich ge­bo­ten ist (BVerfG 4. Mai 2011 - 2 BvR 2333/08 ua. - BVerfGE 128, 326; 14. Ok­to­ber 2004 - 2 BvR 1481/04 - BVerfGE 111, 307; BAG 8. Sep­tem­ber 2011 - 2 AZR 543/10 - Rn. 18, NZA 2012, 443; kri­tisch bzgl. der nach sei­ner An­sicht die Re­zep­ti­ons­gren­zen des Grund­ge­set­zes über­schrei­ten­den Ent­schei­dung des BAG: Ma­gen in: Straßburg und das kirch­li­che Ar­beits­recht S. 41 [48 ff.]).

(2) Nach die­sen Grundsätzen über­wiegt im Streit­fall das Be­en­di­gungs­in­ter­es­se

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(a) Al­ler­dings hat der Kläger ein er­heb­li­ches In­ter­es­se so­wohl an der Fort­set­zung sei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses als auch an der Ach­tung sei­nes Pri­vat- und Fa­mi­li­en­le­ben. Der Kläger war bei Zu­gang der Kündi­gung elf Jah­re bei der Be­klag­ten beschäftigt. Sei­ne fach­li­chen Fähig­kei­ten sind un­be­strit­ten. Bis in den Herbst 2011 ver­lief das Ar­beits­verhält­nis voll­kom­men störungs­frei. Als KOCH ist der Kläger kein Mit­ar­bei­ter mit ge­stei­ger­ten Loya­litätsob­lie­gen­hei­ten im Sin­ne von § 5 Abs. 3 GrO. Er nimmt zu ei­nem nicht un­er­heb­li­chen Teil „welt­li­che" Ar­beits­auf­ga­ben wahr. Zu­dem erfährt der Kläger star­ken Schutz durch Art. 8 EM­RK, weil das Loya­litätshin­der­nis auch sei­ner pri­va­ten Sphäre zu­zu­ord­nen ist. Da­bei ging ei­ner­seits die Auf­nah­me der außer­ehe­li­chen Be­zie­hung zu der Zeu­gin Q1 nicht mit ei­nem böswil­li­gen Ver­las­sen sei­ner Ehe­frau und sei­ner – er­wach­se­nen – Kin­der ein­her (vgl. § 5 Abs. 5 GrO für den Fall des Ab­schlus­ses ei­ner nach dem Glau­bens­verständ­nis und der Rechts­ord­nung der ka­tho­li­schen Kir­che ungülti­gen Ehe). An­de­rer­seits hat die Be­klag­te den Vor­wurf nicht sub­stan­ti­iert, der Kläger sei in ei­ne bis da­hin in­tak­te – stan­des­amt­li­che – Ehe der Q1 „ein­ge­bro­chen". Frei­lich kommt bei­den Umständen nur ein­ge­schränkt „ent­las­ten­de" Be­deu­tung zu, weil es um den außen­ste­hen­den Drit­ten un­be­kann­ten Zu­stand bei­der be­trof­fe­ner Ehen geht, während es – was die Glaubwürdig­keit der Be­klag­ten an­be­langt – ent­schei­dend auf das äußere Er­schei­nungs­bild und da­mit dar­auf an­kommt, ob zu­min­dest in den Au­gen Drit­ter ein Ver­s­toß ge­gen die kirch­li­chen Sit­ten­ge­set­ze vor­liegt (vgl. BAG 3. No­vem­ber 1981 - 1 AZR 38/81 - ju­risRn. 22). In­so­fern genügt ei­ne schein­bar auch ge­schlecht­li­che Be­zie­hung mit ei­ner an­de­ren Frau während ei­ner fort­be­ste­hen­den Ehe, oh­ne dass es maßgeb­lich dar­auf ankäme, ob der an­de­re Ehe­gat­te die­sen se­xu­el­len Kon­takt als Bruch ei­ner in­tak­ten Ehe emp­fin­det. Zu­guns­ten des Klägers un­ter­stellt das Lan­des­ar­beits­ge­richt wei­ter­hin, dass er nicht mit der Zeu­gin Q1 in der Ge­mein­deöffent­lich­keit oder während der Chor­pro­ben Händ­chen ge­hal­ten hat. Sch­ließlich dürf­te der Kläger als Kir­chen­mu­si­ker mit spe­zi­fi­scher Aus­bil­dung schlech­te Chan­cen ha­ben, ei­ne – gleich­wer­ti­ge – Beschäfti­gung zu fin­den (vgl. EGMR 23. Sep­tem­ber 2010 - 1620/03 - Rn. 73, NZA 2011, 279; zwei­felnd: Gra­ben­war­ter in Straßburg und das kirch­li­che Ar­beits­recht S. 9 [21] un­ter Hin­weis auf die Möglich­kei­ten ei­ner Tätig­keit im Be­reich des Mu­sik­un­ter­richts). In­des dürfen ungüns­ti­ge Aus­sich­ten des Ar­beit­neh­mers, ei­ne – an­ge­mes­se­ne – An­schluss­beschäfti­gung zu fin­den, je­den­falls dann nicht über­be­wer­tet wer­den, wenn die Gründe für die Kündi­gung zu­min­dest auch in sei­nem Ver­hal­ten lie­gen.

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An­de­ren­falls er­hiel­te der Ar­beit­neh­mer ei­nen „Frei­fahrt­schein" für von ihm steu­er­ba­re er­heb­li­che Verstöße ge­gen kir­chen­spe­zi­fi­sche Loya­litäts- oder all­ge­mei­ne Ver­trags­pflich­ten. Das gölte ins­be­son­de­re für „verkündi­gungs­na­he" Mit­ar­bei­ter, an de­ren persönli­che Le­bensführung zwar be­son­de­re An­for­de­run­gen ge­stellt wer­den dürf­ten, die aber oft­mals bei Ver­lust des Ar­beits­plat­zes auf ei­nen neu­en kirch­li­chen Ar­beit­ge­ber an­ge­wie­sen sind (des­halb ins­ge­samt kri­tisch ge­genüber der Ar­gu­men­ta­ti­on des EM­GR: Gra­ben­war­ter aaO).

(b) Ent­ge­gen dem Ar­beits­ge­richt kann zu Guns­ten des Klägers nicht berück­sich­tigt wer­den, dass er im Sin­ne von § 5 Abs. 4 Satz 2 GrO die Leh­re der Kir­che an­er­ken­ne und le­dig­lich im kon­kre­ten Fall ver­sagt ha­be. Viel­mehr ist da­von aus­zu­ge­hen, dass der Kläger die not­wen­di­ge Übe­rein­stim­mung mit ei­nem we­sent­li­chen Grund­satz der ka­tho­li­schen Glau­bens- und Sit­ten­leh­re, dem Ge­bot der ehe­li­chen Treue, auf­ge­ge­ben hat. Es spricht nach dem ge­sam­ten Ver­hal­ten und Vor­trag des Klägers al­les dafür, dass er Tei­le der Leh­re, die er of­fen­bar ab­lehnt, ei­genmäch­tig un­ter Hin­weis dar­auf ver­wor­fen hat, es han­de­le sich um sei­ne „Pri­vat­sa­che". Der Kläger be­haup­tet zwar pau­schal, dass er aus vol­ler Über­zeu­gung Ka­tho­lik sei. Die­se Aus­sa­ge er­weist sich je­doch als rei­nes Lip­pen­be­kennt­nis. Der Kläger hat nichts da­zu vor­ge­tra­gen, dass er sich die Ent­schei­dung, ei­ne außer­ehe­li­che ge­schlecht­li­che Be­zie­hung zu der Zeu­gin Q1 auf­zu­neh­men, nicht leicht ge­macht ha­be. Er teilt nicht mit, was er un­ter­nom­men ha­ben will, um sich recht­zei­tig „zurück­zu­zie­hen" und war­um ihm dies nicht ge­lun­gen sei. Viel­mehr hat er schon vor Aus­spruch der Kündi­gung stets nur die Auf­fas­sung ver­laut­bart, nichts „Ver­bo­te­nes" zu tun. Auch im Rechts­streit ver­tei­digt er sich – primär – da­mit, dass ei­ne außer­ehe­li­che se­xu­el­le Be­zie­hung kei­nen – je­den­falls kei­nen kündi­gungs­re­le­van­ten – Loya­litäts­ver­s­toß dar­stel­le, son­dern erst / nur die von ihm nicht an­ge­streb­te Wie­der­hei­rat ei­nen sol­chen bil­de. Ins­ge­samt zeigt sich, dass der Kläger das – von sei­ner Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten in der münd­li­chen Be­ru­fungs­ver­hand­lung so­gar ve­he­ment ge­leug­ne­te – Ver­bot des Ehe­bruchs ent­we­der über­haupt nicht oder we­nigs­tens nicht als für sich selbst ver­bind­lich emp­fin­det. Es han­delt sich we­der um ein Ver­sa­gen in ei­nem kon­kre­ten Fall (Zeu­gin Q1) noch um ein sol­ches in ei­nem be­stimm­ten Ob­lie­gen­heits­kreis (Ge­bot ehe­li­cher Treue), son­dern um ei­ne zu­min­dest gleichgülti­ge, wenn nicht so­gar ab­leh­nen­de

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Hal­tung ge­genüber der ka­tho­li­schen Glau­bens- und Sit­ten­leh­re zur Fra­ge der Aus­sch­ließlich­keit der Ehe.

(c) Das In­ter­es­se der Be­klag­ten an ei­ner Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses über­wiegt zu­min­dest un­ter den be­son­de­ren Umständen des Streit­falls die ge­genläufi­gen In­ter­es­sen des Klägers trotz de­ren star­ker so­zia­ler, ver­fas­sungs­recht­li­cher und kon­ven­ti­ons­recht­li­cher Fun­die­rung.


(aa) Im Aus­gangs­punkt ist zu be­ach­ten, dass es sich bei der Be­klag­ten nicht um ei­ne ent­fernt kirch­li­che Ein­rich­tung, son­dern um ei­ne ka­tho­li­sche Kir­chen­ge­mein­de han­delt. Zu­dem hat sich der Kläger mit der Un­ter­zeich­nung des Ar­beits­ver­trags wil­lent­lich den Loya­litätsan­for­de­run­gen der ka­tho­li­schen Kir­che un­ter­wor­fen und da­mit sein Recht auf Ach­tung des Pri­vat- und Fa­mi­li­en­le­bens zu ei­nem ge­wis­sen Maß ein­ge­schränkt. Es stand ihm frei, ein Ar­beits­verhält­nis mit der Be­klag­ten zu be­gründen oder nicht (vgl. LAG Ba­den-Würt­tem­berg 9. März 2012 - 12 Sa 55/11 - ju­risRn. 57; EGMR 23. Sep­tem­ber 2010 - 425/03 - Rn. 50, NZA 2011, 277, 23. Sep­tem­ber 2010 - 1620/03 - Rn. 71, NZA 2011, 279; 3. Fe­bru­ar 2011 - 18136/02 - Rn. 46, NZA 2012, 199). Des Wei­te­ren steht der Kläger als Kir­chen­mu­si­ker in un­mit­tel­ba­rer Nähe zum Verkündi­gungs­auf­trag der ka­tho­li­schen Kir­che im Sin­ne von Art. 5 Abs. 4 GrO. Die­se Fra­ge un­ter­liegt rich­ti­ger­wei­se ei­ner durch das deut­sche Ver­fas­sungs­recht ab­ge­si­cher­ten, le­dig­lich ei­ner Willkür- oder Plau­si­bi­litätskon­trol­le un­ter­lie­gen­den Einschätzungs­präro­ga­ti­ve der Kir­che (vgl. Gra­ben­war­ter in: Straßburg und das kirch­li­che Ar­beits­recht S. 9 [19]; Jous­sen aaO S. 27 [39]; Ma­gen aaO S. 41 [48]). So­weit man mit dem Eu­ropäischen Ge­richts­hof für Men­schen­rech­te (23. Sep­tem­ber 2010 - 1620/03 - Rn. 69, NZA 2011, 279) ei­ne un­ein­ge­schränk­te ge­richt­li­che Kon­trol­le der Nähe zum Verkündi­gungs­auf­trag für eröff­net hal­ten woll­te, gilt, dass man als Laie (nicht ge­weih­te Per­son) in der ka­tho­li­schen Kir­che der Verkündi­gung schwer­lich näher kom­men kann als ein Mit­ar­bei­ter im lit­ur­gi­schen Dienst (vgl. BAG 16. Sep­tem­ber 1999 - 2 AZR 712/98 - zu II 5 b der Gründe, NZA 2000, 208; LAG Düssel­dorf 13. Au­gust 1998 - 7 Sa 425/98 - zu A I der Gründe, LA­GE BGB § 611 Kirch­li­che Ar­beit­neh­mer Nr. 9; Ma­gen aaO S. 48). Nach der Dienst­an­wei­sung für Kir­chen­mu­si­ke­rin­nen und Kir­chen­mu­si­ker des Bischöfli­chen Ge­ne­ral­vi­ka­ri­ats wirkt der Kläger maßgeb­lich dar­an mit, das für die ka­tho­li­sche Kir­che zen­tra­le Er­eig­nis der Mess­fei­er (Eu­cha­ris­tie­fei­er) so­wie an­de­re sa­kra­men­ta­le
 


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Fei­ern und Wort- und Ge­bets­got­tes­diens­te würdig zu ge­stal­ten. Er hat sei­nen Dienst aus­zuüben im Bemühen, um ei­ne vol­le und täti­ge Teil­nah­me der Gläubi­gen an den lit­ur­gi­schen Fei­ern. Sei­ne Wei­sungs­ge­bun­den­heit spielt hier­bei kei­ne Rol­le. Ne­ben der da­mit je­den­falls ge­ge­be­nen be­son­de­ren Nähe zur Verkündi­gung ist schließlich zu be­ach­ten, dass das – ent­schei­den­de – Loya­litätshin­der­nis (die fort­be­ste­hen­de Ehe) nicht aus der Sphäre von Frau Q1, son­dern aus der ei­ge­nen Sphäre des Klägers herrührt, der Kläger es aber bei dem sta­tus quo be­las­sen und nicht den ihm nach ka­no­ni­schen Recht ver­blei­ben­den Weg zur kir­chen­recht­li­chen Auflösung sei­ner Ehe be­schrei­ten möch­te (vgl. BAG 8. Sep­tem­ber 2011 - 2 AZR 543/10 - Rn. 46, NZA 2012, 443).


(bb) Es kommt hin­zu, dass der Loya­litäts­ver­s­toß sich nicht aus­sch­ließlich in der pri­va­ten Sphäre des Klägers ab­ge­spielt hat, son­dern ei­ne be­son­de­re Nähe zum Ar­beits­verhält­nis auf­weist. Die Zeu­gin Q1 ist Mit­glied des vom Kläger ge­lei­te­ten Propsteichors. Zu­dem hat sie bei dem Kläger Un­ter­richt an den Or­geln der Kir­che ge­nom­men. Da auch die Ehe­frau des Klägers Mit­glied des Propsteichors war, be­stand ein er­heb­li­ches – letzt­lich auch rea­li­sier­tes – Po­ten­ti­al, Ir­ri­ta­tio­nen nicht bloß in der Ge­mein­de, son­dern ins­be­son­de­re auch in dem vom Kläger zu lei­ten­den Chor her­vor­zu­ru­fen und da­mit das ar­beits­ver­trag­li­che Aus­tausch­verhält­nis zu be­ein­träch­ti­gen. In Ab­gren­zung zu dem vom Eu­ropäischen Ge­richts­hof für Men­schen­rech­te ent­schie­de­nen Fall Schüth (23. Sep­tem­ber 2010 - 1620/03 - NZA 2011, 279) konn­te und durf­te die Be­klag­te von dem Kläger auch bei Mei­dung ei­ner Kündi­gung er­war­ten, dass die­ser nicht ehe­bre­che­ri­sche Be­zie­hun­gen zu ei­nem – ih­rer­seits stan­des­amt­lich ver­hei­ra­te­ten – Chor­mit­glied auf­nimmt, dem er zu­dem in den Räum­lich­kei­ten der be­klag­ten Kir­chen­ge­mein­de Or­gel­un­ter­richt er­teilt, und hier­bei die Ent­ste­hung von Un­frie­den im Propsteichor in Kauf nimmt. Ei­ne auf ei­ne ehe­wid­ri­ge Be­zie­hung gestütz­te Kündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses kann je­den­falls dann re­gelmäßig nicht als so­zi­al­wid­rig an­ge­se­hen wer­den, wenn das Ver­hal­ten des Ar­beit­neh­mers zu ei­ner er­heb­li­chen Störung des Ar­beits­ab­laufs führt (vgl. LAG Hamm 3. April 1984 - 7 Sa 1711/83 - ju­ris). In­so­fern ist zu berück­sich­ti­gen, dass die Pflicht, auf die be­rech­tig­ten Be­lan­ge des Ar­beit­ge­bers Rück­sicht zu neh­men, sich be­reits als all­ge­mei­ne ver­trag­li­che Ne­ben­pflicht aus § 241 Abs. 2 BGB er­gibt. Die­se all­ge­mei­ne Leis­tungs­treue­pflicht ist kei­ne Be­son­der­heit kirch­li­cher Ar­beits­verhält­nis­se, son­dern je­dem Schuld­verhält­nis im­ma­nent (vgl. LAG Hamm 17.
 


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Fe­bru­ar 2012 - 18 Sa 867/11 - ju­risRn. 67; Jous­sen in: Straßburg und das kirch­li­che Ar­beits­recht S. 27 [29]). Selbst in säku­la­ren Ar­beits­verhält­nis­sen gilt, dass die Ge­stal­tung des pri­va­ten Le­bens­be­reichs zwar grundsätz­lich außer­halb der Ein­fluss­sphäre des Ar­beit­ge­bers steht, je­doch durch ar­beits­ver­trag­li­che Pflich­ten in­so­weit ein­ge­schränkt wird, als sich das pri­va­te Ver­hal­ten auf den be­trieb­li­chen Be­reich aus­wirkt und dort zu Störun­gen führt. Es kommt dar­auf an, ob das außer­dienst­li­che Ver­hal­ten den Pflich­ten­kreis berührt (vgl. BAG 16. Sep­tem­ber 2004 - 2 AZR 447/03 - zu BI4d bb der Gründe, ZMV 2005, 152).


(cc) Das die er­heb­li­chen be­rech­tig­ten In­ter­es­sen des Klägers über­wie­gen­de Be­en­di­gungs­in­ter­es­se der Be­klag­ten gründet sich über die zu ver­zeich­nen­de Störung des Leis­tungs­aus­tauschs hin­aus dar­auf, dass der Sach­ver­halt ei­ne star­ke ver­hal­tens­be­ding­te Kom­po­nen­te auf­weist und ei­ner­seits das Ver­trau­en zwi­schen den Par­tei­en des Ar­beits­verhält­nis­ses und an­de­rer­seits die Glaubwürdig­keit der Be­klag­ten all­ge­mein und ge­genüber ih­ren Ge­mein­de­mit­glie­dern in be­son­de­rem Maße be­trof­fen sind (vgl. BAG 3. No­vem­ber 1981 - 1 AZR 38/81 - ju­risRn. 20; 31. Ja­nu­ar 1984 - 7 AZR 232/83 - zu III 3 a der Gründe, NZA 1985, 215; 12. De­zem­ber 1984 - 7 AZR 418/83 - zu IV 1 der Gründe, NJW 1985, 2781; 25. Mai 1988 - 7 AZR 506/87 - zu I 2 b der Gründe, AP GG Art. 140 Nr. 36; 7. Ok­to­ber 1993 - 2 AZR 226/93 - zu B II 1 a der Gründe, NZA 1994, 443).

(α) Ein we­sent­li­ches Kri­te­ri­um bei der Be­ur­tei­lung, ob ei­ne Wei­ter­beschäfti­gung zu­mut­bar ist, ist gemäß § 5 Abs. 4 GrO das Aus­maß ei­ner Gefähr­dung der Glaubwürdig­keit von Kir­che und kirch­li­cher Ein­rich­tun­gen. Die GrO soll aus­weis­lich ih­rer Präam­bel die Glaubwürdig­keit der Ein­rich­tun­gen, die die Kir­che un­terhält und an­er­kennt, um ih­ren Auf­trag in der Ge­sell­schaft wahr­zu­neh­men, si­chern. Die Gefähr­dung der Glaubwürdig­keit des kirch­li­chen Ar­beit­ge­bers wird auch vom Eu­ropäischen Ge­richts­hof für Men­schen­rech­te als ein ent­schei­den­des Abwägungs­kri­te­ri­um an­er­kannt (vgl. EGMR 3. Fe­bru­ar 2011 - 18136/02 - Rn. 46, NZA 2012, 199). Die be­klag­te Kir­chen­ge­mein­de muss es nicht hin­neh­men, durch die dau­er­haf­te Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses bei gleich­zei­ti­ger Fort­set­zung der außer­ehe­li­chen Be­zie­hung des Klägers mit der Zeu­gin Q1 in den Au­gen – nicht nur – ih­rer Ge­mein­de­mit­glie­der gleich­sam als „Ehe­bruchs­an­bahnungs- und Ehe­bruchs­dul­dungs­in­sti­tut" da­zu­ste­hen. Die un­be­grenz­te Fort­set­zung des

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Ar­beits­verhält­nis­ses trotz des wei­te­ren – voll­kom­men un­ein­sich­ti­gen – Un­ter­hal­tens der ehe­bre­che­ri­schen Be­zie­hung mit der Zeu­gin Q1 würde den Verkündi­gungs­auf­trag der ka­tho­li­schen Kir­che und de­ren Glaubwürdig­keit ernst­haft gefähr­den. Außen­ste­hen­de könn­ten den Ein­druck ge­win­nen, die ka­tho­li­sche Kir­che las­se ei­ne Re­la­ti­vie­rung ih­rer Glau­bensüber­zeu­gun­gen zu und hal­te Glau­bens­wahr­hei­ten für dis­po­ni­bel. Zwänge man der Be­klag­ten dies auf, wäre das kirch­li­che Selbst­be­stim­mungs­recht im Kern­be­reich be­ein­träch­tigt und könn­ten die Be­klag­te und die ka­tho­li­sche Kir­che er­heb­li­chen Scha­den neh­men. Es könn­te der Ein­druck ent­ste­hen, die Kir­che neh­me ih­re Glau­bens­grundsätze und ih­rer Verkündi­gungs­auf­trag nicht mehr ernst (vgl. LAG Hamm 17. Fe­bru­ar 2012 - 18 Sa 867/11 - ju­risRn. 69 und 74) und mes­se ih­ren zen­tra­len Wert­vor­stel­lun­gen selbst kei­ne all­zu große Be­deu­tung bei (vgl. BAG 25. Mai 1988 - 7 AZR 506/87 - zu I 2 c der Gründe, AP GG Art. 140 Nr. 36). Letzt­lich würde die Be­klag­te ih­re Iden­tität auf­ge­ben, wäre es für sie un­er­heb­lich, wie ih­re Mit­ar­bei­ter zur ka­tho­li­schen Glau­bens- und Sit­ten­leh­re ste­hen (vgl. LAG Ba­den-Würt­tem­berg 9. März 2012 - 12 Sa 55/11 - ju­risRn. 76). All dies gilt um­so mehr, wenn es sich – wie vor­lie­gend – um ei­nen Dau­er­zu­stand han­delt, der die Glaubwürdig­keit des Ar­beit­ge­bers und der Kir­che all­ge­mein fort­lau­fend berührt (vgl. BAG 25. Mai 1988 - 7 AZR 506/87 - zu I 3 b der Gründe, AP GG Art. 140 Nr. 36). Der Kläger un­ter­nimmt we­der den Ver­such, sei­ne Ehe kir­chen­recht­lich auflösen zu las­sen, noch macht er An­stal­ten, die außer­ehe­li­che Be­zie­hung zu der Zeu­gin Q1 zu be­en­den. Viel­mehr tre­ten bei­de ge­mein­sam in der Ge­mein­de – wenn auch mögli­cher­wei­se nicht händ­chen­hal­tend – auf. All dies stellt für ei­nen ka­tho­li­schen Ar­beit­ge­ber ein be­son­de­res Pro­blem dar. Denn nach ka­tho­li­schem Selbst­verständ­nis han­delt es sich um ei­ne fortwähren­de schwer­wie­gen­de Sünde ge­gen ein gött­li­ches Ver­bot und kann le­dig­lich ei­ne ab­ge­schlos­se­ne sünd­haf­te Hand­lung ver­ge­ben wer­den.

(β) Zu der fort­lau­fen­den Gefähr­dung der Glaubwürdig­keit der Kir­che tritt ei­ne über den Loya­litäts­ver­s­toß als sol­chen hin­aus­ge­hen­de, in ei­nem schuld­haf­ten Ver­hal­ten des Klägers be­gründe­te Zerstörung des Ver­trau­ens­verhält­nis­ses zum Dienst­vor­ge­setz­tem (Propst Ser­ries) und zum Kir­chen­vor­stand hin­zu. Zwar war der Kläger – wie ge­zeigt – nicht im Sin­ne ei­ner Rechts­pflicht ge­hal­ten, Erklärun­gen über sein Pri­vat­le­ben ab­zu­ge­ben. Die­sen be­rech­tig­ten Stand­punkt hat der Kläger je­doch in vor­werf­ba­rer Wei­se da­durch ver­las­sen, dass er wahr­heits­wid­ri­ge An­ga­ben zu

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sei­ner Be­zie­hung mit der Zeu­gin Q1 ge­macht hat. So hat er nach dem un­be­strit­te­nen Vor­trag der Be­klag­ten am 9. Ja­nu­ar 2012 in ei­nem Gespräch ge­genüber dem Kir­chen­vor­stand erklärt, er ken­ne nicht ein­mal die neue Haus­num­mer der Zeu­gin Q1. Hin­ge­gen hat­te er die­ser nach dem eben­falls un­be­strit­te­nen Vor­trag der Be­klag­ten beim Um­zug und bei der Re­no­vie­rung ih­rer neu­en Woh­nung ge­hol­fen und mehr­fach von ih­rem Te­le­fon­an­schluss bei der Be­klag­ten an­ge­ru­fen. Außer­dem hat die Be­klag­te un­be­strit­ten vor­ge­tra­gen, dass der Kläger seit Herbst 2011 re­gelmäßig bei der Zeu­gin Q1 über­nach­te und der Sohn der Zeu­gin sich bei dem Zeu­gen Q1 darüber be­schwert ha­be, dass der Kläger mor­gens bei der Zeu­gin am Frühstücks­tisch sit­ze.


(d) Ins­ge­samt ist un­ter den ge­ge­be­nen Umständen der Be­klag­ten ei­ne Wei­ter­beschäfti­gung nicht auf Dau­er zu­mut­bar. Ihr Be­en­di­gungs­in­ter­es­se über­wiegt, ob­wohl die or­dent­li­che Kündi­gung star­ken Be­zug zur pri­va­ten Le­bens­ge­stal­tung des Klägers hat und für ihn nach langjähri­gem be­an­stan­dungs­lo­sem Ar­beits­verhält­nis in­fol­ge des ver­eng­ten Ar­beits­markts zu schwer­wie­gen­den Nach­tei­len führen dürf­te. Dem kirch­li­chen Ar­beit­ge­ber ist es nicht zu­mut­bar, auf Dau­er ei­nen an der Verkündi­gung un­mit­tel­bar teil­ha­ben­den Ar­beit­neh­mer ein­zu­set­zen, der in sei­ner persönli­chen Le­bensführung fortwährend die von ihm zu re­präsen­tie­ren­den Grundsätze der Glau­bens- und Sit­ten­leh­re der Kir­che nicht nur nicht be­ach­tet, son­dern so­gar nicht an­er­kennt und des­halb die persönli­che Eig­nung für die ihm über­tra­ge­ne Tätig­keit in kei­nem Fall be­sitzt (vgl. BAG 25. Mai 1988 - 7 AZR 506/87 - zu II 2 der Gründe, AP GG Art. 140 Nr. 36). Das gilt je­den­falls dann, wenn die Glaubwürdig­keit des kirch­li­chen Ar­beit­ge­bers da­durch in be­son­de­rem Maße gefähr­det ist, dass sich ein fort­ge­setz­tes ehe­bre­che­ri­sche Verhält­nis aus der maßgeb­li­chen Sicht außen­ste­hen­der Drit­ter gleich­sam „un­ter sei­nen Au­gen" zu­min­dest an­ge­bahnt hat und zu­dem ei­ne er­heb­li­che ver­hal­tens­be­zo­ge­ne Kom­po­nen­te da­durch hin­zu­tritt, dass der Ar­beit­neh­mer wahr­heits­wid­ri­ge Erklärun­gen ab­ge­ge­ben und da­durch das Ver­trau­en in sei­ne Per­son und das Verhält­nis zu sei­nem Dienst­vor­ge­setz­ten und dem Ar­beit­ge­ber in ei­ner Wei­se zerstört hat, die auch ei­ne dau­er­haf­te Wei­ter­beschäfti­gung al­lein mit „welt­li­chen" Auf­ga­ben aus­sch­ließt.

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f) Die Kündi­gung ist nicht nach § 1 KSchG iVm. §§ 1, 7 AGG so­zi­al­wid­rig. Selbst wenn dem Kläger nicht gekündigt wor­den wäre, wenn er nicht kirch­lich ver­hei­ra­tet wäre, wäre die­se un­mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung (§ 3 Abs. 1 AGG) we­gen sei­ner Re­li­gi­on je­den­falls gemäß § 9 Abs. 2 AGG ge­recht­fer­tigt. Die auf­ge­zeig­te be­son­de­re Po­si­ti­on, die der Kläger als Kir­chen­mu­si­ker in der Lit­ur­gie in­ne­hat und die ihn in ei­ne be­son­de­re Nähe zum Verkündi­gungs­auf­trag der ka­tho­li­schen Kir­che bringt, recht­fer­tigt es, dass die Be­klag­te von ihm ei­ne Iden­ti­fi­ka­ti­on mit den Kern­punk­ten der ka­tho­li­schen Glau­bens- und Sit­ten­leh­re for­dert (vgl. BAG 8. Sep­tem­ber 2011 - 2 AZR 543/10 - Rn. 30 ff. mwN, NZA 2012, 443).


2. Das Kündi­gungs­schrei­ben ist durch Un­ter­schrift der da­ma­li­gen stell­ver­tre­ten­den Vor­sit­zen­den des Kir­chen­vor­stands und zwei­er wei­te­rer Kir­chen­vor­stands­mit­glie­der so­wie un­ter Beidrückung des Amts­sie­gels ord­nungs­gemäß im Sin­ne von § 14 Satz 2 des wei­ter­hin gülti­gen Preußischen Ge­set­zes über die Ver­wal­tung des ka­tho­li­schen Kir­chen­vermögens (Verm­VerwG; ju­ris: Ki­VermVwG NW 1924) vom 24. Ju­li 1924 ord­nungs­gemäß aus­ge­fer­tigt wor­den. Des­halb kann da­hin­ste­hen, ob es sich bei § 14 Satz 2 Verm­VerwG um ein For­mer­for­der­nis (vgl. ArbG Es­sen 15. De­zem­ber 2006 - 2 Ca 3652/05 - Kir­chE 48, 476) oder ei­ne Ver­tre­tungs­re­ge­lung (vgl. BAG 29. Ju­ni 1988 - 7 AZR 180/87 - ZTR 1988, 432; OLG Frank­furt 11. März 1997 - 11 U (Kart) 60/96 - ju­ris) han­delt.

3. Der Kündi­gung lag ein Be­schluss des Kir­chen­vor­stands vom 2. April 2012 zu Grun­de. Der Kläger hat sein Be­strei­ten aus der Kündi­gungs­schutz­schrift – an­ders als für die Anhörung der Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tung – auf den Vor­trag der Be­klag­ten mit Schrift­satz vom 10. Ju­li 2012 (dort S. 10 = Bl. 106 d.A.) mit Schrift­satz vom 27. Ju­li 2012 (vgl. dort S. 9 = Bl. 133 d.A.) mit der Fol­ge des § 138 Abs. 3 ZPO nicht auf­recht­er­hal­ten. Die Ord­nungs­gemäßheit der Be­schluss­fas­sung des Kir­chen­vor­stands wird gemäß § 14 Satz 3 Verm­VerwG durch die vor­schriftsmäßige Aus­fer­ti­gung des Kündi­gungs­schrei­bens nach außen fest­ge­stellt und steht des­halb im maßgeb­li­chen Verhält­nis zum Kläger fest (vgl. LAG Köln 28. Au­gust 1996 - 11 Sa 64/96 - Kir­chE 34, 317).

4. Es be­durf­te kei­ner kir­chen­auf­sicht­li­chen Ge­neh­mi­gung des Kündi­gungs­be­schlus­ses. Das Er­for­der­nis ei­ner kir­chen­auf­sicht­li­chen Ge­neh­mi­gung

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be­stimmt sich für das Bis­tum M2 gemäß § 21 Abs. 2 Verm­VerwG iVm. Art. 3 der Geschäfts­an­wei­sung (KA Müns­ter 2011/Nr. 15, Art. 141). Nach des­sen § 1 Nr. 8 bedürfen Be­schlüsse der Kir­chen­vorstände über den Ab­schluss und die ver­trag­li­che Ände­rung von Dienst- und Ar­beits­verträgen zu ih­rer Rechtsgültig­keit grundsätz­lich ei­ner schrift­li­chen Ge­neh­mi­gung der bischöfli­chen Behörde. Da­mit gilt das Ge­neh­mi­gungs­er­for­der­nis ge­ra­de nicht für ein­sei­ti­ge Rechts­geschäfte, die zu­dem auf die Be­en­di­gung des Dienst- oder Ar­beits­verhält­nis­ses ab­zie­len.

5. Die Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tung ist vor Aus­spruch der or­dent­li­chen Kündi­gung ord­nungs­gemäß be­tei­ligt wor­den. Die Be­klag­te hat nach § 30 Abs. 1 MA­VO der Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tung mit Schrei­ben vom 20. April 2012 und Kor­rek­tur­schrei­ben vom 23. April 2012 die Ab­sicht der Kündi­gung un­ter Dar­le­gung der Kündi­gungs­gründe mit­ge­teilt. Die Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tung hat mit Schrei­ben vom 24. April 2012 erklärt, dass sie ge­gen die or­dent­li­che Kündi­gung kei­ne Ein­wen­dun­gen er­he­be. Da­mit war das Anhörungs­ver­fah­ren ab­ge­schlos­sen und konn­te die Kündi­gung oh­ne das Er­for­der­nis ei­ner Mit­be­ra­tung nach § 30 Abs. 2 Satz 3 MA­VO aus­ge­spro­chen wer­den. Unschädlich ist, dass die Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tung nur zu ei­ner ver­hal­tens­be­ding­ten Kündi­gung an­gehört wor­den ist, ob­wohl mögli­cher­wei­se auch in der Per­son des Klägers lie­gen­de Gründe die Kündi­gung be­din­gen. Denn es kommt nicht auf die Sub­sum­ti­on durch den Ar­beit­ge­ber, son­dern dar­auf an, dass der Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tung der Kündi­gungs­sach­ver­halt zu­tref­fend und um­fas­send re­fe­riert wird (vgl. Ri­char­di/Thüsing Be­trVG 12. Aufl. § 102 Rn. 71 für die Anhörung des Be­triebs­rats). Für die – hier be­reits durch­grei­fen­de – Tatkündi­gung be­durf­te es kei­ner vor­he­ri­gen Anhörung des Klägers und des­halb auch kei­ner ent­spre­chen­den Mit­tei­lung an die Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tung. Im Übri­gen ist durch die meh­re­ren mit dem Kläger geführ­ten Gespräche „in der Sa­che" ei­ne Anhörung vor Aus­spruch ei­ner Ver­dachtskündi­gung er­folgt und der da­zu­gehöri­ge Sach­ver­halt nebst der – ver­wei­ger­ten – „Ein­las­sung" des Klägers der Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tung ge­schil­dert wor­den.


II. Die in der Haupt­sa­che aus­ge­spro­che­ne außer­or­dent­li­che frist­lo­se Kündi­gung ist un­wirk­sam. Es kann da­hin­ste­hen, ob und un­ter wel­chen Vor­aus­set­zun­gen das Un­ter­hal­ten ei­ner außer­ehe­li­chen ge­schlecht­li­chen Be­zie­hung ei­nen „an sich" wich­ti­gen Grund im Sin­ne von § 626 Abs. 1 BGB iVm. § 42 Abs. 1 KA­VO dar­stel­len

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kann. Je­den­falls über­wiegt im Streit­fall das In­ter­es­se des Klägers an ei­ner Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses für den Lauf der Kündi­gungs­frist. Zu Guns­ten des Klägers sind in­so­fern zunächst die oben un­ter AI1e cc (2) (a) an­geführ­ten Umstände zu berück­sich­ti­gen. Es kommt hin­zu, dass der Kläger bei der Su­che nach ei­ner adäqua­ten An­schluss­beschäfti­gung im vor­lie­gen­den „Grenz­be­reich" zwi­schen ver­hal­tens- und per­so­nen­be­ding­ten Gründen durch den Ma­kel ei­ner außer­or­dent­li­chen frist­lo­sen Kündi­gung über Gebühr be­las­tet würde (vgl. BAG 25. Mai 1988 - 7 AZR 506/87 - zu I 3 c der Gründe, AP GG Art. 140 Nr. 36). In­so­fern war es der Be­klag­ten zu­zu­mu­ten, die be­reits vor Aus­spruch der Kündi­gung ge­trof­fe­nen „Über­brückungs­maßnah­men" noch für den Lauf der Kündi­gungs­frist auf­recht­zu­er­hal­ten. Das gilt auch, wenn man ih­ren Vor­trag als wahr un­ter­stellt, der Kläger sei „händ­chen­hal­tend" mit der Zeu­gin Q1 in der Ge­mein­deöffent­lich­keit auf­ge­tre­ten. Es han­del­te sich dann um nur drei von der Be­klag­ten kon­kret be­zeich­ne­te Vorfälle vor Aus­spruch der Kündi­gung, die – un­ter Ein­schluss des ge­mein­sa­men Fried­hofs­be­suchs an Al­ler­hei­li­gen 2011 – die Ab­sicht ei­ner ge­ziel­ten Pro­vo­ka­ti­on durch den Kläger (noch) nicht in aus­rei­chen­dem Maße er­ken­nen ließen. Hin­ge­gen ist der Vor­trag der Be­klag­ten un­sub­stan­ti­iert und da­mit un­be­acht­lich, dass der Kläger auch während der Chor­pro­ben mit der Zeu­gin Q1 „händ­chen­ge­hal­ten" ha­be.

III. Die le­dig­lich für den Fall des vollständi­gen Ob­sie­gens mit dem Kündi­gungs­schutz­an­trag er­ho­be­ne Kla­ge mit dem Wei­ter­beschäfti­gungs­an­trag ist nicht zur Ent­schei­dung an­ge­fal­len.

B.

Der nur für den Fall der vollständi­gen Zurück­wei­sung ih­rer Be­ru­fung ge­stell­te Auflösungs­an­trag der Be­klag­ten war eben­falls nicht zu be­schei­den.

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C.


Die Par­tei­en ha­ben gemäß § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO die Kos­ten des Rechts­streits an­tei­lig zu tra­gen. Bei der Quo­ten­bil­dung war zu berück­sich­ti­gen, dass der Kläger nicht den dau­er­haf­ten Fort­be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses er­strei­ten konn­te. Der erst­in­stanz­li­che Über­gang vom Beschäfti­gungs­an­trag im un­an­ge­foch­ten be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis zum – nicht an­ge­fal­le­nen – vorläufi­gen Wei­ter­beschäfti­gungs­an­trag im gekündig­ten Ar­beits­verhält­nis stell­te ei­ne kos­ten­pri­vi­le­gier­te Kla­geände­rung ent­spre­chend § 264 Nr. 3 ZPO oh­ne teil­wei­se Kla­gerück­nah­me gemäß § 269 ZPO dar, ob­wohl mit ihm ein un­ech­ter Hilfs­an­trag an die Stel­le ei­nes un­be­ding­ten An­trags ge­tre­ten ist.


D.

Die Re­vi­si­on war für den Kläger nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zu­zu­las­sen. In­so­fern ist die ent­schei­dungs­er­heb­li­che Rechts­fra­ge von grundsätz­li­cher Be­deu­tung, ob ein außer­ehe­li­ches ge­schlecht­li­ches Verhält­nis auch oh­ne Be­gründung ei­nes ge­mein­sa­men Haus­stands bzw. oh­ne ein eheähn­li­ches Zu­sam­men­le­ben als schwer­wie­gen­de persönli­che sitt­li­che Ver­feh­lung im Sin­ne von Art. 5 Abs. 2 Spie­gel­strich 1 GrO ein­zu­ord­nen ist. Hin­ge­gen be­stand kein Grund, die Re­vi­si­on auch für die Be­klag­te zu­zu­las­sen. Die Un­wirk­sam­keit der außer­or­dent­li­chen frist­lo­sen Kündi­gung be­ruht als Er­geb­nis der ab­sch­ließen­den In­ter­es­sen­abwägung aus­sch­ließlich auf den Umständen des Streit­falls.

RECH­TSMIT­TEL­BE­LEH­RUNG

Ge­gen die­ses Ur­teil kann von der kla­gen­den Par­tei

RE­VISION


ein­ge­legt wer­den.


35 


Für die be­klag­te Par­tei ist ge­gen die­ses Ur­teil kein Rechts­mit­tel ge­ge­ben.

Die Re­vi­si­on muss in­ner­halb ei­ner Not­frist* von ei­nem Mo­nat schrift­lich oder in
elek­tro­ni­scher Form beim

Bun­des­ar­beits­ge­richt

Hu­go-Preuß-Platz 1

99084 Er­furt

ein­ge­legt wer­den.


Die Not­frist be­ginnt mit der Zu­stel­lung des in vollständi­ger Form ab­ge­fass­ten Ur­teils, spätes­tens mit Ab­lauf von fünf Mo­na­ten nach der Verkündung.

Die Re­vi­si­ons­schrift muss von ei­nem Be­vollmäch­tig­ten un­ter­zeich­net sein. Als Be­vollmäch­tig­te sind nur zu­ge­las­sen:

1. Rechts­anwälte,

2. Ge­werk­schaf­ten und Ver­ei­ni­gun­gen von Ar­beit­ge­bern so­wie Zu­sam­men­schlüsse sol­cher Verbände für ih­re Mit­glie­der oder für an­de­re Verbände oder Zu­sam­men­schlüsse mit ver­gleich­ba­rer Aus­rich­tung und de­ren Mit­glie­der,
3. Ju­ris­ti­sche Per­so­nen, de­ren An­tei­le sämt­lich im wirt­schaft­li­chen Ei­gen­tum ei­ner der in Num­mer 2 be­zeich­ne­ten Or­ga­ni­sa­tio­nen ste­hen, wenn die ju­ris­ti­sche Per­son aus­sch­ließlich die Rechts­be­ra­tung und Pro­zess­ver­tre­tung die­ser Or­ga­ni­sa­ti­on und ih­rer Mit­glie­der oder an­de­rer Verbände oder Zu­sam­men­schlüsse mit ver­gleich­ba­rer Aus­rich­tung und de­ren Mit­glie­der ent­spre­chend de­ren Sat­zung durchführt, und wenn die Or­ga­ni­sa­ti­on für die Tätig­keit der Be­vollmäch­tig­ten haf­tet.

In den Fällen der Zif­fern 2 und 3 müssen die Per­so­nen, die die Re­vi­si­ons­schrift un­ter­zeich­nen, die Befähi­gung zum Rich­ter­amt ha­ben.

Ei­ne Par­tei, die als Be­vollmäch­tig­ter zu­ge­las­sen ist, kann sich selbst ver­tre­ten.

Bezüglich der Möglich­keit elek­tro­ni­scher Ein­le­gung der Re­vi­si­on wird auf die Ver­ord­nung über den elek­tro­ni­schen Rechts­ver­kehr beim Bun­des­ar­beits­ge­richt vom 09.03.2006 (BGBl. I Sei­te 519) ver­wie­sen.

* ei­ne Not­frist ist un­abänder­lich und kann nicht verlängert wer­den.

Dr. Nie­mann 

Lin­de 

Müller

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