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BAG, Ur­teil vom 27.11.2008, 2 AZR 98/07

   
Schlagworte: Verdachtskündigung, Personalratsbeteiligung
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 2 AZR 98/07
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 27.11.2008
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Brandenburg an der Havel, Urteil vom 20.04.2005, 4 Ca 891/04
Landesarbeitsgericht Brandenburg, Urteil vom 04.06.2006, 9 Sa 446/05
   


BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT

2 AZR 98/07
9 Sa 446/05
Lan­des­ar­beits­ge­richt
Bran­den­burg

 

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am
27. No­vem­ber 2008

UR­TEIL

Schmidt, Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Kläger, Be­ru­fungskläger und Re­vi­si­onskläger,

pp.

be­klag­tes, be­ru­fungs­be­klag­tes und re­vi­si­ons­be­klag­tes Land,

hat der Zwei­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 27. No­vem­ber 2008 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Prof. Dr. Rost, den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Schmitz-Scho­le­mann, die Rich­te­rin am Bun­des­ar­beits­ge­richt Ber­ger so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Dr. Bartz und Schier­le für Recht er­kannt:


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Auf die Re­vi­si­on des Klägers wird das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Bran­den­burg vom 4. Mai 2006 - 9 Sa 446/05 - auf­ge­ho­ben.

Der Rechts­streit wird zur neu­en Ver­hand­lung und Ent­schei­dung - auch über die Kos­ten der Re­vi­si­on - an das Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg zurück­ver­wie­sen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten nur noch über die Wirk­sam­keit ei­ner or­dent­li­chen Kündi­gung und ei­nen Auflösungs­an­trag des be­klag­ten Lan­des.

Der, le­di­ge Kläger war seit 2002 bei dem be­klag­ten Land als an­ge­stell­te Lehr­kraft beschäftigt. Ab dem Schul­jahr 2003/2004 war er am Ober­stu­fen­zen­trum (OSZ) ein­ge­setzt. Die dort un­ter­rich­te­ten Schüler gehören zum Kreis sog. „be­nach­tei­lig­ter Ju­gend­li­cher“ und wer­den in Bil­dungsgängen der Be­rufs­vor­be­rei­tung bzw. für be­hin­der­te Ju­gend­li­che auf die Ausübung ei­ner be­ruf­li­chen Tätig­keit vor­be­rei­tet.

Am 4. März 2004 be­rich­te­te ei­ne Mit­ar­bei­te­rin des Ju­gend­aus­bil­dungs­werks (JAW) dem für den Kläger zuständi­gen Ab­tei­lungs­lei­ter, der Kläger ge­be Ju­gend­li­chen al­ko­ho­li­sche Ge­tränke aus, las­se Ju­gend­li­che oh­ne Fahr­er­laub­nis mit sei­nem Au­to fah­ren, ha­be ei­nem min­derjähri­gen Mädchen mit den Wor­ten „wie wär´s denn mit ei­nem flot­ten Drei­er?“ ein un­miss­verständ­li­ches se­xu­el­les An­ge­bot ge­macht und rei­che por­no­gra­fi­sche Fo­tos an Ju­gend­li­che wei­ter. Auf­grund die­ser Mit­tei­lun­gen so­wie ei­nes Be­schwer­de­briefs der Mut­ter ei­nes Schülers über auf­dring­li­ches Ver­hal­ten des Klägers ge­genüber ih­rem Sohn führ­te das be­klag­te Land Be­fra­gun­gen von Schülern so­wie ein­zel­ner El­tern durch. Aus­weis­lich des In­halts hierüber er­stell­ter Gesprächs­pro­to­kol­le ga­ben ein­zel­ne der Be­frag­ten an, der Kläger ha­be im Bei­sein min­derjähri­ger Schüler


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se­xu­el­le Hand­lun­gen an sich vor­ge­nom­men und se­xu­ell anzügli­che Be­mer­kun­gen ge­genüber Schüle­rin­nen ge­macht, ins­be­son­de­re ge­genüber der Schüle­rin N geäußert, „er würde es gern mit der Schüle­rin E ‚französisch’ ma­chen“. Fer­ner teil­ten ein­zel­ne Schüler mit, der Kläger ha­be Ju­gend­li­chen Al­ko­hol an­ge­bo­ten, ins­be­son­de­re min­derjähri­gen Schülern im Al­ter von 16 und 17 Jah­ren am 5. März 2004 in der Dis­ko­thek, al­ko­ho­li­sche Mix­ge­tränke - ua. „Co­la-Whis­ky“, „Wod­ka-Le­mon“, so­wie „Bier bis har­te Ge­tränke“ - aus­ge­ge­ben so­wie Ju­gend­li­chen mit sei­nem Pkw das Fah­ren oh­ne Fahr­er­laub­nis ermöglicht.

Der Kläger, dem mit Schrei­ben vom 2. April 2004 Ge­le­gen­heit ge­ge­ben wor­den war, sich zu den Be­haup­tun­gen der Schüler zu äußern, wies nach Ein­sicht­nah­me in die Gesprächs­pro­to­kol­le mit Schrei­ben vom 6. April 2004 die „nach bis­her gewähr­ter Ak­ten­ein­sicht be­kannt ge­wor­de­nen Vorwürfe“ zurück. Wei­ter erklärte er sich, auch nach er­neu­ter Auf­for­de­rung vom 20. April 2004, nicht. Ihm mit­ge­teil­te Ter­mi­ne zu ei­ner münd­li­chen Anhörung nahm er nicht wahr.

Mit Schrei­ben vom 28. April 2004 be­tei­lig­te das be­klag­te Land den beim Staat­li­chen Schul­amt ge­bil­de­ten Per­so­nal­rat und er­bat die „Äußerung des Per­so­nal­rats“ zur be­ab­sich­tig­ten außer­or­dent­li­chen Kündi­gung und Zu­stim­mung zur be­ab­sich­tig­ten hilfs­wei­sen or­dent­li­chen Kündi­gung des Klägers. In dem An­schrei­ben, dem als An­la­ge die er­stell­ten Gesprächs­pro­to­kol­le, der dies­bezügli­che Schrift­ver­kehr mit dem Kläger und ei­ne Zu­sam­men­stel­lung von Rechts­vor­schrif­ten bei­gefügt wa­ren, heißt es ua. wie folgt:

„...

Auf­grund die­ser Be­fra­gun­gen hat sich der Ver­dacht ei­nes Fehl­ver­hal­tens des Herrn L verstärkt. Ins­be­son­de­re ha­ben sich An­halts­punk­te dafür er­ge­ben, dass Herr L
- se­xu­el­le Hand­lun­gen vor den Au­gen von Schülern vor­ge­nom­men hat,
- ju­gend­gefähr­den­de Schrif­ten ver­teilt hat,
- min­derjähri­ge Schüler zum Ge­nuss al­ko­ho­li­scher Ge­tränke auf­ge­for­dert hat,
- sich mit min­derjähri­gen Schülern oh­ne Be­glei­tung von Per­so­nen­sor­ge­be­rech­tig­ten nach 24 Uhr in Gaststätten auf­ge­hal­ten und


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- min­derjähri­ge Schüler oh­ne Fahr­er­laub­nis sein Fahr­zeug führen ließ.

Auf Grund der o. a. Vorwürfe soll­te Herr L im staat­li­chen Schul­amt be­reits mehr­fach an­gehört wer­den, er­schien aber bis­her nicht:

...

Be­wer­tung des Sach­ver­hal­tes:

...“

Der Per­so­nal­rat hörte den Kläger persönlich an und stimm­te am 6. Mai 2004 den be­ab­sich­tig­ten Kündi­gun­gen zu. Mit Schrei­ben vom 11. Mai 2004 kündig­te das be­klag­te Land das Ar­beits­verhält­nis außer­or­dent­lich, hilfs­wei­se or­dent­lich zum 30. Ju­ni 2004.

Ein ge­gen den Kläger ein­ge­lei­te­tes Er­mitt­lungs­ver­fah­ren der Staats­an­walt­schaft Pots­dam we­gen des Ver­dachts ex­hi­bi­tio­nis­ti­scher Hand­lun­gen wur­de im Fe­bru­ar 2005 gemäß § 170 Abs. 2 St­PO ein­ge­stellt. Da­nach hat das be­klag­te Land den Kündi­gungs­vor­wurf bezüglich „se­xu­el­ler Hand­lun­gen an sich im Bei­sein von Schülern“ un­ter Ein­be­zie­hung ei­nes da­hin­ge­hen­den Ver­dachts fal­len las­sen.

Der Kläger hat mit sei­ner frist­ge­recht er­ho­be­nen Kündi­gungs­schutz­kla­ge gel­tend ge­macht, die ver­blie­be­nen Vorwürfe sei­en un­be­gründet. Er ha­be le­dig­lich bei ei­nem zufälli­gen Zu­sam­men­tref­fen anläss­lich ei­nes Dis­ko­the­ken­be­suchs am 5. März 2004 dem Schüler S ein Bier aus­ge­ge­ben, oh­ne zu die­sem Zeit­punkt zu wis­sen, dass die­ser min­derjährig ge­we­sen sei. Dar­in lie­ge kei­ne Pflicht­ver­let­zung. Zu kei­ner Zeit ha­be er we­gen außer­schu­li­scher Kon­tak­te zu Schülern im Kol­le­gen­kreis oder sei­tens des Schul­rats Kri­tik er­fah­ren. Je­den­falls sei vor­ran­gig ei­ne Ver­set­zung vor­zu­neh­men ge­we­sen. Darüber hin­aus feh­le es an ei­ner ord­nungs­gemäßen Be­tei­li­gung des Per­so­nal­rats. Der an­ge­ru­fe­ne Per­so­nal­rat sei un­zuständig. Hin­sicht­lich der So­zi­al­da­ten sei die Un­ter­rich­tung un­vollständig. Das be­klag­te Land ha­be den Per­so­nal­rat ua. durch die Nen­nung nicht ein­schlägi­ger Ge­set­zes­vor­schrif­ten un­zulässig be­ein­flusst. Es feh­le zu­dem an ei­nem un­vor­ein­ge­nom­me­nen Mit­be­stim­mungs­ver­fah­ren, da die Se­kretärin des Schul­rats auch für den Per­so­nal­rat tätig ge­wor­den sei.


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Je­den­falls könne, nach­dem das be­klag­te Land we­sent­li­che Kündi­gungs­vorwürfe fal­len ge­las­sen ha­be, nicht mehr von ei­ner ord­nungs­gemäßen Per­so­nal­rats­be­tei­li­gung aus­ge­gan­gen wer­den.

Der Kläger hat be­an­tragt 

fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en durch die Kündi­gung vom 11. Mai 2004 we­der frist­los noch frist­gemäß auf­gelöst wor­den ist.

Das be­klag­te Land hat Kla­ge­ab­wei­sung und - erst­mals zweit­in­stanz­lich - hilfs­wei­se be­an­tragt,

das Ar­beits­verhält­nis ge­gen Zah­lung ei­ner Ab­fin­dung, de­ren Höhe in das Er­mes­sen des Ge­richts ge­stellt wird, die aber 3.000,00 Eu­ro nicht über­stei­gen soll­te, auf­zulösen.

Das be­klag­te Land hat gel­tend ge­macht, die Kündi­gung sei als Ver­dachtskündi­gung, hilfs­wei­se auch als Tatkündi­gung wirk­sam. Auf­grund der vor der Kündi­gung durch­geführ­ten Be­fra­gun­gen ha­be sich der Ver­dacht schwer­wie­gen­der Ver­feh­lun­gen des Klägers er­ge­ben. Dies be­tref­fe ua. die noch ver­blie­be­nen Vorwürfe wie das Ani­mie­ren zum Trin­ken von Al­ko­hol, das Ge­stat­ten des Fah­rens oh­ne Fahr­er­laub­nis so­wie anzügli­che Äußerun­gen ge­genüber der Schüle­rin N. Die Pflicht­ver­let­zun­gen wögen um­so schwe­rer, als es sich bei den Schülern um Ju­gend­li­che han­de­le, die teil­wei­se oh­ne­hin star­ke De­fi­zi­te, bei­spiels­wei­se in ih­rer Fach­kom­pe­tenz, So­zi­al­kom­pe­tenz und im Lern­wil­len auf­wie­sen. Ei­ne Ab­mah­nung sei ent­behr­lich ge­we­sen. Auf­grund der zur Kündi­gung führen­den Umstände und ei­ner an­zu­neh­men­den Zeu­gen­be­ein­flus­sung im Ver­lauf des Rechts­streits sei das Ver­trau­ens­verhält­nis zum Kläger zerstört, was je­den­falls die Auflösung des Ar­beits­verhält­nis­ses ge­gen Zah­lung ei­ner Ab­fin­dung recht­fer­ti­ge.

Der Kläger hat be­an­tragt, den Auflösungs­an­trag zurück­zu­wei­sen. 

Das Ar­beits­ge­richt hat der Kla­ge - nach Be­weis­auf­nah­me - hin­sicht­lich der frist­lo­sen Kündi­gung statt­ge­ge­ben, bezüglich der or­dent­li­chen Kündi­gung hat es sie ab­ge­wie­sen. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die hier­ge­gen nur von 


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dem Kläger ein­ge­leg­te Be­ru­fung - nach wei­te­rer Be­weis­auf­nah­me - zurück­ge­wie­sen. Mit der vom Bun­des­ar­beits­ge­richt (- 3 AZN 660/06 -) zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on ver­folgt der Kläger sei­ne Kündi­gungs­schutz­kla­ge be­tref­fend die or­dent­li­che Kündi­gung wei­ter.


Ent­schei­dungs­gründe

Die Re­vi­si­on des Klägers hat Er­folg. Es steht noch nicht fest, ob die vom be­klag­ten Land erklärte or­dent­li­che Kündi­gung das Ar­beits­verhält­nis wirk­sam auf­gelöst hat.

A. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat sei­ne Ent­schei­dung im We­sent­li­chen wie folgt be­gründet: Die or­dent­li­che Kündi­gung sei so­zi­al ge­recht­fer­tigt. Die Vor­aus­set­zun­gen ei­ner Ver­dachtskündi­gung lägen vor. Auf­grund der durch­geführ­ten Be­fra­gun­gen ha­be sich der be­gründe­te Ver­dacht er­ge­ben, dass der Kläger min­derjähri­gen Schülern den Kon­sum al­ko­ho­li­scher Ge­tränke ermöglicht ha­be, ins­be­son­de­re am 5. März 2004 ei­ge­nen Schülern Ge­tränke aus­ge­ge­ben ha­be, die hoch­pro­zen­ti­ge Al­ko­ho­li­ka wie Whis­ky und Wod­ka ent­hiel­ten. Der durch die Be­weis­auf­nah­me nicht ent­kräfte­te Ver­dacht berühre, un­ge­ach­tet des­sen, dass es sich um ein außer­dienst­li­ches Ver­hal­ten ge­han­delt ha­be, den Kern der ar­beits­ver­trag­li­chen Pflich­ten­stel­lung des Klägers. Das dem Kläger vor­ge­wor­fe­ne Ver­hal­ten be­gründe durch­grei­fen­de Zwei­fel an sei­nem pädago­gi­schen Ver­ant­wor­tungs­be­wusst­sein. Ei­ner Ab­mah­nung ha­be es nicht be­durft. Die In­ter­es­sen­abwägung fal­le zu Las­ten des Klägers aus. Da­bei sei ins­be­son­de­re zu berück­sich­ti­gen, dass das in Re­de ste­hen­de Ver­hal­ten Ju­gend­li­che be­tref­fe, die ei­ner be­son­ders in­ten­si­ven Be­treu­ung durch ver­ant­wor­tungs­vol­le Pädago­gen bedürf­ten. Der Per­so­nal­rat sei un­ter Berück­sich­ti­gung der bei Ein­lei­tung des Ver­fah­rens be­ste­hen­den Ver­dachts­mo­men­te ord­nungs­gemäß be­tei­ligt wor­den. Un­er­heb­lich sei, dass das be­klag­te Land den Vor­wurf se­xu­el­ler Ver­feh­lun­gen fal­len ge­las­sen ha­be.

B. Dem stimmt der Se­nat nur in ei­nem Teil der Be­gründung zu. 


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I. Die von Amts we­gen zu be­ach­ten­den Pro­zess­fort­set­zungs­vor­aus­set­zun­gen lie­gen vor. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat - oh­ne dies näher zu ver­tie­fen - die Be­ru­fung des Klägers für zulässig er­ach­tet. Dies ist nicht zu be­an­stan­den. Das be­klag­te Land er­hebt in­so­weit in der Re­vi­si­on auch kei­ne Einwände mehr.

II. Die Be­gründung, mit der das Lan­des­ar­beits­ge­richt die Kündi­gung vom 10. Mai 2004 für wirk­sam er­ach­tet hat, hält der Über­prüfung an § 1 Abs. 2 KSchG nicht stand. Die tatrich­ter­li­che Würdi­gung des fest­ge­stell­ten Kündi­gungs­sach­ver­halts wird den stren­gen, an ei­ne Ver­dachtskündi­gung zu stel­len­den Maßstäben nicht ge­recht. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat nicht berück­sich­tigt, dass sich das dem Ver­dacht zu­grun­de­lie­gen­de Fehl­ver­hal­ten des Klägers auf ei­ne er­heb­li­che Ver­feh­lung des Ar­beit­neh­mers - straf­ba­re Hand­lung oder schwer­wie­gen­de Ver­trags­ver­let­zung - be­zie­hen muss. Ob das be­klag­te Land hin­rei­chen­de Umstände dar­ge­tan hat, die den drin­gen­den Ver­dacht ei­nes ent­spre­chen­den Fehl­ver­hal­tens des Klägers be­gründen können, kann der Se­nat man­gels aus­rei­chen­der tatsäch­li­cher Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts nicht ab­sch­ließend be­ur­tei­len. Da der Wirk­sam­keit der Kündi­gung kei­ne sons­ti­gen Gründe ent­ge­gen­ste­hen, ist der Rechts­streit zur wei­te­ren Aufklärung und Würdi­gung der vom be­klag­ten Land zur Recht­fer­ti­gung der Kündi­gung vor­ge­tra­ge­nen Umstände an das Lan­des­ar­beits­ge­richt zurück­zu­ver­wei­sen (§ 563 Abs. 1 ZPO).

1. Die An­wen­dung des § 1 Abs. 2 KSchG ist in der Re­vi­si­on nur be­schränkt nach­prüfbar. Bei der Fra­ge der So­zi­al­wid­rig­keit han­delt es sich um die An­wen­dung ei­nes un­be­stimm­ten Rechts­be­griffs, die vom Re­vi­si­ons­ge­richt nur dar­auf über­prüft wer­den kann, ob das Lan­des­ar­beits­ge­richt in dem an­ge­foch­te­nen Ur­teil den Rechts­be­griff selbst ver­kannt hat, ob es bei der Un­ter­ord­nung des Sach­ver­halts un­ter die Rechts­nor­men des § 1 KSchG Denk­ge­set­ze oder all­ge­mei­ne Er­fah­rungssätze ver­letzt hat, ob es bei der ge­bo­te­nen In­ter­es­sen­abwägung, bei der dem Tat­sa­chen­rich­ter ein Be­ur­tei­lungs­spiel­raum zu­steht, al­le we­sent­li­chen Umstände berück­sich­tigt hat und ob das Ur­teil in sich wi­der­spruchs­frei ist (vgl. et­wa Se­nat 24. Ju­ni 2004 - 2 AZR 63/03 - AP KSchG


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1969 § 1 Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr. 49 = EzA KSchG § 1 Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr. 65). Die­sem Über­prüfungs­maßstab wird das Be­ru­fungs­ur­teil nicht ge­recht.

2. Nach der ständi­gen Recht­spre­chung des Se­nats kann nicht nur ei­ne er­wie­se­ne Pflicht­ver­let­zung, son­dern be­reits der Ver­dacht ei­ner straf­ba­ren Hand­lung mit Be­zug zum Ar­beits­verhält­nis oder ei­ner er­heb­li­chen Ver­trags­ver­let­zung ge­eig­net sein, ei­ne or­dent­li­che Kündi­gung nach § 1 Abs. 2 KSchG so­zi­al zu recht­fer­ti­gen (vgl. 10. Fe­bru­ar 2005 - 2 AZR 189/04 - AP KSchG 1969 § 1 Nr. 79 = EzA KSchG § 1 Ver­dachtskündi­gung Nr. 3; 3. Ju­li 2003 - 2 AZR 437/02 - AP BGB § 626 Ver­dacht straf­ba­rer Hand­lung Nr. 38 = EzA KSchG § 1 Ver­dachtskündi­gung Nr. 2). Der Ver­dacht ei­ner der­ar­ti­gen Hand­lung stellt ge­genüber dem Tat­vor­wurf ei­nen ei­genständi­gen Kündi­gungs­grund dar. Ei­ne Ver­dachtskündi­gung kommt aber nur in Be­tracht, wenn drin­gen­de, auf ob­jek­ti­ven Tat­sa­chen be­ru­hen­de schwer­wie­gen­de Ver­dachts­mo­men­te vor­lie­gen und die­se ge­eig­net sind, das für die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses er­for­der­li­che Ver­trau­en bei ei­nem verständi­gen und ge­recht abwägen­den Ar­beit­ge­ber zu zerstören und der Ar­beit­ge­ber al­le zu­mut­ba­ren An­stren­gun­gen zur Aufklärung des Sach­ver­halts un­ter­nom­men hat, ins­be­son­de­re dem Ar­beit­neh­mer Ge­le­gen­heit zur Stel­lung­nah­me ge­ge­ben hat (st. Rspr., et­wa Se­nat 29. No­vem­ber 2007 - 2 AZR 724/06 - AP BGB § 626 Ver­dacht straf­ba­rer Hand­lung Nr. 40 = EzA BGB 2002 § 626 Ver­dacht straf­ba­rer Hand­lung Nr. 5; 6. No­vem­ber 2003 - 2 AZR 631/02 - AP BGB § 626 Ver­dacht straf­ba­rer Hand­lung Nr. 39 = EzA BGB 2002 § 626 Ver­dacht straf­ba­rer Hand­lung Nr. 2, je­weils mwN).

3. Be­zieht sich der Ver­dacht auf ein außer­dienst­li­ches Ver­hal­ten des Ar­beit­neh­mers, ist dies selbst bei straf­ba­ren Hand­lun­gen nicht stets kündi­gungs­re­le­vant. Viel­mehr muss das dem Ver­dacht zu­grun­de­lie­gen­de Fehl­ver­hal­ten ei­nen Be­zug zum Ar­beits­verhält­nis und des­sen Ver­trau­ens­grund­la­ge ha­ben (Se­nat 6. No­vem­ber 2003 - 2 AZR 631/02 - AP BGB § 626 Ver­dacht straf­ba­rer Hand­lung Nr. 39 = EzA BGB 2002 § 626 Ver­dacht straf­ba­rer Hand­lung Nr. 2; zu­letzt et­wa 29. No­vem­ber 2007 - 2 AZR 724/06 - AP BGB § 626


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Ver­dacht straf­ba­rer Hand­lung Nr. 40 = EzA BGB 2002 § 626 Ver­dacht straf­ba­rer Hand­lung Nr. 5; BAG 28. No­vem­ber 2007 - 5 AZR 952/06 - EzA BGB 2002 § 626 Ver­dacht straf­ba­rer Hand­lung Nr. 4).

4. Die Ver­dachtskündi­gung kann grundsätz­lich auch als or­dent­li­che Kündi­gung erklärt wer­den (vgl. bspw. Se­nat 10. Fe­bru­ar 2005 - 2 AZR 189/04 - AP KSchG 1969 § 1 Nr. 79 = EzA KSchG § 1 Ver­dachtskündi­gung Nr. 3; 3. Ju­li 2003 - 2 AZR 437/02 - AP BGB § 626 Ver­dacht straf­ba­rer Hand­lung Nr. 38 = EzA KSchG § 1 Ver­dachtskündi­gung Nr. 2). Auch in­so­weit un­ter­liegt sie aber stren­gen An­for­de­run­gen (v. Ho­y­nin­gen-Hue­ne/Linck KSchG 14. Aufl. § 1 Rn. 443; Löwisch/Spin­ner KSchG 9. Aufl. § 1 Rn. 232). Ei­ne Ver­dachtskündi­gung kommt - schon we­gen der in be­son­de­rem Maße be­ste­hen­den Ge­fahr, dass ein Un­schul­di­ger ge­trof­fen wird - auch als or­dent­li­che Kündi­gung nur in Be­tracht, wenn das Ar­beits­verhält­nis be­reits durch den Ver­dacht so gra­vie­rend be­ein­träch­tigt wird, dass dem Ar­beit­ge­ber die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses nicht mehr zu­ge­mu­tet wer­den kann. Dies setzt vor­aus, dass nicht nur der Ver­dacht als sol­cher schwer­wie­gend ist. Viel­mehr muss ihm ein er­heb­li­ches Fehl­ver­hal­ten des Ar­beit­neh­mers - straf­ba­re Hand­lung oder schwer­wie­gen­de Pflicht­ver­let­zung (Tat) - zu­grun­de lie­gen, da nur in ei­nem sol­chen Fall be­reits der Ver­dacht ge­eig­net sein kann, das für die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses er­for­der­li­che Ver­trau­en des Ar­beit­ge­bers un­ter an­ge­mes­se­ner Berück­sich­ti­gung der In­ter­es­sen des Ar­beit­neh­mers ir­re­pa­ra­bel zu zerstören (vgl. Se­nat 29. No­vem­ber 2007 - 2 AZR 724/06 - AP BGB § 626 Ver­dacht straf­ba­rer Hand­lung Nr. 40 = EzA BGB 2002 § 626 Ver­dacht straf­ba­rer Hand­lung Nr. 5; 5. April 2001 - 2 AZR 217/00 - AP BGB § 626 Ver­dacht straf­ba­rer Hand­lung Nr. 34 = EzA BGB § 626 Ver­dacht straf­ba­rer Hand­lung Nr. 10; KR/Fi­scher­mei­er 8. Aufl. § 626 BGB Rn. 213, 229; KR/Grie­be­ling 8. Aufl. § 1 KSchG Rn. 393d; Löwisch/Spin­ner KSchG 9. Aufl. § 1 Rn. 232; Stahl­ha­cke/Preis 9. Aufl. Rn. 760). Die Ver­dachts­mo­men­te müssen da­her auch im Fall ei­ner or­dent­li­chen Kündi­gung re­gelmäßig ein sol­ches Ge­wicht er­rei­chen, dass dem Ar­beit­ge­ber die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses über­haupt nicht mehr zu­ge­mu­tet wer­den kann, hier­auf al­so grundsätz­lich ei­ne außer­or­dent­li­che


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Kündi­gung gestützt wer­den könn­te (v. Ho­y­nin­gen-Hue­ne/Linck aaO; Lö-wisch/Spin­ner aaO).

5. Von die­sen Grundsätzen aus­ge­hend ist zunächst die Würdi­gung des Lan­des­ar­beits­ge­richts nicht zu be­an­stan­den, das be­klag­te Land ha­be, so­weit es sich im Pro­zess auf den Ver­dacht ein­zel­ner Ver­feh­lun­gen des Klägers in sei­nem Ver­hal­ten ge­genüber Schülern stützt, vor Aus­spruch der Kündi­gung al­les ihm Zu­mut­ba­re zur Aufklärung des Sach­ver­halts ge­tan. Das be­klag­te Land ist, nach­dem es von nicht un­mit­tel­bar be­tei­lig­ten Per­so­nen (Mit­ar­bei­tern des JAW, El­tern) auf ver­meint­li­che Ver­feh­lun­gen des Klägers im außer­schu­li­schen Um­gang mit Schülern auf­merk­sam ge­macht wor­den ist, die­sen Be­haup­tun­gen durch Be­fra­gung der be­tref­fen­den Schüler nach­ge­gan­gen. Es hat dem Kläger, der un­strei­tig die Möglich­keit hat­te, die hierüber ge­fer­tig­ten Pro­to­kol­le ein­zu­se­hen, Ge­le­gen­heit ge­ge­ben, sich so­wohl schrift­lich wie auch münd­lich zu hier­aus ab­ge­lei­te­ten Ver­dachts­mo­men­ten zu äußern. So­weit der Kläger die­se Möglich­keit nicht ge­nutzt und kei­ne in­halt­lich re­le­van­te Stel­lung­nah­me ab­ge­ge­ben hat, geht dies nicht zu Las­ten des be­klag­ten Lan­des. Die­ses war - an­ders als der Kläger meint - nicht ge­hal­ten, ihn mit den Be­las­tungs­zeu­gen zu kon­fron­tie­ren oder ihm Ge­le­gen­heit zu ge­ben, an den Be­fra­gun­gen teil­zu­neh­men (vgl. Se­nat 18. Sep­tem­ber 1997 - 2 AZR 36/97 - AP BGB § 626 Nr. 138 = EzA BGB § 626 nF Nr. 169).

6. Im recht­li­chen Aus­gangs­punkt zu­tref­fend ist fer­ner die An­nah­me des Lan­des­ar­beits­ge­richts, das Ver­hal­ten ei­ner Lehr­kraft ge­genüber Schülern im Frei­zeit­be­reich könne sich - eben­so wie ein da­hin­ge­hen­der Ver­dacht - auch außer­halb straf­recht­lich re­le­van­ter Ver­feh­lun­gen be­las­tend auf das Ar­beits­verhält­nis aus­wir­ken. Da­bei geht es nicht al­lein um Fra­gen der Eig­nung der Lehr­kraft. Viel­mehr kommt, ins­be­son­de­re so­weit das Ver­hal­ten Schüler be­trifft, die am Un­ter­richt der Lehr­kraft teil­neh­men, auch die Ver­let­zung ar­beits­ver­trag­li­cher Pflich­ten in Be­tracht. Im Ar­beits­verhält­nis be­steht, wie aus § 241 Abs. 2 BGB her­vor­geht, die Ver­pflich­tung zur Rück­sicht­nah­me auf die ge­gen­sei­ti­gen In­ter­es­sen und zum Schutz bzw. zur Förde­rung des Ver­trags­zwecks (vgl. Se­nat 12. Ja­nu­ar 2006 - 2 AZR 21/05 - AP KSchG 1969 § 1 Ver­hal­tens­be­ding­te


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Kündi­gung Nr. 53 = EzA KSchG § 1 Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr. 67). Auf die­ser Grund­la­ge hat ei­ne Lehr­kraft auch im Rah­men zufälli­ger Be­geg­nun­gen mit Schülern in der Frei­zeit ihr Ver­hal­ten so ein­zu­rich­ten, dass die Ver­wirk­li­chung ei­nes ihr auf­grund des be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis­ses zu­kom­men­den Er­zie­hungs­auf­trags je­den­falls nicht ernst­haft gefähr­det wird.

7. Es ent­spricht aber nicht den an ei­ne Ver­dachtskündi­gung zu stel­len­den, stren­gen An­for­de­run­gen, so­weit das Lan­des­ar­beits­ge­richt die Kündi­gung mit der Be­gründung für so­zi­al ge­recht­fer­tigt iSd. § 1 Abs. 2 KSchG an­ge­se­hen hat, der Kläger ste­he in dem durch ob­jek­ti­ve Tat­sa­chen be­gründe­ten Ver­dacht, am 5. März 2004 sei­ner­zeit min­derjähri­gen Schülern al­ko­ho­li­sche Ge­tränke aus­ge­ge­ben zu ha­ben. Ob der Ver­dacht ei­ne er­heb­li­che Pflicht­ver­let­zung des Klägers zum Ge­gen­stand hat, steht noch nicht fest. Für die recht­li­che Be­ur­tei­lung be­deu­tet es ei­nen we­sent­li­chen Un­ter­schied, ob der Kläger verdäch­tig ist, im Rah­men des so­zi­al Übli­chen ei­nem fast 18-jähri­gen Schüler ein Glas Bier oä. aus­ge­ge­ben zu ha­ben - was der Kläger im Grun­de so­gar ein­geräumt hat - oder ob er im drin­gen­den Ver­dacht steht, Schüler be­trun­ken ge­macht oder sons­ti­ge un­lau­te­re Ab­sich­ten ver­folgt zu ha­ben. Im ei­nen Fall würde es sich al­len­falls um ei­ne ge­wis­se Leicht­fer­tig­keit han­deln, im an­de­ren aber um ei­ne schwer­wie­gen­de Pflicht­ver­let­zung.

8. Der Se­nat kann nicht ab­sch­ließend be­ur­tei­len, ob ein Grund zur Kündi­gung iSd. § 1 Abs. 2 KSchG vor­liegt. Ei­ne ei­ge­ne Sach­ent­schei­dung des Se­nats schei­det schon des­halb aus, weil dem Lan­des­ar­beits­ge­richt die Würdi­gung, ob der mit­ge­teil­te Kündi­gungs­sach­ver­halt die Kündi­gung so­zi­al recht­fer­tigt, we­gen des ihm da­bei zu­kom­men­den Be­ur­tei­lungs­spiel­raums nicht ent­zo­gen wer­den darf (vgl. Müller-Glöge in Ger­mel­mann/Mat­thes/Prütting/ Müller-Glöge ArbGG 6. Aufl. § 74 Rn. 136).

a) Das be­klag­te Land hat sich zur Recht­fer­ti­gung der Kündi­gung nicht nur auf die Vorfälle vom 5. März 2004, son­dern noch auf wei­te­re Ver­dachts­mo­men­te, ins­be­son­de­re dar­auf be­ru­fen, der Kläger ste­he im drin­gen­den Ver­dacht, Schülern, die nicht über die er­for­der­li­che Fahr­er­laub­nis verfügten, ge­stat­tet zu ha­ben, sei­nen Pkw zu führen und sich da­mit ei­ner Straf­tat nach § 21


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Abs. 1 St­VG schul­dig ge­macht bzw. sich an ei­ner sol­chen be­tei­ligt zu ha­ben. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat das da­hin­ge­hen­de Vor­brin­gen des be­klag­ten Lan­des, auch so­weit es be­reits Ge­gen­stand durch­geführ­ter Be­weis­auf­nah­men war, bis­her in tatsäch­li­cher Hin­sicht nicht gewürdigt.

b) Fer­ner hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt sich nicht mit der Be­haup­tung aus­ein­an­der ge­setzt, der Kläger ste­he im drin­gen­den Ver­dacht, sich min­der-jähri­gen Schüle­rin­nen ge­genüber in „se­xu­ell anzügli­cher Wei­se genähert“, ins­be­son­de­re ge­genüber der Schüle­rin N geäußert zu ha­ben, „er würde es gern mit der Schüle­rin E ‚französisch’ ma­chen“. Die­se äußerst schwer­wie­gen­den Vorwürfe hat das be­klag­te Land zu kei­nem Zeit­punkt zurück­ge­nom­men. Stellt das Lan­des­ar­beits­ge­richt fest, dass in­so­weit ein drin­gen­der Ver­dacht be­steht, liegt die An­nah­me ei­nes wich­ti­gen Grun­des ge­wiss na­he.

9. Die da­nach ge­bo­te­ne Zurück­ver­wei­sung des Rechts­streits er­weist sich nicht aus an­de­ren Gründen als ent­behr­lich. Das be­klag­te Land hat den Per­so­nal­rat vor Aus­spruch der Kündi­gung ord­nungs­gemäß be­tei­ligt. Das Fal­len­las­sen des Vor­wurfs ex­hi­bi­tio­nis­ti­scher Hand­lun­gen und ei­nes ent­spre­chen­den Ver­dachts als Kündi­gungs­grund hat auf die Wirk­sam­keit der Per­so­nal­rats­be­tei­li­gung kei­nen Ein­fluss. Dem be­klag­ten Land war es, an­ders als die Re­vi­si­on meint, auch nicht ver­wehrt, sich auf die ver­blie­be­nen Ver­dachts­mo­men­te zur Recht­fer­ti­gung der Kündi­gung zu be­ru­fen, oh­ne den Per­so­nal­rat er­neut zu be­tei­li­gen.

a) Nach § 63 Abs. 1 Nr. 17 Per­so­nal­ver­tre­tungs­ge­setz für das Land Bran­den­burg (Pers­VG Bbg) be­stimmt der Per­so­nal­rat bei ei­ner or­dent­li­chen Kündi­gung mit. Ei­ne der Mit­be­stim­mung des Per­so­nal­rats un­ter­lie­gen­de Maßnah­me kann gemäß § 61 Abs. 1 Pers­VG Bbg nur mit sei­ner vor­he­ri­gen Zu­stim­mung ge­trof­fen wer­den. Nach § 61 Abs. 3 Satz 1 Pers­VG Bbg un­ter­rich­tet der Lei­ter der Dienst­stel­le den Per­so­nal­rat von der be­ab­sich­tig­ten Maßnah­me und be­an­tragt sei­ne Zu­stim­mung. Nach § 61 Abs. 3 Satz 3 Pers­VG Bbg ist der Be­schluss des Per­so­nal­rats über die be­an­trag­te Zu­stim­mung dem Lei­ter der Dienst­stel­le in­ner­halb von zehn Ar­beits­ta­gen mit­zu­tei­len.
 

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b) Gemäß § 74 Abs. 3 Satz 1 Pers­VG Bbg ist die Durchführung ei­ner Maßnah­me, die oh­ne die ge­setz­lich vor­ge­schrie­be­ne Be­tei­li­gung oder un­ter Ver­s­toß ge­gen die Ver­fah­rens­vor­schrif­ten er­folgt ist, un­zulässig. § 108 Abs. 2 BPers­VG, der un­mit­tel­bar in den Ländern an­wend­bar ist, be­stimmt, dass ei­ne durch den Ar­beit­ge­ber aus­ge­spro­che­ne Kündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ei­nes Beschäftig­ten un­wirk­sam ist, wenn die Per­so­nal­ver­tre­tung nicht be­tei­ligt wor­den ist. Es ent­spricht der ständi­gen Recht­spre­chung des Se­nats (zu­letzt et­wa 13. März 2008 - 2 AZR 88/07 - AP KSchG 1969 § 1 Nr. 87 = EzA KSchG § 1 Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr. 73; 27. April 2006 - 2 AZR 426/05 - AP BGB § 626 Ver­dacht straf­ba­rer Hand­lung Nr. 40 = EzA BGB 2002 § 626 Ver­dacht straf­ba­rer Hand­lung Nr. 5) und der ein­hel­li­gen Auf­fas­sung in der Li­te­ra­tur (statt vie­ler: KR/Et­zel 8. Aufl. §§ 72, 79, 108 Abs. 2 BPers­VG Rn. 53 ff.; Ben­ecke in Ri­char­di/Dörner/We­ber Per­so­nal­ver­tre­tungs­recht 3. Aufl. § 79 Rn. 119 mwN), dass ei­ne Kündi­gung nicht nur un­wirk­sam ist, wenn der Ar­beit­ge­ber gekündigt hat, oh­ne den Per­so­nal­rat über­haupt zu be­tei­li­gen, son­dern auch dann, wenn er ihn nicht rich­tig be­tei­ligt hat (Se­nat 13. März 2008 - 2 AZR 88/07 - aaO; 27. No­vem­ber 2003 - 2 AZR 654/02 - AP Be­trVG 1972 § 102 Nr. 136 = EzA Be­trVG 2001 § 102 Nr. 6).

c) Hier­von aus­ge­hend hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt die Be­tei­li­gung des Per­so­nal­rats rechts­feh­ler­frei für wirk­sam er­ach­tet. Das Mit­be­stim­mungs­ver­fah­ren wur­de hin­sicht­lich der al­lein noch im Streit ste­hen­den or­dent­li­chen Kündi­gung ord­nungs­gemäß ein­ge­lei­tet und durch­geführt. Der Per­so­nal­rat hat die nach § 63 Abs. 1 Nr. 17 iVm. § 61 Abs. 1 Pers­VG Bbg er­for­der­li­che Zu­stim­mung vor Aus­spruch der Kündi­gung er­teilt.

aa) Das be­klag­te Land hat den Per­so­nal­rat mit dem Anhörungs­schrei­ben vom 28. April 2004 über das Er­geb­nis der von ihm durch­geführ­ten Er­mitt­lun­gen um­fas­send un­ter­rich­tet und deut­lich ge­macht, dass die Kündi­gung we­gen des Ver­dachts ei­nes im Anhörungs­schrei­ben näher dar­ge­stell­ten Fehl­ver­hal­tens des Klägers ge­genüber Schülern er­fol­gen soll. Un­ter Berück­sich­ti­gung der dem Anhörungs­schrei­ben bei­gefügten Schriftstücke, ins­be­son­de­re der Pro­to­kol­le über die durch­geführ­ten Be­fra­gun­gen von Schülern so­wie ein­zel­ner El­tern und
 

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des ge­sam­ten, dies­bezüglich mit dem Kläger geführ­ten Schrift­ver­kehrs hat­te das be­klag­te Land dem Per­so­nal­rat die den Ver­dacht aus sei­ner da­ma­li­gen Sicht stützen­den Kündi­gungs­tat­sa­chen um­fas­send mit­ge­teilt. Das ge­naue Al­ter des Klägers spielt in­so­weit er­sicht­lich kei­ne Rol­le.

bb) Die Un­ter­rich­tung des Per­so­nal­rats ist auch nicht des­halb feh­ler­haft, weil das be­klag­te Land noch im Anhörungs­schrei­ben auf den Sach­ver­halt „Ver­brei­tung ju­gend­gefähr­den­der Schrif­ten“ ab­ge­stellt hat, oh­ne die­sen Vor­wurf später zum Ge­gen­stand der Kündi­gung und des Kündi­gungs­rechts­streits zu ma­chen. Zwar ist nach Sinn und Zweck des Anhörungs­ver­fah­rens ei­ne be­wusst und ge­wollt un­rich­ti­ge oder un­vollständi­ge Mit­tei­lung der für den Kündi­gungs­ent­schluss des Ar­beit­ge­bers maßge­ben­den Kündi­gungs­gründe wie ei­ne Nicht­in­for­ma­ti­on zu be­han­deln (st. Rspr., vgl. bspw. Se­nat 6. Ok­to­ber 2005 - 2 AZR 316/04 - AP Be­trVG 1972 § 102 Nr. 150 = EzA Be­trVG 2001 § 102 Nr. 16; 13. Mai 2004 - 2 AZR 329/03 - BA­GE 110, 331; 22. Sep­tem­ber 1994 - 2 AZR 31/94 - BA­GE 78, 39). Von ei­ner be­wuss­ten Falsch­in­for­ma­ti­on des Per­so­nal­rats ist aber im Ent­schei­dungs­fall nicht aus­zu­ge­hen. Die Mit­tei­lung be­zog sich er­sicht­lich auf die An­ga­be ei­ner Mit­ar­bei­te­rin des JAW, der Kläger über­las­se Schülern por­no­gra­fi­sche Fo­tos. Es han­del­te sich zu­dem um ei­nen Ge­sichts­punkt, der vom Kern des im Anhörungs­schrei­ben un­ter „Be­wer­tung des Sach­ver­hal­tes“ mit­ge­teil­ten Vor­wurfs ei­ner Annäherung an Schüler in „anzügli­cher und se­xu­el­ler Wei­se“ nicht ab­wich. Ent­spre­chen­des gilt für die bei­gefügten Ge­set­zes­vor­schrif­ten. Der Per­so­nal­rat war auf­grund des ihm un­ter­brei­te­ten Sach­ver­halts und der zur Verfügung ge­stell­ten Gesprächs­pro­to­kol­le in die La­ge ver­setzt, selbst die Recht­fer­ti­gung der be­ab­sich­tig­ten Kündi­gung ua. da­hin zu über­prüfen, ob ein Ver­s­toß ge­gen die vom Ar­beit­ge­ber an­geführ­ten Rechts­vor­schrif­ten in Be­tracht zu zie­hen war.

cc) Auch im Hin­blick auf den mit­ge­teil­ten Ver­dacht der „Vor­nah­me se­xu­el­ler Hand­lun­gen an sich“ lie­gen kei­ne An­halts­punk­te für ei­ne be­wusst ir­reführen­de Un­ter­rich­tung des Per­so­nal­rats vor. Dann ist es aber unschädlich, dass das be­klag­te Land im Ver­lauf des Kündi­gungs­schutz­pro­zes­ses den Vor­wurf ex­hi­bi­tio­nis­ti­scher Hand­lun­gen des Klägers ein­sch­ließlich ei­nes ent-


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spre­chen­den Ver­dachts hat fal­len las­sen. Die­ser Um­stand berührt auch die ma­te­ri­ell­recht­li­che Wirk­sam­keit der Kündi­gung nicht. Der Auf­fas­sung der Re­vi­si­on, es lie­ge hier ein „um­ge­kehr­ter Fall des Nach­schie­bens von Kündi­gungs­gründen“ vor mit der Fol­ge, dass es dem be­klag­ten Land ver­wehrt wäre, sich auf die ver­blie­be­nen Vorwürfe zu be­ru­fen, oh­ne den Per­so­nal­rat er­neut zu be­tei­li­gen, kann nicht ge­folgt wer­den.

(1) Es ent­spricht der ständi­gen Recht­spre­chung des Se­nats, dass ei­ne ord­nungs­gemäße Mit­tei­lung der Kündi­gungs­gründe auch dann vor­liegt, wenn die mit­ge­teil­ten Gründe die Kündi­gung ob­jek­tiv nicht recht­fer­ti­gen, nicht be­wie­sen wer­den können oder un­wahr sind. Ent­schei­dend ist nur, ob der Ar­beit­ge­ber sei­ne sub­jek­ti­ven Kündi­gungs­gründe mit­ge­teilt hat (vgl. be­reits Se­nat 24. März 1977 - 2 AZR 289/76 - AP Be­trVG 1972 § 102 Nr. 12 = EzA Be­trVG 1972 § 102 Nr. 28; Fit­ting 24. Aufl. § 102 Rn. 47; KR/Et­zel 8. Aufl. § 102 Be­trVG Rn. 66). Nichts an­de­res kann gel­ten, wenn der Ar­beit­ge­ber von sich aus die Kündi­gung auf ein­zel­ne, dem Per­so­nal­rat be­reits mit­ge­teil­te Tat­sa­chen be¬schränkt. Dem Sinn und Zweck des Be­tei­li­gungs­ver­fah­rens, den Per­so­nal­rat an den sub­jek­ti­ven Über­le­gun­gen des Ar­beit­ge­bers hin­sicht­lich der Recht­fer­ti­gung der Kündi­gung zu be­tei­li­gen, um auf den Kündi­gungs­ent­schluss ein­wir­ken zu können, ist bei nachträgli­cher Be­schränkung des Kündi­gungs­sach­ver­halts auf ein­zel­ne, dem Per­so­nal­rat mit­ge­teil­te Kündi­gungs­tat­sa­chen re­gelmäßig Genüge ge­tan. Der Per­so­nal­rat hat­te dann be­reits auf­grund des durch­geführ­ten Mit­be­stim­mungs­ver­fah­rens hin­rei­chend Ge­le­gen­heit und Ver­an­las­sung, sich mit dem vom Ar­beit­ge­ber un­ter­brei­te­ten Kündi­gungs­sach­ver­halt um­fas­send zu be­fas­sen.

(2) Der Hin­weis der Re­vi­si­on auf die Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts zur sog. „Sam­me­lab­mah­nung“ über­zeugt nicht. Zwar muss der Ar­beit­ge­ber ein Ab­mah­nungs­schrei­ben, in dem meh­re­re Pflicht­ver­let­zun­gen gleich­zei­tig gerügt wer­den, von de­nen nur ei­ni­ge (aber nicht al­le) zu­tref­fen, auf Ver­lan­gen des Ar­beit­neh­mers aus der Per­so­nal­ak­te ent­fer­nen. Das Ab-mah­nungs­schrei­ben kann dann nicht teil­wei­se auf­recht­er­hal­ten blei­ben (BAG 13. März 1991 - 5 AZR 133/90 - BA­GE 67, 311, 313 ff.). Die Ab­mah­nung hat
 

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je­doch mit dem Vor­gang der Un­ter­rich­tung des Per­so­nal­rats er­sicht­lich nichts zu tun.

III. Soll­te das Lan­des­ar­beits­ge­richt die or­dent­li­che Kündi­gung nach er­neu­ter recht­li­cher Prüfung für so­zi­al un­ge­recht­fer­tigt er­ach­ten, wird es noch über den Auflösungs­an­trag des be­klag­ten Lan­des zu ent­schei­den ha­ben.

Rost 

Schmitz-Scho­le­mann 

Ber­ger

Bartz K.

Schier­le

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