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EGMR, Urteil vom 23.09.2010, 1620/03
Schlagworte: | Schüth, Kirche, Kündigung: Verhaltensbedingt, Kündigung: Kirche, Ehebruch | |
Gericht: | Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte | |
Aktenzeichen: | 1620/03 | |
Typ: | Urteil | |
Entscheidungsdatum: | 23.09.2010 | |
Leitsätze: | ||
Vorinstanzen: | ||
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Fünfte Sektion
Anonymisierte nichtamtliche Übersetzung aus dem Französischen
RECHTSSACHE SCHÜTH ./. DEUTSCHLAND
(Beschwerde Nr. 28274/08)
URTEIL
(Hauptsache)
STRASSBURG
23. September 2010
Dieses Urteil wird unter den in Artikel 44 Absatz 2 der Konvention aufgeführten Bedingungen endgültig. Es wird gegebenenfalls noch redaktionell überarbeitet.
In der Rechtssache Schüth ./. Deutschland
hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (Fünfte Sektion) als Kammer, die sich zusammensetzt aus:
Peer Lorenzen, Präsident,Renate Jaeger
Rait Maruste,
Isabelle Berro-Lefèvre
Mirjana Lazarova Trajkovska,
Zdravka Kalaydjieva
Ganna Yudkivska, Richter,
sowie der Kanzlerin der Sektion, Claudia Westerdiek,
nach Beratung in nicht öffentlicher Sitzung am 31. August 2010,
das folgende Urteil erlassen, das an diesem Tag angenommen worden ist:
VERFAHREN
1 | Dem Fall liegt eine gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtete Beschwerde (Nr. 1620/03) zugrunde, die der deutsche Staatsangehörige S. („der Beschwerdeführer“) beim Gerichtshof aufgrund des Artikels 34 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten („die Konvention“) am 11. Januar 2003 erhoben hat. |
2 | Der Beschwerdeführer wird von Frau Ulrike Muhr, Rechtsanwältin in Essen, vertreten. Die deutsche Regierung („die Regierung“) wurde von ihrer Verfahrensbevollmächtigten, Frau Almut Wittling-Vogel, Ministerialdirigentin im Bundesministerium der Justiz, vertreten. |
3 | Der Beschwerdeführer behauptet, durch die Ablehnung der Arbeitsgerichte, seine von der Katholischen Kirche ausgesprochene Kündigung aufzuheben, sei Artikel 8 der Konvention verletzt worden. |
4 | Am 18. März 2008 hat der Präsident der Fünften Sektion beschlossen, der Regierung die Beschwerde zu übermitteln. In Einklang mit Artikel 29 Absatz 3 der Konvention ist ferner beschlossen worden, dass die Kammer über die Zulässigkeit und die Begründetheit der Rechtssache zeitgleich entscheidet. |
5 | Sowohl der Beschwerdeführer als auch die Regierung haben schriftliche Stellungnahmen vorgelegt. Stellungnahmen sind ebenfalls von der katholischen Diözese Essen vorgelegt worden, die der Präsident ermächtigt hat, am schriftlichen Verfahren teilzunehmen (Artikel 36 Absatz 2 der Konvention und Artikel 44 Absatz 2 der Verfahrensordnung). Die Parteien haben auf diese Stellungnahmen erwidert (Artikel 44 Absatz 5 der Verfahrensordnung).
SACHVERHALT I. DIE UMSTÄNDE DES FALLES |
6 | Der Beschwerdeführer wurde 1957 geboren und ist in E. wohnhaft.
A. Entstehung der Sache |
7 | Der Beschwerdeführer war ab dem 15. November 1983 als Organist und Chorleiter bei der katholischen Kirchengemeinde St. Lambertus („die Kirchengemeinde“) in Essen tätig. |
8 | Artikel 2 seines Arbeitsvertrages vom 30. Januar 1984 sah unter anderem vor, dass die Kirchliche Arbeits- und Vergütungsverordnung (Rdnr. 37 unten) in ihrer anwendbaren Fassung Bestandteil des Vertragsverhältnisses sei und ein grober Verstoß gegen kirchliche Grundsätze einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung gemäß § 42 der Kirchlichen Arbeits- und Vergütungsordnung darstellen würde. |
9 | Nach Genehmigung des Vertrages durch das bischöfliche Generalvikariat legte der Beschwerdeführer folgendes Gelöbnis ab:
„Ich gelobe, meine Dienstobliegenheiten gewissenhaft zu erfüllen und die kirchlichen Vorschriften zu beachten und zu wahren“. |
10 | Seit dem 1. Januar 1985 übte er ebenfalls die Tätigkeit eines Dekanatskirchenmusikers aus und erzielte einen durchschnittlichen Monatsverdienst von 5.688,18 Deutsche Mark (DM) brutto (ca. 2.900 Euro (EUR)). |
11 | Im Jahr 1994 trennte sich der Beschwerdeführer von seiner Ehefrau, mit der er zwei Kinder hat. Die Trennung wurde im Januar 1995 bekanntgegeben. Seitdem wohnt der Beschwerdeführer in demselben Haus wie seine Lebensgefährtin, die ebenfalls seine Prozessbevollmächtigte vor den Arbeitsgerichten und dem Gerichtshof ist. |
12 | Nachdem die Kinder des Beschwerdeführers im Kindergarten erklärt hatten, dass ihr Vater wieder Papa werden würde, traf der Dechant der Kirchengemeinde am 2. Juli 1997 mit dem Beschwerdeführer zusammen. |
13 | Am 15. Juli 1997 kündigte die Kirchengemeinde das Arbeitsverhältnis des Beschwerdeführers zum 1. April 1998 mit der Begründung, er habe gegen die Loyalitätsobliegenheiten gemäß Artikel 5 der Grundordnung der Katholischen Kirche für den kirchlichen Dienst im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse verstoßen („die Grundordnung“ – Rdnr. 38 unten). Nach den Grundsätzen der Katholischen Kirche über die Unauflöslichkeit der Ehe habe der Beschwerdeführer dadurch, dass er eine außereheliche Beziehung zu einer anderen Frau unterhalte, aus der demnächst ein Kind hervorgehe, nicht nur Ehebruch sondern auch Bigamie begangen. |
14 | Nach der Kündigung beantragte die Ehefrau des Beschwerdeführers die Scheidung, die am 13. August 1998 ausgesprochen wurde.
B. Die Entscheidungen der unteren Arbeitsgerichte |
15 | Am 24. Juli 1997 erhob der Beschwerdeführer Klage beim Arbeitsgericht Essen. |
16 | Am 9. Dezember 1997 gab das Arbeitsgericht dem Antrag des Beschwerdeführers statt und stellte fest, die Kündigung vom 15. Juli 1997 habe den Arbeitsvertrag des Betroffenen nicht aufgehoben. Es hat an die Schlussfolgerungen aus dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 9. April 1997 erinnert (O. ./. Deutschland, Nr. 425/03, Rdnrn. 12-19, 23. September 2010), das die Kriterien aus der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Juni 1985 (Rdnr. 35 unten) übernommen hatte, und war der Ansicht, dass die verhaltensbedingte Kündigung des Beschwerdeführers noch nicht den Anforderungen des § 1 Absatz 1 des Kündigungsschutzgesetzes genügen würde (Rdnr. 36 unten). Nach Ansicht des Gerichts unterlag der Betroffene keinen gesteigerten Loyalitätsobliegenheiten, weil er weder pastoral noch katechetisch tätig war, nicht aufgrund einer Missio canonica arbeitete und auch nicht leitender Mitarbeiter im Sinne des Artikels 5 Absatz 3 der Grundordnung war. Nach Auffassung des Gerichts hatte die Beklagte nicht nachgewiesen, dass seine Stellung als Dekanatskantor einer leitenden Tätigkeit entsprach; demnach hätte die Kirchengemeinde gemäß Artikel 5 Absätze 1 und 2 der Grundordnung zunächst ein klärendes Gespräch mit dem Betroffenen führen oder eine Abmahnung erteilen müssen, bevor sie auf die schwerste Sanktion in Form der Kündigung zurückgriff, insbesondere im Hinblick auf die lange Beschäftigungsdauer des Beschwerdeführers in der Kirchengemeinde (vierzehn Jahre) und den Umstand, dass er als Organist auf dem weltlichen Arbeitsmarkt praktisch keine Chance hatte. Das Arbeitsgericht erinnerte daran, dass eine anfängliche Abmahnung durch den Arbeitgeber nur dann entbehrlich sei, wenn nach Art und Schwere der Pflichtverletzung der Arbeitnehmer mit deren Billigung durch den Arbeitgeber nicht rechnen konnte oder wenn er nicht willens oder nicht in der Lage sei, seinen beruflichen Verpflichtungen nachzukommen. |
17 | Soweit dem Beschwerdeführer von der Kirchengemeinde vorgeworfen werde, Vater eines außerehelichen Kindes zu sein, so sei diese Pflichtverletzung nach vierzehn Dienstjahren nicht so gravierend, als dass dies allein schon ausreichend sei, eine Kündigung ohne vorherige Abmahnung auszusprechen. Artikel 5 Absatz 4 der Grundordnung sehe ausdrücklich vor, dass zu prüfen sei, ob ein Mitarbeiter die Lehre der Katholischen Kirche bekämpfe oder diese zwar anerkenne, es ihm aber nicht gelinge, sie in der Praxis zu beachten. Schließlich habe die Kirchengemeinde nicht nachgewiesen, dass der Beschwerdeführer gegenüber dem Dechanten erklärt haben soll, dass er seine Beziehung zur neuen Lebensgefährtin nicht einstellen werde. |
18 |
Am 13. August 1998 wies das Landesarbeitsgericht Düsseldorf die Berufung der Kirchengemeinde zurück. Es folgte den Schlussfolgerungen des Arbeitsgerichts und legte dar, dass nicht die Vaterschaft eines außerehelichen Kindes Kündigungsgrund sei, sondern die länger andauernde außereheliche Beziehung. Es betonte, dass die kirchliche Tätigkeit des Beschwerdeführers zwar nicht unter Artikel 5 Absatz 3 der Grundordnung falle, eine Kündigung des Betroffenen aber nach Artikel 5 Absatz 4 der Grundordnung wegen der Nähe seiner Aufgabe zum Verkündigungsauftrag der Kirche möglich sei. Nach einer förmlichen Anhörung des Beschwerdeführers als Partei folgerte das Landesarbeitsgericht jedoch, bei der Kündigung habe ein verfahrensrechtliches Versäumnis vorgelegen, weil die Kirchengemeinde nicht nachgewiesen habe, dass der Dechant versucht hatte, darauf hinzuwirken, dass der Beschwerdeführer seine außereheliche Beziehung beendet. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache hat es die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen. C. Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts |
19 | Am 12. August 1999 hat das Bundesarbeitsgericht das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufgehoben. Es vertrat die Auffassung, dass Artikel 5 Absatz 1 der Grundordnung, wonach ein klärendes Gespräch geführt werden muss, nicht nur für die nach Absatz 2 dieser Grundordnung ausgesprochenen Kündigungen gelte (Kündigung als letzte Maßnahme bei schwerwiegenden Verstößen), sondern auch für solche nach Absatz 3 (grundsätzlicher Ausschluss der Weiterbeschäftigung mit der Möglichkeit, ausnahmsweise von einer Kündigung abzusehen). Zwischen den beiden Absätzen bestehe lediglich ein gradueller Unterschied, wobei in jedem Fall zunächst ein klärendes Gespräch oder Beratungsgespräch zu führen sei. Im vorliegenden Fall war das Bundesarbeitsgericht der Meinung, wegen der mangelnden Deutlichkeit der auf den Beschwerdeführer anzuwendenden kirchenrechtlichen Bestimmungen und zwecks Klärung der Frage, ob für ihn wegen seiner Tätigkeit verschärfte Loyalitätsobliegenheiten galten oder nicht, sei nicht eindeutig erwiesen, dass der Beschwerdeführer in hinlänglicher Weise vorhersehen konnte, dass in seinem Fall Artikel 5 Absatz 3 der Grundordnung gültig war. Wenn demnach im Fall des Beschwerdeführers ein klärendes Gespräch hätte geführt werden müssen, so sei die Kündigung ohne ein solches Gespräch sozialwidrig. Das Bundesarbeitsgericht vertrat jedoch die Auffassung, die Schlussfolgerung des Landesarbeitsgerichts, derzufolge ein Gespräch mit dem Beschwerdeführer nicht stattgefunden hatte, sei fehlerhaft. In diesem Zusammenhang war das Bundesarbeitsgericht der Auffassung, das Berufungsgericht habe zu Unrecht davon abgesehen, auch eine Parteivernehmung des Dechanten durchzuführen, um festzustellen, ob dieser versucht hatte, den Beschwerdeführer zu einer Beendigung seiner außerehelichen Beziehung zu bewegen, weshalb das angefochtene Urteil aufzuheben sei. Mangels hinreichender Tatsachenfeststellungen sei es aber nicht in der Lage, abschließend zu entscheiden, ob die Kündigung des Beschwerdeführers gerechtfertigt gewesen sei. Daher verwies es die Sache an das Landesarbeitsgericht zurück. |
20 | Das Bundesarbeitsgericht legte dar, dass der kirchliche Arbeitgeber beim Abschluss von Arbeitsverträgen nicht nur von der durch das staatliche Arbeitsrecht geprägten Privatautonomie Gebrauch mache, sondern zugleich von der institutionellen Garantie, dass die Kirche ihre Angelegenheiten selbständig ordnet und verwaltet. Deshalb finde neben dem staatlichen auch das kircheneigene Arbeitsrecht Anwendung. Mit der Grundordnung und insbesondere den Artikeln 4 und 5 habe die Katholische Kirche von ihrem aus Artikel 137 Absatz 3 der Weimarer Reichsverfassung resultierenden Selbstbestimmungsrecht Gebrauch gemacht (Rdnr.34 unten). Die Anwendung des staatlichen Arbeitsrechts dürfe die verfassungsrechtlich geschützte Eigenart des kirchlichen Dienstes nicht in Frage stellen. Die Katholische Kirche sei deshalb befugt, bei der Gestaltung ihrer Arbeitsverhältnisse das Leitbild einer christlichen Dienstgemeinschaft zu Grunde zu legen und insbesondere ihren katholischen Arbeitnehmern aufzuerlegen, die Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre anzuerkennen und zu beachten, wie dies in Artikel 4 Absatz 1 der Grundordnung vorgesehen ist. Die Glaubwürdigkeit von Kirchen könne vom Verhalten ihrer in ein Arbeitsverhältnis zu ihnen tretenden Mitglieder abhängen und davon, ob sie die kirchliche Ordnung - auch in ihrer Lebensführung - respektieren. Die Artikel 4 und 5 der Grundordnung würden bestimmen, welche Maßstäbe für die Bewertung vertraglicher Loyalitätspflichten gelten und welche Schwere dem Loyalitätsverstoß zukommen würde. |
21 | Das Bundesarbeitsgericht fügte hinzu, die Besonderheit der Loyalitätsobliegenheiten sei darin begründet, dass diese nicht so sehr die Arbeitspflichten betreffen würden, sondern Verhaltensweisen aus dem Bereich der Nebenpflichten oder sogar der Privatsphäre. Es betonte, dass zu den Grundsätzen der katholischen Glaubens- und Sittenlehre die herausragende Bedeutung der Ehe gehöre. Diese sei nicht nur ein Bund und ein Vertrag, vielmehr auch ein Sakrament. Selbst wenn der Ehebruch nach der Neufassung des codex iuris canonici im Jahre 1983 nicht länger als Verbrechen angesehen werde, zeichne sich die Ehe weiterhin durch ihre Unauflöslichkeit, lebenslange und ausschließliche Natur aus. |
22 | Das Bundesarbeitsgericht betonte, die Arbeitsgerichte seien bei der Anwendung des staatlichen Arbeitsrechts an die Vorgaben der Religionsgemeinschaften gebunden, soweit diese den anerkannten Maßstäben der verfassten Kirchen Rechnung trügen. Die Arbeitsgerichte dürften sich jedoch durch die Anwendung dieser Vorgaben nicht in Widerspruch zu den Grundprinzipien der Rechtsordnung begeben, wie sie im allgemeinen Willkürverbot, dem Begriff der „guten Sitten“ und des „ordre public“ niedergelegt seien. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Rdnr. 35 unten) hätten die Arbeitsgerichte sicherzustellen, dass die Religionsgemeinschaften keine unannehmbaren Anforderungen an die Loyalität ihrer Arbeitnehmer stellen. Das Bundesarbeitsgericht vertrat die Auffassung, die Vorstellung der Katholischen Kirche über die eheliche Treue stehe nicht in Widerspruch zu den Grundprinzipien der Rechtsordnung. Nach Artikel 6 des Grundgesetzes stehe die Ehe unter einem besonderen Schutz und der Ehebruch würde vom bürgerlichen Recht als schwerwiegendes Fehlverhalten betrachtet. Das Bundesarbeitsgericht führte aus, es habe schon in seinem Urteil vom 24. April 1997 darauf hingewiesen, dass der Ehebruch nach Ansicht der Katholischen Kirche als schwerwiegendes Fehlverhalten zu betrachten sei (vorerwähnte Rechtssache O., Rdnr. 15). |
23 | Das Bundesarbeitsgericht folgerte, dass das Berufungsgericht das Verhalten des Beschwerdeführers zu Recht als eine schwerwiegende persönliche sittliche Verfehlung im Sinne von Artikel 5 Absatz 2 der Grundordnung und damit an sich als Kündigungsgrund im Sinne von Artikel 1 Absatz 2 des Kündigungsschutzgesetzes angesehen hatte. Es stellte fest, die Ansicht des Beschwerdeführers, wonach allein die Wiederheirat – die nach dem Verständnis der Katholischen Kirche ungültig war – mit einer solchen schwerwiegenden Verfehlung gleichzusetzen sei, sei weder der Grundordnung noch anderen Vorschriften zu entnehmen.
D. Das Verfahren nach der Zurückverweisung |
24 | Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hat am 3. Februar 2000 nach Zurückverweisung des Rechtsstreits der Berufung der Kirchengemeinde gegen das Urteil des Arbeitsgerichts vom 9. Dezember 1997 stattgegeben. Nachdem der Dechant als Partei vernommen worden war und der Beschwerdeführer eingeräumt hatte, dass er seine neue Lebensbeziehung mit seiner Prozessbevollmächtigten bei seinem Gespräch mit dem Dechanten am 2. Juli 1997 als endgültig bezeichnet hatte, hat das Gericht erkannt, dass die Kirchengemeinde die Kündigung in Übereinstimmung mit Artikel 5 Absatz 1 der Grundordnung ausgesprochen hat. Nach den Aussagen des Dechanten in der mündlichen Verhandlung, denen der Vorzug vor den Aussagen des Beschwerdeführers zu geben sei, habe in der Tat ein Gespräch zwischen den beiden Betroffenen stattgefunden. Angesichts des beharrlichen Standpunkts des Beschwerdeführers in Bezug auf seine neue Beziehung hätten der Dechant und die Kirchengemeinde zu Recht annehmen können, dass eine vorherige Abmahnung überflüssig sei. |
25 | Das Landesarbeitsgericht legte dar, es verkenne die Konsequenzen der gegen den Beschwerdeführer ausgesprochenen Kündigung nicht, der seinen Beruf wahrscheinlich nicht mehr ausführen und seinen Unterhaltspflichten nicht mehr im bisherigen Umfang nachkommen könne. Es räumte aber ein, dass die Kirchengemeinde den Beschwerdeführer nicht weiterbeschäftigen konnte, ohne jegliche Glaubwürdigkeit hinsichtlich der Verbindlichkeit der Sittengesetze zu verlieren. In diesem Zusammenhang müsse berücksichtigt werden, dass der Beschwerdeführer zwar nicht zu den Mitarbeitern gehörte, für die nach Artikel 5 Absatz 3 der Grundordnung gesteigerte Loyalitätsanforderungen gelten, seine Tätigkeit aber eine große Nähe zu dem Verkündigungsauftrag der Kirche aufwies. Ein weiteres Zusammenwirken des Beschwerdeführers mit dem Dechanten bei der Messfeier sei nach Außen nicht vermittelbar. Dem Berufungsgericht zufolge würden die Interessen der Kirchengemeinde gegenüber den Interessen des Beschwerdeführers deutlich überwiegen. |
26 | Mit Beschluss vom 29. Mai 2000 hat das Bundesarbeitsgericht die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen die Nichtzulassung seiner Revision als unzulässig verworfen. |
27 | Am 8. Juli 2002 hat das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg nicht zur Entscheidung angenommen (Az. 2 BvR 1160/00). Nach seiner Auffassung begegneten die angegriffenen Entscheidungen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf seine Entscheidung vom 4. Juni 1985 (Rdnr. 35 unten). |
28 |
Seit September 2002 ist der Beschwerdeführer bei einer protestantischen Kirchengemeinde in Essen als Chorleiter beschäftigt und leitet in ehrenamtlicher Tätigkeit drei Chöre. E. Weitere Verfahren |
29 | Am 22. Dezember 1997 sprach die Kirchengemeinde eine zweite Kündigung zum 1. Juli 1998 aus. Am 4. Dezember 1998 wies das Arbeitsgericht die Klage des Beschwerdeführers ab, die Kündigung für nichtig zu erklären. Das Verfahren ist noch beim Landesarbeitsgericht Düsseldorf anhängig.
II.DAS EINSCHLÄGIGE INNERSTAATLICHE UND GEMEINSCHAFTLICHE RECHT UND DIE EINSCHLÄGIGE INNERSTAATLICHE UND GEMEINSCHAFTLICHE PRAXIS A. Allgemeiner Kontext 1. Stellung der Kirchen und Religionsgemeinschaften im deutschen Recht |
30 | Die Rechtsstellung der Kirchen und Religionsgesellschaften richtet sich insbesondere nach den Artikeln 137 bis 141 (sogenannte Kirchenartikel) der Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919, die durch Artikel 140 GG in das Grundgesetz aufgenommen wurden. Eine große Anzahl an Kirchen und Religionsgesellschaften, darunter die Katholische Kirche (etwa 24,9 Millionen Mitglieder) sowie die Evangelische Kirche in Deutschland (etwa 24,5 Millionen Mitglieder), die gemeinhin als die beiden Großkirchen bezeichnet werden, verfügen über eine Rechtsstellung als juristische Person des öffentlichen Rechts, sind aber dennoch nicht Teil der öffentlichen Gewalt. Die anderen Religionsgesellschaften sind rechtsfähig aufgrund des bürgerlichen Rechts. Aufgrund ihrer Stellung als juristische Person des öffentlichen Rechts können die betroffenen Kirchen Kirchensteuer erheben und Beamte beschäftigen. |
31 | Die Katholische Kirche und die Evangelische Kirche beschäftigen insbesondere in ihren karitativen und wohltätigen Organisationen mehr als eine Million Menschen, sie sind daher nach dem Staat der bedeutendste Arbeitgeber in Deutschland. Ihre größten karitativen Organisationen, die (katholische) Caritas und die (evangelische) Diakonie beschäftigen ihrerseits jeweils fast 500.000 bzw. 450.000 Personen als Mitarbeiter. Ihre Tätigkeiten betreffen insbesondere die Verwaltung von Krankenhäusern, Schulen, Kindergärten, Heimen für Kinder oder Senioren und Beratungszentren (AIDS, Migrationsfragen, Frauen in Not). Die Katholische und die Evangelische Kirche begreifen ihre sozialen Tätigkeiten als Teil ihres Verkündigungsauftrags und als praktische Umsetzung des Gebots der Nächstenliebe. |
32 | Das Recht, das die Arbeitsbeziehungen zwischen den Kirchen und ihren Amtsträgern regelt, lehnt sich an das öffentliche Dienstrecht an. Im Hinblick auf die Beschäftigten kommt das staatliche Arbeitsrecht zur Anwendung, allerdings mit gewissen Ausnahmen aufgrund des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen. Letzteres gibt ihnen die Möglichkeit, ihren Bediensteten besondere Loyalitätsobliegenheiten aufzugeben (siehe unten). Im Übrigen unterliegen die Kirchen und ihre Institutionen nicht dem staatlichen Mitbestimmungsrecht im Hinblick auf das Tarifvertragsrecht. Da ihre Tätigkeiten insbesondere im karitativen und wohltätigen Bereich dem Leitbild einer christlichen Dienstgemeinschaft folgen, die von allen Mitarbeitern gebildet wird, akzeptieren sie die Rechtsstrukturen nicht, die auf einer grundsätzlichen Gegensätzlichkeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer beruhen. Die Katholische Kirche sowie die meisten Evangelischen Kirchen lehnen es daher ab, Tarifverträge mit den Gewerkschaften zu schließen, Streikrecht oder Aussperrung gibt es in ihren Einrichtungen nicht. Sie haben dagegen ihre eigenen Vertretungs- und Mitbestimmungssysteme für ihre Mitarbeiter geschaffen. |
33 | Da sie die Stellung einer juristischen Person des öffentlichen Rechts bekleiden, sind die Kirchen und Religionsgesellschaften im Hinblick auf ihre Finanzierung befugt, Kirchensteuer zu erheben, die einen Großteil (etwa 80%) ihres Gesamtbudgets ausmacht. Die Kirchensteuer wird von den staatlichen Behörden für die Kirchen und Religionsgesellschaften eingezogen, diese überweisen als Gegenleistung eine Entschädigung in Höhe von 3 bis 5% des Kirchensteuerertrags an den Staat. Diese Steuer ist an die Lohnsteuer angelehnt und beträgt 8 bis 9 % der Lohnsteuer. Sie wird vom Arbeitgeber des Steuerzahlers unmittelbar mit der Lohnsteuer an das Finanzamt abgeführt. Dazu stellen die Gemeinden für jeden Steuerzahler eine Lohnsteuerkarte aus, die der Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber zu übermitteln hat. Die Lohnsteuerkarte enthält bestimmte persönliche Angaben des Arbeitnehmers, darunter die Steuerklasse, Abschläge für unterhaltsberechtigte Kinder sowie die Zugehörigkeit zu einer zur Erhebung von Kirchensteuer berechtigten Kirche oder Religionsgesellschaft.
2. Das Grundgesetz |
34 | Artikel 140 des Grundgesetzes bestimmt, dass die Artikel 136 bis 139 und Artikel 141 (sog. Kirchenartikel) der Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919 Bestandteil des Grundgesetzes sind. Artikel 137 lautet wie folgt:
„(1) Es besteht keine Staatskirche. (2) Die Freiheit der Vereinigung zu Religionsgesellschaften wird gewährleistet. (...) (3) Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Sie verleiht ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde. (4) Religionsgesellschaften erwerben die Rechtsfähigkeit nach den allgemeinen Vorschriften des bürgerlichen Rechts. (5) Die Religionsgesellschaften bleiben Körperschaften des öffentlichen Rechtes soweit sie solche bisher waren. Anderen Religionsgesellschaften sind auf ihren Antrag gleiche Rechte zu gewähren, wenn sie durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten (...). (6) Die Religionsgesellschaften, welche Körperschaften des öffentlichen Rechtes sind, sind berechtigt, auf Grund der bürgerlichen Steuerlisten nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen Steuern zu erheben. (7) Den Religionsgesellschaften werden die Vereinigungen gleichgestellt, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Weltanschauung zur Aufgabe machen. (8) Soweit die Durchführung dieser Bestimmungen eine weitere Regelung erfordert, liegt diese der Landesgesetzgebung ob. 3. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Juni 1985 |
35 | Das Bundesverfassungsgericht hat am 4. Juni 1985 eine Grundsatzentscheidung zur Wirksamkeit von Kündigungen erlassen, die kirchliche Einrichtungen gegen in ihren Diensten stehende Arbeitnehmer wegen Verletzung von Loyalitätsobliegenheiten ausgesprochen haben (Az. BvR 1703/83, 1718/83 und 856/84, Beschluss veröffentlicht in der Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, Bd. 70, S. 138-173). Gegenstand dieser Verfassungsbeschwerden war einerseits die Kündigung eines in einem katholischen Krankenhaus beschäftigten Arztes wegen seines Standpunkts zum Thema Abtreibung und andererseits die Kündigung eines kaufmännischen Angestellten eines Jugendwohnheimes, das von einer Ordensgemeinschaft der Katholischen Kirche geführt wird, wegen seines Austritts aus der Katholischen Kirche. Nachdem die Arbeitsgerichte den beiden gekündigten Personen Recht gegeben hatten, haben die Kirchen das Bundesverfassungsgericht angerufen. Dieses hatte ihren Beschwerden stattgegeben.
Das hohe Gericht hat daran erinnert, dass das Recht der Religionsgemeinschaften, ihre Angelegenheiten in den Schranken des für alle geltenden Gesetzes nach Maßgabe des Artikels 137 Absatz 3 der Weimarer Reichsverfassung nach ihrem Selbstverständnis zu regeln, nicht nur für die Kirchen gelten würde, sondern ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform auch für alle der Kirche in bestimmter Weise zugeordneten Einrichtungen, wenn sie ein Stück des Auftrags der Kirche wahrnehmen. Bestandteil dieser Verfassungsgarantie sei das Recht der Kirchen, das für die Erfüllung ihres Auftrags erforderliche Personal auszuwählen und somit Arbeitsverträge abzuschließen. Bedienen sich die Kirchen wie jedermann der Privatautonomie zur Begründung von Arbeitsverhältnissen, würde auf diese das staatliche Arbeitsrecht Anwendung finden. Die Anwendung des Arbeitsrechts würde aber nicht dazu führen, die Zugehörigkeit der Arbeitsverhältnisse zu den eigenen Angelegenheiten der Kirche aufzuheben. Die Verfassungsgarantie des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen bleibe für die Gestaltung von Arbeitsverhältnissen wesentlich. So könne eine Kirche im Interesse der eigenen Glaubwürdigkeit ihre Arbeitsverträge auf das Leitbild einer christlichen Dienstgemeinschaft stützen und demnach von den ihr angehörenden Arbeitnehmern die Beachtung der tragenden Grundsätze der kirchlichen Glaubens- und Sittenlehre verlangen sowie der fundamentalen Verpflichtungen, die jedem Kirchenmitglied obliegen. Durch all das würde die Rechtsstellung des kirchlichen Arbeitnehmers aber keineswegs „klerikalisiert“. Es ginge vielmehr ausschließlich um den Inhalt und Umfang der vertraglich begründeten Loyalitätsobliegenheiten. Dies führe nicht dazu, dass aus dem bürgerlich-rechtlichen Arbeitsverhältnis eine Art kirchliches Statusverhältnis wird, das die Person total ergreift und ihre private Lebensführung voll umfasst. Das Bundesverfassungsgericht hat ebenfalls dargelegt, dass die Gestaltungsfreiheit der Kirchen unter dem Vorbehalt des für alle geltenden Gesetzes stehe, einschließlich der Vorschriften zum Schutz vor ungerechtfertigten Kündigungen, wie den §§ 1 des Kündigungsschutzgesetzes und 626 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Dies würde aber nicht bedeuten, dass diese Bestimmungen den so genannten Kirchenartikeln der Weimarer Reichsverfassung vorgehen würden. Somit müsse eine Abwägung der unterschiedlichen Rechte vorgenommen und dem Selbstverständnis der Kirchen ein besonderes Gewicht beigemessen werden. Das Bundesverfassungsgericht führte weiter aus: „Daraus folgt: Gewährleistet die Verfassungsgarantie des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts, dass die Kirchen bei der arbeitsvertraglichen Gestaltung des kirchlichen Dienstes das Leitbild einer christlichen Dienstgemeinschaft zugrunde legen und die Verbindlichkeit kirchlicher Grundpflichten bestimmen können, so ist diese Gewährleistung bei der Anwendung des Kündigungsschutzrechts auf Kündigungen von Arbeitsverhältnissen wegen der Verletzung der sich daraus für die Arbeitnehmer ergebenden Loyalitätsobliegenheiten aus verfassungsrechtlichen Gründen zu berücksichtigen und ihre Tragweite festzustellen. Eine Rechtsanwendung, bei der die vom kirchlichen Selbstverständnis her gebotene Verpflichtung der kirchlichen Arbeitnehmer auf grundlegende Maximen kirchlichen Lebens arbeitsrechtlich ohne Bedeutung bliebe, widerspräche dem verfassungsverbürgten Selbstbestimmungsrecht der Kirchen. Daraus ergibt sich: Im Streitfall haben die Arbeitsgerichte die vorgegebenen kirchlichen Maßstäbe für die Bewertung vertraglicher Loyalitätspflichten zugrunde zu legen, soweit die Verfassung das Recht der Kirchen anerkennt, hierüber selbst zu befinden. Es bleibt danach grundsätzlich den verfassten Kirchen überlassen, verbindlich zu bestimmen, was "die Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Verkündigung erfordert", was "spezifisch kirchliche Aufgaben" sind, was "Nähe" zu ihnen bedeutet, welches die "wesentlichen Grundsätze der Glaubens- und Sittenlehre" sind und was als - gegebenenfalls schwerer - Verstoß gegen diese anzusehen ist. Auch die Entscheidung darüber, ob und wie innerhalb der im kirchlichen Dienst tätigen Mitarbeiter eine "Abstufung" der Loyalitätspflichten eingreifen soll, ist grundsätzlich eine dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht unterliegende Angelegenheit. Soweit diese kirchlichen Vorgaben den anerkannten Maßstäben der verfassten Kirchen Rechnung tragen, was in Zweifelsfällen durch entsprechende gerichtliche Rückfragen bei den zuständigen Kirchenbehörden aufzuklären ist, sind die Arbeitsgerichte an sie gebunden, es sei denn, die Gerichte begäben sich dadurch in Widerspruch zu Grundprinzipien der Rechtsordnung, wie sie im allgemeinen Willkürverbot sowie in dem Begriff der "guten Sitten" und des ordre public ihren Niederschlag gefunden haben. Es bleibt in diesem Bereich somit Aufgabe der staatlichen Gerichtsbarkeit sicherzustellen, dass die kirchlichen Einrichtungen nicht in Einzelfällen unannehmbare Anforderungen - insoweit möglicherweise entgegen den Grundsätzen der eigenen Kirche und der daraus folgenden Fürsorgepflicht - an die Loyalität ihrer Arbeitnehmer stellen. Kommen sie hierbei zur Annahme einer Verletzung solcher Loyalitätsobliegenheiten, so ist die weitere Frage, ob diese Verletzung eine Kündigung des kirchlichen Arbeitsverhältnisses sachlich rechtfertigt, nach den kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften der §§ 1 KSchG, 626 BGB zu beantworten(...)“ B. Die Kündigungsvorschriften |
36 | In § 1 Absätze 1 und 2 des Kündigungsschutzgesetzes heißt es insbesondere, dass eine Kündigung sozial ungerechtfertigt ist, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, bedingt ist.
§ 626 BGB erlaubt jeder Vertragspartei das Dienstverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist zu kündigen. C. Die Vorschriften der Katholischen Kirche 1. Die Kirchliche Arbeits- und Vergütungsverordnung |
37 | § 2 Absatz 2 Buchstabe b der Kirchlichen Arbeits- und Vergütungsverordnung für die (Erz)diözesen Aachen, Essen, Köln, Münster (Teil Nordrhein-Westfalen) und Paderborn vom 15. Dezember 1971 in der bis zum 1. Januar 1994 geltenden Fassung forderte, dass die Lebensführung des Arbeitnehmers und der in seinem Haushalt lebenden Personen den Grundsätzen der katholischen Glaubens- und Sittenlehre entsprechen solle.
§ 6 sah vor, dass zu den Pflichten des Arbeitnehmers gehörte, sich in Wort und Tat zu den Grundsätzen der Katholischen Kirche zu bekennen und sich so zu verhalten, wie es von den Angehörigen des kirchlichen Dienstes erwartet wird. Die geltende Fassung von § 42 Absatz 1 bestimmt insbesondere, dass als wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung auch ein grober äußerer Verstoß gegen die kirchlichen Grundsätze gilt, wozu beispielsweise der Kirchenaustritt gehört. 2. Die Grundordnung der Katholischen Kirche |
38 | Die einschlägigen Passagen der Artikel 4 und 5 der Grundordnung der Katholischen Kirche für den kirchlichen Dienst im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse, die von der Deutschen Bischofskonferenz am 22. September 1993 verabschiedet und durch den Diözesanbischof des Bistums Essen mit Wirkung vom 1. Januar 1994 in Kraft gesetzt wurde, lauten wie folgt:
Artikel 4 Loyalitätsobliegenheiten „(1) Von den katholischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wird erwartet, dass sie die Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre anerkennen und beachten. Insbesondere im pastoralen, katechetischen und erzieherischen Dienst sowie bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die aufgrund einer Missio canonica tätig sind, ist das persönliche Lebenszeugnis im Sinne der Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre erforderlich. Dies gilt auch für leitende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. (...) (4) Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben kirchenfeindliches Verhalten zu unterlassen. Sie dürfen in ihrer persönlichen Lebensführung und in ihrem dienstlichen Verhalten die Glaubwürdigkeit der [katholischen] Kirche und der Einrichtung, in der sie beschäftigt sind, nicht gefährden. Artikel 5 Verstöße gegen Loyalitätsobliegenheiten (1) Erfüllt eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter die Beschäftigungsanforderungen nicht mehr, so muss der Dienstgeber durch Beratung versuchen, dass die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter diesen Mangel auf Dauer beseitigt. Im konkreten Fall ist zu prüfen, ob schon ein solches klärendes Gespräch oder eine Abmahnung, ein formeller Verweis oder eine andere Maßnahme (z.B. Versetzung, Änderungskündigung) geeignet sind, dem Obliegenheitsverstoß zu begegnen. Als letzte Maßnahme kommt eine Kündigung in Betracht. (2) Für eine Kündigung aus kirchenspezifischen Gründen sieht die Kirche insbesondere folgende Loyalitätsverstöße als schwerwiegend an: - Verletzungen der gem. Artikel 3 und 4 von einer Mitarbeiterin oder einem Mitarbeiter zu erfüllenden Obliegenheiten, insbesondere Kirchenaustritt, öffentliches Eintreten gegen tragende Grundsätze der katholischen Kirche (z.B. hinsichtlich der Abtreibung) und schwerwiegende persönliche sittliche Verfehlungen, - Abschluss einer nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der Kirche ungültigen Ehe (...) (3) Ein nach Abs. 2 generell als Kündigungsgrund in Betracht kommendes Verhalten schließt die Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung aus, wenn es begangen wird von pastoral, katechetisch oder leitend tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern oder Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die aufgrund einer Missio canonica tätig sind. Von einer Kündigung kann ausnahmsweise abgesehen werden, wenn schwerwiegende Gründe des Einzelfalles diese als unangemessen erscheinen lassen. (4) Wird eine Weiterbeschäftigung nicht bereits nach Abs. 3 [der Grundordnung] ausgeschlossen, so hängt im übrigen die Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung von den Einzelfallumständen ab, insbesondere vom Ausmaß einer Gefährdung der Glaubwürdigkeit von Kirche und kirchlicher Einrichtung, von der Belastung der kirchlichen Dienstgemeinschaft, der Art der Einrichtung, dem Charakter der übertragenen Aufgabe, deren Nähe zum kirchlichen Verkündigungsauftrag, von der Stellung der Mitarbeiterin oder des Mitarbeiters in der Einrichtung sowie von der Art und dem Gewicht der Obliegenheitsverletzung. Dabei ist auch zu berücksichtigen, ob eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter die Lehre der Kirche bekämpft oder sie anerkennt, aber im konkreten Fall versagt.“ D. Die Regelungen der Evangelischen Kirche im Hinblick auf die Beschäftigung von Kirchenmusikern |
39 | Aufgrund von § 2 Absatz 3 des Kirchenmusikgesetzes[1] vom 15. Juni 1996 muss ein von der Evangelischen Kirche angestellter Kirchenmusiker grundsätzlich einer Gliedkirche der Evangelischen Kirche in Deutschland oder einer Kirche angehören, mit der die Evangelische Kirche der Union in Kirchengemeinschaft steht. Aufgrund von § 21 Absatz 2 dieses Gesetzes in Verbindung mit § 7 Absatz 1 des Ausführungsgesetzes zum Kirchenmusikgesetz vom 13. November 1997[2] kann in Ausnahmefällen im kirchenmusikalischen Dienst im Nebenamt auch angestellt werden, wer Mitglied einer christlichen Kirche oder Gemeinschaft ist, die der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland angeschlossen ist. Dazu gehört die Römisch-Katholische Kirche. Nach der Ordnung für den Dienst nebenamtlicher Kirchenmusiker vom 18. November 1988[3] beträgt die durchschnittliche Wochenarbeitszeit eines solchen Kirchenmusikers im Nebenamt weniger als achtzehn Stunden.
E. Die gesetzlichen Bestimmungen betreffend die Gleichbehandlung 1. Die Richtlinie 2000/78/EG vom 27. November 2000 |
40 | In der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf heißt es:
Erwägungsgrund (24) „Die Europäische Union hat in ihrer der Schlussakte zum Vertrag von Amsterdam beigefügten Erklärung Nr. 11 zum Status der Kirchen und weltanschaulichen Gemeinschaften ausdrücklich anerkannt, dass sie den Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen, achtet und ihn nicht beeinträchtigt und dass dies in gleicher Weise für den Status von weltanschaulichen Gemeinschaften gilt. Die Mitgliedstaaten können in dieser Hinsicht spezifische Bestimmungen über die wesentlichen, rechtmäßigen und gerechtfertigten beruflichen Anforderungen beibehalten oder vorsehen, die Voraussetzung für die Ausübung einer diesbezüglichen beruflichen Tätigkeit sein können.“ Artikel 4 Berufliche Anforderungen „(1) (...) können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass eine Ungleichbehandlung wegen [der Religion oder der Weltanschauungen] keine Diskriminierung darstellt, wenn das betreffende Merkmal aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handelt. (2) Die Mitgliedstaaten können in Bezug auf berufliche Tätigkeiten innerhalb von Kirchen und anderen öffentlichen oder privaten Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht, Bestimmungen in ihren (...) geltenden Rechtsvorschriften beibehalten oder in künftigen Rechtsvorschriften Bestimmungen vorsehen, die zum Zeitpunkt der Annahme dieser Richtlinie bestehende einzelstaatliche Gepflogenheiten widerspiegeln und wonach eine Ungleichbehandlung wegen der Religion oder Weltanschauung einer Person keine Diskriminierung darstellt, wenn die Religion oder die Weltanschauung dieser Person nach der Art dieser Tätigkeiten oder der Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation darstellt. (...). Sofern die Bestimmungen dieser Richtlinie im übrigen eingehalten werden, können die Kirchen und anderen öffentlichen oder privaten Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht, im Einklang mit den einzelstaatlichen verfassungsrechtlichen Bestimmungen und Rechtsvorschriften von den für sie arbeitenden Personen verlangen, dass sie sich loyal und aufrichtig im Sinne des Ethos der Organisation verhalten.“ 2.Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz |
41 |
Der deutsche Gesetzgeber hat die Richtlinie mit der Verabschiedung des Gesetzes zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) vom 14. August 2006 in internes Recht umgesetzt. § 9 dieses Gesetzes lautet wie folgt: „(1) Ungeachtet des § 8 ist eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung bei der Beschäftigung durch Religionsgemeinschaften, die ihnen zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform oder durch Vereinigungen, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Religion oder Weltanschauung zur Aufgabe machen, auch zulässig, wenn eine bestimmte Religion oder Weltanschauung unter Beachtung des Selbstverständnisses der jeweiligen Religionsgemeinschaft oder Vereinigung im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht oder nach der Art der Tätigkeit eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt. (2) Das Verbot unterschiedlicher Behandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung berührt nicht das Recht der in Absatz 1 genannten Religionsgemeinschaften, der ihnen zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform oder der Vereinigungen, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Religion oder Weltanschauung zur Aufgabe machen, von ihren Beschäftigten ein loyales und aufrichtiges Verhalten im Sinne ihres jeweiligen Selbstverständnisses verlangen zu können.“ |
42 |
Am 31. Januar 2008 hat die Europäische Kommission im Hinblick auf die Umsetzung der Richtlinie 2000/78/EG in innerstaatliches Recht ein Aufforderungsschreiben an die Bundesrepublik Deutschland gerichtet (Verfahren Nr. 2007/2362), das unter anderem die „Kündigung betrifft, die durch das Antidiskriminierungsgesetz nicht gedeckt ist.“ Sie hat festgestellt, dass, während die Richtlinie eine unterschiedliche Behandlung nur erlaubt, wenn die Religion oder die Weltanschauung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation darstellt, § 9 Absatz 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz eine unterschiedliche Behandlung auch dann vorsieht, wenn die Religion oder Weltanschauung im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht oder nach der Art der Tätigkeit eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt. Da ein derartiger Unterschied durch den Wortlaut der Richtlinie nicht gedeckt ist, entsprach die Art der Umsetzung nach Auffassung der Europäischen Kommission nicht den Zielen der Richtlinie. Eine solche Umsetzung würde dazu führen, dass eine Religionsgemeinschaft eine berufliche Anforderung allein aufgrund ihres Selbstbestimmungsrechts festlegen könnte, ohne dass diese Anforderung in Bezug auf die konkrete Tätigkeit einer Verhältnismäßigkeitsprüfung unterworfen werden könnte. Während Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie auf eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung abstellt, würde § 9 Absatz 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes diesen Begriff zudem auf die gerechtfertigte berufliche Anforderung verkürzen und somit die Vorgaben der Richtlinie schwächen. Die Europäische Kommission vertrat ebenfalls die Auffassung, dass das Ethos der Organisation zwar eine Rolle für die Bestimmung der beruflichen Anforderung spiele, jedoch nicht das alleinige Kriterium bleiben könne, denn wenn dies so wäre, bestünde die Gefahr, dass die deutsche Regelung diese Differenzierung nicht sicherzustellen vermöge und vielmehr bei einfachen Hilfstätigkeiten besondere Anforderungen an die Religionszugehörigkeit gestellt würden. Am 29. Oktober 2009 hat die Europäische Kommission eine begründete Stellungnahme an Deutschland gerichtet, in der sie betonte, dass der Schutz gegen diskriminierende Kündigungen nicht in die deutschen Rechtsvorschriften zur Bekämpfung der Ungleichbehandlung aufgenommen sei. Die begründete Stellungnahme und die Antwort der deutschen Regierung sind bislang nicht bekanntgegeben worden. RECHTLICHE WÜRDIGUNG I. DIE BEHAUPTETE VERLETZUNG DES ARTIKELS 8 DER KONVENTION |
43 | Der Beschwerdeführer rügt, dass ihm nur gekündigt worden sei, weil er eine außereheliche Beziehung zu seiner neuen Lebensgefährtin unterhalte. Er beruft sich auf Artikel 8 Absatz 1 der Konvention, dessen einschlägiger Passus wie folgt lautet:
„(1) Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens (...) (2) Eine Behörde darf in die Ausübung dieses Rechts nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist (...) zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.“ |
44 | Die Regierung bestreitet diese Behauptung.
A. Zur Zulässigkeit |
45 | Der Gerichtshof stellt fest, dass die Beschwerde nicht offensichtlich unbegründet im Sinne von Artikel 35 Absatz 3 der Konvention ist. Der Gerichtshof stellt ferner fest, dass in Bezug auf die Rüge kein anderer Unzulässigkeitsgrund vorliegt. Die Beschwerde ist daher für zulässig zu erklären.
B. Zur Hauptsache 1. Stellungnahme der Parteien a) Der Beschwerdeführer |
46 | Der Beschwerdeführer behauptet, die Arbeitsgerichte hätten die in Rede stehenden Interessen unzureichend gewürdigt und abgewogen. Dies führe zu einem Rechtsprechungs-Automatismus zugunsten der Kirchen, die dem Betroffenen zufolge im deutschen Recht einen privilegierten Status innehaben, den keine andere wohltätige Organisation genieße. Sein Recht auf Achtung seines Privatlebens oder seiner Intimsphäre seien von den Arbeitsgerichten nicht geprüft worden. Artikel 8 der Konvention verleihe ihm aber das Recht, ein Lebensmodell aufzugeben und ein neues zu wählen. Der Betroffene behauptet, dass dieses Recht, auch wenn es das Recht der Kirchen, ihre Angelegenheiten selbständig zu regeln, nicht in Frage stelle, dennoch nicht so weit gehen dürfe, dass sie ihre Beschäftigten zwingen können, Glaubenssätze über den beruflichen Bereich hinaus zu befolgen. Er trägt vor, dass die Arbeitsgerichte ihre Rechtsprechung in völlig unvorhersehbarer Weise ausgedehnt hätten, da bisher eine Kündigung seines Wissens nur im Falle einer Wiederverheiratung und nicht aufgrund einer außerehelichen intimen Beziehung ausgesprochen werden durfte. Angesichts der Vielzahl der kirchlichen Gebote mangele es in dieser Hinsicht an Vorhersehbarkeit; die Kündigung hänge schließlich allein von den Ansichten des jeweiligen Personalverantwortlichen ab. Die Rolle des Arbeitsgerichts beschränke sich somit darauf, den Willen des kirchlichen Arbeitgebers auszuführen. Nach Ansicht des Beschwerdeführers liegt die Folge dieser Tendenz darin, dass der Arbeitgeber und das Arbeitsgericht veranlasst werden, sich zunehmend in das Privatleben der Beschäftigten einzumischen, um die als Grundlage für die Kündigung dienenden Fakten zu ermitteln und zu würdigen. Im Übrigen werde die Glaubwürdigkeit einer Kirche nicht dadurch erschüttert, dass der ein oder andere Beschäftigte einige kirchliche Regeln nicht genau beachte; darin manifestiere sich lediglich das typische Menschsein der fraglichen Person. |
47 | Der Beschwerdeführer betont, bei Unterzeichnung seines Arbeitsvertrags mit der Katholischen Kirche nicht auf seine Privatsphäre verzichtet zu haben. Unter Berufung auf die Macht, die jeder Arbeitgeber bei einer Einstellung besitze, fügt er hinzu, dass er jedenfalls nicht in der Lage gewesen sei, § 2 des Arbeitsvertrags streichen zu lassen und dass diese Bestimmung im Übrigen nur eine Standardklausel sei. Er behauptet zudem, dass er bei Unterzeichnung des Vertrags im Jahr 1983 nicht vorhersehen konnte, dass er sich eines Tages von seiner Ehefrau trennen würde. Wie dem auch sei, da er weder kirchlicher Amtsträger noch Kleriker, sondern ein einfacher Mitarbeiter des liturgischen Dienstes ohne pastorale Verantwortung sei, habe er auch keinen gesteigerten Loyalitätspflichten unterlegen. Der Beschwerdeführer stimmt zu, dass die Musik in der Liturgie eine besondere Rolle spielt, in seinen Augen feiert jeder Gläubige die Liturgie mit ihren Gesängen und Gebeten auf dieselbe Art wie der Organist. Der Betroffene erinnert auch daran, dass die Grundordnung erst zehn Jahre nach Unterzeichnung seines Arbeitsvertrages in Kraft getreten ist; sie sei daher nicht im Vertrag enthalten und könne aus diesem Grunde auch nicht als gesetzliche Grundlage für eine Kündigung dienen. |
48 | Im Übrigen behauptet der Beschwerdeführer, dass er sich im Gegensatz zu den Betroffenen in den Sachen, die Gegenstand des Urteils des Bundesverfassungsgerichts waren (Rdnr. 35 oben) weder öffentlich einem moralischen Grundsatz widersetzt habe, noch ein feindseliges Verhalten gegenüber der Katholischen Kirche und ihren moralischen Vorschriften gezeigt habe. Er sei im Gegenteil weiterhin katholisch und stelle den Sakramentscharakter, den die Ehe in den Augen der Katholischen Kirche hat, nicht infrage. Die schicksalhafte Trennung von seiner Frau aus rein persönlichen Gründen gehöre ausschließlich zu seiner Privatsphäre. Im Übrigen habe er nicht erneut geheiratet. Es sei nicht von ihm zu verlangen, wie das der codex iuris canonici tue, dass er nach seiner Trennung und Scheidung bis ans Ende seiner Tage abstinent lebe. Er würde die innerkirchlichen Folgen seiner Wahl akzeptieren (Unmöglichkeit, die Kommunion zu empfangen), seine Kündigung sei jedoch eine zu schwere Konsequenz. Schließlich behauptet der Beschwerdeführer, dass der von der Regierung angeführte Ermessensspielraum nicht bestehe, denn in Deutschland interessiere sich die Öffentlichkeit immer weniger für Angelegenheiten der Wiederheirat, und die Europäische Richtlinie 2000/78/EG behandle lediglich die Frage der Einstellung und nicht die der Kündigung nach langer Beschäftigungsdauer. Unter Hinweis auf seine Ausbildung als katholischer Musiker weist er auch auf die Schwierigkeiten hin, anderenorts in der Katholischen Kirche eine Anstellung zu finden. Im Hinblick auf seine derzeitige Anstellung in einer evangelischen Gemeinde gibt er an, aufgrund seiner Zugehörigkeit zur katholischen Religion lediglich halbtags arbeiten zu können.
b) Die Regierung |
49 | Die Regierung behauptet, dass die Katholische Kirche, zu der die Gemeinde St. Lambertus gehört, trotz ihres Status als juristische Person öffentlichen Rechts nicht der öffentlichen Gewalt angehört. Es habe also keinen Eingriff seitens der öffentlichen Gewalt in die Rechte des Beschwerdeführers gegeben. Die behauptete Verfehlung der Arbeitsgerichte könne demnach allein unter dem Aspekt der Schutzpflichten des Staates geprüft werden. Nun sei der Gestaltungsspielraum, da es keinen gemeinsamen Standard der Mitgliedstaaten gebe, weit, zumal es sich hier um einen Bereich handle, der mit Gefühlen, Traditionen und der Religion verbunden sei. Die Regierung erinnert daran, dass die Europäische Kommission für Menschenrechte im Übrigen die Erwägungsgründe im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Juni 1985, auf die sich das Bundesarbeitsgericht in der vorliegenden Sache bezogen hat, bestätigt hatte (R. ./. Deutschland, Nr. 12242/86, Entscheidung der Kommission vom 6. September 1989, Entscheidungen und Berichte 62,151). |
50 | Die Regierung legt anschließend dar, dass die Arbeitsgerichte, die eine Streitigkeit zwischen zwei Rechteinhabern zu entscheiden haben, das Interesse des Beschwerdeführers und das Recht der Katholischen Kirche, ihre Angelegenheiten gemäß Artikel 137 der Weimarer Reichsverfassung selbstständig zu regeln, abzuwägen haben. Nach Auffassung der Regierung war das Arbeitsgericht bei der Anwendung der gesetzlichen Kündigungsvorschriften verpflichtet, die von der Katholischen Kirche niedergelegten Grundsätze zu berücksichtigen, denn aufgrund ihres Selbstbestimmungsrechts ist es Sache der Kirchen und Religionsgemeinschaften selbst die von ihren Angestellten mit dem Ziel der Wahrung der Glaubwürdigkeit der Kirchen und Religionsgemeinschaften zu beachtenden Loyalitätsobliegenheiten zu definieren. Die Regierung ruft in Erinnerung, dass angesichts dieser Sachlage die Berücksichtigung der kirchlichen Glaubenssätze nicht schrankenlos ist und die staatlichen Gerichte keinen Glaubenssatz anwenden dürfen, der den allgemeinen Grundsätzen der Rechtsordnung entgegensteht. Anders ausgedrückt, können die kirchlichen Arbeitgeber nach Auffassung der Regierung ihren Arbeitnehmern zwar Loyalitätsobliegenheiten vorschreiben, es steht ihnen aber nicht zu, die Kündigungsgründe zu bestimmen; dies gehört zu der Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen durch den Richter zum Kündigungsschutz. |
51 | Das Bundesarbeitsgericht und alsdann das Landesarbeitsgericht hätten diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall angewandt und die betroffenen Interessen gebührend abgewogen, insbesondere unter Berücksichtigung der Art der Beschäftigung des Beschwerdeführers, der Schwere der Verfehlung nach der Wahrnehmung der Katholischen Kirche sowie des Glaubwürdigkeitsverlusts der Katholischen Kirche im Falle eines Verbleibs des Beschwerdeführers im Amt. Die Regierung fügt hinzu, dass eine Kündigung in der Tat die härteste Sanktion (ultima ratio) im deutschen Arbeitsrecht darstelle, im vorliegenden Falle eine weniger schwere Maßnahme, wie die Abmahnung, jedoch vorliegend nicht angezeigt gewesen sei, denn nach ihrer Auffassung konnte der Beschwerdeführer keine Zweifel daran haben, dass sein Arbeitgeber seine Haltung nicht tolerieren würde. Sie ruft in Erinnerung, dass der Betroffene bei der freiwilligen Unterzeichnung seines Arbeitsvertrages der Beschränkung seiner Rechte aus freien Stücken zugestimmt habe, was im Hinblick auf die Konvention (vorgenannte Entscheidung R.) möglich sei, und daher das Risiko akzeptiert habe, dass bestimmte Verhaltensweisen berufliche Ahndungsmaßnahmen nach sich ziehen können. Sie zeigt sich überzeugt, dass sich der Beschwerdeführer aufgrund seiner Beschäftigung der grundlegenden Bedeutung der Unauflösbarkeit der Ehe für die Katholische Kirche sowie der Konsequenzen bewusst sei, die sein Ehebruch haben könne. Die Tatsache, dass die Obliegenheiten Folgen für das Privatleben des Beschwerdeführers haben könnten, sei charakteristisch für Verträge zwischen kirchlichen Arbeitgebern und ihren Mitarbeitern. Die Regierung behauptet schließlich, die Anwendbarkeit der Grundordnung, die im Übrigen keine Loyalitätsobliegenheiten besonderer Tragweite vorschreibe, sei vor den innerstaatlichen Gerichten nicht diskutiert worden und könne aus diesem Grund nunmehr nicht vor dem Gerichtshof behandelt werden. Diese Ordnung sei zwar erst im September 1993 in Kraft getreten, die §§ 2 und 6 der Kirchlichen Arbeits- und Vergütungsordnung vom 15. Dezember 1971 (Rdnr. 37 oben), deren Anwendbarkeit auf den Arbeitsvertrag nach ihrer Auffassung außer Zweifel steht, seien bereits Bezugspunkte für die Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre gewesen und danach auch für die Grundordnung von 1993. Im Übrigen habe der Beschwerdeführer eine neue Beschäftigung gefunden und zwar in einer Gemeinde der Evangelischen Kirche in Essen.
c) Die Drittbeteiligte |
52 | Die katholische Diözese Essen schließt sich im Wesentlichen den Schlussfolgerungen der Regierung unter Hinweis darauf an, dass die Feststellung einer Konventionsverletzung einen schwerwiegenden Eingriff bedeuten würde, der Konsequenzen nicht nur für die Diözese, sondern auch für alle Arbeitsverträge (nach ihren Angaben zwischen 1,2 bis 1,4 Millionen) der Katholischen Kirche wie der Evangelischen Kirche hätte. Nach ihrer Auffassung könnten die kirchlichen Arbeitgeber demnach nicht mehr von ihren Beschäftigten verlangen, besondere Dienstobliegenheiten zu beachten, die ihren besonderen Aufgaben entsprechen. Die Diözese betont, dass die Trennung des Beschwerdeführers von seiner Ehefrau und die Beziehung zu einer anderen Frau nicht mit dem Sakramentscharakter, den die Ehe in den Augen der Katholischen Kirche hat, vereinbar seien. Die Ehe sei mehr als ein einfacher Vertrag und zwar ein Sakrament, das ein unauflösliches Band darstelle und eine Gemeinschaft für das Leben betreffe. Die Diözese bekräftigt ebenfalls die besondere Rolle der Musik in der katholischen Liturgie, die bei weitem mehr darstelle als ein musikalischer Hintergrund. Die Auswahl der mit der Musik betrauten Person müsse aufgrund ihrer Nähe zu dem Verkündigungsauftrag der Kirche allein der Kirche zustehen und aufgrund ihrer eigenen Kriterien einschließlich der sittlichen Ansprüche erfolgen; im Übrigen sei sie Ausdruck der Ausübung der Religionsfreiheit. Die Diözese fügt hin zu, dass die Katholische Kirche mit der Verabschiedung ihrer Grundordnung ein differenziertes System geschaffen habe. Die aufgrund dieser Ordnung getroffenen Entscheidungen würden im Übrigen der staatlichen Gerichtsbarkeit unterliegen.
2. Die Würdigung des Gerichtshofs |
53 | Der Gerichtshof erinnert daran, dass der Begriff „Privatleben“ ein weitgefasster Begriff ist, der nicht abschließend definiert werden kann. Dieser Begriff schließt die körperliche und moralische Unversehrtheit der Person ein und umfasst gelegentlich Aspekte der physischen und sozialen Identität eines Einzelnen, wie das Recht darauf, Beziehungen zu anderen Menschen zu knüpfen und zu entwickeln, das Recht der „persönlichen Entfaltung“ oder das Recht auf Selbstbestimmung als solches. Der Gerichtshof ruft ebenfalls in Erinnerung, dass Aspekte wie die sexuelle Identität, der Name, die sexuelle Ausrichtung und das Sexualleben zur der nach Artikel 8 geschützten Persönlichkeitssphäre zählen (E.B. ./. Frankreich [GK], Nr. 43546/02, Rdnr. 43, CEDH 2008-... und Schlumpf ./. Schweiz, Nr. 29002/06, Rdnr. 100, 8. Januar 2009). |
54 | Der Gerichtshof stellt im vorliegenden Fall zunächst fest, dass der Beschwerdeführer nicht staatliches Handeln sondern ein Versäumnis des Staates rügt, nämlich seine Privatsphäre vor einem Eingriff seines Arbeitgebers zu schützen. Er erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass die Katholische Kirche trotz ihres Status als öffentlich-rechtliche Körperschaft nach deutschem Recht keine hoheitlichen Rechte ausübt (vorgenannte Entscheidung R., Finska Församlingen i Stockholm und Teuvo Hautaniemi ./. Schweden, Entscheidung der Kommission vom 11. April 1996, Nr. 24019/94, und Predota ./. Österreich (Entsch.), Nr. 28962/95, 18. Januar 2000). |
55 | Er macht erneut deutlich, dass Artikel 8 zwar grundsätzlich zum Ziel hat, den Einzelnen vor willkürlichen behördlichen Eingriffen zu schützen, sich jedoch nicht darauf beschränkt, dem Staat aufzuerlegen, sich solcher Eingriffe zu enthalten: zu dieser negativen Verpflichtung können positive Verpflichtungen hinzukommen, die Bestandteil einer wirksamen Achtung des Privatlebens sind. Diese können Maßnahmen erforderlich machen, die der Achtung des Privatlebens dienen und bis in die Beziehungen zwischen den Einzelnen untereinander reichen. Die Abgrenzung der positiven von den negativen Verpflichtungen des Staates aus Artikel 8 eignet sich zwar nicht für eine präzise Bestimmung, doch sind die anwendbaren Grundsätze durchaus vergleichbar. In beiden Fällen ist insbesondere das zwischen dem Allgemeininteresse und den Interessen des Einzelnen herzustellende ausgewogene Gleichgewicht zu berücksichtigen, wobei der Staat in jedem Fall über einen Ermessensspielraum verfügt (Evans ./. Vereinigtes Königreich [GK], Nr. 6339/05, Rdnrn. 75-76, CEDH 2007-IV und vorgenannte Entscheidung R.; siehe auch Fuentes Bobo ./. Spanien, Nr. 39293/98, Rdnr. 38, 29. Februar 2000). |
56 | Der Gerichtshof erinnert ferner daran, dass der dem Staat eingeräumte Gestaltungsspielraum weiter ist, wenn innerhalb der Mitgliedstaaten des Europarats kein Konsens im Hinblick auf die Bedeutung der in Rede stehenden Interessen oder über die besten Mittel zu ihrem Schutz besteht. Der Spielraum ist ganz allgemein ebenfalls weit, wenn der Staat einen gerechten Ausgleich zwischen konkurrierenden privaten und öffentlichen Interessen oder zwischen verschiedenen nach der Konvention geschützten Rechten herbeizuführen hat (o.a. Sache Evans, Rdnr. 77). |
57 | Die grundlegende Frage, die sich im vorliegenden Fall stellt, lautet demnach, ob der Staat im Rahmen seiner Schutzpflichten aus Artikel 8 verpflichtet war anzuerkennen, dass dem Beschwerdeführer im Zusammenhang mit der von der Katholischen Kirche ausgesprochenen Kündigung das Recht auf Achtung seines Privatlebens zustand. Der Gerichtshof muss, indem er die von den deutschen Arbeitsgerichten vorgenommene Abwägung dieses Rechts des Beschwerdeführers mit dem Recht der Katholischen Kirche aus den Artikeln 9 und 11 prüft, demnach beurteilen, ob das Maß des dem Beschwerdeführer eingeräumten Schutzes ausreichend war oder nicht. |
58 | Diesbezüglich erinnert der Gerichtshof daran, dass die Religionsgemeinschaften traditionell und weltweit in Form organisierter Strukturen existieren und, sollte die Organisation einer solchen Gemeinschaft betroffen sein, der Artikel 9 im Licht des Artikels 11 der Konvention auszulegen ist, der die Vereinigungsfreiheit vor jeglichen ungerechtfertigten staatlichen Eingriffen schützt. Die Autonomie solcher Gemeinschaften, die für die Pluralität in einer demokratischen Gesellschaft unverzichtbar ist, gehört in der Tat zum Kernbestand des nach Artikel 9 zugesicherten Schutzes. Der Gerichtshof erinnert ferner daran, dass, von sehr wenigen Ausnahmefällen abgesehen, das Recht auf Religionsfreiheit im Sinne der Konvention jegliche Beurteilung des Staates hinsichtlich der Rechtmäßigkeit religiöser Bekenntnisse oder der Art und Weise, wie diese zum Ausdruck kommen, ausschließt (Hassan und Tchaouch ./. Bulgarien [GK], Nr. 30985/96, Rdnrn. 62 und 78, CEDH 2000-XI). Geht es schließlich um Fragen des Verhältnisses zwischen Staat und Religionen, bei denen es in einer demokratischen Gesellschaft berechtigterweise tiefgreifende Divergenzen geben kann, so ist der Rolle des nationalen Entscheidungsträgers besondere Bedeutung beizumessen (Leyla Şahin ./. Türkei [GK], Nr. 44774/98, Rdnr. 108, CEDH 2005-XI). |
59 | Der Gerichtshof unterstreicht zunächst, dass Deutschland durch die Einrichtung eines Arbeitsgerichtssystems sowie eines Verfassungsgerichts, das dafür zuständig ist, die Entscheidungen der Arbeitsgerichte zu kontrollieren, seine Schutzpflichten gegenüber den Rechtsuchenden im arbeitsrechtsrechtlichen Bereich, einem Bereich, in dem die Rechtsstreitigkeiten ganz allgemein die Rechte der Betroffenen aus Artikel 8 der Konvention berühren, grundsätzlich erfüllt hat. So war es dem Beschwerdeführer möglich, das Arbeitsgericht mit seinem Fall zu befassen und prüfen zu lassen, ob die streitgegenständliche Kündigung unter dem Blickwinkel des staatlichen Arbeitsrechts unter Berücksichtigung des kirchlichen Arbeitsrechts rechtmäßig ist und dabei die widerstreitenden Interessen des Beschwerdeführers und des kirchlichen Arbeitgebers abzuwägen. |
60 | Der Gerichtshof stellt sodann fest, dass das Bundesarbeitsgericht mit seinem Urteil vom 12. August 1999 sich umfassend auf die vom Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 4. Juni 1985 aufgestellten Grundsätze bezogen hat (Rdnr. 35 oben). Das Bundesarbeitsgericht hat insbesondere daran erinnert, dass die Anwendung des staatlichen Arbeitsrechts nicht dazu führt, die Zugehörigkeit der Arbeitsverhältnisse zu den eigenen Angelegenheiten der Kirche aufzuheben. Die Katholische Kirche könne demnach bei der Gestaltung ihrer Arbeitsverhältnisse das Leitbild einer christlichen Dienstgemeinschaft zu Grunde legen und ihren Arbeitnehmern auferlegen, die Grundsätze ihrer Glaubens- und Sittenlehre anzuerkennen und zu beachten, weil ihre Glaubwürdigkeit hiervon abhängen könne. Das Bundesarbeitsgericht hat aber ausgeführt, das Arbeitsgericht sei an diese Grundprinzipien nur dann gebunden, wenn die Vorgaben den Maßgaben der verfassten Kirchen Rechnung tragen und sie nicht im Widerspruch zu den Grundprinzipien der Rechtsordnung stehen, zu denen nach Ansicht des Gerichts allgemein die nach der Konvention zugesicherten Rechte und Grundfreiheiten gehören und hier insbesondere das Recht auf Achtung des Privatlebens. |
61 | Was die Anwendung dieser Kriterien im Falle des Beschwerdeführers anbelangt, so stellt der Gerichtshof fest, das Arbeitsgericht habe erwogen, dass die Kirchengemeinde die Kündigung des Beschwerdeführers nicht beschließen konnte, ohne vorher eine weniger schwere Sanktion zu verhängen, wie dies nach der Grundordnung erforderlich ist. Nach Ansicht des Arbeitsgerichts war die Pflichtverletzung des Beschwerdeführers, d.h. die Vaterschaft für ein außereheliches Kind, nicht so gravierend, als dass dies allein ausreichend sei, eine Kündigung auszusprechen. Das Landesarbeitsgericht hat, indem es das Urteil des Arbeitsgerichts bestätigte, ausgeführt, das dem Beschwerdeführer angelastete Verhalten sei seine dauerhafte außereheliche Beziehung, was einer schwerwiegenden persönlichen sittlichen Verfehlung im Sinne des Artikels 5 Absatz 2 der Grundordnung entspreche und seine Kündigung wegen der Nähe seiner Aufgabe zum Verkündigungsauftrag der Kirche rechtfertigte. Nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts trug der Beschwerdeführer in der Tat aufgrund seiner Funktionen zu einer würdevollen Eucharistiefeier bei, dem für die Katholische Kirche zentralen Ereignis der Messfeier. |
62 | Der Gerichtshof stellt fest, das Bundesarbeitsgericht habe zwar das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufgehoben, die Schlussfolgerungen dieses Gerichts jedoch bestätigt, was die Einstufung des Verhaltens des Beschwerdeführers nach Maßgabe der Grundordnung anbelangt. Insoweit hat das hohe Gericht daran erinnert, dass die Vorstellung der Katholischen Kirche über die eheliche Treue nicht im Widerspruch zu den Grundprinzipien der Rechtsordnung stehe, weil die Ehe auch in anderen Religionen eine herausragende Bedeutung habe und unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes stehe. Es hat auch die Auffassung vertreten, dass die Ansicht des Beschwerdeführers, wonach einzig eine Wiederheirat mit einer schwerwiegenden Verfehlung gleichzusetzen sei, weder der Grundordnung noch anderen Vorschriften zu entnehmen sei. |
63 | Der Gerichtshof stellt schließlich fest, das Landesarbeitsgericht habe nach der Verweisung der Sache hervorgehoben, dass es die Konsequenzen der Kündigung in Bezug auf den Beschwerdeführer nicht verkenne. Gleichwohl hat das Landesarbeitsgericht erachtet, dass, selbst wenn der Beschwerdeführer Gefahr lief, seinen Beruf nicht mehr auszuüben, die Kirchengemeinde diesen Organisten dennoch nicht weiterbeschäftigen konnte, ohne sämtliche Glaubwürdigkeit hinsichtlich der Verbindlichkeit der Glaubens- und Sittenlehre zu verlieren: Die Tätigkeit des Beschwerdeführers würde eine derart große Nähe zum Verkündungsauftrag der Kirche aufweisen, dass ein weiteres Zusammenwirken des Beschwerdeführers mit dem Dechanten etwa bei der Messfeier nach Außen nicht vermittelbar sei. |
64 | Insoweit der Beschwerdeführer behauptet, die Grundordnung sei in seinem Fall nicht anwendbar, stellt der Gerichtshof fest, dass die Anwendung dieser Grundordnung, im Gegensatz zur Anwendung anderer von der Kirchengemeinde im Lauf des Kündigungsverfahrens geltend gemachter kirchenrechtlicher Bestimmungen, vor den Arbeitsgerichten niemals in Zweifel gezogen worden ist, die - im Falle des Arbeitsgerichts und des Landesarbeitsgerichts - diese Grundordnung übrigens zu Gunsten des Beschwerdeführers ausgelegt und festgestellt haben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgehoben worden ist. Er stellt im Übrigen fest, die kirchliche Arbeits- und Vergütungsordnung, die -wie die Regierung unterstreicht - auf die Grundprinzipien der Glaubens- und Sittenlehre der Katholischen Kirche verweist, sei Bestandteil des Vertragsverhältnisses gewesen. |
65 | Was die Schlussfolgerung der Arbeitsgerichte anbelangt, wonach die Kündigung angesichts der Grundordnung gerechtfertigt war, so erinnert der Gerichtshof daran, dass es in erster Linie den innerstaatlichen Gerichten obliegt, das innerstaatliche Recht auszulegen und anzuwenden (G. K. M. und B. e.V. ./. Deutschland (Entsch.), Nr. 52336/99, 18. September 2007, und Miroļubovs u.a. ./. Lettland, Nr. 798/05, Rdnr. 91, 15. September 2009). Der Gerichtshof ruft aber in Erinnerung, es sei zwar nicht seine Aufgabe, an die Stelle der innerstaatlichen Gerichte zu treten, dennoch habe er zu prüfen, ob die Auswirkungen der von innerstaatlichen Gerichten ergangenen Schlussfolgerungen mit der Konvention in Einklang stehen (siehe sinngemäß Karhuvaara und Iltalehti ./. Finnland, Nr. 53678/00, Rdnr. 49, CEDH 2004-X, o.a. Sache Miroļubovs u.a., Rdnr. 91, und Lombardi Vallauri ./. Italien, Nr. 39128/05, Rdnr. 42, CEDH 2009- ...). |
66 | Was die Anwendung der Kriterien, auf die das Bundesarbeitsgericht verwiesen hat, auf die konkrete Situation des Beschwerdeführers anbelangt, so stellt der Gerichtshof allerdings den bündigen Charakter der Argumentation der Arbeitsgerichte hinsichtlich der Konsequenzen fest, die diese aus dem Verhalten des Beschwerdeführers gezogen haben (siehe zum Beweis des Gegenteils die o.a. Sache O., Rdnr. 49). Das Landesarbeitsgericht hat sich in der Tat damit begnügt, darzulegen, dass die Funktionen des Betroffenen als Organist und Chorleiter zwar nicht unter Artikel 5 Absatz 3 der Grundordnung fallen, sie aber eine derart große Nähe zum Verkündungsauftrag der Katholischen Kirche aufweisen, dass die Kirchengemeinde den Musiker nicht weiter beschäftigen konnte, ohne jegliche Glaubwürdigkeit zu verlieren, und dass ein weiteres Zusammenwirken zwischen ihm und dem Dechanten bei der Messfeier nach Außen nicht vermittelbar gewesen sei. |
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Der Gerichtshof hebt zunächst hervor, die Arbeitsgerichte seien in ihren Folgerungen weder auf das tatsächliche Familienleben des Beschwerdeführers noch auf den damit gewährten Rechtsschutz eingegangen. Die Interessen des kirchlichen Arbeitgebers sind infolgedessen mit dem nach Artikel 8 der Konvention zugesicherten Recht des Beschwerdeführers auf Achtung seines Privat- und Familienlebens nicht abgewogen worden, sondern nur mit seinem Interesse auf Wahrung seines Arbeitsplatzes (siehe diesbezüglich auch die Schlussfolgerungen des Bundesverfassungsgerichts in seinem Urteil vom 4. Juni 1985 – Rdnr. 35 oben). Der Gerichtshof stellt ebenfalls fest, dass der Arbeitnehmer wegen des Lohnsteuerkartensystems (Rdnr. 33 oben) nicht in der Lage ist, gegenüber seinem Arbeitgeber Ereignisse zu verheimlichen, die seinen Personenstand betreffen, wie eine Scheidung oder die Geburt eines Kindes. Somit wird ein Ereignis, das möglicherweise einen Loyalitätsverstoß darstellt, dem kirchlichen Arbeitgeber in jedem Fall zur Kenntnis gebracht, auch wenn der Fall nicht in die Medien gelangte oder öffentliche Auswirkungen hatte. |
68 | Der Gerichtshof stellt sodann fest, dass die Arbeitsgerichte, indem sie das Verhalten des Beschwerdeführers als eine schwerwiegende Verfehlung im Sinne des Artikels 5 Absatz 2 der Grundordnung eingestuft haben, den Standpunkt des kirchlichen Arbeitgebers als hier maßgeblich erachtet haben und dass, nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts, die gegenteilige Auffassung des Beschwerdeführers weder aus der Grundordnung noch aus anderen kirchenrechtlichen Bestimmungen ersichtlich sei. Er ist der Ansicht, dass diese Art des Vorgehens angesichts seiner Rechtsprechung an sich kein Problem darstellt (Rdnr. 58 oben). |
69 | Er betont jedoch, das Landesarbeitsgericht habe die Frage der Nähe der vom Beschwerdeführer ausgeübten Tätigkeit zum Verkündungsauftrag der Kirche nicht geprüft, sondern, wie es scheint ohne weitere Nachprüfungen vorzunehmen, den Standpunkt des kirchlichen Arbeitgebers in dieser Frage übernommen. Da es sich aber um eine Kündigung handelte, die im Anschluss an eine Entscheidung des Beschwerdeführers hinsichtlich seines nach der Konvention geschützten Privat- und Familienlebens erfolgt ist, vertritt der Gerichtshof die Auffassung, dass bei der Abwägung der im Spiel befindlichen konkurrierenden Rechte und Interessen eine eingehendere Prüfung nötig gewesen wäre (siehe o.a. Sache O., Rdnrn. 48-51), dies umso mehr, weil in der vorliegenden Sache das Individualrecht des Beschwerdeführers im Widerspruch zu einem Kollektivrecht stand. Wenn nämlich nach Maßgabe der Konvention ein Arbeitgeber, dessen Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht, seinen Arbeitnehmern spezielle Loyalitätsobliegenheiten auferlegen kann, so darf ein auf eine Verfehlung gegen solche Obliegenheiten gestützter Kündigungsbeschluss angesichts des Selbstbestimmungsrechts des Arbeitgebers nicht allein einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle durch das zuständige staatliche Arbeitsgericht unterworfen werden, ohne dass dabei die Art der vom Betroffenen bekleideten Stelle berücksichtigt und tatsächlich eine Abwägung der in Rede stehenden Interessen im Licht des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit stattfindet. |
70 |
Diesbezüglich stellt der Gerichtshof ebenfalls fest, dass die von Deutschland vorgenommene Umsetzung der Richtlinie 78/2000/EG in seiner innerstaatlichen Rechtsordnung in Bezug auf einige Punkte Gegenstand einer Beanstandung der Europäischen Kommission aus vergleichbaren Gründen ist (Rdnrn. 40-42 oben). Er stellt auch fest, dass nach den vom Bundesverfassungsgericht festgelegten Grundsätzen eine Kirche von ihren Arbeitnehmern verlangen kann, bestimmte tragende Grundsätze zu achten, was aber nicht bedeute, dass die Rechtsstellung des Arbeitnehmers einer Kirche „klerikalisiert“ und aus dem bürgerlich-rechtlichen Arbeitsverhältnis eine Art kirchliches Statusverhältnis wird, das die Person total ergreift und ihre private Lebensführung voll umfasst (Rdnr. 35 oben). |
71 | Der Gerichtshof räumt ein, dass der Beschwerdeführer durch Unterzeichnung seines Arbeitsvertrages eine Loyalitätspflicht gegenüber der Katholischen Kirche eingegangen ist, die sein Recht auf Achtung seines Privatlebens bis zu einem gewissen Grad einschränkte. Derartige vertragliche Einschränkungen sind nach der Konvention zulässig, wenn sie aus freiem Willen hingenommen werden (o.a. Entscheidung in der Sache R.). Der Gerichtshof ist allerdings der Ansicht, dass die Unterschrift des Beschwerdeführers auf diesem Vertrag nicht als eine unmissverständliche persönliche Verpflichtung zu verstehen ist, im Falle der Trennung oder Scheidung abstinent zu leben. Eine solche Auslegung würde den Kern des Rechts auf Achtung des Privatlebens des Betroffenen berühren, besonders deshalb, weil der Beschwerdeführer nach Feststellung der Arbeitsgerichte keinen gesteigerten Loyalitätsobliegenheiten unterworfen war (siehe zum Beweis des Gegenteils die o.a. Sache O., Rdnr. 50). In diesem Zusammenhang hat der Beschwerdeführer dargelegt, er habe die Trennung von seiner Ehegattin aus rein persönlichen Gründen nicht verhindern können und es sei ihm nicht möglich, bis zu seinem Lebensende abstinent zu leben, wie es der Kirchenkodex der Katholischen Kirche verlangen würde. |
72 | Der Gerichtshof stellt ebenfalls fest, die Arbeitsgerichte hätten sich, mit Ausnahme der ersten Instanz, nur am Rande damit befasst, dass, im Gegensatz zu Rechtssachen, die vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig gemacht wurden und u.a. die Kündigung einer Person wegen ihrer öffentlichen Äußerungen im Widerspruch zum moralischen Standpunkt ihres kirchlichen Arbeitgebers betrafen (siehe o.a. Sache R.), der Fall des Beschwerdeführers nicht von den Medien aufgegriffen worden ist und dass Letzterer nach vierzehn Dienstjahren in der Kirchengemeinde die Standpunkte der Katholischen Kirche offenbar nicht angegriffen hat, sondern vielmehr deren Achtung in der Praxis verletzt zu haben scheint (siehe Artikel 5 Absatz 2 der Grundordnung, Rdnr. 38 oben) und dass das hier streitgegenständliche Verhalten den Kernbestand des Privatlebens des Beschwerdeführers berührt. |
73 | Der Gerichtshof hebt schließlich hervor, das Landesarbeitsgericht habe sich damit begnügt, anzugeben, dass es die Konsequenzen der gegen den Beschwerdeführer ausgesprochenen Kündigung nicht verkenne, ohne aber auf die Aspekte einzugehen, die es bei der Abwägung der im Spiel befindlichen Interessen in dieser Hinsicht berücksichtigt hatte (siehe zum Beweis des Gegenteils die o.a. Sache O., Rdnrn. 48 bis 51). Nach Ansicht des Gerichtshofs kommt aber der Tatsache, dass ein von einem kirchlichen Arbeitgeber gekündigter Arbeitnehmer begrenzte Möglichkeiten hat, einen neuen Arbeitsplatz zu finden, besondere Bedeutung bei. Dies trifft umso mehr zu, wenn der Arbeitnehmer tatsächlich eine gewichtige Stellung in einem bestimmten Tätigkeitsfeld innehat und in den Genuss einiger Abweichungen von den allgemeinen Rechtsvorschriften kommt, was auf die beiden großen Kirchen in einigen Regionen Deutschlands insbesondere auf dem sozialen Sektor zutrifft (z.B. Kindergärten und Krankenhäuser – Rdnrn. 30-32 oben) oder wenn die Ausbildung des entlassenen Beschäftigten einen besonderen Charakter trägt, derart, dass es für ihn schwierig oder gar unmöglich ist, eine neuen Arbeitsplatz außerhalb des kirchlichen Arbeitgebers zu finden, was auf den hiesigen Fall zutrifft. In diesem Zusammenhang stellt der Gerichtshof fest, dass die Vorschriften der Evangelischen Kirche in Bezug auf Kirchenmusiker (Rdnr. 39 oben) die Entlassung einer Person, die nicht Mitglied einer Evangelischen Kirche ist, nur in Ausnahmefällen und einzig im Rahmen eines Nebenamtes gestatten. Der Fall des Beschwerdeführers bestätigt dies übrigens. Der Gerichtshof erinnert im Übrigen daran, dass in Anbetracht der Regelung, dass die Lohnsteuerkarte, die vom Arbeitnehmer vorzulegen ist und eine Reihe von personenbezogenen Daten enthält (Rdnr. 33 oben), der Arbeitgeber automatisch in gewisser Weise von der persönlichen und familiären Situation seines Arbeitnehmers Kenntnis erlangt. |
74 | Der Gerichtshof ist demnach der Ansicht, die Arbeitsgerichte hätten nicht hinlänglich dargelegt, warum den Folgerungen des Landesarbeitsgerichts zufolge die Interessen der Kirchengemeinde diejenigen des Beschwerdeführers bei weitem übertroffen haben und sie die Rechte des Beschwerdeführers und diejenigen des kirchlichen Arbeitgebers nicht in einer Weise abgewogen haben, die in Einklang mit der Konvention steht. |
75 | Infolgedessen folgert der Gerichtshof unter Berücksichtigung der besonderen Umstände der Sache, dass der deutsche Staat dem Beschwerdeführer nicht den notwendigen Schutz gewährt hat und dass somit Artikel 8 der Konvention verletzt worden ist.
II. DIE ANWENDUNG DES ARTIKELS 41 DER KONVENTION |
76 | Artikel 41 der Konvention lautet wie folgt:
„Stellt der Gerichtshof fest, dass diese Konvention oder die Protokolle dazu verletzt worden sind, und gestattet das innerstaatliche Recht der Hohen Vertragspartei nur eine unvollkommene Wiedergutmachung für die Folgen dieser Verletzung, so spricht der Gerichtshof der verletzten Partei eine gerechte Entschädigung zu, wenn dies notwendig ist.“ A. Schaden |
77 | Der Beschwerdeführer verlangt 323.741,45 EURO wegen materiellen Schadens, wobei dieser Betrag dem seit dem 1. Juli 1998 nicht ausbezahlten Gehalt entspricht, abzüglich der erhaltenen Arbeitslosenhilfe ab dem 1. September 2002 wegen seiner Halbtagsbeschäftigung in einer Kirchengemeinde der Evangelischen Kirche. Der Beschwerdeführer hat die Einzelheiten dieser Beträge vorgelegt. Er verlangt außerdem 30.000 EUR wegen immateriellen Schadens. |
78 |
Die Regierung ist der Ansicht, dass, sollte der Gerichtshof folgern, dass die Arbeitsgerichte die Kündigung nicht hätten akzeptieren dürfen, der Staat nicht verpflichtet ist, dem Beschwerdeführer das Gehalt zu erstatten, das dieser über die ganzen Jahre nicht erhalten hat. Sollte ihr zufolge in der Tat eine Verletzung festgestellt werden, könne der Beschwerdeführer einerseits die Wiederaufnahme des Verfahrens vor den innerstaatlichen Gerichten beantragen und andererseits könne nicht automatisch angenommen werden, dass sein Arbeitsvertrag mit der Kirchengemeinde von St. Lambertus noch mehrere Jahre lang weitergeführt worden wäre. B. Kosten und Auslagen |
79 |
Der Beschwerdeführer verlangt ebenfalls 752,35 EURO für die Kosten und Auslagen vor dem Bundesverfassungsgericht und 876,73 EURO für diejenigen vor dem Gerichtshof. Er verlangt außerdem die Erstattung der Kosten für Übersetzungen und diejenigen für den Fall einer mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof. |
80 | Die Regierung hat sich diesbezüglich nicht geäußert.
C. Fazit |
81 | Unter den gegebenen Umständen urteilt der Gerichtshof, dass die Frage der Anwendung des Artikels 41 der Konvention noch nicht spruchreif ist. Infolgedessen ist es angebracht, die Beurteilung der Frage vorzubehalten und das weitere Verfahren unter Berücksichtigung einer etwaigen Vereinbarung zwischen dem beschwerdegegnerischen Staat und dem Beschwerdeführer festzusetzen (Artikel 75 Absatz 1 der Verfahrensordnung). Zu dem Zweck räumt der Gerichtshof den Parteien eine Frist von drei Monaten ab dem Zeitpunkt dieses Urteils ein.
AUS DIESEN GRÜNDEN ENTSCHEIDET DER GERICHTSHOF EINSTIMMIG WIE FOLGT: 1. Er erklärt die Beschwerde für zulässig. 2. Er entscheidet, dass Artikel 8 der Konvention verletzt ist. 3. Er entscheidet, dass die Frage der Anwendung von Artikel 41 der Konvention noch nicht spruchreif ist; und infolgedessen a) behält er sich die Beurteilung dieser Frage ganz vor; b) fordert er die Regierung und den Beschwerdeführer auf, ihn von jeder Einigung, die sie möglicherweise erzielen, innerhalb von drei Monaten ab dem Zeitpunkt dieses Urteils zu unterrichten. c) behält er sich die Bestimmung des weiteren Verfahrens vor und beauftragt den Kammerpräsidenten, das weitere Verfahren erforderlichenfalls zu bestimmen. Ausgefertigt in französischer Sprache und anschließend am 23. September 2010 gemäß Artikel 77 Absätze 2 und 3 der Verfahrensordnung schriftlich übermittelt. Claudia Westerdiek Kanzlerin Peer Lorenzen Präsident |
[1] Originaltitel: Kirchengesetz über den kirchenmusikalischen Dienst in der Evangelischen Kirche der Union (EKU) (Kirchenmusikgesetz).
[2] Originaltitel: Kirchengesetz zur Ausführung und Ergänzung des Kirchengesetzes über den kirchenmusikalischen Dienst in der EKU (Ausführungsgesetz zum Kirchenmusikgesetz).
[3] Originaltitel: Ordnung für den Dienst nebenamtlicher Kirchenmusiker.
Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:
Dr. Martin Hensche Rechtsanwalt Fachanwalt für Arbeitsrecht Kontakt: 030 / 26 39 620 hensche@hensche.de | |
Christoph Hildebrandt Rechtsanwalt Fachanwalt für Arbeitsrecht Kontakt: 030 / 26 39 620 hildebrandt@hensche.de | |
Nina Wesemann Rechtsanwältin Fachanwältin für Arbeitsrecht Kontakt: 040 / 69 20 68 04 wesemann@hensche.de |