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ARBEITSRECHT AKTUELL // 18/181

Ge­stei­ger­te Loya­li­täts­pflich­ten christ­li­cher Füh­rungs­kräf­te christ­li­cher Ar­beit­ge­ber?

Ka­tho­li­sche Füh­rungs­kräf­te der Ca­ri­tas dür­fen nicht stär­ker an die Re­geln der ka­tho­li­schen Mo­ral ge­bun­den wer­den als ih­re nicht-ka­tho­li­schen Kol­le­gen: Schluss­an­trä­ge des Ge­ne­ral­an­walts beim Eu­ro­päi­schen Ge­richts­hof M. Wa­the­let vom 31.05.2018, Rs. C-68/17 (ka­tho­li­scher Chef­arzt)
Chefarzt

25.07.2018. Seit 2010 ha­ben wir mehr­fach über ei­nen pro­mi­nen­ten Kün­di­gungs­pro­zess be­rich­tet, der of­fen­bar kein En­de neh­men will. Die Re­de ist von dem ka­tho­li­schen Chef­arzt ei­nes ka­tho­li­schen Kran­ken­hau­ses in Düs­sel­dorf, dem im Jah­re 2009 ge­kün­digt wor­den war, weil er er­neut ge­hei­ra­tet hat­te, oh­ne sei­ne zu­vor be­ste­hen­de Ehe kir­chen­recht­lich an­nul­lie­ren zu las­sen.

Über den Fall hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) be­reits zwei­mal und das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt (BVerfG) ein­mal ent­schie­den. Nun liegt er beim Eu­ro­päi­schen Ge­richts­hof (EuGH), des­sen Ge­ne­ral­an­walt Wa­the­let En­de Mai 2018 sei­ne Stel­lung­nah­me ver­öf­fent­licht hat: Mel­chi­or Wa­the­let, Schluss­an­trä­ge vom 31.05.2018, Rs. C-68/17 (ka­tho­li­scher Chef­arzt).

Kann ein ka­tho­li­scher Ar­beit­ge­ber von ka­tho­li­schen Führungskärf­ten ei­ne stren­ge­re Be­fol­gung der kirch­li­chen Moral­ge­bo­te ver­lan­gen als von ver­gleich­ba­ren nicht-ka­tho­li­schen Führungs­kräften?

Ar­beit­neh­mer kirch­li­cher Ein­rich­tun­gen wie z.B. ei­nes ka­tho­li­schen Kin­der­gar­tens, Pfle­ge­heims oder Kran­ken­hau­ses wer­den zwar auf der Grund­la­ge des für al­le Ar­beit­neh­mer gel­ten­den „welt­li­chen“ Ar­beits­rechts ein­ge­stellt, doch müssen sie beim Ab­schluss des Ar­beits­ver­tra­ges zu­sa­gen, sich an die von der Kir­che vor­ge­ge­be­nen Re­geln der sog. christ­li­chen Dienst­ge­mein­schaft zu hal­ten.

Im Be­reich der ka­tho­li­schen Ca­ri­tas sind die­se Re­geln in ei­ner „Grund­ord­nung für den kirch­li­chen Dienst“ fest­ge­hal­ten.

Die für Ein­rich­tun­gen der ka­tho­li­schen Ca­ri­tas lan­ge Zeit gel­ten­de Grund­ord­nung vom 22.09.1993 sah da­bei vor, dass der „Ab­schluss ei­ner nach dem Glau­bens­verständ­nis und der Rechts­ord­nung der Kir­che ungülti­gen Ehe“ durch ei­nen lei­ten­den Mit­ar­bei­ter den Ar­beit­ge­ber ge­ne­rell zur Kündi­gung be­rech­tig­te (Grund­ord­nung des kirch­li­chen Diens­tes im Rah­men kirch­li­cher Ar­beits­verhält­nis­se, vom 22.09.1993, Art.5 Abs.2, zwei­ter Spie­gel­strich, Abs.3 Satz 1).

Mitt­ler­wei­le hat die ka­tho­li­sche Kir­che ih­re Grund­ord­nung (Grund­ord­nung des kirch­li­chen Diens­tes im Rah­men kirch­li­cher Ar­beits­verhält­nis­se, vom 27.04.2015) in die­sem Punkt we­sent­lich entschärft bzw. li­be­ra­li­siert (wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 15/141 Re­form der Grund­ord­nung für den kirch­li­chen Dienst). Da­nach sieht die Kir­che ei­ne kir­chen­recht­lich un­zulässi­ge Zi­vil­ehe nur noch dann als ei­nen schwe­ren, zur Kündi­gung be­rech­ti­gen­den Loya­litäts­ver­s­toß an,

„wenn die­se Hand­lung nach den kon­kre­ten Umständen ob­jek­tiv ge­eig­net ist, ein er­heb­li­ches Ärger­nis in der Dienst­ge­mein­schaft oder im be­ruf­li­chen Wir­kungs­kreis zu er­re­gen und die Glaubwürdig­keit der Kir­che zu be­ein­träch­ti­gen; ei­ne sol­che Eig­nung wird bei pas­to­ral oder ka­te­che­tisch täti­gen Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­tern so­wie bei Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­tern, die auf­grund ei­ner Mis­sio ca­no­ni­ca oder ei­ner sons­ti­gen schrift­lich er­teil­ten bischöfli­chen Be­auf­tra­gung beschäftigt wer­den, un­wi­der­leg­bar ver­mu­tet“ (Grund­ord­nung vom 27.04.2015, Art.5 Punkt 2.) Buch­sta­be c)).

Im Un­ter­schied da­zu konn­te ei­nem lei­ten­den ka­tho­li­schen Mit­ar­bei­ter ei­ner Ein­rich­tung der Ca­ri­tas auf der Grund­la­ge der al­ten Grund­ord­nung vom 22.09.1993 ge­ne­rell ver­hal­tens­be­dingt gekündigt wer­den, wenn er nach bürger­lich-recht­li­cher Schei­dung er­neut ei­ne Ehe ein­ging, oh­ne zu­vor die ers­te Ehe nach kirch­li­chem bzw. ka­tho­li­schem Recht an­nul­liert zu ha­ben. Denn oh­ne ei­ne sol­che kir­chen­recht­lich wirk­sa­me Auflösung der ers­ten Ehe han­del­te es sich bei der zwei­ten Ehe um ei­ne „nach dem Glau­bens­verständ­nis und der Rechts­ord­nung der Kir­che ungülti­gen Ehe“.

Da­bei kam es nach der al­ten Grund­ord­nung vom 22.09.1993 nicht dar­auf an, ob ei­ne sol­che zwei­te, kir­chen­recht­lich ungülti­ge Ehe „ob­jek­tiv ge­eig­net ist, ein er­heb­li­ches Ärger­nis in der Dienst­ge­mein­schaft oder im be­ruf­li­chen Wir­kungs­kreis zu er­re­gen und die Glaubwürdig­keit der Kir­che zu be­ein­träch­ti­gen“, wie es nun­mehr nach der Grund­ord­nung vom 27.04.2015 er­for­der­lich ist.

Sol­che Kündi­gun­gen wa­ren un­ter der Gel­tung der al­ten Grund­ord­nung vom 22.09.1993 zwar sel­ten, ka­men aber vor. Da­mit han­del­ten sich ka­tho­li­sche Ar­beit­ge­ber al­ler­dings ein Glaubwürdig­keits­pro­blem ein, denn die Ca­ri­tas ist be­reits seit vie­len Jah­ren (eben­so wie die Ein­rich­tun­gen der evan­ge­li­schen Dia­ko­nie) nicht mehr da­zu in der La­ge, aus­rei­chend vie­le ka­tho­li­sche Führungs­kräfte ein­zu­stel­len.

Da­her sind z.B. vie­le Chefärz­te ka­tho­li­scher Kran­kenhäuser kei­ne Ka­tho­li­ken, son­dern Pro­tes­tan­ten oder kon­fes­si­ons­los. Wenn ein kon­fes­si­ons­lo­ser oder pro­tes­tan­ti­scher Chef­arzt aber nach vor­he­ri­ger welt­li­cher Schei­dung er­neut hei­ra­tet, kann er mit die­sem Ver­hal­ten nicht ge­gen die ka­tho­li­sche Grund­ord­nung 1993 ver­s­toßen: Denn weil er nicht ka­tho­lisch ver­hei­ra­tet ist, be­trifft ihn das Ge­bot ei­ner vor­he­ri­gen An­nul­lie­rung sei­ner ers­ten Ehe nach kirch­li­chem bzw. ka­tho­li­schem Recht nicht.

Dem­zu­fol­ge führ­te die Kündi­gung ei­nes lei­ten­den Mit­ar­bei­ters un­ter Be­ru­fung auf den Kündi­gungs­grund ei­ner nach ka­tho­li­schem Kir­chen­recht ungülti­gen Ehe gemäß der Grund­ord­nung vom 22.09.1993 zu ei­ner Schlech­ter­stel­lung von ka­tho­li­schen lei­ten­den Mit­ar­bei­tern ge­genüber ver­gleich­ba­ren nicht-ka­tho­li­schen Führungs­kräften. Die­se Schlech­ter­stel­lung be­ruh­te letzt­lich auf der ka­tho­li­schen Re­li­gi­on, so dass hier mögli­cher­wei­se ei­ne ver­bo­te­ne Dis­kri­mi­nie­rung we­gen der Re­li­gi­on oder Welt­an­schau­ung vor­lag, § 1 All­ge­mei­nes Gleich­be­hand­lungs­ge­setz (AGG), § 2 Abs.1 Nr.2 AGG („Ent­las­sungs­be­din­gun­gen“).

An die­ser Stel­le kommt § 9 Abs.1 AGG in Spiel, der ei­ne un­ter­schied­li­che Be­hand­lung bzw. Schlech­ter­stel­lung von Ar­beit­neh­mern kirch­li­cher Ein­rich­tun­gen we­gen der Re­li­gi­on aus­drück­lich er­laubt,

„wenn ei­ne be­stimm­te Re­li­gi­on oder Welt­an­schau­ung un­ter Be­ach­tung des Selbst­verständ­nis­ses der je­wei­li­gen Re­li­gi­ons­ge­mein­schaft oder Ver­ei­ni­gung im Hin­blick auf ihr Selbst­be­stim­mungs­recht oder nach der Art der Tätig­keit ei­ne ge­recht­fer­tig­te be­ruf­li­che An­for­de­rung dar­stellt.“

Die­se Vor­schrift wird ergänzt durch § 9 Abs.2 AGG, der kirch­li­chen Ar­beit­ge­bern aus­drück­lich er­laubt,

„von ih­ren Beschäftig­ten ein loya­les und auf­rich­ti­ges Ver­hal­ten im Sin­ne ih­res je­wei­li­gen Selbst­verständ­nis­ses ver­lan­gen zu können.“

Frag­lich ist al­ler­dings, was recht­lich vor­geht - das in § 9 AGG an­er­kann­te Selbst­be­stim­mungs­recht ka­tho­li­scher Ein­rich­tun­gen oder der Schutz ka­tho­li­scher Führungs­kräfte vor ei­ner re­li­gi­ons­be­ding­ten Dis­kri­mi­nie­rung ge­genüber ver­gleich­ba­ren, nicht ka­tho­li­schen Führungs­kräften.

Die­se Fra­ge lässt sich nur auf der Grund­la­ge der eu­ropäischen An­ti­dis­kri­mi­nie­rungs­richt­li­nie klären, d.h. der Richt­li­nie 2000/78/EG, denn die­se Richt­li­nie soll mit dem AGG in Deutsch­land um­ge­setzt wer­den. Ge­nau­er ge­sagt geht es um Art.4 Abs.2 1. Halb­satz Richt­li­nie 2000/78/EG, der die Un­gleich­be­hand­lung von Ar­beit­neh­mern ver­schie­de­ner Kir­chen beim The­ma Loya­litätsan­for­de­run­gen mögli­cher­wei­se er­laubt. Der ers­te Satz die­ser Vor­schrift lau­tet:

"Die Mit­glied­staa­ten können in Be­zug auf be­ruf­li­che Tätig­kei­ten in­ner­halb von Kir­chen und an­de­ren öffent­li­chen oder pri­va­ten Or­ga­ni­sa­tio­nen, de­ren Ethos auf re­li­giösen Grundsätzen oder Welt­an­schau­un­gen be­ruht, Be­stim­mun­gen (...) bei­be­hal­ten oder (...) vor­se­hen, (...) wo­nach ei­ne Un­gleich­be­hand­lung we­gen der Re­li­gi­on oder Welt­an­schau­ung ei­ner Per­son kei­ne Dis­kri­mi­nie­rung dar­stellt, wenn die Re­li­gi­on oder die Welt­an­schau­ung die­ser Per­son nach der Art die­ser Tätig­kei­ten oder der Umstände ih­rer Ausübung ei­ne we­sent­li­che, rechtmäßige und ge­recht­fer­tig­te be­ruf­li­che An­for­de­rung an­ge­sichts des Ethos der Or­ga­ni­sa­ti­on dar­stellt."

Vor die­sem Hin­ter­grund leg­te das BAG im Ju­li 2016 dem EuGH ei­nen ent­spre­chen­den Fall zur Vor­ab­ent­schei­dung vor, d.h. zur Klärung der Fra­ge, was aus der o.g. Vor­schrift für die Kündi­gung ka­tho­li­scher Führungs­kräfte durch ka­tho­li­sche Ar­beit­ge­ber folgt, die ih­ren nicht-ka­tho­li­schen Führungs­kräfte we­ni­ger stren­ge Loya­litäts­pflich­ten auf­er­le­gen (BAG, Be­schluss vom 28.07.2016, 2 AZR 746/14 (A), wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 16/249 Kündi­gung we­gen Wie­der­ver­hei­ra­tung als Dis­kri­mi­nie­rung).

Der Fall des we­gen Wie­der­ver­hei­ra­tung gekündig­ten ka­tho­li­schen Chef­arz­tes - ein ar­beits­recht­li­cher End­los-Pro­zess

Ein ka­tho­li­scher Arzt über­nahm im Jah­re 2000 als Chef­arzt die Lei­tung der Ab­tei­lung "In­ne­re Me­di­zin" ei­nes ka­tho­li­schen Kran­ken­hau­ses. Da­mals galt noch die o.g. Grund­ord­nung des kirch­li­chen Diens­tes im Rah­men kirch­li­cher Ar­beits­verhält­nis­se, vom 22.09.1993, zu de­ren Be­ach­tung er sich ar­beits­ver­trag­lich ver­pflich­te­te.

Im Jah­re 2006 ließ er sich nach welt­li­chem Recht schei­den und leb­te seit­dem mit ei­ner neu­en Part­ne­rin in eheähn­li­cher Ge­mein­schaft. Das wuss­te der Geschäftsführer des Ar­beit­ge­bers frühzei­tig, un­ter­nahm aber kei­nen Ver­such, den Le­bens­wan­del des Chef­arz­tes im Sin­ne der Kir­che zu be­ein­flus­sen. Im Sep­tem­ber 2008 hei­ra­te­te der Chef­arzt dann sei­ne Le­bens­gefähr­tin stan­des­amt­lich.

Zu die­sem Zeit­punkt war al­ler­dings sei­ne ers­te Ehe noch nicht nach dem Kir­chen­recht an­nul­liert wor­den. Ei­nen sol­chen An­nul­lie­rungs­an­trag hat­te der Chef­arzt zwar ge­stellt, doch war über ihn zum Zeit­punkt der zwei­ten Hei­rat noch nicht ent­schie­den. So­mit war die zwei­te Ehe kir­chen­recht­lich un­zulässig. Da­her sprach der Ar­beit­ge­ber im März 2009 ei­ne or­dent­li­che Kündi­gung zum 30.09.2009 aus.

An­de­re, nicht-ka­tho­li­sche Chefärz­te des­sel­ben Kran­ken­hau­ses hat­te der Kran­ken­haus­träger un­be­hel­ligt ge­las­sen, ob­wohl auch sie teil­wei­se in nicht­ehe­li­cher Le­bens­ge­mein­schaft leb­ten oder nach vor­he­ri­ger Schei­dung er­neut ge­hei­ra­tet hat­ten.

Der Chef­arzt wehr­te sich ge­gen die Kündi­gung mit ei­ner Kündi­gungs­schutz­kla­ge, die in al­len drei In­stan­zen Er­folg hat­te: Vor dem Ar­beits­ge­richt Düssel­dorf (Ur­teil vom 30.07.2009, 6 Ca 2377/09), vor dem Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Düssel­dorf (Ur­teil vom 01.07.2010, 5 Sa 996/09 - wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell 10/205 Zwei­te Hei­rat als Kündi­gungs­grund?) und zu­letzt auch vor dem BAG (BAG, Ur­teil vom 08.09.2011, 2 AZR 543/10 - wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 11/177 Kündi­gung ei­nes Chef­arz­tes we­gen Wie­der­ver­hei­ra­tung?).

Dann al­ler­dings hob das BVerfG das BAG-Ur­teil auf und ver­wies den Pro­zess dort­hin zurück. Be­gründung des BVerfG: Das BAG hat­te ei­ne ganz "nor­ma­le" kündi­gungs­schutz­recht­li­che In­ter­es­se­abwägung vor­ge­nom­men, nämlich zwi­schen dem Be­en­di­gungs­in­ter­es­se des Ar­beit­ge­bers und dem Fort­be­stands­in­ter­es­se des gekündig­ten (BVerfG, Be­schluss vom 22.10.2014, 2 BvR 661/12 - wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 14/388 Kündi­gung durch kirch­li­che Ar­beit­ge­ber aus sitt­lich-mo­ra­li­schen Gründen). Da­bei hat­te das BAG, so der Vor­wurf des BVerfG, die In­ter­es­sen des kirch­li­chen Ar­beit­ge­bers nicht aus­rei­chend stark ge­wich­tet bzw. es hat­te ei­ne ei­ge­ne Wert­abwägung vor­ge­nom­men und da­mit das kirch­li­che Selbst­be­stim­mungs­recht ver­letzt.

Im­mer­hin sah auch das BVerfG, dass der Kran­ken­haus­träger hier mögli­cher­wei­se ei­nen ent­schei­den­den Feh­ler ge­macht hat­te: Denn im Ar­beits­ver­trag des Chef­arz­tes wur­den das Le­ben in kirch­lich ungülti­ger Ehe und das Le­ben in ei­ner eheähn­li­chen Ge­mein­schaft als gleich schwe­re Ver­feh­lung bzw. als mögli­cher Kündi­gungs­grund ge­nannt. Da­her konn­te der Chef­arzt, so die Karls­ru­her Rich­ter, mögli­cher­wei­se dar­auf ver­trau­en, nicht we­gen ei­ner Wie­der­ver­hei­ra­tung gekündigt zu wer­den. Denn im­mer­hin hat­te die dem Ar­beit­ge­ber jah­re­lang be­kann­te eheähn­li­che Ge­mein­schaft kei­ne Sank­ti­on nach sich ge­zo­gen, so das BVerfG.

An­statt auf die­ser Grund­la­ge dem Chef­arzt er­neut, aber dies­mal mit ver­fas­sungs­recht­lich kor­rek­ter Be­gründung Recht zu ge­ben, leg­te das BAG wie erwähnt dem EuGH den Fall vor (BAG, Be­schluss vom 28.07.2016, 2 AZR 746/14 (A), wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 16/249 Kündi­gung we­gen Wie­der­ver­hei­ra­tung als Dis­kri­mi­nie­rung).

Ge­ne­ral­an­walt Wa­the­let: Die der Kündi­gung zu­grun­de­lie­gen­de Loya­litätser­war­tung des kirch­li­chen Kran­ken­haus­trägers lässt sich nicht mit Art.4 der Richt­li­nie 2000/78/EG recht­fer­ti­gen und ist da­her ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung we­gen der Re­li­gi­on

Der Ge­ne­ral­an­walt kommt mit ei­ner ziem­lich kur­zen Be­gründung zu dem Er­geb­nis, dass sich der Kran­ken­haus­träger hier nicht auf Art.4 Abs.2, 1. Halb­satz Richt­li­nie 2000/78/EG be­ru­fen konn­te und da­her im Un­recht war.

Da­bei stützt sich der Ge­ne­ral­an­walt im We­sent­li­chen auf das erst vor kur­zem er­gan­ge­ne EuGH-Ur­teil vom 17.04.2018 in Sa­chen Egen­ber­ger (C-414/16), das die Chris­ten be­vor­zu­gen­de Ein­stel­lungs­pra­xis der pro­tes­tan­ti­schen Dia­ko­nie als dis­kri­mi­nie­rend be­wer­tet (wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 18/096 Kon­fes­si­on als Vor­aus­set­zung der Ein­stel­lung?).

Auf der Grund­la­ge die­ses Ur­teils stellt der Ge­ne­ral­an­walt zunächst klar, dass von dem Chef­arzt hier die Zu­stim­mung zu ei­nem be­stimm­ten Ehe­verständ­nis der ka­tho­li­schen Kir­che ver­langt wur­de, und dass die­se spe­zi­el­le ka­tho­li­sche Ehe-Mo­ral "im vor­lie­gen­den Fall kei­ne be­ruf­li­che An­for­de­rung und erst recht kei­ne we­sent­li­che und ge­recht­fer­tig­te be­ruf­li­che An­for­de­rung dar­stellt" (Schluss­anträge, Rn.66).

Denn ei­ne sol­che An­for­de­rung steht in kei­nem Zu­sam­men­hang zu der be­ruf­li­chen bzw. ärzt­li­chen Tätig­keit als Chef­arzt, so der Ge­ne­ral­an­walt. Das wird da­durch be­legt, das noch nicht ein­mal die Zu­gehörig­keit zur ka­tho­li­schen Kir­che vom Kran­ken­haus­träger als Vor­aus­set­zung für die Be­set­zung von Chef­arzt­stel­len ver­langt wur­de, da ja an­de­re Chefärz­te des­sel­ben Kran­ken­hau­ses kon­fes­si­ons­los wa­ren oder ei­ner an­de­ren Kon­fes­si­on an­gehörten (Schluss­anträge, Rn.67). Die hier vom Kran­ken­haus ge­for­der­te Ein­stel­lung zur ka­tho­li­schen Ehe-Mo­ral hat­te we­gen ih­rer Aus­rich­tung auf das Pri­vat- und Fa­mi­li­en­le­ben kei­ner­lei Be­zug zu den ärzt­li­chen Auf­ga­ben und den Ver­wal­tungs­auf­ga­ben, die der Kläger als Chef­arzt erfüllen muss­te.

"In­so­weit ist dar­auf hin­zu­wei­sen, dass es bei Pa­ti­en­ten oder Kol­le­gen kei­ne vor­ge­fass­te Mei­nung da­hin gibt, dass der Chef­arzt der Ab­tei­lung „In­ne­re Me­di­zin“ ka­tho­lisch ist, und erst recht nicht da­hin, dass er kei­ne Ehe ein­ge­gan­gen ist, die nach der Leh­re und dem ka­no­ni­schen Recht der ka­tho­li­schen Kir­che ungültig ist. Für sie zählen viel­mehr Qua­li­fi­ka­tio­nen und sei­ne me­di­zi­ni­schen Fähig­kei­ten so­wie sei­ne Ma­nage­ment­qua­litäten. (Schluss­anträge, Rn.68)"

Vor die­sem Hin­ter­grund konn­te sich das Kran­ken­haus nicht auf Art.4 Abs.2 1. Halb­satz Richt­li­nie 2000/78/EG be­ru­fen, denn die vom Chef­arzt ge­for­der­te Ein­stel­lung zur Ehe war of­fen­sicht­lich kei­ne "we­sent­li­che, rechtmäßige und ge­recht­fer­tig­te be­ruf­li­che An­for­de­rung" im Sin­ne die­ser Vor­schrift.

Fa­zit: Wie man den Streit­fall auch dreht und wen­det, die hier strei­ti­ge Kündi­gung ist of­fen­kun­dig un­wirk­sam. Da­bei kommt es auf die jetzt vor dem EuGH dis­ku­tier­ten Grund­satz­fra­gen noch nicht ein­mal an, denn die Kündi­gung war auch auf der Grund­la­ge der al­ten Grund­ord­nung aus dem Jah­re 1993 un­verhält­nismäßig.

So hätte der Kran­ken­haus­träger z.B. ei­ne Ab­mah­nung aus­spre­chen können und/oder er hätte das Er­geb­nis der vom Chef­arzt an­ge­streng­ten An­nul­lie­rung sei­ner ers­ten Ehe ab­war­ten können. Ein mil­de­res Mit­tel wäre auch der Ent­zug der Chef­arzt­po­si­ti­on (per Ände­rungskündi­gung oder Ver­set­zung) ge­we­sen, denn dann wäre der Ver­s­toß ge­gen das Zwei­te­hen-Ver­bot kein ge­ne­rel­ler Kündi­gungs­grund mehr ge­we­sen (Schluss­anträge, Rn.69). Darüber hin­aus war die Kündi­gung we­gen wi­dersprüchli­chen Ver­hal­tens des Ar­beit­ge­bers treu­wid­rig (§ 242 Bürger­li­ches Ge­setz­buch - BGB) und auch da­her un­wirk­sam, denn Ar­beit­ge­ber hat­te die nicht­ehe­li­che Le­bens­ge­mein­schaft (und da­mit ei­nen kla­ren Ver­s­toß ge­gen die schrift­lich fest­ge­hal­te­nen Ver­trags­pflich­ten) jah­re­lang still­schwei­gend hin­ge­nom­men.

Das star­re Fest­hal­ten des Kran­ken­haus­trägers an ei­ner Kündi­gung, die von al­len mit dem Fall be­fass­ten Ge­rich­ten als un­wirk­sam oder zu­min­dest als sehr zwei­fel­haft (so das BVerfG) be­wer­tet wur­de, wird die ka­tho­li­sche Kir­che vor­aus­sicht­lich teu­er zu ste­hen kom­men. Denn wenn der EuGH, was kaum zwei­fel­haft ist, dem Ent­schei­dungs­vor­schlag sei­nes Ge­ne­ral­an­wal­tes folgt, bleibt von dem kirch­li­chen Selbst­be­stim­mungs­recht bei der Aus­ge­stal­tung des Ar­beits­rechts in ka­ri­ta­ti­ven Ein­rich­tun­gen (gemäß der bis­he­ri­gen Recht­spre­chung des BVerfG) wohl nicht viel übrig.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat der EuGH in die­ser Sa­che ent­schie­den und ist den Anträgen des Ge­ne­ral­an­walts ge­folgt. Das EuGH-Ur­teil und ei­ne kur­ze Be­wer­tung fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 2. August 2020

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