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ARBEITSRECHT AKTUELL // 09/024

Die Ver­set­zung ei­nes Pfar­rers in den War­te­stand ist als in­ner­kirch­li­che An­ge­le­gen­heit kein Akt der staat­li­chen Ge­walt

Karls­ru­he lehnt in­halt­li­che Be­fas­sung mit der War­te­stand­pra­xis der evan­ge­li­schen Kir­chen ab: Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt, Be­schluss vom 09.12.2008, 2 BvR 717/08
Gesetzestext mit darauf liegendem Holzkreuz In den War­te­stand ver­setz­te Pfar­rer kön­nen nicht vor staat­li­chen Ge­rich­ten kla­gen

19.02.2009. Evan­ge­li­sche Pfar­rer wur­den in den ver­gan­ge­nen Jah­ren oft in den sog. War­te­stand ver­setzt.

Im War­te­stand sind sie für kei­ne Kir­chen­ge­mein­de als Pfar­rer tä­tig, d.h. sie üben kei­ne seel­sor­ge­ri­sche Tä­tig­keit aus.

Dies ge­schieht auf ge­setz­li­chen Grund­la­gen, die die evan­ge­li­schen Kir­chen selbst ge­schaf­fen ha­ben.

Die­ses kir­chen­recht­li­che Ge­set­zes­recht und die dar­auf be­ru­hen­de Pra­xis der Ver­set­zung ei­nes Pfar­rers in den War­te­stand sind ei­ner Kon­trol­le durch das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt (BVerfG) ent­zo­gen: BVerfG, Be­schluss vom 09.12.2008, 2 BvR 717/08.

Können Pfar­rer im War­te­stand vor die staat­li­chen Ge­rich­te zie­hen?

Das im Be­reich der Evan­ge­li­schen Kir­che Deutsch­land (EKD) und der Ver­ei­nig­ten Evan­ge­lisch Lu­the­ri­schen Kir­che Deutsch­land (VELKD) gel­ten­de Pfar­rer­dienst­recht sieht die Möglich­keit vor, Pfar­rer bei dau­ern­den gra­vie­ren­den Kon­flik­ten in der Ge­mein­de zunächst ab­zu­be­ru­fen, so­dann in den sog. War­te­stand und später, falls der Pfar­rer kei­ne an­der­wei­ti­ge Betäti­gungsmöglich­keit auf ei­ner an­de­ren Pfarr­stel­le fin­det, in den Ru­he­stand zu ver­set­zen.

Im Ein­zel­nen sieht § 53 Abs. 3 Satz 1 Pfar­rer­dienst­ge­set­zes (PfDG) 1996 vor, dass ein Pfar­rer in den War­te­stand zu ver­set­zen ist, wenn er bin­nen ei­nes Jah­res nach sei­ner Ab­be­ru­fung nicht in ei­ner an­de­ren Pfarr­stel­le tätig wer­den kann. Ei­ne Ver­set­zung in den War­te­stand ist frühes­tens sechs Mo­na­te nach der Un­an­fecht­bar­keit der Ent­schei­dung über die Ab­be­ru­fung möglich. Da­mit erhält der Pfar­rer vor Be­ginn des War­te­stan­des die - zeit­lich be­grenz­te - Möglich­keit, sich um ei­ne an­de­re Stel­le zu bemühen. Miss­lingt dies, wird in der Re­gel die Ver­set­zung in den War­te­stand an­ge­ord­net. Sie ist mit ei­ner Re­du­zie­rung der Bezüge um et­wa 25 Pro­zent ver­bun­den.

Nach dreijähri­gem War­te­stand wird der Pfar­rer so­dann nach § 91 Abs. 1 PfDG 1996 in den Ru­he­stand ver­setzt, falls er in­ner­halb die­ser Zeit kei­ne neue Pfarr­stel­le ge­fun­den hat. Der Be­trof­fe­ne hat so­mit nach Be­ginn des War­te­stan­des wei­te­re drei Jah­re Zeit, ei­ne an­der­wei­ti­ge Ver­wen­dung zu er­rei­chen.

In den letz­ten Jah­ren wird die Ver­set­zung in den War­te­stand von Pfar­rer­ver­tre­tun­gen zu­neh­mend als un­ge­setz­lich, je­den­falls als un­ge­recht kri­ti­siert.

Zum ei­nen wird ein­ge­wandt, die In­sti­tu­ti­on des War­te­stands stam­me aus dem Dis­zi­pli­nar­recht, so dass die Ver­set­zung ei­nes Pfar­rers in den War­te­stand des­sen Ruf beschädi­ge, da all­ge­mein un­ter­stellt wer­de, er ha­be sich ei­ne gra­vie­ren­de Dienst­ver­feh­lung zu­schul­den kom­men las­sen.

Zum an­de­ren wird dar­auf hin­ge­wie­sen, dass Ab­be­ru­fun­gen und Ver­set­zun­gen in den War­te­stand zu­neh­mend häufig aus Gründen der Um­struk­tu­rie­rung bzw. Zu­sam­men­le­gung von Pfarr­stel­len vor­ge­nom­men würden. Dies wi­der­strei­te dem bis­lang gel­ten­den Prin­zip der le­bens­lan­gen An­stel­lung ei­nes Pfar­rers.

Vor die­sem Hin­ter­grund fragt sich, ob die o.g. kir­chen­recht­li­chen Vor­schrif­ten oder die auf die­sen be­ru­hen­de Pra­xis der Ver­set­zung von Pfar­rern in den War­te­stand mögli­cher­wei­se ge­gen das Grund­ge­setz (GG) ver­s­toßen. In Be­tracht kommt ei­ne Ver­let­zung des in Art. 33 Abs. 5 GG ent­hal­te­nen Ge­bo­tes, das Recht des öffent­li­chen Diens­tes un­ter Berück­sich­ti­gung der „her­ge­brach­ten Grundsätze des Be­rufs­be­am­ten­tums“ zu re­geln und fort­zu­ent­wi­ckeln. Denk­bar ist auch ei­ne Ver­let­zung des Willkürver­bots, d.h. ein Ver­s­toß ge­gen Art. 3 Abs. 3 GG.

Zu die­sen Fra­gen hat das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt (BVerfG) in ei­nem Nicht­an­nah­me­be­schluss vom 09.12.2008 Stel­lung ge­nom­men.

Der Streit­fall: Ein Pfar­rer der evan­ge­li­schen Kir­che im Rhein­land liegt jah­re­lang im Streit mit sei­ner Kir­che

Ein Pfar­rer der ev. Kir­che im Rhein­land wur­de we­gen nicht zu über­brücken­der Un­stim­mig­kei­ten mit der Ge­mein­de in den War­te­stand und später in den Ru­he­stand ver­setzt, was mit ei­ner er­heb­li­chen Her­ab­set­zung sei­ner Bezüge ver­bun­den war.

Im Ver­lauf ei­nes länger an­dau­ern­den kir­chen­ge­richt­li­chen Streits wand­te er sich ge­gen ei­nen Be­schluss der Ver­wal­tungs­kam­mer der ev. Kir­che im Rhein­land vom 07.03.2008, ein Ur­teil der Ver­wal­tungs­kam­mer der ev. Kir­che im Rhein­land vom 17.08.2007, ei­nen Wi­der­spruchs­be­scheid des Lan­des­kir­chen­am­tes vom 24.10.2006, ei­nen Wi­der­spruchs­be­scheid des Kol­le­gi­ums des Lan­des­kir­chen­am­tes vom 15.08.2006, ei­nen Be­scheid der Ge­mein­sa­men Ver­sor­gungs­kas­se für Pfar­rer und Kir­chen­be­am­te vom 08.08.2006 so­wie ei­nen Be­scheid des Lan­des­kir­chen­am­tes vom 22.06.2006.

Nach­dem die ein­ge­leg­ten kir­chen­ge­richt­li­chen Rechts­mit­tel al­le­samt kei­nen Er­folg hat­ten, er­hob der Pfar­rer Ver­fas­sungs­be­schwer­de zum BVerfG. Er rügte, dass das von den kirch­li­chen Behörden und Ge­rich­ten an­ge­wand­te Kir­chen­recht hin­sicht­lich der Ver­set­zung in den War­te­stand und später in den Ru­he­stand so­wie der Fest­set­zung des Ru­he­ge­halts ge­gen die Ver­fas­sung ver­stieße.

Karls­ru­he: Die Ver­set­zung ei­nes Pfar­rers in den War­te­stand ist ei­ne in­ner­kirch­li­che An­ge­le­gen­heit und kein Akt der staat­li­chen Ge­walt

Das BVerfG nahm die Ver­fas­sungs­be­schwer­de nicht zur Ent­schei­dung an. Die Vor­aus­set­zun­gen der An­nah­me der Ver­fas­sungs­be­schwer­de nach § 93a Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts­ge­setz (BVerfGG) wa­ren nicht erfüllt, so das BVerfG.

Ei­ne Ver­fas­sungs­be­schwer­de ist gemäß § 90 BVerfGG nur zulässig, wenn sie sich ge­gen Grund­rechts­ver­let­zun­gen durch die öffent­li­che Ge­walt rich­tet. Dar­un­ter fal­len aber nur Ak­te der Staats­ge­walt, nicht aber kirch­li­che Maßnah­men, so das BVerfG un­ter Hin­weis auf sei­ne bis­he­ri­ge ständi­ge Recht­spre­chung (vgl. BVerfG, Be­schluss vom 17.02.1965, 1 BvR 732/64).

Das GG räumt den Re­li­gi­ons­ge­mein­schaf­ten nämlich das Recht ein, ih­re An­ge­le­gen­hei­ten selbst in den Gren­zen des gel­ten­den Rechts zu ord­nen und zu ver­wal­ten. Da­her ver­lei­hen Re­li­gi­ons­ge­mein­schaf­ten seel­sor­ge­ri­sche Ämter oh­ne Mit­wir­kung des Staa­tes auf der Grund­la­ge von Art.140 GG in Verb. mit Art.137 Abs.1 und Abs.3 Wei­ma­rer Reichs­ver­fas­sung (WRV). Der Staat er­kennt mit die­sen Vor­schrif­ten die Re­li­gi­ons­ge­mein­schaf­ten als In­sti­tu­tio­nen mit dem Recht der Selbst­be­stim­mung an. Sie sei­en ih­rem We­sen nach un­abhängig vom Staat und lei­te­ten ih­re Ge­walt nicht vom Staat ab.

Da­her be­steht nach der Recht­spre­chung des BVerfG kei­ne „Kir­chen­ho­heit“ des Staa­tes. Nur dann, wenn die Kir­chen ei­ne vom Staat ver­lie­he­ne Be­fug­nis ausüben oder wenn ih­re Maßnah­men den ih­nen zu­ge­wie­se­nen Be­reich über­schrei­ten und da­her in den staat­li­chen Be­reich hin­ein­rei­chen, üben die Kir­chen auch staat­li­che Ge­walt aus. In sol­chen Fällen ist ih­re Selbst­be­stim­mung be­schränkt.

Die Ver­set­zung des Be­schwer­deführers in den War­te­stand so­wie später den Ru­he­stand und die da­mit ein­her­ge­hen­de Ein­kom­mens­min­de­rung gehört dem­zu­fol­ge nicht zu dem Be­reich, in dem der Staat den Kir­chen staat­li­che Auf­ga­ben über­tra­gen hat. Es han­delt sich viel­mehr um rein in­ner­kirch­li­che Strei­tig­keit. Die Aus­ge­stal­tung des Dienst- und Amts­rechts von Pfar­rern un­ter­liegt al­lein dem Selbst­be­stim­mungs­recht der Kir­chen, so das BVerfG.

Ob­wohl das BVerfG so­mit die Zulässig­keit der Ver­fas­sungs­be­schwer­de ver­neint, führt es ergänzend aus, dass ei­ne Ver­fas­sungs­be­schwer­de auch un­be­gründet wäre. Denn es liegt, so das BVerfG, we­der ein Ver­s­toß ge­gen Art.33 Abs. 5 GG noch ei­ne Ver­let­zung des Willkürver­bots (Art.3 Abs.1 GG) vor. Das Kir­chen­recht lässt dem be­trof­fe­nen Pfar­rer nach An­sicht des Ge­richts während der Dau­er ei­ner Ab­be­ru­fung und ei­nes War­te­stan­des aus­rei­chend Zeit, sich ei­ne neue Betäti­gungsmöglich­keit zu su­chen. Außer­dem wa­ren die Ab­be­ru­fung und die Ver­set­zung in den War­te­stand und ei­nen späte­ren Ru­he­stand hier im Streit­fall kei­ne willkürli­chen Maßnah­men, son­dern be­ruh­ten auf sach­li­chen Erwägun­gen.

Fa­zit: Die Be­den­ken, die ge­gen die kir­chen­ge­setz­li­chen Rechts­grund­la­gen und die Pra­xis der Ver­set­zung in den War­te­stand ge­rich­tet sind, las­sen sich zwar nicht ver­fas­sungs­recht­lich un­ter­mau­ern, da hier rein in­ner­kirch­li­che Fra­gen berührt sind. Das heißt aber nicht, dass hier kein Re­form­be­darf bestünde. Es bleibt zu hof­fen, dass die Kir­chen­lei­tun­gen den Be­schluss des BVerfG vom 09.12.2008 nicht als Bestäti­gung ih­rer bis­he­ri­gen War­te­stand­pra­xis (miss-)in­ter­pre­tie­ren.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen zu die­sem Vor­gang fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 12. April 2015

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