HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

BFH, Be­schluss vom 23.08.2007, VI B 42/07

   
Schlagworte: Pendlerpauschale, Entfernungspauschale, Einkommensteuer
   
Gericht: Bundesfinanzhof
Aktenzeichen: VI B 42/07
Typ: Beschluss
Entscheidungsdatum: 23.08.2007
   
Leitsätze:

1. Es ist ernstlich zweifelhaft, ob das ab 2007 geltende Abzugsverbot des § 9 Abs. 2 EStG betreffend Aufwendungen für Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte verfassungsgemäß ist.

2. Ein Beitritt des Bundesministeriums der Finanzen zu einem vor dem Bundesfinanzhof anhängigen Beschwerdeverfahren ist jedenfalls dann unzulässig, wenn es sich um eine Sache wegen Aussetzung der Vollziehung handelt.

Vorinstanzen: Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 02.03.2007, 7 V 21/07
   

Bun­des­fi­nanz­hof, Be­schluss vom 23.08.2007 VI B 42/07

 

Gründe
I.

I. Die An­trag­stel­ler und Be­schwer­de­geg­ner (An­trag­stel­ler) sind Ehe­leu­te und an un­ter­schied­li­chen Or­ten nicht­selbständig tätig. Mit ih­rem An­trag auf Lohn­steu­er-Ermäßigung für das Jahr 2007 be­an­trag­ten sie, Auf­wen­dun­gen des Ehe­man­nes für die We­ge zwi­schen Woh­nung und Ar­beitsstätte (Ent­fer­nungs­pau­scha­le) als Frei­be­trag auf der Lohn­steu­er­kar­te ein­zu­tra­gen, wo­bei sie die vol­le Ent­fer­nung von 61 km an­setz­ten. Der An­trags­geg­ner und Be­schwer­deführer (das Fi­nanz­amt --FA--) er­mit­tel­te den Frei­be­trag ent­spre­chend der ab 2007 geänder­ten Ge­set­zes­la­ge nach der um 20 km gekürz­ten Ent­fer­nung. Ge­gen den in­so­weit ab­leh­nen­den Be­scheid über die Lohn­steu­er-Ermäßigung 2007 leg­ten die An­trag­stel­ler er­folg­los Ein­spruch ein. Ih­ren An­trag, im We­ge der Aus­set­zung der Voll­zie­hung (AdV) den be­an­trag­ten Frei­be­trag vorläufig in vol­ler Höhe ein­zu­tra­gen, lehn­te das FA ab.

Das Fi­nanz­ge­richt (FG) gab dem dar­auf­hin bei ihm ge­stell­ten An­trag auf AdV statt und ließ die Be­schwer­de zu. Es bestünden ernst­li­che Zwei­fel, ob § 9 Abs. 2 des Ein­kom­men­steu­er­ge­set­zes (EStG) in der Fas­sung des Steu­erände­rungs­ge­set­zes 2007 vom 19. Ju­li 2006 (BGBl I S. 1652, BSt­Bl I S. 432) ver­fas­sungs­gemäß sei, so­weit die Vor­schrift den steu­er­li­chen Ab­zug der Fahrt­kos­ten zwi­schen Woh­nung und Ar­beitsstätte für die ers­ten 20 km aus­sch­ließe. Nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts (BVerfG) sei der vorläufi­ge Rechts­schutz zwar aus­nahms­wei­se dann ein­zu­schränken, wenn die Ge­mein­wohl­be­lan­ge des Staa­tes (et­wa durch dro­hen­de staat­li­che Haus­halts­not­la­ge) berührt sei­en. An­halts­punk­te hierfür sei­en im Streit­fall je­doch nicht er­kenn­bar. Der Aus­set­zungs­be­schluss des FG ist in Ent­schei­dun­gen der Fi­nanz­ge­rich­te (EFG) 2007, 773 veröffent­licht.

Mit sei­ner Be­schwer­de bringt das FA vor, die Rechtmäßig­keit des an­ge­foch­te­nen Be­scheids sei nicht ernst­lich zwei­fel­haft, da die Neu­re­ge­lung des § 9 Abs. 2 EStG nicht ge­gen das Grund­ge­setz (GG) ver­s­toße. Auch bei Vor­lie­gen ernst­li­cher Zwei­fel käme die AdV

- 2 -

nicht in Be­tracht, weil dann das öffent­li­che In­ter­es­se an ei­ner ge­ord­ne­ten Haus­haltsführung höher zu be­wer­ten wäre als das In­ter­es­se der An­trag­stel­ler an der Gewährung vorläufi­gen Rechts­schut­zes.

Das FA be­an­tragt, die Vor­ent­schei­dung auf­zu­he­ben und den An­trag auf AdV ab­zu­leh­nen.

Die An­trag­stel­ler be­an­tra­gen, die Be­schwer­de zurück­zu­wei­sen.

Das Bun­des­mi­nis­te­ri­um der Fi­nan­zen (BMF) ist dem Ver­fah­ren so­gleich un­ter Hin­weis auf § 122 Abs. 2 der Fi­nanz­ge­richts­ord­nung (FGO) bei­ge­tre­ten. Der Bei­tritt des BMF sei auch in Be­schwer­de­ver­fah­ren zulässig und könne we­gen der even­tu­el­len Brei­ten­wir­kung ei­ner Be­schwer­de­ent­schei­dung des Bun­des­fi­nanz­hofs (BFH) zweckmäßig sein. Im Streit­fall lägen ernst­li­che Zwei­fel im Sin­ne der Vor­schrif­ten über die AdV nicht vor, da die Neu­re­ge­lung des § 9 Abs. 2 EStG mit dem Über­gang zum "Werkstor­prin­zip" nicht ver­fas­sungs­wid­rig sei. Selbst wenn ernst­li­che Zwei­fel zu be­ja­hen wären, könn­te AdV nicht gewährt wer­den, weil dies ei­ne ge­ord­ne­te Haus­haltsführung gefähr­den würde.

Die An­trag­stel­ler hal­ten den Bei­tritt des BMF zum Be­schwer­de­ver­fah­ren für un­zulässig.

II.

II. Der Bei­tritt des BMF zu dem Be­schwer­de­ver­fah­ren war ab­zu­leh­nen.

1. Be­tei­lig­ter an ei­nem Re­vi­si­ons­ver­fah­ren vor dem BFH ist gemäß § 122 Abs. 1 FGO, wer be­reits am vor­an­ge­gan­ge­nen Kla­ge­ver­fah­ren --als Kläger, Be­klag­ter oder Bei­ge­la­de­ner-- be­tei­ligt war. Nach § 122 Abs. 2 FGO kann das BMF die Stel­lung ei­nes am Re­vi­si­ons­ver­fah­ren Be­tei­lig­ten da­durch er­lan­gen, dass es die­sem Ver­fah­ren bei­tritt. Ein Bei­tritt des BMF zu ei­nem Be­schwer­de­ver­fah­ren in ei­ner Aus­set­zungs­sa­che ist nach dem Wort­laut der Vor­schrift und ih­rer Stel­lung im Ge­setz nicht vor­ge­se­hen. Auch Sinn und Zweck des § 122 Abs. 2 FGO er­for­dern in ei­ner Pro­zess­la­ge wie der vor­lie­gen­den ei­nen Bei­tritt des BMF nicht. Die Re­ge­lung soll es dem BMF ermögli­chen, sich je­der­zeit in ein anhängi­ges Ver­fah­ren über ei­ne Re­vi­si­on ein­zu­schal­ten und ent­schei­dungs­er­heb­li­che recht­li­che Ge­sichts­punk­te gel­tend zu ma­chen (BFH-Be­schluss vom 25. Ju­ni 1984 GrS 4/82, BFHE 141, 405, BSt­Bl II 1984, 751, un­ter B. III.) so­wie zur sach­ge­rech­ten Ent­schei­dung in ein Ver­fah­ren Ma­te­ri­al ein­zuführen, das sonst nicht oder nur schwer zugäng­lich wäre (BFH-Ur­teil vom 2. Ju­ni 1992 VII R 35/90, BFH/NV 1993, 46). Es kann da­hin­ge­stellt blei­ben, ob die­se Erwägun­gen für an­de­re Be­schwer­de­ver­fah­ren Gültig­keit be­an­spru­chen können. Sie grei­fen je­den­falls nicht ein, wenn es wie im Streit­fall um ei­ne Be­schwer­de ge­gen ei­nen Be­schluss des FG geht, der ei­ne AdV zum Ge­gen­stand hat. Denn hier­bei han­delt es sich um ein Ver­fah­ren des vorläufi­gen

- 3 -

Rechts­schut­zes, das --ins­be­son­de­re bei der vorläufi­gen Ein­tra­gung ei­nes Frei­be­trags auf der Lohn­steu­er­kar­te-- ein Eil­ver­fah­ren ist und in der Re­gel nur die Be­wer­tung er­for­dert, ob an der Rechtmäßig­keit des an­ge­foch­te­nen Ver­wal­tungs­akts ernst­li­che Zwei­fel be­ste­hen (§ 69 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 FGO). Hierfür be­darf es der Be­tei­li­gung des BMF nicht. Für ei­ne ent­spre­chen­de An­wen­dung der Vor­schrif­ten über die Re­vi­si­on und da­mit des § 122 Abs. 2 FGO be­steht vor die­sem Hin­ter­grund kein An­lass.

2. Der BFH hat al­ler­dings in der Ver­gan­gen­heit mehr­fach in Be­schwer­de­ver­fah­ren ent­schie­den, zu de­nen das BMF sei­nen Bei­tritt erklärt hat­te (z.B. Be­schlüsse vom 10. Fe­bru­ar 1984 III B 40/83, BFHE 140, 396, BSt­Bl II 1984, 454; vom 14. April 1987 GrS 2/85, BFHE 149, 493, BSt­Bl II 1987, 637; vom 23. Ju­ni 1993 X B 134/91, BFHE 172, 9, BSt­Bl II 1994, 38; vom 3. Ju­li 1995 GrS 3/93, BFHE 178, 11, BSt­Bl II 1995, 730). In den ge­nann­ten Fällen hat der BFH je­doch we­der das BMF for­mell zum Bei­tritt auf­ge­for­dert noch ei­ne Ent­schei­dung zur Zulässig­keit des Bei­tritts ge­trof­fen, son­dern die­sen je­weils nur fak­tisch hin­ge­nom­men. Dar­an ändert auch nichts die Äußerung in dem Be­schluss in BFHE 172, 9, BSt­Bl II 1994, 38, das BMF sei dem (Be­schwer­de-)Ver­fah­ren "gemäß § 122 Abs. 2 FGO bei­ge­tre­ten". Da bis­her kei­ne Ent­schei­dun­gen zu der vor­be­zeich­ne­ten Rechts­fra­ge vor­lie­gen, ist der be­sch­ließen­de Se­nat nicht nach § 11 Abs. 2 FGO we­gen Di­ver­genz zur Vor­la­ge an den Großen Se­nat ver­pflich­tet (vgl. Gräber/Ru­ban, Fi­nanz­ge­richts­ord­nung, 6. Aufl., § 11 Rz 11).

3. Die Ab­leh­nung des un­zulässi­gen Bei­tritts er­for­dert im vor­lie­gen­den Fall kei­ne Zwi­schen­ent­schei­dung (vgl. bezüglich des Bei­tritts zum Re­vi­si­ons­ver­fah­ren Gräber/Ru­ban, a.a.O., § 122 Rz 4), son­dern er­folgt im Be­schwer­de­ver­fah­ren durch Be­schluss.

III. Die Be­schwer­de ist un­be­gründet; sie war da­her --oh­ne Präju­diz für die Haupt­sa­che-- zurück­zu­wei­sen (§ 132 FGO). Das FG hat zu Recht im We­ge der AdV das FA ver­pflich­tet, den be­an­trag­ten Frei­be­trag auf der Lohn­steu­er­kar­te des An­trag­stel­lers ein­zu­tra­gen.

1. Zu den Beträgen, die im Lohn­steu­er-Ermäßigungs­ver­fah­ren als Frei­be­trag auf der Lohn­steu­er­kar­te ein­ge­tra­gen wer­den können, gehören gemäß § 39a Abs. 1 Nr. 1 EStG Wer­bungs­kos­ten, die bei den Einkünf­ten aus nicht­selbständi­ger Ar­beit an­fal­len, so­weit sie den Ar­beit­neh­mer-Pausch­be­trag über­stei­gen. Da nach § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG in der ab 2007 gel­ten­den Fas­sung --im Ge­gen­satz zu der bis da­hin be­ste­hen­den Ge­set­zes­la­ge-- die Auf­wen­dun­gen des Ar­beit­neh­mers für die We­ge zwi­schen Woh­nung und Ar­beitsstätte grundsätz­lich kei­ne Wer­bungs­kos­ten sind und erst ab dem 21. Ki­lo­me­ter der Ent­fer­nung "wie Wer­bungs­kos­ten" be­han­delt wer­den, lie­gen die ge­setz­li­chen Vor­aus­set­zun­gen für die Ein­tra­gung der nach der vol­len Ent­fer­nung be­rech­ne­ten Fahrt­auf­wen­dun­gen auf der Lohn­steu­er­kar­te des An­trag­stel­lers nicht vor.

2. Lehnt das FA die Ein­tra­gung ei­nes Frei­be­trags auf der Lohn­steu­er­kar­te ganz oder teil­wei­se ab, so han­delt es sich da­bei um ei­nen voll­zieh­ba­ren Ver­wal­tungs­akt, ge­gen den vorläufi­ger

- 4 -

Rechts­schutz durch AdV in Be­tracht kommt (z.B. BFH-Be­schluss vom 29. April 1992 VI B 152/91, BFHE 167, 152, BSt­Bl II 1992, 752). Auf An­trag soll die Aus­set­zung er­fol­gen, wenn ernst­li­che Zwei­fel an der Rechtmäßig­keit des an­ge­foch­te­nen Ver­wal­tungs­akts be­ste­hen (§ 361 Abs. 2 Satz 2 der Ab­ga­ben­ord­nung --AO--, § 69 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 FGO). Das ist nach ständi­ger Recht­spre­chung des BFH dann der Fall, wenn bei ei­ner sum­ma­ri­schen Prüfung ne­ben für die Rechtmäßig­keit des Ver­wal­tungs­akts spre­chen­den Umständen ge­wich­ti­ge ge­gen die Rechtmäßig­keit spre­chen­de Gründe zu­ta­ge tre­ten, die (ab­ge­se­hen von un­kla­ren Tat­fra­gen) Un­si­cher­heit in der Be­ur­tei­lung der ent­schei­dungs­er­heb­li­chen Rechts­fra­ge be­wir­ken. Die AdV setzt nicht vor­aus, dass die für die Rechts­wid­rig­keit spre­chen­den Gründe über­wie­gen; es genügt, dass der Er­folg des Rechts­be­helfs eben­so we­nig aus­zu­sch­ließen ist wie sein Miss­er­folg (Seer in Tip­ke/Kru­se, Ab­ga­ben­ord­nung, Fi­nanz­ge­richts­ord­nung, § 69 FGO Rz 89, m.w.N.). Ist die Rechts­la­ge nicht ein­deu­tig, so ist im Re­gel­fall die Voll­zie­hung aus­zu­set­zen. Das gilt auch dann, wenn ernst­li­che Zwei­fel dar­an be­ste­hen, ob die maßgeb­li­che ge­setz­li­che Re­ge­lung ver­fas­sungs­gemäß ist (BFH-Be­schluss vom 3. Fe­bru­ar 2005 I B 208/04, BFHE 209, 204, BSt­Bl II 2005, 351, m.w.N.). An die Zwei­fel hin­sicht­lich der Ver­fas­sungsmäßig­keit sind kei­ne stren­ge­ren An­for­de­run­gen zu stel­len als beim Ein­wand feh­ler­haf­ter Rechts­an­wen­dung (BFH-Be­schluss in BFHE 140, 396, BSt­Bl II 1984, 454).

3. Im Streit­fall ist das FG zu­tref­fend von ernst­li­chen Zwei­feln an der Ver­fas­sungsmäßig­keit des § 9 Abs. 2 EStG n.F. aus­ge­gan­gen, der die Grund­la­ge des an­ge­foch­te­nen Be­scheids bil­det. Die­se Zwei­fel sind au­gen­schein­lich, da die Fra­ge in der Li­te­ra­tur, wie vom FG in sei­nem Be­schluss wie­der­ge­ge­ben, kon­tro­vers dis­ku­tiert wird (vgl. außer­dem z.B. v. Born­haupt, in: Kirch­hof/Söhn/Mel­ling­hoff, EStG, § 9 Rz F 40 ff.; Tip­ke, Be­triebs-Be­ra­ter --BB-- 2007, 1525; Mi­cker, Deut­sches Steu­er­recht --DStR-- 2007, 1145 und Werns­mann, DStR 2007, 1149) und in der Recht­spre­chung zu un­ter­schied­li­chen Ent­schei­dun­gen geführt hat. Das Nie­dersäch­si­sche FG (Be­schluss vom 27. Fe­bru­ar 2007 8 K 549/06, EFG 2007, 690) so­wie das FG des Saar­lan­des (Be­schluss vom 22. März 2007 2 K 2442/06, EFG 2007, 853) ha­ben in mit dem Streit­fall ver­gleich­ba­ren Kla­ge­ver­fah­ren § 9 Abs. 2 EStG n.F. als ver­fas­sungs­wid­rig an­ge­se­hen und nach Art. 100 Abs. 1 GG die Fra­ge dem BVerfG zur Ent­schei­dung vor­ge­legt (Ak­ten­zei­chen des BVerfG 2 BvL 1/07 und 2 BvL 2/07). Da­ge­gen ha­ben --eben­falls in Ver­fah­ren der Lohn­steu­er-Ermäßigung-- das FG Ba­den-Würt­tem­berg (Ur­teil vom 7. März 2007 13 K 283/06), das FG Meck­len­burg-Vor­pom­mern (Ur­teil vom 23. Mai 2007 1 K 497/06) und das FG Köln (Be­schluss vom 29. März 2007 10 K 274/07, EFG 2007, 1090) die Neu­re­ge­lung der "Pend­ler­pau­scha­le" als mit dem GG ver­ein­bar be­ur­teilt. Die­se Ver­fah­ren ha­ben zu Re­vi­sio­nen (VI R 17/07 und VI R 27/07) und ei­ner Be­schwer­de (VI B 57/07) geführt, die bei dem be­sch­ließen­den Se­nat anhängig sind. Da im Schrift­tum be­acht­li­che Be­den­ken ge­gen die Ver­fas­sungsmäßig­keit der Neu­re­ge­lung er­ho­ben wer­den, ein­an­der wi­der­spre­chen­de Ent­schei­dun­gen der Fi­nanz­ge­rich­te vor­lie­gen und die Streit­fra­ge höchst­rich­ter­li­cher Klärung be­darf, ist be­reits des­halb das Vor­lie­gen von ver­fas­sungs­recht­li­chen Zwei­feln als

- 5 -

Vor­aus­set­zung der AdV zu be­ja­hen.

4. Der An­spruch der An­trag­stel­ler auf ef­fek­ti­ven Rechts­schutz tritt nicht hin­ter das öffent­li­che In­ter­es­se an ei­ner ge­ord­ne­ten öffent­li­chen Haus­halts­wirt­schaft zurück.

a) Im Fal­le von ernst­li­chen Zwei­feln hin­sicht­lich der Ver­fas­sungsmäßig­keit der dem an­ge­foch­te­nen Ver­wal­tungs­akt zu­grun­de lie­gen­den Ge­set­zes­vor­schrift ist nach langjähri­ger Recht­spre­chung des BFH we­gen des Gel­tungs­an­spruchs je­des ver­fas­sungsmäßig zu­stan­de ge­kom­me­nen Ge­set­zes zusätz­lich ein (be­son­de­res) be­rech­tig­tes In­ter­es­se des An­trag­stel­lers an der Gewährung vorläufi­gen Rechts­schut­zes als er­for­der­lich an­ge­se­hen wor­den. Da­nach ist ei­ne In­ter­es­sen­abwägung zwi­schen der ei­ner AdV ent­ge­gen­ste­hen­den kon­kre­ten Gefähr­dung der öffent­li­chen Haus­haltsführung und den für ei­ne AdV spre­chen­den in­di­vi­du­el­len In­ter­es­sen des Steu­er­pflich­ti­gen ge­bo­ten (z.B. BFH-Be­schlüsse vom 20. Ju­li 1990 III B 144/89, BFHE 162, 542, BSt­Bl II 1991, 104; vom 6. No­vem­ber 2001 II B 85/01, BFH/NV 2002, 508; vom 11. Ju­ni 2003 IX B 16/03, BFHE 202, 53, BSt­Bl II 2003, 663, m.w.N.). Die­se vom BVerfG bestätig­te (Be­schluss vom 3. April 1992 2 BvR 283/92, Höchst­rich­ter­li­che Fi­nanz­recht­spre­chung 1992, 726) und im Schrift­tum über­wie­gend kri­ti­sier­te (s. BFH-Be­schluss in BFHE 202, 53, BSt­Bl II 2003, 663) Recht­spre­chung ist al­ler­dings in jünge­rer Zeit da­hin­ge­hend mo­di­fi­ziert wor­den, dass die staat­li­chen Haus­halts­in­ter­es­sen in der Abwägung we­ni­ger stark berück­sich­tigt wer­den (vgl. Seer in Tip­ke/Kru­se, a.a.O., § 69 FGO Rz 96; Klein/Brock­mey­er, Ab­ga­ben­ord­nung, 8. Aufl., § 361 Rz 14).

b) Der Se­nat lässt of­fen, ob er sich der vor­ge­nann­ten Recht­spre­chung an­sch­ließen könn­te, die ein be­son­de­res In­ter­es­se an der AdV als er­for­der­lich an­sieht. Denn je­den­falls steht im Streit­fall dem Aus­set­zungs­in­ter­es­se der An­trag­stel­ler --ent­ge­gen der Auf­fas­sung des FA-- ein über­wie­gen­des öffent­li­ches In­ter­es­se, ins­be­son­de­re das In­ter­es­se an ei­ner ge­ord­ne­ten Haus­haltsführung, nicht ent­ge­gen. Es ist of­fen­sicht­lich, dass die Kos­ten der We­ge zwi­schen Woh­nung und Ar­beitsstätte, um de­ren (vorläufi­ge) steu­er­li­che An­er­ken­nung ge­strit­ten wird, je­den­falls nach bis­he­ri­gem Verständ­nis für den An­trag­stel­ler be­ruf­lich ver­an­lasst sind. Sie sind zur Er­werbs­si­che­rung un­ver­meid­lich, denn "wenn der Er­wer­ben­de sich nicht zu sei­ner Ar­beits­stel­le be­gibt, so ver­dient er auch nichts" (aus ei­ner Ent­schei­dung des Preußischen Ober­ver­wal­tungs­ge­richts, zi­tiert nach Tip­ke, BB 2007, 1525,
1529). Das in­so­fern na­he lie­gen­de Aus­set­zungs­in­ter­es­se der An­trag­stel­ler wird da­durch verstärkt, dass das BVerfG, falls es im Sin­ne der oben ge­nann­ten Vor­la­ge­be­schlüsse ent­schei­den soll­te, nach sei­ner bis­he­ri­gen Pra­xis mögli­cher­wei­se nicht die Nich­tig­keit des § 9 Abs. 2 EStG n.F. fest­stel­len, son­dern die Vor­schrift le­dig­lich als grund­ge­setz­wid­rig an­se­hen und dem Ge­setz­ge­ber mit geräum­i­ger Frist ei­ne Ände­rung für die Zu­kunft auf­ge­ben könn­te. Um dem­ge­genüber den Rechts­schutz­an­spruch des An­trag­stel­lers zurück­tre­ten zu las­sen, müss­te das --in der Ge­set­zes­be­gründung zu § 9 Abs. 2 EStG n.F. ge­nann­te-- Ziel der Kon­so­li­die­rung der öffent­li­chen Haus­hal­te auf an­de­re Wei­se als durch Be­las­tung al­lein ei­ner Grup­pe von Steu­er­pflich­ti­gen nicht

- 6 -

zu er­rei­chen sein. Hierfür lie­gen dem Se­nat je­doch für die Prüfung im sum­ma­ri­schen Ver­fah­ren kei­ne Er­kennt­nis­se vor. Der Hin­weis des FA auf die Größen­ord­nung der mit der Neu­re­ge­lung ver­bun­de­nen Steu­er­mehr­ein­nah­men ist nicht ge­eig­net, das öffent­li­che In­ter­es­se als vor­ran­gig zu be­ur­tei­len. Denn ab­ge­se­hen da­von, dass sich die Ein­nah­me­si­tua­ti­on der öffent­li­chen Hand auf­grund der güns­ti­gen wirt­schaft­li­chen Ent­wick­lung --ge­richts­be­kannt-- der­zeit als po­si­tiv dar­stellt, würde der Haus­halts­vor­be­halt je­den (le­gis­la­ti­ven) Ver­fas­sungs­ver­s­toß mit genügen­der fi­nan­zi­el­ler Brei­ten­wir­kung sank­tio­nie­ren. Das wäre ein "rechts­staat­lich un­erträgli­ches Er­geb­nis" (so Seer in Tip­ke/Kru­se, a.a.O., § 69 FGO Rz 97), da im Er­geb­nis da­mit der in­di­vi­du­el­le Rechts­schutz auf der Stre­cke blei­ben würde. Im Übri­gen wer­den durch die Gewährung der AdV Ri­si­ken für die öffent­li­che Haus­halts­wirt­schaft, die mit der Ver­pla­nung bzw. Ver­aus­ga­bung mögli­cher­wei­se ver­fas­sungs­wid­ri­ger Steu­ern ver­bun­den sind, ge­ra­de ver­mie­den (Seer, Steu­er und Wirt­schaft 2001, 3, 17 f., m.w.N.).

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 


zur Übersicht VI B 42/07