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HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

BAG, Ur­teil vom 20.06.2013, 6 AZR 789/11

   
Schlagworte: Insolvenz, Änderungskündigung, Arbeitsvertrag, Lohn und Gehalt
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 6 AZR 789/11
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 20.06.2013
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Mönchengladbach, Urteil vom 13.07.2011, 6 Ca 1302/11
Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 21.09.2011, 12 Sa 964/11
   

BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT

6 AZR 789/11
12 Sa 964/11
Lan­des­ar­beits­ge­richt
Düssel­dorf

 

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am

20. Ju­ni 2013

UR­TEIL

Gaßmann, Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Kläger, Be­ru­fungskläger und Re­vi­si­onskläger,

pp.

Be­klag­te, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

hat der Sechs­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 20. Ju­ni 2013 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Fi­scher­mei­er, die Rich­te­rin­nen am Bun­des­ar­beits­ge­richt
 


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Gall­ner und Spel­ge so­wie den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Oye und die eh­ren­amt­li­che Rich­te­rin Jer­chel für Recht er­kannt:

1. Die Re­vi­si­on des Klägers ge­gen das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Düssel­dorf vom 21. Sep­tem­ber 2011 - 12 Sa 964/11 - wird zurück­ge­wie­sen.


2. Der Kläger hat die Kos­ten der Re­vi­si­on zu tra­gen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten über die Höhe des pfänd­ba­ren Ar­beits­ein­kom­mens ei­nes bei der Be­klag­ten beschäftig­ten In­sol­venz­schuld­ners.


Die Be­klag­te be­treibt in M den Gaststätten- und Ho­tel­be­trieb „K“ so­wie in A die Dis­ko­thek „E“ und das da­ne­ben lie­gen­de Lo­kal „T“. Die Geschäftsführe­rin der Be­klag­ten ist die Ehe­frau des Schuld­ners.


Die­ser schloss un­ter dem 30. Mai 2006 mit der Be­klag­ten ei­nen schrift­li­chen Ar­beits­ver­trag, wo­nach er ab dem 1. Ju­ni 2006 als „Führungs­kraft zur Über­wa­chung der Be­trie­be Dis­ko­thek und Bis­tro in A, Re­stau­rant und Ho­tel in M“ bei ei­ner mo­nat­li­chen Ar­beits­zeit „ent­spre­chend den be­trieb­li­chen Er­for­der­nis­sen zwi­schen 169 und 199 St­un­den“ zu ei­nem Brut­to­mo­nats­ent­gelt von 3.000,00 Eu­ro ein­ge­stellt wur­de.


Mit Be­schluss des Amts­ge­richts M vom 1. Ok­to­ber 2007 (- 45 IK 188/07 -) wur­de an die­sem Tag das In­sol­venz­ver­fah­ren über das Vermögen des Schuld­ners eröff­net und der Kläger zum Treuhänder gem. § 313 In­sO er­nannt. Der Schuld­ner hat Rest­schuld­be­frei­ung be­an­tragt.

Mit Schrei­ben vom 31. Ju­li 2010 kündig­te die Be­klag­te das Ar­beits­verhält­nis des Schuld­ners aus drin­gen­den be­trieb­li­chen Gründen zum 30. Sep­tem­ber 2010 und bot ihm zu­gleich die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses zu fol­gen­den Be­din­gun­gen an:
 


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„1. Das Ge­halt beträgt ab 1.10.2010 brut­to 2.100,00 € mo­nat­lich.
2. Die Ar­beits­zeit ab 1.10.2010 beträgt 120 St­un­den mo­nat­lich.
3. Die Öff­nungs­zei­ten des Lo­kals T blei­ben be­schränkt auf die Wo­chen­ta­ge Frei­tag und Sams­tag und vor ei­nem Fei­er­tag.
4. Im Übri­gen gel­ten die Be­stim­mun­gen des An­stel­lungs­ver­tra­ges fort.“


Der Schuld­ner nahm die­ses An­ge­bot am 31. Ju­li 2010 vor­be­halt­los und oh­ne vor­he­ri­ge Zu­stim­mung des Klägers an. Ent­spre­chend re­du­zier­te sich sein Ge­halt ab dem 1. Ok­to­ber 2010 auf 2.100,00 Eu­ro brut­to.


Un­ter Berück­sich­ti­gung be­ste­hen­der Un­ter­halts­ver­pflich­tun­gen hat die Be­klag­te aus­ge­hend von dem ursprüng­lich ver­ein­bar­ten Brut­to­mo­nats­ein­kom­men des Schuld­ners von 3.000,00 Eu­ro bis Sep­tem­ber 2010 mo­nat­lich 263,01 Eu­ro als pfänd­ba­res Ar­beits­ein­kom­men an den Kläger aus­ge­zahlt. Ab dem 1. Ok­to­ber 2010 zahl­te die Be­klag­te nur noch das auf der Ba­sis von 2.100,00 Eu­ro brut­to er­rech­ne­te pfänd­ba­re Ar­beits­ein­kom­men von 87,01 Eu­ro mo­nat­lich an den Kläger aus.

Mit sei­ner Kla­ge ver­langt der Kläger für die Zeit von Ok­to­ber 2010 bis März 2011 die Dif­fe­renz zwi­schen den mo­nat­li­chen Pfändungs­beträgen in Höhe von ins­ge­samt 1.056,00 Eu­ro.


Der Kläger meint, die Ände­rung des Ar­beits­ver­trags sei nach § 81 In­sO un­wirk­sam. Der Schuld­ner sei schon nicht zum Emp­fang der Ände­rungskündi­gung be­rech­tigt ge­we­sen. Zu­dem sei die Erklärung der An­nah­me der geänder­ten Ver­trags­be­din­gun­gen durch den Schuld­ner oh­ne sei­ne (des Klägers) Zu­stim­mung nicht wirk­sam. Der Schuld­ner dürfe nicht durch ei­ne Ver­tragsände­rung zum Nach­teil der Gläubi­ger über das künf­tig pfänd­ba­re Ar­beits­ein­kom­men verfügen. Es ha­be auch kein hin­rei­chen­der Grund für die Ver­tragsände­rung be­stan­den.
 


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Der Kläger hat zu­letzt be­an­tragt, 


die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an den Kläger 1.056,00 Eu­ro nebst Zin­sen in Höhe von fünf Pro­zent­punk­ten über dem je­wei­li­gen Ba­sis­zins­satz seit dem 12. Mai 2011 zu zah­len.


Die Be­klag­te hat zur Be­gründung ih­res An­trags auf Kla­ge­ab­wei­sung die Auf­fas­sung ver­tre­ten, dass der Schuld­ner frei über sei­ne Ar­beits­kraft verfügen könne. Die Ände­rung des Ar­beits­ver­trags sei zu­dem zur Ab­wen­dung der ei­ge­nen In­sol­venz er­for­der­lich ge­we­sen. Die Er­trags­la­ge ha­be sich ne­ga­tiv ent­wi­ckelt. Die An­pas­sung der Ar­beits­zeit des Schuld­ners an die verkürz­ten Öff­nungs­zei­ten des „T“ sei er­for­der­lich ge­we­sen. Außer­dem sei die Zahl der Beschäftig­ten und das Ge­halt der Geschäftsführe­rin re­du­ziert wor­den.


Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die Be­ru­fung des Klägers zurück­ge­wie­sen und die Re­vi­si­on zu­ge­las­sen. Mit der Re­vi­si­on ver­folgt der Kläger sein Be­geh­ren wei­ter.


Ent­schei­dungs­gründe

Die Re­vi­si­on ist un­be­gründet. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die Be­ru­fung des Klägers zu Recht zurück­ge­wie­sen. Die Kla­ge ist un­be­gründet.


Der Schuld­ner hat­te auf der Grund­la­ge des am 31. Ju­li 2010 geänder­ten Ar­beits­ver­trags im streit­ge­genständ­li­chen Zeit­raum ei­nen Vergütungs­an­spruch in Höhe von 2.100,00 Eu­ro brut­to mo­nat­lich, was bei Berück­sich­ti­gung sei­ner Un­ter­halts­pflich­ten un­strei­tig zu ei­nem pfänd­ba­ren Ar­beits­ein­kom­men von 87,01 Eu­ro mo­nat­lich führ­te (§§ 850 ff. ZPO). Die Be­klag­te hat die­ses an den Kläger als Treuhänder gem. § 287 Abs. 2 Satz 1 In­sO ab­ge­tre­te­ne pfänd­ba­re Ein­kom­men an den Kläger aus­ge­zahlt. Ein höhe­rer Zah­lungs­an­spruch zu­guns­ten der In­sol­venz­mas­se steht dem Kläger nicht zu. Die zu ei­ner Ent­gelt­re­du­zie­rung führen­de Ände­rung des Ar­beits­ver­trags am 31. Ju­li 2010 ist nicht gem. § 81 Abs. 1 Satz 1 In­sO un­wirk­sam. Der Schuld­ner kann auch nach Eröff­nung des Ver­brau­cher­insol­venz­ver­fah­rens über den In­halt sei­nes Ar­beits­ver­trags oh­ne Zu­stim­mung des Treuhänders verfügen. We­der § 97 Abs. 2 In­sO
 


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noch § 295 Abs. 1 Nr. 1 In­sO ste­hen dem ent­ge­gen. Ein rechts­miss­bräuch­li­ches Ver­hal­ten der Ar­beits­ver­trags­par­tei­en ist im vor­lie­gen­den Fall nicht er­kenn­bar. Dem Kläger kann da­her ein An­spruch auf Zah­lung ei­nes fik­tiv erhöhten pfänd­ba­ren Ar­beits­ein­kom­mens we­der aus ab­ge­tre­te­nem Recht als An­nah­me­ver­zugs­an­spruch gem. § 615 Satz 1 BGB noch als Scha­dens­er­satz­an­spruch zu­ste­hen. Die Ver­schleie­rung von Ar­beits­ein­kom­men be­haup­tet der Kläger nicht.


I. Die Ar­beits­kraft des Schuld­ners und des­sen Ar­beits­verhält­nis als sol­ches gehören nicht zur In­sol­venz­mas­se und un­ter­fal­len da­her nicht dem Verfügungs­ver­bot des § 81 Abs. 1 Satz 1 In­sO.


1. § 81 Abs. 1 Satz 1 In­sO be­stimmt, dass Verfügun­gen des Schuld­ners über ei­nen Ge­gen­stand der In­sol­venz­mas­se nach Eröff­nung des In­sol­venz­ver­fah­rens un­wirk­sam sind. § 81 In­sO zieht da­mit die Kon­se­quenz aus dem in § 80 Abs. 1 In­sO an­ge­ord­ne­ten Ver­lust der Verfügungs­be­fug­nis des Schuld­ners (Kay­ser in HK-In­sO 6. Aufl. § 81 Rn. 1). Die Vor­schrift dient dem Schutz der In­sol­venzgläubi­ger ge­gen ei­ne Mas­se­min­de­rung durch Verfügun­gen des In­sol­venz­schuld­ners (vgl. Ries/Rook in Haar­mey­er/Wutz­ke/Förs­ter In­sO 2. Aufl. § 81 Rn. 5; Ner­lich/Römer­mann/Witt­kow­ski/Kruth In­sO Stand Au­gust 2012 § 81 Rn. 2). Gem. § 81 Abs. 2 Satz 1 In­sO gilt § 81 Abs. 1 In­sO für ei­ne Verfügung über künf­ti­ge For­de­run­gen auf Bezüge aus ei­nem Dienst­verhält­nis des Schuld­ners oder an de­ren Stel­le tre­ten­de lau­fen­de Bezüge auch in­so­weit, als die Bezüge für die Zeit nach der Be­en­di­gung des In­sol­venz­ver­fah­rens be­trof­fen sind.

2. Zwar fällt das pfänd­ba­re Ar­beits­ein­kom­men in die In­sol­venz­mas­se, nicht aber die Ar­beits­kraft des Schuld­ners oder des­sen Ar­beits­verhält­nis als sol­ches.


a) Die ge­genständ­li­che Zu­ord­nung zur In­sol­venz­mas­se er­folgt an­hand der Re­ge­lun­gen der §§ 35, 36 In­sO. Das In­sol­venz­ver­fah­ren er­fasst das ge­sam­te Vermögen, das dem Schuld­ner zur Zeit der Eröff­nung des Ver­fah­rens gehört und das er während des Ver­fah­rens er­langt, § 35 Abs. 1 In­sO. Ein­schränkend


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be­stimmt § 36 Abs. 1 Satz 1 In­sO, dass Ge­genstände, die nicht der Zwangs­voll­stre­ckung un­ter­lie­gen, nicht zur In­sol­venz­mas­se gehören. Die Norm will den Schuld­ner vor dem Ver­lust sämt­li­cher Vermögens­ge­genstände schützen und ihm ei­nen un­an­tast­ba­ren Be­reich persönli­cher und le­bens­not­wen­di­ger Güter be­wah­ren (BGH 11. Mai 2006 - IX ZR 42/05 - Rn. 16, BGHZ 167, 352).


Bezüglich Ar­beits­ein­kom­men gel­ten nach § 36 Abs. 1 Satz 2 In­sO die §§ 850, 850a, 850c, 850e, 850f Abs. 1, §§ 850g bis 850k, 851c und 851d ZPO ent­spre­chend. § 36 Abs. 1 Satz 2 In­sO gilt gem. § 292 Abs. 1 Satz 3 In­sO ent­spre­chend, wenn ein Schuld­ner die Rest­schuld­be­frei­ung be­an­tragt und sei­ne pfänd­ba­ren For­de­run­gen auf Bezüge aus ei­nem Dienst­verhält­nis gem. § 287 Abs. 2 Satz 1 In­sO an den Treuhänder ab­ge­tre­ten hat. Da­mit kom­men die so­zi­al­po­li­ti­schen Erwägun­gen, durch wel­che die Pfändungs­schutz­be­stim­mun­gen der Zi­vil­pro­zess­ord­nung mo­ti­viert sind, auch im In­sol­venz­ver­fah­ren zur Gel­tung. Zu­dem wird die Pfänd­bar­keit für be­stimm­te Gläubi­ger und Gläubi­ger­grup­pen mo­di­fi­ziert (vgl. BAG 21. Fe­bru­ar 2013 - 6 AZR 553/11 - Rn. 56). Zur In­sol­venz­mas­se gehört nach die­sen Vor­ga­ben das pfänd­ba­re Ar­beits­ein­kom­men ein­sch­ließlich des ver­schlei­er­ten Ein­kom­mens iSv. § 850h Abs. 2 ZPO (BAG 16. Mai 2013 - 6 AZR 556/11 - Rn. 40 mwN).


b) Die Ar­beits­kraft des Schuld­ners als sol­che ist aber nicht Teil der In­sol­venz­mas­se.


aa) Nicht zur Mas­se gehören Rech­te, die kei­ne Vermögens­rech­te sind. Hier­un­ter fal­len Persönlich­keits­rech­te und höchst­persönli­che Rechts­be­zie­hun­gen (Eick­mann in HK-In­sO 6. Aufl. § 35 Rn. 31). Die Ar­beits­kraft des Schuld­ners ist Aus­druck der ei­ge­nen Persönlich­keit, al­so kein Vermögens­ob­jekt, und fällt da­mit nicht in die In­sol­venz­mas­se (vgl. BAG 5. Fe­bru­ar 2009 - 6 AZR 110/08 - Rn. 19, BA­GE 129, 257; BGH 18. De­zem­ber 2008 - IX ZB 249/07 - Rn. 11; 26. Ju­ni 2008 - IX ZR 144/05 - Rn. 29; BFH 8. Sep­tem­ber 2011 - V R 38/10 - Rn. 20, BFHE 235, 488; 24. Fe­bru­ar 2011 - VI R 21/10 - Rn. 11, BFHE 232, 318; Graf-Schli­cker/Kexel in Graf-Schli­cker In­sO 3. Aufl. § 35 Rn. 8; Hamb­Komm/Lüdt­ke In­sO 4. Aufl. § 35 Rn. 36; Henckel in Ja­e­ger In­sO § 35 Rn. 19; Uh­len­bruck/Hir­te 13. Aufl. § 35 In­sO Rn. 16; Eick­mann in HK-In­sO § 35
 


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Rn. 31; Rein­fel­der NZA 2009, 124, 125 f.). Der Schuld­ner kann zur Auf­nah­me ei­ner Er­werbstätig­keit nicht ge­zwun­gen wer­den (vgl. BGH 11. Mai 2006 - IX ZR 247/03 - Rn. 16, BGHZ 167, 363). Der In­sol­venz­ver­wal­ter bzw. Treuhänder hat kei­ne Möglich­keit, die Tätig­keit des Schuld­ners zu be­ein­flus­sen (vgl. BFH 8. Sep­tem­ber 2011 - V R 38/10 - aaO).


bb) Dass die Ar­beits­kraft nicht dem In­sol­venz­be­schlag un­ter­liegt, folgt auch aus § 36 Abs. 1 Satz 1 In­sO iVm. § 888 Abs. 3 ZPO. Der In­sol­venz­mas­se wird nur das zu­ge­wie­sen, wo­mit der Schuld­ner für sei­ne Schul­den haf­tet, dh. was Zu­griffs­ob­jekt in der Zwangs­voll­stre­ckung sein kann. Dies wird durch die Re­ge­lung in § 36 Abs. 1 Satz 1 In­sO deut­lich (vgl. Uh­len­bruck/Hir­te 13. Aufl. § 35 In­sO Rn. 13). Die Er­brin­gung von Ar­beits­leis­tung kann gem. § 888 Abs. 3 ZPO nicht mit Zwangs­mit­teln durch­ge­setzt wer­den. Das Voll­stre­ckungs­ver­bot in § 888 Abs. 3 ZPO dient dem Schutz der Men­schenwürde (vgl. BAG 5. Fe­bru­ar 2009 - 6 AZR 110/08 - Rn. 12, BA­GE 129, 257). Zu Recht hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt da­her un­ter Hin­weis auf die Ent­schei­dung des Reichs­ge­richts vom 26. Ja­nu­ar 1909 (- VII 146/08 - zu III der Gründe, RGZ 70, 226) aus­geführt, dass die An­nah­me, die Ar­beits­kraft fal­le in die In­sol­venz­mas­se, „zu ei­ner Art mo­der­ner Schuld­knecht­schaft“ führen würde.


c) Ist die Ar­beits­kraft des Schuld­ners nicht Teil der In­sol­venz­mas­se, so gilt dies auch für das Ar­beits­verhält­nis als sol­ches.


aa) Der Ab­schluss ei­nes Ar­beits­ver­trags ver­pflich­tet grundsätz­lich zur persönli­chen Er­brin­gung der ge­schul­de­ten Ar­beits­leis­tung (§§ 611, 613 Satz 1 BGB). Da der Schuld­ner über sei­ne Ar­beits­kraft frei verfügen kann, bleibt ihm auch die ent­spre­chen­de Verfügungs­be­fug­nis bzgl. ver­trag­li­cher Be­zie­hun­gen, die sei­ne Ar­beits­kraft be­tref­fen. Das Ar­beits­verhält­nis als sol­ches ist da­mit in Be­zug auf die Hand­lungsmöglich­kei­ten des Schuld­ners vom In­sol­venz­ver­fah­ren nicht be­trof­fen. Al­lein der Schuld­ner ist be­rech­tigt, es zu kündi­gen, ei­nen Auf­he­bungs­ver­trag zu schließen oder es in sei­nem In­halt zu verändern (vgl. Zwan­zi­ger Kom­men­tar zum Ar­beits­recht der In­sol­venz­ord­nung 4. Aufl. Einführung Rn. 258; Schaub/Linck ArbR-Hdb. 14. Aufl. § 93 Rn. 68). Es ob­liegt al­lein der Ent­schei­dung des Schuld­ners, ob und un­ter wel­chen Kon­di­tio­nen er die In­sol-



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venz­mas­se durch das Ent­ste­hen­las­sen von ver­trag­li­chen Ent­gelt­ansprüchen mehrt (vgl. Mohn NZA-RR 2008, 617, 622; Rein­fel­der NZA 2009, 124, 126).


bb) Da­mit kor­re­spon­diert, dass - ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Klägers - ei­ne Ar­beit­ge­berkündi­gung zu ih­rer Wirk­sam­keit auch im eröff­ne­ten In­sol­venz-ver­fah­ren dem Schuld­ner als Ar­beit­neh­mer zu­zu­ge­hen hat (vgl. Schaub/Linck ArbR-Hdb. 14. Aufl. § 93 Rn. 68; Rein­fel­der NZA 2009, 124, 126) und auch nur die­ser ei­ne Kündi­gungs­schutz­kla­ge er­he­ben kann. Das Kla­ge­recht nach § 4 KSchG ist höchst­persönli­cher Na­tur (vgl. ErfK/Kiel 13. Aufl. § 4 KSchG Rn. 17; KR/Fried­rich 10. Aufl. § 4 KSchG Rn. 74; Linck in vHH/L KSchG 15. Aufl. § 4 Rn. 61; Mohn NZA-RR 2008, 617, 621; zur Führung ei­ner Be­fris­tungs­kon­troll-kla­ge durch die Er­ben vgl. BAG 18. Ja­nu­ar 2012 - 7 AZR 112/08 - Rn. 14). Die Ent­schei­dung über ei­ne Kla­ge­er­he­bung und die Pro­zessführungs­be­fug­nis ver­bleibt beim Schuld­ner. Die mit­tel­ba­re Wir­kung auf die In­sol­venz­mas­se ist da­bei hin­zu­neh­men. An­dern­falls könn­te das Recht des Schuld­ners, über sei­ne Ar­beits­kraft selbst zu verfügen, durch den Treuhänder ein­ge­schränkt wer­den (Rein­fel­der NZA 2009, 124, 127).


In­fol­ge des feh­len­den Mas­se­be­zugs des Ar­beits­verhält­nis­ses in der In­sol­venz des Ar­beit­neh­mers wird ein Kündi­gungs­rechts­streit bei Eröff­nung des In­sol­venz­ver­fah­rens auch nicht nach § 240 ZPO un­ter­bro­chen (vgl. BAG 5. No­vem­ber 2009 - 2 AZR 609/08 - Rn. 10).


II. § 97 Abs. 2 In­sO schränkt die Dis­po­si­ti­ons­be­fug­nis des Schuld­ners bzgl. ei­nes ihn be­tref­fen­den Ar­beits­verhält­nis­ses nicht ein.


1. Nach § 97 Abs. 2 In­sO hat der Schuld­ner den Ver­wal­ter bei der Erfüllung von des­sen Auf­ga­ben zu un­terstützen. Der Wort­laut verhält sich nicht zu Art und Um­fang der Un­terstützung. Er be­zieht sich auch nicht auf die In­sol­venz­mas­se. Ei­ne Ar­beits­pflicht zu­guns­ten der Mas­se bzw. ei­ne Ein­schränkung der ar­beits­ver­trag­li­chen Dis­po­si­ti­ons­be­fug­nis des Schuld­ners kann dem Wort­laut nicht ent­nom­men wer­den. Dies gilt auch bei Berück­sich­ti­gung des Um­stands, dass die Vor­schrift auf die Un­terstützung des In­sol­venz­ver­wal­ters
 


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ge­rich­tet ist und die Meh­rung der Mas­se zu des­sen primären Auf­ga­ben gehört (vgl. BGH 21. März 2013 - III ZR 260/11 - Rn. 47).


2. Es ist auch nicht er­kenn­bar, dass der Ge­setz­ge­ber den Schuld­ner zum Ein­satz sei­ner Ar­beits­kraft zu­guns­ten der Mas­se durch Ein­ge­hung oder Auf­recht­er­hal­tung ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses zwin­gen woll­te. Nach dem Wil­len des Ge­setz­ge­bers soll viel­mehr ei­ne Zu­sam­men­ar­beit des Schuld­ners mit dem In­sol­venz­ver­wal­ter, bei­spiels­wei­se bei der Ver­wer­tung von im Aus­land be­find­li­chen Vermögens­ge­genständen, er­reicht wer­den (vgl. BT-Drucks. 12/2443 S. 142 zu § 110). Die Un­terstützung be­zieht sich dem­nach auf die Ab­ga­be von Wil­lens­erklärun­gen, die Ver­schaf­fung von Zu­gang zu Vermögens­ge­genständen oder die Mit­tei­lung von Wis­sen zur Durch­set­zung von Ansprüchen. Ge­ge­be­nen­falls kann auch ei­ne nach Zeit- und Ar­beits­auf­wand zu­mut­ba­re Un­terstützungstätig­keit für den In­sol­venz­ver­wal­ter ver­langt wer­den (vgl. Schil­ken in Ja­e­ger In­sO § 97 Rn. 28; Uh­len­bruck/Uh­len­bruck 13. Aufl. § 97 In­sO Rn. 16; Kay­ser in HK-In­sO 6. Aufl. § 97 Rn. 25). Hier­aus folgt aber kei­ne Pflicht des Schuld­ners zum wertschöpfen­den Ein­satz sei­ner Ar­beits­kraft für die Mas­se (vgl. Run­kel FS Uh­len­bruck S. 315, 331; Schmer­bach in Haar­mey­er/Wutz­ke/Förs­ter In­sO 2. Aufl. § 97 Rn. 37; Ner­lich/Römer­mann/Witt­kow­ski/Kruth In­sO Stand Au­gust 2012 § 97 Rn. 16; Braun/Kroth In­sO 4. Aufl. § 97 Rn. 11; LSZ-Smid/Leon­hardt In­sO 3. Aufl. § 35 Rn. 10).


III. Auch § 295 Abs. 1 Nr. 1 In­sO be­wirkt kei­ne Ein­schränkung der Be­fug­nis­se des Schuld­ners. Die Vor­schrift be­stimmt ei­ne Er­werbs­ob­lie­gen­heit in der sog. Wohl­ver­hal­tens­pe­ri­ode, aber kei­ne Ar­beits­pflicht des Schuld­ners. Geht der Schuld­ner in die­ser Zeit kei­ner an­ge­mes­se­nen Er­werbstätig­keit nach, kann ihm al­ler­dings die Rest­schuld­be­frei­ung ver­sagt wer­den.


1. Nach § 295 Abs. 1 Nr. 1 In­sO ob­liegt es dem Schuld­ner, während der Lauf­zeit der Ab­tre­tungs­erklärung ei­ne an­ge­mes­se­ne Er­werbstätig­keit aus­zuüben und, wenn er oh­ne Beschäfti­gung ist, sich um ei­ne sol­che zu bemühen und kei­ne zu­mut­ba­re Tätig­keit ab­zu­leh­nen. Als ei­ne der zen­tra­len Re­ge­lun­gen der Rest­schuld­be­frei­ung legt § 295 In­sO die Ob­lie­gen­hei­ten des Schuld­ners fest, die die­ser während der Dau­er der Wohl­ver­hal­tens­pe­ri­ode zu be­ach­ten hat.
 


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Der Schuld­ner soll sich nach Kräften bemühen, sei­ne Gläubi­ger während die­ses Zeit­raums so weit wie möglich zu be­frie­di­gen, um an­sch­ließend endgültig von sei­nen rest­li­chen Schul­den be­freit zu wer­den (BT-Drucks. 12/2443 S. 192 zu § 244).


Die Ob­lie­gen­hei­ten nach § 295 In­sO tref­fen den Schuld­ner nicht schon während des eröff­ne­ten In­sol­venz­ver­fah­rens, son­dern erst ab Auf­he­bung des In­sol­venz­ver­fah­rens und Ankündi­gung der Rest­schuld­be­frei­ung (vgl. BGH 14. Ja­nu­ar 2010 - IX ZB 78/09 - Rn. 9; 18. De­zem­ber 2008 - IX ZB 249/07 - Rn. 8 ff.). Das In­sol­venz­ge­richt ver­sagt die Rest­schuld­be­frei­ung auf An­trag ei­nes In­sol­venzgläubi­gers, wenn der Schuld­ner während der Lauf­zeit der Ab­tre­tungs­erklärung ei­ne sei­ner Ob­lie­gen­hei­ten nach § 295 In­sO ver­letzt und da­durch die Be­frie­di­gung der In­sol­venzgläubi­ger be­ein­träch­tigt; dies gilt nicht, wenn den Schuld­ner kein Ver­schul­den trifft (§ 296 Abs. 1 Satz 1 In­sO).

2. Durch die Be­schränkung auf ei­ne Er­werbs­ob­lie­gen­heit zeigt sich, dass der Schuld­ner grundsätz­lich au­to­nom über den Ein­satz sei­ner Ar­beits­kraft ent­schei­den und über den Be­stand und In­halt ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses frei verfügen kann. So­gar ei­ne gänz­li­che Ar­beits­un­wil­lig­keit des Schuld­ners kann le­dig­lich zur Ver­sa­gung der Rest­schuld­be­frei­ung führen.


IV. Der Schuld­ner kann so­mit in je­der Pha­se des In­sol­venz­ver­fah­rens über die Ein­ge­hung und den In­halt ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses grundsätz­lich frei dis­po­nie­ren. Es be­darf da­her auch im vor­lie­gen­den Fall kei­ner Prüfung, ob ge­wich­ti­ge Gründe für ei­ne Ände­rung des Ar­beits­ver­trags be­stan­den oder die aus­ge­spro­che­ne Ände­rungskündi­gung so­zi­al ge­recht­fer­tigt ge­we­sen wäre. An­halts­punk­te für ein rechts­miss­bräuch­li­ches Ver­hal­ten der Ar­beits­ver­trags­par­tei­en oder für den Ab­schluss ei­nes Schein­geschäfts lie­gen nicht vor. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat dies vor dem Hin­ter­grund wirt­schaft­li­cher Schwie­rig­kei­ten der Be­klag­ten ver­neint und dar­auf hin­ge­wie­sen, dass die Ent­gelt­re­du­zie­rung der ver­rin­ger­ten Ar­beits­zeit ent­spricht. Dies ist nicht zu be­an­stan­den. Die Re­vi­si­on er­hebt in­so­weit auch kei­ne Rügen.
 


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V. Der Kläger hat auch kei­nen An­spruch auf Zah­lung ei­ner pfänd­ba­ren fik­ti­ven Vergütung we­gen ver­schlei­er­ten Ar­beits­ein­kom­mens iSv. § 850h Abs. 2 ZPO (vgl. hier­zu BAG 16. Mai 2013 - 6 AZR 556/11 - Rn. 40 mwN; 12. März 2008 - 10 AZR 148/07 - Rn. 18, BA­GE 126, 137). Er be­haup­tet nicht, der Schuld­ner ar­bei­te ge­gen ei­ne un­verhält­nismäßig ge­rin­ge Vergütung für die Be­klag­te. Ins­be­son­de­re macht der Kläger nicht gel­tend, bei her­ab­ge­setz­ter Vergütung ar­bei­te der Schuld­ner un­verändert zwi­schen 169 bis 199 St­un­den mo­nat­lich.

VI. Der Kläger hat die Kos­ten der er­folg­lo­sen Re­vi­si­on zu tra­gen, § 97 Abs. 1 ZPO.

Fi­scher­mei­er 

Gall­ner 

Spel­ge

Oye 

Jer­chel

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