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HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

LAG Saar­land, Ur­teil vom 17.11.2010, 1 Sa 23/10

   
Schlagworte: Diskriminierung: Behinderung, AGG
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Saarland
Aktenzeichen: 1 Sa 23/10
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 17.11.2010
   
Leitsätze: Zu den Auswirkungen der Entscheidung des europäischen Gerichtshofes vom 8. Juli 2009 (C-246/09 - Bulicke) auf die Anwendung der Zweimonatsfrist zur Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen (§ 15 Absatz 4 AGG). (Rn.33)
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Saarbrücken, Urteil vom 05.02.2010, 63 Ca 3/09
   

- 1 Sa 23/10 -
(63 Ca 3/09 ArbG Saarbrücken)
Verkündet
am 17. No­vem­ber 2010

gez. Cha­rous­set
Jus­tiz­beschäftig­te als
Ur­kunds­be­am­tin der
Geschäfts­stel­le

 

LAN­DES­AR­BEITS­GERICHT SAAR­LAND

UR­TEIL

Im Na­men des Vol­kes!

In dem Rechts­streit

des Herrn G.,

- Kläger und Be­ru­fungskläger -

Pro­zess­be­vollmäch­tig­te:

ge­gen

das Land S.,

- be­klag­tes Land und be­ru­fungs­be­klag­tes Land -

Pro­zess­be­vollmäch­tig­te:

hat die Ers­te Kam­mer des Lan­des­ar­beits­ge­richts Saar­land auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 17. No­vem­ber 2010 durch den Präsi­den­ten des Lan­des­ar­beits­ge­richts Dier und die eh­ren­amt­li­chen Rich­te­rin­nen Buch­mann und Fel­lin­ger

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für Recht er­kannt:

1.
Die Be­ru­fung des Klägers ge­gen das am 5. Fe­bru­ar 2010 verkünde­te Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Saarbrücken (63 Ca 3/09) wird zurück­ge­wie­sen.

2.
Der Kläger trägt die Kos­ten des Be­ru­fungs­ver­fah­rens.

3.
Die Re­vi­si­on wird zu­ge­las­sen.

 

Tat­be­stand

Der Kläger macht ge­gen das be­klag­te Land Scha­dens­er­satz­ansprüche be­zie­hungs­wei­se Entschädi­gungs­ansprüche gel­tend, weil das be­klag­te Land ei­ne Be­wer­bung des Klägers auf ei­ne aus­ge­schrie­be­ne Stel­le nicht berück­sich­tigt, son­dern die Stel­le an­der­wei­tig ver­ge­ben hat.

Das be­klag­te Land schrieb Mit­te des Jah­res 2008 zwei Stel­len für Lehr­kräfte an der Jus­tiz­voll­zugs­an­stalt in O. aus. Bei der Jus­tiz­voll­zugs­an­stalt O. han­delt es sich um ei­ne An­stalt für den Voll­zug der Un­ter­su­chungs­haft und der Straf­haft von männ­li­chen Ju­gend­li­chen und Her­an­wach­sen­den. Die ein­zu­stel­len­den Lehr­kräfte soll­ten primär für die Er­tei­lung von Un­ter­richt zur Vor­be­rei­tung der Ge­fan­ge­nen auf den Er­werb des Haupt­schul­ab­schlus­ses ein­ge­setzt wer­den. Die De­tails der Aus­schrei­bung ergäben sich aus dem über die Bun­des­agen­tur für Ar­beit ver­brei­te­ten Stel­len­an­ge­bot (Blatt 4 und 5 der Ak­ten). Auf die­se Stel­len be­warb sich auch der 1950 ge­bo­re­ne Kläger. Der Kläger ist als schwer­be­hin­der­ter Mensch an­er­kannt.

Mit ei­nem Schrei­ben vom 29. Au­gust 2008 (Blatt 6 der Ak­ten) teil­te das be­klag­te Land dem Kläger mit, dass die Aus­wahl­kom­mis­si­on ei­ner an­de­ren Be­wer­bung den Vor­zug ge­ge­ben ha­be. Die­ses Schrei­ben hat der Kläger am 2. Sep­tem­ber 2008 er­hal­ten. Mit ei-

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nem Schrei­ben vom 30. Ok­to­ber 2008 (Blatt 14 der Ak­ten) teil­te der Kläger dem be­klag­ten Land fol­gen­des mit:

"Sehr ge­ehr­te Da­men und Her­ren,
bezüglich der o.a. Stel­le mel­de ich Scha­dens­er­satz­ansprüche / Entschädi­gungs­leis­tun­gen we­gen Be­nach­tei­lung bei der Ein­stel­lung an, da Sie mich als Schwer­be­hin­der­ten nicht zu ei­nem Vor­stel­lungs­gespräch ein­ge­la­den ha­ben. Ich bit­te, bis zum 14.11.2007 Kon­takt mit mir auf­zu­neh­men.
Mit freund­li­chen Grüßen"

Die­ses Schrei­ben ging am 4. No­vem­ber 2008 bei dem be­klag­ten Land ein. Mit ei­nem Schrei­ben vom 19. No­vem­ber 2008 (Blatt 8 der Ak­ten) er­wi­der­te das be­klag­te Land dar­auf, dass das Schrei­ben des Klägers un­ter Berück­sich­ti­gung von § 15 Ab­satz 4 AGG ver­fris­tet ein­ge­gan­gen sei.

Dar­auf­hin reich­te der Kläger mit ei­nem am 13. Ja­nu­ar 2009 bei dem Ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­ge­nen Schrift­satz (Blatt 1 bis 3 der Ak­ten) Kla­ge ein. In der Kla­ge­schrift ver­tritt der Kläger die Auf­fas­sung, er ha­be sei­ne Ansprüche auf Scha­dens­er­satz be­zie­hungs­wei­se Entschädi­gung nicht ver­fris­tet gel­tend ge­macht. Das gel­te selbst dann, wenn sein Schrei­ben nicht in­ner­halb von zwei Mo­na­ten nach Er­halt des ab­leh­nen­den Schrei­bens des be­klag­ten Lan­des bei dem be­klag­ten Land ein­ge­gan­gen sein soll­te, denn nach § 15 Ab­satz 4 Halb­satz 2 AGG könn­ten die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en ei­ne an­de­re Frist ver­ein­ba­ren. Das sei hier ge­sche­hen, denn das be­klag­te Land be­zie­he sich in sei­ner Stel­len­aus­schrei­bung auf den Ta­rif­ver­trag für den öffent­li­chen Dienst der Länder (TV-L), nach dem ei­ne Frist von sechs Mo­na­ten gel­te. Er, der Kläger, sei auch Mit­glied ei­ner Ge­werk­schaft. Ab­ge­se­hen da­von könne er die gel­tend ge­mach­ten Ansprüche auch auf § 15 Ab­satz 5 AGG stützen, denn ei­ne Be­nach­tei­li­gung we­gen ei­ner Be­hin­de­rung stel­le im­mer auch ei­ne Ver­let­zung des All­ge­mei­nen Persönlich­keits­rechts dar.

Das be­klag­te Land, so hat der Kläger in ers­ter In­stanz wei­ter aus­geführt, ha­be die nach den §§ 81 und 82 des Neun­ten Bu­ches des So­zi­al­ge­setz­bu­ches be­ste­hen­den Pflich­ten nicht erfüllt. Ers­tens ha­be das be­klag­te Land die Bun­des­agen­tur für Ar­beit nicht frühzei­tig von den frei wer­den­den Stel­len be­nach­rich­tigt. Zwei­tens sei die Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung des be­klag­ten Lan­des nicht über sei­ne Be­wer­bung in­for­miert wor­den. Drit­tens sei er nicht zu ei­nem Vor­stel­lungs­gespräch ein­ge­la­den wor­den. Die­se

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Tat­bestände recht­fer­tig­ten be­reits je­der für sich die Ver­mu­tung ei­ner Be­nach­tei­li­gung nach dem All­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­setz. Und darüber hin­aus ha­be ihm das be­klag­te Land ent­ge­gen der Re­ge­lung in § 81 Ab­satz 1 Satz 9 des Neun­ten Bu­ches des So­zi­al­ge­setz­bu­ches auch kei­ne Gründe für die Ab­leh­nung sei­ner Be­wer­bung mit­ge­teilt. Auch des­we­gen sei ei­ne Be­nach­tei­li­gung we­gen sei­ner Be­hin­de­rung zu ver­mu­ten. Ihm ste­he da­her ge­gen das be­klag­te Land ein An­spruch auf Scha­dens­er­satz be­zie­hungs­wei­se auf Entschädi­gung zu. Der Höhe nach wer­de der An­spruch in das Er­mes­sen des Ge­richts ge­stellt. Der von dem be­klag­ten Land zu zah­len­de Be­trag sol­le aber nicht un­ter zwei Mo­nats­gehältern der Stu­fe 2 der Ent­gelt­grup­pe 13 des Ta­rif­ver­tra­ges für den öffent­li­chen Dienst, die sich auf zu­sam­men 6.450 be­lie­fen, lie­gen.

Der Kläger hat in ers­ter In­stanz be­an­tragt,

das be­klag­te Land zu ver­ur­tei­len, ihm Scha­dens­er­satz be­zie­hungs­wei­se Entschädi­gung nach Er­mes­sen des Ge­richts nebst 5 Pro­zent Zin­sen seit Rechtshängig­keit zu zah­len.

Das be­klag­te Land hat in ers­ter In­stanz be­an­tragt,

die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Das be­klag­te Land hat dar­auf ver­wie­sen, dass der von dem Kläger gel­tend ge­mach­te An­spruch nach § 15 Ab­satz 4 AGG ver­fris­tet sei. Das Schrei­ben des Klägers vom 30. Ok­to­ber 2008 sei nicht in­ner­halb von zwei Mo­na­ten, nach­dem dem Kläger der ab­leh­nen­de Be­scheid zu­ge­gan­gen sei, ein­ge­gan­gen. Ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Klägers er­ge­be sich aus dem Ta­rif­ver­trag für den öffent­li­chen Dienst der Länder nichts an­de­res. Die dort ge­re­gel­te Aus­schluss­frist gel­te nicht für Per­so­nen, die sich um die Ein­stel­lung in ein Beschäfti­gungs­verhält­nis bewürben. Die­se Aus­schluss­frist gel­te erst dann, wenn ein Beschäfti­gungs­verhält­nis be­gründet wor­den sei.

Un­abhängig da­von sei der An­spruch des Klägers aber auch nicht be­gründet. Nach § 82 Satz 3 des Neun­ten Bu­ches des So­zi­al­ge­setz­bu­ches sei die Ein­la­dung ei­nes Schwer­be­hin­der­ten zu ei­nem Vor­stel­lungs­gespräch ent­behr­lich, wenn des­sen fach­li­che Eig­nung

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für die Stel­le of­fen­sicht­lich feh­le. Das sei hier der Fall ge­we­sen. Der Kläger ha­be zwar im Jah­re 1979 die Zwei­te Staats­prüfung für das Lehr­amt an Grund- und Haupt­schu­len ab­ge­legt. Er ha­be je­doch seit­dem an kei­ner Schu­le un­ter­rich­tet, er sei viel­mehr seit die­sem Zeit­punkt aus­sch­ließlich in der Er­wach­se­nen­bil­dung tätig ge­we­sen. Über die nach der Stel­len­aus­schrei­bung gewünsch­te son­derpädago­gi­sche Zu­satz­aus­bil­dung oder Er­fah­rung in der Ar­beit mit ver­hal­tens­auffälli­gen Ju­gend­li­chen verfüge der Kläger nicht. Sol­che Qua­li­fi­ka­tio­nen hätten hin­ge­gen die schließlich ein­ge­stell­ten Be­wer­be­rin­nen ge­habt. Die­se sei­en zu­vor in ähn­li­chen Funk­tio­nen über meh­re­re Jah­re hin­weg für Dritt­ein­rich­tun­gen in den saarländi­schen Jus­tiz­voll­zugs­an­stal­ten pädago­gisch tätig ge­we­sen.

Dem hielt der Kläger - im An­schluss an um­fang­rei­che recht­li­che Ausführun­gen zu der Fra­ge ei­ner et­wai­gen Ver­fris­tung der Gel­tend­ma­chung von Ansprüchen so­wie zu den in Be­tracht kom­men­den Tat­beständen, die nach sei­ner Auf­fas­sung die Ver­mu­tung ei­ner Be­nach­tei­li­gung we­gen sei­ner Be­hin­de­rung recht­fer­tig­ten - in ei­nem von ihm selbst ver­fass­ten Schrift­satz vom 17. April 2009 (Blatt 20 bis 25 der Ak­ten) un­ter an­de­rem ent­ge­gen, dass er aus­ge­bil­de­ter Leh­rer für Grund- und Haupt­schu­len sei. Er ha­be auch In­te­gra­ti­ons­kur­se des Bun­des­am­tes für Mi­gra­ti­on und Flücht­lin­ge durch­geführt. Die­se Tätig­keit und an­de­re von ihm in der Ver­gan­gen­heit durch­geführ­te Tätig­kei­ten hätten An­lass sein müssen, ihn zu ei­nem Vor­stel­lungs­gespräch ein­zu­la­den, denn be­kannt­lich sei der An­teil der jun­gen Ge­fan­ge­nen mit Mi­gra­ti­ons­hin­ter­grund sehr hoch. Darüber hin­aus könne er we­gen sei­nes Stu­di­ums der Ausländerpädago­gik und we­gen sei­ner Ar­beit mit Men­schen aus ver­schie­de­nen Kul­tur­krei­sen auf ei­ne große Er­fah­rung ver­wei­sen. Er ha­be lan­ge Zeit na­he­zu aus­sch­ließlich jun­ge Er­wach­se­ne in ei­nem Al­ter zwi­schen 18 und 30 Jah­ren un­ter­rich­tet. In der Stel­len­aus­schrei­bung des be­klag­ten Lan­des würden, so hat der Kläger schließlich noch ar­gu­men­tiert, Er­fah­run­gen in der Ar­beit mit ver­hal­tens­auffälli­gen Ju­gend­li­chen auch nur als wünschens­wert be­zeich­net, eben­so wie ei­ne son­derpädago­gi­sche Zu­satz­aus­bil­dung. Ver­langt wor­den sei­en die­se Qua­li­fi­ka­tio­nen aber nicht.

Im wei­te­ren Ver­lauf des Ver­fah­rens ers­ter In­stanz hat der Kläger an­ge­regt, den vor­lie­gen­den Rechts­streit aus­zu­set­zen, bis der Eu-ropäische Ge­richts­hof über ei­ne vom 3. Ju­ni 2009 da­tie­ren­de Vor-

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la­ge des Lan­des­ar­beits­ge­richts Ham­burg be­tref­fend die Aus­le­gung der Fris­ten­re­ge­lung in § 15 Ab­satz 4 AGG (5 Sa 3/09, ab­ruf­bar bei ju­ris) ei­ne Ent­schei­dung ge­trof­fen ha­be.

Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Das Ar­beits­ge­richt hat aus­geführt, ein An­spruch des Klägers nach § 15 AGG be­ste­he nicht, denn der Kläger ha­be den An­spruch ver­spätet gel­tend ge­macht. Ansprüche nach § 15 Ab­satz 1 und 2 AGG müss­ten in­ner­halb ei­ner Frist von zwei Mo­na­ten gel­tend ge­macht wer­den, wo­bei die Frist im Fal­le ei­ner Be­wer­bung mit dem Zu­gang der Ab­leh­nung zu lau­fen be­gin­ne. Nach­dem der Kläger das Ab­leh­nungs­schrei­ben des be­klag­ten Lan­des am 2. Sep­tem­ber 2008 er­hal­ten ha­be, hätte sein Schrei­ben, so hat das Ar­beits­ge­richt wei­ter aus­geführt, spätes­tens am Mon­tag, den 3. No­vem­ber 2008, bei dem be­klag­ten Land ein­ge­hen müssen. Un­strei­tig sei das Schrei­ben aber erst am 4. No­vem­ber 2008 bei dem be­klag­ten Land ein­ge­gan­gen. Ei­ne an­de­re Frist er­ge­be sich auch nicht aus dem Ta­rif­ver­trag für den öffent­li­chen Dienst der Länder. Ei­ne An­wen­dung der in die­sem Ta­rif­ver­trag ver­ein­bar­ten Fris­ten set­ze vor­aus, dass be­reits ein Beschäfti­gungs­verhält­nis be­gründet wor­den sei. Dies sei hier aber nicht der Fall ge­we­sen. Die An­bah­nung von Ver­trags­verhält­nis­sen genüge dafür nicht.

Da­ge­gen wen­det sich der Kläger mit sei­ner Be­ru­fung. Er macht gel­tend, das Ar­beits­ge­richt ha­be zu Un­recht ei­nen An­spruch auf Entschädi­gung nach § 15 AGG ab­ge­lehnt. Ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Ar­beits­ge­richts sei die­ser An­spruch von ihm nicht ver­spätet gel­tend ge­macht wor­den. Der An­sicht des Ar­beits­ge­richts, § 37 des Ta­rif­ver­tra­ges für den öffent­li­chen Dienst der Länder, der ei­ne Aus­schluss­frist von sechs Mo­na­ten vor­se­he, sei hier nicht an­wend­bar, könne nicht ge­folgt wer­den. In­so­weit sei auf § 6 Ab­satz 2 AGG hin­zu­wei­sen, wo­nach als Beschäftig­te auch die Be­wer­be­rin­nen und Be­wer­ber für ein Beschäfti­gungs­verhält­nis gel­ten soll­ten. Zu­dem sei für Ansprüche aus dem Ar­beits­verhält­nis im Sin­ne der Ta­rif­norm ei­ne wei­te Aus­le­gung ge­bo­ten, des­halb sei die An­bah­nung ei­nes sol­chen Ar­beits­verhält­nis­ses ein­zu­be­zie­hen. Un­abhängig da­von sei aber auch frag­lich, ob die in § 15 Ab­satz 4 AGG nor­mier­te Frist mit eu­ropäischem Recht ver­ein­bar sei. Mit der Ent­schei­dung die­ser Fra­ge sei der­zeit der Eu­ropäische Ge­richts­hof auf ei­ne Vor­la­ge durch das Lan­des­ar­beits­ge­richt Ham­burg hin be­fasst. Im Hin­blick dar­auf hätte das Ar­beits­ge­richt, so hat der Kläger schließlich gel­tend ge­macht, das Ver­fah­ren bis zur Ent­schei­dung

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des Eu­ropäischen Ge­richts­ho­fes aus­set­zen müssen.

Der Kläger be­an­tragt,

das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts ab­zuändern und das be­klag­te Land zu ver­ur­tei­len, an ihn Scha­dens­er­satz/Entschädi­gung nach Er­mes­sen des Ge­richts, min­des­tens je­doch in Höhe von zwei Mo­nats­gehältern (6.450 ) nebst Zin­sen in Höhe von fünf Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit Rechtshängig­keit zu zah­len.

Das be­klag­te Land be­an­tragt,

die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

Das be­klag­te Land hält die Ent­schei­dung des Ar­beits­ge­richts für zu­tref­fend. Zu Recht ha­be das Ar­beits­ge­richt ent­schie­den, dass der Kläger die Mo­nats­frist des § 15 Ab­satz 4 AGG versäumt ha­be. § 37 des Ta­rif­ver­tra­ges für den öffent­li­chen Dienst der Länder (TV-L), der ei­ne sechs­mo­na­ti­ge Aus­schluss­frist vor­se­he, sei hier nicht an­wend­bar. Das ha­be das Ar­beits­ge­richt zu­tref­fend dar­ge­legt. Der Hin­weis des Klägers auf § 6 Ab­satz 2 AGG ände­re dar­an nichts. In die­ser Norm würden Be­wer­be­rin­nen und Be­wer­ber als Beschäftig­te im Sin­ne des All­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­set­zes an­ge­se­hen, nicht hin­ge­gen als Beschäftig­te im Sin­ne des Ta­rif­ver­tra­ges für den öffent­li­chen Dienst der Länder. Die ge­gen­tei­li­ge Auf­fas­sung käme, so führt das be­klag­te Land wei­ter aus, ei­nem Ein­griff in die Ta­rif­au­to­no­mie gleich, denn die Be­stim­mung des persönli­chen Gel­tungs­be­reichs ei­nes Ta­rif­ver­tra­ges ob­lie­ge aus­sch­ließlich den Ta­rif­ver­trags­par­tei­en. Zu Recht ha­be das Ar­beits­ge­richt das Ver­fah­ren auch nicht bis zur Ent­schei­dung des Eu­ropäischen Ge­richts­ho­fes über den Vor­la­ge­be­schluss des Lan­des­ar­beits­ge­richts Ham­burg aus­ge­setzt. Auch das Lan­des­ar­beits­ge­richt Saar­land sei zur Aus­set­zung des Ver­fah­rens bis zur Ent­schei­dung des Eu­ropäischen Ge­richts­ho­fes nicht ver­pflich­tet, denn ei­ne sol­che Ver­pflich­tung be­ste­he nur dann, wenn ein Ge­richt letzt­in­stanz­lich ent­schei­de. Die Ent­schei­dung des Lan­des­ar­beits­ge­richts könne aber je­den­falls noch mit ei­ner Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de vor dem Bun­des­ar­beits­ge­richt an­ge­grif­fen wer­den. Der Vor­la­ge­be­schluss des Lan­des­ar­beits­ge­richts Ham­burg be­tref­fe auch ei­nen Fall, der

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mit dem in dem vor­lie­gen­den Rechts­streit zu ent­schei­den­den Fall nicht in je­der Hin­sicht ver­gleich­bar sei. Die Ent­schei­dung des Lan­des­ar­beits­ge­richts Ham­burg sei auch nicht über­zeu­gend. Die in § 15 Ab­satz 4 AGG vor­ge­se­he­ne zwei­mo­na­ti­ge Aus­schluss­frist ver­s­toße nicht ge­gen eu­ropäisches Recht. Im Rah­men von Ar­beits­verhält­nis­sen sei­en kur­ze Fris­ten zur Gel­tend­ma­chung von Ansprüchen im In­ter­es­se der Rechts­si­cher­heit üblich und von dem Bun­des­ar­beits­ge­richt aus­drück­lich ge­bil­ligt. Dem­gemäß ha­be das Bun­des­ar­beits­ge­richt die zwei­mo­na­ti­ge Frist in § 15 Ab­satz 4 AGG auch als eu­ro­pa­rechts­kon­form an­ge­se­hen. Dies müsse erst recht gel­ten, wenn es um die Ansprüche ei­nes Be­wer­bers um ei­nen Ar­beits­platz ge­he, der sei­nen "Ar­beit­ge­ber" in sei­nem Le­ben nie wie­der se­he, wes­halb der Ge­sichts­punkt der Rechts­si­cher­heit um so wich­ti­ger sei.

We­gen der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten des Sach- und Streit­stan­des wird auf den Tat­be­stand und die Ent­schei­dungs­gründe des Ur­teils des Ar­beits­ge­richts (Blatt 38 bis 41 der Ak­ten), auf die Schriftsätze der Par­tei­en in ers­ter und zwei­ter In­stanz so­wie auf die Nie­der­schrift über die Sit­zung der Kam­mer vom 17. No­vem­ber 2010 (Blatt 114 bis 116 der Ak­ten) Be­zug ge­nom­men.

Im Ver­lauf des Be­ru­fungs­ver­fah­rens hat der Eu­ropäische Ge­richts­hof mit ei­nem Ur­teil vom 8. Ju­li 2010 (C-246/09 - Buli­cke) über den Vor­la­ge­be­schluss des Lan­des­ar­beits­ge­richts Ham­burg ent­schie­den. Im An­schluss dar­an hat das Be­ru­fungs­ge­richt den Par­tei­en mit ei­ner Verfügung vom 13. Au­gust 2010 (Blatt 77 und 78 der Ak­ten) Ge­le­gen­heit ge­ge­ben, ergänzend da­zu vor­zu­tra­gen, wel­che recht­li­chen Fol­gen sich aus ih­rer Sicht für den vor­lie­gen­den Rechts­streit aus der Ent­schei­dung des Eu­ropäischen Ge­richts­ho­fes er­ge­ben. Dies ha­ben die Par­tei­en in der Fol­ge ge­tan.

Der Kläger hat im An­schluss an die Erörte­rung der Sach- und Rechts­la­ge in dem Ter­min zur münd­li­chen Ver­hand­lung vor der Kam­mer an­ge­regt, die Re­vi­si­on zu­zu­las­sen. Er ha­be auch bei dem Lan­des­ar­beits­ge­richt Düssel­dorf ei­nen Rechts­streit geführt, in dem es im we­sent­li­chen um die glei­chen Fra­gen ge­gan­gen sei wie in dem vor­lie­gen­den Rechts­streit. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt Düssel­dorf ha­be sei­ne Kla­ge zwar ab­ge­wie­sen, aber die Re­vi­si­on zum Bun­des­ar­beits­ge­richt zu­ge­las­sen.

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Ent­schei­dungs­gründe

Die Be­ru­fung des Klägers ist nicht be­gründet. Das Ar­beits­ge­richt ist zu­tref­fend zu dem Er­geb­nis ge­langt, dass dem Kläger die gel­tend ge­mach­ten Ansprüche nicht zu­ste­hen. Das Vor­brin­gen des Klägers im Be­ru­fungs­ver­fah­ren recht­fer­tigt kei­ne an­de­re Be­ur­tei­lung.

A.

Der Kläger kann ge­gen das be­klag­te Land kei­ne Entschädi­gungs­ansprüche nach § 15 Ab­satz 2 des All­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­set­zes (AGG) gel­tend ma­chen.

I. Ziel des All­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­set­zes ist es, Be­nach­tei­li­gun­gen aus Gründen der Ras­se oder der ethi­schen Her­kunft, des Ge­schlechts, der Re­li­gi­on oder Welt­an­schau­ung, ei­ner Be­hin­de­rung, des Al­ters oder der se­xu­el­len Iden­tität zu ver­hin­dern oder zu be­sei­ti­gen (§ 1 AGG). Nach § 7 Ab­satz 1 AGG dürfen Beschäftig­te nicht aus ei­nem der in § 1 AGG ge­nann­ten Gründe be­nach­tei­ligt wer­den. Be­nach­tei­ligt der Ar­beit­ge­ber ei­nen Beschäftig­ten aus ei­nem die­ser Gründe, so ver­letzt er da­mit ver­trag­li­che Pflich­ten (§ 7 Ab­satz 3 AGG). Der Ar­beit­ge­ber ist dann ver­pflich­tet, dem Ar­beit­neh­mer den da­durch ent­stan­de­nen Scha­den zu er­set­zen (§ 15 Ab­satz 1 AGG). We­gen ei­nes Scha­dens, der kein Vermögens­scha­den ist, kann der Beschäftig­te ei­ne an­ge­mes­se­ne Entschädi­gung in Geld ver­lan­gen (§ 15 Ab­satz 2 Satz 1 AGG). Als Beschäftig­te gel­ten da­bei auch Be­wer­be­rin­nen und Be­wer­ber um ei­nen Ar­beits­platz (§ 6 Ab­satz 1 Satz 2 AGG). Ist ein Be­wer­ber oder ei­ne Be­wer­be­rin um ei­nen Ar­beits­platz nicht ein­ge­stellt wor­den, kann er be­zie­hungs­wei­se sie da­her eben­falls ei­ne Entschädi­gung be­an­spru­chen, die aber der Höhe nach drei Mo­nats­gehälter nicht über­schrei­ten darf, wenn der Be­wer­ber be­zie­hungs­wei­se die Be­wer­be­rin auch bei ei­ner be­nach­tei­li­gungs­frei­en Aus­wahl nicht ein­ge­stellt wor­den wäre (§ 15 Ab­satz 2 Satz 2 AGG).

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II. Ob dem Kläger aus den von ihm an­geführ­ten Gründen ge­gen das be­klag­te Land Entschädi­gungs­ansprüche nach § 15 Ab­satz 2 AGG hätten zu­ste­hen können, kann hier of­fen blei­ben, denn sol­che Ansprüche kann der Kläger im Hin­blick auf die Fris­ten­re­ge­lung in § 15 Ab­satz 4 AGG nicht mehr gel­tend ma­chen. Ansprüche nach § 15 Ab­satz 1 oder Ab­satz 2 AGG müssen in­ner­halb ei­ner Frist von zwei Mo­na­ten schrift­lich gel­tend ge­macht wer­den, es sei denn, die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en ha­ben et­was an­de­res ver­ein­bart (§ 15 Ab­satz 4 Satz 1 AGG). Der Kläger hat et­wai­ge ihm zu­ste­hen­de Ansprüche nicht frist­ge­recht gel­tend ge­macht.

1. Der Kläger hat die Mo­nats­frist des § 15 Ab­satz 4 Satz 1 AGG versäumt. Die Frist be­ginnt im Fal­le ei­ner Be­wer­bung oder ei­nes be­ruf­li­chen Auf­stiegs mit dem Zu­gang der Ab­leh­nung und in den sons­ti­gen Fällen ei­ner Be­nach­tei­li­gung zu dem Zeit­punkt, zu dem der oder die Beschäftig­te von der Be­nach­tei­li­gung Kennt­nis er­langt (§ 15 Ab­satz 4 Satz 2 AGG). Hier geht es um den Fall ei­ner Be­wer­bung des Klägers um ei­ne von dem be­klag­ten Land aus­ge­schrie­be­ne Stel­le. Die Zwei­mo­nats­frist be­gann da­her zu dem Zeit­punkt zu lau­fen, zu dem dem Kläger das Schrei­ben des be­klag­ten Lan­des vom 29. Au­gust 2008 zu­ge­gan­gen ist, denn mit die­sem Schrei­ben hat das be­klag­te Land dem Kläger mit­ge­teilt, dass sei­ne Be­wer­bung nicht berück­sich­tigt wer­den konn­te. Zu­ge­gan­gen ist dem Kläger die­ses Schrei­ben aus­weis­lich des von ihm auf dem Schrei­ben selbst an­ge­brach­ten hand­schrift­li­chen Ein­gangs­ver­merks (Blatt 6 der Ak­ten) am 2. Sep­tem­ber 2008. Die Frist von zwei Mo­na­ten wäre da­her nach § 188 Ab­satz 2 BGB am 2. No­vem­ber 2008 ab­ge­lau­fen. Da es sich bei die­sem Tag um ei­nen Sonn­tag ge­han­delt hat, lief die Frist je­doch bis zum Mon­tag, dem 3. No­vem­ber 2008 (§ 193 BGB). Ein­ge­gan­gen ist das Schrei­ben des Klägers, mit dem er Entschädi­gungs­ansprüche ge­gen das be­klag­te Land gel­tend ge­macht hat, bei dem be­klag­ten Land je­doch erst am 4. No­vem­ber 2008. Dies er­gibt sich aus dem Ein­gangs­stem­pel des be­klag­ten Lan­des (Blatt 14 der Ak­ten). Das be­strei­tet der Kläger auch nicht.

Da­von aus­ge­hend hat der Kläger die Frist zur Gel­tend­ma­chung von Entschädi­gungs­ansprüchen versäumt, mit der Fol­ge, dass er sol­che Ansprüche nicht mehr gel­tend ma­chen kann. Es han­delt sich bei § 15 Ab­satz 4 AGG - eben­so wie bei der ei­ne Be­nach­tei­li­gung we­gen ei­ner Be­hin­de­rung be­tref­fen­den

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Vorgänger­re­ge­lung in § 81 Ab­satz 2 Satz 2 Num­mer 4 des Neun­ten Teils des So­zi­al­ge­setz­bu­ches (da­zu et­wa BAG, Ur­teil vom 12. Sep­tem­ber 2006, 9 AZR 807/05, NZA 2007, 507) - um ei­ne ma­te­ri­ell­recht­li­che Aus­schluss­frist. Wird die Frist nicht ein­ge­hal­ten, so verfällt der An­spruch (da­zu auch bei­spiels­wei­se STEIN, in: SCHRÖDER/STEIN, All­ge­mei­nes Gleich­be­hand­lungs­ge­setz, 2008, Rand­num­mer 66 zu § 15 AGG).

2. Aus den Re­ge­lun­gen des eu­ropäischen Ge­mein­schafts­rechts er­gibt sich nichts an­de­res.

a. Mit der Fra­ge, ob die Fris­ten­re­ge­lung in § 15 Ab­satz 4 AGG mit eu­ropäischem Recht ver­ein­bar ist, hat sich der Eu­ropäische Ge­richts­hof in sei­ner Ent­schei­dung vom 8. Ju­li 2009 (C-246/09 - Buli­cke, ab­ruf­bar bei ju­ris) be­fasst. Der Eu­ropäische Ge­richts­hof hat in die­ser Ent­schei­dung un­ter an­de­rem aus­geführt, dass die Frist mit eu­ropäischem Recht ver­ein­bar sei, so­fern zwei Vor­aus­set­zun­gen erfüllt sei­en. Zum ei­nen dürfe die­se Frist nicht we­ni­ger güns­tig sein als die Fris­ten für ver­gleich­ba­re in­ner­staat­li­che Rechts­be­hel­fe im Be­reich des Ar­beits­rechts. Und zum an­de­ren dürfe durch die Fest­le­gung des Zeit­punkts, zu dem der Lauf die­ser Frist be­gin­ne, die Ausübung der Rech­te, die von Ar­ti­kel 9 der Richt­li­nie zur Fest­le­gung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens für die Ver­wirk­li­chung der Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf ver­lie­hen sei­en, nicht unmöglich ge­macht oder übermäßig er­schwert wer­den. Es sei Sa­che des na­tio­na­len Ge­richts zu prüfen, ob die­se bei­den Be­din­gun­gen erfüllt sind.

Die­se von dem Eu­ropäischen Ge­richts­hof an­geführ­ten Be­din­gun­gen sind hier nach Auf­fas­sung der Kam­mer erfüllt.

aa. Nach Ar­ti­kel 9 der Richt­li­nie ha­ben die Mit­glied­staa­ten der Eu­ropäischen Uni­on si­cher­zu­stel­len, dass al­le Per­so­nen, die sich durch die Nicht­an­wen­dung des Gleich­be­hand­lungs­grund­sat­zes in ih­ren Rech­ten für ver­letzt hal­ten, ih­re Ansprüche nach der Richt­li­nie ge­richt­lich gel­tend ma­chen können (Grund­satz der Ef­fek­ti­vität). Rech­te, die sich aus ei­ner et­wai­gen Ver­let­zung des Gleich­be­hand­lungs­grund­sat­zes er­ge­ben, konn­te der Kläger hier aber auch bei un­ein­ge­schränk­ter An­wen­dung des § 15 Ab­satz 4 AGG oh­ne wei­te­res gel­tend ma­chen. Dies wur­de ihm durch die ge­setz­li­che Re­ge­lung in § 15 Ab­satz 4 AGG we­der unmöglich ge­macht noch übermäßig

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er­schwert.

Die Zwei­mo­nats­frist des § 15 Ab­satz 4 AGG be­ginnt, wie be­reits erwähnt, im Fal­le ei­ner Be­wer­bung mit dem Zu­gang des Schrei­bens, mit dem dem Be­wer­ber mit­ge­teilt wird, dass sei­ne Be­wer­bung nicht berück­sich­tigt wur­de. Aus der Be­gründung des Ge­setz­ent­wurfs der Bun­des­re­gie­rung zu die­ser Norm er­gibt sich, dass der Ge­setz­ge­ber bei der Fas­sung die­ser Norm da­von aus­ging, dass im Fal­le ei­ner Be­wer­bung um ei­nen Ar­beits­platz der Be­wer­ber mit dem Zeit­punkt, zu dem er das Ab­leh­nungs­schrei­ben des Ar­beit­ge­bers erhält, von der Be­nach­tei­li­gung Kennt­nis er­langt (Be­gründung zu dem Ge­setz­ent­wurf der Bun­des­re­gie­rung, Bun­des­tags-Druck­sa­che 16/1780, Sei­te 38). Ob die­se An­nah­me des Ge­setz­ge­bers in je­dem Fall zu­tref­fend ist oder ob das in be­stimm­ten Fall­kon­stel­la­tio­nen nicht so ist, so dass in die­sen Fall­kon­stel­la­tio­nen ge­prüft wer­den muss, ob ei­ne te­leo­lo­gi­sche Aus­le­gung der Norm da­hin zulässig und ge­bo­ten ist, dass die Frist erst mit dem (späte­ren) Zeit­punkt be­ginnt, zu dem der Be­wer­ber von der Be­nach­tei­li­gung tatsächlich Kennt­nis er­langt (zu ei­ner sol­chen un­ter be­stimm­ten Umständen mögli­cher­wei­se ge­bo­te­nen te­leo­lo­gi­schen Aus­le­gung des § 15 Ab­satz 4 AGG auch die Ent­schei­dung des Eu­ropäischen Ge­richts­ho­fes vom 8. Ju­li 2009, C-246/09 - Buli­cke, ab­ruf­bar bei ju­ris), kann hier of­fen blei­ben. Denn in dem hier zu ent­schei­den­den Fall ist die An­nah­me des Ge­setz­ge­bers, dass der Be­wer­ber um ei­nen Ar­beits­platz be­reits zu dem Zeit­punkt, zu dem er das Ab­leh­nungs­schrei­ben des Ar­beit­ge­bers erhält, von der Be­nach­tei­li­gung Kennt­nis er­langt, zu­tref­fend, so dass es ei­ner te­leo­lo­gi­schen Kor­rek­tur des Wort­lauts der Norm nicht be­darf.

Mit dem Zu­gang des Ab­leh­nungs­schrei­bens des be­klag­ten Lan­des vom 29. Au­gust 2008 hat­te nämlich der Kläger hin­rei­chen­de Kennt­nis der Tat­sa­chen, die - aus sei­ner Sicht - die Ver­mu­tung recht­fer­ti­gen konn­ten, dass er we­gen sei­ner Be­hin­de­rung bei der Be­set­zung der Stel­le nicht berück­sich­tigt wur­de. Der Kläger war nicht zu ei­nem Vor­stel­lungs­gespräch ein­ge­la­den wor­den. Al­lein die­ser Ge­sichts­punkt hätte - wenn man wei­ter un­ter­stellt, dass der Kläger für die Stel­le fach­lich ob­jek­tiv ge­eig­net ge­we­sen ist, was der Kläger gel­tend macht - aus­ge­reicht, um ei­ne Be­nach­tei­li­gung we­gen der Be­hin­de­rung des Klägers ver­mu­ten zu las­sen (da­zu bei­spiels­wei­se BAG, Ur­teil vom 21. Ju­li 2009, 9 AZR 431/08, NZA 2009, 1087). Dem­gemäß be­an­stan­det

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der Kläger in sei­nem Schrei­ben vom 30. Ok­to­ber 2008, mit dem er Entschädi­gungs­ansprüche ge­gen das be­klag­te Land erst­mals gel­tend ge­macht hat, auch ge­ra­de aus­drück­lich, dass er trotz sei­ner Schwer­be­hin­de­rung nicht zu ei­nem Vor­stel­lungs­gespräch ein­ge­la­den wor­den sei. In sei­ner Kla­ge­schrift be­tont er zu­dem aus­drück­lich, dass be­reits je­der der von ihm be­haup­te­ten Be­nach­tei­li­gungs­gründe für sich, al­so auch die nicht er­folg­te Ein­la­dung zu ei­nem Vor­stel­lungs­gespräch, die Ver­mu­tung ei­ner Be­nach­tei­li­gung recht­fer­ti­ge. Mit an­de­ren Wor­ten: Be­reits zu die­sem Zeit­punkt hat­te der Kläger genügend In­for­ma­tio­nen, um ei­ne - von ihm be­haup­te­te - Be­nach­tei­li­gung we­gen sei­ner Be­hin­de­rung gel­tend zu ma­chen. Die­se In­for­ma­tio­nen hat­te der Kläger zu­dem nicht erst En­de Ok­to­ber 2008, son­dern schon An­fang Sep­tem­ber 2008, als ihm das Ab­leh­nungs­schrei­ben des be­klag­ten Lan­des zu­ge­gan­gen war, denn be­reits zu die­sem Zeit­punkt war klar, dass das be­klag­te Land die Stel­len an­der­wei­tig ver­ge­ben hat­te, oh­ne den Kläger zu ei­nem Vor­stel­lungs­gespräch ein­ge­la­den zu ha­ben. Die da­durch be­gründe­te Ver­mu­tung ei­ner Dis­kri­mi­nie­rung hätte das be­klag­te Land nach § 22 AGG wi­der­le­gen müssen - wie­der­um die Auf­fas­sung des Klägers als rich­tig un­ter­stellt, dass er für die Stel­le ob­jek­tiv fach­lich ge­eig­net ge­we­sen ist.

Glei­ches gilt, so­weit der Kläger in sei­nem Schrift­satz ers­ter In­stanz vom 17. April 2009 nachträglich auch noch gel­tend ge­macht hat, dass das be­klag­te Land ihm die Gründe für sei­ne Be­wer­bung nicht mit­ge­teilt ha­be, was da­hin ver­stan­den wer­den muss, dass das be-klag­te Land nach Auf­fas­sung des Klägers ver­pflich­tet ge­we­sen wäre, ihm näher dar­zu­le­gen, wes­halb ei­nem an­de­ren Be­wer­ber be­zie­hungs­wei­se an­de­ren Be­wer­be­rin­nen der Vor­zug ge­ge­ben wur­de. Dass es an ei­ner sol­chen - nach Auf­fas­sung des Klägers er­for­der­li­chen - Be­gründung fehl­te, war eben­falls be­reits mit der Kennt­nis­nah­me des Klägers von dem In­halt des Ab­leh­nungs­schrei­bens des be­klag­ten Lan­des vom 29. Au­gust 2008 oh­ne wei­te­res er­sicht­lich.

Da­von, dass er über hin­rei­chen­de In­for­ma­tio­nen und An­halts­punk­te verfügt, um Entschädi­gungs­ansprüche nach § 15 Ab­satz 2 AGG ge­gen das be­klag­te Land gel­tend ma­chen zu können, ist der Kläger of­fen­sicht­lich auch selbst aus­ge­gan­gen. Denn er hat sol­che Ansprüche mit sei­nem Schrei­ben vom 30. Ok­to­ber 2008 auch tatsächlich gel­tend ge­macht. Die­ses Schrei­ben wur­de, ob­wohl der Kläger die sel­ben In­for­ma­tio­nen be­reits fast

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zwei Mo­na­te vor­her hat­te, nur we­ni­ge Ta­ge vor Ab­lauf der Zwei­mo­nats­frist des § 15 Ab­satz 4 AGG ver­fasst, was nach Auf­fas-sung der Kam­mer die An­nah­me na­he legt, dass der Kläger - der, wie sei­ne von ihm selbst ge­fer­tig­ten Schriftsätze ers­ter In­stanz zei­gen, kei­ne Pro­ble­me da­mit hat, sich auch mit recht­li­chen Vor­schrif­ten und da­zu er­gan­ge­nen Ge­richts­ent­schei­dun­gen näher zu be­fas­sen - die­se Frist auch tatsächlich ein­hal­ten woll­te, er das Schrei­ben aber nicht so recht­zei­tig zur Post ge­ge­ben hat, dass es noch frist­ge­recht bei dem be­klag­ten Land ein­ging.

Zwar hat der Kläger in der Fol­ge noch zwei wei­te­re In­di­zi­en an­geführt, die - aus sei­ner Sicht - die Ver­mu­tung recht­fer­ti­gen, dass das be­klag­te Land ihn we­gen sei­ner Be­hin­de­rung be­nach­tei­ligt ha­be, nämlich zum ei­nen, dass das be­klag­te Land die bei ihm ein­ge­rich­te­te Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung von der Be­wer­bung nicht un­ter­rich­tet und auch die Bun­des­agen­tur für Ar­beit nicht mit dem Ziel der Ein­stel­lung ei­nes schwer­be­hin­der­ten Be­wer­bers ein­ge­schal­tet ha­be - wo­bei es sich al­ler­dings of­fen­bar le­dig­lich um ei­ge­ne Ver­mu­tun­gen des Klägers zu han­deln scheint, denn er trägt im wei­te­ren Ver­lauf des Be­ru­fungs­ver­fah­rens (im An­schluss an die Ent­schei­dung des Eu­ropäischen Ge­richts­ho­fes vom 8. Ju­li 2010) vor, dass er bis heu­te kei­ne Kennt­nis darüber ha­be, ob die Tat­bestände ei­ner Nicht­be­nach­rich­ti­gung der Ar­beits­agen­tur über die freie Stel­le und ei­ner Nicht­in­for­ma­ti­on der Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung des be­klag­ten Lan­des erfüllt sei­en. Letz­te­res muss aber hier nicht ver­tieft wer­den. Es kann viel­mehr un­ter­stellt wer­den, dass die Ver­mu­tun­gen des Klägers zu­tref­fend sind. Auf die­se Tat­bestände kommt es nämlich letzt­lich nach Auf­fas­sung der Kam­mer nicht mehr an. Denn es han­delt sich da­bei le­dig­lich um zwei wei­te­re Ge­sichts­punk­te, die die Einschätzung des Klägers, er sei we­gen sei­ner Be­hin­de­rung be­nach­tei­ligt wor­den, stützen sol­len. Dies ändert aber nichts dar­an, dass sich - wie­der­um aus Sicht des Klägers - hin­rei­chen­de In­di­zi­en für ei­ne sol­che Be­nach­tei­li­gung be­reits lan­ge Zeit vor Ab­lauf der Zwei­mo­nats­frist des § 15 Ab­satz 4 AGG für den Kläger er­kenn­bar er­ge­ben hat­ten. Be­reits auf­grund die­ser In­di­zi­en war es dem Kläger oh­ne wei­te­res möglich und zu­mut­bar, sei­ne Ansprüche ge­genüber dem be­klag­ten Land gel­tend zu ma­chen. Die bei­den wei­te­ren er-wähn­ten In­di­zi­en hätte er in dem Rechts­streit dann pro­blem­los ergänzend anführen können. Dem­gemäß wird im An­schluss an die erwähn­te Ent­schei­dung des Eu­ropäischen Ge­richts­ho­fes auch zu Recht ver­tre­ten, dass die Frist des § 15 Ab­satz 4 AGG (je­den­falls)

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dann zu lau­fen be­ginnt, wenn der Be­wer­ber Kennt­nis von Umständen hat, die zu ei­ner Be­weis­last­um­kehr nach § 22 AGG führen (KOCK, Fest­le­gung an­ge­mes­se­ner Aus­schluss­fris­ten - § 15 AGG, § 15 Ab­satz 4 AGG eu­ro­pa­rechts­kon­form, NJW 2010,2713).

bb. Die von dem deut­schen Ge­setz­ge­ber in § 15 Ab­satz 4 AGG nor­mier­te Frist zur Gel­tend­ma­chung von Entschädi­gungs­ansprüchen we­gen ei­ner Ver­let­zung des letzt­lich auf eu­ropäischem Ge­mein­schafts­recht be­ru­hen­den Be­nach­tei­li­gungs­ver­bots des § 7 AGG ist auch nicht we­ni­ger güns­tig als die Fris­ten für ver­gleich­ba­re in­ner­staat­li­che Rechts­be­hel­fe im Be­reich des Ar­beits­rechts (Grund­satz der Äqui­va­lenz). Das hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt in sei­nem Ur­teil vom 24. De­zem­ber 2009 (8 AZR 705/08, NZA 2010, 387) be­reits ent­schie­den und - ins­be­son­de­re un­ter Hin­weis dar­auf, dass das deut­sche Ar­beits­recht auch in ei­ner Rei­he an­de­rer Fälle kur­ze Fris­ten zur Gel­tend­ma­chung von Rech­ten ken­ne - ausführ­lich be­gründet, so­weit es um Entschädi­gungs­ansprüche nach § 15 Ab­satz 2 AGG aus ei­nem be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis geht. Dem folgt die Kam­mer.

Für auf § 15 Ab­satz 2 AGG be­ru­hen­de Entschädi­gungs­ansprüche, die sich aus An­lass ei­ner Be­wer­bung um ei­nen Ar­beits­platz er­ge­ben, kann nach Auf­fas­sung der Kam­mer nichts an­de­res gel­ten. Die Rech­te aus dem Ar­beits­verhält­nis, die ein Ar­beit­neh­mer in­ner­halb ei­ner sehr kur­zen Frist gel­tend ma­chen muss, da­mit sie ihm er­hal­ten blei­ben, ha­ben häufig - wie et­wa im Fall der so­gar nur dreiwöchi­gen Frist zur Er­he­bung der Kündi­gungs­schutz­kla­ge - er­heb­lich größere Be­deu­tung als Entschädi­gungs­ansprüche, die sich aus § 15 Ab­satz 2 AGG er­ge­ben können. Es ist da­her kein Grund er­kenn­bar, wes­halb für die zu­letzt ge­nann­ten Ansprüche ei­ne (noch) länge­re Frist als zwei Mo­na­te gel­ten soll­te. Zu be­den­ken ist darüber hin­aus, dass der Ar­beit­ge­ber ein be­rech­tig­tes In­ter­es­se dar­an hat, in­ner­halb ei­ner re­la­tiv kur­zen Frist Klar­heit darüber zu er­hal­ten, ob er im Zu­sam­men­hang mit der Be­set­zung ei­ner be­stimm­ten Stel­le noch mit Entschädi­gungs­ansprüchen von Be­wer­bern, die nicht zum Zu­ge ge­kom­men sind, rech­nen muss. Denn so lan­ge er mit der Gel­tend­ma­chung von sol­chen Entschädi­gungs­ansprüchen rech­nen muss, ist er im Hin­blick auf die sich aus § 22 AGG er­ge­ben­de Be­weis­last­re­ge­lung - da­nach trägt der Ar­beit­ge­ber, wenn der Be­wer­ber In­di­zi­en be­weist, die ei­ne

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Be­nach­tei­li­gung we­gen ei­ner Be­hin­de­rung ver­mu­ten las­sen, die Be­weis­last dafür, dass kein Ver­s­toß ge­gen die Be­stim­mun­gen zum Schutz vor Be­nach­tei­li­gung vor­ge­le­gen hat - ge­hal­ten, die Un­ter­la­gen, mit de­nen er sei­ne Ent­schei­dung für ei­nen be­stimm­ten Be­wer­ber oder ei­ne be­stimm­te Be­wer­be­rin und ge­gen an­de­re Be­wer­be­rin­nen und Be­wer­ber do­ku­men­tie­ren muss, auf­zu­be­wah­ren (zu die­sem Ge­sichts­punkt - wenn auch im Zu­sam­men­hang mit dem Ge­sichts­punkt des ef­fek­ti­ven Rechts­schut­zes des ab­ge­lehn­ten Be­wer­bers - auch BAG, Ur­teil vom 24. Sep­tem­ber 2009, 8 AZR 705/08, NZA 2010, 387). Vor al­lem dies war auch der Grund dafür, dass der Ge­setz­ge­ber für die Gel­tend­ma­chung von Entschädi­gungs­ansprüchen nach § 15 Ab­satz 1 und 2 AGG ei­ne Frist von zwei Mo­na­ten vor­ge­se­hen hat (Be­gründung zu dem Ge­setz­ent­wurf der Bun­des­re­gie­rung, Bun­des­tags-Druck­sa­che 16/1780, Sei­te 38; da­zu auch LAG München, Ur­teil vom 21. Ja­nu­ar 2009, 5 Sa 385/08, ab­ruf­bar bei ju­ris).

Al­ler­dings wur­de im An­schluss an die be­reits mehr­fach zi­tier­te Ent­schei­dung des Eu­ropäischen Ge­richts­ho­fes ver­tre­ten, § 15 Ab­satz 4 AGG sei des­halb we­ni­ger güns­tig als die Fris­ten für ver­gleich­ba­re in­ner­staat­li­che Rechts­be­hel­fe im Be­reich des Ar­beits­rechts, weil Scha­dens­er­satz­ansprüche we­gen ei­ner Ver­let­zung des All­ge­mei­nen Persönlich­keits­rechts (§ 823 Ab­satz 1 BGB) erst nach Ab­lauf von drei Jah­ren verjähren (FISCHIN­GER, Eu­ro­pa­rechts­kon­for­mität des § 15 IV AGG, NZA 2010, 1048, 1050). Dies wird da­mit be­gründet, dass es sich auch bei sol­chen Scha­den­er­satz­ansprüchen um Ansprüche han­de­le, die mit den sich aus § 15 Ab­satz 1 und 2 AGG er­ge­ben­den Ansprüchen ver­gleich­bar sei­en. Die­se Auf­fas­sung teilt die Kam­mer nicht. Ansprüche nach § 15 Ab­satz 1 und 2 AGG ei­ner­seits und Ansprüche we­gen ei­ner Ver­let­zung des All­ge­mei­nen Persönlich­keits­rechts an­de­rer­seits sind nicht ver­gleich­bar. Bei den Ansprüchen nach § 15 Ab­satz 1 und 2 AGG han­delt es sich um spe­zi­el­le ar­beits­recht­li­che Ansprüche, die sich in ih­ren Vor­aus­set­zun­gen we­sent­lich von den Vor­aus­set­zun­gen ei­nes An­spruchs we­gen ei­ner Ver­let­zung des All­ge­mei­nen Persönlich­keits­rechts un­ter­schei­den. Er­ge­ben sich auf­grund ei­nes Sach­ver­halts Ansprüche nach § 15 Ab­satz 1 und 2 AGG, so be­deu­tet dies nicht zu­gleich, dass we­gen die­ses Sach­ver­halts zwangsläufig auch Ansprüche we­gen der Ver­let­zung des All­ge­mei­nen Persönlich­keits­rechts be­ste­hen. Und um­ge­kehrt er­ge­ben sich, wenn auf­grund ei­nes be­stimm­ten Sach­ver­halts ein (Entschädi­gungs-) An-

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spruch we­gen der Ver­let­zung des All­ge­mei­nen Persönlich­keits­rechts ge­ge­ben ist, auf­grund die­ses Sach­ver­halts nicht zwangsläufig auch (Entschädi­gungs-) Ansprüche nach § 15 Ab­satz 1 und 2 AGG. Die An­spruchs­vor­aus­set­zun­gen bei­der Ansprüche sind deut­lich un­ter­schied­lich. Das gilt ins­be­son­de­re für den Entschädi­gungs­an­spruch nach § 15 Ab­satz 2 AGG. Die­ser Entschädi­gungs­an­spruch setzt we­der ein Ver­schul­den des Ar­beit­ge­bers vor­aus noch be­darf es, da­mit der Entschädi­gungs­an­spruch ent­steht, der ge­son­der­ten Fest­stel­lung ei­nes im­ma­te­ri­el­len Scha­dens (BAG, Ur­teil vom 19. Au­gust 2010, 8 AZR 530/09, NZA 2010, 1412 mit wei­te­ren Nach­wei­sen). Für den An­spruch nach § 15 Ab­satz 2 AGG gel­ten zu­dem we­sent­lich er­leich­ter­te Vor­aus­set­zun­gen, was die Dar­le­gungs- und Be­weis­last an­geht (§ 22 AGG). Dem­gemäß hat der Ge­setz­ge­ber, wie sich aus § 15 Ab­satz 5 AGG - da­nach blei­ben Ansprüche ge­gen den Ar­beit-ge­ber, die sich aus an­de­ren Rechts­vor­schrif­ten er­ge­ben, un­berührt - er­gibt, sol­che Ansprüche mit gu­ten Gründen als ei­genständi­ge, von § 15 Ab­satz 1 und 2 AGG un­abhängi­ge Ansprüche an­ge­se­hen, für die es auch bei der ge­setz­li­chen Verjährungs­frist ver­bleibt.

b. Und schließlich verstößt die Re­ge­lung in § 15 Ab­satz 4 AGG auch nicht ge­gen Ar­ti­kel 8 Ab­satz 2 der Richt­li­nie zur Fest­le­gung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens für die Ver­wirk­li­chung der Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf. Nach Ar­ti­kel 8 Ab­satz 2 die­ser Richt­li­nie darf de­ren Um­set­zung nicht als Recht­fer­ti­gung für ei­ne Ab­sen­kung des von den Mit­glied­staa­ten be­reits ga­ran­tier­ten all­ge­mei­nen Schutz­ni­veaus in Be­zug auf Dis­kri­mi­nie­run­gen in den von der Richt­li­nie ab­ge­deck­ten Be­rei­chen ge­nutzt wer­den.

Dass § 15 Ab­satz 4 AGG auch nicht ge­gen die­sen Grund­satz der Richt­li­nie verstößt, hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt, so­weit es um ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung we­gen der Ras­se oder der eth­ni­schen Her­kunft geht, eben­falls be­reits ent­schie­den. Das Bun­des­ar­beits­ge­richt hat da­zu aus­geführt, dass es vor In­kraft­tre­ten des All­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­set­zes am 18. Au­gust 2006 im deut­schen Recht kei­ne kon­kre­te ge­setz­li­che Re­ge­lung zur Bekämp­fung der Dis­kri­mi­nie­rung auf­grund der Ras­se oder der eth­ni­schen Her­kunft, wie sie von der Richt­li­nie ver­langt wer­de, ge­ge­ben ha­be. Da­mit ha­be es bis zum In­kraft­tre­ten des All­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­set­zes an ei­ner na­tio­na­len Re­ge­lung

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ge­fehlt, die der Re­ge­lung im eu­ropäischen Ge­mein­schafts­recht gleich­ar­tig sei. Dem­gemäß ha­be durch die Schaf­fung ei­ner Aus­schluss­frist für die Gel­tend­ma­chung von Entschädi­gungs­ansprüchen we­gen ei­ner un­zulässi­gen Be­nach­tei­li­gung we­gen der Ras­se oder der eth­ni­schen Her­kunft auch kei­ne Ab­sen­kung des von den Mit­glied­staa­ten be­reits ga­ran­tier­ten all­ge­mei­nen Schutz­ni­veaus in Be­zug auf Dis­kri­mi­nie­run­gen ein­tre­ten können (BAG, Ur­teil vom 24. De­zem­ber 2009, 8 AZR 705/08, NZA 2010, 387).

Nichts an­de­res gilt im Er­geb­nis, so­weit es um ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung we­gen ei­ner Be­hin­de­rung geht. Al­ler­dings gab es auch be­reits vor dem In­kraft­tre­ten des All­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­set­zes ei­ne ge­setz­li­che Re­ge­lung ei­nes Entschädi­gungs­an­spruchs für den Fall ei­ner Be­nach­tei­li­gung auf­grund ei­ner Be­hin­de­rung. Be­reits nach § 81 Ab­satz 2 Num­mer 2 und 3 des Neun­ten Bu­ches des So­zi­al­ge­setz­bu­ches in der bis zum 17. Au­gust 2006 gel­ten­den Fas­sung konn­ten schwer­be­hin­der­te Men­schen, de­ren Be­wer­bung um ei­nen Ar­beits­platz kei­nen Er­folg hat­te, ei­ne Entschädi­gung be­an­spru­chen, wenn sie bei ih­rer Be­wer­bung we­gen ih­rer Be­hin­de­rung be­nach­tei­ligt wur­den. Auch für sol­che Ansprüche galt je­doch in­halt­lich be­reits die glei­che Aus­schluss­frist wie die­je­ni­ge, die in der Fol­ge in § 15 Ab­satz 4 AGG nor­miert wur­de. Sie war in § 81 Ab­satz 2 Num­mer 4 des Neun­ten Bu­ches des So­zi­al­ge­setz­bu­ches ge­re­gelt. Auch da­nach muss­te ei­ne Entschädi­gung in­ner­halb von zwei Mo­na­ten nach Zu­gang der Ab­leh­nung der Be­wer­bung schrift­lich gel­tend ge­macht wer­den.

3. Nach § 15 Ab­satz 4 Satz 1 AGG muss ein Entschädi­gungs­an­spruch nach § 15 Ab­satz 2 AGG zwar nur dann in­ner­halb ei­ner Frist von zwei Mo­na­ten schrift­lich gel­tend ge­macht wer­den, wenn die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en nicht et­was an­de­res ver­ein­bart ha­ben. Ei­ne sol­che an­de­re Ver­ein­ba­rung liegt hier aber nicht vor.

Sie kann ins­be­son­de­re nicht in § 37 des Ta­rif­ver­tra­ges für den öffent­li­chen Dienst der Länder (TV-L) ge­se­hen wer­den. Nach § 37 TV-L ver­fal­len Ansprüche aus dem Ar­beits­verhält­nis, wenn sie nicht in­ner­halb ei­ner Aus­schluss­frist von sechs Mo­na­ten nach Fällig­keit schrift­lich gel­tend ge­macht wer­den. Auf den Ta­rif­ver­trag für den öffent­li­chen Dienst der Länder kann sich der Kläger je­doch - un­ge­ach­tet der Fra­ge, ob der Kläger ei­ner Ge­werk­schaft an­gehört, die Ver­trags­part­ner des Ta­rif­ver­tra­ges ist, was der Kläger

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nicht näher dar­ge­legt hat - nicht be­ru­fen. Denn der Ta­rif­ver­trag für den öffent­li­chen Dienst der Länder gilt für Ar­beit­neh­me­rin­nen und Ar­beit­neh­mer (Beschäftig­te), die in ei­nem "Ar­beits­verhält­nis" zu ei­nem Ar­beit­ge­ber ste­hen, der Mit­glied der Ta­rif­ge­mein­schaft deut­scher Länder oder ei­nes Mit­glieds­ver­ban­des die­ser Ta­rif­ge­mein­schaft ist (§ 1 Ab­satz 1 TV-L). Vor­aus­set­zung für ei­ne An­wen­dung des Ta­rif­ver­tra­ges ist da­her das Be­ste­hen ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses. Dem ent­spricht, dass auch § 37 TV-L nur Ansprüche "aus ei­nem Ar­beits­verhält­nis" er­fasst. Der Kläger macht aber kei­ne Ansprüche aus ei­nem Ar­beits­verhält­nis gel­tend, denn ein Ar­beits­verhält­nis ist zwi­schen dem Kläger und dem be­klag­ten Land nicht zu­stan­de ge­kom­men.

Aus § 6 Ab­satz 1 Satz 2 AGG er­gibt sich ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Klägers nichts an­de­res. In § 6 Ab­satz 1 Satz 1 AGG heißt es zunächst, Beschäftig­te im Sin­ne die­ses Ge­set­zes sei­en Ar­beit­neh­me­rin­nen und Ar­beit­neh­mer, die zu ih­rer Be­rufs­bil­dung Beschäftig­ten so­wie Per­so­nen, die we­gen ih­rer wirt­schaft­li­chen Un­selbständig­keit als ar­beit­neh­merähn­li­che Per­so­nen an­zu­se­hen sei­en. Dar­an schließt sich ein wei­te­rer Satz an, nämlich Satz 2, in dem es heißt, dass als "Beschäftig­te" auch die Be­wer­be­rin­nen und Be­wer­ber für ein Beschäfti­gungs­verhält­nis gel­ten. Be­schrie­ben wird aber auch mit die­sem zwei­ten Satz le­dig­lich, wer "Beschäftig­ter" im Sin­ne des All­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­set­zes ist. Da­mit erschöpft sich der Re­ge­lungs­ge­halt die­ser Norm.

Aus der von dem Kläger zi­tier­ten Ent­schei­dung des Lan­des­ar­beits­ge­richts Hamm vom 26. Fe­bru­ar 2009 (17 Sa 923/08, ab­ruf­bar bei ju­ris) er­gibt sich nichts an­de­res. Im Rah­men die­ser Ent­schei­dung ist das Lan­des­ar­beits­ge­richt Hamm - im Zu­sam­men­hang mit der Prüfung ei­nes An­spruchs nach § 15 Ab­satz 2 AGG und im Zu­sam­men­hang mit der Prüfung ei­ner an­der­wei­ti­gen ta­rif­li­chen Ver­ein­ba­rung im Sin­ne von § 15 Ab­satz 4 AGG - of­fen­sicht­lich da­von aus­ge­gan­gen, dass § 37 TV-L des­halb an­wend­bar ist, weil zwi­schen den Par­tei­en je­nes Rechts­streits be­reits zum Zeit­punkt der Be­wer­bung der Kläge­rin je­nes Ver­fah­rens ein (be­fris­te­tes) Ar­beits­verhält­nis be­stan­den hat, für das ein­zel­ver­trag­lich die An­wend­bar­keit von § 37 TV-L ver­ein­bart wor­den war.

Und schließlich kann der Kläger auch dar­aus, dass sich nach § 611 a BGB in der bis zum 17. Au­gust 2006 gel­ten­den Fas­sung

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die­ser Norm die Länge der Aus­schluss­frist nach ei­ner für die Gel­tend­ma­chung von Scha­dens­er­satz­ansprüchen "im an­ge­streb­ten Ar­beits­verhält­nis" vor­ge­se­he­nen Aus­schluss­frist be­mes­sen hat, zu sei­nen Guns­ten nichts her­lei­ten. Die­se Re­ge­lung, die zu­dem nur für ge­schlechts­be­zo­ge­ne Be­nach­tei­li­gun­gen galt, hat der Ge­setz­ge­ber in § 15 Ab­satz 4 AGG ge­ra­de nicht über­nom­men.

III. Schei­tert der von dem Kläger gel­tend ge­macht An­spruch da­nach be­reits dar­an, dass der Kläger die ma­te­ri­ell­recht­li­che Aus­schluss­frist des § 15 Ab­satz 4 AGG versäumt hat, mit der Fol­ge, dass ein et­wai­ger An­spruch des Klägers je­den­falls ver­fal­len ist, kommt es nicht mehr dar­auf an, ob das be­klag­te Land den Kläger, wie der Kläger mut­maßt, bei sei­ner Ent­schei­dung über die Be­set­zung der bei­den Stel­len we­gen sei­ner Be­hin­de­rung be­nach­tei­ligt hat. Dem muss da­her nicht wei­ter nach­ge­gan­gen wer­den.

B.

In ers­ter In­stanz hat­te der Kläger, wenn auch eher beiläufig, noch gel­tend ge­macht, dass ihm auch (Entschädi­gungs-) Ansprüche we­gen ei­ner Ver­let­zung des All­ge­mei­nen Persönlich­keits­rechts zustünden. Die Vor­aus­set­zun­gen ei­nes sol­chen An­spruchs hat der Kläger je­doch nicht schlüssig dar­ge­legt. Zwar kom­men sol­che Entschädi­gungs­ansprüche we­gen im­ma­te­ri­el­ler Schäden, wie sich aus der be­reits erwähn­ten Vor­schrift des § 15 Ab­satz 5 AGG er­gibt, ne­ben Ansprüchen aus § 15 Ab­satz 1 und 2 AGG grundsätz­lich in Be­tracht. Das ist je­doch nur dann der Fall, wenn ei­ne schuld­haf­te und schwer­wie­gen­de Ver­let­zung des All­ge­mei­nen Persönlich­keits­rechts vor­liegt (da­zu et­wa BAG, Ur­teil vom 24. Sep­tem­ber 2009, 8 AZR 636/08, NZA 2010, 159 mit wei­te­ren Nach­wei­sen), et­wa weil die Be­nach­tei­li­gung in be­son­ders kränken­der Wei­se er­folgt oder wenn die Be­nach­tei­li­gung Ur­sa­che für ei­ne psy­chisch be­ding­te Er­kran­kung wird (da­zu et­wa STEIN, in: SCHRÖDER/STEIN, All­ge­mei­nes Gleich­be­hand­lungs­ge­setz, 2008, Rand­num­mer 89 zu § 15 AGG). Da­zu hat der Kläger aber nichts Kon­kre­tes vor­ge­tra­gen, et­was Der­ar­ti­ges ist auch nicht er­sicht­lich. Dem­gemäß kommt der Kläger im Be­ru­fungs­ver­fah­ren auf sol­che Ansprüche auch nicht mehr zurück.

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IV. Die Be­ru­fung des Klägers konn­te da­nach kei­nen Er­folg ha­ben. Die Kos­ten­ent­schei­dung er­gibt sich aus § 97 Ab­satz 1 ZPO. Die Re­vi­si­on wur­de nach § 72 Ab­satz 2 Num­mer 1 ArbGG zu­ge­las­sen. Die Sa­che hat grundsätz­li­che Be­deu­tung. Wel­che Fol­ge­run­gen sich aus der Ent­schei­dung des Eu­ropäischen Ge­richts­ho­fes vom 8. Ju­li 2010 für die An­wen­dung von § 15 Ab­satz 4 AGG er­ge­ben, ist höchst­rich­ter­lich bis­lang nicht geklärt, die Fra­ge wird in der rechts­wis­sen­schaft­li­chen Li­te­ra­tur dis­ku­tiert. Von dem Bun­des­ar­beits­ge­richt nicht ent­schie­den ist ins­be­son­de­re, ob die in § 15 Ab­satz 4 AGG nor­mier­te Zwei­mo­nats­frist eu­ro­pa­recht­lich auch un­be­denk­lich ist, so­weit es nicht um Entschädi­gungs­ansprüche aus ei­nem be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis geht, son­dern um Entschädi­gungs­ansprüche ei­nes Be­wer­bers, der mit sei­ner Be­wer­bung um ei­nen Ar­beits­platz kei­nen Er­folg hat­te.

 

Rechts­mit­tel­be­leh­rung

Ge­gen die­ses Ur­teil kann von dem Kläger Re­vi­si­on ein­ge­legt wer­den. Die Re­vi­si­on ist bei dem Bun­des­ar­beits­ge­richt, Hu­go-Preuß-Platz 1, 99084 Er­furt (Te­le­fax-Num­mer 03 61/ 26 36 - 20 00), in­ner­halb ei­ner Frist von ei­nem Mo­nat nach Zu­stel­lung des in vollständi­ger Form ab­ge­fass­ten Ur­teils schrift­lich ein­zu­le­gen. Die Re­vi­si­on ist in­ner­halb ei­ner Frist von zwei Mo­na­ten nach Zu­stel­lung des in vollständi­ger Form ab­ge­fass­ten Ur­teils zu be­gründen. Die Re­vi­si­ons­schrift und die Re­vi­si­ons­be­gründungs­schrift müssen von ei­nem bei ei­nem deut­schen Ge­richt zu­ge­las­se­nen Rechts­an­walt un­ter­zeich­net sein.

gez. Dier

gez. Buch­mann

gez.
Fel­lin­ger

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