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HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

ArbG Nien­burg, Be­schluss vom 15.06.2012, 2 Ca 472/11

   
Schlagworte: Tarifvertrag, Mindesturlaub, Kurzarbeit
   
Gericht: Arbeitsgericht Nienburg
Aktenzeichen: 2 Ca 472/11
Typ: Beschluss
Entscheidungsdatum: 15.06.2012
   
Leitsätze:
Vorinstanzen:
   

AR­BEITS­GERICHT NIEN­BURG

BESCHLUSS

2 Ca 472/11

In dem Rechts­streit

Kläger,

ge­gen

Be­klag­te,

I. Der Rechts­streit wird aus­ge­setzt.

II. Dem Ge­richts­hof der Eu­ropäischen Uni­on wer­den gemäß Ar­ti­kel 267 AEUV fol­gen­de Fra­gen vor­ge­legt:

1. Sind Ar­ti­kel 31 der EU-Grund­rech­te­char­ta und Ar­ti­kel 7 Abs. 1 der Richt­li­nie 2003/88/EG vom 4. No­vem­ber 2003 über be­stimm­te As­pek­te der Ar­beits­zeit­ge­stal­tung da­hin aus­zu­le­gen, dass sie ei­ner na­tio­na­len ge­setz­li­chen Re­ge­lung ent­ge­gen­ste­hen, nach der in be­stimm­ten Bran­chen die Dau­er des jähr­li­chen Min­des­t­ur­laubs von vier Wo­chen durch Ta­rif­ver­trag ver­rin­gert wer­den kann?

2. Sind Ar­ti­kel 31 der EU-Grund­rech­te­char­ta und Ar­ti­kel 7 Abs. 1 der Richt­li­nie 2003/88/EG vom 4. No­vem­ber 2003 über be­stimm­te As­pek­te der Ar­beits­zeit­ge­stal­tung da­hin aus­zu­le­gen, dass sie ei­ner na­tio­na­len ge­setz­li­chen Re­ge­lung ent­ge­gen­ste­hen, nach der in Ta­rif­verträgen be­stimmt wer­den kann, dass Ver­dienstkürzun­gen, die im Be­rech­nungs­zeit­raum in­fol­ge von Kurz­ar­beit, Ar­beits­ausfällen oder un­ver­schul­de­ter Ar­beits­versäum­nis ein­tre­ten, auf die Be­rech­nung des Ur­laubs­ent­gel­tes Ein­fluss ha­ben, mit der Fol­ge, dass der Ar­beit­neh­mer für die Dau­er des jähr­li­chen Min­des­t­ur­laubs von vier Wo­chen kei­ner­lei Ur­laubs­vergütung - bzw. nach Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses kei­ner­lei Ur­laubs­ab­gel­tung - erhält?

3. Falls Fra­ge 2 be­jaht wird: Sind Ar­ti­kel 31 der EU-Grund­rech­te­char­ta und Ar­ti­kel 7 Abs. 1 der Richt­li­nie 2003/88/EG vom 4. No­vem­ber 2003 über be­stimm­te As­pek­te der Ar­beits­zeit­ge­stal­tung da­hin aus­zu­le­gen, dass sie ei­ner na­tio­na­len ge­setz­li­chen Re­ge­lung ent­ge­gen­ste­hen, nach der in Ta­rif­verträgen be­stimmt wer­den kann, dass Ver­dienstkürzun­gen, die im Be­rech­nungs­zeit­raum in­fol­ge von Kurz­ar­beit, Ar­beits­ausfällen oder un­ver­schul­de­ter Ar­beits­versäum­nis ein­tre­ten, auf die Be­rech­nung des Ur­laubs­ent­gel­tes Ein­fluss ha­ben, mit der Fol­ge, dass der Ar­beit­neh­mer für die Dau­er des jähr­li­chen Min­des­t­ur­laubs von vier Wo­chen ei­ne ge­rin­ge­re Ur­laubs­vergütung - bzw. nach Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ei­ne ge­rin­ge­re Ur­laubs­ab­gel­tung - erhält, als er er­hiel­te, wenn der Be­rech­nung der

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Ur­laubs­vergütung der durch­schnitt­li­che Ar­beits­ver­dienst zu­grun­de ge­legt wird, den der Ar­beit­neh­mer im Be­rech­nungs­zeit­raum oh­ne sol­che Ver­dienstkürzun­gen er­hal­ten hätte? Falls ja: Wel­chen pro­zen­tua­len Um­fang, ge­mes­sen am un­gekürz­ten durch­schnitt­li­chen Ar­beits­ver­dienst des Ar­beit­neh­mers, dürf­te ei­ne in na­tio­na­len ge­setz­li­chen Re­ge­lun­gen ermöglich­te ta­rif­li­che Ver­rin­ge­rung der Ur­laubs­vergütung in­fol­ge von Kurz­ar­beit, Ar­beits­ausfällen oder un­ver­schul­de­ter Ar­beits­versäum­nis im Be­rech­nungs­zeit­raum höchs­tens ha­ben, da­mit von ei­ner uni­ons­rechts­kon­for­men Aus­le­gung die­ser na­tio­na­len Re­ge­lung aus­ge­gan­gen wer­den kann?

4. Sind Ar­ti­kel 31 der EU-Grund­rech­te­char­ta und Ar­ti­kel 7 Abs. 1 der Richt­li­nie 2003/88/EG vom 4. No­vem­ber 2003 über be­stimm­te As­pek­te der Ar­beits­zeit­ge­stal­tung da­hin aus­zu­le­gen, dass sie ei­ner na­tio­na­len ta­rif­li­chen Re­ge­lung ent­ge­gen­ste­hen, nach der ein Ur­laubs­an­spruch für sol­che Zei­ten des Jah­res nicht ent­steht, in de­nen der ar­beits­unfähig er­krank­te Ar­beit­neh­mer we­der Ar­beits­ent­gelt noch Kran­ken­geld oder Ver­letz­ten­geld er­hal­ten hat, so­weit dies zur Fol­ge hat, dass dem Ar­beit­neh­mer ein An­spruch auf we­ni­ger als vier Wo­chen Jah­res­ur­laub zu­steht?

5. Sind Ar­ti­kel 31 der EU-Grund­rech­te­char­ta und Ar­ti­kel 7 Abs. 1 der Richt­li­nie 2003/88/EG vom 4. No­vem­ber 2003 über be­stimm­te As­pek­te der Ar­beits­zeit­ge­stal­tung da­hin aus­zu­le­gen, dass sie ei­ner na­tio­na­len ta­rif­li­chen Re­ge­lung ent­ge­gen­ste­hen, nach der ein Ur­laubs­vergütungs­an­spruch - bzw. nach Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ein Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruch - in sol­chen Jah­ren nicht ent­steht, in de­nen in­fol­ge von Ar­beits­ausfällen oder un­ver­schul­de­ter Ar­beits­versäum­nis, ins­be­son­de­re auf­grund von Krank­heit, tatsächlich kein Brut­to­lohn er­zielt wird?

6. Sind Ar­ti­kel 31 der EU-Grund­rech­te­char­ta und Ar­ti­kel 7 Abs. 1 der Richt­li­nie 2003/88/EG vorn 4. No­vem­ber 2003 über be­stimm­te As­pek­te der Ar­beits­zeit­ge­stal­tung da­hin aus­zu­le­gen, dass sie ei­ner na­tio­na­len ta­rif­li­chen Re­ge­lung ent­ge­gen­ste­hen, nach der Ur­laubs- und Ur­laubs­ab­gel­tungs­ansprüche mit Ab­lauf des Ka­len­der­jah­res ver­fal­len, das auf das Jahr der Ent­ste­hung der Ur­laubs­ansprüche folgt, so dass die Möglich­keit für ei­nen während meh­re­rer Be­zugs­zeiträume in Fol­ge ar­beits­unfähi­gen Ar­beit­neh­mer, Ansprüche auf be­zahl­ten Jah­res­ur­laub an­zu­sam­meln, da­durch ein­ge­schränkt wird? Falls ja: Wird das Uni­ons­recht im na­tio­na­len Recht bes­ser und wirk­sa­mer zur Gel­tung ge­bracht, wenn ei­ne sol­che ta­rif­li­che Norm vollständig un­an­ge­wen­det ge­las­sen wird, oder wenn die Norm uni­ons­rechts­kon­form da­hin­ge­hend wei­ter­ge­bil­det wird, dass statt der Jah­res­frist ei­ne be­stimm­te länge­re Frist gilt?

7. Falls ei­ne oder meh­re­re der Fra­gen zu 1. bis 5. be­jaht wird bzw. wer­den: Ge­bie­ten es der all­ge­mei­ne uni­ons­recht­li­che Grund­satz der Rechts­si­cher­heit und das Rück­wir­kungs­ver­bot, die Möglich­keit, sich auf die Aus­le­gung zu be­ru­fen, die der Ge­richts­hof den Be­stim­mun­gen in Ar­ti­kel 31 der EU-Grund­rech­te­char­ta und in Ar­ti­kel 7 Abs. 1 der Richt­li­nie 2003/88/EG vom 4. No­vem­ber 2003 über be­stimm­te As­pek­te der Ar­beits­zeit­ge­stal­tung durch die im vor­lie­gen­den Ver­fah­ren zu er­las­sen­de Vor­ab­ent­schei­dung gibt, mit Wir­kung für al­le Be­trof­fe­nen zeit­lich zu be­schränken, weil die na­tio­na­le höchst­rich­ter­li­che Recht­spre­chung zu­vor ent­schie­den hat, die ein­schlägi­gen na­tio­na­len ge­setz­li­chen und ta­rif­li­chen Nor­men sei­en ei­ner uni­ons­rechts­kon­for­men Aus­le­gung nicht zugäng­lich? Falls der Ge­richts­hof dies ver­neint: Ist es mit Uni­ons­recht ver­ein­bar, wenn die in­ner­staat­li­chen Ge­rich­te auf der Grund­la­ge na­tio­na­len Rechts den Ar­beit­ge­bern, die auf den Fort­be­stand der na­tio­na­len höchst­rich­ter­li­chen Recht­spre­chung ver­traut ha­ben, Ver­trau­ens­schutz gewähren, oder ist die Gewährung von Ver­trau­ens­schutz dem Ge­richts­hof der Eu­ropäischen Uni­on vor­be­hal­ten?

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Gründe:

1. Sach­ver­halt des Aus­gangs­ver­fah­rens

Die Par­tei­en strei­ten darüber, ob dem Kläger für die Jah­re 2010 und 2011 ein Ur­laubs­ab-gel­tungs­an­spruch in Höhe von je­weils 4.123,00 EUR zu­steht.

Der am 1.1951 ge­bo­re­ne, ver­hei­ra­te­te Kläger stand in der Zeit vom 21.6.1977 bis zum 31.12.2011 zu der Be­klag­ten in ei­nem Ar­beits­verhält­nis. Er war seit dem 9.12.2009 bis zum En­de des Ar­beits­verhält­nis­ses ar­beits­unfähig er­krankt. Der Kläger er­hielt zunächst von der Be­klag­ten Ent­gelt­fort­zah­lung im Krank­heits­fall und so­dann - bis zum 7.6.2011 - Kran­ken­geld durch die Kran­ken­kas­se. Seit dem 1.8.2011 erhält der Kläger ei­ne für die Dau­er von drei Jah­ren be­fris­te­te Ren­te we­gen vol­ler Er­werbs­min­de­rung.

Auf das Ar­beits­verhält­nis fin­den die Re­ge­lun­gen des all­ge­mein­ver­bind­li­chen Bun­des­rah-men­ta­rif­ver­tra­ges Bau (BRTV-Bau) An­wen­dung.
Der Kläger ver­langt von der Be­klag­ten die Ab­gel­tung der Vergütungs­ansprüche für je 30 Ar­beits­ta­ge Ur­laub für die bei­den streit­ge­genständ­li­chen Jah­re. Er ist der Auf­fas­sung, auf­grund der Re­ge­lung des § 8 Nr. 6.1 c), 6.2 letz­ter Ab­satz BRTV-Bau könne er die Ab­gel­tung von der Be­klag­ten als sei­ner letz­ten Ar­beit­ge­be­rin ver­lan­gen, die Ur­laubs­kas­se sei nicht pas­siv­le­gi­ti­miert. § 8 Nr. 6.1 c) BRTV-Bau er­fas­se auch den Fall der be­fris­tet gewähr­ten Ren­te we­gen vol­ler Er­werbs­min­de­rung. Er ha­be ei­nen An­spruch auf fi­nan­zi­el­le Ab­gel­tung sei­nes vol­len ta­rif­li­chen Jah­res­ur­laubs, je­den­falls aber des ge­setz­li­chen Min­des­t­ur­laubs von 20 Ar­beits­ta­gen jähr­lich. Ei­ne uni­ons­rechts­kon­for­me Aus­le­gung na­tio­na­len Rechts sei ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Be­klag­ten möglich und not­wen­dig.

Der Kläger hat (zu­letzt) be­an­tragt,

1. die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an den Kläger 8.247,40 Eu­ro brut­to zuzüglich Zin­sen in Höhe von 5 Pro­zent­punk­ten über dem je­wei­li­gen Ba­sis­zins­satz auf je 4.123,70 Eu­ro seit dem 1.1.2011 und seit dem 1.1.2012 zu zah­len,

2. fest­zu­stel­len, dass die Be­klag­te ver­pflich­tet ist, dem Kläger für die Jah­re 2010 und 2011 von je 30 Ta­gen Ur­laub ab­zu­gel­ten,

hilfs­wei­se,

die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, für den Kläger an die SO­KA Bau Ur­laubs- und Lohn-aus­gleichs­kas­se der Bau­wirt­schaft, 65179 Wies­ba­den, Beiträge zu leis­ten für je 30 Ar­beits­ta­ge Ur­laub für die Jah­re 2010 und 2011.

Die Be­klag­te hat be­an­tragt,

die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Sie ist der Auf­fas­sung, sie sei nicht pas­siv­le­gi­ti­miert. § 8 Nr. 6.1 c) BRTV-Bau be­tref­fe nur den Fall des dau­er­haf­ten Aus­schei­dens des Ar­beit­neh­mers aus dem Er­werbs­le­ben. Die Gewährung ei­ner nur be­fris­te­ten Ren­te we­gen vol­ler Er­werbs­min­de­rung sei von der Norm nicht er­fasst, folg­lich müsse sich der Kläger an die Ur­laubs­kas­se wen­den.

Die Be­klag­te ver­tritt des Wei­te­ren die Auf­fas­sung, je­den­falls ste­he dem Kläger auf­grund der ein­schlägi­gen ta­rif­li­chen Vor­schrif­ten der ge­for­der­te Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruch nicht

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zu. § 13 Abs. 1 und 2 BUrIG so­wie die Vor­schrif­ten des BRTV-Bau sei­en ei­ner mit Art. 31 EU-Grund­rech­te­char­ta bzw. ei­ner mit der Richt­li­nie 2003/88/EG kon­for­men Aus­le­gung nicht zugäng­lich.

Wei­ter hilfs­wei­se be­ruft sich die Be­klag­te dar­auf, dass et­wai­ge Ur­laubs­ansprüche je­den­falls ver­fal­len sei­en.

2. Na­tio­na­le Vor­schrif­ten

Für den ge­setz­li­chen Min­des­t­ur­laub von vier Wo­chen jähr­lich gel­ten die Be­stim­mun­gen des Min­des­t­ur­laubs­ge­set­zes für Ar­beit­neh­mer (Bun­des­ur­laubs­ge­setz - BUrIG). § 13 Abs. 1 ermöglicht es den Ta­rif­ver­trags­par­tei­en, von den Vor­schrif­ten des Bun­des­ur­laubs­ge­set­zes mit Aus­nah­me der §§ 1, 2 und 3 Abs. 1 BUrIG ab­zu­wei­chen. Wei­ter­ge­hend er­laubt § 13 Abs. 2 BUrIG, u.a. im Bau­ge­wer­be durch Ta­rif­ver­trag von den an­sons­ten zwin­gen­den Be­stim­mun­gen des BUrIG ab­zu­wei­chen, so­weit dies zur Si­che­rung ei­nes zu­sam­menhängen­den Jah­res­ur­laubs für al­le Ar­beit­neh­mer er­for­der­lich ist. Die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en des Bau­ge­wer­bes ha­ben von die­ser Möglich­keit Ge­brauch ge­macht und im Bun­des­rah­men­ta­rif­ver­trag be­son­de­re Re­ge­lun­gen für Ent­ste­hung, Vergütung und Ab­gel­tung des Ur­laubs ge­schaf­fen.

Die maßgeb­li­chen Vor­schrif­ten des Min­des­t­ur­laubs­ge­set­zes für Ar­beit­neh­mer (Bun­des­ur­laubs­ge­setz) lau­ten:

§ 3 Dau­er des Ur­laubs

(1) Der Ur­laub beträgt jähr­lich min­des­tens 24 Werk­ta­ge.

§ 11 Ur­laubs­ent­gelt

(1) Das Ur­laubs­ent­gelt be­misst sich nach dem durch­schnitt­li­chen Ar­beits­ver­dienst, das der Ar­beit­neh­mer in den letz­ten 13 Wo­chen vor dem Be­ginn des Ur­laubs er­hal­ten hat, mit Aus­nah­me des zusätz­lich für Über­stun­den ge­zahl­ten Ar­beits­ver­diens­tes. ... Ver­dienstkürzun­gen, die im Be­rech­nungs­zeit­raum in­fol­ge von Kurz­ar­beit, Ar­beits­ausfällen oder un­ver­schul­de­ter Ar­beits­versäum­nis ein­tre­ten, blei­ben für die Be­rech­nung des Ur­laubs­ent­gelts außer Be­tracht....

§ 13 Un­ab­ding­bar­keit

(1) Von den vor­ste­hen­den Vor­schrif­ten mit Aus­nah­me der §§ 1, 2 und 3 Abs. 1 kann in Ta­rif­verträgen ab­ge­wi­chen wer­den. Die ab­wei­chen­den Be­stim­mun­gen ha­ben zwi­schen nicht ta­rif­ge­bun­de­nen Ar­beit­ge­bern und Ar­beit­neh­mern Gel­tung, wenn zwi­schen die­sen die An­wen­dung der ein­schlägi­gen ta­rif­li­chen Ur­laubs­re­ge­lun­gen ver­ein­bart ist. Im Übri­gen kann, ab­ge­se­hen von § 7 Abs. 2 Satz 2, von den Be­stim­mun­gen die­ses Ge­set­zes nicht zu Un­guns­ten des Ar­beit­neh­mers ab­ge­wi­chen wer­den.

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(2) Für das Bau­ge­wer­be oder sons­ti­ge Wirt­schafts­zwei­ge, in de­nen als Fol­ge häufi­gen Orts­wech­sels der von den Be­trie­ben zu leis­ten­den Ar­beit Ar­beits­verhält­nis­se von kürze­rer Dau­er als ei­nem Jahr in er­heb­li­chem Um­fan­ge üblich sind, kann durch Ta­rif­ver­trag von den vor­ste­hen­den Vor­schrif­ten über die in Abs. 1 Satz 1 vor­ge­se­he­ne Gren­ze hin­aus ab­ge­wi­chen wer­den, so­weit dies zur Si­che­rung ei­nes zu­sam­menhängen­den Jah­res­ur­laubs für al­le Ar­beit­neh­mer er­for­der­lich ist. Abs. 1 Satz 2 fin­det ent­spre­chen­de An­wen­dung.

Die maßgeb­li­chen Vor­schrif­ten des Bun­des­rah­men­ta­rif­ver­tra­ges für das Bau­ge­wer­be vom 4. Ju­li 2002 in der Fas­sung vom 17. De­zem­ber 2003, 29. Ju­li 2005 in der Fas­sung des Ände­rungs­ta­rif­ver­tra­ges vom 20. Au­gust 2007 (BRTV-Bau) lau­ten:

§ 8 Ur­laub

1. Ur­laubs­an­spruch und Ur­laubs­dau­er

1.1 Der Ar­beit­neh­mer hat in je­dem Ka­len­der­jahr (Ur­laubs­jahr) An­spruch auf 30 Ar­beits­ta­ge be­zahl­ten Er­ho­lungs­ur­laub.

1.3 Sams­ta­ge gel­ten nicht als Ar­beits­ta­ge.

1.4 Die Ur­laubs­dau­er rich­tet sich nach den in Be­trie­ben des Bau­ge­wer­bes zurück­ge­leg­ten Beschäfti­gungs­ta­gen.

2. Er­mitt­lung der Ur­laubs­dau­er

2.1 Bei Ur­laubs­an­tritt sind die dem Ar­beit­neh­mer zu­ste­hen­den vol­len Ur­laubs­ta­ge nach Maßga­be der Beschäfti­gungs­ta­ge zu er­mit­teln.

2.2 Der Ar­beit­neh­mer er­wirbt nach je­weils 12 - als Schwer­be­hin­der­ter nach je­weils 10,3 - Beschäfti­gungs­ta­gen An­spruch auf ei­nen Tag Ur­laub.

2.3 Beschäfti­gungs­ta­ge sind al­le Ka­len­der­ta­ge des Be­ste­hens von Ar­beits­verhält­nis­sen in Be­trie­ben des Bau­ge­wer­bes während des Ur­laubs­jah­res. Aus­ge­nom­men hier­von sind Ta­ge

- an de­nen der Ar­beit­neh­mer der Ar­beit un­ent­schul­digt fern­ge­blie­ben ist,

- un­be­zahl­ten Ur­laubs, wenn die­ser länger als 14 Ka­len­der­ta­ge ge­dau­ert hat,

- für die der ar­beits­unfähig er­krank­te Ar­beit­neh­mer we­der Ar­beits­ent­gelt noch Kran-ken­geld oder Ver­letz­ten­geld er­hal­ten hat.

2.4 Vol­le Beschäfti­gungs­mo­na­te sind zu 30 Beschäfti­gungs­ta­gen zu zählen; die Beschäfti­gungs­ta­ge ei­nes an­ge­fan­ge­nen Beschäfti­gungs­mo­nats sind aus­zuzählen.

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2.5 Bei Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses sind die während sei­ner Dau­er zurück­ge­leg­ten Beschäfti­gungs­ta­ge zu er­mit­teln.

2.6 Die für be­reits gewähr­ten Ur­laub berück­sich­tig­ten Beschäfti­gungs­ta­ge sind ver­braucht.

2.7 Zum En­de des Ur­laubs­jah­res sind aus den un­ver­brauch­ten Beschäfti­gungs­ta­gen die Rest­ur­laubs­ansprüche zu er­rech­nen; Bruch­tei­le von Ur­laubs­ta­gen sind auf vol­le Ur­laubs­ta­ge kaufmännisch zu run­den. Die Rest­ur­laubs­ansprüche sind in das fol­gen­de Ka­len­der­jahr zu über­tra­gen.

4. Ur­laubs­vergütung

4.1 Der Ar­beit­neh­mer erhält für den Ur­laub gemäß Nr. 1 ei­ne Ur­laubs­vergütung.

b) Die Ur­laubs­vergütung beträgt für den nach dem 31. De­zem­ber 2007 ent­stan­de­nen Ur­laub 14,25 v.H., bei Schwer­be­hin­der­ten im Sin­ne der ge­setz­li­chen Be­stim­mun­gen 16,63 v.H. des Brut­to­loh­nes. Die Ur­laubs­vergütung be­steht aus dem Ur-laubs­ent­gelt in Höhe von 11,4 v.H. - bei Schwer­be­hin­der­ten in Höhe von 13,3 v.H. des Brut­to­loh­nes und dem zusätz­li­chen Ur­laubs­geld. Das zusätz­li­che Ur­laubs­geld beträgt 25 v.H. des Ur­laubs­ent­gelts. Es kann auf be­trieb­lich gewähr­tes zusätz­li­ches Ur­laubs­geld an­ge­rech­net wer­den.

4.2 Brut­to­lohn ist

a) der für die Be­rech­nung der Lohn­steu­er zu­grun­de zu le­gen­de und in die Lohn­steu­er­kar­te oder die Lohn­steu­er­be­schei­ni­gung ein­zu­tra­gen­de Brut­to­ar­beits­lohn ein­sch­ließlich der Sach­bezüge, die nicht pau­schal nach § 40 EStG ver­steu­ert wer­den,

b) der nach §§ 40 a und 40 b EStG pau­schal zu ver­steu­ern­de Brut­to­ar­beits­lohn mit Aus­nah­me des Bei­trags für die ta­rif­li­che Zu­satz­ver­sor­gung der Ar­beit­neh­mer (§ 18 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 2 und § 19 Abs. 1 des Ta­rif­ver­tra­ges über das So­zi­al­kas­sen­ver­fah­ren im Bau­ge­wer­be), des Ar­beit­ge­ber­an­teils an der Fi­nan­zie­rung der Ta­rif­li­chen Zu­satz­ren­te (§ 2 Absätze 1 bis 5 des Ta­rif­ver­tra­ges über ei­ne Zu­satz­ren­te im Bau­ge­wer­be) so­wie des Bei­trags zu ei­ner Grup­pen-Un­fall­ver­si­che­rung,

c) der nach § 3 Nr. 39 EStG bei ge­ringfügi­ger Beschäfti­gung steu­er­freie Brut­to­ar­beits­lohn. Zum Brut­to­lohn gehören nicht das ta­rif­li­che 13. Mo­nats­ein­kom­men oder be­trieb­li­che Zah­lun­gen mit glei­chem Cha­rak­ter (z. B. Weih­nachts­geld, Jah­res­son­der­zah­lung), Ur­laubs­ab­gel­tun­gen gem. Nr. 6 und Ab­fin­dun­gen, die für die Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ge­zahlt wer­den.

4.3 Die Ur­laubs­vergütung für teil­wei­se gel­tend ge­mach­ten Ur­laub wird be­rech­net, in­dem die gemäß Nr. 4.1 er­rech­ne­te Ur­laubs­vergütung durch die Sum­me der gemäß Nr. 2 er­mit­tel­ten Ur­laubs­ta­ge ge­teilt und mit der Zahl der be­an­spruch­ten Ur­laubs­ta­ge ver­viel­facht wird.

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4.4 Für die Fällig­keit der Ur­laubs­vergütung gilt § 5 Nr. 7.2 ent­spre­chend.

4.5 Am En­de des Ur­laubs­jah­res sind Rest­ansprüche auf Ur­laubs­vergütung in das fol­gen­de Ka­len­der­jahr zu über­tra­gen.

5. Aus­gleichs­beträge

5.1 Für je­de Aus­fall­stun­de vor dem 1. Ja­nu­ar 2006, für die der Lohn­aus­fall nicht vergütet wor­den ist, höchs­tens je­doch für ins­ge­samt 1.200 Aus­fall­stun­den im Ur­laubs­jahr, ist für die durch

a) un­ver­schul­de­te Ar­beits­unfähig­keit in­fol­ge von Krank­heit bis zu dem Be­ginn des Be­zu­ges von Ar­beits­lo­sen­geld nach § 125 Abs. 1 SGB III,
ein­tre­ten­de Ver­min­de­rung des der Be­rech­nung der Ur­laubs­vergütung zu­grun­de lie­gen­den Brut­to­loh­nes ein Aus­gleich zu zah­len.

6. Ur­laubs­ab­gel­tung

6.1 Der Ar­beit­neh­mer hat nur dann ei­nen An­spruch auf Ur­laubs­ab­gel­tung in Höhe der Ur­laubs­vergütung, wenn er

a) länger als drei Mo­na­te nicht mehr in ei­nem Ar­beits­verhält­nis zu ei­nem von die­sem Ta­rif­ver­trag er­fass­ten Be­trieb ge­stan­den hat, oh­ne ar­beits­los zu sein,

b) länger als drei Mo­na­te nicht mehr in ei­nem Ar­beits­verhält­nis zu ei­nem von die­sem Ta­rif­ver­trag er­fass­ten Be­trieb ge­stan­den hat und be­rufs­unfähig oder auf nicht ab­seh­ba­re Zeit außer­stan­de ist, sei­nen bis­he­ri­gen Be­ruf im Bau­ge­wer­be aus­zuüben,

c) Al­ters­ren­te oder Ren­te we­gen Er­werbs­unfähig­keit be­zieht,

6.2 Der An­spruch auf Ur­laubs­ab­gel­tung rich­tet sich ge­gen die Kas­se. Die­ser An­spruch ist nur zu erfüllen, so­weit Beiträge für die Ur­laubs­ansprüche des je­wei­li­gen Ur­laubs­jah­res be­reits ge­leis­tet wor­den sind oder bis zum Ab­lauf des Ka­len­der­jah­res na­ch­en­trich­tet wer­den und nicht für die Er­stat­tung von Ur­laubs­vergütun­gen ver­wen­det wor­den oder zum Aus­gleich für ge­leis­te­te Er­stat­tun­gen zu ver­wen­den sind. §§ 366, 367 BGB fin­den kei­ne An­wen­dung.

In den von Nr. 6.1 Buchst. c) er­fass­ten Fällen ist je­doch ab­wei­chend von Satz 1 der­je­ni­ge Ar­beit­ge­ber zur Aus­zah­lung der Ur­laubs­ab­gel­tung ver­pflich­tet, bei dem der Ar­beit­neh­mer zu­letzt beschäftigt war.

7. Ver­fall der Ur­laubs- und Ur­laubs­ab­gel­tungs­ansprüche

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Die Ur­laubs­ansprüche und die Ur­laubs­ab­gel­tungs­ansprüche gemäß Nr. 6 ver­fal­len mit Ab­lauf des Ka­len­der­jah­res, das auf das Jahr der Ent­ste­hung der Ur­laubs­ansprüche folgt. § 15 ist aus­ge­schlos­sen.

8. Entschädi­gung

Nach Ver­fall der Ur­laubs­ansprüche oder Ur­laubs­ab­gel­tungs­ansprüche hat der Ar­beit­neh­mer in­ner­halb ei­nes wei­te­ren Ka­len­der­jah­res An­spruch auf Entschädi­gung ge­genüber der Kas­se in Höhe der Ur­laubs­vergütung, so­weit Beiträge für die Ur­laubs­ansprüche des je­wei­li­gen Ur­laubs­jah­res be­reits ge­leis­tet wor­den sind. Die­ser An­spruch be­steht auch dann, wenn bis zum Ab­lauf von vier Ka­len­der­jah­ren nach dem Ver­fall Beiträge na­ch­en­trich­tet wer­den und nicht für die Er­stat­tung von Ur­laubs­vergütun­gen bzw. die Zah­lung von Ur­laubs­ab­gel­tun­gen ver­wen­det wor­den oder zum Aus­gleich für ge­leis­te­te Er­stat­tun­gen zu ver­wen­den sind. §§ 366, 367 BGB fin­den kei­ne An­wen­dung.

15. Ur­laubs­kas­sen der Bau­wirt­schaft

15.1 Die als ge­mein­sa­me Ein­rich­tung der Ta­rif­ver­trags­par­tei­en be­ste­hen­de Ur­laubs- und Lohn­aus­gleichs­kas­se der Bau­wirt­schaft mit Sitz in Wies­ba­den (ULAK) hat ins­be­son­de­re die Auf­ga­be, die Aus­zah­lung der Ur­laubs­vergütung zu si­chern. Für Be­trie­be mit Sitz im Land Ber­lin tritt an die Stel­le der ULAK die So­zi­al­kas­se des Ber­li­ner Bau­ge­wer­bes mit Sitz in Ber­lin (So­ka-Ber­lin). Die Ar­beit­ge­ber ha­ben die da­zu er­for­der­li­chen Mit­tel durch Beiträge auf­zu­brin­gen. Auf die Beiträge hat die zuständi­ge Ur­laubs­kas­se (Kas­se) ei­nen un­mit­tel­ba­ren An­spruch. Die Höhe der Beiträge, der Bei­trags­ein­zug so­wie die Leis­tun­gen der Kas­se wer­den im Ta­rif­ver­trag über das So­zi­al­kas­sen­ver­fah­ren im Bau­ge­wer­be (VTV) ge­re­gelt.

3. Vor­schrif­ten des Uni­ons­rechts

Die am 1.12.2009 in Kraft ge­tre­te­ne Char­ta der Grund­rech­te der Eu­ropäischen Uni­on vom 12. De­zem­ber 2007 lau­tet aus­zugs­wei­se:

Ar­ti­kel 31 Ge­rech­te und an­ge­mes­se­ne Ar­beits­be­din­gun­gen

(1) Je­de Ar­beit­neh­me­rin und je­der Ar­beit­neh­mer hat das Recht auf ge­sun­de, si­che­re und würdi­ge Ar­beits­be­din­gun­gen.

(2) Je­de Ar­beit­neh­me­rin und je­der Ar­beit­neh­mer hat das Recht auf ei­ne Be­gren­zung der Höchst­ar­beits­zeit, auf tägli­che und wöchent­li­che Ru­he­zei­ten so­wie auf be­zahl­ten Jah­res­ur­laub.

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Die Richt­li­nie 2003/88/EG des Eu­ropäischen Par­la­ments und des Ra­tes vom 4. No­vem­ber 2003 über be­stimm­te As­pek­te der Ar­beits­zeit­ge­stal­tung (Ar­beits­zeit­richt­li­nie) lau­tet aus­zugs­wei­se:

Ar­ti­kel 7

Jah­res­ur­laub

1. Die Mit­glieds­staa­ten tref­fen die er­for­der­li­chen Maßnah­men, da­mit je­der Ar­beit­neh­mer ei­nen be­zahl­ten Min­dest­jah­res­ur­laub von vier Wo­chen nach Maßga­be der Be­din­gun­gen für die In­an­spruch­nah­me und die Gewährung erhält, die in den ein­zel­staat­li­chen Rechts­vor­schrif­ten und/oder nach den ein­zel­staat­li­chen Ge­pflo­gen­hei­ten vor­ge­se­hen sind.

2. Der be­zahl­te Min­dest­jah­res­ur­laub darf außer bei Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses nicht durch ei­ne fi­nan­zi­el­le Vergütung er­setzt wer­den.

4. Ent­schei­dungs­er­heb­lich­keit der Aus­le­gung des Uni­ons­rechts

a) Nach Auf­fas­sung des vor­le­gen­den Ge­richts ist die Be­klag­te als letz­te Ar­beit­ge­be­rin des Klägers in Be­zug auf den hier streit­ge­genständ­li­chen Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruch die zu­tref­fen­de An­spruchs­geg­ne­rin:

In Ar­beits­verhält­nis­sen des Bau­ge­wer­bes be­steht in Deutsch­land auf­grund der Re­ge­lun­gen des § 13 Abs. 2 BUrIG und des BRTV-Bau die Be­son­der­heit, dass der An­spruch auf fi­nan­zi­el­le Ab­gel­tung von Ur­laub nur in den von § 8 Nr. 6.1 BRTV-Bau auf­gezähl­ten Fällen zur Ent­ste­hung ge­langt und sich nur im Fall des § 8 Nr. 6.1 c) BRTV-Bau ge­gen den letz­ten Ar­beit­ge­ber rich­tet, an­sons­ten ge­gen die Ur­laubs­kas­se. Die Be­klag­te ver­tritt die Auf­fas­sung, dass § 8 Nr. 6.1 c) BRTV-Bau nur die Fälle des dau­er­haf­ten Aus­schei­dens aus dem Er­werbs­le­ben er­fas­se und da­mit nicht die bloß be­fris­te­te Gewährung ei­ner Ren­te we­gen vol­ler Er­werbs­min­de­rung be­tref­fe.

aa) § 8 Nr. 6.1 c) BRTV-Bau un­ter­schei­det je­doch nach sei­nem Wort­laut nicht zwi­schen "be­fris­te­ter" und "un­be­fris­te­ter" Gewährung der Ren­te. Da­mit be­zieht die­se ta­rif­li­che Norm jeg­li­che Ren­ten­gewährung we­gen Er­werbs­unfähig­keit bzw. der an die Stel­le der Er­werbs­unfähig­keits­ren­te ge­tre­te­nen Ren­te we­gen vol­ler Er­werbs­min­de­rung in ih­ren An­wen­dungs­be­reich ein. Hätten die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en ei­nen ge­gen den Ar­beit­ge­ber ge­rich­te­ten Ab­gel­tungs­an­spruch nur für den Fall der Gewährung ei­ner be­stimm­ten Art von Er­werbs­min­de­rungs­ren­te vor­se­hen wol­len, hätte Ge­le­gen­heit und Ver­an­las­sung be­stan­den, den Wort­laut der Ta­rif­norm en­ger zu fas­sen.

bb) Zum so­zi­al­ver­si­che­rungs­recht­li­chen Hin­ter­grund im na­tio­na­len Recht wird aus­geführt, dass auf die an die Stel­le der frühe­ren Ren­te we­gen Er­werbs­unfähig­keit ge­tre­te­ne Ren­te we­gen vol­ler Er­werbs­min­de­rung die Vor­schrift des § 102 SGB VI An­wen­dung fin­det. § 102 Abs. 2 SGB VI be­stimmt, dass Ren­ten we­gen ver­min­der­ter Er­werbsfähig­keit auf Zeit ge­leis­tet wer­den. Die Be­fris­tung er­folgt für längs­tens drei Jah­re nach Ren­ten­be­ginn. Sie kann verlängert wer­den; da­bei ver­bleibt es bei dem ursprüng­li­chen Ren­ten­be­ginn. Verlänge­run­gen er­fol­gen für längs­tens drei Jah­re nach dem Ab­lauf der vor­he­ri­gen Frist. Ren­ten, auf die ein An­spruch un­abhängig von der je­wei­li­gen Ar­beits­markt­la­ge be­steht, wer­den un-

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be­fris­tet ge­leis­tet, wenn un­wahr­schein­lich ist, dass die Min­de­rung der Er­werbsfähig­keit be­ho­ben wer­den kann; hier­von ist nach ei­ner Ge­samt­dau­er der Be­fris­tung von neun Jah­ren aus­zu­ge­hen. Wird un­mit­tel­bar im An­schluss an ei­ne auf Zeit ge­leis­te­te Ren­te die­se Ren­te un­be­fris­tet ge­leis­tet, ver­bleibt es bei dem ursprüng­li­chen Ren­ten­be­ginn.

In der Pra­xis wird die Vor­schrift so aus­ge­legt und an­ge­wen­det, dass, selbst wenn die Rück­kehr ins Er­werbs­le­ben nicht wahr­schein­lich ist, zunächst na­he­zu aus­sch­ließlich ei­ne be­fris­te­te Ren­te gewährt wird. Erst nach ei­ner Ge­samt­dau­er der Be­fris­tung von neun Jah­ren wird die Ren­te un­be­fris­tet gewährt.

Würde man § 8 Nr. 6.1 BRTV-Bau so aus­le­gen, dass die Vor­schrift sich nur auf die Gewährung ei­ner un­be­fris­te­ten Ren­te be­zieht, lie­fe sie in der Pra­xis bezüglich des Tat­be­stands­merk­mals „Er­werbs­unfähig­keits­ren­te" na­he­zu leer. Das vor­le­gen­de Ge­richt geht da­von aus, dass die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en kei­ne Norm schaf­fen woll­ten, die in der Pra­xis na­he­zu kei­nen An­wen­dungs­be­reich be­sitzt.

cc) Aus den dar­ge­leg­ten Gründen geht das vor­le­gen­de Ge­richt in Aus­le­gung des § 8 Nr. 6.1 c) BRTV-Bau da­von aus, dass auch be­reits der Be­zug ei­ner be­fris­te­ten Ren­te we­gen vol­ler Er­werbs­min­de­rung die­ser Ta­rif­norm un­terfällt. Da­mit be­sitzt der Kläger nach den Vor­schrif­ten des BRTV-Bau ei­nen An­spruch auf Ur­laubs­ab­gel­tung. Die­ser rich­tet sich gem. § 8 Nr. 6.2 BRTV-Bau ge­gen die letz­te Ar­beit­ge­be­rin. Das ist die Be­klag­te.
Da sich be­reits bei der aus Sicht des vor­le­gen­den Ge­richts zu­tref­fen­den Aus­le­gung des § 8 Nr. 6.1 c) BRTV-Bau ein ge­gen die Be­klag­te als Ar­beit­ge­be­rin ge­rich­te­ter An­spruch er­gibt, kommt es aus Sicht des vor­le­gen­den Ge­richts für die Ent­schei­dung des vor­lie­gen­den Fal­les nicht dar­auf an, ob die Re­ge­lung des § 8 Nr. 6.1 BRTV-Bau, die ei­nen An­spruch auf Ur­laubs­ab­gel­tung nur in be­stimm­ten Fällen vor­sieht, und die Re­ge­lung des § 8 Nr. 6.2 BRTV-Bau, die den Ar­beit­neh­mer re­gelmäßig an die Ur­laubs­kas­se ver­weist und Ur­laubs­ab­gel­tungs­ansprüche ge­gen den Ar­beit­ge­ber dem­ent­spre­chend in ei­ner Viel­zahl von Fällen aus­sch­ließt, mit den Vor­schrif­ten des Uni­ons­rechts ver­ein­bar sind.

b) Die Be­klag­te ver­mag mit dem Ein­wand, die kläge­ri­schen Ansprüche sei­en ver­fal­len, je­den­falls im Hin­blick auf Ab­gel­tungs­ansprüche für Ur­laub des Jah­res 2011 nicht durch­zu­drin­gen, da der Kläger die ta­rif­li­che Aus­schluss­frist in­so­weit ein­ge­hal­ten hat.

c) Der kla­ge­wei­se gel­tend ge­mach­te An­spruch ist da­mit nach Auf­fas­sung des vor­le­gen­den Ge­richts dann zu­min­dest teil­wei­se zu­zu­spre­chen, wenn der Ge­richts­hof der Eu­ropäischen Uni­on die Vor­la­ge­fra­gen zu 1., 2., 4. und 5. be­jaht. Die Höhe der kläge­ri­schen Ansprüche hängt u.a. da­von ab, wie der Ge­richts­hof der Eu­ropäischen Uni­on die Vor­la­ge­fra­ge zu 3. be­ant­wor­tet. Ob auch Ansprüche auf Ab­gel­tung des im Jahr 2010 er­wor­be­nen Ur­laubs be­ste­hen, hängt von der Be­ant­wor­tung der zu 6. ge­stell­ten Vor­la­ge­fra­ge ab. Die Vor­la­ge­fra­gen sind für den Rechts­streit ent­schei­dungs­er­heb­lich, weil es nur noch von ih­rer Be­ant­wor­tung abhängt, ob der Kla­ge - zu­min­dest teil­wei­se - statt­zu­ge­ben ist.

5. Ge­gen­stand der Vor­la­ge­fra­gen

a) Ge­gen­stand der ers­ten Vor­la­ge­fra­ge ist, ob Uni­ons­recht - in Ge­stalt des Art. 31 der EU-Grund­rech­te­char­ta (im fol­gen­den: die "Char­ta") so­wie des Ar­ti­kel 7 Abs. 1 der Richt­li­nie 2003/88/EG - ei­ner Aus­le­gung der na­tio­na­len Re­ge­lung in § 13 Abs. 2 BUrIG ent­ge­gen­steht, nach der in be­stimm­ten Bran­chen die Dau­er des jähr­li­chen Min­des­t­ur­laubs von vier Wo­chen durch Ta­rif­ver­trag ver­rin­gert wer­den kann. Die Fra­ge ist vor­lie­gend des­we­gen ent­schei­dungs­er­heb­lich, weil die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en des Bau­ge­wer­bes in An­wen­dung

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die­ser na­tio­na­len Vor­schrift in § 8 Nr. 2.2, 2.3 BRTV-Bau die Höhe des Ur­laubs­an­spruchs im Fal­le des Auf­tre­tens nicht ent­gelt­fort­zah­lungs­pflich­ti­ger und nicht kran­ken- bzw. ver­letz­ten­geldfähi­ger Krank­heits­zeiträume re­du­ziert ha­ben und der Kläger in An­wen­dung die­ser na­tio­na­len ge­setz­li­chen bzw. ta­rif­li­chen Vor­schrif­ten vor­lie­gend für das Jahr 2011 le­dig­lich ei­nen Ur­laubs­an­spruch in Höhe von 15,23 Ta­gen besäße.

Die Char­ta ist zum 1.12.2009 in Kraft ge­tre­ten. Art. 31 der Char­ta fin­det auf die hier in Streit be­find­li­chen Ansprüche, die sich auf die Jah­re 2010 und 2011 be­zie­hen, An­wen­dung.

§ 13 Abs. 2 BUrIG be­stimmt, dass die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en (u.a.) des Bau­ge­wer­bes über die in Ab­satz 1 Satz 1 der Vor­schrift vor­ge­se­he­ne Gren­ze hin­aus von den Vor­schrif­ten des Bun­des­ur­laubs­ge­set­zes ab­wei­chen können. Bei ei­ner rein am Wort­laut der Vor­schrift ori­en­tier­ten Aus­le­gung wird da­mit den Ta­rif­part­nern auch die Be­fug­nis ein­geräumt, in Ab­wei­chung von § 1 BUrIG dem Ar­beit­neh­mer den An­spruch auf be­zahl­ten Jah­res­ur­laub in be­stimm­ten Fällen zu ver­weh­ren und in Ab­wei­chung von § 3 Abs. 1 BUrIG zu re­geln, dass der Ar­beit­neh­mer in be­stimm­ten Fällen nur An­spruch auf Ur­laub für we­ni­ger als 24 Werk­ta­ge (was vier Wo­chen ent­spricht, § 3 Abs. 2 BUrIG), ggf. über­haupt kei­nen Ur­laubs­an­spruch, be­sitzt.

Nach Auf­fas­sung des vor­le­gen­den Ge­richts ge­bie­tet Art. 31 Abs. 2 der Char­ta in Ver­bin­dung mit Art. 7 Nr. 1 der Richt­li­nie 2003/88/EG ein ein­ge­schränk­te­res Verständ­nis des § 13 Abs. 2 BUrIG. Die ge­nann­ten Vor­schrif­ten des Uni­ons­rechts ste­hen nach Auf­fas­sung des vor­le­gen­den Ge­richts je­der Aus­le­gung des § 13 Abs. 2 BUrIG ent­ge­gen, nach wel­cher den Ta­rif­ver­trags­par­tei­en be­stimm­ter Bran­chen die Be­fug­nis ein­geräumt würde, das Recht ei­nes je­den Ar­beit­neh­mers auf be­zahl­ten Jah­res­ur­laub von vier Wo­chen ein­zu­schränken.

Ein na­tio­na­les Ge­richt, bei dem ein Rechts­streit aus­sch­ließlich zwi­schen Pri­va­ten anhängig ist, muss bei der An­wen­dung der Be­stim­mun­gen des in­ner­staat­li­chen Rechts, die zur Um­set­zung der in ei­ner Richt­li­nie vor­ge­se­he­nen Ver­pflich­tun­gen er­las­sen wor­den sind, das ge­sam­te na­tio­na­le Recht berück­sich­ti­gen und es so weit wie möglich an­hand des Wort­lauts und des Zwe­ckes der Richt­li­nie aus­zu­le­gen, um zu ei­nem Er­geb­nis zu ge­lan­gen, das mit dem von der Richt­li­nie ver­folg­ten Ziel ver­ein­bar ist (EuGH vom 5.10.2004 - C-397/01 bis C-403/01 - Pfeif­fer u.a.; vom 10.3.2011 - C-109/09 - Deut­sche Luft­han­sa).

Der Ge­richts­hof der Eu­ropäischen Uni­on hat be­reits ent­schie­den, dass Art. 7 Abs. 1 der Richt­li­nie 2003/88/EG des Eu­ropäischen Par­la­ments und des Ra­tes vom 4. No­vem­ber 2003 über be­stimm­te As­pek­te der Ar­beits­zeit­ge­stal­tung da­hin aus­zu­le­gen ist, dass er na­tio­na­len Be­stim­mun­gen oder Ge­pflo­gen­hei­ten ent­ge­gen­steht, nach de­nen der An­spruch auf be­zahl­ten Jah­res­ur­laub von ei­ner ef­fek­ti­ven Min­dest­ar­beits­zeit von zehn Ta­gen oder ei­nem Mo­nat während des Be­zugs­zeit­raums abhängt (EuGH vom 24.1.2012 - C-282/10 - Do­m­in­guez).

Nach Auf­fas­sung des vor­le­gen­den Ge­richts kann § 13 Abs. 2 BUrIG auch uni­ons­rechts-kon­form aus­ge­legt wer­den. Be­reits die Vor­schrift selbst stellt die Be­fug­nis­se der Ta­rif­ver­trags­par­tei­en un­ter die ein­schränken­de Be­din­gung, dass Ab­wei­chun­gen nur zulässig sind, so­weit dies zur Si­che­rung ei­nes zu­sam­menhängen­den Jah­res­ur­laubs für al­le Ar­beit­neh­mer er­for­der­lich ist. Ei­ne Ein­schränkung des Rechts des Ar­beit­neh­mers auf be­zahl­ten Jah­res­ur­laub von vier Wo­chen ist nach Auf­fas­sung des vor­le­gen­den Ge­richts nicht zur Si­che­rung ei­nes zu­sam­menhängen­den Jah­res­ur­laubs für al­le Ar­beit­neh­mer er­for­der­lich.

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b) Ge­gen­stand der zwei­ten Vor­la­ge­fra­ge ist, ob Ar­ti­kel 31 der Char­ta und Ar­ti­kel 7 Abs. 1 der Richt­li­nie 2003/88/EG vom 4. No­vem­ber 2003 über be­stimm­te As­pek­te der Ar­beits­zeit­ge­stal­tung ei­ner Aus­le­gung der na­tio­na­len Re­ge­lung in § 13 Abs. 1 BUrIG ent­ge­gen­ste­hen, nach der in Ta­rif­verträgen be­stimmt wer­den kann, dass Ver­dienstkürzun­gen, die im Be­rech­nungs­zeit­raum in­fol­ge von Kurz­ar­beit, Ar­beits­ausfällen oder un­ver­schul­de­ter Ar­beits­versäum­nis ein­tre­ten, auf die Be­rech­nung des Ur­laubs­ent­gel­tes Ein­fluss ha­ben, mit der Fol­ge, dass der Ar­beit­neh­mer für die Dau­er des jähr­li­chen Min­des­t­ur­laubs von vier Wo­chen kei­ner­lei Ur­laubs­vergütung oder - am En­de des Ar­beits­verhält­nis­ses - kei­ner­lei Ur­laubs­ab­gel­tung erhält. Die Fra­ge ist vor­lie­gend des­we­gen ent­schei­dungs­er­heb­lich, weil § 8 Nr. 4.1, 4.2 BRTV-Bau un­ter Be­ru­fung auf die ge­setz­li­che Ermäch­ti­gung des § 13 Abs. 1 BUrIG die Höhe der Ur­laubs­vergütung an den im Be­rech­nungs­zeit­raum er­ziel­ten Brut­to­lohn kop­pelt und der Kläger in An­wen­dung die­ser na­tio­na­len ge­setz­li­chen bzw. ta­rif­li­chen Vor­schrif­ten vor­lie­gend für das Jahr 2011 kei­nen fi­nan­zi­el­len Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruch besäße, weil er im Jahr 2011 kei­nen Brut­to­lohn er­zielt hat.

Ei­ne sich rein am Wort­laut des § 13 Abs. 1 BUrIG aus­rich­ten­de Aus­le­gung er­gibt, dass die Ta­rif­part­ner in Ab­wei­chung von § 11 BUrIG be­stim­men können, dass der Ar­beit­neh­mer zwar Ansprüche auf Gewährung von Ur­laubs­ta­gen be­sitzt, für die Zei­ten die­ses Ur­laubs je­doch in be­stimm­ten Fällen von Ver­dienstkürzun­gen bzw. - weg­fall im Be­rech­nungs­zeit­raum, die et­wa auf Kurz­ar­beit, Ar­beits­aus­fall oder un­ver­schul­de­te Ar­beits­versäum­nis zurück­ge­hen, kei­nen An­spruch auf Ur­laubs­ent­gelt hat und fol­ge­rich­tig im Fall der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses auch kei­ne auf fi­nan­zi­el­le Ab­gel­tung des Ur­laubs­an­spruchs ge­rich­te­ten Ansprüche gel­tend ma­chen kann. Der häufigs­te und auch im vor­lie­gen­den Rechts­streit ein­schlägi­ge Fall der un­ver­schul­de­ten Ar­beits­versäum­nis ist die Ar­beits­unfähig­keit auf­grund von Krank­heit.

Nach Auf­fas­sung des vor­le­gen­den Ge­richts ge­bie­tet Art. 31 Abs. 2 der Char­ta in Ver­bin­dung mit Art. 7 Nr. 1 der Richt­li­nie 2003/88/EG ein ein­ge­schränk­te­res Verständ­nis des § 13 Abs. 1 BUrIG. Die ge­nann­ten Vor­schrif­ten des Uni­ons­rechts ste­hen nach Auf­fas­sung des vor­le­gen­den Ge­richts je­der Aus­le­gung des § 13 Abs. 1 BUrIG ent­ge­gen, nach wel­cher Ta­rif­ver­trags­par­tei­en die Be­fug­nis ein­geräumt würde, das Recht ei­nes je­den Ar­beit­neh­mers auf be­zahl­ten Jah­res­ur­laub von vier Wo­chen ein­zu­schränken.

Die be­reits zi­tier­te Ent­schei­dung des Ge­richts­hofs der Eu­ropäischen Uni­on i.S. Do­m­in­guez (EuGH vom 24.1.2012 - C-282/10) ist nach dem Verständ­nis des vor­le­gen­den Ge­richts da­hin­ge­hend aus­zu­le­gen, dass nicht nur die Gewährung des Ur­laubs als sol­chem, son­dern auch und ge­ra­de des­sen Be­zah­lung - sei es als Ur­laubs­vergütung, sei es als Ur­laubs­ab­gel­tung nach dem En­de des Ar­beits­verhält­nis­ses - nicht von ei­ner ef­fek­ti­ven Min­dest­ar­beits­zeit während des Be­rech­nungs­zeit­raums abhängig ge­macht wer­den darf.

Nach Auf­fas­sung des vor­le­gen­den Ge­richts kann § 13 Abs. 1 BUrIG auch uni­ons­rechts­kon­form aus­ge­legt wer­den. § 13 Abs. 1 BUrIG gibt den Ta­rif­par­tei­en be­reits nach sei­nem Wort­laut nicht die Be­rech­ti­gung, von §§ 1 und 3 BU­riG ab­zu­wei­chen. § 1 BUrIG sta­tu­iert ei­nen An­spruch des Ar­beit­neh­mers auf be­zahl­ten Jah­res­ur­laub. § 3 BUrIG legt den jähr­li­chen Ur­laubs­an­spruch auf der Ba­sis ei­ner Sechs-Ta­ge-Wo­che auf 24 Werk­ta­ge, so­mit auf vier Wo­chen, fest. Die­sen Vor­schrif­ten des na­tio­na­len Rechts lau­fen je­den­falls sol­che Ge­stal­tun­gen der Ta­rif­par­tei­en zu­wi­der, die da­zu führen, dass der Ar­beit­neh­mer auf­grund von Ver­dienst­ausfällen im Be­rech­nungs­zeit­raum kei­ner­lei An­spruch auf Ur­laubs­vergütung bzw. - ab­gel­tung be­sitzt.

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c) Ge­gen­stand der drit­ten Vor­la­ge­fra­ge ist, ob Ar­ti­kel 31 der Char­ta und Ar­ti­kel 7 Abs. 1 der Richt­li­nie 2003/88/EG vorn 4. No­vem­ber 2003 über be­stimm­te As­pek­te der Ar­beits­zeit­ge­stal­tung ei­ner Aus­le­gung der na­tio­na­len Re­ge­lung in § 13 Abs. 1 BUrIG ent­ge­gen­ste­hen, nach der in Ta­rif­verträgen be­stimmt wer­den kann, dass Ver­dienstkürzun­gen, die im Be­rech­nungs­zeit­raum in­fol­ge von Kurz­ar­beit, Ar­beits­ausfällen oder un­ver­schul­de­ter Ar­beits­versäum­nis ein­tre­ten, auf die Be­rech­nung des Ur­laubs­ent­gel­tes Ein­fluss ha­ben, mit der Fol­ge, dass der Ar­beit­neh­mer für die Dau­er des jähr­li­chen Min­des­t­ur­laubs von vier Wo­chen ei­ne ge­rin­ge­re Ur­laubs­vergütung - bzw. nach Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ei­ne ge­rin­ge­re Ur­laubs­ab­gel­tung - erhält, als er er­hiel­te, wenn der Be­rech­nung der Ur­laubs­vergütung der durch­schnitt­li­che Ar­beits­ver­dienst zu­grun­de ge­legt wird, den der Ar­beit­neh­mer im Be­rech­nungs­zeit­raum oh­ne sol­che Ver­dienstkürzun­gen er­hal­ten hätte. Die Fra­ge ist vor­lie­gend des­we­gen ent­schei­dungs­er­heb­lich, weil § 8 Nr. 4.1, 4.2 BRTV-Bau un­ter Be­ru­fung auf die ge­setz­li­che Ermäch­ti­gung des § 13 Abs. 1 BUrIG die Höhe der Ur­laubs­vergütung an den im Be­rech­nungs­zeit­raum er­ziel­ten Brut­to­lohn kop­pelt und der Kläger in An­wen­dung die­ser na­tio­na­len ge­setz­li­chen bzw. ta­rif­li­chen Vor­schrif­ten vor­lie­gend für das Jahr 2010 nur ei­nen ge­rin­gen fi­nan­zi­el­len Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruch besäße, weil er im Jahr 2010 nur ei­nen ge­rin­gen Brut­to­lohn er­zielt hat.

Ei­ne sich rein am Wort­laut des § 13 Abs. 1 BUrIG aus­rich­ten­de Aus­le­gung er­gibt, dass die Ta­rif­part­ner be­stim­men können, dass der Ar­beit­neh­mer zwar Ur­laubs­ansprüche be­sitzt, für die Zei­ten die­ses Ur­laubs je­doch in be­stimm­ten Fällen von Ver­dienstkürzun­gen im Be­rech­nungs­zeit­raum, die et­wa auf Kurz­ar­beit, Ar­beits­aus­fall oder un­ver­schul­de­te Ar­beits­versäum­nis zurück­ge­hen, in Ab­wei­chung von § 11 Abs. 1 Satz 3 BUrIG ei­nen ver­rin­ger­ten An­spruch auf Ur­laubs­ent­gelt hat und fol­ge­rich­tig im Fall der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses auch nur ver­rin­ger­te auf fi­nan­zi­el­le Ab­gel­tung des Ur­laubs­an­spruchs ge­rich­te­te Ansprüche gel­tend ma­chen kann.

Hier­zu ist zu erläutern, dass der deut­sche Ge­setz­ge­ber sich im Ur­laubs­recht für ein aus Re­fe­renz- und Lohn­aus­fall­prin­zip be­ste­hen­des ge­misch­tes Sys­tem ent­schie­den hat: Die Ur­laubs­vergütung ist ein Pro­dukt aus dem Geld­fak­tor, der an­hand der Da­ten in der Ver­gan­gen­heit er­rech­net wird, und der in der Zu­kunft lie­gen­den Zeit, die im Ur­laub aus­fal­len wird. Das deut­sche Ur­laubs­recht knüpft die Höhe der Ur­laubs­vergütung (und auch die Höhe ei­ner Ur­laubs­ab­gel­tung) an den Ver­dienst, den der Ar­beit­neh­mer in ei­nem be­stimm­ten vor­an­ge­gan­ge­nen Zeit­raum - dem sog. Be­rech­nungs- oder Re­fe­renz­zeit­raum - er­hal­ten hat. § 11 Abs. 1 Satz 1 BUrIG legt die­sen Be­rech­nungs­zeit­raum auf die letz­ten drei­zehn Wo­chen vor dem Be­ginn des Ur­laubs fest. § 11 Abs. 1 Satz 3 BUrIG be­stimmt, dass Ver­dienstkürzun­gen, die in die­sem Be­rech­nungs­zeit­raum in­fol­ge von Kurz­ar­beit, Ar­beits­aus-fällen oder un­ver­schul­de­ter Ar­beits­versäum­nis ent­ste­hen, für die Be­rech­nung des Ur­laubs­ent­gelts außer Be­tracht blei­ben. Sol­che Ver­dienst­ausfälle min­dern al­so nach der ge­setz­ge­be­ri­schen Grund­kon­zep­ti­on das Ur­laubs­ent­gelt nicht.

Nach der Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs be­deu­tet der Aus­druck "be­zahl­ter Jah­res­ur­laub" in Art. 7 Abs. 1 der Richt­li­nie 2003/88, dass das Ar­beits­ent­gelt für die Dau­er des Jah­res­ur­laubs im Sin­ne die­ser Richt­li­nie wei­ter­zu­gewähren ist und dass der Ar­beit­neh­mer mit an­de­ren Wor­ten für die­se Ru­he­zeit das gewöhn­li­che Ar­beits­ent­gelt er­hal­ten muss (EuGH v. 16.3.2006 - C-131/04 - Ro­bin­son-Stee­le). Folg­lich ist das gewöhn­li­che Ar­beits­ent­gelt des Ar­beit­neh­mers, das während der dem be­zahl­ten Jah­res­ur­laub ent­spre­chen­den Ru­he­zeit wei­ter­zu­zah­len ist, auch für die Be­rech­nung der fi­nan­zi­el­len Vergütung für bei Be­en­di­gung des Ver­trags­verhält­nis­ses nicht ge­nom­me­nen Jah­res­ur­laub maßge­bend (EuGH v. 20.1.2009 - C-350/06 - Schultz-Hoff; v. 16.3.2006 - C-131/04 - Ro­bin­son-Stee­le). Die Be­ur­tei­lung, ob auch tatsächlich das gewöhn­li­che Ar­beits­ent­gelt für den Jah­res­ur­laub be­zahlt wird, muss auf der Ba­sis ei­nes Durch­schnitts­werts über ei­nen hin­rei­chend re­präsen­ta­ti­ven

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Re­fe­renz­zeit­raum und im Licht des von der Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs ent­wi­ckel­ten Grund­sat­zes vor­ge­nom­men wer­den, wo­nach der An­spruch auf Jah­res­ur­laub und der auf Zah­lung des Ur­laubs­ent­gelts in der Richt­li­nie 2003/88 als zwei As­pek­te ei­nes ein­zi­gen An­spruchs be­han­delt wer­den (EuGH v. 15.9.2011 - C-155/10 - Wil­liams; v. 20.1.2009 - C-350/06 - Schultz-Hoff; v. 16.3.2006 - C-131/04 - Ro­bin­son-Stee­le).

Das vor­le­gen­de Ge­richt ge­stat­tet sich zunächst die An­mer­kung, dass sei­nes Er­ach­tens die hier im Hin­blick auf die Höhe des Ur­laubs­ent­gelts bzw. der Ur­laubs­ab­gel­tung in Re­de ste­hen­den Fra­gen nicht be­reits un­mit­tel­bar oder mit­tel­bar durch die Ent­schei­dung des Ge­richts­hofs v. 15.9.2011 - C-155/10 - Wil­liams be­ant­wor­tet sind. Dort ging es um die Fra­ge, in­wie­weit ne­ben dem Grund­ge­halt an­de­re Be­stand­tei­le des Ent­gelts bei der Be­rech­nung der Ur­laubs­vergütung ein­zu­be­zie­hen sind, um ei­ne uni­ons­rechts­kon­for­me Aus­le­gung des na­tio­na­len Rechts si­cher­zu­stel­len. Vor­lie­gend ist von Be­deu­tung, in­wie­weit na­tio­na­les Recht uni­ons­rechts­kon­form ist, das Ver­dienst­ausfälle un­ter­schied­lichs­ter Art, die im Be­rech­nungs­zeit­raum auf­tre­ten können, bei der Be­rech­nung des Ur­laubs­ent­gelts min­dernd berück­sich­tigt.

Das vor­le­gen­de Ge­richt ver­steht die bis­her er­gan­ge­nen Ent­schei­dun­gen des Ge­richts­hofs, ins­be­son­de­re die Ent­schei­dung i.S. Wil­liams, so, dass Art. 31 Abs. 2 der Char­ta in Ver­bin­dung mit Art. 7 Nr. 1 der Richt­li­nie 2003/88/EG es nicht ge­bie­ten, dem Ar­beit­neh­mer in na­tio­na­len Re­ge­lun­gen ei­nen gleich ho­hen An­spruch auf Be­zah­lung sei­nes Min­des­t­ur­laubs von vier Wo­chen zu si­chern, wie der Ar­beit­ge­ber dem Ar­beit­neh­mer für die­sen Zeit­raum zu vergüten hätte, wenn der Ar­beit­neh­mer in die­sem Zeit­raum ge­ar­bei­tet hätte (rei­nes Lohn­aus­fall­prin­zip). Viel­mehr ist nach dem Verständ­nis des vor­le­gen­den Ge­richts die An­knüpfung an ei­nen vor dem Ur­laub lie­gen­den Zeit­raum, den Be­rech­nungs- oder Re­fe­renz­zeit­raum, wie § 11 Abs. 1 Satz 1 BUrIG ihn vor­nimmt, uni­ons­rechts­kon­for­mes na­tio­na­les Recht.

Auch der Um­stand, dass in An­wen­dung des § 11 Abs. 1 Satz 3 BUrIG je­des ver­schul­de­te Ar­beits­versäum­nis im Be­rech­nungs­zeit­raum, das ja in der Re­gel auch ei­ne Re­du­zie­rung des Ver­diens­tes im Re­fe­renz­zeit­raum zur Fol­ge hat, das Ur­laubs­ent­gelt min­dert, führt nach dem Verständ­nis des vor­le­gen­den Ge­richts nicht da­zu, dass die­se na­tio­na­le ge­setz­li­che Re­ge­lung in­so­weit als uni­ons­rechts­wid­rig an­zu­se­hen wäre.

§ 13 Abs. 1 BUrIG geht über die­se ge­setz­li­che Grund­kon­zep­ti­on hin­aus, in­dem den Ta­rif­ver­trags­par­tei­en die grundsätz­li­che Möglich­keit ein­geräumt wird, Be­stim­mun­gen zu schaf­fen, die in Ab­wei­chung von § 11 Abs. 1 Satz 3 BUrIG re­geln, dass im Be­rech­nungs­zeit­raum an­ge­fal­le­ne Kurz­ar­beit oder un­ver­schul­de­te Ar­beits­versäum­nis, ins­be­son­de­re auf­grund von Krank­heit, die zu ei­ner Min­de­rung des im Be­rech­nungs­zeit­raum er­ziel­ten Ver­diens­tes führen, auch ein ge­rin­ge­res Ur­laubs­ent­gelt zur Fol­ge ha­ben.

Nach Auf­fas­sung des vor­le­gen­den Ge­richts ge­bie­tet es das Uni­ons­recht nicht, es vollständig zu un­ter­sa­gen, dass im na­tio­na­len Recht Re­ge­lun­gen ge­schaf­fen wer­den, nach de­nen sich auch Fälle un­ver­schul­de­ter Ar­beits­versäum­nis im Be­rech­nungs­zeit­raum, auch auf­grund von Krank­heit, auf das Ur­laubs­ent­gelt grundsätz­lich min­dernd aus­wir­ken können. Es ist zu berück­sich­ti­gen, dass im Ar­beits­verhält­nis die Leis­tun­gen des Ar­beit­ge­bers, ins­be­son­de­re die Lohn­zah­lung, in ei­nem Ge­gen­sei­tig­keits­verhält­nis zu den Leis­tun­gen des Ar­beit­neh­mers, ins­be­son­de­re zu des­sen er­brach­ter Ar­beits­leis­tung, ste­hen. Un­abhängig da­von, ob man im na­tio­na­len Recht die Zah­lung von Ur­laubs­ent­gelt dog­ma­tisch als Haupt- oder Ne­ben­leis­tung des Ar­beit­ge­bers be­greift, kommt man nach Auf­fas­sung des vor­le­gen­den Ge­richts nicht um die Fest­stel­lung her­um, dass das Ur­laubs­ent­gelt als Be­stand­teil des Ge­samt­loh­nes zu dem Zweck ge­leis­tet wird, auch mit die­sem Ent­gelt ei­ne zu an­de­ren Zeit­punk­ten er­brach­te tatsächli­che Ar­beits­leis­tung des Ar­beit­neh­mers zu ent­loh­nen. Die-

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ser As­pekt tritt als be­rech­tig­tes In­ter­es­se des Ar­beit­ge­bers nach Auf­fas­sung des vor­le­gen­den Ge­richts ne­ben den vom Ge­richts­hof be­ton­ten An­spruch je­des Ar­beit­neh­mers auf be­zahl­ten Jah­res­ur­laub als be­son­ders be­deut­sa­mem Grund­satz des So­zi­al­rechts der Uni­on (zu letz­te­rem ein­drück­lich EuGH v. 24.1.2012 - C-282/10 - Do­m­in­guez). Das Uni­ons­recht ge­bie­tet nach Auf­fas­sung des vor­le­gen­den Ge­richts nicht die vollständi­ge Ver­drängung des le­gi­ti­men In­ter­es­ses des Ar­beit­ge­bers, im ver­trag­li­chen Aus­tausch­verhält­nis nicht al­lei­ne das Ur­laubs­ent­gelt in vol­ler Höhe (d.h. so, als hätte auch der Ar­beit­neh­mer sei­ne Leis­tung voll­umfäng­lich er­bracht) leis­ten zu müssen, und sei es auch, dass der an­de­re Teil sei­ne Leis­tung un­ver­schul­det nicht er­brin­gen kann.

Des­sen un­ge­ach­tet ist auch nach dem Verständ­nis des vor­le­gen­den Ge­richts der in Art. 31 der Char­ta ver­brief­te An­spruch des Ar­beit­neh­mers auf be­zahl­ten Jah­res­ur­laub als be­son­ders be­deut­sa­mer Grund­satz des So­zi­al­rechts der Uni­on ge­wich­ti­ger als die ent­ge­gen­ste­hen­den ma­te­ri­el­len In­ter­es­sen des Ar­beit­ge­bers. Nach dem Verständ­nis des vor­le­gen­den Ge­richts ist da­her das Uni­ons­recht da­hin­ge­hend aus­zu­le­gen, dass es ei­ner mo­de­ra­ten, so­zi­al verträgli­chen, Re­du­zie­rung des Ur­laubs­ent­gel­tes durch na­tio­na­les Recht nicht ent­ge­gen­steht, wenn der Ar­beit­neh­mer im Re­fe­renz­zeit­raum nen­nens­wer­te Ar­beits­unfähig­keits­zei­ten auf­weist, dass an­de­rer­seits die­se Re­du­zie­rung des Ur­laubs­ent­gel­tes nicht in ei­nem so ho­hen Maße er­fol­gen darf, dass der uni­ons­recht­lich ga­ran­tier­te An­spruch des Ar­beit­neh­mers auf be­zahl­ten Jah­res­ur­laub hier­mit gleich­sam aus­gehöhlt würde.

Für den Fall, dass auch der Ge­richts­hof der Eu­ropäischen Uni­on ei­ne na­tio­na­le Be­stim­mung wie § 13 Abs. 1 BUrIG, die ta­rif­li­che Vor­schrif­ten ermöglicht, wel­che ei­ne Min­de­rung des Ur­laubs­ent­gelts bei lang an­dau­ern­den Krank­heits­zei­ten im Be­rech­nungs­zeit­raum vor­se­hen, als nicht von vorn­her­ein uni­ons­rechts­wid­rig an­sieht, möch­te das vor­le­gen­de Ge­richt wis­sen, wel­che pro­zen­tua­le Gren­ze, ge­mes­sen am un­gekürz­ten durch­schnitt­li­chen Ar­beits­ver­dienst des Ar­beit­neh­mers, ei­ne sol­che im na­tio­na­len Recht an­ge­ord­ne­te oder ermöglich­te Ver­rin­ge­rung der Ur­laubs­vergütung in­fol­ge von un­ver­schul­de­ter Ar­beits­versäum­nis, ins­be­son­de­re Krank­heit, im Be­rech­nungs­zeit­raum nicht un­ter­schrei­ten darf, da­mit (noch) von ei­ner Wah­rung des be­son­ders be­deut­sa­men Grund­sat­zes des So­zi­al­rechts der Uni­on auf be­zahl­ten Jah­res­ur­laub und so­mit von ei­ner uni­ons­rechts­kon­for­men Aus­le­gung der na­tio­na­len Re­ge­lung aus­ge­gan­gen wer­den kann.

d) Ge­gen­stand der vier­ten Vor­la­ge­fra­ge ist, ob Ar­ti­kel 31 der Char­ta und Ar­ti­kel 7 Abs. 1 der Richt­li­nie 2003/88/EG vom 4. No­vem­ber 2003 über be­stimm­te As­pek­te der Ar­beits­zeit­ge­stal­tung ei­ner Aus­le­gung der na­tio­na­len ta­rif­li­chen Re­ge­lung in § 8 Nr. 2.2, 2.3 BRTV-Bau ent­ge­gen­ste­hen, nach der ein Ur­laubs­an­spruch für sol­che Zei­ten des Jah­res nicht ent­steht, in de­nen der ar­beits­unfähig er­krank­te Ar­beit­neh­mer we­der Ar­beits­ent­gelt noch Kran­ken­geld oder Ver­letz­ten­geld er­hal­ten hat. Die Fra­ge ist vor­lie­gend des­we­gen ent­schei­dungs­er­heb­lich, weil der Kläger, wie be­reits un­ter a) aus­geführt, in An­wen­dung die­ser ta­rif­li­chen Vor­schrift vor­lie­gend für das Jahr 2011 le­dig­lich ei­nen Ur­laubs­an­spruch in Höhe von 15,23 Ta­gen besäße.

Ei­ne sich rein am Wort­laut des § 8 Nr. 2.2, 2.3 BRTV-Bau aus­rich­ten­de Aus­le­gung er­gibt, dass der Ar­beit­neh­mer zunächst "Beschäfti­gungs­ta­ge" ab­sol­vie­ren muss, be­vor er Ur­laubs­ansprüche er­wirbt, und zwar soll er grundsätz­lich nach zwölf "Beschäfti­gungs­ta­gen" An­spruch auf ei­nen Tag Ur­laub ha­ben. "Beschäfti­gungs­ta­ge" in die­sem Sin­ne sol­len zwar grundsätz­lich al­le Ka­len­der­ta­ge des Be­ste­hens von Ar­beits­verhält­nis­sen in Be­trie­ben des Bau­ge­wer­bes während des Ur­laubs­jah­res sein, je­doch nicht die­je­ni­gen Ta­ge, für die ein ar­beits­unfähig er­krank­ter Ar­beit­neh­mer kei­ne Ent­gelt(fort)zah­lung, kein Kran­ken­geld oder

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Ver­letz­ten­geld er­hal­ten hat. Da­nach würde ein langjährig er­krank­ter Ar­beit­neh­mer, der kein Kran­ken­geld mehr be­zieht, kei­ne "Beschäfti­gungs­ta­ge" mehr ab­sol­vie­ren und dem­ent­spre­chend in dem be­tref­fen­den Jahr auch kei­ne Ur­laubs­ansprüche er­wer­ben.

Nach Auf­fas­sung des vor­le­gen­den Ge­richts ge­bie­tet Art. 31 Abs. 2 der Char­ta in Ver­bin­dung mit Art. 7 Nr. 1 der Richt­li­nie 2003/88/EG ein ab­wei­chen­des Verständ­nis des § 8 Nr. 2.2, 2.3 BRTV-Bau. Die­se ta­rif­li­che Vor­schrift ist uni­ons­rechts­kon­form da­hin­ge­hend aus­zu­le­gen, dass es des Er­werbs von Ur­laub durch Ab­sol­vie­ren von "Beschäfti­gungs­ta­gen" nur in­so­weit be­darf, als der Ar­beit­neh­mer ei­nen über den jähr­li­chen Min­des­t­ur­laubs­an­spruch von vier Wo­chen hin­aus­ge­hen­den ta­rif­li­chen Ur­laubs­an­spruch er­wer­ben will.

Nach Auf­fas­sung des vor­le­gen­den Ge­richts kann § 8 Nr. 2.2, 2.3 BRTV-Bau auch uni­ons­rechts­kon­form aus­ge­legt wer­den. § 8 Nr. 1.1 BRTV-Bau kon­sti­tu­iert, oh­ne in­so­weit Be­din­gun­gen auf­zu­neh­men, ei­nen jähr­li­chen be­zahl­ten Ur­laubs­an­spruch des Ar­beit­neh­mers in Höhe von (so­gar) 30 Ar­beits­ta­gen. § 8 Nr. 2 BRTV-Bau ist uni­ons­rechts­kon­form da­hin­ge­hend aus­zu­le­gen, dass "Beschäfti­gungs­ta­ge" nicht die Vor­aus­set­zung für den Er­werb des jähr­li­chen Min­des­t­ur­laubs­an­spruchs von vier Wo­chen sind. Le­dig­lich zum Er­werb darüber hin­aus­ge­hen­der ta­rif­li­cher Ur­laubs­ansprüche muss der Ar­beit­neh­mer "Beschäfti­gungs­ta­ge" im Sin­ne der ta­rif­li­chen Vor­schrif­ten ab­sol­vie­ren.

e) Ge­gen­stand der fünf­ten Vor­la­ge­fra­ge ist, ob Ar­ti­kel 31 der Char­ta und Ar­ti­kel 7 Abs. 1 der Richt­li­nie 2003/88/EG vom 4. No­vem­ber 2003 über be­stimm­te As­pek­te der Ar­beits­zeit­ge­stal­tung ei­ner Aus­le­gung der na­tio­na­len ta­rif­li­chen Re­ge­lung in § 8 Nr. 4.1, 4.2 Bun-des­rah­men­ta­rif­ver­trag Bau ent­ge­gen­ste­hen, nach der ein Ur­laubs­vergütungs­an­spruch - oder bei Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ein Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruch - in sol­chen Jah­ren nicht ent­steht, in de­nen in­fol­ge von Ar­beits­ausfällen oder un­ver­schul­de­ter Ar­beits­versäum­nis, ins­be­son­de­re auf­grund von Krank­heit, tatsächlich kein Brut­to­lohn er­zielt wird. Die Fra­ge ist vor­lie­gend des­we­gen ent­schei­dungs­er­heb­lich, weil der Kläger, wie be­reits un­ter b) aus­geführt, in An­wen­dung die­ser ta­rif­li­chen Vor­schrift vor­lie­gend für das Jahr 2011 kei­nen fi­nan­zi­el­len Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruch besäße, weil er im Jahr 2011 kei­nen Brut­to­lohn er­zielt hat.

Die Vor­schrif­ten des BRTV-Bau un­ter­schei­den zwi­schen dem An­spruch auf Ur­laub und dem An­spruch auf Ur­laubs­vergütung. § 8 Nr. 4.1 BRTV-Bau knüpft die Höhe des An-spruchs auf Ur­laubs­vergütung an den "Brut­to­lohn". Der Be­griff des Brut­to­loh­nes wird in § 8 Nr. 4.2 BRTV-Bau de­fi­niert. Nach dem Wort­laut der Nr. 4.2 a), der hier al­lein ein­schlägig ist, ist Brut­to­lohn im Grund­satz der für die Be­rech­nung der Lohn­steu­er zu­grun­de zu le­gen­de und in die Lohn­steu­er­kar­te oder die Lohn­steu­er­be­schei­ni­gung ein­zu­tra­gen­de Brut­to­ar­beits­lohn, be­stimm­te Son­der­zah­lun­gen sind aus­ge­nom­men. Die ta­rif­li­che Vor­schrift des § 8 Nr. 4.1, 4.2 BRTV-Bau wird durchgängig da­hin­ge­hend ver­stan­den, dass es auf den tatsächlich ver­dien­ten und dem­ent­spre­chend auch auf den tatsächlich in die Lohn­steu­er­kar­te oder Lohn­steu­er­be­schei­ni­gung ein­zu­tra­gen­den Brut­to­lohn an­kommt. Die Vor­schrift des § 8 Nr. 5 BRTV-Bau, die für je­de in­fol­ge un­ver­schul­de­ter Ar­beits­unfähig­keit in­fol­ge von Krank­heit bis zu dem Be­ginn des Be­zu­ges von Ar­beits­lo­sen­geld nach § 125 Abs. 1 SGB III ent­stan­de­ne Aus­fall­stun­de, be­grenzt auf 1.200 Aus­fall­stun­den, die Zah­lung ei­nes Aus­gleichs­be­tra­ges vor­sah, be­trifft nur Zei­ten bis zum 31.12.2005 und fin­det da­her vor­lie­gend kei­ne An­wen­dung.

Die An­wen­dung der ta­rif­li­chen Vor­schrift des § 8 Nr. 4.1, 4.2 BRTV-Bau führt da­zu, dass ein Ar­beit­neh­mer, der im Re­fe­renz- oder Be­rech­nungs­zeit­raum auf­grund von Er­kran­kung

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kei­nen Brut­to­lohn er­zielt hat, auch kei­nen An­spruch auf Ur­laubs­vergütung oder -ab­gel­tung be­sitzt, und dass ein Ar­beit­neh­mer, der im Re­fe­renz- oder Be­rech­nungs­zeit­raum nur ei­nen ge­rin­gen Brut­to­lohn er­zielt hat, auch nur ei­nen ge­rin­gen An­spruch auf Ur­laubs­vergütung oder -ab­gel­tung be­sitzt. In An­wen­dung die­ser Vor­schrift besäße der Kläger vor­lie­gend für das Jahr 2011 kei­nen und für das Jahr 2010 nur ei­nen sehr ge­rin­gen, deut­lich un­ter 50 Pro­zent sei­nes un­gekürz­ten durch­schnitt­li­chen Ar­beits­ver­diens­tes lie­gen­den Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruch.

Nach Auf­fas­sung des vor­le­gen­den Ge­richts ge­bie­tet Art. 31 Abs. 2 der Char­ta in Ver­bin­dung mit Art. 7 Nr. 1 der Richt­li­nie 2003188/EG, in­so­weit, als es um die Be­zah­lung des uni­ons­recht­lich gewähr­leis­te­ten Min­des­t­ur­laubs von vier Wo­chen geht, die Nicht­an­wen­dung von § 8 Nr. 4.1, 4.2 BRTV-Bau. Durch die Kopp­lung der Ur­laubs­vergütung an den im Be­rech­nungs­zeit­raum tatsächlich er­ziel­ten Brut­to­lohn führt die Vor­schrift zu Er­geb­nis­sen, die dem durch Art. 31 Abs. 2 der Char­ta ver­brief­ten Recht auf be­zahl­ten Jah­res­ur­laub zu­wi­der­lau­fen. In zahl­rei­chen An­wen­dungsfällen der ta­rif­li­chen Norm er­wirbt der Ar­beit­neh­mer kei­nen oder nur ei­nen sehr ge­rin­gen An­spruch auf Ur­laubs­vergütung. Die Norm ist ei­ner uni­ons­rechts­kon­for­men Aus­le­gung auch nicht zugäng­lich. Aus dem Um­stand, dass sich die Norm nach Auf­fas­sung des vor­le­gen­den Ge­richts nicht in dem durch uni­ons­rechts­kon­for­me Aus­le­gung zu er­mit­teln­den Ermäch­ti­gungs­rah­men des § 13 Abs. 1 und 2 BUrIG hält, folgt nach Auf­fas­sung des vor­le­gen­den Ge­richts die Pflicht der na­tio­na­len Ge­rich­te, sie in Be­zug auf den jähr­li­chen Min­des­t­ur­laub von vier Wo­chen un­an­ge­wen­det zu las­sen.

f) Das vor­le­gen­de Ge­richt möch­te in der un­ter vor­ste­hend a) bis e) be­schrie­be­nen Wei­se § 13 Abs. 1 und 2 BUrIG so­wie die ta­rif­li­che Norm des § 8 Nr. 2.2, 2.3 BRTV-Bau uni­ons­rechts­kon­form aus­le­gen so­wie § 8 Nr. 4.1, 4.2 BRTV-Bau un­an­ge­wen­det las­sen, sieht sich hier­in je­doch durch ab­wei­chen­de Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts ge­hin­dert:

Mit Ur­teil vom 17.11.2009 - 9 AZR 844/08 - hat­te das Bun­des­ar­beits­ge­richt über die Aus­le­gung von § 13 Abs. 1 und 2 BUr1G so­wie über die ta­rif­li­chen Nor­men der § 3 Nr. 1, § 5 Nr. 1 Abs. 2 1. Alt., Nr. 2 Abs. 1 Buchst. a, Nr. 3 der Ur­laubs­re­ge­lung für die ge­werb­li­chen Ar­beit­neh­mer im Bau­ge­wer­be in Bay­ern vom 21. No­vem­ber 1983 in der Fas­sung vom 19. Mai 2006 zu ent­schei­den. Hier­zu ist aus­zuführen, dass die in Be­zug ge­nom­me­nen Ta­rif­nor­men mit der ta­rif­li­chen Re­ge­lung in § 8 Nr. 2.2, 2.3 und Nr. 4.1, 4.2 BRTV-Bau wei­test­ge­hend in­halt­lich übe­rein­stim­men.
Das Bun­des­ar­beits­ge­richt ist in sei­nem Ur­teil zu der Über­zeu­gung ge­langt, das in Re­de ste­hen­de na­tio­na­le Recht könne im Pri­vat­rechts­ver­kehr nicht richt­li­ni­en­kon­form aus­ge­legt oder fort­ge­bil­det wer­den. Die Ver­pflich­tung der na­tio­na­len Ge­rich­te zur ge­mein­schafts­rechts­kon­for­men Aus­le­gung sei durch die all­ge­mei­nen Rechts­grundsätze, ins­be­son­de­re durch den Grund­satz der Rechts­si­cher­heit, be­schränkt. Sie dürfe nicht als Grund­la­ge für ei­ne Aus­le­gung des na­tio­na­len Rechts "con­tra le­gem" die­nen (A. IV. 3. b) der Gründe mit Nach­wei­sen, auch aus der Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs der Eu­ropäischen Uni­on). Nach Auf­fas­sung des Bun­des­ar­beits­ge­richts wäre die­se Gren­ze über­schrit­ten wor­den, wenn es die Öff­nungs­klau­seln in § 13 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 BUrIG und die Ta­rif­be­stim­mun­gen in § 3 Nr. 1, § 5 Nr. 1 Abs. 2 1. Alt., Nr. 2 Abs. 1 Buchst. a, Nr. 3 der Ur­laubs­re­ge­lung da­hin aus­ge­legt oder fort­ge­bil­det hätte, dass je­der in den Gel­tungs­be­reich der Ta­rif­vor­schrift fal­len­de Ar­beit­neh­mer während des Min­dest­jah­res­ur­laubs An­spruch auf Fort­zah­lung des gewöhn­li­chen Ar­beits­ent­gelts oh­ne Min­de­rung bei­spiels­wei­se durch Zei­ten der Kurz­ar­beit hat. Nach Auf­fas­sung des Bun­des­ar­beits­ge­richts sind die Öff­nungs-

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klau­seln in § 13 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 BUrIG nach Wort­laut, Zu­sam­men­hang, Zweck und Ge­set­zes­ge­schich­te we­der plan­wid­rig lücken­haft noch un­vollständig. Die Rich­tungs­ent­schei­dung des na­tio­na­len Ge­setz­ge­bers sei ein­deu­tig (A. IV. 3. c) cc) der Gründe). Die Ab­wei­chung der Ta­rif­vor­schrif­ten sei von den Öff­nungs­klau­seln in § 13 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 BUrIG ge­deckt. Wort­laut und Zu­sam­men­hang des § 13 Abs. 2 Satz 1 BUrIG sei­en un­zwei­fel­haft dar­auf ge­rich­tet, im Bau­ge­wer­be auch § 1 BUrIG ei­ner ta­rif­li­chen Ände­rung zu­las­ten des ein­zel­nen Ar­beit­neh­mers zugäng­lich zu ma­chen, so­weit dies zur Si­che­rung ei­nes zu­sam­menhängen­den Jah­res­ur­laubs für al­le Ar­beit­neh­mer er­for­der­lich sei. Ziel des bei­trags­fi­nan­zier­ten Ur­laubs­kas­sen­ver­fah­rens sei es, den Ar­beit­neh­mern im Bau­ge­wer­be trotz ih­rer häufi­gen Fluk­tua­ti­on ei­nen zu­sam­menhängen­den Jah­res­ur­laubs zu ermögli­chen (A. IV. 3. c) cc) (2) (b) (aa) der Gründe mit wei­te­ren Nach­wei­sen). Der Zu­sam­men­hang des § 13 Abs. 2 Satz 1 BUrIG mit § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrIG zei­ge un­miss­verständ­lich, dass den Ta­rif­ver­trags­par­tei­en des Bau­ge­wer­bes auch hin­sicht­lich der Ent­gelthöhe ein wei­te­rer Ge­stal­tungs­spiel­raum ha­be ein­geräumt wer­den sol­len, als § 13 Abs. 1 Satz 1 und § 1 BUrIG ihn vorsähen. Die ein­deu­ti­ge Ziel­set­zung des in­ner­staat­li­chen Rechts in § 13 Abs. 2 Satz 1 BUrIG las­se ei­ne richt­li­ni­en­kon­for­me Aus­le­gung oder Fort­bil­dung selbst dann nicht zu, wenn der Be­griff des "be­zahl­ten Min­dest­jah­res­ur­laubs" in Art. 7 Abs. 1 der Ar­beits­zeit­richt­li­nie an­ders zu ver­ste­hen sein soll­te als der des "be­zahl­ten Er­ho­lungs­ur­laubs" in § 1 BUrIG. Das in der be­son­de­ren Öff­nungs­klau­sel aus­ge­drück­te Ziel, den Ta­rif­ver­trags­par­tei­en des Bau­ge­wer­bes er­wei­ter­te Hand­lungs­spielräume zu ver­lei­hen, schließe ei­nen be­son­de­ren oder auch nur all­ge­mei­nen Um­set­zungs­wil­len des na­tio­na­len Ge­setz­ge­bers iSv. Art. 249 Art. 3 EG aus. Die Gren­zen der richt­li­ni­en­kon­for­men Aus­le­gung oder Rechts­fort­bil­dung sei­en we­gen der Ge­set­zes­bin­dung des na­tio­na­len Ge­richts (Art. 20 Abs. 3 GG) und des Ge­wal­ten­tei­lungs­prin­zips (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG) er­reicht (A. IV. 3. c) cc) (3) der Gründe).

Im Er­geb­nis hielt das Bun­des­ar­beits­ge­richt da­her die vor­be­zeich­ne­ten ge­setz­li­chen und ta­rif­li­chen Re­ge­lun­gen, die da­zu führ­ten, dass ein Ar­beit­neh­mer für drei Ur­laubs­ta­ge statt 381,44 Eu­ro, die sich bei Zu­grun­de­le­gung sei­nes übli­chen Ar­beits­ver­diens­tes er­ga­ben, nur 102,30 Eu­ro er­hielt, weil der Ar­beit­neh­mer im Be­rech­nungs­zeit­raum le­dig­lich Kurz­ar­bei­ter­geld be­zo­gen hat­te, für wirk­sam.

g) Ge­gen­stand der sechs­ten Vor­la­ge­fra­ge ist, ob Ar­ti­kel 31 Grund­rech­te­char­ta und Ar­ti­kel 7 Abs. 1 der Richt­li­nie 2003/88/EG vom 4. No­vem­ber 2003 über be­stimm­te As­pek­te der Ar­beits­zeit­ge­stal­tung ei­ner Aus­le­gung der na­tio­na­len ta­rif­li­chen Re­ge­lung in § 8 Nr. 7 Bun­des­rah­men­ta­rif­ver­trag Bau ent­ge­gen­ste­hen, nach der Ur­laubs- und Ur­laubs­ab­gel­tungs­ansprüche mit Ab­lauf des Ka­len­der­jah­res ver­fal­len, das auf das Jahr der Ent­ste­hung der Ur­laubs­ansprüche folgt, so dass die Möglich­keit für ei­nen während meh­re­rer Be­zugs­zeiträume in Fol­ge ar­beits­unfähi­gen Ar­beit­neh­mer, Ansprüche auf be­zahl­ten Jah­res­ur­laub an­zu­sam­meln, da­durch ein­ge­schränkt wird. Die Fra­ge ist vor­lie­gend ent­schei­dungs­er­heb­lich, da bei wort­laut­ge­treu­er An­wen­dung die­ser ta­rif­li­chen Vor­schrift der Kläger ei­ne fi­nan­zi­el­le Ab­gel­tung des Jah­res­ur­laubs für 2010 nicht for­dern kann.
Der Ge­richts­hof der Eu­ropäischen Uni­on hat am 22.11.2011 in der Rechts­sa­che KHS (C-214/10) ent­schie­den, dass Art. 7 Abs. 1 der Richt­li­nie 2003/88/EG des Eu­ropäischen Par­la­ments und des Ra­tes vom 4. No­vem­ber 2003 über be­stimm­te As­pek­te der Ar­beits­zeit­ge­stal­tung da­hin aus­zu­le­gen ist, dass er ein­zel­staat­li­chen Rechts­vor­schrif­ten oder Ge­pflo­gen­hei­ten wie et­wa Ta­rif­verträgen nicht ent­ge­gen­steht, die die Möglich­keit für ei­nen während meh­re­rer Be­zugs­zeiträume in Fol­ge ar­beits­unfähi­gen Ar­beit­neh­mer, Ansprüche auf be­zahl­ten Jah­res­ur­laub an­zu­sam­meln, da­durch ein­schränken, dass sie ei­nen Über­tra-

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gungs­zeit­raum von 15 Mo­na­ten vor­se­hen, nach des­sen Ab­lauf der An­spruch auf be­zahl­ten Jah­res­ur­laub er­lischt. Un­ter 40. der Gründe hat er hier­zu aus­geführt, dass der im dort ein­schlägi­gen Ta­rif­ver­trag fest­ge­leg­te Über­tra­gungs­zeit­raum von 15 Mo­na­ten länger ist als der Be­zugs­zeit­raum, an den er an­knüpft, was die­se Rechts­sa­che von der Rechts­sa­che un­ter­schied, in der das Ur­teil Schultz-Hoff u. a. (EuGH v. 20.1.2009 - C-350106 und C-520/06) er­gan­gen ist, in der der Über­tra­gungs­zeit­raum sechs Mo­na­te be­trug. In der Rechts­sa­che Nei­del (EuGH v. 3.5.2012 - C-337110) hat der Ge­richts­hof der Eu­ropäischen Uni­on ent­schie­den, dass Art. 7 Abs. 2 der Richt­li­nie 2003/88 da­hin aus­zu­le­gen ist, dass er ei­ner Be­stim­mung des na­tio­na­len Rechts ent­ge­gen­steht, die durch ei­nen Über­tra­gungs­zeit­raum von neun Mo­na­ten, nach des­sen Ab­lauf der An­spruch auf be­zahl­ten Jah­res­ur­laub er­lischt, den An­spruch ei­nes in den Ru­he­stand tre­ten­den Be­am­ten auf An­samm­lung der fi­nan­zi­el­len Vergütun­gen für we­gen Dienst­unfähig­keit nicht ge­nom­me­nen be­zahl­ten Jah­res­ur­laub be­schränkt. In den bei­den Rechts­sa­chen KHS und Nei­del hat der Ge­richts­hof der Eu­ropäischen Uni­on an­ge­merkt, dass der Über­tra­gungs­zeit­raum für den Ar­beit­neh­mer ins­be­son­de­re die Möglich­keit gewähr­leis­ten müsse, bei Be­darf über Er­ho­lungs­zeiträume zu verfügen, die länger­fris­tig ge­staf­felt und ge­plant wer­den so­wie verfügbar sein können, und dass der ti­ber­tra­gungs­zeit­raum die Dau­er des Be­zugs­zeit­raums, für den er gewährt wird, deut­lich über­schrei­ten müsse. Da der vor­lie­gend in Re­de ste­hen­de Über­tra­gungs­zeit­raum von 12 Mo­na­ten die Dau­er des Be­zugs­zeit­raums von eben­falls 12 Mo­na­ten nicht deut­lich über­schrei­tet, geht das vor­le­gen­de Ge­richt da­von aus, dass die Vor­schrift des § 8 Nr. 7 BRTV-Bau mit Uni­ons­recht nicht ver­ein­bar sein dürf­te.

Für den Fall, dass der Ge­richts­hof der Eu­ropäischen Uni­on da­von aus­geht, dass ei­ne na­tio­na­le ta­rif­li­che Be­stim­mung, die ei­nen Über­tra­gungs­zeit­raum von 12 Mo­na­ten vor­sieht, mit Uni­ons­recht nicht ver­ein­bar ist, stellt sich die an­sch­ließen­de Fra­ge, ob die uni­ons­rechts­wid­ri­ge Be­stim­mung uni­ons­rechts­kon­form fort­zu­bil­den oder un­an­ge­wen­det zu las­sen ist. Das vor­le­gen­de Ge­richt ver­kennt nicht, dass es in ers­ter Li­nie Sa­che der na­tio­na­len Ge­rich­te ist, die­se Fra­ge zu be­ant­wor­ten. Die Ent­schei­dung der na­tio­na­len Ge­rich­te hat je­doch auch Ein­fluss auf den Um­stand, in­wie­weit Uni­ons­recht im ein­zel­nen Mit­glieds­staat zur Gel­tung ge­bracht wird. Das vor­le­gen­de Ge­richt möch­te da­her wis­sen, ob nach Auf­fas­sung des Ge­richts­hofs der Eu­ropäischen Uni­on das Uni­ons­recht im All­ge­mei­nen und im kon­kre­ten Fall dann eher zur Gel­tung ge­bracht wird, wenn das na­tio­na­le Ge­richt auf die An­wen­dung der uni­ons­rechts­wid­ri­gen Norm vollständig ver­zich­tet - so dass für Ur­laubs­ansprüche in der be­tref­fen­den ta­rif­li­chen Bran­che kei­ner­lei ta­rif­li­che Aus­schluss­fris­ten gel­ten -, oder ob ei­ne uni­ons­rechts­kon­for­me Fort­bil­dung ei­ner na­tio­na­len ta­rif­li­chen Be­stim­mung da­hin­ge­hend, dass die Aus­schluss­frist auf ei­nen be­stimm­ten, kon­kre­ten Zeit­raum verlängert wird, dem Uni­ons­recht in bes­se­rer Wei­se zur Durch­set­zung und Gel­tung in den Mit­glieds­staa­ten ver­hilft. Für den letzt­ge­nann­ten Fall stellt sich die Fra­ge, wel­che kon­kre­te Aus­le­gung des na­tio­na­len Rechts dem Uni­ons­recht nach Auf­fas­sung des Ge­richts­hofs der Eu­ropäischen Uni­on an­ge­mes­sen zur Gel­tung ver­hilft: Ist statt der zu kur­zen Frist die kürzestmögli­che nach Uni­ons­recht noch zulässi­ge Frist zu wählen; falls ja, wel­ches ist die kürzestmögli­che nach Uni­ons­recht noch zulässi­ge Frist (15 Mo­na­te, oder stel­len auch 14 Mo­na­te oder 13 Mo­na­te noch ei­ne deut­li­che Über­schrei­tung des Be­zugs­zeit­raums dar?). Oder wird das Uni­ons­recht dann am bes­ten um­ge­setzt, wenn statt der zu kur­zen Frist ei­ne in su­pra­na­tio­na­len Be­stim­mun­gen ent­hal­te­ne Frist, wie et­wa die in Art. 9 Abs. 1 des Übe­r­ein­kom­mens Nr. 132 der In­ter­na­tio­na­len Ar­beits­or­ga­ni­sa­ti­on vom 24. Ju­ni 1970 über den be­zahl­ten Jah­res­ur­laub (Neu­fas­sung) ent­hal­te­ne Frist von 18 Mo­na­ten, zur An­wen­dung ge­bracht wird?

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h) Mit sei­ner sieb­ten Fra­ge möch­te das vor­le­gen­de Ge­richt vom Ge­richts­hof der Eu­ropäi-schen Uni­on wis­sen, ob in dem Fall, dass er ent­schei­den soll­te, dass na­tio­na­le ge­setz­li­che und/oder ta­rif­li­che Be­stim­mun­gen im Sin­ne der Vor­la­ge­fra­gen zu 1. bis 5. mit Uni­ons­recht un­ver­ein­bar sind, die Wir­kun­gen ei­nes sol­chen Ur­teils zeit­lich be­grenzt wer­den müssen.

Aus­nahms­wei­se kann sich der Ge­richts­hof der Eu­ropäischen Uni­on nach sei­ner ständi­gen Recht­spre­chung auf­grund des all­ge­mei­nen ge­mein­schafts­recht­li­chen Grund­sat­zes der Rechts­si­cher­heit ver­an­lasst se­hen, mit Wir­kung für al­le Be­trof­fe­nen die Möglich­keit ein­zu­schränken, sich auf die Aus­le­gung, die er ei­ner Be­stim­mung ge­ge­ben hat, mit dem Ziel zu be­ru­fen, in gu­tem Glau­ben be­gründe­te Rechts­verhält­nis­se in Fra­ge zu stel­len (EuGH v. 12.2.2009 - C-138/07 - Co­bel­fret, EuGH v. 15.3.2005 - C-209/03 - Bi­dar, je­weils m.w.N.). Ei­ne sol­che Be­schränkung ist nach der Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs nur dann zulässig, wenn zwei grund­le­gen­de Kri­te­ri­en erfüllt sind, nämlich gu­ter Glau­be der Be­trof­fe­nen und die Ge­fahr schwer­wie­gen­der Störun­gen (EuGH v. 12.2.2009 - C-138/07 - Co­bel­fret). Vor der Vor­ab­ent­schei­dung muss ei­ne ob­jek­ti­ve und be­deu­ten­de Un­si­cher­heit hin­sicht­lich der Trag­wei­te der Uni­ons­rechts­be­stim­mun­gen be­stan­den ha­ben, die ein­zel­ne Uni­onsbürger und na­tio­na­le Behörden zu ei­nem mit der Uni­ons­re­ge­lung un­ver­ein­ba­ren Ver­hal­ten ver­an­lass­te (EuGH v. 15.3.2005 - C-209/03- Bi­dar).

Das vor­le­gen­de Ge­richt stellt die Fra­ge, ob das oben un­ter f) dar­ge­stell­te Ur­teil des Bun­des­ar­beits­ge­richts vom 17.11.2009 - 9 AZR 844/08 - eben­falls ei­nen Um­stand dar­stellt, der den Ge­richts­hof ver­an­las­sen könn­te, die Wir­kun­gen sei­ner Ent­schei­dung zeit­lich zu be­schränken. Das Ur­teil des Bun­des­ar­beits­ge­richts kann bei Ar­beit­ge­bern das Ver­trau­en er­weckt ha­ben, die ta­rif­li­chen Ur­laubs­re­ge­lun­gen des Bau­ge­wer­bes würden von der na­tio­na­len Recht­spre­chung un­ge­ach­tet der Tat­sa­che ih­rer man­geln­den Uni­ons­rechts­kon­for­mität wei­ter­hin für wirk­sam er­ach­tet und zur An­wen­dung ge­bracht. Ein Ar­beit­ge­ber kann ar­gu­men­tie­ren, er ha­be das Ar­beits­verhält­nis ei­nes lang­zeit­er­krank­ten Ar­beit­neh­mers nur des­halb nicht gekündigt, weil er auf­grund der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts da­von aus­ge­gan­gen sei, dass wei­te­re, ihn be­las­ten­de, Ur­laubs­ansprüche (und da­mit Ur­laubs­vergütungs- und bei En­de des Ar­beits­verhält­nis­ses Ur­laubs­ab­gel­tungs­ansprüche) nicht zur Ent­ste­hung ge­lan­gen könn­ten.

Für den Fall, dass der Ge­richts­hof kei­nen An­lass sieht, die Wir­kun­gen sei­nes Ur­teils zeit­lich zu be­schränken, möch­te das vor­le­gen­de Ge­richt wis­sen, ob es aus Sicht des Ge-richts­hofs mit Uni­ons­recht ver­ein­bar ist, wenn die in­ner­staat­li­chen Ge­rich­te auf der Grund­la­ge na­tio­na­len Rechts Ver­trau­ens­schutz gewähren.

Nien­burg, den 15. Ju­ni 2012

Der Vor­sit­zen­de der 2. Kam­mer des Ar­beits­ge­richts

gez. Dr. Rinck

Di­rek­tor des Ar­beits­ge­richts

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