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HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

BVerfG, Be­schluss vom 15.04.2015, 1 BvR 2314/12

   
Schlagworte: CGZP, Tarifunfähigkeit, Rechtsstaatsprinzip
   
Gericht: Bundesverfassungsgericht
Aktenzeichen: 1 BvR 2314/12
Typ: Beschluss
Entscheidungsdatum: 15.04.2015
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 09.01.2012, 24 TaBV 1285/11
Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 22.05.2012, 1 ABN 27/12
Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 23.05.2012, 1 AZB 58/11
   

BUN­DES­VER­FASSUN­GS­GERICHT

- 1 BvR 2314/12 -

 

In dem Ver­fah­ren

über

die Ver­fas­sungs­be­schwer­de

 

1. der W... GmbH,
ver­tre­ten durch den Geschäftsführer,
2. der P... GmbH,
ver­tre­ten durch den Geschäftsführer,
3. der S... GmbH,
ver­tre­ten durch die Geschäftsführe­rin,
4. der F... GmbH,
ver­tre­ten durch den Geschäftsführer,
5. der S... GmbH,
ver­tre­ten durch die Geschäftsführe­rin,
6. der P... GmbH,
ver­tre­ten durch den Geschäftsführer,
7. der G... GmbH,
ver­tre­ten durch den Geschäftsführer,
8. der S... GmbH,
ver­tre­ten durch die Geschäftsführe­rin,
9. der M... GmbH,
ver­tre­ten durch den Geschäftsführer,
10. der Z... GmbH,
ver­tre­ten durch den Geschäftsführer,
11. der N... GmbH,
ver­tre­ten durch den Geschäftsführer,
12. der C... GmbH,
ver­tre­ten durch den Geschäftsführer,
13. der H... GmbH,
ver­tre­ten durch den Geschäftsführer,
14. der K... GmbH,
ver­tre­ten durch den Geschäftsführer,
15. der A... GmbH,
ver­tre­ten durch den Geschäftsführer,
16. der W... GmbH,
ver­tre­ten durch den Geschäftsführer,
17. der U... GmbH,
ver­tre­ten durch die Geschäftsführe­rin,
18. der S... GmbH,
ver­tre­ten durch die Geschäftsführe­rin,

- Be­vollmäch­tig­ter:

- 2 -

Prof. Dr. Vol­ker Rieb­le,

Des­tou­ch­es­s­traße 68, 80796 München -

ge­gen 1. den Be­schluss des Bun­des­ar­beits­ge­richts

vom 23. Mai 2012 - 1 AZB 58/11 -,

2. a) den Be­schluss des Bun­des­ar­beits­ge­richts vom 22. Mai 2012 - 1 ABN 27/12 -,

b) den Be­schluss des Lan­des­ar­beits­ge­richts

Ber­lin-Bran­den­burg vom 9. Ja­nu­ar 2012 -

24 TaBV 1285/11 u. a. -

hat die 3. Kam­mer des Ers­ten Se­nats des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts durch

den Vi­ze­präsi­den­ten Kirch­hof,

den Rich­ter Ma­sing

und die Rich­te­rin Ba­er

gemäß § 93b in Ver­bin­dung mit § 93a BVerfGG in der Fas­sung der Be­kannt­ma­chung vom 11. Au­gust 1993 (BGBl I S. 1473)

am 25. April 2015 ein­stim­mig be­schlos­sen:

Die Ver­fas­sungs­be­schwer­de wird nicht zur Ent­schei­dung an­ge­nom­men.

Gründe:

I.

Die Ver­fas­sungs­be­schwer­de rich­tet sich ge­gen die Rück­wir­kung der ar­beits­ge­richt­li­chen Fest­stel­lung, dass die Ta­rif­ge­mein­schaft Christ­li­cher Ge­werk­schaf­ten für Zeit­ar­beit und Per­so­nal­ser­vice­agen­tu­ren (CG­ZP) nicht ta­riffähig ist. Die Be­schwer­deführe­rin­nen ma­chen ei­ne Ver­let­zung des Rück­wir­kungs­ver­bots so­wie des An­spruchs auf recht­li­ches Gehör gel­tend.

1. In ei­nem fach­ge­richt­li­chen Ver­fah­ren, das nicht Ge­gen­stand der vor­lie­gen­den Ver­fas­sungs­be­schwer­de ist, hat­te das Bun­des­ar­beits­ge­richt mit Be­schluss vom 14. De­zem­ber 2010 - 1 ABR 19/10 - ge­gen­warts­be­zo­gen fest­ge­stellt, dass die CG­ZP nicht ta­riffähig ist und da­mit kei­ne wirk­sa­men Ta­rif­verträge ab­sch­ließen kann.

2. Die vor­lie­gend an­ge­grif­fe­nen Ent­schei­dun­gen be­tref­fen die Fra­ge, wel­che Fol­gen sich hier­aus im Blick auf ei­ne Rück­wir­kung die­ser Recht­spre­chung er­ge­ben.

a) Ge­gen­stand des ers­ten Aus­gangs­ver­fah­rens ist ein An­trag auf Fest­stel­lung, dass die CG­ZP auch ver­gan­gen­heits­be­zo­gen nicht ta­riffähig war. Die in­so­weit an­ge­grif­fe­nen Be­schlüsse des Lan­des­ar­beits­ge­richts Ber­lin-Bran­den­burg vom 9. Ja­nu­ar 2012 - 24 TaBV 1285/11 u. a. - und des Bun­des­ar­beits­ge­richts vom 22. Mai 2012 - 1 ABN 27/12 - be­tref­fen die Ta­riffähig­keit der CG­ZP am 29. No­vem­ber 2004, 19. Ju­ni 2006 und 9. Ju­li 2008.

Das Lan­des­ar­beits­ge­richt stell­te fest, dass die CG­ZP auch zu den zurück­lie­gen­den Zeit­punk­ten nicht ta­riffähig ge­we­sen sei. Zur Be­gründung führ­te es un­ter weit­ge­hen­der Be­zug­nah­me auf die Ent­schei­dung des Bun­des­ar­beits­ge­richts vom 14. De­zem­ber 2010 - 1 ABR 19/10 - aus, die CG­ZP sei nicht nach § 2 Abs. 3 TVG als Spit­zen­or­ga­ni­sa­ti­on ta­riffähig ge­we­sen. Ih­re Mit­glieds­verbände hätten der CG­ZP ih­re Ta­riffähig­keit nicht vollständig ver­mit­telt und ihr Or­ga­ni­sa­ti­ons­be­reich ge­he über den ih­rer Mit­glie­der hin­aus.

Die­ser Aus­le­gung des § 2 Abs. 3 TVG und der dar­aus re­sul­tie­ren­den Fest­stel­lung der Ta­rif­unfähig­keit der CG­ZP zu den in der Ver­gan­gen­heit lie­gen­den Zeit­punk­ten ste­he das Rück­wir­kungs­ver­bot nicht ent­ge­gen. So­gar die Ände­rung ei­ner ständi­gen höchst­rich­ter­li­chen Recht­spre­chung gel­te un­ter dem Ge­sichts­punkt des Ver­trau­ens­schut­zes grundsätz­lich dann als un­be­denk­lich, wenn sie hin­rei­chend

- 3 -

be­gründet sei und sich im Rah­men ei­ner vor­her­seh­ba­ren Ent­wick­lung hal­te. Das Bun­des­ar­beits­ge­richt ha­be mit dem Be­schluss vom 14. De­zem­ber 2010 sei­ne Recht­spre­chung aber nicht ein­mal geändert. Es ha­be viel­mehr die Fra­ge der Ab­lei­tung der Ta­riffähig­keit ei­ner Spit­zen­or­ga­ni­sa­ti­on von der Ta­riffähig­keit ih­rer Mit­glieds­verbände erst­mals ent­schie­den und da­mit of­fe­ne Rechts­fra­gen geklärt.

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt wies die Be­schwer­den ge­gen die Nicht­zu­las­sung der Rechts­be­schwer­de mit Be­schluss vom 22. Mai 2012 - 1 ABN 27/12 - zurück. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt ha­be die grundsätz­li­che Be­deu­tung ei­ner ent­schei­dungs­er­heb­li­chen Rechts­fra­ge nicht ver­kannt. Die Rechts­fra­ge des Ver­trau­ens­schut­zes sei viel­mehr geklärt. Das Bun­des­ar­beits­ge­richt ha­be sei­ne Recht­spre­chung zur Ta­riffähig­keit ei­ner Spit­zen­or­ga­ni­sa­ti­on be­reits mit Be­schluss vom 14. De­zem­ber 2010 - 1 ABR 19/10 - auf ei­nen vor der Verkündung der Ent­schei­dung lie­gen­den Sach­ver­halt an­ge­wandt. Es ha­be dort ent­schie­den, dass die CG­ZP im zeit­li­chen Gel­tungs­be­reich ih­rer am 8. Ok­to­ber 2009 geänder­ten Sat­zung nicht nach § 2 Abs. 3 TVG als Spit­zen­or­ga­ni­sa­ti­on ta­riffähig sei.

b) Ge­gen­stand des zwei­ten Aus­gangs­ver­fah­rens war ei­ne Kla­ge auf Dif­fe­renz­lohn gemäß § 10 Abs. 4 AÜG. Die dort Be­klag­te ist im vor­lie­gen­den Ver­fas­sungs­be­schwer­de­ver­fah­ren als Be­schwer­deführe­rin zu 18) be­tei­ligt. Das Ar­beits­ge­richt setz­te die­ses Ver­fah­ren nach § 97 Abs. 5 ArbGG bis zur Klärung der Ta­riffähig­keit der CG­ZP am 13. Ok­to­ber 2003, 24. Mai 2005 und 12. De­zem­ber 2006 aus. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt wies die so­for­ti­ge Be­schwer­de des Klägers ge­gen die Aus­set­zung zurück. Das Bun­des­ar­beits­ge­richt sah die Rechts­be­schwer­de mit dem vor­lie­gend an­ge­grif­fe­nen Be­schluss vom 23. Mai 2012 - 1 AZB 58/11 - als be­gründet an. Es be­ste­he kein Grund mehr für die Aus­set­zung des „equal-pay-Ver­fah­rens“ und es bedürfe kei­ner aus­drück­li­chen Ent­schei­dung über die Ta­riffähig­keit der CG­ZP zu den im Aus­set­zungs­be­schluss kon­kret auf­geführ­ten Zeit­punk­ten. Auf­grund der Be­schlüsse des Lan­des­ar­beits­ge­richts Ber­lin-Bran­den­burg vom 9. Ja­nu­ar 2012 - 24 TaBV 1285/11 u. a. - und des Bun­des­ar­beits­ge­richts vom 22. Mai 2012 - 1 ABN 27/12 - ste­he die feh­len­de Ta­riffähig­keit der CG­ZP auch für die vom Ar­beits­ge­richt im Aus­set­zungs­be­schluss als ent­schei­dungs­er­heb­lich an­ge­se­he­nen Zeit­punk­te rechts­kräftig fest. Der Streit­ge­gen­stand und da­mit die Reich­wei­te der Rechts­kraft rich­te­ten sich nach dem Kla­ge­ziel und dem zu­gehöri­gen Le­bens­sach­ver­halt als Kla­ge­grund; die Rechts­kraft­wir­kung be­mes­se sich ne­ben der Ur­teils­for­mel aus dem Tat­be­stand und den Ent­schei­dungs­gründen. Da die Ta­rif­unfähig­keit mit Sat­zungsmängeln be­gründet wor­den sei, er­fas­se ih­re Fest­stel­lung den ge­sam­ten Gel­tungs­zeit­raum die­ser Sat­zun­gen. Da­mit er­stre­cke sich die Fest­stel­lung auch auf die im Aus­set­zungs­ver­fah­ren maßgeb­li­chen Zeit­punk­te.

3. Die Be­schwer­deführe­rin­nen rügen ei­ne Ver­let­zung des Rück­wir­kungs­ver­bots, weil das Bun­des­ar­beits­ge­richt den im Be­schluss vom 14. De­zem­ber 2010 - 1 ABR 19/10 - for­mu­lier­ten neu­en An­for­de­run­gen an die Ta­riffähig­keit von Spit­zen­or­ga­ni­sa­tio­nen ei­ne un­zulässi­ge Rück­wir­kung ver­lei­he. Dies sei ein Fall ech­ter Rück­wir­kung. An die ar­beits­ge­richt­li­chen Be­schlüsse zur Ta­riffähig­keit der CG­ZP sei­en die­sel­ben An­for­de­run­gen zu stel­len wie an rück­wir­ken­de Ge­set­ze, denn die Fest­stel­lung der Ta­riffähig­keit wir­ke er­ga om­nes . Auch bei An­wen­dung der für Richter­recht gel­ten­den Grundsätze han­de­le es sich um ei­ne un­zulässi­ge Rück­wir­kung. Das Bun­des­ar­beits­ge­richt leh­ne zwar zu Recht je­den gu­ten Glau­ben an die Ta­riffähig­keit ab. Dies be­zie­he sich je­doch nur auf die un­si­che­re Fest­stel­lung von Tat­be­stands­merk­ma­len, nicht da­ge­gen auf ei­ne Recht­spre­chungsände­rung zu den An­for­de­run­gen an die Ta­riffähig­keit. Das vom Bun­des­ar­beits­ge­richt neu er­fun­de­ne Er­for­der­nis der „Voll­de­le­ga­ti­on“ sei in Recht­spre­chung und Li­te­ra­tur zu­vor nicht dis­ku­tiert wor­den. So würden erst­mals verschärf­te An­for­de­run­gen an die Ta­riffähig­keit ei­ner Spit­zen­or­ga­ni­sa­ti­on for­mu­liert. Die Be­schwer­deführe­rin­nen hätten sich in ei­nem Di­lem­ma be­fun­den, da der Ge­setz­ge­ber in § 2 Abs. 2 und 3 TVG Spit­zen­or­ga­ni­sa­tio­nen zu­las­se, die Vor­aus­set­zun­gen an de­ren Ta­riffähig­keit je­doch nicht nor­miert sei­en. In die­ser Si­tua­ti­on ha­be den Be­schwer­deführe­rin­nen nicht an­ge­son­nen wer­den können, „im Zwei­fel“ kei­ne Ta­rif­verträge mit der CG­ZP ab­zu­sch­ließen. Im Übri­gen ha­be auch staat­li­ches Han­deln das Ver­trau­en in die Wirk­sam­keit der mit der CG­ZP ge­schlos­se­nen Ta­rif­verträge be­gründet. So hätten So­zi­al­ver­si­che­rungs­träger die Bei­trags­einzüge auf der Grund­la­ge der CG­ZP-Ta­rif­verträge durch­geführt; die Agen­tur für Ar­beit ha­be die An­wen­dung der CG­ZP-Ta­rif­verträge nicht be­an­stan­det. Das Bun­des­ar­beits­ge­richt selbst ha­be in der Ent­schei­dung vom 24. März 2004 - 5 AZR 303/03 - die CG­ZP-Ta­rif­verträge zu der Fra­ge in Be­zug ge­nom­men, wel­che Vergütung in der Bran­che üblich sei.

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt ha­be auch den An­spruch der Be­schwer­deführe­rin zu 18) auf recht­li­ches Gehör aus Art.103 Abs. 1 GG ver­letzt. Es ha­be nicht dar­auf hin­ge­wie­sen, dass es die Fest­stel­lung der

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Ta­rif­unfähig­keit der CG­ZP auf an­de­re als die im Te­nor ge­nann­ten Zeit­punk­te zu er­stre­cken be­ab­sich­ti­ge. Ihr hätte Ge­le­gen­heit ge­ge­ben wer­den müssen, zur Dau­er der Rechts­kraft von Ent­schei­dun­gen über die Ta­rif­unfähig­keit der CG­ZP vor­zu­tra­gen.

II.

Die Vor­aus­set­zun­gen für die An­nah­me der Ver­fas­sungs­be­schwer­de lie­gen nicht vor. Sie hat kei­ne 11 grundsätz­li­che ver­fas­sungs­recht­li­che Be­deu­tung (§ 93a Abs. 2 Buch­sta­be a BVerfGG) und ih­re An­nah­me er­scheint auch nicht zur Durch­set­zung von Grund­rech­ten oder grund­rechts­glei­chen Rech­ten der Be­schwer­deführe­rin­nen an­ge­zeigt (§ 93a Abs. 2 Buch­sta­be b BVerfGG). Die Ver­fas­sungs­be­schwer­de hat kei­ne Aus­sicht auf Er­folg, weil sie of­fen­sicht­lich un­be­gründet ist.

1. Die Fest­stel­lung der Ta­rif­unfähig­keit der CG­ZP mit Wir­kung für die Ver­gan­gen­heit genügt den An­for­de­run­gen an den im Rechts­staats­prin­zip aus Art. 20 Abs. 3 GG ver­an­ker­ten Grund­satz des Ver­trau­ens­schut­zes in sei­ner Aus­prägung als Rück­wir­kungs­ver­bot.

a) Im Rechts­staats­prin­zip sind die Ge­bo­te der Rechts­si­cher­heit und des Ver­trau­ens­schut­zes ver­fas­sungs­kräftig ver­an­kert (vgl. BVerfGE 30, 392 <403>). Die Rechts­si­cher­heit soll ver­hin­dern, dass die Rechts­un­ter­wor­fe­nen durch die rück­wir­ken­de Be­sei­ti­gung er­wor­be­ner Rech­te über die Verläss­lich­keit der Rechts­ord­nung getäuscht wer­den (vgl. BVerfGE 105, 48 <57>). Rechts­si­cher­heit und Ver­trau­ens­schutz gewähr­leis­ten im Zu­sam­men­wir­ken mit den Grund­rech­ten die Verläss­lich­keit der Rechts­ord­nung als we­sent­li­che Vor­aus­set­zung für die Selbst­be­stim­mung (BVerfGE 133, 143 <158 Rn. 41>). Ei­ne ech­te Rück­wir­kung von Ge­set­zen ist ver­fas­sungs­recht­lich grundsätz­lich un­zulässig. Sie liegt vor, wenn ein Ge­setz nachträglich ändernd in ab­ge­wi­ckel­te, der Ver­gan­gen­heit an­gehören­de Tat­bestände ein­greift (vgl. BVerfGE 11, 139 <145 f.>; 101, 239 <263>). Höchst­rich­ter­li­che Recht­spre­chung ist je­doch kein Ge­set­zes­recht und er­zeugt kei­ne ver­gleich­ba­re Rechts­bin­dung (vgl. BVerfGE 122, 248 <277>; 131, 20 <42>). Die über den Ein­zel­fall hin­aus­rei­chen­de Gel­tung fach­ge­richt­li­cher Ge­set­zes­aus­le­gung be­ruht al­lein auf der Über­zeu­gungs­kraft ih­rer Gründe so­wie der Au­to­rität und den Kom­pe­ten­zen des Ge­richts. Es be­darf nicht des Nach­wei­ses we­sent­li­cher Ände­run­gen der Verhält­nis­se oder der all­ge­mei­nen An­schau­un­gen, da­mit ein Ge­richt oh­ne Ver­s­toß ge­gen Art. 20 Abs. 3 GG von sei­ner frühe­ren Recht­spre­chung ab­wei­chen kann. Die Ände­rung ei­ner ständi­gen höchst­rich­ter­li­chen Recht­spre­chung ist un­ter dem Ge­sichts­punkt des Ver­trau­ens­schut­zes grundsätz­lich dann un­be­denk­lich, wenn sie hin­rei­chend be­gründet ist und sich im Rah­men ei­ner vor­her­seh­ba­ren Ent­wick­lung hält (vgl. BVerfGE 84, 212 <227 f.>; 122, 248 <277>). Schutzwürdi­ges Ver­trau­en in ei­ne be­stimm­te Rechts­la­ge auf­grund höchst­rich­ter­li­cher Recht­spre­chung kann da­her in der Re­gel nur bei Hin­zu­tre­ten wei­te­rer Umstände, ins­be­son­de­re bei ei­ner ge­fes­tig­ten und langjähri­gen Recht­spre­chung ent­ste­hen (vgl. BVerfGE 126, 369 <395>; 131, 20 <42>).

b) Da­von aus­ge­hend konn­ten die Ge­rich­te für Ar­beits­sa­chen die Ta­rif­unfähig­keit der CG­ZP mit Wir­kung für die Ver­gan­gen­heit fest­stel­len, oh­ne ge­gen den ver­fas­sungs­recht­li­chen Grund­satz des Ver­trau­ens­schut­zes zu ver­s­toßen. Maßge­bend sind die für die höchst­rich­ter­li­che Recht­spre­chung gel­ten­den Grundsätze. Et­was an­de­res er­gibt sich nicht aus dem Um­stand, dass die Fest­stel­lung der Ta­rif­unfähig­keit ei­ner Ver­ei­ni­gung nicht nur zwi­schen den Par­tei­en, son­dern für und ge­gen al­le wirkt. Die Ent­schei­dung be­trifft den­noch im Ein­zel­fall die Ta­riffähig­keit ei­ner be­stimm­ten Ver­ei­ni­gung zu ei­nem be­stimm­ten Zeit­punkt oder in­ner­halb ei­nes be­stimm­ten Zeit­raums. Ei­ne über den Ein­zel­fall hin­aus­rei­chen­de Gel­tung der fach­ge­richt­li­chen Rechts­an­wen­dung kann sich wie auch an­de­re höchst­rich­ter­li­che Recht­spre­chung le­dig­lich auf die Über­zeu­gungs­kraft ih­rer Be­gründung stützen.

Die be­son­de­ren Vor­aus­set­zun­gen, un­ter de­nen aus­nahms­wei­se auch ei­ne Ände­rung der Recht­spre­chung den im Rechts­staats­prin­zip des Art. 20 Abs. 3 GG ver­an­ker­ten Ver­trau­ens­schutz ver­let­zen kann, lie­gen nicht vor. Es fehlt an ei­nem aus­rei­chen­den An­knüpfungs­punkt für das von den Be­schwer­deführe­rin­nen gel­tend ge­mach­te Ver­trau­en.

Die Be­schwer­deführe­rin­nen konn­ten nicht auf höchst­rich­ter­li­che Recht­spre­chung ver­trau­en, denn ei­ne sol­che lag zum Zeit­punkt der an­ge­grif­fe­nen Ent­schei­dun­gen nicht vor. Das Bun­des­ar­beits­ge­richt hat in dem Be­schluss vom 14. De­zem­ber 2010 - 1 ABR 19/10 - erst­mals aus­geführt, dass Ge­werk­schaf­ten ei­ner Spit­zen­or­ga­ni­sa­ti­on im Sin­ne des § 2 Abs. 2 und 3 TVG ih­re Ta­riffähig­keit vollständig ver­mit­teln müssen. Das ent­sprach nicht dem, was die Be­schwer­deführe­rin­nen für rich­tig hiel­ten. Die bloße

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Er­war­tung, ein obers­tes Bun­des­ge­richt wer­de ei­ne un­geklärte Rechts­fra­ge in ei­nem be­stimm­ten Sin­ne be­ant­wor­ten, be­gründet je­doch kein ver­fas­sungs­recht­lich in Art. 20 Abs. 3 GG geschütz­tes Ver­trau­en (vgl. BAG, Ur­teil vom 13. März 2013 - 5 AZR 954/11 -, ju­ris, Rn. 24).

Die Be­schwer­deführe­rin­nen muss­ten da­mit rech­nen, dass der CG­ZP die Ta­riffähig­keit fehl­te. An der Ta­riffähig­keit der CG­ZP be­stan­den von An­fang an er­heb­li­che Zwei­fel (vgl. Böhm, NZA 2003, S. 828 <829>; Rei­pen NZS 2005, S. 407 <408 f.>; Schüren, in: Schüren/Ha­mann, Ar­beit­neh­merüber­las­sungs­ge­setz, 3. Aufl. 2007, § 9 AÜG Rn. 115). Gleich­wohl ha­ben die Be­schwer­deführe­rin­nen die Ta­rif­verträge der CG­ZP an­ge­wen­det und ka­men da­mit in den Ge­nuss be­son­ders nied­ri­ger Vergütungssätze. Mit den an­ge­grif­fe­nen Ent­schei­dun­gen hat sich das er­kenn­ba­re Ri­si­ko rea­li­siert, dass später in ei­nem Ver­fah­ren nach § 2a Abs. 1 Nr. 4 in Ver­bin­dung mit § 97 ArbGG die Ta­rif­unfähig­keit der CG­ZP fest­ge­stellt wer­den könn­te. Al­lein der Um­stand, dass die ge­naue Be­gründung des Bun­des­ar­beits­ge­richts nicht oh­ne wei­te­res vor­her­seh­bar war, be­gründet kei­nen ver­fas­sungs­recht­lich zu berück­sich­ti­gen­den Ver­trau­ens­schutz. Dies gilt um­so mehr, als die von An­fang an dis­ku­tier­ten Be­den­ken ge­genüber der Ta­riffähig­keit der CG­ZP der Be­gründung des Bun­des­ar­beits­ge­richts durch­aus na­he­kom­men. So wur­den von An­fang an Zwei­fel an der aus­rei­chen­den Mäch­tig­keit der CG­ZP geäußert (vgl. Böhm, NZA 2003, S. 828 <829>). Das Bun­des­ar­beits­ge­richt stellt im Be­schluss vom 14. De­zem­ber 2010 - 1 ABR 19/10 - eben­falls auf den Ge­sichts­punkt der feh­len­den so­zia­len Mäch­tig­keit ab, in­dem es das Er­for­der­nis ei­ner Voll­de­le­ga­ti­on da­mit be­gründet, dass an­sons­ten zwei­fel­haft sein könne, ob die Spit­zen­ver­ei­ni­gung in den ihr über­tra­ge­nen Or­ga­ni­sa­ti­ons­be­rei­chen die not­wen­di­ge Durch­set­zungsfähig­keit be­sit­ze (vgl. BAG, Be­schluss vom 14. De­zem­ber 2010 - 1 ABR 19/10 -, ju­ris, Rn. 83).

Ein schutzwürdi­ges Ver­trau­en der Be­schwer­deführe­rin­nen in die Wirk­sam­keit der CG­ZP-Ta­rif­verträge lässt sich nicht mit dem Ver­hal­ten der So­zi­al­ver­si­che­rungs­träger und der Bun­des­agen­tur für Ar­beit so­wie der Her­an­zie­hung die­ser Ta­rif­verträge durch das Bun­des­ar­beits­ge­richt bei der Er­mitt­lung der bran­chenübli­chen Vergütung be­gründen. Die Ent­schei­dung über die Ta­riffähig­keit ei­ner Ver­ei­ni­gung ob­liegt al­lein den Ge­rich­ten für Ar­beits­sa­chen in dem in § 2a Abs. 1 Nr. 4 in Ver­bin­dung mit § 97 ArbGG ge­re­gel­ten Be­schluss­ver­fah­ren. Das Han­deln an­de­rer Stel­len so­wie die Be­zug­nah­me auf die­se Ta­rif­verträge in ei­nem gänz­lich an­ders ge­la­ger­ten Rechts­streit wa­ren auch vor dem Hin­ter­grund der be­reits da­mals um­strit­te­nen Ta­riffähig­keit der CG­ZP nicht ge­eig­net, ein schutzwürdi­ges Ver­trau­en zu be­gründen.

2. So­weit die Be­schwer­deführe­rin zu 18) darüber hin­aus ei­ne Ver­let­zung ih­res An­spruchs auf recht­li­ches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG rügt, ist die Ver­fas­sungs­be­schwer­de of­fen­sicht­lich un­be­gründet. Das Bun­des­ar­beits­ge­richt war ver­fas­sungs­recht­lich nicht ver­pflich­tet, sie auf ei­ne mögli­che zeit­li­che Aus­deh­nung der Fest­stel­lung über die Ta­rif­unfähig­keit hin­zu­wei­sen.

a) Ei­ne dem ver­fas­sungs­recht­li­chen An­spruch genügen­de Gewährung recht­li­chen Gehörs setzt vor­aus, dass Ver­fah­rens­be­tei­lig­te bei An­wen­dung der von ih­nen zu ver­lan­gen­den Sorg­falt zu er­ken­nen vermögen, auf wel­chen Tat­sa­chen­vor­trag es für die Ent­schei­dung an­kom­men kann (vgl. BVerfGE 84, 188 <190>). Zwar er­gibt sich aus Art. 103 Abs. 1 GG kei­ne all­ge­mei­ne Fra­ge- und Aufklärungs­pflicht des Ge­richts. Ein Ge­richt verstößt aber dann ge­gen Art. 103 Abs. 1 GG und das Ge­bot ei­nes fai­ren Ver­fah­rens, wenn es oh­ne vor­he­ri­gen Hin­weis auf recht­li­che Ge­sichts­punk­te ab­stellt, mit de­nen auch ge­wis­sen­haf­te und kun­di­ge Pro­zess­be­tei­lig­te nach dem bis­he­ri­gen Pro­zess­ver­lauf nicht zu rech­nen brauch­ten (vgl. BVerfGE 84, 188 <190>; 86, 133 <144 f.>).

b) Das Bun­des­ar­beits­ge­richt hat nicht auf der­art über­ra­schen­de recht­li­che Ge­sichts­punk­te ab­ge­stellt. Die zeit­li­che Rück­wir­kung der Rechts­kraft­wir­kung ist be­reits im An­schluss an die ers­te Ent­schei­dung des Bun­des­ar­beits­ge­richts zur Ta­riffähig­keit der CG­ZP vom 14. De­zem­ber 2010 - 1 ABR 19/10 - in der In­stanz­recht­spre­chung und Li­te­ra­tur um­fas­send dis­ku­tiert wor­den (vgl. Neef, NZA 2011, S. 615 <618> zur Rück­wir­kung bis zur letz­ten münd­li­chen Ver­hand­lung in der letz­ten Tat­sa­chen­in­stanz; Lembke, NZA 2011, S. 1062 <1066> zur Rück­wir­kung bis zur letz­ten münd­li­chen Ver­hand­lung in der Rechts­be­schwer­de beim Bun­des­ar­beits­ge­richt; zur Ent­behr­lich­keit ei­ner Aus­set­zung LAG Hamm, Ur­teil vom 30. Ju­ni 2011 - 8 Sa 387/11 -, ju­ris, Rn. 23; LAG Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 20. Sep­tem­ber 2011 - 7 Sa 1318/11 -, ju­ris, Rn. 34; a. A. Löwisch/Rieb­le, Ta­rif­ver­trags­ge­setz, 3. Aufl. 2012, § 2 Rn. 502). Ge­wis­sen­haf­te und kun­di­ge Pro­zess­be­tei­lig­te hätten die Möglich­keit der dann ge­trof­fe­nen Ent­schei­dung al­so auch oh­ne ge­son­der­ten recht­li­chen Hin­weis in Erwägung ge­zo­gen.

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III.

Die­se Ent­schei­dung ist un­an­fecht­bar. 

 

Kirch­hof 

Ma­sing

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