HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 09/147

Die Ge­werk­schaft der Neu­en Brief- und Zu­stell­diens­te (GN­BZ) ist nicht ta­rif­fä­hig

Die Ge­werk­schaft der Neu­en Brief- und Zu­stell­diens­te (GN­BZ) ta­rif­fä­hig?: Lan­des­ar­beits­ge­richt Köln, Be­schluss vom 20.05.2009, 9 TaBV 105/08
Postschalter GN­BZ kann kei­ne Ta­rif­ver­trä­ge ab­schlie­ßen

18.08.2009. Auf­grund ih­rer gro­ßen Nä­he zum Ar­beit­ge­ber­la­ger be­stan­den schon lan­ge er­heb­li­che Zwei­fel dar­an, ob die Ge­werk­schaft der Neu­en Brief- und Zu­stell­diens­te (GN­BZ) ei­ne Ge­werk­schaft im Sin­ne des Ta­rif­ver­trags­ge­set­zes (TVG) sein kann.

Soll­te dies nicht der Fall sein, so wä­ren die von ihr ab­ge­schlos­se­nen Ta­rif­ver­trä­ge nicht als sol­che an­zu­se­hen und da­mit wirk­sam. 

Dar­über ob die GN­BZ als Ge­werk­schaft im Sin­ne des Ta­rif­ver­trags­ge­set­zes (TVG) an­ge­se­hen wer­den kann oder nicht hat­te jetzt das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Köln zu ent­schei­den: LAG Köln, Be­schluss vom 20.05.2009, 9 TaBV 105/08.

Um­ge­hung der Post­min­dest­lohn­ver­ord­nung?

Seit En­de 2007 ist der Vor­schlag Kurt Becks, ei­nen ein­heit­li­chen Min­dest­lohn in Deutsch­land ein­zuführen, po­li­tisch vom Tisch. Seit­dem wird un­ter Fe­derführung des Bun­des­mi­nis­te­ri­ums für Ar­beit und So­zia­les (BMAS) an bran­chen­be­zo­ge­nen Min­destlöhnen ge­ar­bei­tet, in­dem man nach und nach im­mer wei­te­re Bran­chen in das Ar­beit­neh­mer-Ent­sen­de­ge­setz (AEntG) auf­nimmt.

Po­li­tisch am hef­tigs­ten um­strit­ten war die „Bran­che“ der Brief­dienst­leis­tun­gen. Sie wur­de En­de 2007 in das AEntG auf­ge­nom­men. Das AEntG in der En­de 2007 gel­ten­den Fas­sung gab dem BMAS das Recht, durch Rechts­ver­ord­nung zu fest­zu­le­gen, dass ein Ta­rif­ver­trag auf al­le Ar­beit­neh­mer An­wen­dung fin­det, die (ers­tens) un­ter sei­nen Gel­tungs­be­reich fal­len und die (zwei­tens) nicht ta­rif­ge­bun­den sind (Er­stre­ckungs­erklärung).

Da­mit un­ter­schei­det sich ei­ne Er­stre­ckungs­erklärung von der All­ge­mein­ver­bind­li­cherklärung gemäß § 5 Ta­rif­ver­trags­ge­setz (TVG). Wie der Na­me „All­ge­mein­ver­bind­li­cherklärung“ be­reits sagt, gilt ein all­ge­mein­ver­bind­li­cher Ta­rif­ver­trag un­ter­schieds­los für al­le Ar­beits­verhält­nis­se, die in sei­nen fach­li­chen Gel­tungs­be­reich fal­len, d.h. er sei­ne An­wen­dung wird nicht da­durch aus­ge­schlos­sen, dass Ar­beits­verhält­nis­se durch ei­nen an­de­ren (schlech­te­ren) als den all­ge­mein­ver­bind­li­chen Ta­rif­ver­trag re­gu­liert wer­den.

Mehr oder we­ni­ger zeit­gleich mit der Hin­ein­nah­me der Brief­dienst­leis­tun­gen in das AEntG ver­ein­bar­ten die Ge­werk­schaft ver.di und die Deut­sche Post AG ei­nen Ta­rif­ver­trag, der ei­nen Min­dest­b­rut­to­lohn von 9,80 EUR vor­sieht. Die­sen Ta­rif­ver­trag erklärte das BMAS um­ge­hend im Rah­men des da­ma­li­gen AEntG für er­streck­bar, er­hielt da­bei aber auf Be­trei­ben der Wett­be­wer­ber der Deut­schen Post AG vom Ver­wal­tungs­ge­richt Ber­lin ei­nen Dämp­fer (wir be­rich­te­ten in: Ar­beits­recht ak­tu­ell 08/031 Post­min­dest­lohn­ver­ord­nung für rechts­wid­rig erklärt).

Um ih­ren ju­ris­ti­schen Ab­wehr­kampf ge­gen die Post­min­dest­lohn­ver­ord­nung ta­rif­ver­trag­lich zu un­terfüttern und um da­mit den von ei­nem Min­dest­lohn von 9,80 EUR aus­ge­hen­den wirt­schaft­li­chen Druck zu um­ge­hen, such­ten die Wett­be­wer­ber der Deut­schen Post AG flugs nach ei­nem Ta­rif­part­ner, um mit die­sem ei­nen ei­ge­nen Ta­rif­ver­trag ab­zu­sch­ließen und da­mit die Fol­gen der Er­stre­ckungs­erklärung vom De­zem­ber 2007 ab­zu­weh­ren. Die­ser Ta­rif­part­ner war die neu ge­gründe­te Ge­werk­schaft der Neu­en Brief- und Zu­stell­diens­te (GN­BZ).

Es ist al­ler­dings sehr frag­lich, ob die von der GN­BZ ab­ge­schlos­se­nen Ta­rif­verträge über­haupt als sol­che an­zu­se­hen und da­mit wirk­sam sind. Vor­aus­set­zung dafür ist nämlich, dass die GN­BZ ei­ne Ge­werk­schaft im Sin­ne des TVG und da­mit ta­riffähig ist. Auf­grund ih­rer großen Nähe zum Ar­beit­ge­ber­la­ger be­stan­den dar­an im­mer schon er­heb­li­che Zwei­fel.

Nun­mehr hat das LAG Köln zu die­ser Fra­ge Stel­lung ge­nom­men (Be­schluss vom 20.05.2009, 9 TaBV 105/08).

GN­BZ - Vor­stands­mit­glie­der in geschäfts­lei­ten­den Po­si­tio­nen für pri­va­te Post­un­ter­neh­men

Die GN­BZ wur­de An­fang Ok­to­ber 2007 ge­gründet und hat ei­ge­nen An­ga­ben zu­fol­ge un­gefähr 1.300 Mit­glie­der. Für ei­ne Ge­werk­schaft un­gewöhn­lich ist der Um­stand, dass vie­le ih­rer Vor­stands­mit­glie­der in geschäfts­lei­ten­den Po­si­tio­nen für pri­va­te Post­un­ter­neh­men ar­bei­ten. Über die Or­ga­ni­sa­ti­on der GN­BZ ist we­nig bis nichts be­kannt. Of­fen­bar gibt es - trotz des An­spruchs bun­des­wei­ter Zuständig­keit - über­haupt nur in ei­ner Stadt ein Büro.

Laut Sat­zung der GN­BZ gehört zu ih­ren „we­sent­li­chen“ Zie­len nicht nur die Ver­tre­tung der Ar­beit­neh­mer­inter­es­sen, son­dern auch die „Mit­wir­kung am Wohl der pri­va­ten Brief- und Zei­tungs­zu­stell­un­ter­neh­men“. Im Ok­to­ber 2007 be­gan­nen ei­ni­ge pri­va­te Post­un­ter­neh­men, d.h. die Ar­beit­ge­ber­sei­te, für die GN­BZ Mit­glie­der an­zu­wer­ben.

Schon im De­zem­ber 2007 schloss die da­mals ge­ra­de mal zwei Mo­na­te al­te Ver­ei­ni­gung zwei Ta­rif­verträge ab. Der in die­sen ver­ein­bar­te Min­dest­lohn liegt 2,30 Eu­ro un­ter dem Min­dest­lohn, der in dem von ver.di mit der Deut­schen Post AG ab­ge­schlos­se­nen und im De­zem­ber 2007 vom BMAS für er­streck­bar erklärten Ta­rif­ver­trag fest­ge­legt ist. Im März 2008 kam im Rah­men ei­nes In­sol­venz­ver­fah­rens her­aus, dass die GN­BZ über ei­nen of­fen­bar der Ver­schleie­rung die­nen­den Um­weg ei­nen sechs­stel­li­gen Be­trag von ei­nem Ar­beit­ge­ber er­hal­ten hat­te.

Vor die­sem Hin­ter­grund lei­te­ten die Ge­werk­schaft ver.di, der DGB und das BMAS beim Ar­beits­ge­richt Köln ein Be­schluss­ver­fah­ren mit dem Ziel der Fest­stel­lung ein, dass die GN­BZ nicht ta­riffähig ist und auch bei Ab­schluss der Ta­rif­verträge nicht ta­riffähig war. Das Ar­beits­ge­richt ent­sprach die­sen Anträgen im Ok­to­ber 2008 (Be­schluss vom 30.10.2008, 14 BV 324/08). Die GN­BZ leg­te da­ge­gen Be­schwer­de zum LAG Köln ein.

LAG Köln: Die GNZB ist kei­ne Ge­werk­schaft

Das LAG Köln bestätig­te die Mei­nung des Ar­beits­ge­richt, d.h. es ent­schied auch ge­gen die GN­BZ (Be­schluss vom 20.05.2009, 9 TaBV 105/08). Auch in sei­ner Be­gründung folgt das LAG im we­sent­li­chen dem Ar­beits­ge­richt Köln.

Zunächst ver­weist das LAG auf die Sat­zung, die nach sei­ner An­sicht zeigt, dass die GN­BZ nicht nur die In­ter­es­sen ih­rer Mit­glie­der wahr­nimmt.

Außer­dem ist die GN­BZ nicht von ih­rem so­zi­al- bzw. ta­rif­po­li­ti­schen Ge­gen­spie­ler, den Post­dienst­leis­tungs­un­ter­neh­men, un­abhängig, d.h. sie ist nicht „geg­ner­frei“: Das folgt nach An­sicht des LAG Köln aus den per­so­nel­len Ver­flech­tun­gen mit den Post­dienst­leis­tungs­un­ter­neh­men so­wie aus der „freund­li­chen Hil­fe­stel­lung“ die­ser Un­ter­neh­men in Form von fi­nan­zi­el­len Zu­wen­dun­gen und tat­kräfti­ger Un­terstützung bei der Mit­glie­der­wer­bung.

Wei­ter­hin fehlt es der GN­BZ, so das LAG, an "so­zia­ler Mäch­tig­keit", d.h. der Fähig­keit, Druck auf die Ar­beit­ge­ber­sei­te aus­zuüben. Da­bei stützt sich das Ge­richt auf die ge­rin­ge Zahl von Or­ga­ni­sa­ti­ons­mit­glie­dern, auf das Zu­stan­de­kom­men der von der GN­BZ ab­ge­schlos­se­nen Ta­rif­verträge und de­ren im Ver­gleich zum ver.di-Ta­rif­ver­trag dürf­ti­gen In­halt.

Sch­ließlich ist das LAG auch der An­sicht, dass ei­ne aus­rei­chend leis­tungsfähi­ge Or­ga­ni­sa­ti­on nicht vor­han­den sei.

Der Be­schluss des LAG Köln ist für die GN­BZ bzw. die hin­ter ihr ste­hen­den pri­va­ten Post­dienst­leis­tungs­un­ter­neh­men fa­tal. Denn wenn ei­ne nicht ta­riffähi­ge Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung ei­nen Ta­rif­ver­trag ab­sch­ließt, hat die­ser kei­ner­lei Rechts­wir­kun­gen. Die GN­BZ wird den Rechts­streit zwar ver­mut­lich wei­ter fortführen, d.h. Rechts­be­schwer­de zum Bun­des­ar­beits­ge­richt ein­le­gen, doch sind die Er­folgs­aus­sich­ten ge­ring.

Ar­beit­neh­mer, die bei den Kon­kur­ren­ten der Deut­schen Post AG tätig sind, können da­her da­von aus­ge­hen, dass für sie je­den­falls nicht der Min­dest­lohn der GN­BZ-Ta­rif­verträge gilt. Das heißt al­ler­dings nicht oh­ne wei­te­res, dass sie sich auf den Min­dest­lohn des von ver.di aus­ge­han­del­ten Ta­rifs be­ru­fen können, denn nach ei­nem Ur­teil des Ober­ver­wal­tungs­ge­richts Ber­lin-Bran­den­burg vom 18.12.2008 (1 B 13.08) ist die Er­stre­ckungs­erklärung des BMAS vom 28.12.2007 rechts­wid­rig. Die­se Streit­fra­ge ist der­zeit im­mer noch nicht geklärt. Die Re­vi­si­on ist der­zeit vor dem Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt anhängig.

An­ge­sichts der un­kla­ren Rechts­la­ge ist den bei pri­va­ten Post­dienst­leis­tungs­un­ter­neh­men beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer zu ra­ten, ih­re Lohn­ansprüche auf der Grund­la­ge des ver.di-Ta­rif­ver­trags vor­sorg­lich schrift­lich gel­tend zu ma­chen, um das Ein­grei­fen von Aus­schluss­fris­ten zu ver­hin­dern.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 12. März 2018

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de

Bewertung:

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de