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BAG, Ur­teil vom 18.10.2011, 9 AZR 303/10

   
Schlagworte: Urlaub
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 9 AZR 303/10
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 18.10.2011
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Oberhausen, Urteil vom 11.11.2009, 4 Ca 2087/08
Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 31.03.2010, 12 Sa 1512/09
   


BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT


9 AZR 303/10
12 Sa 1512/09
Lan­des­ar­beits­ge­richt

Düssel­dorf

 

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am

18. Ok­to­ber 2011

UR­TEIL

Jatz, Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Be­klag­ter, Be­ru­fungskläger und Re­vi­si­onskläger,

pp.

Kläger, Be­ru­fungs­be­klag­ter und Re­vi­si­ons­be­klag­ter,

hat der Neun­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 18. Ok­to­ber 2011 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Prof. Düwell, die Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Krasshöfer und Dr. Suckow so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Dr. Star­ke und Heil­mann für Recht er­kannt:
 


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Die Re­vi­si­on des Be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Düssel­dorf vom 31. März 2010 - 12 Sa 1512/09 - wird zurück­ge­wie­sen.


Der Be­klag­te hat die Kos­ten des Re­vi­si­ons­ver­fah­rens zu tra­gen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Der 1938 ge­bo­re­ne Kläger ver­langt von dem Be­klag­ten ei­ne ver­trag­lich ver­ein­bar­te Ur­laubs­ab­gel­tung.

Un­ter dem 25. April 2002 schloss der Kläger mit der B GmbH, ver­tre­ten durch die In­sol­venz­schuld­ne­rin, ei­nen An­stel­lungs­ver­trag, der ua. die fol­gen­den Re­ge­lun­gen ent­hielt:


„§ 8 Ur­laub
Herr L hat An­spruch auf ei­nen jähr­li­chen Er­ho­lungs­ur­laub von dreißig Ar­beits­ta­gen, der in Ab­stim­mung mit den übri­gen Geschäftsführern der in­di­schen Ge­sell­schaf­ten und dem für die Ge­sell­schaf­ten zuständi­gen Vor­stands­mit­glied der B AG (Anm.: In­sol­venz­schuld­ne­rin) zeit­lich so fest­zu­le­gen ist, dass die Be­lan­ge der ge­nann­ten Ge­sell­schaft nicht be­ein­träch­tigt wer­den.

Ei­ne Über­tra­gung von Rest­ur­laub auf Fol­ge­jah­re ist möglich. Falls am Ta­ge der Be­en­di­gung des Ver­tra­ges noch Rest­ur­laub vor­han­den ist, wird die­ser mit 50 % vergütet.“


Am 1. Sep­tem­ber 2002 wur­de über das Vermögen der In­sol­venz­schuld­ne­rin das In­sol­venz­ver­fah­ren eröff­net und der Be­klag­te zum In­sol­venz­ver­wal­ter be­stellt.



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Am 20./24. März 2003 ka­men der Kläger und die In­sol­venz­schuld­ne­rin mit Ein­verständ­nis des Be­klag­ten übe­rein, der Kläger sol­le zu den ver­trag­li­chen Be­din­gun­gen, die bis­lang im Verhält­nis zwi­schen dem Kläger und der B GmbH gal­ten, künf­tig für die In­sol­venz­schuld­ne­rin tätig wer­den.


Die In­sol­venz­schuld­ne­rin er­teil­te dem Kläger fort­lau­fend Ge­halts­ab­rech­nun­gen, die den Stand der An­samm­lung des Rest­ur­laubs an­zeig­ten. In der Ab­rech­nung für Ja­nu­ar 2007 wa­ren 244 Ur­laubs­ta­ge aus­ge­wie­sen. Am 17. Au­gust 2007 ver­ein­bar­ten die Par­tei­en die Be­en­di­gung des An­stel­lungs­verhält­nis­ses mit Wir­kung zum 31. Au­gust 2008. Der Kläger ver­pflich­te­te sich, bis zu die­sem Zeit­punkt 30 Ta­ge Ur­laub zu neh­men.


Auf der Grund­la­ge von § 8 Abs. 2 Satz 2 des An­stel­lungs­ver­trags be­gehrt der Kläger die Ab­gel­tung von 244 der ins­ge­samt an­ge­sam­mel­ten 274 Ur­laubs­ta­ge. 30 Ur­laubs­ta­ge lässt sich der Kläger an­rech­nen, weil er ent­ge­gen der Ver­pflich­tung vom 17. Au­gust 2007 kei­nen Ur­laub ge­nom­men hat. Hilfs­wei­se ver­langt er die Ab­gel­tung von 127 Ta­gen ge­setz­li­chen Min­des­t­ur­laubs.

Der Kläger hat be­an­tragt, 


den Be­klag­ten zu ver­ur­tei­len, an ihn 129.686,00 Eu­ro brut­to nebst Zin­sen iHv. fünf Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit dem 1. Sep­tem­ber 2008 zu zah­len.


Der Be­klag­te hat be­an­tragt, die Kla­ge ab­zu­wei­sen. Er hat die Rechts­auf­fas­sung ver­tre­ten, der Ur­laubs­an­spruch sei mit Aus­nah­me des aus dem Jahr 2008 re­sul­tie­ren­den An­spruchs ver­fal­len. Ei­ne Über­tra­gung des Er­ho­lungs­ur­laubs iSv. § 8 Abs. 2 Satz 1 des An­stel­lungs­ver­trags auf das Fol­ge­jahr sei von drin­gen­den be­trieb­li­chen oder in der Per­son des Ar­beit­neh­mers lie­gen­den Gründen abhängig. Lie­ge ein Über­tra­gungs­grund vor, sei der Jah­res­ur­laub auf den 31. De­zem­ber des Fol­ge­jah­res be­fris­tet. In die­sem Zu­sam­men­hang be­haup­tet der Be­klag­te, dem Kläger mit Schrei­ben vom 26. Ju­li 2005 mit­ge­teilt zu ha­ben, dass er ei­ner An­samm­lung von Ur­laubs­ansprüchen nicht zu­stim­me.

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Das Ar­beits­ge­richt hat der Kla­ge statt­ge­ge­ben. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die Be­ru­fung des Be­klag­ten zurück­ge­wie­sen. Mit der Re­vi­si­on be­gehrt der Be­klag­te die Ab­wei­sung der Kla­ge.


Ent­schei­dungs­gründe

Die zulässi­ge Re­vi­si­on ist un­be­gründet. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die Be­ru­fung des Be­klag­ten ge­gen das kla­ge­statt­ge­ben­de Ur­teil des Ar­beits­ge­richts im Er­geb­nis zu Recht zurück­ge­wie­sen. Die zulässi­ge Kla­ge ist be­gründet. Der Be­klag­te ist ver­pflich­tet, zur Be­rich­ti­gung ei­ner Mas­se­ver­bind­lich­keit an den Kläger ei­nen Brut­to­be­trag iHv. 129.686,00 Eu­ro nebst Zin­sen iHv. fünf Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit dem 1. Sep­tem­ber 2008 zu zah­len.

I. An­spruchs­grund­la­ge des von dem Kläger er­ho­be­nen Ab­gel­tungs­an­spruchs ist § 8 Abs. 2 Satz 2 des An­stel­lungs­ver­trags vom 25. April 2002.


1. Gemäß § 8 Abs. 2 Satz 2 des An­stel­lungs­ver­trags hat der Be­klag­te, falls am Ta­ge der Be­en­di­gung des Ver­trags noch „Rest­ur­laub vor­han­den“ ist, die­sen mit 50 % zu vergüten.

2. Der ursprüng­lich zwi­schen dem Kläger und der B GmbH be­ste­hen­de An­stel­lungs­ver­trag bin­det in­fol­ge der Ver­ein­ba­rung zwi­schen dem Kläger und der In­sol­venz­schuld­ne­rin vom 20./24. März 2003, der der Be­klag­te als Ver­wal­ter zu­stimm­te, die Par­tei­en des Rechts­streits.


3. Die Par­tei­en ha­ben mit § 8 Abs. 2 Satz 2 des An­stel­lungs­ver­trags nicht 14 die ge­setz­li­che Re­ge­lung der Ur­laubs­ab­gel­tung in § 7 Abs. 4 BUrlG er­set­zen, son­dern ei­ne wei­te­re An­spruchs­grund­la­ge für die hälf­ti­ge Ab­gel­tung von an­ge­sam­mel­ten Ur­laubs­ansprüchen schaf­fen wol­len. § 8 Abs. 2 Satz 2 des An­stel­lungs­ver­trags be­gründet des­halb ei­nen ver­trag­li­chen An­spruch auf Ab­gel­tung sämt­li­cher während des Ar­beits­verhält­nis­ses ent­stan­de­ner Ur­laubs­ansprüche, die bis zur Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses nicht erfüllt wur­den. Da­bei ist


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es recht­lich nicht er­heb­lich, ob ein im Ka­len­der­jahr nicht gewähr­ter Ur­laub nach den Be­stim­mun­gen des § 7 Abs. 3 Satz 2 und Satz 3 BUrlG auf das Fol­ge­jahr über­tra­gen wur­de. Auf­grund der ver­trag­li­chen Re­ge­lun­gen in § 8 Abs. 2 des An­stel­lungs­ver­trags soll­te der Kläger be­rech­tigt sein, Ur­laub über meh­re­re Jah­re oh­ne je­de zeit­li­che Be­schränkung an­zu­sam­meln und am En­de des Ar­beits­verhält­nis­ses die hälf­ti­ge Ab­gel­tung die­ser An­samm­lung zu ver­lan­gen. Dies er­gibt die Aus­le­gung der maßgeb­li­chen Ver­trags­be­stim­mun­gen.


a) Der An­stel­lungs­ver­trag vom 25. April 2002 ist zu­sam­men mit den vom 20./24. März 2003 und 17. Au­gust 2007 da­tie­ren­den Fol­ge­verträgen ein nicht­ty­pi­scher Ver­trag. Die Aus­le­gung sol­cher Verträge ist in ers­ter Li­nie Sa­che der Tat­sa­chen­ge­rich­te (vgl. BAG 17. Ju­li 2007 - 9 AZR 819/06 - Rn. 19, AP ZPO § 50 Nr. 17 = EzA Tz­B­fG § 8 Nr. 17). Nimmt das Lan­des­ar­beits­ge­richt - wie im Streit­fall - ei­ne Aus­le­gung nicht vor, darf das Re­vi­si­ons­ge­richt auch nicht­ty­pi­sche Verträge selbst aus­le­gen, wenn der er­for­der­li­che Sach­ver­halt vollständig fest­ge­stellt und kein wei­te­res tatsächli­ches Vor­brin­gen zu er­war­ten ist (vgl. BAG 24. Ju­ni 2008 - 9 AZR 514/07 - Rn. 30, BA­GE 127, 95). So liegt der Fall hier.


b) Verträge sind so aus­zu­le­gen, wie Treu und Glau­ben mit Rück­sicht auf die Ver­kehrs­sit­te es er­for­dern (§ 157 BGB). Gemäß § 133 BGB ist aus­ge­hend vom ob­jek­ti­ven Wort­laut der wirk­li­che Wil­le des Erklären­den zu er­for­schen und nicht am buchstäbli­chen Sinn des Aus­drucks zu haf­ten. Bei der Aus­le­gung sind al­le tatsächli­chen Be­gleit­umstände der Erklärung zu berück­sich­ti­gen, die für die Fra­ge von Be­deu­tung sein können, wel­chen Wil­len der Erklären­de bei sei­ner Erklärung ge­habt hat und wie die Erklärung von ih­rem Empfänger zu ver­ste­hen war (BAG 15. Sep­tem­ber 2009 - 9 AZR 757/08 - Rn. 43, BA­GE 132, 88).

aa) Der Wort­laut der ver­trag­li­chen Ab­gel­tungs­be­stim­mung weicht in mehr­fa­cher Hin­sicht von dem der Ab­gel­tungs­re­ge­lung des Bun­des­ur­laubs­ge­set­zes ab. In § 8 Abs. 2 Satz 2 des An­stel­lungs­ver­trags ist die Ab­gel­tung des vor­han­de­nen Rest­ur­laubs „mit 50 %“ vor­ge­se­hen. Dem­ge­genüber sieht die ge­setz­li­che Ab­gel­tungs­re­ge­lung des § 7 Abs. 4 BUrlG vor, dass der Ur­laub, der al­lein-we­gen der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ganz oder teil­wei­se nicht mehr
 


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gewährt wer­den kann, oh­ne je­den Ab­zug so ab­zu­gel­ten ist, wie das Ur­laubs­ent­gelt zu be­mes­sen wäre. Es gibt kei­nen An­halts­punkt dafür, dass die Ver­trags­par­tei­en mit ih­rer Son­der­re­ge­lung die ge­setz­li­che Re­ge­lung er­set­zen woll­ten. Viel­mehr er­ge­ben die ver­trag­li­che 50 %-Ab­gel­tung und die ge­setz­li­che 100 %-Ab­gel­tung ein sich ergänzen­des Re­ge­lungs­sys­tem. Der ge­setz­li­che Ab­gel­tungs­an­spruch stellt ent­spre­chend Art. 7 Abs. 2 der Richt­li­nie 2003/88/EG des Eu­ropäischen Par­la­ments und des Ra­tes vom 4. No­vem­ber 2003 über be­stimm­te As­pek­te der Ar­beits­zeit­ge­stal­tung (sog. Ar­beits­zeit­richt­li­nie) ei­ne fi­nan­zi­el­le Entschädi­gung dar, die für den bei Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses zwar nicht mehr durch Frei­stel­lung erfüll­ba­ren, aber sonst noch be­ste­hen­den Ur­laubs­an­spruch ein­geräumt wird. Er si­chert des­halb nur die Ab­gel­tung der Ur­laubs­dau­er, die auf ei­nem nicht in­fol­ge Frist­ab­lauf ver­fal­le­nen Ur­laubs­an­spruch be­ruht. Dem­ge­genüber ver­schafft die ver­trag­li­che Son­der­re­ge­lung dem Ar­beit­neh­mer ei­ne Art Wahl­recht: Ei­ner­seits kann er un­ter Berück­sich­ti­gung der Über­tra­gungs­re­geln des § 7 Abs. 3 Satz 2 und Satz 3 BUrlG zeit­nah Ur­laub neh­men und erhält das nach § 11 BUrlG zu be­mes­sen­de Ur­laubs­ent­gelt bzw. die ent­spre­chen­de Ur­laubs­ab­gel­tung. An­de­rer­seits kann er von § 8 Abs. 2 Satz 2 des Ar­beits­ver­trags Ge­brauch ma­chen. Da­nach fin­det, so­weit der Ar­beit­neh­mer bei Ausübung sei­ner Führungstätig­keit im Aus­land jah­re­lang kei­nen Ur­laub nimmt, bei der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ei­ne be­son­de­re Ab­gel­tung statt. Ob­wohl nach § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG Ur­laubs­ansprüche aus dem Vor­jahr, so­weit kei­ne Aus­nah­me gilt (vgl. hier­zu: BAG 23. März 2010 - 9 AZR 128/09 - Rn. 70, AP SGB IX § 125 Nr. 3 = EzA BUrlG § 7 Ab­gel­tung Nr. 16; 24. März 2009 - 9 AZR 983/07 - Rn. 47 ff. mwN, BA­GE 130, 119), spätes­tens am 31. März der Fol­ge­jah­res ver­fal­len (vgl. BAG 29. Ju­li 2003 - 9 AZR 270/03 - zu B I 2 b bb (1) der Gründe, BA­GE 107, 124), wird die Ge­samt­zahl der an­ge­sam­mel­ten Ur­laubs­ta­ge als bei Be­en­di­gung vor­han­de­ner Rest­ur­laub „mit 50 % vergütet“.
 


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bb) Der sys­te­ma­ti­sche Zu­sam­men­hang, in den die ver­trag­li­che Ab­gel­tungs­re­ge­lung ein­ge­bet­tet ist, legt es na­he, dass § 8 Abs. 2 Satz 2 des An­stel­lungs­ver­trags ei­ne Ab­gel­tungs­ver­pflich­tung für den ge­sam­ten nicht gewähr­ten „Rest­ur­laub“ be­gründen soll. Dies folgt ins­be­son­de­re aus § 8 Abs. 2 Satz 1 des An­stel­lungs­ver­trags. Die­se Klau­sel er­laubt dem Kläger ei­ne von Vor­aus­set­zun­gen un­abhängi­ge und zeit­lich un­be­grenz­te Über­tra­gung „auf Fol­ge­jah­re“. Die Über­tra­gung von Ur­laubs­ansprüchen soll dem Wort­laut der Be­stim­mung nach nicht dar­an ge­bun­den sein, dass zu­guns­ten des Klägers ein Über­tra­gungs­tat­be­stand vor­lag. Das recht­li­che Zu­sam­men­spiel bei­der Sätze do­ku­men­tiert den Wil­len der Ver­trags­par­tei­en, zusätz­lich zum ge­setz­li­chen Ab­gel­tungs­an­spruch ei­ne ver­trag­li­che Son­der­re­ge­lung zu schaf­fen.


cc) Sinn und Zweck der Ver­ein­ba­rung ge­ben ei­nen deut­li­chen Hin­weis dar­auf, dass die Ver­trags­par­tei­en be­ab­sich­tig­ten, dem Kläger we­gen sei­ner noch im fort­ge­schrit­te­nen Al­ter von 63 Jah­ren über­nom­me­nen Führungs­auf­ga­ben für ausländi­sche Toch­ter­ge­sell­schaf­ten ei­nen Ab­gel­tungs­an­spruch ein­zuräum­en, des­sen Be­stand un­abhängig von ei­nem et­wai­gen Ver­fall des ka­len­der-jah­res­be­zo­ge­nen Ur­laubs­an­spruchs sein und dem Kläger ein ho­hes Maß an Au­to­no­mie einräum­en soll­te. Das zeigt die zu­guns­ten des Klägers ver­ein­bar­te Möglich­keit, Ur­laubs­ansprüche los­gelöst von den ge­setz­li­chen Über­tra­gungs­re­geln in § 7 Abs. 3 Satz 2 und Satz 3 BUrlG über ei­nen länge­ren Zeit­raum an­zu­sam­meln. Das kor­re­spon­diert auf Sei­ten des Ar­beit­ge­bers mit der Ge­fahr, am En­de des Ar­beits­verhält­nis­ses er­heb­li­che Auf­wen­dun­gen täti­gen zu müssen, um un­be­grenzt an­ge­sam­mel­te Ur­laubs­ansprüche ab­zu­gel­ten. Die­ses Ri­si­ko ha­ben die Ver­trags­par­tei­en er­kannt und zur Ver­mei­dung ei­nes zu star­ken An­samm­lungs­an­rei­zes ei­ne Vor­keh­rung ge­trof­fen. Sie ha­ben die bei Be­en­di­gung der An­stel­lung zu leis­ten­de Ur­laubs­ab­gel­tung auf die Hälf­te des Ent­gelts be­grenzt, das der Kläger im Fal­le ei­ner noch mögli­chen Ur­laubs­nah­me als Ur­laubs­ent­gelt be­an­spru­chen könn­te. So kor­re­spon­diert die ver­ein­bar­te Er­wei­te­rung der Ku­mu­lie­rungsmöglich­keit von Ur­laubs­ansprüchen mit ei­ner Hal­bie­rung der Ab­gel­tungshöhe. Die­ses Re­ge­lungs­sys­tem berück­sich­tigt das
 


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§ 7 Abs. 3 BUrlG zu­grun­de lie­gen­de Ge­bot, den Ur­laub im In­ter­es­se der Er­ho­lung möglichst im Ur­laubs­jahr zu neh­men; denn ein Ar­beit­neh­mer ist ge­hal­ten, die Frei­stel­lung von der Ar­beits­pflicht zum Zwe­cke des Er­ho­lungs­ur­laubs zu ver­lan­gen, wenn er das vol­le Ur­laubs­ent­gelt er­hal­ten will. Zu­gleich wird so das Ri­si­ko des Ar­beit­ge­bers ver­rin­gert, am En­de des Ar­beits­verhält­nis­ses mit an­ge­spar­ten Ansprüchen übermäßig be­las­tet zu wer­den.


c) Die­se Ver­trags­ge­stal­tung be­geg­net je­den­falls im Streit­fall kei­nen durch­grei­fen­den Be­den­ken.

aa) Die Ver­trags­frei­heit er­laubt den Par­tei­en des Ar­beits­ver­trags zwar nicht, ge­setz­lich zwin­gen­de Ur­laubs­be­stim­mun­gen ab­zu­be­din­gen oder zum Nach­teil des Ar­beit­neh­mers zu mo­di­fi­zie­ren (§ 13 Abs. 1 BUrlG); das Ge­set­zes­recht des BUrlG schließt aber nicht aus, dass die Par­tei­en ne­ben den ge­setz­li­chen Rech­ten ver­trag­li­che Ansprüche be­gründen. Dem Ar­beit­ge­ber steht es frei, mit dem Ar­beit­neh­mer ei­ne Ver­ein­ba­rung zu tref­fen, die ihn ver­pflich­tet, Ur­laub, der be­reits ver­fal­len ist, nach­zu­gewähren (vgl. Frie­se Ur­laubs­recht Rn. 165 mwN). Glei­ches gilt für ei­ne Ver­ein­ba­rung, die nicht die (Nach-)Gewährung ver­fal­le­nen Ur­laubs, son­dern des­sen Ab­gel­tung vor­sieht.


bb) Für den Rechts­streit ist un­er­heb­lich, ob der Be­klag­te der An­samm­lung von Ur­laub mit Schrei­ben vom 26. Ju­li 2005 wi­der­spro­chen hat. Die ein­sei­ti­ge Erklärung des Be­klag­ten hat auf die ver­trag­lich be­gründe­ten Rech­te des Klägers aus § 8 Abs. 2 Satz 2 des An­stel­lungs­ver­trags kei­nen Ein­fluss.


cc) Der Se­nat kann da­her die Fra­ge, ob die von den Par­tei­en in § 8 Abs. 2 Satz 1 des An­stel­lungs­ver­trags ge­re­gel­te Über­tra­gung von Ur­laubs­ansprüchen oh­ne Grund und oh­ne zeit­li­che Be­gren­zung mit dem „Ge­bot zeit­na­her Erfüllung des Ur­laubs­an­spruchs“ (vgl. hier­zu: BAG 21. Ju­ni 2005 - 9 AZR 200/04 - Rn. 23, AP In­sO § 55 Nr. 11 = EzA BUrlG § 7 Nr. 114) ver­ein­bar ist, of­fen­las­sen. Die­ses ver­pflich­tet den Ar­beit­ge­ber, die Ur­laubs­ansprüche, die der Ar­beit­neh­mer im Lau­fe des Ar­beits­verhält­nis­ses er­wirbt, grundsätz­lich im Ur­laubs­jahr,

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spätes­tens aber in­ner­halb des in § 7 Abs. 3 Satz 3 und Satz 4 BUrlG ge­re­gel­ten Über­tra­gungs­zeit­raums zu erfüllen. Selbst wenn der Ur­laubs­an­spruch des Klägers un­ge­ach­tet der ver­trag­li­chen Re­ge­lun­gen in § 8 Abs. 1 des An­stel­lungs­ver­trags ver­fal­len wäre, ließe dies den Ab­gel­tungs­an­spruch, den der Kläger im Streit­fall gel­tend macht, un­berührt. Denn die ver­trag­li­che Ab­gel­tungs­re­ge­lung, die die Ver­trags­par­tei­en mit § 8 Abs. 2 Satz 2 des An­stel­lungs­ver­trags schu­fen, setzt nicht ei­nen bei Be­en­di­gung des An­stel­lungs­verhält­nis­ses noch be­ste­hen­den Ur­laubs­an­spruch vor­aus, son­dern knüpft al­lein an den Um­stand an, dass der Ur­laubs­an­spruch des Klägers nicht gewährt wur­de, son­dern als Rest­ur­laub noch im Ur­laubs­sal­do „vor­han­den“ ist. Die­se Art der ver­ein­bar­ten hälf­ti­gen Ab­gel­tung, die der Kläger für nicht gewähr­ten Ur­laub ver­lan­gen kann, schließt die Entschädi­gung für ver­fal­le­nen Ur­laub ein (sie­he un­ter I 3 b der Gründe).


4. Der Ab­gel­tungs­an­spruch beläuft sich auf den gel­tend ge­mach­ten Be­trag iHv. 129.686,00 Eu­ro. Der Kläger hat­te bei Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses An­spruch auf 274 Ar­beits­ta­ge Ur­laub. 30 Ur­laubs­ta­ge hier­von lässt er sich auf­grund der Ver­ein­ba­rung vom 17. Au­gust 2007 an­rech­nen. Der Be­klag­te hat dem­nach Ab­gel­tung in Höhe des ein­ge­klag­ten Be­trags zu leis­ten.

a) Das Ar­beits­verhält­nis zwi­schen dem Kläger und der In­sol­venz­schuld­ne­rin en­de­te in­fol­ge der Ver­ein­ba­rung vom 17. Au­gust 2007 mit dem 31. Au­gust 2008 (§ 15 Abs. 1 Tz­B­fG). Hier­bei spielt es kei­ne Rol­le, ob die Be­fris­tungs­re­ge­lung ei­ner Kon­trol­le an­hand des § 14 Abs. 1 Tz­B­fG stand­hiel­te. Der Kläger hat ei­ne mögli­che Un­wirk­sam­keit nicht bin­nen der in § 17 Satz 1 Tz­B­fG be­stimm­ten dreiwöchi­gen Kla­ge­frist gel­tend ge­macht.


b) Dem Kläger stan­den zum Zeit­punkt der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses 274 Ta­ge Er­ho­lungs­ur­laub zu.

aa) Der Kläger hat vor­ge­tra­gen, er ha­be zum Stich­tag 1. Ja­nu­ar 2007 An­spruch auf 244 Ar­beits­ta­ge Ur­laub ge­habt. Die­ser Um­fang des Ur­laubs-
 


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an­spruchs gilt als zu­ge­stan­den. Nach § 138 Abs. 3 ZPO gel­ten Tat­sa­chen, die nicht aus­drück­lich be­strit­ten wer­den, als zu­ge­stan­den, wenn nicht die Ab­sicht, sie be­strei­ten zu wol­len, aus den übri­gen Erklärun­gen der Par­tei her­vor­geht. Der Be­klag­te hat ge­gen den Um­fang des von dem Kläger vor­ge­tra­ge­nen Ur­laubs­an­spruchs kei­ne Einwände er­ho­ben. Mit dem Hin­weis, die dem Kläger er­teil­ten Ge­halts­ab­rech­nun­gen sei­en für sich ge­nom­men kein Schuld­an­er­kennt­nis (vgl. zur Rechts­na­tur von Ge­halts­ab­rech­nun­gen: BAG 10. März 1987 - 8 AZR 610/84 - zu I 4 b bb der Gründe, BA­GE 54, 242), hat der Be­klag­te das Kla­ge­vor­brin­gen recht­lich be­wer­tet, oh­ne den Vor­trag des Klägers zum Um­fang des Ur­laubs­an­spruchs in Ab­re­de zu stel­len.


bb) Zu Be­ginn des Jah­res 2008 er­warb der Kläger gemäß § 8 Abs. 1 des An­stel­lungs­ver­trags zusätz­lich ei­nen 30 Ar­beits­ta­ge um­fas­sen­den Ur­laubs­an­spruch.


cc) Der Be­klag­te hat dem Kläger während des ge­sam­ten streit­ge­genständ­li­chen Zeit­raums kei­nen Er­ho­lungs­ur­laub gewährt.

c) Von der Sum­me bei­der Ansprüche lässt sich der Kläger 30 Ur­laubs­ta­ge an­rech­nen. Die ver­blei­ben­den 244 Ur­laubs­ta­ge hat der Be­klag­te pro Tag mit 50 % des tägli­chen Ur­laubs­ent­gelts iHv. 1.063,00 Eu­ro ab­zu­gel­ten (§ 8 Abs. 2 Satz 2 des An­stel­lungs­ver­trags).

II. Der Be­klag­te hat die For­de­rung nach den Vor­schrif­ten über den Schuld­ner­ver­zug mit fünf Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit dem 1. Sep­tem­ber 2008 zu ver­zin­sen (§ 288 Abs. 1, § 286 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB).

III. Der Be­klag­te hat die­sen Zah­lungs­an­spruch als Mas­se­ver­bind­lich­keit zu be­rich­ti­gen. Gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 In­sO sind Ver­bind­lich­kei­ten aus ge­gen­sei­ti­gen Verträgen Mas­se­ver­bind­lich­kei­ten, so­weit de­ren Erfüllung für die Zeit nach Eröff­nung des In­sol­venz­ver­fah­rens er­fol­gen muss. Für den Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruch ist dies der Fall, wenn das Ar­beits­verhält­nis nach Eröff­nung des In­sol­venz­ver­fah­rens be­en­det wird (BAG 25. März 2003 - 9 AZR
 


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174/02 - zu A II 2 der Gründe, BA­GE 105, 345). Das Ar­beits­verhält­nis zwi­schen dem Kläger und der In­sol­venz­schuld­ne­rin en­de­te in­fol­ge der Ver­ein­ba­rung vom 17. Au­gust 2007 mit dem 31. Au­gust 2008, mit­hin nach dem am 1. Sep­tem­ber 2002 über das Vermögen der In­sol­venz­schuld­ne­rin eröff­ne­ten In­sol­venz­ver­fah­ren.


IV. Der Be­klag­te hat die Kos­ten der er­folg­lo­sen Re­vi­si­on zu tra­gen (§ 97 Abs. 1 ZPO).
Düwell 

Krasshöfer 

Suckow

Star­ke 

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