HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 21/005

Be­wer­be­r­aus­wahl im öf­fent­li­chen Dienst

Öf­fent­li­che Ar­beit­ge­ber müs­sen bei der Stel­len­ver­ga­be leis­tungs­be­zo­ge­ne An­for­de­run­gen be­son­ders stark ge­wich­ten: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 28.01.2020, 9 AZR 91/19
Gruppe von Arbeitnehmern, Ärztin, Architekt

09.01.2021. Öf­fent­li­che Ar­beit­ge­ber müs­sen Stel­len­aus­schrei­bun­gen und die Aus­wahl zwi­schen ver­schie­de­nen Be­wer­be­rin­nen und Be­wer­bern sorg­fäl­tig pla­nen und durch­füh­ren.

Wich­tig ist hier ins­be­son­de­re, dass der Ar­beit­ge­ber die An­for­de­run­gen, die er im An­for­de­rungs­pro­fil fest­legt, spä­ter auch bei Be­wer­tung der Be­wer­bun­gen kon­se­quent an­wen­det.

Au­ßer­dem müs­sen fach­li­che Aus­wahl­kri­te­ri­en stär­ker ge­wich­tet wer­den als an­de­re ("wei­che") An­for­de­run­gen, da sonst das ver­fas­sungs­recht­lich vor­ge­schrie­be­ne Prin­zip der Bes­ten­aus­le­se nicht be­ach­tet wird, so das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) in ei­nem Bran­den­bur­ger Streit­fall: BAG, Ur­teil vom 28.01.2020, 9 AZR 91/19.

Stol­per­stei­ne beim Weg vom An­for­de­rungs­pro­fil über die Stel­len­aus­schrei­bung bis zur Be­wer­be­r­aus­wahl

Öffent­li­che Ar­beit­ge­ber sind bei der Ver­ga­be von Stel­len an Art.33 Abs.2 Grund­ge­setz (GG) ge­bun­den. Hier heißt es:

"Je­der Deut­sche hat nach sei­ner Eig­nung, Befähi­gung und fach­li­chen Leis­tung glei­chen Zu­gang zu je­dem öffent­li­chen Am­te."

Die­se Re­gel, die das Leis­tungs­prin­zip be­tont, gilt nicht nur bei der Be­set­zung von Be­am­ten- und Rich­ter­stel­len ("zu je­dem öffent­li­chen Am­te"), son­dern auch bei der Ein­stel­lung von Ar­beit­neh­mern bzw. Ar­beit­neh­me­rin­nen. Ein ab­ge­lehn­ter Be­wer­ber, der bes­ser qua­li­fi­ziert ist als ein er­folg­rei­cher Mit­be­wer­ber, kann des­sen Ein­stel­lung ge­richt­li­che stop­pen las­sen und, falls er da­mit zu spät kommt, mögli­cher­wei­se Scha­dens­er­satz ver­lan­gen.

Wel­che Be­wer­be­rin­nen bzw. Be­wer­ber mehr oder we­ni­ger gut für ei­ne Stel­le qua­li­fi­ziert sind, folgt aus dem An­for­de­rungs­pro­fil, das in ei­nem ers­ten Schritt fest­ge­legt wer­den muss, und zwar vom öffent­li­chen Ar­beit­ge­ber. Aus dem An­for­de­rungs­pro­fil er­gibt sich, wel­che Auf­ga­ben und Be­fug­nis­se mit ei­ner Stel­le ver­bun­den sind und wel­che Fach­kennt­nis­se und be­ruf­li­chen Er­fah­run­gen die dar­an in­ter­es­sier­ten Be­wer­ber ha­ben müssen.

An das An­for­de­rungs­pro­fil sind öffent­li­che Ar­beit­ge­ber ge­bun­den, so­bald das Be­wer­bungs- bzw. Aus­wahl­ver­fah­ren ein­mal be­gon­nen hat. Es ist recht­lich nicht zulässig, bei der Aus­wahl zwi­schen ver­schie­de­nen Be­wer­bern von dem zu­vor fest­ge­leg­ten An­for­de­rungs­pro­fil ab­zu­wei­chen. Ei­ne sol­che Ab­wei­chen würde auch den An­spruch der Be­wer­be­rin­nen und Be­wer­ber auf ein fai­res Aus­wahl­ver­fah­ren ver­letz­ten, d.h. ih­ren „Be­wer­bungs­ver­fah­rens­an­spruch“.

Im Streit: Ab­ge­lehn­ter Ju­rist ver­klagt öffent­li­chen Ar­beit­ge­ber we­gen ab­ge­lehn­ter Be­wer­bung auf Scha­dens­er­satz

Im Streit­fall hat­te sich ein Ju­rist, der bei­de Staats­ex­amen vor­wei­sen konn­te („Voll­ju­rist“), im Fe­bru­ar 2016 um ei­ne Stel­le als „Lei­ten­de/r Sach­be­ar­bei­ter/in für Öffent­li­che Ord­nung und Si­cher­heit“ im Land Bran­den­burg be­wor­ben. Die Be­wer­bung hat­te kei­nen Er­folg, d.h. er wur­de ab­ge­lehnt.

Im An­for­de­rungs­pro­fil wa­ren nicht nur Aus­bil­dungs­an­for­de­run­gen und Be­rufs­er­fah­run­gen ge­nannt, son­dern auch "weich" Kri­te­ri­en wie bei­spiels­wei­se „selbstständi­ges und zu­verlässi­ges Ar­bei­ten mit In­no­va­ti­ons­be­reit­schaft“, „ho­hes Maß an Ver­ant­wor­tung, Fle­xi­bi­lität, Stress­bewälti­gung, Leis­tungs­be­reit­schaft“, „fun­dier­te Kennt­nis­se im Be­reich der EDV“ und „ho­he Ein­satz­be­reit­schaft auch außer­halb der nor­ma­len Ar­beits­zei­ten“.

Der Ar­beit­ge­ber ver­wen­de­te für die Be­wer­tung der ein­ge­hen­den Be­wer­bun­gen ein Aus­wahl­sche­ma ("Aus­wahl­ma­trix"), das 15 ver­schie­de­nen Kri­te­ri­en ent­hielt. Dar­un­ter al­ler­dings be­fan­den sich die o.g. Ein­stel­lungs­vor­aus­set­zun­gen des An­for­de­rungs­pro­fils nicht. Um­ge­kehrt tauch­ten al­ler­dings in dem Aus­wahl­sche­ma ei­ni­ge neue Kri­te­ri­en auf, d.h. Aus­wahl­kri­te­ri­en, die im An­for­de­rungs­pro­fil nicht ent­hal­ten wa­ren. Hier ging das Aus­wahl­sche­ma al­so über das An­for­de­rungs­pro­fil hin­aus und nann­te Kri­te­ri­en wie z.B. „Verfügbar­keit“, „Lern­be­reit­schaft“, „Mo­bi­lität“ und so­gar „all­ge­mei­nes Auf­tre­ten / Er­schei­nungs­bild“.

Um die ein­ge­hen­den zwölf Be­wer­bun­gen mit ei­nem klar de­fi­nier­ten Zah­len- bzw. Punkt­wert ver­se­hen zu können, wur­de ent­schie­den, dass al­le 15 Kri­te­ri­en des Aus­wahl­sche­mas Punkt­wer­ten von null bis drei be­wer­tet wer­den soll­ten. Dem­ent­spre­chend konn­ten die Be­wer­ber im bes­ten Fall 45 Punk­te gemäß dem Aus­wahl­sche­ma er­rei­chen und im schlech­tes­ten Fall null. Da­bei be­zo­gen sich nur drei der ins­ge­samt 15 Kri­te­ri­en des Aus­wahl­sche­mas auf fach­li­che Vor­aus­set­zun­gen, nämlich auf die „Aus­bil­dung“, auf mögli­che „Fach­kennt­nis­se“ und auf ei­ne mögli­che „Ver­wal­tungs­er­fah­rung“, d.h. wer die­se drei fach­li­chen An­for­de­run­gen op­ti­mal erfüllt, konn­te da­mit trotz­dem nur ma­xi­mal neun Punk­te er­rei­chen (von 45 mögli­chen Punk­ten).

Auf der Grund­la­ge ih­rer Punk­te­zahl wur­den drei der zwölf Be­wer­be­rin­nen und Be­wer­ber zum Vor­stel­lungs­gespräch ein­ge­la­den. Der Ju­rist war nicht dar­un­ter.

Dar­auf­hin ver­klag­te er den öffent­li­chen Ar­beit­ge­ber vor dem Ar­beits­ge­richt Neu­rup­pin u.a. auf Scha­dens­er­satz, d.h. er woll­te fi­nan­zi­ell so ge­stellt wer­den, als hätte er die strei­ti­ge Stel­le er­hal­ten. Das al­ler­dings setzt den Nach­weis vor­aus, dass man bes­ser ge­eig­net ist als der er­folg­rei­che bzw. ein­ge­stell­te Mit­be­wer­ber. Mit die­sem Nach­weis schei­ter­te er, so dass das Ar­beits­ge­richt Neu­rup­pin (Ur­teil vom 02.02.2017, 3 Ca 471/16) und das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Ber­lin-Bran­den­burg die Kla­ge ab­wies (Ur­teil vom 24.05.2018, 18 Sa 410/17).

BAG: Öffent­li­che Ar­beit­ge­ber müssen bei der Stel­len­ver­ga­be leis­tungs­be­zo­ge­ne An­for­de­run­gen be­son­ders stark ge­wich­ten

Auch vor dem BAG hat­te der Ju­rist kein Glück, denn er schei­ter­te an dem Nach­weis, dass er nach sei­ner Eig­nung, Befähi­gung und sei­ner fach­li­cher Leis­tung der am bes­ten Ge­eig­ne­te un­ter den Be­wer­bern um die aus­ge­schrie­be­ne Stel­le war.

Da­bei stellt das BAG al­ler­dings auch klar, dass der öffent­li­che Ar­beit­ge­ber im Streit­fall - und auch das LAG in sei­nem Be­ru­fungs­ur­teil - er­heb­li­che Feh­ler ge­macht hat­ten.

Denn der Ar­beit­ge­ber hat­te nicht al­le An­for­de­run­gen des An­for­de­rungs­pro­fils auch in sein Aus­wahl­sche­ma über­nom­men (BAG, Ur­teil, Rn.33). Außer­dem war das Aus­wahl­sche­ma auch des­halb nicht in Ord­nung, so die Er­fur­ter Rich­ter, weil ei­ni­ge dort ent­hal­te­nen An­for­de­run­gen im An­for­de­rungs­pro­fil ge­nannt wur­den (BAG, Ur­teil, Rn.33). Sch­ließlich hätte der Ar­beit­ge­ber sein Aus­wahl­sche­ma auch nicht so stri­cken, dass al­le hier ge­nann­ten An­for­de­run­gen in der glei­chen Wei­se ge­wich­tet wur­den. Denn da­mit hat­te der Ar­beit­ge­ber die fach­li­chen An­for­de­run­gen zu ge­ring be­wer­tet (BAG, Ur­teil, Rn.34).

Dass es so nicht geht, zeigt das Bei­spiel ei­nes Be­wer­bers, der fach­lich gar nicht ge­eig­net ist: Er käme trotz­dem, z.B. weil er sein "Auf­tre­ten" bzw. sein "Er­schei­nungs­bild" an­spre­chend ist und er sehr lern­be­reit und außer­dem "mo­bil" ist, auf die glei­che Punkt­zahl (neun) wie ein fach­lich op­ti­mal qua­li­fi­zier­ter Mit­be­wer­ber. Öffent­li­che Ar­beit­ge­ber, die in ei­ner sol­chen Wei­se die von ih­nen fest­ge­leg­ten Ein­stel­lungs­kri­te­ri­en ge­wich­ten, ver­s­toßen da­mit ge­gen das ver­fas­sungs­recht­li­che Ge­bot der Bes­ten­aus­le­se (BAG, Ur­teil, Rn.34).

Fa­zit: Öffent­li­che Ar­beit­ge­ber können ein­ge­hen­de Be­wer­bun­gen mit ei­nem vor­ab fest­ge­leg­ten Punk­te­sche­ma in ei­ne Rang­fol­ge brin­gen. Das ist al­lein schon des­halb sinn­voll, um si­cher­zu­stel­len, dass die Be­wer­bun­gen nicht all­zu zu sub­jek­tiv be­wer­tet wer­den.

Al­ler­dings müssen die Kri­te­ri­en des An­for­de­rungs­pro­fils mit de­nen des Punk­te­sche­mas iden­tisch sein und es muss si­cher­ge­stellt sein, dass Be­rufs­qua­li­fi­ka­ti­on und Be­rufs­er­fah­run­gen ein (deut­lich) stärke­res Ge­wicht ha­ben als „wei­che“ bzw. "so­zia­le" An­for­de­run­gen.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 7. Oktober 2021

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de
Bewertung: 3.0 von 5 Sternen (13 Bewertungen)

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de