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ARBEITSRECHT AKTUELL // 18/012

EuGH stärkt Auf­ent­halts­recht von Selb­stän­di­gen in der EU

Selb­stän­di­ge EU-Aus­län­der be­hal­ten ih­ren Sta­tus als Selb­stän­di­ge und da­mit ihr Auf­ent­halts­recht, wenn sie nach über ei­nem Jahr Be­rufs­tä­tig­keit un­frei­wil­lig ar­beits­los wer­den: Eu­ro­päi­scher Ge­richts­hof, Ur­teil vom 20.12.2017, C-442/16 (Gu­sa)
Europa, Europäische Union, Landesflaggen

15.01.2018. Wer sich als Bür­ger ei­nes Mit­glieds­lan­des der Eu­ro­päi­schen Uni­on (EU) län­ger als drei Mo­na­te in ei­nem an­de­ren EU-Land auf­hal­ten möch­te, braucht da­für nach gel­ten­dem Eu­ro­pa­recht sach­li­che Grün­de wie z.B. ein Stu­di­um oder ei­ne An­stel­lung als Ar­beit­neh­mer.

Auch wer als Selb­stän­di­ger in ei­nem an­de­ren EU-Land sein Geld ver­dient, hat ein Auf­ent­halts­recht.

Aber was ist, wenn ein Selb­stän­di­ger we­gen Auf­trags­man­gels sei­ne be­ruf­li­che Tä­tig­keit auf­ge­ben muss, nach­dem er von ihr zu­vor ei­ni­ge Jah­re lang ge­lebt hat? Ver­liert er dann sein Auf­ent­halts­recht? Nein, so der Eu­ro­päi­sche Ge­richts­hof (EuGH) in ei­nem ak­tu­el­len Ur­teil: EuGH, Ur­teil vom 20.12.2017, C-442/16 (Gu­sa).

Ver­lie­ren EU-Ausländer, die länger als ein Jahr selbstständig ar­bei­ten, ihr Auf­ent­halts­recht, wenn sie ih­re Tätig­keit we­gen Auf­trags­man­gels auf­ge­ben?

Art.6 der Richt­li­nie 2004/38/EG vom 29.04.2004 über das Recht der Uni­onsbürger und ih­rer Fa­mi­li­en­an­gehöri­gen, sich im Ho­heits­ge­biet der Mit­glied­staa­ten frei zu be­we­gen und auf­zu­hal­ten pp. (Freizügig­keits­richt­li­nie) er­laubt es Bürgern von Mit­glied­staa­ten der EU, sich bis zu drei Mo­na­ten in an­de­ren EU-Staa­ten auf­zu­hal­ten. Ein­zi­ge Vor­aus­set­zung ist der Be­sitz ei­nes gülti­gen Per­so­nal­aus­wei­ses oder Rei­se­pas­ses.

Darüber hin­aus dürfen sich EU-Bürger in an­de­ren EU-Staa­ten für un­be­grenz­te Zeit auf­hal­ten, wenn sie dort als Ar­beit­neh­mer oder Selbstständi­ge tätig sind (Art.7 Abs.1 Buch­sta­be a) Richt­li­nie 2004/38/EG).

Die­ses Auf­ent­halts­recht bleibt gemäß Art.7 Abs.3 Buch­sta­be b Richt­li­nie 2004/38/EG oh­ne zeit­li­che Be­gren­zung er­hal­ten, wenn sich der zu­vor er­werbstäti­ge EU-Ausländer „bei ord­nungs­gemäß bestätig­ter un­frei­wil­li­ger Ar­beits­lo­sig­keit nach mehr als einjähri­ger Beschäfti­gung dem zuständi­gen Ar­beits­amt zur Verfügung“ stellt.

Da in die­ser Vor­schrift von un­frei­wil­li­ger Ar­beits­lo­sig­keit so­wie von ei­nem Ar­beits­amt die Re­de ist, stellt sich die Fra­ge, ob die hier von der Freizügig­keits­richt­li­nie gewähr­te Verlänge­rung des Auf­ent­halts­rech­tes nur für Ar­beit­neh­mer oder auch für Selbstständi­ge gilt.

Die­se Fra­ge hat der EuGH mit sei­nem Ur­teil vom 20.12.2017 (C-442/16 - Gu­sa) geklärt.

Der Streit­fall Flo­rea Gu­sa ge­gen Mi­nis­ter for So­ci­al Pro­tec­tion (Ir­land)

Der rumäni­sche Staats­an­gehöri­ge Flo­rea Gu­sa reis­te im Ok­to­ber 2007 nach Ir­land. Während des ers­ten Jah­res sei­nes Auf­ent­halts in Ir­land wur­de er von sei­nen Kin­dern, die da­mals auch in Ir­land wohn­ten, un­terstützt.

So­dann ar­bei­te­te er von Ok­to­ber 2008 bis Ok­to­ber 2012 als selbständi­ger Stucka­teur. Da­bei ent­rich­te­te er in Ir­land sei­ne Steu­ern, die ein­kom­mens­abhängi­gen So­zi­al­ver­si­che­rungs­beiträge und an­de­re Ab­ga­ben auf sei­ne Einkünf­te.

Im Ok­to­ber 2012 gab Herr Gu­sa sei­ne selbständi­ge Tätig­keit we­gen Auf­trags­man­gels auf. Er verfügte über kein Ein­kom­men mehr und stell­te da­her ei­nen An­trag auf Gewährung ei­nes Zu­schus­ses für Ar­beit­su­chen­de.

Die­ser An­trag wur­de mit der Be­gründung ab­ge­lehnt, dass Herr Gu­sa nicht nach­ge­wie­sen ha­be, dass er noch im­mer ein Recht auf Auf­ent­halt in Ir­land be­sit­ze. Seit Be­en­di­gung sei­ner selbständi­gen Er­werbstätig­keit als Stucka­teur ha­be Herr Gu­sa nämlich sei­ne Ei­gen­schaft als Selbständi­ger ver­lo­ren und da­her nicht mehr die in der Freizügig­keits­richt­li­nie vor­ge­se­he­nen Vor­aus­set­zun­gen für die Zu­er­ken­nung ei­nes Auf­ent­halts­rechts erfüllt.

Ge­gen die­se Ent­schei­dung er­hob Herr Gu­sa Kla­ge. Sie hat­te vor dem iri­schen High Court (Ho­her Ge­richts­hof) kei­nen Er­folg, so dass Herr Gu­sa vor den iri­schen Su­pre­me Court (Obers­ter Ge­richts­hof) zog.

Der Su­pre­me Court leg­te dem EuGH dar­auf­hin u.a. die Fra­ge vor, ob ei­nem EU-Bürger die Ei­gen­schaft als „Selbständi­ger“ im Sin­ne von Art.7 Abs.1 Buch­sta­be a der Freizügig­keits­richt­li­nie gemäß Art.7 Abs.3 Buch­sta­be b die­ser Richt­li­nie er­hal­ten bleibt (und da­mit sein Auf­ent­halts­recht), wenn er zunächst vier Jah­re lang als Selbständi­ger in ei­nem an­de­ren EU-Land ar­bei­tet, die­se Ar­beit dann we­gen Auf­trags­man­gels ein­stellt und sich beim zuständi­gen Ar­beits­amt mel­det.

EuGH: Selbständi­ge EU-Ausländer be­hal­ten ih­ren Sta­tus als Selbständi­ge und da­mit ihr Auf­ent­halts­recht, wenn sie nach über ei­nem Jahr Be­rufstätig­keit un­frei­wil­lig ar­beits­los wer­den

Mit sei­nem Ur­teil stellt der EuGH in Übe­rein­stim­mung mit den Schluss­anträgen des Ge­ne­ral­an­wal­tes Wa­the­let klar, dass die un­be­fris­te­te Verlänge­rung des Auf­ent­halts­rech­tes von EU-Ausländern, die nach über einjähri­ger Be­rufstätig­keit un­frei­wil­lig ar­beits­los ge­wor­den sind, gemäß Art.7 Abs.3 Buch­sta­be b der Richt­li­nie 2004/38 glei­cher­maßen auf Ar­beit­neh­mer und auf Selbstständi­ge an­zu­wen­den ist.

Zur Be­gründung ver­weist der Ge­richts­hof dar­auf, dass die Freizügig­keits­richt­li­nie in ih­rem Art.7 Abs.1 zwar zwi­schen er­werbstäti­gen Per­so­nen und Nichter­werbstäti­gen wie z.B. Stu­den­ten un­ter­schei­det (denn das Auf­ent­halts­recht von Stu­den­ten setzt u.a. das Be­ste­hen ei­ner Kran­ken­ver­si­che­rung vor­aus, die von Er­werbstäti­gen nicht ver­langt wird), nicht aber zwi­schen Ar­beit­neh­mern und Selbstständi­gen (Ur­teil, Rn.36).

Außer­dem würde ei­ne en­ge In­ter­pre­ta­ti­on von Art.7 Abs.3 Buch­sta­be b der Richt­li­nie 2004/38, die die­se Vor­schrift nur auf Ar­beit­neh­mer an­wen­den würde, auf ei­ne sach­lich nicht ge­recht­fer­tig­te Be­nach­tei­li­gung selbstständi­ger EU-Ausländer hin­aus­lau­fen, so der EuGH (Ur­teil, Rn.42, 43). Denn wie Ar­beit­neh­mer ent­las­sen wer­den können, können auch Selbstständi­ge un­frei­wil­lig die Möglich­keit ver­lie­ren, durch ih­re bis­he­ri­ge Ar­beit ih­ren Le­bens­un­ter­halt zu ver­die­nen. Dann können sie in ähn­li­cher Wei­se wie Ar­beit­neh­mer in ei­ne wirt­schaft­lich schwie­ri­ge La­ge ge­ra­ten.

Fa­zit: Das Ur­teil über­zeugt, da Art.7 Abs.1 Buch­sta­be a der Freizügig­keits­richt­li­nie das über drei Mo­na­te hin­aus­ge­hen­de Auf­ent­halts­recht aus­drück­lich Ar­beit­neh­mern und Selbstständi­gen gewährt, so dass es selt­sam wäre, den Verlänge­rungs­tat­be­stand der „Ar­beits­lo­sig­keit“ im Sin­ne von Art.7 Abs.3 Buch­sta­be b auf Ar­beit­neh­mer zu be­gren­zen. Das deut­sche Recht trägt die­ser eu­ro­pa­recht­li­chen Rechts­la­ge be­reits aus­rei­chend Rech­nung, denn § 2 Abs.3 Satz 1 Nr.2 Ge­setz über die all­ge­mei­ne Freizügig­keit von Uni­onsbürgern (Freizügig­keits­ge­setz/EU) schützt aus­drück­lich auch Selbstständi­ge, die ih­re Tätig­keit in­fol­ge von Umständen auf­ge­ben, auf die sie kei­nen Ein­fluss ha­ben.

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