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Deutsche Mitbestimmung ist mit EU-Recht vereinbar
12.08.2017. Das Europäische Recht garantiert den Arbeitnehmern Freizügigkeit in der Europäischen Union (EU) und verbietet jede Diskriminierung aus Gründen der Nationalität.
Diese Rechte werden möglicherweise durch die in Deutschland geltenden Regelungen zur sog. Unternehmensmitbestimmung verletzt, denn diese Regelungen gelten "nur" für die in Deutschland tätigen Arbeitnehmer, nicht dagegen für konzernangehörige Arbeitnehmer im europäischen Ausland.
Dass nur deutsche Arbeitnehmer ihre Vertreter in den Aufsichtsrat großer Unternehmen wählen können und dorthin gewählt werden können, ist aber mit dem Europarecht vereinbar: Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 18.07.2017, C-566/15 (Erzberger gg. TUI).
- Verstößt die deutsche paritätische Unternehmensmitbestimmung nach dem Mitbestimmungsgesetz (MitbestG) gegen das Verbot der Ausländerdiskriminierung und/oder gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit?
- Der Streitfall: TUI-Miteigentümer Erzberger streitet für die Durchsetzung der Arbeitnehmerfreizügigkeit in Europa
- EuGH: Dass nur die in Deutschland tätigen Arbeitnehmer des TUI-Konzerns ihre Vertreter in den Aufsichtsrat der TUI-Mutter wählen können, verstößt weder gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit noch gegen das Verbot der Diskriminierung wegen der Nationalität
Verstößt die deutsche paritätische Unternehmensmitbestimmung nach dem Mitbestimmungsgesetz (MitbestG) gegen das Verbot der Ausländerdiskriminierung und/oder gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit?
Gemäß § 2 Abs.1 Mitbestimmungsgesetz (MitbestG) sind die Arbeitnehmer von Aktiengesellschaften (AG) mit mehr als 2.000 Arbeitnehmern paritätisch im Aufsichtsrat vertreten, d.h. den von den Anteilseignern gestellten Aufsichtsratsmitgliedern stehen ebenso viele Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmerseite gegenüber. Der Aufsichtsrat überwacht den AG-Vorstand, d.h. das Management, und ist für die Bestellung und Abberufung der Vorstandsmitglieder zuständig, vgl. § 111 Aktiengesetz (AktG) und § 84 AktG.
Um sicherzustellen, dass die Arbeitnehmervertreter auch im Aufsichtsrat derjenigen Konzerngesellschaften sitzen, in denen die wesentlichen Entscheidungen getroffen werden, schreibt § 5 Abs.1 MitbestG vor, dass für die Anwendung des MitbestG auf das herrschende Konzernunternehmen die Arbeitnehmer aller Konzernunternehmen als Arbeitnehmer des herrschenden Konzernunternehmens gelten.
Diese sog. paritätische Unternehmensmitbestimmung verschafft Arbeitnehmern und Gewerkschaften zwar einen gewissen Einfluss auf die Unternehmenspolitik größerer Unternehmen, ändert aber nichts daran, dass sich bei Abstimmungen im Aufsichtsrat letztlich die Vertreter der Anteilseigner durchsetzen. Denn gemäß § 27 Abs.2 Satz 2 MitbestG können die Anteilseigner den Aufsichtsratsvorsitzenden wählen, der wiederum in strittigen Fragen eine zweite Stimme hat (§ 29 Abs.2 Satz 1 MitbestG).
Da die o.g. gesetzlichen Regelungen nur in Deutschland gelten, können nach herrschender Juristenmeinung auch nur in Deutschland beschäftigte Arbeitnehmer ihre Vertreter in den Aufsichtsrat großer Unternehmen wählen. Wenn solche Unternehmen wiederum über ihre ausländischen Tochtergesellschaften Arbeitnehmer im europäischen Ausland beschäftigen, haben die ausländischen Arbeitnehmer geringere Rechte als ihre deutschen Kollegen. Denn während die deutschen Arbeitnehmer im Aufsichtsrat der deutschen Konzernmuttergesellschaft vertreten sind, sind die ausländischen Arbeitnehmer des Konzerns von einer solchen Mitwirkung ausgeschlossen.
Vor diesem Hintergrund fragt sich, ob die deutsche paritätische Unternehmensmitbestimmung mit dem Europarecht vereinbar ist, d.h. genauer gesagt mit Art.18 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) und mit Art.45 AEUV. Gemäß Art.18 Abs.1 AEUV ist nämlich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten, und gemäß Art.45 AEUV ist die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der EU umfassend gewährleistet.
Und da deutsche Arbeitnehmer großer Unternehmen bessere Mitwirkungsrechte gemäß dem MitbestG haben als ihre ausländischen Kollegen, diese Mitwirkungsrechte aber verlieren, wenn sie ins europäische Ausland gehen, verstoßen die deutschen Mitbestimmungsregelungen möglicherweise gegen das Diskriminierungsverbot (Art.18 Abs.1 AEUV) und/oder gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art.45 AEUV).
Der Streitfall: TUI-Miteigentümer Erzberger streitet für die Durchsetzung der Arbeitnehmerfreizügigkeit in Europa
Die deutsche TUI AG steht an der Spitze eines weltweit tätigen Touristikkonzerns. Der TUI-Konzern beschäftigt in Deutschland über 10.000 Arbeitnehmer und in anderen EU-Staaten an die 40.000 Arbeitnehmer. Entsprechend § 7 MitbestG sitzen im Aufsichtsrat der TUI-Muttergesellschaft zehn Vertreter der Anteilseigner sowie zehn Vertreter der Arbeitnehmerseite.
Ein Anteilseigner der TUI AG, Herr Erzberger, klagte vor dem Landgericht Berlin und sodann in der Berufung vor dem Kammergericht (dem Berliner Oberlandesgericht) gegen die aus seiner Sicht falsche Zusammensetzung des TUI-Aufsichtsrats. Sein Argument: Das MitbestG verletzt angeblich das Unionsrecht, da es (jedenfalls nach herrschender Interpretation) vorsieht, dass nur die in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer des TUI-Konzerns die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat wählen können; dementsprechend können auch nur deutsche Arbeitnehmer in den Aufsichtsrat gewählt werden.
Denn die Arbeitnehmer, die bei europäischen Tochtergesellschaften der TUI-Gruppe in einem anderen EU-Land arbeiten, sind in der Regel nicht deutsche Staatsangehörige und werden von der Mitwirkung am Aufsichtsrat der TUI AG ausgeschlossen, was eine verbotene Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit ist, so Herr Erzberger. Außerdem würden deutsche TUI-Arbeitnehmer davon abgehalten, ins EU-Ausland zu gehen und damit von ihrer Arbeitnehmerfreizügigkeit Gebrauch zu machen, wenn sie dadurch ihre Mitgliedschaft im TUI-Aufsichtsrat verlieren.
Das Landgericht Berlin folgte dieser Argumentation nicht und wies die von Herrn Erzberger angestrengte Klage ab (Landgericht Berlin, Urteil vom 01.06.2015, 102 O 65/14). Das für die Berufung zuständige Kammergericht war sich nicht so sicher und legte daher dem EuGH die folgende Frage vor (Kammergericht, Beschlus vom 16.10.2015, 14 W 89/15).
"Ist es mit Art.18 AEUV und Art.45 AEUV vereinbar, dass ein Mitgliedstaat das aktive und passive Wahlrecht für die Vertreter der Arbeitnehmer in das Aufsichtsorgan eines Unternehmens nur solchen Arbeitnehmern einräumt, die in Betrieben des Unternehmens oder in Konzernunternehmen im Inland beschäftigt sind?"
EuGH: Dass nur die in Deutschland tätigen Arbeitnehmer des TUI-Konzerns ihre Vertreter in den Aufsichtsrat der TUI-Mutter wählen können, verstößt weder gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit noch gegen das Verbot der Diskriminierung wegen der Nationalität
Nach Ansicht des EuGH, der damit dem Entscheidungsvorschlag des Generalanwaltes folgt, verstoßen die umstrittenen Regelungen des MitbestG nicht gegen das Europarecht. Zur Begründung unterscheidet der Gerichtshof zwischen zwei Arbeitnehmergruppen, nämlich den Arbeitnehmern der ausländischen TUI-Töchter und den deutschen TUI-Arbeitnehmern.
Die bei ausländischen TUI-Tochterunternehmen beschäftigten Arbeitnehmer werden nicht wegen ihrer Nationalität diskriminiert, so der EuGH, denn die Unternehmensmitbestimmung ist bislang gar nicht vom Europarecht geregelt. Und in ihrer Arbeitnehmerfreizügigkeit können diese Arbeitnehmer nicht beeinträchtigt sein, solange sie im europäischen Ausland arbeiten.
Anders sieht es für die deutschen TUI-Arbeitnehmer aus, denn sie können ihre Mitwirkungsrechte gemäß dem MitbestG in der Tat verlieren, wenn Deutschland verlassen und ins europäische Ausland gehen. Das ist aber keine Behinderung in ihrer Freizügigkeit gemäß Art.45 AEUV, so der EuGH, denn es gibt kein allgemeines Recht auf identische arbeits- und sozialrechtliche Behandlung in allen EU-Ländern. Hierzu heißt es in dem Urteil (Rn.34):
"Das Primärrecht der Union kann einem Arbeitnehmer jedoch nicht garantieren, dass ein Umzug in einen anderen Mitgliedstaat als seinen Herkunftsmitgliedstaat in sozialer Hinsicht neutral ist, da ein solcher Umzug aufgrund der Unterschiede, die zwischen den Systemen und den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bestehen, für die betreffende Person je nach Einzelfall Vorteile oder Nachteile in diesem Bereich haben kann (...)"
Fazit: Die deutsche paritätische Unternehmensmitbestimmung steht in Europa ziemlich allein da, d.h. eine vergleichbar starke Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat großer Unternehmen gibt es in anderen EU-Ländern nicht. Dementsprechend gibt es auch keine europarechtlichen Rahmenvorschriften für eine solche Unternehmensmitbestimmung. Das wiederum hat zur Folge, dass deutsche Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften auch in Zukunft stärkere unternehmensbezogene Einflussmöglichkeiten haben als ihre europäischen Kollegen, auch wenn diese für denselben deutschen Konzern arbeiten. Diskriminiert oder in seiner Arbeitnehmerfreizügigkeit behindert wird dadurch niemand.
Nähere Informationen finden Sie hier:
- Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 18.07.2017, C-566/15 (Erzberger gg. TUI)
- Europäischer Gerichtshof, Pressemitteilung Nr.81/17 vom 18.07.2017: Das deutsche Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer ist mit Unionsrecht vereinbar
- Generalanwalt beim EuGH Henrik Saugmandsgaard Øe, Schlussanträge vom 04.05.2017, Rechtssache C-566/15 (Erzberger gg. TUI)
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Letzte Überarbeitung: 6. Oktober 2020
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