Um das Angebot dieser Webseite optimal zu präsentieren und zu verbessern, verwendet diese Webseite Cookies. Durch die weitere Nutzung der Webseite stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Näheres dazu erfahren Sie in unserer Datenschutzerklärung.
Okay

HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

BAG, Ur­teil vom 20.05.2008, 9 AZR 219/07

   
Schlagworte: Urlaubsabgeltung, Elternzeit
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 9 AZR 219/07
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 20.05.2008
   
Leitsätze: Der vor einer ersten Elternzeit entstandene Anspruch auf Erholungsurlaub wird nach § 17 Abs 2 BErzGG auf die Zeit nach einer weiteren Elternzeit übertragen, die sich unmittelbar an die frühere Elternzeit anschließt. Der Senat gibt seine entgegenstehende bisherige Rechtsprechung auf.
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Rheine, Urteil vom 23.05.2006, 3 Ca 78/06, Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen), Urteil vom 17.01.2007, 18 Sa 997/06
   


BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT


9 AZR 219/07
18 Sa 997/06
Lan­des­ar­beits­ge­richt

Hamm

 

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am

20. Mai 2008

UR­TEIL

Brüne, Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Kläge­rin, Be­ru­fungskläge­rin und Re­vi­si­onskläge­rin,

pp.

Be­klag­te, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

hat der Neun­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf Grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 20. Mai 2008 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Düwell, den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Krasshöfer, die
 


- 2 -

Rich­te­rin am Bun­des­ar­beits­ge­richt Gall­ner so­wie den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Dr. Ben­rath und die eh­ren­amt­li­che Rich­te­rin Gosch für Recht er­kannt:


Auf die Re­vi­si­on der Kläge­rin wird das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Hamm vom 17. Ja­nu­ar 2007 - 18 Sa 997/06 - auf­ge­ho­ben.

Auf die Be­ru­fung der Kläge­rin wird das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Rhei­ne vom 23. Mai 2006 - 3 Ca 78/06 - ab­geändert:
Die Be­klag­te wird ver­ur­teilt, an die Kläge­rin 3.152,60 Eu­ro brut­to nebst Zin­sen iHv. fünf Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit dem 1. Ja­nu­ar 2006 zu zah­len.


Die Be­klag­te hat die Kos­ten des Rechts­streits zu tra­gen.


Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten darüber, ob die Be­klag­te Ur­laub aus dem Jahr 2001 ab­zu­gel­ten hat.

Die Kläge­rin war von Ja­nu­ar 1988 bis En­de De­zem­ber 2005 als kaufmänni­sche An­ge­stell­te für die Be­klag­te tätig. Ih­re Vergütung be­trug zu­letzt 2.483,94 Eu­ro. Die Kläge­rin ist Mut­ter zwei­er Kin­der. Sie nahm für ih­ren am 8. Ok­to­ber 2001 ge­bo­re­nen Sohn vom 3. De­zem­ber 2001 bis 7. Ok­to­ber 2004 El­tern­zeit in An­spruch. Für ih­re am 19. Au­gust 2003 ge­bo­re­ne Toch­ter ver­lang­te sie während der ers­ten El­tern­zeit ei­ne zwei­te El­tern­zeit bis 18. Au­gust 2006.


Der Ar­beits­ver­trag der Par­tei­en sieht ei­nen Ur­laubs­an­spruch von 30 Ar­beits­ta­gen im Ka­len­der­jahr vor. So­weit sich aus dem Ar­beits­ver­trag nichts an­de­res er­gibt, fin­den die Haus­ta­rif­verträge der S.-Grup­pe in ih­rer je­weils gülti­gen Fas­sung An­wen­dung. Der Haus­ta­rif­ver­trag vom 6. De­zem­ber 2002 ver­weist ua. auf den Man­tel­ta­rif­ver­trag für die kaufmänni­schen und tech­ni­schen
 


- 3 -

An­ge­stell­ten und Meis­ter in der Be­klei­dungs­in­dus­trie in West­fa­len vom 27. April 1971 idF vom 17. Ja­nu­ar 1997 (MTV). Der MTV re­gelt Ur­laubs­ansprüche nicht. § 18 Nr. 2 MTV be­stimmt, dass bei Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses al­le bei­der­sei­ti­gen Ansprüche aus die­sem erlöschen, wenn sie nicht in­ner­halb von zwei Mo­na­ten nach dem tatsächli­chen Aus­schei­den aus dem Be­trieb schrift­lich gel­tend ge­macht wor­den sind und in­ner­halb ei­nes wei­te­ren Mo­nats Kla­ge er­ho­ben wird.

Die Be­klag­te kündig­te das Ar­beits­verhält­nis or­dent­lich zum 31. De­zem­ber 2005. Die Kläge­rin ver­band ih­re da­ge­gen ge­rich­te­te Kündi­gungs­schutz­kla­ge mit ei­nem An­trag auf Ab­gel­tung von 27,5 Ur­laubs­ta­gen aus dem Jahr 2001. Die Par­tei­en ei­nig­ten sich am 27. Sep­tem­ber 2005 auf ei­ne Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses am 31. De­zem­ber 2005. Vor Ver­gleichs­ab­schluss hat­te die Kläge­rin den An­trag auf Ur­laubs­ab­gel­tung zurück­ge­nom­men.


Die Kläge­rin ver­langt mit ih­rer am 13. Ja­nu­ar 2006 beim Ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­ge­nen und der Be­klag­ten am 19. Ja­nu­ar 2006 zu­ge­stell­ten Kla­ge er­neut Ab­gel­tung von 27,5 Ur­laubs­ta­gen aus dem Jahr 2001. Ein ehe­ma­li­ger Sach­be­ar­bei­ter der Be­klag­ten ha­be die Höhe des An­spruchs schrift­lich bestätigt. Die Kläge­rin meint, der Ur­laubs­an­spruch sei bis zur Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses nicht un­ter­ge­gan­gen. Das er­ge­be schon die ein­fach­ge­setz­li­che Aus­le­gung von § 17 Abs. 2 und 3 BErzGG. Je­den­falls sei die Re­ge­lung in die­ser Wei­se ver­fas­sungs­kon­form aus­zu­le­gen.


Die Kläge­rin hat be­an­tragt,

die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an sie 3.152,60 Eu­ro brut­to nebst Zin­sen von fünf Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz ab 1. Ja­nu­ar 2006 zu zah­len.


Die Be­klag­te hat be­an­tragt, die Kla­ge ab­zu­wei­sen. Sie hat be­strit­ten, dass der Kläge­rin bei Ein­tritt in die ers­te El­tern­zeit im Jahr 2001 noch ein Ur­laubs­an­spruch von 27,5 Ta­gen zu­ge­stan­den ha­be. Die von der Kläge­rin vor­ge­leg­te Be­schei­ni­gung sei nicht da­tiert und las­se nicht er­ken­nen, auf wen sie sich be­zie­he. Die Be­klag­te ist der An­sicht, ein mögli­cher Rest­ur­laubs-
 


- 4 -

an­spruch aus dem Jahr 2001 sei spätes­tens mit dem 31. De­zem­ber 2005 er­lo­schen. § 17 Abs. 2 BErzGG se­he ei­ne wei­te­re Über­tra­gung bei ket­ten­ar­ti­ger mehr­ma­li­ger In­an­spruch­nah­me von El­tern­zeit nicht vor. Der An­spruch sei zu­dem nach § 18 MTV ver­fal­len. Je­den­falls sei er ver­wirkt, weil die Kläge­rin den ers­ten An­trag auf Ur­laubs­ab­gel­tung zurück­ge­nom­men ha­be. Die Be­klag­te hat sich im Pro­zess­ver­lauf vor­sorg­lich auf ihr Kürzungs­recht nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BErzGG be­ru­fen.


Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die Be­ru­fung der Kläge­rin zurück­ge­wie­sen. Mit der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on ver­folgt die Kläge­rin ihr Kla­ge­ziel wei­ter. Die Be­klag­te be­an­tragt, die Re­vi­si­on zurück­zu­wei­sen.


Ent­schei­dungs­gründe

A. Die Re­vi­si­on ist be­gründet. Die Kläge­rin hat nach § 17 Abs. 3 BErzGG An­spruch auf Ab­gel­tung von 27,5 Ur­laubs­ta­gen aus dem Jahr 2001. Der vor Be­ginn der ers­ten El­tern­zeit nicht in An­spruch ge­nom­me­ne Ur­laub wur­de gemäß § 17 Abs. 2 BErzGG auf die Zeit nach der letz­ten El­tern­zeit über­tra­gen. Der Ab­gel­tungs­an­spruch der Kläge­rin be­steht fort.

I. Auf den Rechts­streit ist noch § 17 BErzGG und nicht § 17 BEEG an­zu­wen­den. Der zwei­te Ab­schnitt des Bun­des­er­zie­hungs­geld­ge­set­zes ist am 31. De­zem­ber 2006 außer Kraft ge­tre­ten. Nach dem Wort­laut von § 27 Abs. 2 Satz 1 BEEG fände auf das Ar­beits­verhält­nis der Kläge­rin als Mut­ter von zwei vor dem 1. Ja­nu­ar 2007 ge­bo­re­nen Kin­dern der zwei­te Ab­schnitt des BEEG An­wen­dung. § 27 Abs. 2 Satz 1 BEEG soll je­doch nicht rück­wir­kend Sach­ver­hal­te re­geln, die bei In­kraft­tre­ten des BEEG am 1. Ja­nu­ar 2007 be­reits ab-ge­schlos­sen wa­ren. Neu­es Recht ist nur an­zu­wen­den, wenn nach dem 31. De­zem­ber 2006 Tat­sa­chen ent­ste­hen, die für die Be­stim­mun­gen im zwei­ten Ab­schnitt des BEEG er­heb­lich sind. Für die hier zu be­ur­tei­len­de Fra­ge der Über­tra­gung von Rest­ur­laub bei meh­re­ren auf­ein­an­der­fol­gen­den El­tern­zei­ten,


- 5 -

die schon vor dem 1. Ja­nu­ar 2007 be­en­det wa­ren, gilt noch das al­te - wei­ter­hin re­vi­si­ble - Recht des § 17 Abs. 2 und 3 BErzGG. Im Übri­gen be­steht kein in­halt­li­cher Un­ter­schied zwi­schen § 17 Abs. 2, 3 BErzGG und § 17 Abs. 2, 3 BEEG (vgl. Se­nat 5. Ju­ni 2007 - 9 AZR 82/07 - Rn. 16 und 25, AP BErzGG § 15 Nr. 49 = EzA BErzGG § 15 Nr. 16).

II. Die Kläge­rin hat­te nach § 4 BUrlG iVm. dem Ar­beits­ver­trag den vol­len Ur­laubs­an­spruch von 30 Ur­laubs­ta­gen für das Jahr 2001 er­wor­ben. Sie ver­langt nach Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses während der zwei­ten El­tern­zeit zu Recht Ab­gel­tung von 27,5 Ur­laubs­ta­gen.


1. Der Se­nat geht da­von aus, dass die Be­klag­te den Ur­laubs­an­spruch nur in Höhe der von der Kläge­rin ein­geräum­ten 2,5 Ur­laubs­ta­ge erfüll­te. Um ei­ne wei­ter­ge­hen­de Erfüllungs­wir­kung zu er­rei­chen, hätte die Be­klag­te dar­zu­le­gen und ggf. zu be­wei­sen ge­habt, dass sie vor Be­ginn der ers­ten El­tern­zeit Frei­stel­lungs­erklärun­gen für wei­te­re Zeiträume ab­gab und die­se Erklärun­gen der Kläge­rin zu­gin­gen (vgl. ErfK/Dörner 8. Aufl. § 7 BUrlG Rn. 8; s. auch AnwK-ArbR/Düwell Bd. 2 § 7 BUrlG Rn. 41 f.). So­weit ein Hin­weis des Lan­des­ar­beits­ge­richts auf ih­re Dar­le­gungs- und Be­weis­last un­ter­blie­ben ist, hätte die Be­klag­te dies mit ei­ner sog. Ge­genrüge be­an­stan­den müssen (da­zu Zöller/Gum­mer ZPO 26. Aufl. § 557 Rn. 12).


2. Der Ab­gel­tungs­an­spruch der Kläge­rin be­steht un­gekürzt, ob­wohl sich die Be­klag­te auf die Kürzungsmöglich­keit des § 17 Abs. 1 Satz 1 BErzGG be­ru­fen hat. Die ers­te El­tern­zeit der Kläge­rin be­gann am 3. De­zem­ber 2001, dau­er­te im Jahr 2001 al­so kei­nen vol­len Ka­len­der­mo­nat an (vgl. Se­nat 23. April 1996 - 9 AZR 165/95 - BA­GE 83, 29, zu II 1 der Gründe; Buch­ner/Be­cker Mut­ter­schutz­ge­setz, Bun­des­el­tern­geld- und El­tern­zeit­ge­setz 8. Aufl. § 17 BEEG Rn. 12; Hk-MuSchG/BEEG/Rancke § 17 BEEG Rn. 7).


III. Der rest­li­che Voll­ur­laubs­an­spruch der Kläge­rin aus dem Jahr 2001 war bei Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses am 31. De­zem­ber 2005 we­der nach § 7 Abs. 3 Satz 1 oder Satz 3 BUrlG noch nach § 17 Abs. 2 BErzGG ver­fal­len.
 


- 6 -

1. Der Ar­beit­ge­ber hat noch nicht gewähr­ten Ur­laub nach der El­tern­zeit im lau­fen­den oder im nächs­ten Ur­laubs­jahr zu gewähren (§ 17 Abs. 2 BErzGG). Die Vor­schrift stellt si­cher, dass die In­an­spruch­nah­me von El­tern­zeit nicht zum Ver­fall des Er­ho­lungs­ur­laubs führt (Se­nat 23. April 1996 - 9 AZR 165/95 - BA­GE 83, 29, zu I 2 der Gründe). Im Streit­fall kann of­fen­blei­ben, ob die Son­der­re­ge­lung in § 17 Abs. 2 BErzGG die Be­fris­tung des Ur­laubs­an­spruchs auf das Ur­laubs­jahr in § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG oder den drei­mo­na­ti­gen Über­tra­gungs­zeit­raum des § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG bis zum Ab­lauf des nächs­ten, auf die Be­en­di­gung der El­tern­zeit fol­gen­den Jah­res aus­dehnt (für ei­ne Verlänge­rung des Über­tra­gungs­zeit­raums Se­nat 21. Ok­to­ber 1997 - 9 AZR 267/96 - AP BUrlG § 7 Ab­gel­tung Nr. 75 = EzA BErzGG § 17 Nr. 8, zu I 2 b der Gründe; für ei­ne Aus­deh­nung der Be­fris­tung wohl Lei­ne­mann/Linck Ur­laubs­recht 2. Aufl. § 7 BUrlG Rn. 114, vgl. dort aber auch II E Rn. 8 ff.). Selbst wenn der für die Kläge­rin we­ni­ger güns­ti­ge Fall der Über­tra­gung un­ter­stellt wird, ist der gel­tend ge­mach­te An­spruch be­gründet.

2. Der auf Grund ei­ner ers­ten El­tern­zeit nach § 17 Abs. 2 BErzGG über­tra­ge­ne Ur­laub verfällt nach der bis­he­ri­gen Recht­spre­chung des Se­nats mit Ab­lauf des auf die ers­te El­tern­zeit fol­gen­den Ur­laubs­jah­res. Das gilt auch dann, wenn der Ur­laub we­gen ei­ner wei­te­ren El­tern­zeit nicht ge­nom­men wer­den kann (Se­nat 21. Ok­to­ber 1997 - 9 AZR 267/96 - AP BUrlG § 7 Ab­gel­tung Nr. 75 = EzA BErzGG § 17 Nr. 8, zu I 2 b der Gründe; 23. April 1996 - 9 AZR 165/95 - BA­GE 83, 29, zu I 2 und 3 der Gründe).


a) Die In­stanz­ge­rich­te ha­ben sich der bis­he­ri­gen Auf­fas­sung des Se­nats über­wie­gend an­ge­schlos­sen (LAG Rhein­land-Pfalz 13. De­zem­ber 2007 - 10 Sa 500/07 - ju­ris Rn. 21, Kurz­wie­der­ga­be AuA 2008, 237, Re­vi­si­on ein­ge­legt un­ter dem Az. - 9 AZR 65/08 -; LAG Schles­wig-Hol­stein 21. Ok­to­ber 2004 - 4 Sa 346/04 - ju­ris Rn. 15). Nur das Lan­des­ar­beits­ge­richt Hamm nimmt an, § 17 Abs. 2 BErzGG reg­le die wei­te­re Über­tra­gung des Rest­ur­laubs bei wie­der­hol­ter In­an­spruch­nah­me von Er­zie­hungs­ur­laub (20. Fe­bru­ar 2001 - 11 Sa 1061/00 - ju­ris Rn. 21, NZA-RR 2002, 460).
 


- 7 -

b) Das Schrift­tum hat die bis­he­ri­ge Se­nats­recht­spre­chung über­nom­men, oh­ne sich mit ihr ar­gu­men­ta­tiv aus­ein­an­der­zu­set­zen (Buch­ner/Be­cker § 17 BEEG Rn. 22; ErfK/Dörner § 17 BEEG Rn. 10; Glat­zel AR-Blat­tei ES 680 Nr. 20; Hk-MuSchG/BEEG/Rancke § 17 BEEG Rn. 15; Kütt­ner/Rei­ne­cke Per­so­nal­buch 2008 El­tern­zeit Rn. 32; Mei­sel/Sow­ka Mut­ter­schutz und Er­zie­hungs­ur­laub 5. Aufl. § 17 BErzGG Rn. 25; Zmarz­lik/Zip­pe­rer/Vie­then Mut­ter­schutz­ge­setz, Mut­ter­schafts­leis­tun­gen, Bun­des­er­zie­hungs­geld­ge­setz 8. Aufl. § 17 BErzGG Rn. 21).


3. Der Se­nat gibt sei­ne bis­he­ri­ge Recht­spre­chung auf. § 17 Abs. 2 BErzGG ist schon ein­fach-ge­setz­lich, je­den­falls aber ver­fas­sungs- und ge­mein­schafts­rechts­kon­form da­hin aus­zu­le­gen, dass der Rest­ur­laub wei­ter über­tra­gen wird, wenn er nach dem En­de der ers­ten El­tern­zeit auf Grund ei­ner wei­te­ren El­tern­zeit nicht ge­nom­men wer­den kann.

a) Bei der ein­fach-ge­setz­li­chen Aus­le­gung ist vom Wort­laut, dem sys­te­ma­ti­schen Ge­samt­zu­sam­men­hang, der Ent­ste­hungs­ge­schich­te und dem Zweck, so­weit er im Ge­setz er­kenn­bar Aus­druck ge­fun­den hat, aus­zu­ge­hen (vgl. nur Se­nat 19. April 2005 - 9 AZR 233/04 - BA­GE 114, 206, zu II 3 b aa der Gründe).

aa) Aus Wort­laut und Zu­sam­men­hang er­ge­ben sich kei­ne kla­ren An­halts­punk­te im Hin­blick auf die Fra­ge des Ver­falls von Ur­laubs­ansprüchen bei auf­ein­an­der­fol­gen­den El­tern­zei­ten.


(1) Das an­ge­foch­te­ne Ur­teil zieht zur Be­gründung des von ihm be­jah­ten Ver­falls den Wort­laut her­an. Das Ge­setz spre­che in § 17 Abs. 2 BErzGG von „Be­ginn der El­tern­zeit“ und „nach der El­tern­zeit“. Der vom Ge­setz­ge­ber ver­wand­te Sin­gu­lar der El­tern­zeit lässt je­doch nicht dar­auf schließen, dass nur die ers­te und nicht auch wei­te­re El­tern­zei­ten von der Über­tra­gung er­fasst sein sol­len. Im all­ge­mei­nen Sprach­ge­brauch wer­den der Be­griff der „El­tern­zeit“ und die Wen­dung, je­mand „be­fin­de sich in El­tern­zeit“, nicht nur ge­braucht, wenn ein Ar­beit­neh­mer ein­ma­lig zur Be­treu­ung ei­nes Kin­des El­tern­zeit in An­spruch nimmt. Viel­mehr wer­den die­se For­mu­lie­run­gen auch ver­wen­det, wenn es sich


- 8 -

tatsächlich um ei­ne un­un­ter­bro­che­ne „el­tern­zeit­be­ding­te Ab­we­sen­heit“ we­gen der Be­treu­ung meh­re­rer Kin­der han­delt, für die im ju­ris­ti­schen Sinn je­weils ge­son­dert El­tern­zei­ten in An­spruch ge­nom­men wer­den. Das Wort „Zeit“ hat an­ders als die Be­grif­fe des „Zeit­punkts“ und des „Zeit­raums“ kei­nen punk­tu­el­len oder fest um­grenz­ten Be­zug, ob­wohl der Plu­ral „Zei­ten“ ge­bil­det wer­den kann.


(2) Der Ge­set­zes­zu­sam­men­hang lässt nicht er­ken­nen, dass der Ge­setz­ge­ber den Be­griff der El­tern­zeit ab­wei­chend vom all­ge­mei­nen Sprach­ge­brauch in dem en­ge­ren Sinn der ein­ma­li­gen In­an­spruch­nah­me von El­tern­zeit zur Be­treu­ung ei­nes Kin­des ge­braucht hat. Das BErzGG re­gelt nur in § 15 Abs. 2 Satz 3 aus­drück­lich die El­tern­zeit für meh­re­re Kin­der. Da­nach be­steht bei meh­re­ren Kin­dern An­spruch auf El­tern­zeit für je­des Kind, auch wenn sich die Zeiträume iSv. Satz 1 über­schnei­den. Der Ge­setz­ge­ber dif­fe­ren­ziert zwi­schen dem Sin­gu­lar der „El­tern­zeit“ und den im Plu­ral aus­ge­drück­ten „Zeiträum­en“. Die Be­grif­fe des „Zeit­raums“ oder der „Zeiträume“ fin­den sich in § 17 Abs. 2 BErzGG ge­ra­de nicht.

bb) Die Ge­set­zes­ma­te­ria­li­en führen eben­falls nicht zur vollständi­gen Klärung.

(1) Die Ge­set­zes­be­gründung wie­der­holt § 17 Abs. 2 BErzGG sinn­gemäß und weist dar­auf hin, dass die Vor­schrif­ten des § 17 BErzGG der Re­ge­lung in § 4 Arb­PlSchG entsprächen (BT-Drucks. 10/3792 S. 20). Der Hin­weis auf § 4 Arb­PlSchG führt nicht wei­ter, weil der Wehr­dienst im Un­ter­schied zur El­tern­zeit ein ein­ma­li­ges Er­eig­nis ist.

(2) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt Rhein­land-Pfalz ge­winnt ein his­to­ri­sches Ar­gu­ment für den Ver­fall des Ur­laubs­an­spruchs bei meh­re­ren El­tern­zei­ten dar­aus, dass sich der Wort­laut von § 17 Abs. 2 BEEG weit­ge­hend mit § 17 Abs. 2 BErzGG de­cke (13. De­zem­ber 2007 - 10 Sa 500/07 - ju­ris Rn. 23, Kurz­wie­der­ga­be AuA 2008, 237). In der Ge­set­zes­be­gründung ist je­doch nur aus­geführt, dass die Re­ge­lun­gen der §§ 17 bis 21 BEEG in­halt­lich un­verändert aus dem BErzGG über­nom­men würden (BT-Drucks. 16/1889 S. 27). Der
 


- 9 -

Ge­setz­ge­ber be­zieht sich nicht aus­drück­lich auf die bis­he­ri­ge Se­nats­recht­spre­chung zu § 17 Abs. 2 BErzGG.

cc) Das mit § 17 Abs. 2 BErzGG ver­folg­te Re­ge­lungs­ziel spricht ent­schei­dend für ei­ne wei­te­re Über­tra­gung des Rest­ur­laubs bei auf­ein­an­der-fol­gen­den El­tern­zei­ten.


(1) § 17 Abs. 2 BErzGG stellt si­cher, dass die In­an­spruch­nah­me von El­tern­zeit nicht zum Ver­fall des Er­ho­lungs­ur­laubs führt (Se­nat 23. April 1996 - 9 AZR 165/95 - BA­GE 83, 29, zu I 2 der Gründe). Die­sem Zweck lie­fe es zu­wi­der, wenn die mehr­fa­che In­an­spruch­nah­me von El­tern­zeit mit dem Ver­fall des Ur­laubs­an­spruchs ver­bun­den wäre.

(2) Der Se­nat hat den bis­lang an­ge­nom­me­nen Ver­fall des Ur­laubs­an­spruchs ua. dar­auf gestützt, dass die Über­tra­gung durch ei­ne ket­ten­ar­ti­ge mehr­ma­li­ge In­an­spruch­nah­me von Er­zie­hungs­ur­laub so aus­ge­wei­tet würde, dass der Be­zug zum Ur­laubs­jahr ver­lo­ren­gin­ge (21. Ok­to­ber 1997 - 9 AZR 267/96 - AP BUrlG § 7 Ab­gel­tung Nr. 75 = EzA BErzGG § 17 Nr. 8, zu I 2 b der Gründe). Die­ses Ar­gu­ment ist nur ein­ge­schränkt tragfähig. Schon bei ei­ner ein­zi­gen El­tern­zeit von vol­len drei Jah­ren liegt zwi­schen der Ent­ste­hung des Ur­laubs­an­spruchs zu Be­ginn des Jah­res, in dem der Ar­beit­neh­mer in die El­tern­zeit ein­tritt, und dem Ver­fall des nach § 17 Abs. 2 BErzGG über­tra­ge­nen Ur­laubs mit dem Schluss des auf das En­de der El­tern­zeit fol­gen­den Jah­res ein Zeit­raum von fast fünf Jah­ren. Das zeit­li­che Band zwi­schen der Ent­ste­hung des Ur­laubs­an­spruchs und sei­ner spätestmögli­chen In­an­spruch­nah­me ist auch nach der bis­he­ri­gen Se­nats­recht­spre­chung er­heb­lich ge­lo­ckert. Ei­ne wei­te­re Aus­deh­nung des Zeit­raums zwi­schen Ent­ste­hung und spätestmögli­cher In­an­spruch­nah­me des Ur­laubs führt nur zu ei­nem gra­du­el­len Un­ter­schied.

(3) Ei­ne wei­te­re zeit­li­che Lo­cke­rung ist ins­be­son­de­re des­halb un­be­denk­lich, weil die Ent­ste­hung des Ur­laubs­an­spruchs we­der von ei­nem kon­kre­ten noch von ei­nem abs­trak­ten Er­ho­lungs­bedürf­nis des Ar­beit­neh­mers abhängt (für die st. Rspr. Se­nat 15. März 2005 - 9 AZR 143/04 - BA­GE 114, 89, zu II 3 der Gründe; grund­le­gend BAG 28. Ja­nu­ar 1982 - 6 AZR 571/79 - BA­GE 37, 382, zu
 


- 10 -

II 2 b bb der Gründe; da­zu auch EuGH 6. April 2006 - C-124/05 - [Fe­de­ra­tie Neder­land­se Vak­be­we­ging] Rn. 30 f., Eu­GHE I 2006, 3423).


(4) Ei­ne wei­te­re Über­tra­gung ist kei­ne Be­son­der­heit von § 17 Abs. 2 BErzGG. Der Se­nat hat zB für § 12 Nr. 7 des Man­tel­ta­rif­ver­trags für Ar­bei­ter, An­ge­stell­te und Aus­zu­bil­den­de in der Ei­sen-, Me­tall-, Elek­tro- und Zen­tral­hei­zungs­in­dus­trie Nord­rhein-West­fa­len vom 29. Fe­bru­ar 1988 die wei­te­re Über­tra­gung ei­nes be­reits über­tra­ge­nen Ur­laubs­an­spruchs an­ge­nom­men (20. Au­gust 1996 - 9 AZR 22/95 - BA­GE 84, 23, zu I 1 b der Gründe). Der Se­nat hat fer­ner mehr­fach ent­schie­den, dass auf Grund ta­rif­li­cher Vor­schrif­ten über­tra­ge­ner Ur­laub zum Ur­laubs­an­spruch des Fol­ge­jah­res hin­zu­tritt. Der über­tra­ge­ne Ur­laub un­ter­liegt dann den­sel­ben Ver­fall­fris­ten wie die­ser (11. April 2006 - 9 AZR 523/05 - Rn. 18, AP BUrlG § 7 Über­tra­gung Nr. 28 = EzA BUrlG § 7 Nr. 116 mwN).


b) Die bis­he­ri­ge Aus­le­gung von § 17 Abs. 2 BErzGG durch den Se­nat genügt zu­dem nicht den Vor­ga­ben des all­ge­mei­nen Gleich­heits­sat­zes in Art. 3 Abs. 1 GG.


aa) Der all­ge­mei­ne Gleich­heits­satz des Art. 3 Abs. 1 GG ver­bie­tet es, im We­sent­li­chen gleich ge­la­ger­te Sach­ver­hal­te oh­ne sach­li­chen Grund un­ter-schied­lich zu be­han­deln. Ei­ne Un­gleich­be­hand­lung liegt vor, wenn sich für die vor­ge­nom­me­ne Dif­fe­ren­zie­rung kein vernünf­ti­ger, sich aus der Na­tur der Sa­che er­ge­ben­der oder in an­de­rer Wei­se ein­leuch­ten­der Grund fin­den lässt, die Re­ge­lung al­so willkürlich ist (vgl. nur Se­nat 11. Ju­li 2006 - 9 AZR 519/05 - Rn. 21, BA­GE 119, 41). Da­bei reicht der Prüfungs­maßstab von ei­ner Willkürkon­trol­le bis hin zu ei­ner an Verhält­nismäßig­keits­erwägun­gen ori­en­tier­ten Über­prüfung. Der Gleich­heits­satz ist des­to strik­ter, je stärker er den Ein­zel­nen als Per­son be­trifft. Er ist um­so of­fe­ner für Ge­stal­tun­gen, als all­ge­mei­ne Le­bens­verhält­nis­se ge­re­gelt wer­den (vgl. BVerfG 10. No­vem­ber 1999 - 2 BvR 2861/93 - BVerfGE 101, 151, zu B I 1 der Gründe). Ar­beits­recht­li­che Re­ge­lun­gen, die ei­ne Un­gleich­be­hand­lung von Ar­beit­neh­mern vor­se­hen, sind stets auf die Per­son be­zo­gen. Die In­ten­sität der ge­richt­li­chen Kon­trol­le rich­tet sich des­we­gen vor al­lem da­nach, ob der Ar­beit­neh­mer die ihn be­nach­tei­li­gen­de
 


- 11 -

Maßnah­me ver­mei­den kann (Se­nat 13. Ju­ni 2006 - 9 AZR 588/05 - Rn. 28, AP TVG § 1 Al­ters­teil­zeit Nr. 30 = EzA TVG § 4 Al­ters­teil­zeit Nr. 21; BAG 8. Ju­ni 1999 - 1 AZR 831/98 - BA­GE 92, 11, zu II 2 c aa der Gründe).

bb) Die­sen An­for­de­run­gen wird das bis­he­ri­ge Verständ­nis des Se­nats von § 17 Abs. 2 BErzGG nicht ge­recht. Für die Un­ter­schei­dung zwi­schen Ar­beit­neh­mern, die nur ei­ne El­tern­zeit in An­spruch neh­men, und Ar­beit­neh­mern, de­ren El­tern­zei­ten sich un­mit­tel­bar an­ein­an­derfügen, gibt es kei­nen vernünf­ti­gen, sich aus der Na­tur der Sa­che er­ge­ben­den oder in sons­ti­ger Wei­se ein­leuch­ten­den Grund.


(1) Der Um­stand, dass durch ei­ne mehr­fa­che Über­tra­gung der Be­zug zum Ur­laubs­jahr wei­ter ge­lo­ckert wird, recht­fer­tigt die Dif­fe­ren­zie­rung nicht. Der Ar­beit­neh­mer, der mehr­fach El­tern­zeit in An­spruch nimmt, kann den Ver­fall des Rest­ur­laubs nicht selbst ver­mei­den. Ihm kann auch nicht ent­ge­gen­ge­hal­ten wer­den, dass er den Er­ho­lungs­ur­laub vor dem Be­ginn der El­tern­zeit hätte neh­men können. § 17 Abs. 2 BErzGG re­gelt ge­ra­de den Fall des noch nicht (vollständig) erfüll­ten Ur­laubs­an­spruchs.

(2) Die Un­ter­schei­dung lässt sich fer­ner nicht da­mit recht­fer­ti­gen, dass der Ar­beit­neh­mer in sei­ner Ent­schei­dung darüber frei ist, ob er ei­ne oder meh­re­re El­tern­zei­ten in An­spruch nimmt. Die­ses Recht wird von §§ 15 f. BErzGG aus­drück­lich gewähr­leis­tet. Wählt der Ar­beit­neh­mer ei­ne wei­te­re El­tern­zeit, wäre der Ver­fall sei­nes über­tra­ge­nen Rest­ur­laubs nach der bis­he­ri­gen Recht­spre­chung des Se­nats un­ver­meid­lich (vgl. zum An­spruch von Lehr­kräften auf Al­tersermäßigung ih­res St­un­den­de­pu­tats aus Art. 3 Abs. 1 GG, ob­wohl sie „frei­wil­lig“ in die Al­ters­teil­zeit­ar­beit wech­seln, 13. Ju­ni 2006 - 9 AZR 588/05 - Rn. 29, AP TVG § 1 Al­ters­teil­zeit Nr. 30 = EzA TVG § 4 Al­ters­teil­zeit Nr. 21). § 17 Abs. 2 BErzGG ent­spricht da­her nur dann den Vor­ga­ben des all­ge­mei­nen Gleich­heits­sat­zes, wenn Rest­ur­laubs­ansprüche aus dem Ur­laubs­jahr, in dem die ers­te El­tern­zeit be­ginnt, bei In­an­spruch­nah­me meh­re­rer El­tern­zei­ten wei­ter über­tra­gen wer­den (zum Er­for­der­nis ver­fas­sungs­kon­for­mer Aus­le­gung durch die Fach­ge­rich­te selbst zB BVerfG 23. Sep­tem­ber 1992 - 1 BvL 15/85 und

- 12 -

36/87 - BVerfGE 87, 114, zu B II 1 der Gründe; BAG 8. Ju­ni 1999 - 1 AZR 831/98 - BA­GE 92, 11, zu II 3 der Gründe).

c) § 17 Abs. 2 BErzGG ist schließlich im Hin­blick auf das Ge­bot ge­mein­schafts­rechts­kon­for­mer Aus­le­gung so zu ver­ste­hen, dass bei mehr­fa­cher In­an­spruch­nah­me von El­tern­zeit Rest­ur­laub mehr­fach über­tra­gen wird (zum Er­for­der­nis ge­mein­schafts­rechts­kon­for­mer Aus­le­gung zB EuGH 11. Ju­li 2006 - C-13/05 - [Chacón Na­vas] Rn. 56, Eu­GHE I 2006, 6467; 22. No­vem­ber 2005 - C-144/04 - [Man­gold] Rn. 75 ff., Eu­GHE I 2005, 9981; 5. Ok­to­ber 2004 - C-397/01 bis C-403/01 - [Pfeif­fer ua.] Rn. 114 ff., Eu­GHE I 2004, 8835; BAG 27. Ju­ni 2006 - 1 ABR 18/05 - Rn. 32, BA­GE 118, 304; 20. No­vem­ber 2001 - 1 AZR 97/01 - BA­GE 99, 377, zu II 2 c der Gründe; vgl. auch Win­ter JbAr­bR Bd. 40, 21, 46 f.).

aa) Nach Art. 7 Abs. 1 der Richt­li­nie 2003/88/EG vom 4. No­vem­ber 2003, der in­halt­lich den frühe­ren Richt­li­ni­en­fas­sun­gen 2000/34/EG und 93/104/EG ent­spricht, tref­fen die Mit­glied­staa­ten die er­for­der­li­chen Maßnah­men, da­mit je­der Ar­beit­neh­mer ei­nen be­zahl­ten Min­des­t­ur­laub von vier Wo­chen nach Maßga­be der Be­din­gun­gen für die In­an­spruch­nah­me und die Gewährung erhält, die in den ein­zel­staat­li­chen Rechts­vor­schrif­ten und/oder nach den ein­zel­staat­li­chen Ge­pflo­gen­hei­ten vor­ge­se­hen sind. Der Ge­richts­hof der Eu­ropäischen Ge­mein­schaf­ten hat in meh­re­ren Ent­schei­dun­gen her­vor-ge­ho­ben, dass der An­spruch je­des Ar­beit­neh­mers auf be­zahl­ten Jah­res­ur­laub ein be­son­ders be­deut­sa­mer Grund­satz des So­zi­al­rechts der Ge­mein­schaft ist (6. April 2006 - C-124/05 - [Fe­de­ra­tie Neder­land­se Vak­be­we­ging] Rn. 28, Eu­GHE I 2006, 3423; 18. März 2004 - C-342/01 - [Me­ri­no Gómez] Rn. 29, Eu­GHE I 2004, 2605).


bb) § 17 Abs. 2 BErzGG ist nach den Vor­ga­ben in Art. 7 Abs. 1 der Ar­beits­zeit­richt­li­nie so zu ver­ste­hen, dass Er­ho­lungs­ur­laub nicht we­gen der wie­der-hol­ten In­an­spruch­nah­me von El­tern­zeit verfällt.


(1) Der An­spruch auf Jah­res­ur­laub dient ei­nem an­de­ren Zweck als der An­spruch auf El­tern­zeit. Ei­ne Ar­beit­neh­me­rin oder ein Ar­beit­neh­mer müssen
 


- 13 -

ih­ren Jah­res­ur­laub des­halb zu ei­ner an­de­ren Zeit als ih­rer El­tern­zeit neh­men können. Die Ku­mu­lie­rung meh­re­rer durch Ge­mein­schafts­recht gewähr­leis­te­ter Ur­laubs­zei­ten kann die Über­tra­gung des Jah­res­ur­laubs oder ei­nes Teils da­von auf das fol­gen­de Jahr un­ver­meid­lich ma­chen, weil ein durch Ge­mein­schafts-recht gewähr­leis­te­ter Ur­laub ei­nen an­de­ren ge­mein­schafts­recht­lich gewähr-leis­te­ten Ur­laub nicht be­ein­träch­ti­gen darf (EuGH 20. Sep­tem­ber 2007 - C-116/06 - [Ki­iski] Rn. 56, EzA EG-Ver­trag 1999 Richt­li­nie 76/207 Nr. 7; 6. April 2006 - C-124/05 - [Fe­de­ra­tie Neder­land­se Vak­be­we­ging] Rn. 24, Eu­GHE I 2006, 3423; 14. April 2005 - C-519/03 - [Kom­mis­si­on ge­gen Großher­zog­tum Lu­xem­burg] Rn. 33, Eu­GHE I 2005, 3067; 18. März 2004 - C-342/01 - [Me­ri­no Gómez] Rn. 31 ff., Eu­GHE I 2004, 2605; vgl. auch die Schluss­anträge der Ge­ne­ral­anwältin Trs­ten­jak in der Sa­che Schultz-Hoff vom 24. Ja­nu­ar 2008 - C-350/06 - Rn. 56, de­nen der Se­nat in­so­weit zu­stimmt, de­ren Auf­fas­sung er hin­sicht­lich der Be­fris­tung des Ur­laubs(ab­gel­tungs-)an­spruchs und sei­ner Erfüll­bar­keit je­doch nicht teilt).


(2) Die­se Grundsätze sind auf das Verhält­nis von El­tern­zeit und Er­ho­lungs­ur­laub zu über­tra­gen.

(a) Die El­tern­zeit iSd. frühe­ren Bun­des­er­zie­hungs­geld­ge­set­zes ist ein durch Ge­mein­schafts­recht gewähr­leis­te­ter „Ur­laub“ im Sin­ne der Recht­spre­chung des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs. Die El­tern­ur­laubs­richt­li­nie 96/34/EG des Ra­tes vom 3. Ju­ni 1996 führt die am 14. De­zem­ber 1995 zwi­schen den eu­ropäischen So­zi­al­part­nern UN­ICE, CEEP und EGB ge­schlos­se­ne Rah­men­ver­ein­ba­rung über El­tern­ur­laub durch. Nach Pa­ra­graph 2 Nr. 1 Satz 1 die­ser Rah­men­ver­ein­ba­rung ha­ben er­werbstäti­ge Männer und Frau­en ein in­di­vi­du­el­les Recht auf El­tern­ur­laub von min­des­tens drei Mo­na­ten, da­mit sie sich um ihr Kind kümmern können (zum Verhält­nis von Mut­ter­schafts- und El­tern­ur­laub EuGH 20. Sep­tem­ber 2007 - C-116/06 - [Ki­iski] Rn. 35 ff., ins­be­son­de­re Rn. 50 f., EzA EG-Ver­trag 1999 Richt­li­nie 76/207 Nr. 7; 14. April 2005 - C-519/03 - [Kom­mis­si­on ge­gen Großher­zog­tum Lu­xem­burg] Rn. 31, Eu­GHE I 2005, 3067). Der Er­ho­lungs­ur­laub hat nach der Recht­spre­chung des EuGH dem­ge­genüber den Zweck, ei­ne po­si­ti­ve Wir­kung für die Si­cher­heit und die Ge­sund­heit des
 


- 14 -

Ar­beit­neh­mers zu ent­fal­ten (EuGH 6. April 2006 - C-124/05 - [Fe­de­ra­tie Neder­land­se Vak­be­we­ging] Rn. 30, Eu­GHE I 2006, 3423).


(b) Die un­ter­schied­li­chen Zwe­cke ge­mein­schafts­recht­lich gewähr­leis­te­ter Ur­laubs­ar­ten dürfen sich nach ge­si­cher­ter Recht­spre­chung des EuGH ge­gen-sei­tig nicht be­ein­träch­ti­gen. Das gilt ins­be­son­de­re für El­tern­ur­laub und Er­ho­lungs­ur­laub.

(aa) Das Ge­mein­schafts­recht kennt kei­ne Un­ter­schie­de zwi­schen der ers­ten El­tern­zeit und späte­ren El­tern­zei­ten, was die Be­fris­tung des Er­ho­lungs­ur­laubs an­geht. Art. 7 Abs. 1 der Ar­beits­zeit­richt­li­nie 2003/88/EG und Pa­ra­graph 2 Nr. 1 Satz 1 der Rah­men­ver­ein­ba­rung über El­tern­ur­laub las­sen ei­ne sol­che Dif­fe­ren­zie­rung nicht zu. Die Ru­he­zeit des Er­ho­lungs­ur­laubs ver­liert ih­re Be­deu­tung selbst dann nicht, wenn sie zu ei­ner späte­ren Zeit ge­nom­men wird (EuGH 6. April 2006 - C-124/05 - [Fe­de­ra­tie Neder­land­se Vak­be­we­ging] Rn. 30, Eu­GHE I 2006, 3423).

(bb) § 17 Abs. 2 BErzGG ist schon mit Blick auf Art. 7 Abs. 1 der Ar­beits­zeit­richt­li­nie und Pa­ra­graph 2 Nr. 1 Satz 1 der Rah­men­ver­ein­ba­rung über El­tern­ur­laub ge­mein­schafts­rechts­kon­form da­hin aus­zu­le­gen, dass die mehr­fa­che In­an­spruch­nah­me von El­tern­zeit nicht zum Ver­fall des Er­ho­lungs­ur­laubs führt. Da­her kann of­fen­blei­ben, ob ein Ge­bot ge­mein­schafts­rechts­kon­for­mer Aus­le­gung von § 17 Abs. 2 BErzGG auch aus dem Ver­bot der un­mit­tel­ba­ren und mit­tel­ba­ren ge­schlechts­be­zo­ge­nen Dis­kri­mi­nie­rung bei der Rück­kehr aus dem El­tern­ur­laub nach Art. 2 Abs. 7 Un­terabs. 4 Satz 1 und 3 der Gleich­be­hand­lungs­richt­li­nie 76/207/EWG in der für den Rechts­streit noch maßgeb­li­chen Fas­sung der Richt­li­nie 2002/73/EG folgt.

(3) Der Se­nat ist auf Grund der ge­si­cher­ten Recht­spre­chung des EuGH zum Ver­bot der Be­ein­träch­ti­gung ei­ner ge­mein­schafts­recht­li­chen Ur­laubs­art durch ei­ne an­de­re selbst zu der nöti­gen ge­mein­schafts­rechts­kon­for­men Aus­le­gung be­rech­tigt. Ei­ne Vor­la­ge­pflicht nach Art. 234 Satz 3 EG be­steht nicht (vgl. EuGH 6. Ok­to­ber 1982 - C-283/81 - [C.I.L.F.I.T.] Rn. 14 f., Eu­GHE 1982, 3415).


- 15 -

IV. Der An­spruch der Kläge­rin auf Ab­gel­tung von 27,5 Ur­laubs­ta­gen aus dem Jahr 2001 ist nicht nach § 18 MTV un­ter­ge­gan­gen. Die dort ge­re­gel­ten Aus­schluss­fris­ten sind auf das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en über die Be­zug­nah­me des Ar­beits­ver­trags auf die Haus­ta­rif­verträge der S.-Grup­pe und die dor­ti­ge Ver­wei­sung auf den MTV an­zu­wen­den. Der An­spruch der Kläge­rin ist aber nicht ver­fal­len.


1. Der ge­setz­li­che Min­des­t­ur­laub von 24 Werk­ta­gen in der Sechs­ta­ge­wo­che oder 20 Ar­beits­ta­gen in der Fünf­ta­ge­wo­che und sein Er­satz, der Ab­gel­tungs­an­spruch, sind nach §§ 1, 3 Abs. 1, § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG un­ab­ding­bar. Bis zu die­ser Höhe wird der Ab­gel­tungs­an­spruch nicht von den Aus­schluss­fris­ten des § 18 MTV er­fasst. Sie sind in­so­weit un­wirk­sam (vgl. Se­nat 23. April 1996 - 9 AZR 165/95 - BA­GE 83, 29, zu II 4 der Gründe).


2. Der Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruch ist je­doch auch hin­sicht­lich sei­nes darüber hin­aus­ge­hen­den ver­fall­ba­ren Teils nicht nach § 18 MTV er­lo­schen. Die Kläge­rin wahr­te die zwei­stu­fi­ge Aus­schluss­frist des § 18 Nr. 2 MTV von zwei Mo­na­ten für die schrift­li­che Gel­tend­ma­chung nach dem tatsächli­chen Aus­schei­den aus dem Be­trieb und ei­nem wei­te­ren Mo­nat für die ge­richt­li­che Gel­tend­ma­chung. Der Ab­gel­tungs­an­spruch ent­stand nach § 17 Abs. 3 BErzGG bei Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses mit Ab­lauf des 31. De­zem­ber 2005. Die jet­zi­ge zwei­te auf Ur­laubs­ab­gel­tung ge­rich­te­te Kla­ge wur­de der Be­klag­ten am 19. Ja­nu­ar 2006 zu­ge­stellt.


V. Der An­spruch auf Ur­laubs­ab­gel­tung ist nicht ver­wirkt (§ 242 BGB), ob­wohl die Kläge­rin ihn be­reits zu­vor im Rah­men des Kündi­gungs­schutz­rechts­streits er­ho­ben hat­te und den An­trag später zurück­nahm.

1. Die Fra­ge, ob ein An­spruch ver­wirkt ist, hängt im We­sent­li­chen von den Umständen des Ein­zel­falls ab. De­ren Fest­stel­lung und Würdi­gung ist vor­ran­gig Auf­ga­be des Tatrich­ters, der den vor­ge­tra­ge­nen Sach­ver­halt ei­gen­ver­ant­wort­lich zu be­ur­tei­len hat. Ob Ver­wir­kung ein­ge­tre­ten ist, ist in der Re­vi­si­ons­in­stanz grundsätz­lich nur ein­ge­schränkt nach­prüfbar (Se­nat 16. Ok­to­ber 2007 - 9 AZR 248/07 - Rn. 27, AP BGB § 630 Nr. 33 = EzA Ge­wO § 109 Nr. 6; 12. De­zem­ber
 


- 16 -

2006 - 9 AZR 747/06 - Rn. 19, EzA BGB 2002 § 242 Ver­wir­kung Nr. 1). Der Se­nat war den­noch nicht ver­pflich­tet, die Sa­che zur wei­te­ren Aufklärung an das Be­ru­fungs­ge­richt zurück­zu­ver­wei­sen, das Ver­wir­kung - nach sei­ner Lösung fol­ge­rich­tig - nicht ge­prüft hat. Der Sach­ver­halt ist geklärt. Wei­te­re Fest­stel­lun­gen sind nicht zu er­war­ten.


2. Ei­ne neue Kla­ge steht dem Kläger nach ei­ner Kla­gerück­nah­me im­mer frei, wie § 269 Abs. 6 ZPO zeigt (vgl. BGH 22. No­vem­ber 1983 - VI ZR 85/82 - NJW 1984, 658, zu II 1 der Gründe). Auf Grund die­ser ge­setz­li­chen Wer­tung ist die Kla­gerück­nah­me al­lein nicht als Um­stands­mo­ment ge­eig­net, das zu­sam­men mit dem Zeit­mo­ment zur Ver­wir­kung des An­spruchs führt. Be­son­de­re zusätz­li­che Umstände, die die Be­klag­te be­rech­tigt hätten, dar­auf zu ver­trau­en, die Kläge­rin wer­de kei­ne wei­te­re Kla­ge er­he­ben, sind we­der vor­ge­tra­gen noch er­sicht­lich.

VI. Der Ab­gel­tungs­an­spruch be­steht in der gel­tend ge­mach­ten Höhe von 3.152,60 Eu­ro brut­to, § 11 Abs. 1 BUrlG (2.483,94 Eu­ro x 3 = 7.451,82 Eu­ro : 65 = 114,64 Eu­ro x 27,5). Die Run­dungs­re­gel des § 5 Abs. 2 BUrlG bleibt hier we­gen § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO außer Be­tracht.


B. Die Kläge­rin hat seit 1. Ja­nu­ar 2006 An­spruch auf Ver­zugs­zin­sen in ge­setz­li­cher Höhe (§ 288 Abs. 1, § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB, § 17 Abs. 3 BErzGG).


C. Die Be­klag­te hat nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO die Kos­ten des Rechts­streits zu tra­gen.

Düwell 

Krasshöfer 

Gall­ner

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 


zur Übersicht 9 AZR 219/07