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ARBEITSRECHT AKTUELL // 07/02

Ar­beits­ge­richt Reut­lin­gen: Mit­be­stim­mung bei der Ein­stel­lung von Ein-Eu­ro-Job­bern

Die Ein­stel­lung von Ein-Eu­ro-Job­bern un­ter­liegt der Mit­be­stim­mung des Be­triebs­rats ge­mäß § 99 Be­trVG: Ar­beits­ge­richt Reut­lin­gen, Be­schluss vom 18.01.2007, 2 BV 5/06
Sitzung des Betriebsrats, Betriebsratsversammlung Ein-Eu­ro-Job­ber im Be­trieb - das geht auch den Be­triebs­rat et­was an

05.03.2007. Ein-Euo-Job­ber hei­ßen im Be­hör­den­deutsch "er­werbs­fä­hi­ge Hil­fe­be­dürf­ti­ge". Ihr Ar­beits­ein­satz in Be­trie­ben, die zur Be­schäf­ti­gung von Ein-Euo-Job­bern be­reit sind, soll in ers­ter Li­nie den Kon­takt zur Ar­beits­welt auf­recht er­hal­ten.

Dem­ent­spre­chend be­grün­den die Un­ter­neh­men, in de­ren Be­trie­be Ein-Euo-Job­ber ein­ge­setzt wer­den, mit die­sen kein Ar­beits­ver­hält­nis.

Trotz­dem hat der Be­triebs­rat nach ei­ner vor kur­zem be­kannt ge­wor­de­nen Ent­schei­dung des Ar­beits­ge­richts Reut­lin­gen bei der Ein­stel­lung von Ein-Eu­ro-Job­bern mit­zu­be­stim­men.

Er kann sich näm­lich auf sein Mit­be­stim­mungs­recht in per­so­nel­len An­ge­le­gen­hei­ten be­ru­fen, das ihm ge­mäß § 99 Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz (Be­trVG) un­ter an­de­rem bei Ein­stel­lun­gen zu­steht: Ar­beits­ge­richt Reut­lin­gen, Be­schluss vom 18.01.2007, 2 BV 5/06.

Mit­be­stim­mung bei der Beschäfti­gung von Ein-Eu­ro-Job­bern?

Gemäß § 99 Abs.1 Be­trVG hat der Ar­beit­ge­ber, wenn er in der Re­gel mehr als zwan­zig wahl­be­rech­tig­te Ar­beit­neh­mern beschäftigt, den Be­triebs­rat vor je­der Ein­stel­lung, Ein­grup­pie­rung, Um­grup­pie­rung und Ver­set­zung zu un­ter­rich­ten, ihm die er­for­der­li­chen Be­wer­bungs­un­ter­la­gen vor­zu­le­gen und Aus­kunft über die Per­son der Be­tei­lig­ten zu ge­ben.

Da­bei muss er dem Be­triebs­rat un­ter Vor­la­ge der er­for­der­li­chen Un­ter­la­gen Aus­kunft über die Aus­wir­kun­gen der ge­plan­ten Maßnah­me ge­ben und sei­ne Zu­stim­mung ein­ho­len. Bei Ein­stel­lun­gen hat der Ar­beit­ge­ber auch den in Aus­sicht ge­nom­me­nen Ar­beits­platz und die vor­ge­se­he­ne Ein­grup­pie­rung mit­zu­tei­len.

Der Be­triebs­rat kann sich so­dann über­le­gen, ob er zu­stimmt oder der Maßnah­me sei­ne Zu­stim­mung ver­wei­gert. Ei­ne Ver­wei­ge­rung ist al­ler­dings nur un­ter be­stimm­ten, im Ge­setz ge­nann­ten Vor­aus­set­zun­gen möglich (§ 99 Abs.2 Be­trVG).

Nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts (BAG) kommt es für den Be­griff der "Ein­stel­lung" im Sin­ne von § 99 Abs. 1 Be­trVG nicht auf das Rechts­verhält­nis an, in dem die be­trof­fe­ne Per­son zum Ar­beit­ge­ber steht.

Das Mit­be­stim­mungs­recht be­steht viel­mehr im­mer dann, wenn bis­lang be­triebs­frem­de Per­so­nen in den Be­trieb bzw. die be­trieb­li­chen Abläufe "ein­ge­glie­dert" wer­den sol­len. Das wie­der­um ist im­mer dann der Fall, wenn der Ar­beit­ge­ber der im Be­trieb an­we­sen­den Per­son Ar­beits­an­wei­sun­gen er­tei­len kann.

Dem­zu­fol­ge wer­den auch dann Per­so­nen im Sin­ne von § 99 Abs.1 Be­trVG "ein­ge­stellt", wenn ihr Ar­beits­verhält­nis nicht mit dem Ar­beit­ge­ber be­steht, in des­sen Be­trieb sie ar­bei­ten sol­len, son­dern zu ei­nem Drit­ten, wie es et­wa bei Leih­ar­beit­neh­mern der Fall ist. § 99 Be­trVG kann auch an­zu­wen­den sein, wenn die "ein­zu­glie­dern­den" Per­so­nen über­haupt nicht in ei­nem Ar­beits­verhält­nis zum Ar­beit­ge­ber ste­hen, al­so et­wa selbständig sind oder im Be­trieb ei­ne Aus­bil­dung ma­chen sol­len oder in ei­nem öffent­lich-recht­li­chen Dienst­verhält­nis ste­hen wie et­wa Zi­vil­dienst­leis­ten­de.

Frag­lich ist, ob das Mit­be­stim­mungs­recht des Be­triebs­rats gemäß § 99 Be­trVG auch bei der Ein­stel­lung von "er­werbsfähi­gen Hil­fe­bedürf­ti­gen" im Sin­ne von § 16 Abs.3 Satz 2 SGB II, d.h. von sog. Ein-Eu­ro-Job­bern be­steht. Zu die­ser Fra­ge hat das Ar­beits­ge­richt Reut­lin­gen in sei­nem Be­schluss vom 18.01.2007 (2 BV 5/06) Stel­lung be­zo­gen.

Der Streit­fall: Träger der Be­hin­der­ten­hil­fe und Be­hin­der­ten­pfle­ge setzt Ein-Eu­ro-Job­ber ein, oh­ne den Be­triebs­rat gemäß § 99 Be­trVG zu be­tei­li­gen

Im Streit­fall ging es um ei­nen ge­meinnützi­gen Ver­ein, der nach sei­ner Sat­zung den Zweck ver­folgt, Maßnah­men und Ein­rich­tun­gen zu fördern, die ei­ne wirk­sa­me Hil­fe für Men­schen mit Be­hin­de­rung und al­te Men­schen be­deu­ten.

Der Ver­ein be­treibt mit rund 1.200 Ar­beit­neh­mern u.a. ei­ne Körper­be­hin­der­ten­schu­le, Schul­kin­dergärten so­wie Ein­rich­tun­gen für al­te Men­schen.

Er setzt in sei­nem Be­trieb re­gelmäßig vie­le Ein-Eu­ro-Job­ber ein, de­ren Aus­wahl nach ent­spre­chen­den schrift­li­chen Ver­mitt­lungs­vor­schlägen der Agen­tur für Ar­beit auf Grund der vom Ar­beit­ge­ber geführ­ten Vor­stel­lungs­gespräche er­folgt.

Ei­ne Be­tei­li­gung des Be­triebs­rats nach § 99 Be­trVG vor der Tätig­keits­auf­nah­me führt Der Ver­ein nicht durch.

Das ließ sich der im Be­trieb be­ste­hen­de Be­triebs­rat nicht ge­falln. Er war der Auf­fas­sung, der Ein­satz der Ein-Eu­ro-Job­ber stel­le ei­ne nach § 99 Be­trVG mit­be­stim­mungs­pflich­ti­ge Ein­stel­lung dar. Un­abhängig von Ein­z­elfällen be­ste­he ein ge­ne­rel­les Bedürf­nis zur Klärung die­ser Streit­fra­ge, weil der Ar­beit­ge­ber re­gelmäßig Beschäfti­gun­gen von Ein-Eu­ro-Job­bern vor­neh­me und da­bei der An­sicht sei, dass ei­ne Be­tei­li­gung des Be­triebs­rats nicht er­fol­gen müsse.

Ar­beits­ge­richt Reut­lin­gen: Bei der Ein­stel­lung von er­werbsfähi­gen ar­beits­lo­sen Hil­fe­bedürf­ti­gen hat der Be­triebs­rat ein Mit­be­stim­mungs­recht gemäß § 99 Be­trVG

Das Ar­beits­ge­richt Reut­lin­gen hat zu­guns­ten des Be­triebs­rats ent­schie­den und da­her fest­ge­stellt, daß dem Be­triebs­rat bei der Ein­stel­lung von Ein-Eu­ro-Job­bern mit­zu­be­stim­men hat.

Zur Be­gründung heißt es in dem Be­schluss, es kom­me für § 99 Be­trVG nicht dar­auf an, dass gem. § 16 Abs.3 Satz 2, 2. Halb­satz Zwei­tes Buch So­zi­al­ge­setz­buch (SGB II) mit dem Ein­satz von Ein-Eu­ro-Job­bern kein Ar­beits­verhält­nis be­gründet wird.

Denn Mit­be­stim­mungs­recht nach § 99 Abs. 1 Be­trVG, so das Ar­beits­ge­richt, dient erst ein­mal den In­ter­es­sen der schon vor­han­de­nen Be­leg­schaft. De­ren mögli­che Gefähr­dung be­ruht auf der tatsächli­chen Ein­glie­de­rung ei­nes neu­en Mit­ar­bei­ters und hängt nicht da­von ab, auf wel­cher Rechts­grund­la­ge die­ser tätig wer­den soll, so das Ge­richt un­ter Be­ru­fung auf Ent­schei­dun­gen des BAG.

Ent­schei­dend ist da­her, ob Ein-Eu­ro-Job­ber wie Ar­beit­neh­mer ein­ge­setzt wer­den, d.h. wei­sungs­ge­bun­den sind und in die be­trieb­li­che Ar­beits­or­ga­ni­sa­ti­on ein­ge­glie­dert wer­den. Und ge­nau das ist im All­ge­mei­nen und auch hier im Streit­fall ge­ge­ben, so das Ar­beits­ge­richt Reut­lin­gen.

Fa­zit: Der Ar­beit­ge­ber ist gemäß § 99 Abs.1 S.1 Be­trVG ge­genüber dem Be­triebs­rat da­zu ver­pflich­tet, ihn über die Per­son ei­nes je­den Ein-Eu­ro-Job­bers zu in­for­mie­ren und un­ter Vor­la­ge der er­for­der­li­chen Un­ter­la­gen in je­dem Ein­zel­fall Aus­kunft über die Aus­wir­kun­gen der Beschäfti­gung von Ein-Eu­ro-Job­bern auf Be­trieb und Be­leg­schaft zu ge­ben. Und er braucht vor der Auf­nah­me der Beschäfti­gung die Zu­stim­mung des Be­triebs­rats. Das gilt auch dann, wenn sich der Be­triebs­rat sich mit der Beschäfti­gung von Ein-Eu­ro-Job­bern "grundsätz­lich" ein­ver­stan­den erklärt hat und wenn er ei­ne ent­spre­chen­de po­si­ti­ve Stel­lung­nah­me zur Vor­la­ge beim Job­cen­ter ab­ge­ge­ben hat.

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Letzte Überarbeitung: 20. Dezember 2017

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