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BAG, Ur­teil vom 21.02.2012, 9 AZR 487/10

   
Schlagworte: Urlaub, Urlaubsabgeltung, Urlaub und Kündigung
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 9 AZR 487/10
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 21.02.2012
   
Leitsätze:

1. Hat der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis gekündigt und besteht nach der Entscheidung des Gerichts das Arbeitsverhältnis fort, hat er die während des Kündigungsrechtsstreits entstandenen Urlaubsansprüche des Arbeitnehmers grundsätzlich auch dann zu erfüllen, wenn dieser inzwischen mit einem anderen Arbeitgeber ein neues Arbeitsverhältnis eingegangen ist.


2. Der Arbeitnehmer muss sich nur dann den ihm während des Kündigungsrechtsstreits vom anderen Arbeitgeber gewährten Urlaub auf seinen Urlaubsanspruch gegen den alten Arbeitgeber anrechnen lassen, wenn er die Pflichten aus beiden Arbeitsverhältnissen nicht gleichzeitig hätte erfüllen können.

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Leipzig, Urteil vom 11.6.2009 - 8 Ca 5517/08
Sächsisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 26.1.2010 - 7 Sa 442/09
   


BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT


9 AZR 487/10
7 Sa 442/09

Säch­si­sches
Lan­des­ar­beits­ge­richt

 

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am

21. Fe­bru­ar 2012

UR­TEIL

Brüne, Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Be­klag­te, Be­ru­fungskläge­rin und Re­vi­si­onskläge­rin,

pp.

Kläge­rin, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

hat der Neun­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 21. Fe­bru­ar 2012 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Brühler, die Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Suckow
 


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und Klo­se so­wie den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Ro­pertz und die eh­ren­amt­li­che Rich­te­rin Pie­lenz für Recht er­kannt:


1. Auf die Re­vi­si­on der Be­klag­ten wird das Ur­teil des Säch­si­schen Lan­des­ar­beits­ge­richts vom 26. Ja­nu­ar 2010 - 7 Sa 442/09 - teil­wei­se auf­ge­ho­ben.

2. Auf die Be­ru­fung der Be­klag­ten wird das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Leip­zig vom 11. Ju­ni 2009 - 8 Ca 5517/08 - teil­wei­se ab­geändert.

Es wird fest­ge­stellt, dass die Kläge­rin aus dem Jahr 2008 ei­nen Er­satz­ur­laubs­an­spruch von acht Ar­beits­ta­gen hat. Im Übri­gen wird die Kla­ge ab­ge­wie­sen.

3. Die Kläge­rin hat die Kos­ten der Re­vi­si­on zu tra­gen. Von den übri­gen Kos­ten des Rechts­streits trägt die Kläge­rin 72 vH und die Be­klag­te 28 vH.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten darüber, ob der Kläge­rin Er­satz­ur­laub als Scha­dens­er­satz zu­steht.


Die Par­tei­en schlos­sen un­ter dem Da­tum des 1. Fe­bru­ar 2006 ei­nen schrift­li­chen Ver­trag über die An­stel­lung der Kläge­rin ab dem 20. März 2006 als Fach­ex­per­tin für Fo­to­gram­me­trie. Nr. 5 des Ver­trags lau­tet:


„5. Ur­laub

Die Ar­beit­neh­me­rin hat ei­nen jähr­li­chen Ur­laubs­an­spruch von 29 Ar­beits­ta­gen.

Der An­tritt des Ur­laubs, der möglichst zu­sam­menhängend ge­nom­men wer­den soll, ist mit Rück­sicht auf die be­trieb­li­chen Be­lan­ge hin­sicht­lich der zeit­li­chen Fest­le­gung von der Zu­stim­mung des zuständi­gen Vor­ge­setz­ten abhängig.“
 


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Die Be­klag­te kündig­te das Ar­beits­verhält­nis mit Schrei­ben vom 25. Ja­nu­ar 2007 zum 31. März 2007. Während des Kündi­gungs­rechts­streits ging die Kläge­rin im April 2007 mit der T GmbH ein Ar­beits­verhält­nis ein. Gemäß ei­ner Be­schei­ni­gung der T GmbH vom 14. No­vem­ber 2008 gewähr­te die­se der Kläge­rin im Jahr 2008 21 Ta­ge Ur­laub. Mit Schrei­ben vom 6. No­vem­ber 2008 be­an­trag­te die Kläge­rin bei der Be­klag­ten er­folg­los die Gewährung von Ur­laub vom 14. No­vem­ber 2008 bis zum 30. De­zem­ber 2008. Mit Ur­teil vom 23. April 2009, das Rechts­kraft er­lang­te, stell­te das Säch­si­sche Lan­des­ar­beits­ge­richt fest, die Kündi­gung der Be­klag­ten vom 25. Ja­nu­ar 2007 sei un­wirk­sam. In der Fol­ge­zeit erklärte die Be­klag­te wei­te­re Kündi­gun­gen. Es steht nicht fest, ob das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en durch ei­ne die­ser Kündi­gun­gen be­en­det wor­den ist.


Die Kläge­rin hat die An­sicht ver­tre­ten, die Be­klag­te sei ver­pflich­tet ge­we­sen, ihr den be­an­trag­ten Ur­laub für das Jahr 2008 zu gewähren. Maßge­bend sei, dass das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en im ge­sam­ten Jahr 2008 be­stan­den und sie ih­ren Ur­laubs­an­spruch recht­zei­tig gel­tend ge­macht ha­be. Da die Be­klag­te den Ur­laub zu Un­recht nicht gewährt ha­be, ha­be sie den ihr ent­stan­de­nen Scha­den zu er­set­zen und den Ur­laub als Er­satz­ur­laub zu er­tei­len. Für ei­ne An­rech­nung des ihr von der T GmbH gewähr­ten Ur­laubs feh­le ei­ne Rechts­grund­la­ge.

Die Kläge­rin hat be­an­tragt 


fest­zu­stel­len, dass sie aus dem Jahr 2008 ei­nen Er­satz­ur­laubs­an­spruch iHv. 29 Ar­beits­ta­gen hat.

Die Be­klag­te hat Kla­ge­ab­wei­sung be­an­tragt. Sie hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, während des Kündi­gungs­rechts­streits der Par­tei­en sei kein Ur­laubs­an­spruch der Kläge­rin ent­stan­den. Ei­nem Scha­dens­er­satz­an­spruch der Kläge­rin ste­he zu­dem ent­ge­gen, dass ihr auf­grund der un­kla­ren Rechts­la­ge im Hin­blick auf die Nicht­gewährung des Ur­laubs kein Ver­schul­den zur Last fal­le. Sch­ließlich be­ste­he ein ur­laubs­recht­li­cher Grund­satz, dem zu­fol­ge der ge­setz­li-
 


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che Min­des­t­ur­laub in je­dem Jahr nur ein­mal ent­ste­he. Da die Kläge­rin 21 Ta­ge Ur­laub bei der T GmbH er­hal­ten ha­be, könne sie Ur­laub in die­sem Um­fang nicht noch­mals von ihr ver­lan­gen.


Das Ar­beits­ge­richt hat der Kla­ge statt­ge­ge­ben. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die Be­ru­fung der Be­klag­ten zurück­ge­wie­sen. Mit der vom Se­nat auf die Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de der Be­klag­ten zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on ver­folgt die Be­klag­te ihr Ziel der Kla­ge­ab­wei­sung nur in­so­fern wei­ter, als das Lan­des­ar­beits­ge­richt das Be­ste­hen ei­nes Er­satz­ur­laubs­an­spruchs von mehr als acht Ar­beits­ta­gen fest­ge­stellt hat.

Ent­schei­dungs­gründe

A. Die in zulässi­ger Wei­se nur be­schränkt ein­ge­leg­te Re­vi­si­on der Be­klag­ten ist be­gründet. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat zu Un­recht über den Er­satz­ur­laubs­an­spruch von acht Ta­gen hin­aus ei­nen An­spruch der Kläge­rin auf wei­te­re 21 Er­satz­ur­laubs­ta­ge für das Jahr 2008 fest­ge­stellt.

I. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt ist zu Recht von der Zulässig­keit des Kla­ge­an­trags aus­ge­gan­gen. Der grundsätz­li­che Vor­rang der Leis­tungs­kla­ge, der dem Zweck dient, Rechts­strei­tig­kei­ten pro­zess­wirt­schaft­lich sinn­voll zu er­le­di­gen, steht der Zulässig­keit der Fest­stel­lungs­kla­ge nicht ent­ge­gen. Ei­ne Fest­stel­lungs­kla­ge ist zulässig, wenn mit ihr ei­ne sach­ge­rech­te, ein­fa­che Er­le­di­gung der auf­ge­tre­te­nen Streit­punk­te zu er­rei­chen ist und pro­zess­wirt­schaft­li­che Über­le­gun­gen ge­gen ei­nen Zwang zur Leis­tungs­kla­ge spre­chen (BAG 17. Mai 2011 - 9 AZR 189/10 - Rn. 39 mwN, EzA BUrlG § 7 Nr. 124; 12. April 2011 - 9 AZR 80/10 - Rn. 12, EzA BUrlG § 7 Nr. 123). Auf­grund der noch nicht be­en­de­ten Kündi­gungs­schutz­ver­fah­ren ist nicht ab­seh­bar, ob die Kläge­rin nach § 280 Abs. 1, § 286 Abs. 1, § 287 Satz 2, § 249 Abs. 1 BGB An­spruch auf die Gewährung von Er­satz­ur­laub hat oder ob die Be­klag­te nach § 251 Abs. 1 BGB
 


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zu des­sen Ab­gel­tung ver­pflich­tet ist. In ei­ner sol­chen Si­tua­ti­on ist ein Fest­stel­lungs­be­geh­ren gemäß § 256 Abs. 1 ZPO zulässig (vgl. BAG 17. Mai 2011 - 9 AZR 189/10 - Rn. 40, aaO). Ei­nem recht­li­chen In­ter­es­se der Kläge­rin an als­bal­di­ger Fest­stel­lung steht nicht ent­ge­gen, dass sie an sich den Aus­gang der anhängi­gen Kündi­gungs­schutz­ver­fah­ren hätte ab­war­ten können. Ihr An­spruch auf Ur­laub für das Jahr 2008 hängt nicht vom Aus­gang die­ser Rechts­strei­te ab. Die­ser ist nur für die Fra­ge von Be­deu­tung, ob die Be­klag­te im Fal­le der Be­gründet­heit der vor­lie­gen­den Fest­stel­lungs­kla­ge Er­satz­ur­laub zu gewähren oder ab­zu­gel­ten hat.


II. Die Kla­ge ist, so­weit der Se­nat über sie im Re­vi­si­ons­ver­fah­ren zu be­fin­den hat, un­be­gründet.


1. Der Kläge­rin steht nur Ur­laub von acht Ta­gen als Scha­dens­er­satz für den am 31. De­zem­ber 2008 nach § 7 Abs. 3 BUrlG un­ter­ge­gan­ge­nen Ur­laubs­an­spruch für das Jahr 2008 zu. Über ei­nen Scha­dens­er­satz­an­spruch der Kläge­rin in die­sem Um­fang be­steht auch kein Streit mehr. Die Be­klag­te hat das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts nur in­so­weit an­ge­grif­fen, als die­ses ei­nen Er­satz­ur­laubs­an­spruch der Kläge­rin für das Jahr 2008 von mehr als acht Ta­gen fest­ge­stellt hat. Nach Ab­lauf der Re­vi­si­ons­be­gründungs­frist wur­de das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts rechts­kräftig (vgl. ErfK/Koch 12. Aufl. § 74 ArbGG Rn. 7), so­weit sich sei­ne Fest­stel­lung auf acht Ta­ge Er­satz­ur­laub für das Jahr 2008 be­zo­gen hat.

2. Über die­se acht Ta­ge hin­aus steht der Kläge­rin kein wei­te­rer Er­satz­ur­laubs­an­spruch für das Jahr 2008 zu.

a) Al­ler­dings ent­stand zu Be­ginn des Jah­res 2008 auf­grund der Ver­ein­ba­rung der Par­tei­en in Nr. 5 des Ar­beits­ver­trags ein Ur­laubs­an­spruch im Um­fang von 29 Ar­beits­ta­gen. Der Um­stand, dass die Kläge­rin im Jahr 2008 kei­ne Ar­beits­leis­tung für die Be­klag­te er­bracht hat, hin­der­te das Ent­ste­hen des Ur­laubs­an­spruchs nicht. Das Bun­des­ur­laubs­ge­setz enthält kei­ne Re­ge­lun­gen,


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nach de­nen das Ent­ste­hen des Ur­laubs­an­spruchs da­von abhängig ist, dass der Ar­beit­neh­mer im be­tref­fen­den Ur­laubs­jahr tatsächlich ei­ne Ar­beits­leis­tung er­bracht hat. Der ge­setz­li­che Ur­laubs­an­spruch ist kei­ne Ge­gen­leis­tung des Ar­beit­ge­bers für er­brach­te oder noch zu er­brin­gen­de Ar­beits­leis­tun­gen, son­dern ei­ne ge­setz­li­che Ver­pflich­tung des Ar­beit­ge­bers aus dem Ar­beits­verhält­nis, den Ar­beit­neh­mer für die Dau­er des Ur­laubs von der Ar­beits­pflicht zu be­frei­en (BAG 17. Mai 2011 - 9 AZR 197/10 - Rn. 21 mwN, EzA TVG § 4 Me­tall­in­dus­trie Nr. 138). Es würde auch den Vor­ga­ben der Richt­li­nie 2003/88/EG (Ar­beits­zeit­richt­li­nie) wi­der­spre­chen, ein sol­ches Er­for­der­nis auf­zu­stel­len. Art. 7 Abs. 1 der Ar­beits­zeit­richt­li­nie wird vom Ge­richts­hof der Eu­ropäischen Uni­on da­hin aus­ge­legt, dass er na­tio­na­len Be­stim­mun­gen oder Ge­pflo­gen­hei­ten ent­ge­gen­steht, nach de­nen der An­spruch auf be­zahl­ten Jah­res­ur­laub von ei­ner ef­fek­ti­ven Min­dest­ar­beits­zeit während des Be­zugs­zeit­raums abhängt (vgl. EuGH 24. Ja­nu­ar 2012 - C-282/10 - [Do­m­in­guez] Rn. 21, EzA EG-Ver­trag 1999 Richt­li­nie 2003/88 Nr. 8).


b) Dem Ent­ste­hen des vol­len Ur­laubs­an­spruchs für das Jahr 2008 stand auch nicht ent­ge­gen, dass die Kläge­rin während des ge­sam­ten Jah­res 2008 in ei­nem Ar­beits­verhält­nis zur T GmbH stand.


aa) Für das Ent­ste­hen der Ur­laubs­ansprüche ist oh­ne Be­deu­tung, dass die Kläge­rin ih­re Pflich­ten aus bei­den Ar­beits­verhält­nis­sen nicht gleich­zei­tig erfüllen konn­te. Würde be­reits das Be­ste­hen ei­nes sol­chen Dop­pel­ar­beits­verhält­nis­ses per se das Ent­ste­hen des Ur­laubs­an­spruchs in ei­nem der Ar­beits­verhält­nis­se hin­dern, würde das Ri­si­ko der Nich­terfüllung sei­nes Ur­laubs­an­spruchs al­lein dem Ar­beit­neh­mer auf­er­legt. Das Bun­des­ur­laubs­ge­setz weist dem Ar­beit­neh­mer die­ses Ri­si­ko der Rechts­durch­set­zung ge­gen ei­nen der bei­den Ar­beit­ge­ber je­doch nicht zu (AnwK-ArbR/Düwell 2. Aufl. § 6 BUrlG Rn. 4; vgl. auch GK-BUrlG/Bach­mann 5. Aufl. § 6 Rn. 55). Viel­mehr ent­steht nach § 4 BUrlG dem Grun­de und der Höhe nach bei erfüll­ter War­te­zeit in je­dem Ar­beits­verhält­nis der vol­le Ur­laubs­an­spruch. Dem ent­spricht es, dass die Re­ge­lung in § 6 Abs. 1
 


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BUrlG, wo­nach der An­spruch auf Ur­laub nicht be­steht, so­weit dem Ar­beit­neh­mer für das lau­fen­de Ka­len­der­jahr be­reits von ei­nem frühe­ren Ar­beit­ge­ber Ur­laub gewährt wor­den ist, bei ei­nem Wech­sel des Ar­beit­ge­bers während des Ur­laubs­jah­res kei­ne An­rech­nungs­be­fug­nis des neu­en Ar­beit­ge­bers be­gründet, wenn der frühe­re Ar­beit­ge­ber Ur­laub nicht er­teilt oder nicht ab­ge­gol­ten hat (vgl. BAG 25. No­vem­ber 1982 - 6 AZR 1254/79 - zu 3 c der Gründe, BA­GE 40, 379; Schaub/Linck ArbR-Hdb. 14. Aufl. § 104 Rn. 38).


bb) § 6 Abs. 1 BUrlG hin­der­te das Ent­ste­hen des Ur­laubs­an­spruchs der Kläge­rin nicht. Die Vor­schrift re­gelt den Ur­laubs­an­spruch, wenn der Ar­beit­neh­mer während des Ur­laubs­jah­res den Ar­beit­ge­ber wech­selt. Bei auf­ein­an­der­fol­gen­den Ar­beits­verhält­nis­sen wird durch § 6 Abs. 1 BUrlG nur dann der An­spruch im neu­en Ar­beits­verhält­nis ganz oder teil­wei­se aus­ge­schlos­sen, wenn Ur­laubs­ansprüche des Ar­beit­neh­mers be­reits im frühe­ren Ar­beits­verhält­nis erfüllt wor­den sind und auch im neu­en Ar­beits­verhält­nis kein Ur­laubs­an­spruch auf ei­ne höhe­re An­zahl von Ur­laubs­ta­gen als im frühe­ren Ar­beits­verhält­nis ent­steht (BAG 28. Fe­bru­ar 1991 - 8 AZR 196/90 - zu II 4 b aa der Gründe, BA­GE 67, 283). Die Re­ge­lung des § 6 Abs. 1 BUrlG er­fasst je­doch nicht den Fall, dass ein Ar­beit­neh­mer nach ei­ner Kündi­gung des Ar­beit­ge­bers ein an­der­wei­ti­ges Ar­beits­verhält­nis ein­ge­gan­gen ist und fest­ge­stellt wird, dass das zu­erst be­gründe­te Ar­beits­verhält­nis durch die Kündi­gung nicht auf­gelöst ist. In ei­nem sol­chen Fall liegt ein Dop­pel­ar­beits­verhält­nis vor. Der Re­ge­lungs­be­reich des § 6 Abs. 1 BUrlG er­fasst Dop­pel­ar­beits­verhält­nis­se nicht (vgl. zu § 2 des Ur­laubs­ge­set­zes der Frei­en Han­se­stadt Bre­men vom 4. Mai 1948/29. April 1949: BAG 19. Ju­ni 1959 - 1 AZR 565/57 - BA­GE 8, 47; Lei­ne­mann/Linck Ur­laubs­recht 2. Aufl. § 6 BUrlG Rn. 11; Neu­feld/Bey­er NZA 2008, 1157, 1161).


c) Auf ih­ren Ur­laubs­an­spruch von 29 Ar­beits­ta­gen muss sich die Kläge­rin al­ler­dings in ent­spre­chen­der An­wen­dung von § 11 Nr. 1 KSchG und § 615 Satz 2 BGB den ihr von der T GmbH im Jahr 2008 gewähr­ten Ur­laub von 21 Ar­beits­ta­gen an­rech­nen las­sen. Dafür ist maßge­bend, dass sie nicht gleich­zei­tig ih­re Pflich­ten aus dem Ar­beits­verhält­nis mit der Be­klag­ten und aus dem
 


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Ar­beits­verhält­nis mit der T GmbH hätte erfüllen können. So­weit der Ach­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts im Ur­teil vom 28. Fe­bru­ar 1991 (- 8 AZR 196/90 - zu II 4 b bb der Gründe, BA­GE 67, 283) ei­ne An­rech­nungs­be­fug­nis des Ar­beit­ge­bers mit der Be­gründung ver­neint hat, der Ur­laub sei kei­ne Vergütung, hält der nun­mehr für das Ur­laubs­recht al­lein zuständi­ge Neun­te Se­nat dar­an nicht fest. Auch wenn der Ur­laub kei­ne Vergütung für vom Ar­beit­neh­mer er­brach­te Ar­beits­leis­tun­gen dar­stellt, schließt dies ei­ne ana­lo­ge An­wen­dung von § 11 KSchG und § 615 Satz 2 BGB nicht aus.

aa) Ei­ne Ana­lo­gie setzt vor­aus, dass das Ge­setz ei­ne Re­ge­lungslücke enthält und ei­ne ver­gleich­ba­re In­ter­es­sen­la­ge vor­liegt. Ei­ne Lücke im Ge­setz liegt nicht schon dann vor, wenn es für ei­ne be­stimm­te Fall­ge­stal­tung kei­ne Re­ge­lung enthält. Sie ist nur bei ei­ner plan­wid­ri­gen Un­vollständig­keit ge­ge­ben (BAG 13. März 2007 - 9 AZR 494/06 - Rn. 26, AP BBiG § 14 Nr. 13 = EzA BBiG § 14 Nr. 14). Die ana­lo­ge An­wen­dung ei­ner Be­stim­mung muss zur Ausfüllung der Lücke er­for­der­lich sein, so­dass die Rechts­fol­ge ei­nes ge­setz­li­chen Tat­be­stands auf ei­nen ver­gleich­ba­ren, aber im Ge­setz nicht ge­re­gel­ten Tat­be­stand zu über­tra­gen ist. Der dem Ge­setz zu­grun­de lie­gen­de Re­ge­lungs­plan ist aus ihm selbst im We­ge der his­to­ri­schen und te­leo­lo­gi­schen Aus­le­gung zu schließen. Es ist zu fra­gen, ob das Ge­setz, ge­mes­sen an sei­ner ei­ge­nen Re­ge­lungs­ab­sicht, un­vollständig ist (BAG 13. Fe­bru­ar 2003 - 8 AZR 654/01 - zu II 1 a bb der Gründe mwN, BA­GE 104, 358).


bb) Die­se Fra­ge ist bei Dop­pel­ar­beits­verhält­nis­sen zu ver­nei­nen, wenn der Ar­beit­neh­mer die Pflich­ten aus bei­den Ar­beits­verhält­nis­sen erfüllen kann (BAG 19. Ju­ni 1959 - 1 AZR 565/57 - BA­GE 8, 47; ErfK/Gall­ner § 6 BUrlG Rn. 2). In­so­weit hat der Ar­beit­neh­mer gemäß § 1 BUrlG in je­dem Ka­len­der­jahr in je­dem Ar­beits­verhält­nis An­spruch auf be­zahl­ten Er­ho­lungs­ur­laub. Grundsätz­lich sind nach der Re­ge­lungs­sys­te­ma­tik des BUrlG - mit Aus­nah­me der Re­ge­lung in § 6 BUrlG - da­mit Ur­laubs­ansprüche des Ar­beit­neh­mers aus ver­schie­de­nen Ar­beits­verhält­nis­sen un­abhängig von­ein­an­der zu erfüllen. Geht ein Ar­beit­neh­mer gleich­zei­tig meh­re­re zeit­lich nicht kol­li­die­ren­de Ar­beits­verhält­nis­se ein, ist grundsätz­lich je­der Ar­beit­ge­ber zur Ur­laubs­gewährung ver­pflich­tet.
 


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cc) Der vor­lie­gen­de Fall liegt an­ders. Im Streit­fall beschäftig­te die Be­klag­te, die das Ar­beits­verhält­nis gekündigt hat­te, die Kläge­rin nach dem Ab­lauf der Kündi­gungs­frist nicht wei­ter. Da­durch konn­te die Kläge­rin ih­re Pflich­ten in dem während des Kündi­gungs­rechts­streits neu be­gründe­ten Ar­beits­verhält­nis bei der T GmbH erfüllen, die ihr Er­ho­lungs­ur­laub gewähr­te. Die Pflich­ten aus bei­den Ar­beits­verhält­nis­sen hätte die Kläge­rin nicht erfüllen können. Für die­se Fall­kon­stel­la­ti­on fehlt ei­ne ge­setz­li­che Re­ge­lung. § 11 Nr. 1 KSchG re­gelt die­sen Fall nicht un­mit­tel­bar. Die­se Vor­schrift enthält ei­ne Spe­zi­al­re­ge­lung zu § 615 Satz 2 BGB (ErfK/Kiel § 11 KSchG Rn. 3). Sie stellt kei­ne ei­ge­ne An­spruchs­grund­la­ge, son­dern le­dig­lich ei­ne An­rech­nungs­vor­schrift dar (Ba­der/ Bram/Suckow Stand De­zem­ber 2011 § 11 KSchG Rn. 1). Die Ver­pflich­tung zur Gewährung von Ur­laub be­ruht für den Ar­beit­ge­ber, der ei­ne un­wirk­sa­me Kündi­gung erklärt hat, nicht auf § 615 Satz 1 BGB, son­dern folgt un­abhängig von er­brach­ten Ar­beits­leis­tun­gen un­mit­tel­bar aus dem Bun­des­ur­laubs­ge­setz. Darüber hin­aus hat § 11 Nr. 1 KSchG nur die An­rech­nung von Vergütungs­ansprüchen für Ar­beits­leis­tun­gen zum Ge­gen­stand, die ein Ar­beit­neh­mer in ei­nem an­de­ren Ar­beits­verhält­nis er­wor­ben hat. Der Ur­laub ist je­doch kei­ne Vergütung. Der Ur­laubs­an­spruch ent­steht un­abhängig von er­brach­ten Ar­beits­leis­tun­gen und ist auf die Frei­stel­lung von Ar­beits­pflich­ten ge­rich­tet (BAG 28. Fe­bru­ar 1991 - 8 AZR 196/90 - zu II 4 b bb der Gründe mwN, BA­GE 67, 283).

dd) Die be­ste­hen­de Lücke steht im Wi­der­spruch zum Re­ge­lungs­plan des Ge­setz­ge­bers und ist durch ei­ne ent­spre­chen­de An­wen­dung von § 11 Nr. 1 KSchG und § 615 Satz 2 BGB zu schließen. Dem Wil­len des Ge­setz­ge­bers, wie er in § 11 Nr. 1 KSchG und § 615 Satz 2 BGB zum Aus­druck kommt, ist im We­ge der Ge­set­zes­ana­lo­gie Gel­tung zu ver­schaf­fen.

(1) Sinn und Zweck des § 11 Nr. 1 KSchG ist es, den Ar­beit­neh­mer für den Fall des Ob­sie­gens im Kündi­gungs­rechts­streit we­der bes­ser noch schlech­ter, son­dern grundsätz­lich so zu stel­len, als hätte kei­ne Un­ter­bre­chung des Ar­beits­verhält­nis­ses statt­ge­fun­den (APS/Biebl 4. Aufl. § 11 KSchG Rn. 2; Ha­Ko-Fie­big/Näge­le-Berk­ner 4. Aufl. § 11 Rn. 2). Die Vor­schrift ist nur ein­schlägig für
 


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den Ver­dienst, den der Ar­beit­neh­mer des­halb er­zie­len konn­te, weil er die Ar­beits­leis­tung beim Ar­beit­ge­ber, der das Ar­beits­verhält­nis un­wirk­sam gekündigt hat, nicht er­bracht hat (BAG 6. Sep­tem­ber 1990 - 2 AZR 165/90 - zu III 3 a aa der Gründe, AP BGB § 615 Nr. 47 = EzA BGB § 615 Nr. 67; ErfK/Kiel 12. Aufl. § 11 KSchG Rn. 4). Der Re­ge­lung des § 615 Satz 2 BGB ist der ge­setz­ge­be­ri­sche Wil­le zu ent­neh­men, dass der An­nah­me­ver­zug dem Dienst­ver­pflich­te­ten we­der fi­nan­zi­el­le Vor- noch Nach­tei­le brin­gen soll (Münch-KommBGB/Hens­s­ler 5. Aufl. § 615 Rn. 62 mwN). Er soll da­mit nicht mehr er­hal­ten, als er bei nor­ma­ler Ab­wick­lung des Dienst­verhält­nis­ses er­hal­ten hätte. Der Um­stand, dass es sich beim Ur­laubs­an­spruch nicht um ei­nen im Ge­gen­sei­tig­keits­verhält­nis ste­hen­den An­spruch han­delt, recht­fer­tigt es noch nicht, den Ar­beit­neh­mer im Hin­blick auf sei­ne Ur­laubs­ansprüche nach Fest­stel­lung der Un­wirk­sam­keit der Kündi­gung bes­ser zu stel­len, als er ge­stan­den hätte, wenn das Ar­beits­verhält­nis nicht tatsächlich un­ter­bro­chen ge­we­sen wäre und der Ar­beit­neh­mer ge­ar­bei­tet hätte. In die­sem Fall wäre der Ar­beit­neh­mer nur ein­mal bei Fort­zah­lung der ver­trags­gemäßen Vergütung für die Dau­er des ver­ein­bar­ten Ur­laubs von der Ar­beits­leis­tung frei­ge­stellt wor­den.

(2) Wäre die Be­klag­te gemäß der An­sicht der Kläge­rin ver­pflich­tet, sie im Hin­blick auf die im Jahr 2008 ent­stan­de­nen Ur­laubs­ansprüche noch ein­mal 21 Ta­ge frei­zu­stel­len, ob­wohl die Kläge­rin in die­sem Um­fang be­reits un­ter Fort­zah­lung der Vergütung frei­ge­stellt wor­den war, läge ei­ne nach den Wer­tun­gen des Bun­des­ur­laubs­ge­set­zes nicht vor­ge­se­he­ne Ver­dopp­lung des Ur­laubs­an­spruchs vor. Die­ses Ge­setz gewährt - in Ein­klang mit der Ar­beits­zeit­richt­li­nie - ei­nen Min­des­t­ur­laubs­an­spruch von 20 Ar­beits­ta­gen bei ei­ner Fünf­ta­ge­wo­che. Ei­ne ent­spre­chen­de Frei­stel­lung war bei dem vor­lie­gen­den Dop­pel­ar­beits­verhält­nis gewähr­leis­tet. Dem Er­ho­lungs­zweck wur­de genüge ge­tan (vgl. zu die­sem: EuGH 22. No­vem­ber 2011 - C-214/10 - [KHS] Rn. 31, AP Richt­li­nie 2003/88/EG Nr. 6 = EzA EG-Ver­trag 1999 Richt­li­nie 2003/88 Nr. 7; BAG 20. Ju­ni 2000 - 9 AZR 405/99 - zu II 2 b bb (1) der Gründe, BA­GE 95, 104).
 


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B. Die Kläge­rin hat gemäß § 91 Abs. 1 ZPO die Kos­ten der Re­vi­si­on zu tra­gen. Die übri­gen Kos­ten des Rechts­streits ha­ben gemäß § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO die Kläge­rin zu 72 vH und die Be­klag­te zu 28 vH zu tra­gen.


Brühler 

Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Suckow ist auf­grund El­tern­zeit ver­hin­dert, sei­ne Un­ter­schrift bei­zufügen. Brühler 

Klo­se

Pie­lenz 

Ro­pertz

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