HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 14/066

Än­de­rung der Ta­ges­ord­nung in der Be­triebs­rats­sit­zung

Der Be­triebs­rat kann sei­ne Ta­ges­ord­nung in der Sit­zung än­dern und da­zu Be­schlüs­se fas­sen, wenn er be­schluss­fä­hig ist und al­le mit der Än­de­rung ein­ver­stan­den sind: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Be­schluss vom 22.01.2014, 7 AS 6/13
Betriebsratsanhörung Än­de­run­gen der Ta­ges­ord­nung ma­chen Pro­ble­me

26.02.2014. Oft kommt es vor, dass der Be­triebs­rat in ei­ner Sit­zung zu ei­nem be­stimm­ten Ta­ges­ord­nungs­punkt (TOP) ei­nen Be­schluss fas­sen möch­te, nur dass die­ser TOP lei­der in der La­dung zur Be­triebs­rats­sit­zung nicht auf­ge­führt wur­de.

Dann müss­te der Be­triebs­rat in der Sit­zung, d.h. "spon­tan", sei­ne Ta­ges­ord­nung än­dern, d.h. um die­sen TOP er­gän­zen.

Das ist nach bis­he­ri­ger Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts (BAG) aber kaum mög­lich: Bis­lang muss­ten näm­lich al­le Be­triebs­rats­mit­glie­der (bzw. Nach­rü­cker) in der Sit­zung voll­zäh­lig an­we­send sein, und al­le voll­zäh­lig an­we­sen­den Mit­glie­der (bzw. Nach­rü­cker) muss­ten ein­stim­mig mit der Än­de­rung der Ta­ges­ord­nung ein­ver­stan­den sein.

Die­ser über­trie­be­ne Bü­ro­kra­tis­mus ist Ver­gan­gen­heit: BAG, Be­schluss vom 22.01.2014, 7 AS 6/13.

Wann kann der Be­triebs­rat in ei­ner Sit­zung die in der La­dung ent­hal­te­ne Ta­ges­ord­nung ergänzen?

Gemäß § 33 Abs.1 Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz (Be­trVG) fasst der Be­triebs­rat sei­ne Be­schlüsse in ei­ner Sit­zung, und zwar mit der Mehr­heit der Stim­men der (persönlich) an­we­sen­den Mit­glie­der. Vor­aus­set­zung ist, dass min­des­tens die Hälf­te der Be­triebs­rats­mit­glie­der an der Be­schluss­fas­sung teil­nimmt, denn sonst ist der Be­triebs­rat nicht be­schlussfähig. Ver­hin­der­te Be­triebs­rats­mit­glie­der können durch ein Er­satz­mit­glied ver­tre­ten wer­den (§ 25 Abs.1 Be­trVG).

Be­triebs­rats­be­schlüsse sind darüber hin­aus nur dann wirk­sam, wenn sie zu ei­nem Ta­ges­ord­nungs­punkt ge­fasst wer­den, der in der Ein­la­dung zur Be­triebs­rats­sit­zung aus­drück­lich ge­nannt wur­de. Denn § 29 Abs.2 Satz 3 Be­trVG schreibt vor, dass der Be­triebs­rats­vor­sit­zen­de al­le Be­triebs­rats­mit­glie­der (bzw. Er­satz­mit­glie­der) recht­zei­tig und un­ter Mit­tei­lung der Ta­ges­ord­nung la­den muss, denn oh­ne vor­he­ri­ge In­for­ma­ti­on über die Ta­ges­ord­nung können sich die Be­triebs­rats­mit­glie­der nicht auf die Sit­zung vor­be­rei­ten.

Nach bis­he­ri­ger Recht­spre­chung konn­te der Be­triebs­rat die in der La­dung ge­nann­ten TOPs in sei­ner Sit­zung da­her nur ändern,

  • wenn al­le Mit­glie­der bzw. Er­satz­mit­glie­der vollzählig an­we­send sind, al­so z.B. bei ei­nem neunköpfi­gen Be­triebs­rat auch wirk­lich neun Mit­glie­der bzw. Er­satz­mit­glie­der, und
  • wenn al­le der Ände­rung der Ta­ges­ord­nung zu­stim­men.

Im Som­mer des letz­ten Jah­res frag­te der Ers­te BAG-Se­nat beim Sieb­ten BAG-Se­nat an, ob der Sieb­te Se­nat an die­ser Recht­spre­chung wei­ter fest­hal­ten möch­te. Die­se An­fra­ge ist in § 45 Abs.3 Satz 1 Ar­beits­ge­richts­ge­setz (ArbGG) vor­ge­schrie­ben, und zwar als Vor­be­rei­tung ei­ner Ent­schei­dung des Großen Se­nats des BAG. Er hat Rechts­fra­gen zu klären, zu de­nen die ver­schie­de­nen BAG-Se­na­te von­ein­an­der ab­wei­chen­de Mei­nun­gen ver­tre­ten, und er muss dem­ent­spre­chend nicht ent­schei­den, wenn ein BAG-Se­nat auf die An­fra­ge ei­nes an­de­ren erklärt, an sei­ner bis­he­ri­gen Mei­nung nicht fest­hal­ten zu wol­len.

Der Ers­te Se­nat schlug dem Sieb­ten Se­nat vor (BAG, Be­schluss vom 09.07.2013, 1 ABR 2/13 (A)), die o.g. stren­gen An­for­de­run­gen ei­ner Ände­rung der Ta­ges­ord­nung zu lo­ckern. Nach An­sicht des Ers­ten Se­nats soll­te es dafür aus­rei­chen,

  • dass sämt­li­che Mit­glie­der des Be­triebs­rats recht­zei­tig ge­la­den sind, und
  • dass der Be­triebs­rat be­schlussfähig ist, d.h. dass die Mehr­heit sei­ner Mit­glie­der in der Sit­zung an der Ab­stim­mung über ei­ne Ände­rung bzw. Ergänzung der Ta­ges­ord­nung teil­nimmt, und
  • dass al­le in der Sit­zung an­we­sen­den und an der Be­schluss­fas­sung teil­neh­men­den Be­triebs­rats­mit­glie­der der Ände­rung der Ta­ges­ord­nung zu­stim­men.

Über die­se An­fra­ge des Ers­ten BAG-Se­nats be­rich­te­ten wir in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 13/213 Ver­fah­rens­feh­ler beim Be­triebs­rats­be­schluss. Vor ei­ni­gen Wo­chen hat der Sieb­te BAG-Se­nat erklärt, dass er der vom Ers­ten Se­nat vor­ge­schla­ge­nen Ände­rung der Recht­spre­chung zu­stimmt: BAG, Be­schluss vom 22.01.2014, 7 AS 6/13.

Der Aus­gangs­fall: Be­triebs­rat be­strei­tet die Wirk­sam­keit ei­ner von sei­nem Vorgänger ab­ge­schlos­se­nen Be­triebs­ver­ein­ba­rung

Im Aus­gangs­fall strit­ten Ar­beit­ge­ber und Be­triebs­rat es um die Wirk­sam­keit ei­ner Be­triebs­ver­ein­ba­rung über Tor­kon­trol­len. Die­se Be­triebs­ver­ein­ba­rung hat­te nicht der Be­triebs­rat, son­dern sein Vorgänger mit dem Ar­beit­ge­ber ab­ge­schlos­sen.

Der neue Be­triebs­rat mein­te, dass die­se Be­triebs­ver­ein­ba­rung un­wirk­sam sei. Da­bei be­rief er sich un­ter an­de­rem auf ei­nen Ver­fah­rens­feh­ler: Denn der al­te Be­triebs­rat hat­te sei­ne Zu­stim­mung zu der Be­triebs­ver­ein­ba­rung in ei­ner Be­triebs­rats­sit­zung be­schlos­sen, zu der oh­ne Mit­tei­lung ei­ner Ta­ges­ord­nung ge­la­den wor­den war.

Außer­dem wa­ren da­mals nicht al­le Be­triebs­mit­glie­der bei der Sit­zung an­we­send. Da­her konn­te der al­te Be­triebs­rat die­sen Feh­ler bei der La­dung in der Sit­zung nicht mehr ausbügeln, ob­wohl er be­schlussfähig war und auch al­le an­we­sen­den Mit­glie­der ein­stim­mig der Be­triebs­ver­ein­ba­rung zu­ge­stimmt hat­ten.

Der neue Be­triebs­rat be­an­trag­te des­halb beim Ar­beits­ge­richt die Fest­stel­lung, dass die strei­ti­ge Be­triebs­ver­ein­ba­rung un­wirk­sam sei. Da­mit hat­te er vor dem Hes­si­schen Lan­des­ar­beits­ge­richt Er­folg (Be­schluss vom 17.09.2012, 16 TaBV 109/11). Der Ar­beit­ge­ber leg­te Rechts­be­schwer­de ein und der Fall lan­de­te beim Es­ten BAG-Se­nat.

Der wie­der­um frag­te wie erwähnt beim Sieb­ten Se­nat an, ob die­ser an sei­ner bis­he­ri­gen stren­gen Recht­spre­chung zur Ände­rung von Ta­ges­ord­nungs­punk­ten fest­hal­ten wol­le oder nicht (BAG, Be­schluss vom 09.07.2013, 1 ABR 2/13 (A)).

Sieb­ter BAG-Se­nat: Auch wenn nicht al­le Be­triebs­rats­mit­glie­der an­we­send sind, kann die Ta­ges­ord­nung ein­stim­mig geändert wer­den

Der Sieb­te BAG-Se­nat hat mit Be­schluss vom 22.01.2014 (7 AS 6/13) fei­er­lich erklärt, dass er sich der An­sicht des Ers­ten Se­nats an­sch­ließt. Künf­tig ist ei­ne Ände­rung der Ta­ges­ord­nung in der Be­triebs­rats­sit­zung be­reits dann zulässig, wenn die ord­nungs­gemäß ge­la­de­nen Mit­glie­der in der Sit­zung be­schlussfähig sind und ein­stim­mig der Ände­rung bzw. Ergänzung der Ta­ges­ord­nung zu­stim­men.

Die An­we­sen­heit sämt­li­cher Be­triebs­rats­mit­glie­der ist da­her künf­tig für ei­ne Ände­rung der Ta­ges­ord­nung nicht mehr er­for­der­lich.

Die­se Ände­rung der Recht­spre­chung ist sinn­voll und er­leich­tert ei­ne ra­sche und ef­fek­ti­ve Ar­beit des Be­triebs­rats. Denn oft er­ge­ben sich wei­te­re The­men, zu de­nen der Be­triebs­rat ei­nen Be­schluss fas­sen möch­te, erst aus der Dis­kus­si­on und Be­schluss­fas­sung über die Ta­ges­ord­nungs­punk­te, die in der La­dung ge­nannt wa­ren.

An­statt zu sol­chen The­men erst in der nächs­ten Sit­zung Be­schlüsse fas­sen zu können, kann der Be­triebs­rat jetzt die The­men sei­ner Be­schluss­fas­sung in der Sit­zung er­wei­tern und so­fort be­sch­ließen. Über­rum­pelt wer­den kann da­bei auch nie­mand, weil ja Ein­stim­mig­keit für sol­che Ände­run­gen der Ta­ges­ord­nung er­for­der­lich ist.

Fa­zit: Künf­tig ha­ben es Be­triebsräte leich­ter, rechts­si­che­re Be­schlüsse zu fas­sen, weil sie in der La­dung ver­ges­se­ne Punk­te nachträglich zum Ge­gen­stand der Be­schluss­fas­sung ma­chen können.

Dem­ent­spre­chend ha­ben es Ar­beit­ge­ber künf­tig schwe­rer, die Wirk­sam­keit un­lieb­sa­mer Be­schlüsse an­zu­zwei­feln, ein­fach in­dem sie ei­ne kor­rek­te La­dung zur Be­triebs­rats­sit­zung be­strei­ten. Denn wenn sich aus der Sit­zungs­nie­der­schrift er­gibt, dass der Be­triebs­rat ein­stim­mig die Auf­nah­me be­stimm­ter Punk­te in die Ta­ges­ord­nung be­schlos­sen hat, ist die Wirk­sam­keit der Be­schluss­fas­sung über sol­che Punk­te kaum zu be­zwei­feln.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 4. Januar 2021

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de
Bewertung: 4.0 von 5 Sternen (9 Bewertungen)

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de